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ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 77 1/2006

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Nr. <strong>77</strong> | 1. Quartal <strong>2006</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 3,<strong>–</strong> €<br />

B 42890<br />

LEBENSFORUM<br />

Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Ausland<br />

Benedikt XVI. ergreift<br />

Partei für das Leben<br />

Gesellschaft<br />

Die Folgen einer<br />

Abtreibung<br />

Ausland<br />

Der Kampf um den<br />

Supreme Court<br />

Abtreibung<br />

Todesfalle<br />

Mutterleib<br />

In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)


INHALT<br />

LEBENSFORUM <strong>77</strong><br />

EDITORIAL<br />

Der politische Wille fehlt 3<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

TITEL<br />

Todesfalle Mutterleib 4<br />

Stefan Rehder. M.A.<br />

Ein wahrer Fall 6<br />

Alexandra Maria Linder, M.A.<br />

»Lebensschutz hat oberste Priorität« 7<br />

Interview mit Johannes Singhammer, MdB<br />

DOKUMENTATION<br />

DOKUMENTATION<br />

Keine neue Debatte<br />

um den § 218<br />

einzelnen ungeborenen Kindes ganz schaftsabbruch als »Staatsaufgabe« (!) in Berlin, den 9.01.<strong>2006</strong><br />

zu schweigen.<br />

einem flächendeckenden Netz ambulanter<br />

Handlungsbedarf besteht aber auch und stationärer Einrichtungen angeboten Sehr geehrte Frau Dr. Kaminski,<br />

deshalb, weil das von Ihnen für unantastbar<br />

erklärte Prinzip des Paragrafen 218 in ca. 90 Prozent aller Fälle mit einem<br />

wird und die Tötung ungeborener Kinder sehr geehrter Herr Büchner,<br />

in seiner gesetzlichen Ausgestaltung zu Kostenaufwand von jährlich rund 42 Millionen<br />

Euro aus Gründen angeblicher November 2005 und die Glückwünsche<br />

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 25.<br />

einem weitgehenden Verlust des Unrechtsbewusstseins<br />

geführt hat. Die erste Bedürftigkeit mit staatlichen Haushaltsmitteln<br />

subventioniert wird. Angesichts sterin.<br />

zu meinem neuen Amt als Bundesmini-<br />

Voraussetzung für den Schutzeffekt eines<br />

Beratungskonzepts hat das Bundesverfassungsgericht<br />

jedoch bekanntlich darin ihren schwerwiegenden Folgen ist dies gegen die geltenden Regelungen zum<br />

der Kinderarmut in unserem Land mit In Ihrem Schreiben wenden Sie sich<br />

gesehen, dass es gelingt, das Rechtsbewusstsein<br />

in Bezug auf den nach Beratung Frau Bundesministerin, wäre es dringli-<br />

Reihe von Maßnahmen auf, die aus Ihrer<br />

ein verheerendes Signal. Wo, sehr geehrte Schwangerschaftsabbruch und zeigen eine<br />

Ende November hat sich der Bundesverband Lebensrecht (BVL) schriftlich an die Bundesministerin<br />

für Familien, Senioren, Frauen und Jugend Ursula von der Leyen gewandt. Anlass für das Schreiben<br />

durchgeführten Schwangerschaftsabbruch cher, bei dem eingeleiteten Abbau von Sicht zur Verbesserung des Lebensschutzes<br />

erforderlich sind und in der neuen<br />

zu erhalten und zu stärken.<br />

Subventionen den Rotstift anzusetzen?<br />

waren befremdliche Äußerungen der Ministerin in einem Interview mit dem Rheinischen Merkur.<br />

Wie es um das Rechtsbewusstsein in Von den weiteren schwerwiegenden Legislaturperiode umgesetzt werden sollten.<br />

Anfang Januar antwortete die Ministerin dann dem BVL. <strong>LebensForum</strong> dokumentiert den Briefwechsel<br />

Deutschland bezüglich der Abtreibung Mängeln von Gesetz und Praxis der Abtreibung<br />

möchten wir hier nur noch einen Unter anderem fordern Sie politische<br />

sowie einen Kommentar des Stellvertretenden Vorsitzenden des BVL, Bernward Büchner.<br />

inzwischen bestellt ist, zeigt eine im April<br />

durchgeführte Emnid-Umfrage. Danach weiteren anführen. Nach § 219 Absatz 1 Maßnahmen zur Vermeidung von Spätabbrüchen.<br />

Wie Sie wissen, wurde diese<br />

gaben 49 Prozent der Befragten an, nach Satz 3 StGB muss der Frau in der Beratung<br />

»bewusst sein, dass das Ungeborene Problematik bereits in der vergangenen<br />

dem Gesetz sei eine Abtreibung bis zum<br />

Berlin, den 25.11.2005<br />

Bliebe es bei der derzeitigen weiten gericht ausdrücklich unterstrichenen Beobachtungs-<br />

und Korrekturpflicht keineslaubt<br />

(47 Prozent im Westen, 58 Prozent auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf der CDU/CSU »Vermeidung von Spät-<br />

dritten Monat ohne Einschränkung er-<br />

in jedem Stadium der Schwangerschaft Legislaturperiode aufgrund der Anträge<br />

medizinisch-sozialen Indikation, wäre<br />

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, auch aus unserer Sicht eine obligatorische wegs entbinden. Die Formulierung im<br />

im Osten). In der Gruppe der 14- bis Leben hat ..« Wie soll der Frau ein solches abtreibungen <strong>–</strong> Hilfen für Eltern und<br />

psycho-soziale Beratung vor Durchführung<br />

pränataldiagnostischer Maßnahmen »auch in der 16. Legislaturperiode« nachnigen<br />

der Schüler gar 66 Prozent. Selbst haft vermittelt werden können, deren Bundestag diskutiert. In diesem Zusam-<br />

Koalitionsvertrag, dieser Verpflichtung<br />

29jährigen meinten dies 63 und in derje-<br />

Bewusstsein von Beratungsstellen glaub-<br />

Kinder« (BT-Drs. 15/3948) im Deutschen<br />

zu Ihrem neuen Amt wünschen wir<br />

Ihnen Gottes Segen, Glück und Erfolg. notwendig. Eine solche Pflichtberatung<br />

Träger die Anerkennung eines die Abtreibung<br />

einschließenden »Rechts auf sexuelle Sachverständigen durchgeführt. Eine<br />

menhang wurde auch eine Anhörung von<br />

8 - 10<br />

Mit dem übernommenen Ministerium nach Vorliegen eines embryopathischen<br />

ist Ihnen auch die Verantwortung für den Befundes ist dagegen abzulehnen. Diese<br />

und reproduktive Gesundheit« fordert, erste Auswertung dieser Anhörung hat<br />

Lebensschutz ungeborener Kinder übertragen.<br />

Mit Interesse haben wir zur Tendenz fördern, Schwangerschaftsab-<br />

einem solchen angeblichen Recht hat das lichen Regelung zur medizinischen Indi-<br />

würde nämlich die bereits verbreitete<br />

wie insbesondere »Pro Familia«? Neben ergeben, dass eine Änderung der gesetz-<br />

Kenntnis genommen, was Sie im Interview<br />

mit dem Rheinischen Merkur hierzu Wunsch durchzuführen, ohne dass sie,<br />

schließlich keinen Platz.<br />

wird. Die Mehrheit der Sachverständigen<br />

brüche bei einem solchen Befund auf<br />

Lebensrecht des ungeborenen Kindes kation für nicht erforderlich gehalten<br />

ausgeführt haben. Diese ersten kurzen wie vom Gesetz gefordert, »nach medizinischer<br />

Erkenntnis angezeigt« sind. Mit<br />

wir vertrauen darauf, dass Sie bereit sind, psychosoziales Beratungsangebot für die<br />

Sehr geehrte Frau Bundesministerin, erachtet ein adäquates und freiwilliges<br />

Bemerkungen empfinden wir als wenig<br />

ermutigend.<br />

Einführung einer solchen Pflichtberatung<br />

sich mit der Regelung und der Praxis der Schwangere für ausreichend, insbesondere<br />

Um mit den Spätabtreibungen zu wäre diese zudem eine der Voraussetzungen,<br />

unter denen die Tötung des unge-<br />

aus- einander zu setzen und Ihren Beitrag Befundes. Dazu wird im Hinblick auf die<br />

Abtreibung in Deutschland vorurteilsfrei auch nach Mitteilung eines pränatalen<br />

beginnen: Hier möchten Sie erst prüfen,<br />

ob es Regelungsbedarf gibt. Dieser wurde borenen Kindes nach dem Gesetz »nicht<br />

dazu leisten werden, dass der Gesetzgeber Beratungspflicht auf den in der Regel<br />

von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie<br />

und Geburtshilfe, von den wäre deshalb erst recht eine Tötungslipflicht<br />

<strong>–</strong> nicht nur bezüglich der Spätab-<br />

nach Beratung hingewiesen, im Übrigen<br />

rechtswidrig« ist. Der Beratungsschein<br />

seiner Beobachtungs- und Korrektur-<br />

vorhandenen Wunsch der Betroffenen<br />

Kirchen und von der Bundestagsfraktion zenz, deren Erteilung keiner Beratungsstelle<br />

zugemutet werden kann.<br />

Wir würden Ihnen unsere Vorstellunschen<br />

Indikation <strong>–</strong> die im Einzelfall einen<br />

Bernward Büchner<br />

treibungen <strong>–</strong> endlich nachkommt. darauf, dass dem Wesen der medizini-<br />

von CDU und CSU jedoch zu Recht<br />

bereits angemahnt. Es kann deshalb nur Für dringend notwendig halten wir, kommen zu wollen, täuscht darüber hinweg,<br />

dass der Gesetzgeber es bisher gänz-<br />

Beratung nicht mehr als Unrecht verstanführlicher<br />

erläutern und wären Ihnen kann <strong>–</strong> eine psychosoziale Beratungs-<br />

von Gerichten werden Abtreibungen nach gen in einem Gespräch gerne etwas aus-<br />

sofortigen Eingriff erforderlich machen<br />

darum gehen, wie dem bestehenden Bedarf<br />

am besten Rechnung getragen wer-<br />

Befundes den werdenden Eltern des Kinlich<br />

unterlassen hat, die Auswirkungen<br />

den. In einem Urteil des Landgerichts deshalb dankbar, wenn Sie uns hierfür pflicht fremd sei.<br />

bei Vorliegen eines embryopathischen<br />

den kann.<br />

des eine kompetente und umfassende der inzwischen seit 10 Jahren geltenden<br />

Heilbronn (vom 27.11.01 <strong>–</strong> 3 O 2388/01 einen Termin mitteilen könnten.<br />

Die Koalitionspartner haben sich darauf<br />

verständigt zu überprüfen, ob und<br />

Wie die im Bundesverband Lebensrecht<br />

(BVL) zusammengeschlossenen licht, sich ein Zusammenleben mit einem Ein Handlungsbedarf wurde von der bisgerschaftsabbruch<br />

hingegen, dessen Vor-<br />

der Zeitschrift für Lebensrecht enthält ggfls. wie die Situation bei Spätabtreibun-<br />

Beratung anzubieten, die es ihnen ermög-<br />

Regelung pflichtgemäß zu beobachten.<br />

III -) z. B. steht zu lesen: »Ein Schwan-<br />

Die als Anlage beigefügte Nr. 3/2005<br />

Lebensrechtsorganisationen wiederholt solchen Kind wirklichkeitsnah vorstellen herigen Bundesregierung mit einer unhaltbaren<br />

statistischen Begründung ver-<br />

an dessen Durchführung zudem staatliche der Schwangerenberatung, die wir Ihrer sion um die Spätabbrüche ist jedoch nicht<br />

aussetzungen detailliert geregelt sind und zwei Beiträge zu den Erfahrungen mit gen verbessert werden kann. Die Diskus-<br />

erklärt haben, können die von namhaften zu können. Mit einer solchen Beratung<br />

Verfassungsrechtlern gegen § 218a Absatz sollte es beispielsweise gelingen, viele neint. Die absolute Zahl der gemeldeten<br />

und kirchliche Stellen im Rahmen des Aufmerksamkeit empfehlen möchten. abgeschlossen. Sie wird uns in dieser<br />

2 StGB geäußerten verfassungsrechtlichen Kinder mit Down Syndrom zu retten, Schwangerschaftsabbrüche, hieß es, habe<br />

obligatorischen Beratungsgespräches mittelbar<br />

mitwirken, ist nach dem Verständnis Mit freundlichen Grüßen<br />

Allerdings wird es hierbei nicht darum<br />

Legislaturperiode weiter beschäftigen.<br />

Bedenken nur ausgeräumt und der bei die derzeit unverständlicherweise nur eine sich seit 1996 kaum verändert. Träfe dies<br />

den Spätabtreibungen eingetretenen Fehlentwicklung<br />

Einhalt geboten werden, »Das grundsätzliche Prinzip des bungsrealität, hätte jedenfalls die Abtreidigen<br />

Publikums wenn auch nicht er-<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

neu zu eröffnen. Das Ergebnis der Dis-<br />

ganz geringe Überlebenschance haben. zu und entspräche diese Zahl der Abtrei-<br />

eines unvoreingenommenen und verstän-<br />

gehen, die Debatte um den § 218 StGB<br />

indem die weite medizinisch-soziale Indikation<br />

wieder auf eine enge, rein medi-<br />

Interview, „werden wir nicht mehr anta-<br />

sinkenden Zahl der Frauen im gebärfähi-<br />

Eine wirkliche Verbesserung des Le-<br />

Bundesvorsitzende der<br />

Beschäftigung mit dem Thema bietet<br />

Paragrafen 218«, sagten Sie in dem bungshäufigkeit angesichts der seit Jahren<br />

wünscht, so doch rechtmäßig.«<br />

Vorsitzende des BVL<br />

kussionen bleibt abzuwarten. Eine erneute<br />

zinische Indikation zurückgeführt wird. sten.“ Da gebe es einen von allen Seiten gen Alter sowie der Geburten stetig zugenommen.<br />

Von der als Ziel der Geset-<br />

die Wiederherstellung des Rechtsbewussttung<br />

vor pränataler Diagnostik sowie<br />

bensschutzes ungeborener Kinder setzt Aktion Lebensrecht für Alle e. V. aber auch die Chance, über die Ausgestal-<br />

In den von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

vorgeschlagenen Maßnahmen bei Verabschiedung des Gesetzes und zesreform von 1995 versprochenen<br />

seins zwingend voraus. Diese jedoch kann Bernward Büchner<br />

nach pränataler Diagnostik mit patholo-<br />

getragenen Konsens. Ein solcher Konsens<br />

können wir deshalb keine entscheidende vielleicht auch heute noch kann den Gesetzgeber<br />

indessen von seiner verfassungsborener<br />

kann also schon per saldo keine<br />

reicht werden. Sie kann insbesondere Vorsitzender der Juristen-Vereinigung Darüber hinaus ist es auch mir ein<br />

Verbesserung des Lebensschutzes Unge-<br />

ohne gesetzliche Korrekturen nicht er-<br />

Stellv. Vorsitzender des BVL<br />

gischem Befund erneut nachzudenken.<br />

Verbesserung der bestehenden untragbaren<br />

Situation sehen.<br />

rechtlichen und vom Bundesverfassungs-<br />

Rede sein, von der Schutzlosigkeit des<br />

nicht gelingen, solange der Schwanger-<br />

Lebensrecht e.V.<br />

besonderes Anliegen, die Zahl der<br />

8 <strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong><br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 9<br />

ARCHIV<br />

Die Debatte um den Paragrafen 218 bleibt tabu: <strong>LebensForum</strong> dokumentiert den<br />

Briefwechsel des BVL mit Bundesfamilienministerin Dr. Ursula von der Leyen.<br />

ARCHIV<br />

Keine neue Debatte um den § 218 8<br />

Briefwechsel mit Ministerin von der Leyen<br />

AUSLAND<br />

Der Kampf um den Supreme Court 11<br />

Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

Wähle das Leben 17<br />

Dr. phil. Armin Schwibach<br />

GESELLSCHAFT<br />

4 - 5<br />

In Deutschland werden immer<br />

weniger Kinder geboren und<br />

immer mehr Mütter treiben ab.<br />

Die nüchterne Bilanz des<br />

Paragrafen 218.<br />

»Du bist nie wieder dieselbe.« 22<br />

Jesús G. Sánchez-Colomer<br />

Ärzte appellieren an die Politik 24<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden<br />

ESSAY<br />

Menschenwürde neu definiert? 25<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden<br />

NEUES AUS DER ALFA 29<br />

BÜCHERFORUM 30<br />

KURZ VOR SCHLUSS 32<br />

LESERFORUM 34<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

Abtreibung und die Folgen:<br />

Eine Dokumentation eines<br />

bewegenden Interviews mit<br />

Esperanza Puente Moreno,<br />

Sprecherin der Vereinigung der<br />

Opfer der Abtreibung.<br />

22 - 23<br />

IMPRESSUM 35<br />

2<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong><br />

DANIEL RENNEN


EDITORIAL<br />

7<br />

<strong>LebensForum</strong> sprach mit dem familienpolitischen<br />

Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Johannes Singhammer<br />

über die Möglichkeiten der Eindämmung von<br />

Spätabtreibungen.<br />

ARCHIV<br />

11 - 16<br />

A USLAND<br />

Die Berufung zweier neuer Richter an den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika<br />

durch Präsident George W. Bush hat in den USA hohe Wellen geschlagen und weltweit Beachtung<br />

gefunden. In deutschen Medien ist von einem »Rechtsruck« am Obersten Gerichtshof die Rede.<br />

Abtreibungs-Lobby-Organisationen sehen das »Recht auf Abtreibung« in den USA vor dem Fall. Doch<br />

wie ist die Entwicklung tatsächlich zu bewerten und was hat es mit dem Supreme Court wirklich auf sich?<br />

Von Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

S<br />

Der Kampf um den<br />

Supreme Court<br />

trafrecht ist in den Vereinigten Staaten<br />

von Amerika eigentlich Sache<br />

der Einzelstaaten. Ungefähr ab der<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts, als einzelne<br />

US-Staaten tradiertes Recht durch Gesetzgebung<br />

ersetzten, wurde Abtreibung<br />

zunehmend kriminalisiert, und zwar während<br />

der gesamten Dauer der Schwangerschaft.<br />

Ende der fünfziger Jahre des 20.<br />

Jahrhunderts gab es in den allermeisten<br />

Staaten strikte Abtreibungsverbote.<br />

In den sechziger Jahren entwickelte<br />

sich dann eine Bewegung, die sich die<br />

Legalisierung der Abtreibung auf die<br />

Fahnen geschrieben hatte, die pro-choice-<br />

Bewegung. Den Umständen entsprechend<br />

verfolgte diese Bewegung ihre Ziele<br />

zunächst auf Ebene der Einzelstaaten. So<br />

wurde z.B. 1970 im Staat New York ein<br />

Recht auf Abtreibung bis zur 24. Schwangerschaftswoche<br />

eingeführt; eine Regelung,<br />

die dem Staat für einige Jahre einen<br />

massiven Abtreibungs-Tourismus hunderttausender<br />

abtreibungswilliger<br />

Schwangerer aus anderen Staaten bescherte,<br />

in denen Abtreibung verboten<br />

blieb, und die New York zur »Abtreibungs-Hauptstadt«<br />

Amerikas machte.<br />

Als sich jedoch zunehmend auch Lebensrechtsgruppen<br />

gründeten und ihrerseits<br />

für die Beibehaltung bzw. Wiedereinführung<br />

von Abtreibungsverboten<br />

eintraten, geriet der Ansatz der Abtreibungsbefürworter<br />

ins Stocken. Sie versuchten<br />

nun, die Abtreibungsverbote nicht<br />

mühsam und einzeln Staat für Staat durch<br />

den Gesetzgebungsprozess auszuhebeln,<br />

sondern mit einem Schlag ein »Recht auf<br />

Abtreibung« in den gesamten USA durch-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 11<br />

Nach der Berufung neuer Richter an den Supreme<br />

Court steht das »Recht auf Abtreibung« in den USA<br />

möglicherweise vor dem Fall.<br />

ARCHIV<br />

Der politische<br />

Wille fehlt<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

immer häufiger wird der Mutterleib<br />

zur Todesfalle. Zwar sind die absoluten<br />

Abtreibungszahlen im vergangenen Jahr<br />

signifikant zurückgegangen. Doch bedeutet<br />

dies bedauerlicherweise nicht, dass<br />

Ärzte in Deutschland auch weniger häufiger<br />

vorgeburtliche Kindstötungen vornähmen.<br />

Wie die Titelgeschichte dieser<br />

Ausgabe zeigt, gibt es aufgrund der demografischen<br />

Entwicklung nur deutlich<br />

weniger Frauen, die überhaupt noch<br />

schwanger werden. Von diesen wiederum<br />

entscheiden sich heute erkennbar mehr<br />

für eine Abtreibung<br />

als zu früheren Zeiten<br />

(vgl. S. 4f).<br />

Dass in keinem<br />

anderen Land Europas<br />

weniger Kinder<br />

geboren werden als<br />

bei uns, ist ein Alarmsignal.<br />

Auch wenn die<br />

Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt<br />

haben, vielfältig sind, so fällt auf,<br />

dass die Politik sich bislang weigert, einer<br />

der Hauptursachen mit der notwendigen<br />

Entschiedenheit zu begegnen. Die zunehmende<br />

Abtreibungshäufigkeit, das flächendeckende<br />

Netz von Abtreibungseinrichtungen,<br />

die Finanzierung von Abtreibungen<br />

aus Steuergeldern sowie die so<br />

genannte Kind-als-Schaden-Rechtsprechung<br />

belegen seit Jahren, dass die Reform<br />

des § 218 von 1995 gescheitert ist.<br />

Was fehlt, ist einzig und allein das Eingeständnis<br />

der Verantwortlichen.<br />

Wie schwer sich damit selbst C-Parteien<br />

tun, zeigt das Interview, das Tobias<br />

Ottmar für diese Ausgabe mit dem Vorsitzenden<br />

der Arbeitsgruppe Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend der Unionsfraktion,<br />

Johannes Singhammer, geführt<br />

hat (vgl. S. 7). Es lohnt sich einmal<br />

darauf zu achten, wann Singhammer, der<br />

ein offenes Ohr für die Anliegen von<br />

Lebensrechtlern besitzt, für die Partei<br />

sprechen zu können glaubt, und wann er<br />

den »unabhängigen Bundestagsabgeordneten«<br />

bemüht. Aufschlussreich fällt<br />

»Die Reform des § 218<br />

ist gescheitert.«<br />

auch die Bilanz eines<br />

Briefwechsels des Bundesverbandes<br />

Lebensrecht<br />

mit Bundesfamilienministerin<br />

Ursula<br />

von der Leyen (CDU)<br />

aus (vgl. S. 8ff).<br />

Dass es auch anders<br />

geht, zeigt die Entwicklung<br />

in den Vereinigten<br />

Staaten. Der<br />

Kampf um die Besetzung<br />

des Obersten Gerichtshofs,<br />

den Raymond Georg Snatzke<br />

für <strong>LebensForum</strong> beleuchtet, wird nicht<br />

zuletzt deshalb so hart geführt, weil die<br />

Parlamente in zahlreichen Bundesstaaten<br />

der USA an einer Reform der liberalen<br />

Abtreibungsgesetze arbeiten <strong>–</strong> und das<br />

obwohl die USA mit einer gesunden Geburtenrate<br />

von 2,1 Kindern pro Frau<br />

nicht auf eine demografische Katastrophe<br />

zusteuern (vgl S. 11ff).<br />

Ein Grund, dass in<br />

den USA längst auch<br />

liberale Politiker umdenken,<br />

besteht darin,<br />

dass eine Diskussion<br />

über das Post-Abortion-Syndrom<br />

dort<br />

längst kein echtes<br />

Tabu mehr ist. <strong>LebensForum</strong>, das die<br />

Folgeschäden, die viele Frauen nach einer<br />

Abtreibung davon tragen, schon mehrfach<br />

thematisierte, dokumentiert in dieser<br />

Ausgabe das bewegende Interview, das<br />

Esperanza Puente Moreno der spanischen<br />

Zeitschrift ALBA gegeben hat. Das Zeugnis<br />

einer Betroffenen zeigt, dass es kaum<br />

etwas gibt, dass so frauenfeindlich ist, wie<br />

die Abtreibung (vgl. S. 22f).<br />

Last but not least werfen wir in dieser<br />

Ausgabe einen Blick nach Rom. Denn<br />

dass der Lebensschutz ein Thema ist, das<br />

auch Benedikt XVI. beschäftigt, wird<br />

hierzulande gerne übersehen. Der Vatikan-Journalist<br />

Armin Schwibach analysiert<br />

für <strong>LebensForum</strong>, wie der Papst aus<br />

Deutschland unbeirrbar Partei für das<br />

Recht auf Leben ergreift und was ihn<br />

dabei antreibt. Eine anregende Lektüre<br />

wünscht<br />

Ihre<br />

Claudia Kaminski<br />

Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> und<br />

des Bundesverbandes Lebensrecht<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 3


TITEL<br />

Todesfalle Mutterleib<br />

In Deutschland werden immer weniger Kinder geboren, treiben Mütter immer häufiger ab.<br />

Gleichwohl schließt die Politik eine Reform des § 218 aus.<br />

Selbst bei den Spätabtreibungen scheint eine Einigung schwierig.<br />

Von Stefan Rehder, M.A.<br />

Anfang März gab das Statistische<br />

Bundesamt in Wiesbaden die<br />

Zahl der vorgeburtlichen Kindstötungen<br />

für das Jahr 2005 bekannt. Im<br />

vergangenen Jahr seien dem Amt<br />

»124.000 Schwangerschaftsabbrüche«<br />

gemeldet worden, »und damit etwa 4,3<br />

Prozent (5.600) weniger als 2004.« Das<br />

sind 340 Abtreibungen pro Tag. Man<br />

stelle sich den Aufschrei vor, der durch<br />

die Welt ginge, wenn in irgendeinem<br />

Land auf dem Globus Tag für Tag elf<br />

Schulklassen exekutiert würden. Doch<br />

weil der Embryo kein Gesicht hat, das<br />

Mitleid zu erwecken vermag, und Abtreibung<br />

längst ein Geschäft ist, an dem viele<br />

verdienen, führt bislang nicht einmal die<br />

demografische Katastrophe zu einem<br />

Umdenken.<br />

Nur fünf Tage nach Bekanntgabe der<br />

jüngsten Abtreibungsstatistik titelte die<br />

4<br />

Zeitung »Die Welt« auf Seite eins: »Niedrigste<br />

Geburtenzahl seit 1945«. Nach<br />

Hochrechnungen der Zeitung auf Basis<br />

der Zahlen des Statistischen Bundesamtes,<br />

dem zu diesem Zeitpunkt die Daten der<br />

ersten drei Quartale vorlagen, seien 2005<br />

lediglich rund 676.000 Kinder zur Welt<br />

gebracht worden. Das wären rund 4,2<br />

Prozent weniger als im Vorjahr. Über die<br />

in diesem Zusammenhang entscheidende<br />

statistische Größe <strong>–</strong> die Zahl der Mütter<br />

im gebärfähigen Alter <strong>–</strong> besitzt das Wiesbadener<br />

Amt für das Jahr 2005 bislang<br />

noch keine hinreichenden Erkenntnisse.<br />

Doch Lebensrechtler wissen: Die Zahl<br />

der Frauen, die zwischen 15 und 45 Jahren<br />

alt sind, nimmt hierzulande seit Jahren<br />

rapide ab. Von 1996 bis Ende 2004 ist<br />

die Zahl der Frauen, die überhaupt noch<br />

schwanger werden können, kontinuierlich<br />

von 17,1 Millionen um 0,5 Millionen auf<br />

16,6 Millionen gefallen. Es ist im Grunde<br />

ganz einfach: Weniger Frauen, die Kinder<br />

bekommen können, bringen nicht nur<br />

weniger Kinder zur Welt, sie treiben auch<br />

weniger Kinder ab (Vgl. <strong>LebensForum</strong><br />

Nr. 72, S.4ff). So bedauerlich das ist: Der<br />

Rückgang der absoluten Abtreibungszahlen<br />

lässt sich nicht als Erfolg verbuchen,<br />

weder von Lebensschützern, noch von<br />

Politikern.<br />

Als wäre das noch nicht genug, steigt<br />

seit Jahren die Abtreibungshäufigkeit:<br />

Wurden im Jahr 2000 noch 175,5 Abtreibungen<br />

je 1.000 Lebendgeburten gemeldet,<br />

so waren es 2003 bereits 181,2. Während<br />

die Dunkelziffer bei den Geburten<br />

vernachlässigbar erscheint, ist sie seriösen<br />

Schätzungen zufolge bei den Abtreibungen<br />

noch einmal so hoch wie die Hellziffer:<br />

Demnach wären bereits im Jahr 2003<br />

auf 1.000 Lebendgeburten rund 362 Abtreibungen<br />

gekommen. Im Klartext heißt<br />

das: Jedes vierte Kind, das hierzulande<br />

gezeugt wird, wird bereits im Mutterleib<br />

getötet.<br />

Doch viele Politiker scheint das überhaupt<br />

nicht zu berühren. »Wir werden<br />

den Paragrafen 218 nicht wieder öffnen.<br />

Das kommt nicht in Frage«, bellte unlängst<br />

die stellvertretende Vorsitzende<br />

der SPD-Bundestagsfraktion Nicolette<br />

Kressl. Und die Bundesvorsitzende der<br />

Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer<br />

Frauen (ASF), Elke Ferner, warnte<br />

gar: »Hände weg vom Paragrafen 218«.<br />

Was war passiert?<br />

In der Union regen sich Stimmen, die<br />

auf eine Änderung der Regelung von<br />

Spätabtreibungen drängen. Aus der bisherigen<br />

Möglichkeit sich über die Folgen<br />

einer vorgeburtlichen Untersuchung des<br />

Kindes auf mögliche Behinderung zu<br />

informieren, will die Union eine Pflicht<br />

machen. Anders als bei den vorgeburtlichen<br />

Kindstötungen bis zur zwölften<br />

Woche gibt es bei den Spätabtreibungen<br />

nach der 22. Woche keine Beratungspflicht.<br />

Ferner drängt die Union darauf,<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


dass im Paragrafen 218a klargestellt wird,<br />

dass eine Behinderung des Kindes allein<br />

kein Grund für eine Spätabtreibung sein<br />

darf. Außerdem solle eine dreitägige Bedenkzeit<br />

zwischen der Diagnose und der<br />

Abtreibung eingeführt werden.<br />

»Die Situation bei den Spätabtreibungen<br />

ist aus humanitären Gründen nicht<br />

tragbar«, zitiert die in Düsseldorf erscheinende<br />

Tageszeitung »Rheinische Post«<br />

Mitte März Unionsfraktionschef Volker<br />

Kauder. Kauder sagte, er sei »in einem<br />

guten Gespräch« mit SPD-Fraktionschef<br />

Peter Struck und hoffe auf eine baldige<br />

Lösung.<br />

Im Koalitionsvertrag hatten Union<br />

und Sozialdemokraten zu Protokoll gegeben:<br />

»Das Bundesverfassungsgericht hat<br />

dem Gesetzgeber im Jahr 1992 in seinem<br />

Urteil bezüglich der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch<br />

eine Beobachtungsund<br />

eventuelle Nachbesserungspflicht<br />

auferlegt. Wir werden dieser Verpflichtung<br />

auch in der 16. Legislaturperiode<br />

nachkommen und wollen prüfen, ob und<br />

gegebenenfalls wie die Situation bei Spätabtreibungen<br />

verbessert werden kann.«<br />

Eine Passage, die bei vielen Lebensrechtlern<br />

massive Entrüstung hervorrief.<br />

Es demonstriere »die unglaubliche Wirklichkeitsferne<br />

der Koalitionäre, wenn es<br />

heißt: ›Wir werden dieser Verpflichtung<br />

auch in der 16. Legislaturperiode nachkommen.‹<br />

In Wahrheit hat die Politik<br />

unter Missachtung der Verfassung und<br />

des Karlsruher Urteils bei der Abtreibung<br />

zehn Jahre lang die Hände in den Schoß<br />

gelegt«, stellt etwa die Bundesvorsitzende<br />

der Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>),<br />

Claudia Kaminski, klar.<br />

Manche Beobachter sehen in dem neuerlichen<br />

Vorstoß der Union denn auch<br />

nicht mehr als ein wahltaktisches Manöver<br />

angesichts der Landtagswahlen in Baden-<br />

Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.<br />

Mit ihren minimalen Forderungen<br />

ginge die Union keinerlei Risiko<br />

ein, mobilisiere aber möglicherweise zugleich<br />

Wähler, die sich in den letzten<br />

Jahren aus Enttäuschung über die Politik<br />

der Union von ihr ab und christlichen<br />

Splitterparteien zugewandt hätten. Scheitere<br />

man mit dem vorsichtig vorgetragenen<br />

Vorstoß, könne man jederzeit die<br />

SPD dafür verantwortlich machen. Andere<br />

argumentieren, die Union sei mit ihrem<br />

Vorhaben bereits mehrfach gescheitert.<br />

In der Politik gehe es nun einmal um das<br />

»Bohren dicker Bretter«. Und weil das<br />

»Beste oft der Feind des Guten« sei, sei<br />

es notwendig, »taktisch« zu agieren.<br />

So begrüßte die Bundesvereinigung<br />

Lebenshilfe für Menschen mit geistiger<br />

Behinderung die neuerliche Unions-<br />

CDU<br />

CDU-Fraktionschef Volker Kauder<br />

Initiative. »Wir sind froh, dass die im<br />

Koalitionsvertrag angekündigte Überprüfung<br />

des Paragrafen 218a nun angegangen<br />

wird«, erklärte der Bundesvorsitzende<br />

der Lebenshilfe Robert Antretter. Er<br />

hoffe, fügte der frühere SPD-Abgeordnete<br />

hinzu, dass Kauder für seinen Vorstoß<br />

auch genügend Unterstützung »in den<br />

eigenen Reihen, aber auch beim Koalitionspartner<br />

SPD« fände.<br />

»Es gibt in der SPD eine Reihe von<br />

Abgeordneten, die die Problematik ähnlich<br />

sehen wie wir«, verbreitet die CSU-<br />

Familienpolitikerin Maria Eichhorn Hoffnung.<br />

Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete<br />

Hermann Gröhe, Mitglied im<br />

Rat der Evangelischen Kirchen Deutschlands<br />

(EKD), zeigt sich zuversichtlich:<br />

»Es gibt zahlreiche Abgeordnete, die<br />

nicht länger bereit sind, die Situation bei<br />

den Spätabtreibungen hinzunehmen.«<br />

Doch Zuversicht allein rettet noch<br />

keine Leben. Immer wieder versuchten<br />

Ärzte bei Spätabtreibungen, Hebammen<br />

dazu zu bringen, Lebendgeburten behinderter<br />

Kinder als Totgeburten zu deklarieren,<br />

behauptet etwa Harald Horschitz,<br />

Justitiar des »Bundes Deutscher Hebammen«,<br />

in der kürzlich ausgestrahlten<br />

Dokumentation »Lily und Marie«. Der<br />

Film der TV-Journalistin Silvia Matthies<br />

handelt von dem Umgang mit Kindern,<br />

die am Down-Syndrom erkrankt sind.<br />

Wenn Lebenszeichen wie Herzschlag,<br />

Atmung oder eine pulsierende Nabelschnur<br />

zu beobachten seien, müsse das<br />

Kind als Lebendgeburt eingestuft werden,<br />

auch wenn das nicht dem von Eltern und<br />

Arzt »gewünschten Ergebnis« entspreche,<br />

so Horschitz.<br />

Im Klartext: Aus Angst vor den Konsequenzen<br />

der so genannten Kind-als-<br />

Schaden-Rechtsprechung, welchen die<br />

Ärzte bei einer nicht »erfolgreich« durchgeführten<br />

vorgeburtlichen Kindstötung<br />

mit lebenslangen Unterhaltszahlungen<br />

bedroht, werden die Geburtshelferinnen<br />

immer häufiger selbst zur Begehung von<br />

Straftaten gedrängt.<br />

Ein Grund: Obwohl es so gut wie keine<br />

Therapiemöglichkeiten für eine diagnostizierte<br />

Schädigung des ungeborenen<br />

Kindes gibt, haben die Ärzte dem medizin-technischen<br />

Fortschritt, der mit der<br />

Pränatalen Diagnostik eine neue abrechenbare<br />

Leistung schuf, nicht widerstehen<br />

können.<br />

Die gezielte Fahndung nach Behinderungen<br />

im Mutterleib gehört längst zum<br />

Standard der »Vorsorge«. Dabei warnte<br />

der »Bund Deutscher Hebammen« in<br />

einem Positionspapier zur Pränatalen<br />

Diagnostik: »Wir beobachten, dass der<br />

lebendige Prozess der Schwangerschaft<br />

mit seinen körperlichen, seelischen und<br />

sozialen Anteilen immer mehr zu einem<br />

überwachungspflichtigen Produktionsprozess<br />

wird. Der medizinische Umgang<br />

mit dem sich entwickelnden Kind wird<br />

zur Qualitätskontrolle, die schwangeren<br />

Frauen die technische Machbarkeit von<br />

gesunden Kindern vortäuscht.« Frauen<br />

erlebten im Prozess der Pränatalen Diagnostik<br />

emotionale und soziale Veränderungen,<br />

die ihre Schwangerschaft erheblich<br />

beeinträchtigen: »ein Schwangersein<br />

auf Probe, eine Störung der sich entwickelnden<br />

Mutter-Kind-Beziehung. (...)<br />

Am Ende der Kette der Diagnostik ohne<br />

Therapiemöglichkeiten, die mit hohem<br />

Aufwand betrieben wird, erfahren wir<br />

einen unwürdigen, konzeptlosen Umgang<br />

mit den betroffenen Frauen, Paaren und<br />

Kindern. Wir wissen um die Traumatisierung<br />

dieser Frauen, um die Auswirkungen<br />

der Traumata auf ihre Gesundheit, auf<br />

folgende Schwangerschaften und Geburten.«<br />

Und weiter: »Das routinemäßige<br />

Angebot Pränataler Diagnostik mit ihren<br />

selektiven Konsequenzen stellt für uns<br />

Hebammen das Lebensrecht von Menschen<br />

mit Behinderungen in Frage. Wir<br />

sehen, dass es die Entwicklung einer<br />

‚Eugenik von unten’, die Selektion kranker<br />

und behinderter Menschen fördert.«<br />

Deutlicher und freundlicher zugleich<br />

lässt sich die unerträgliche Situation, die<br />

sich praktisch täglich in den gynäkologischen<br />

Praxen und OPs Deutschlands abspielt,<br />

wohl kaum in Worte fassen. Doch<br />

so mancher Politiker bleibt von all dem<br />

offensichtlich gänzlich unberührt. »Eine<br />

Abtreibung« sei, glaubt die kirchenpolitische<br />

Sprecherin der SPD, Kerstin Giese,<br />

zu wissen, ein enorm schwieriges und<br />

unschönens Erlebnis für Frauen«. Auf<br />

die Frage, ob der Kindermangel in<br />

Deutschland auch mit der hohen Zahl<br />

von Abtreibungen zu tun haben könne,<br />

antwortet die in einem protestantischen<br />

Pfarrhaus aufgewachsene SPD-Politikerin:<br />

»Sicherlich nicht.« und findet: »Der<br />

§ 218 hat sich bewährt«.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 5


TITEL<br />

Selten erfährt die Öffentlichkeit von Spätabtreibungen. Im Fall des<br />

Oldenburger Babys Tim war das anders. Sein Schicksal erschütterte<br />

1997 das Land. Nun gibt ein TV-Film Einblick in das Geschehen<br />

und die Folgen.<br />

Stellen Sie sich vor, Sie werden durch<br />

Medikamente geschädigt und nach<br />

schwerer körperlicher Anstrengung<br />

neun Stunden liegengelassen, obwohl Sie<br />

dringend medizinische Hilfe benötigen.<br />

Genau das ist Tim passiert, 690 g schwer<br />

und 32 cm groß: im Alter von sechs<br />

Schwangerschaftsmonaten sollte er abgetrieben<br />

werden. Heute sagt sein Pflegevater:<br />

»Wäre er damals nicht abgetrieben<br />

worden, hätte er viele seiner Probleme<br />

nicht.«<br />

6<br />

FILM-INFO<br />

Ein wahrer Fall<br />

Er sollte sterben, doch Tim lebt.<br />

Eine Abtreibung und ihre Folgen.<br />

Von Udo Kilimann, 44 Minuten. Erhältlich<br />

über die Stiftung Ja zum Leben,<br />

Haus Laer, 59872 Meschede,<br />

Telefon: 0291/9023841.<br />

Von Alexandra Maria Linder, M.A.<br />

ARCHIV<br />

Vom Leben des mittlerweile siebenjährigen<br />

Tim und der Geschichte seiner<br />

Abtreibung handelt der Kiliman-TV-<br />

Film »Er sollte sterben, doch Tim lebt.<br />

Eine Abtreibung und ihre Folgen.«<br />

Die Szenerie wechselt zwischen dunkelblau<br />

gehaltenen Klinikaufnahmen mit<br />

unheilvoller Musik, in denen die Schwangerschaft,<br />

die schwierige Situation von<br />

Tims Mutter, vor allem nach der Diagnose<br />

Down Syndrom, und der Bericht der<br />

Abtreibung dargestellt werden, und dazu<br />

konträren Einstellungen: hell und optimistisch<br />

wird das Leben eines fröhlichen<br />

und lebendigen Jungen geschildert, ein<br />

Leben, welches für die Pflegefamilie und<br />

für Tim selbst unglaublich anstrengend<br />

ist und den Tag vollständig ausfüllt: man<br />

kann ihn keine Sekunde alleinlassen, er<br />

wird noch gewickelt und kann noch nicht<br />

selbst laufen. Viermal am Tag muss Tim<br />

inhalieren, weil aufgrund der Frühgeburt<br />

seine Lunge nicht reifen konnte, außerdem<br />

ist er sehr anfällig für Krankheiten.<br />

Da er auch noch nicht viel selbst essen<br />

kann und will, bekommt er alle vier Stunden<br />

zusätzliche Nahrung durch eine Magensonde.<br />

Mehrmals in der Woche fahren<br />

ihn die Eltern zu Therapien, Untersuchungen<br />

und anderen Terminen, regelmäßig<br />

werden Kuren gemacht, die Tim<br />

gut tun <strong>–</strong> wenn sie genehmigt werden.<br />

Denn, so erzählt die Pflegemutter, die<br />

für Tim ihren bezahlten Beruf komplett<br />

aufgegeben hat, jedes Mal, wenn Tim etwas<br />

bräuchte, käme man sich vor wie ein<br />

Bittsteller. Kuren werden abgelehnt, für<br />

Tim notwendige Hilfsmittel nur ungern<br />

genehmigt, Fahrtkosten in die Kurorte<br />

nicht von der Krankenkasse erstattet.<br />

Dabei hat Tim vor allem nach der Delphin-Therapie<br />

in Florida bedeutende<br />

Fortschritte gemacht: er ist nicht mehr<br />

so körperlich distanziert, lässt sich im<br />

Gegensatz zu früher im Gesicht berühren,<br />

seine Körperhaltung und -spannung hat<br />

sich entscheidend verbessert, er trinkt<br />

selbständiger.<br />

Man kann nur bewundernd verfolgen,<br />

wie selbstverständlich diese Familie mit<br />

zwei eigenen Kindern trotz aller Widrigkeiten<br />

und Schikanen von Behörden alles<br />

auf sich nimmt, um Tim ein schönes Zuhause<br />

zu bieten und ihn zu fördern. Die<br />

Eltern wirken gelassen, die beiden Pflegegeschwister<br />

beschweren sich zwar ein<br />

wenig über die fehlende Zeit der Eltern,<br />

machen aber ganz den Eindruck, sich mit<br />

Tim nicht nur abgefunden, sondern ihn<br />

gern zu haben. Als die Familie, die von<br />

dem Begriff Spätabtreibung noch nie<br />

gehört hat, ein Pflegekind aufnehmen<br />

will, denkt sie eigentlich an ein »normales«<br />

Kind; trotzdem besuchen sie Tim<br />

im Krankenhaus, um ihn kennen zu lernen,<br />

sind von seiner Stärke beeindruckt<br />

und beschließen sofort, ihn aufzunehmen<br />

<strong>–</strong> für sie ist es Liebe auf den ersten Blick.<br />

Und seine leibliche Mutter, die kein<br />

Gespräch vor der Kamera führen wollte?<br />

Sie hat schon eine Fehlgeburt hinter sich,<br />

nach der Down Syndrom-Diagnose droht<br />

sie mit Selbstmord. Sie glaubt, es selbst<br />

nicht zu schaffen, und ist wie viele andere<br />

der Ansicht, man könne das Kind »der<br />

Gesellschaft nicht zumuten«, wer würde<br />

denn »so ein Kind« adoptieren? Das katholische<br />

Krankenhaus, das selbst keine<br />

Abtreibungen durchführt, überweist die<br />

Mutter in die Städtische Klinik. Um ihr<br />

Kind abzutreiben, lässt sie sich zwei Tage<br />

lang alle vier Stunden Wehenmittel geben,<br />

dann hat sie eine Frühgeburt. Die Abtreibung<br />

hat sie nie verkraftet, sie bekam Depressionen,<br />

wurde krank und ist inzwischen<br />

gestorben <strong>–</strong> mit 41 Jahren.<br />

Und der Mediziner, der die Abtreibung<br />

durchgeführt hat? Erstaunlich offen berichtet<br />

er über die neun Stunden, in denen<br />

man den Kleinen immer wieder in gewärmte<br />

Decken gewickelt und abgelegt<br />

hat, in der Hoffnung, dass er bald stirbt.<br />

Er sagt, so etwas sei schwer auszuhalten,<br />

im Nachbarraum wird gerade ein Kind<br />

geboren, hier eines abgetrieben. Man<br />

hoffe immer, dass das Kind durch die<br />

Medikamentenschädigung und Geburt<br />

schon tot ist, wenn es auf die Welt kommt<br />

<strong>–</strong> in vielen Fällen aber leben die Kinder<br />

noch. Es ist schwierig zu entscheiden,<br />

was man dann tut: will die Mutter das<br />

Kind sehen, soll es lieber gleich weggebracht<br />

werden? Ihm persönlich ist es lieber,<br />

wenn er »das Kind in Behütung<br />

weiß«. Für den Mediziner ist es eine<br />

»Wertentscheidung«, ob ein Kind »als<br />

lebendes Kind« geboren werden soll. Er<br />

gibt zu, dass es Tim bedeutend besser<br />

ginge, wenn man ihn sofort versorgt hätte,<br />

beispielsweise hätte er dann sicherlich<br />

keine Hirnblutung bekommen. Die leiblichen<br />

Eltern von Tim haben ihn verklagt<br />

wegen misslungener Abtreibung und unterlassener<br />

Hilfeleistung, was die Schizophrenie<br />

des Ganzen verdeutlicht. Nach<br />

diesem Interview möchte man eigentlich<br />

gerne wissen, ob dieser Mediziner immer<br />

noch Abtreibungen durchführt, was er<br />

nach eigener Aussage »nie gern« gemacht<br />

hat; hierüber aber schweigt er sich aus.<br />

Ohne polemisch, plakativ, einseitig<br />

oder suggestiv zu sein, allein durch seine<br />

nüchterne, sachliche Art der Darstellung<br />

ist dieser Film eine wunderbare Positivwerbung<br />

für das Lebensrecht aller Kinder.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


TITEL<br />

»Lebensschutz hat<br />

oberste Priorität«<br />

Dennoch gibt es in Ihrer Partei einige, die mit<br />

der jetzigen Regelung scheinbar zufrieden sind!<br />

Das ist richtig. Sowohl bei den Sozialdemokraten<br />

als auch bei den anderen<br />

Parteien und sicher auch bei einigen wenigen<br />

aus meiner Partei und Fraktion ist<br />

derzeit keine große Bereitschaft vorhanden,<br />

den Paragrafen 218 neu aufzurollen.<br />

Die Union hat die Debatte um die Möglichkeiten zur Eindämmung<br />

von Spätabtreibungen neu eröffnet. Doch ein komplettes Aufrollen<br />

des Abtreibungs-Paragrafen ist derzeit nicht in Sicht. Für <strong>LebensForum</strong><br />

sprach Tobias-Benjamin Ottmar mit dem familienpolitischen Sprecher<br />

der CDU/CSU-Fraktion, Johannes Singhammer, über die Gründe der<br />

Unionsfraktion, sich derzeit nur auf diesen Teilbereich zu konzentrieren.<br />

<strong>LebensForum</strong>: Herr Singhammer, kürzlich wurden<br />

Sie im »Focus« in Zusammenhang mit der<br />

Diskussion um die Spätabtreibungen mit den Worten<br />

zitiert: »Der Paragraf 218 wird auf keinen Fall<br />

neu aufgerollt.« Sieht Ihre Fraktion hier tatsächlich<br />

keinen Handlungsbedarf?<br />

Singhammer: Lassen Sie mich mal<br />

meine Meinung als unabhängiger Bundestagsabgeordneter<br />

sagen: Natürlich sehe<br />

ich einen Regelungsbedarf. Allerdings<br />

würde eine generelle Diskussion um den<br />

Paragraf 218 bei der derzeitigen politischen<br />

Konstellation zu keinem Ergebnis<br />

führen. Im Koalitionsvertrag wurde eine<br />

Prüf- und Nachbesserungspflicht im Hinblick<br />

auf die Spätabtreibungen vereinbart.<br />

Und Volker Kauder hat jüngst angekündigt,<br />

dieses Thema mit dem SPD-<br />

Fraktionsvorsitzenden Peter Struck zu<br />

besprechen.<br />

Die Zahl der Spätabtreibungen ist aber im Verhältnis<br />

zu der Gesamtzahl der vorgeburtlichen<br />

Kindstötungen eher gering. Warum gehen Sie <strong>–</strong><br />

wie beim Verhandeln üblich <strong>–</strong> nicht weiter mit<br />

Ihren Forderungen, um wenigstens einen Teilerfolg<br />

zu erringen?<br />

Das, was wir jetzt bei der Spätabtreibung<br />

fordern, ist bereits viel. Wir wollen<br />

nicht nur eine formalistische Änderung,<br />

sondern eine Gesetzesänderung. Die Sozialdemokraten<br />

halten aber dies derzeit<br />

nicht für nötig. Nun müssen wir versuchen<br />

auf einen gemeinsamen Nenner zu<br />

kommen. Sonst würde sich gar nichts<br />

ändern.<br />

Warum ist die Spätabtreibungs-Diskussion in<br />

der Union auf einmal so ein großes Thema?<br />

Schließlich wurde doch die Abtreibungs-Debatte<br />

lange Zeit in Ihrer Partei niedrig gehalten.<br />

ARCHIV<br />

Man muss in der Politik für Alles<br />

Mehrheiten finden und dafür muss man<br />

taktisch klug vorgehen. Der Schutz des<br />

Lebens hat für die CDU/CSU Priorität.<br />

Und daher versuchen wir auch das zu<br />

unternehmen, was aus unserer Sicht politisch<br />

möglich ist: Diesen Handlungsspielraum<br />

sehen wir derzeit nur bei den<br />

Spätabtreibungen. Jeder Interessierte<br />

kann sich kundig machen, dass sich in<br />

Krankenhäusern zuweilen dramatische<br />

Szenen abspielen. Behinderte Kinder<br />

werden zum Teil bis zur Geburt abgetrieben.<br />

Das ist eine Praxis, die wir so nicht<br />

dulden wollen.<br />

Gesetzt den Fall, CDU und CSU hätten ein stärkeres<br />

politisches Gewicht als es derzeit in der großen<br />

Koalition der Fall ist: Würde der Lebensschutz<br />

dann eine größere Rolle spielen?<br />

Ich denke schon, dass bei den entsprechenden<br />

Mehrheiten die Diskussion einfacher<br />

wäre. Sie können davon ausgehen,<br />

dass eine starke Union dem Urteil des<br />

Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai<br />

1993 (Nachbesserungspflicht des Paragrafen<br />

218) nachkommen würde.<br />

Wie sehen Ihre konkreten Vorschläge für eine<br />

gesetzliche Neuregelung der Spätabtreibung aus?<br />

Wir haben bereits in der vergangenen<br />

Legislaturperiode eine Reihe von Vorschlägen<br />

gemacht. Wir hatten dabei einen<br />

Acht-Punkte-Katalog vorgestellt, den wir<br />

auch jetzt noch gerne umsetzen würden.<br />

Dazu zählt unter anderem eine Beratungspflicht,<br />

eine längere Bedenkzeit für die<br />

Frau und dass sich<br />

nicht nur ein einziger<br />

Arzt, sondern<br />

ein Kollegium von<br />

Fachärzten mit der<br />

Entscheidung über<br />

die Zulässigkeit der<br />

Abtreibung befasst.<br />

Im Hinblick auf das<br />

BVG-Urteil möchte<br />

ich noch einmal sagen:<br />

Das Vorrangige<br />

im Moment ist erst<br />

einmal, die Diskussion<br />

um die Spätabtreibung<br />

zum Ziel zu<br />

bringen. Danach müssen wir weiter sehen.<br />

Johannes<br />

Singhammer, MdB<br />

Johannes Singhammer, geboren<br />

1953, sitzt seit 1994 für die CSU<br />

im Deutschen Bundestag. Seit<br />

Ende 2005 ist der Volljurist und<br />

Vater von sechs Kindern Vorsitzender<br />

der Arbeitsgruppe Familien,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

in der CDU/CSU-Fraktion.<br />

Sie haben einmal im »Münchner Merkur« gesagt:<br />

»Es ist skandalös, dass Geld für Kinderspielplätze<br />

fehlt, aber für die Abtreibung vorhanden<br />

ist.« Was macht Ihre Fraktion, um diese Praxis zu<br />

verhindern?<br />

Ich habe diesen Satz damals sehr zugespitzt<br />

gesagt. Die Problematik ist aber<br />

viel größer. Wir stellen fest, dass die<br />

öffentliche Hand Abtreibungen vermehrt<br />

finanziert. In manchen Bundesländern<br />

sogar zu mehr als 100 Prozent. Bislang<br />

konnte uns niemand erklären, warum das<br />

so ist. Ich versichere Ihnen, dass die<br />

CDU/CSU über diese Merkwürdigkeiten<br />

nicht hinwegschauen wird und auch dort<br />

handeln wird. Als Fahrplan gilt aber<br />

grundsätzlich der Koalitionsvertrag. Die<br />

Koalitionspartner haben nun einmal unterschiedliche<br />

Schwerpunkte und Ansichten.<br />

Wir werden uns aber auf alle Fälle<br />

mit den Möglichkeiten, die wir derzeit<br />

sehen, für das Leben einsetzen.<br />

Herr Singhammer, vielen Dank für das Gespräch!<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 7


DOKUMENTATION<br />

Keine neue Debatte<br />

um den § 218<br />

Ende November hat sich der Bundesverband Lebensrecht (BVL) schriftlich an die Bundesministerin<br />

für Familien, Senioren, Frauen und Jugend Ursula von der Leyen gewandt. Anlass für das Schreiben<br />

waren befremdliche Äußerungen der Ministerin in einem Interview mit dem Rheinischen Merkur.<br />

Anfang Januar antwortete die Ministerin dann dem BVL. <strong>LebensForum</strong> dokumentiert den Briefwechsel<br />

sowie einen Kommentar des Stellvertretenden Vorsitzenden des BVL, Bernward Büchner.<br />

Berlin, den 25.11.2005<br />

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,<br />

zu Ihrem neuen Amt wünschen wir<br />

Ihnen Gottes Segen, Glück und Erfolg.<br />

Mit dem übernommenen Ministerium<br />

ist Ihnen auch die Verantwortung für den<br />

Lebensschutz ungeborener Kinder übertragen.<br />

Mit Interesse haben wir zur<br />

Kenntnis genommen, was Sie im Interview<br />

mit dem Rheinischen Merkur hierzu<br />

ausgeführt haben. Diese ersten kurzen<br />

Bemerkungen empfinden wir als wenig<br />

ermutigend.<br />

Um mit den Spätabtreibungen zu<br />

beginnen: Hier möchten Sie erst prüfen,<br />

ob es Regelungsbedarf gibt. Dieser wurde<br />

von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie<br />

und Geburtshilfe, von den<br />

Kirchen und von der Bundestagsfraktion<br />

von CDU und CSU jedoch zu Recht<br />

bereits angemahnt. Es kann deshalb nur<br />

darum gehen, wie dem bestehenden Bedarf<br />

am besten Rechnung getragen werden<br />

kann.<br />

Wie die im Bundesverband Lebensrecht<br />

(BVL) zusammengeschlossenen<br />

Lebensrechtsorganisationen wiederholt<br />

erklärt haben, können die von namhaften<br />

Verfassungsrechtlern gegen § 218a Absatz<br />

2 StGB geäußerten verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken nur ausgeräumt und der bei<br />

den Spätabtreibungen eingetretenen Fehlentwicklung<br />

Einhalt geboten werden,<br />

indem die weite medizinisch-soziale Indikation<br />

wieder auf eine enge, rein medizinische<br />

Indikation zurückgeführt wird.<br />

In den von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

vorgeschlagenen Maßnahmen<br />

können wir deshalb keine entscheidende<br />

Verbesserung der bestehenden untragbaren<br />

Situation sehen.<br />

8<br />

ARCHIV<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

Bliebe es bei der derzeitigen weiten<br />

medizinisch-sozialen Indikation, wäre<br />

auch aus unserer Sicht eine obligatorische<br />

psycho-soziale Beratung vor Durchführung<br />

pränataldiagnostischer Maßnahmen<br />

notwendig. Eine solche Pflichtberatung<br />

nach Vorliegen eines embryopathischen<br />

Befundes ist dagegen abzulehnen. Diese<br />

würde nämlich die bereits verbreitete<br />

Tendenz fördern, Schwangerschaftsabbrüche<br />

bei einem solchen Befund auf<br />

Wunsch durchzuführen, ohne dass sie,<br />

wie vom Gesetz gefordert, »nach medizinischer<br />

Erkenntnis angezeigt« sind. Mit<br />

Einführung einer solchen Pflichtberatung<br />

wäre diese zudem eine der Voraussetzungen,<br />

unter denen die Tötung des ungeborenen<br />

Kindes nach dem Gesetz »nicht<br />

rechtswidrig« ist. Der Beratungsschein<br />

wäre deshalb erst recht eine Tötungslizenz,<br />

deren Erteilung keiner Beratungsstelle<br />

zugemutet werden kann.<br />

Für dringend notwendig halten wir,<br />

bei Vorliegen eines embryopathischen<br />

Befundes den werdenden Eltern des Kindes<br />

eine kompetente und umfassende<br />

Beratung anzubieten, die es ihnen ermöglicht,<br />

sich ein Zusammenleben mit einem<br />

solchen Kind wirklichkeitsnah vorstellen<br />

zu können. Mit einer solchen Beratung<br />

sollte es beispielsweise gelingen, viele<br />

Kinder mit Down Syndrom zu retten,<br />

die derzeit unverständlicherweise nur eine<br />

ganz geringe Überlebenschance haben.<br />

»Das grundsätzliche Prinzip des<br />

Paragrafen 218«, sagten Sie in dem<br />

Interview, „werden wir nicht mehr antasten.“<br />

Da gebe es einen von allen Seiten<br />

getragenen Konsens. Ein solcher Konsens<br />

bei Verabschiedung des Gesetzes und<br />

vielleicht auch heute noch kann den Gesetzgeber<br />

indessen von seiner verfassungsrechtlichen<br />

und vom Bundesverfassungsgericht<br />

ausdrücklich unterstrichenen Beobachtungs-<br />

und Korrekturpflicht keineswegs<br />

entbinden. Die Formulierung im<br />

Koalitionsvertrag, dieser Verpflichtung<br />

»auch in der 16. Legislaturperiode« nachkommen<br />

zu wollen, täuscht darüber hinweg,<br />

dass der Gesetzgeber es bisher gänzlich<br />

unterlassen hat, die Auswirkungen<br />

der inzwischen seit zehn Jahren geltenden<br />

Regelung pflichtgemäß zu beobachten.<br />

Ein Handlungsbedarf wurde von der bisherigen<br />

Bundesregierung mit einer unhaltbaren<br />

statistischen Begründung verneint.<br />

Die absolute Zahl der gemeldeten<br />

Schwangerschaftsabbrüche, hieß es, habe<br />

sich seit 1996 kaum verändert. Träfe dies<br />

zu und entspräche diese Zahl der Abtreibungsrealität,<br />

hätte jedenfalls die Abtreibungshäufigkeit<br />

angesichts der seit Jahren<br />

sinkenden Zahl der Frauen im gebärfähigen<br />

Alter sowie der Geburten stetig zugenommen.<br />

Von der als Ziel der Gesetzesreform<br />

von 1995 versprochenen<br />

Verbesserung des Lebensschutzes Ungeborener<br />

kann also schon per saldo keine<br />

Rede sein, von der Schutzlosigkeit des<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


einzelnen ungeborenen Kindes ganz zu<br />

schweigen.<br />

Handlungsbedarf besteht aber auch<br />

deshalb, weil das von Ihnen für unantastbar<br />

erklärte Prinzip des Paragrafen 218<br />

in seiner gesetzlichen Ausgestaltung zu<br />

einem weitgehenden Verlust des Unrechtsbewusstseins<br />

geführt hat. Die erste<br />

Voraussetzung für den Schutzeffekt eines<br />

Beratungskonzepts hat das Bundesverfassungsgericht<br />

jedoch bekanntlich darin<br />

gesehen, dass es gelingt, das Rechtsbewusstsein<br />

in Bezug auf den nach Beratung<br />

durchgeführten Schwangerschaftsabbruch<br />

zu erhalten und zu stärken.<br />

Wie es um das Rechtsbewusstsein in<br />

Deutschland bezüglich der Abtreibung<br />

inzwischen bestellt ist, zeigt eine im April<br />

durchgeführte Emnid-Umfrage. Danach<br />

gaben 49 Prozent der Befragten an, nach<br />

dem Gesetz sei eine Abtreibung bis zum<br />

dritten Monat ohne Einschränkung erlaubt<br />

(47 Prozent im Westen, 58 Prozent<br />

im Osten). In der Gruppe der 14- bis<br />

29jährigen meinten dies 63 und in derjenigen<br />

der Schüler gar 66 Prozent. Selbst<br />

Bernward Büchner<br />

ARCHIV<br />

von Gerichten werden Abtreibungen nach<br />

Beratung nicht mehr als Unrecht verstanden.<br />

In einem Urteil des Landgerichts<br />

Heilbronn (vom 27.11.01 <strong>–</strong> 3 O 2388/01<br />

III -) z. B. steht zu lesen: »Ein Schwangerschaftsabbruch<br />

hingegen, dessen Voraussetzungen<br />

detailliert geregelt sind und<br />

an dessen Durchführung zudem staatliche<br />

und kirchliche Stellen im Rahmen des<br />

obligatorischen Beratungsgespräches mittelbar<br />

mitwirken, ist nach dem Verständnis<br />

eines unvoreingenommenen und verständigen<br />

Publikums wenn auch nicht erwünscht,<br />

so doch rechtmäßig.«<br />

Eine wirkliche Verbesserung des Lebensschutzes<br />

ungeborener Kinder setzt<br />

die Wiederherstellung des Rechtsbewusstseins<br />

zwingend voraus. Diese jedoch kann<br />

ohne gesetzliche Korrekturen nicht erreicht<br />

werden. Sie kann insbesondere<br />

nicht gelingen, solange der Schwangerschaftsabbruch<br />

als »Staatsaufgabe« (!) in<br />

einem flächendeckenden Netz ambulanter<br />

und stationärer Einrichtungen angeboten<br />

wird und die Tötung ungeborener Kinder<br />

in ca. 90 Prozent aller Fälle mit einem<br />

Kostenaufwand von jährlich rund 42 Millionen<br />

Euro aus Gründen angeblicher<br />

Bedürftigkeit mit staatlichen Haushaltsmitteln<br />

subventioniert wird. Angesichts<br />

der Kinderarmut in unserem Land mit<br />

ihren schwerwiegenden Folgen ist dies<br />

ein verheerendes Signal. Wo, sehr geehrte<br />

Frau Bundesministerin, wäre es dringlicher,<br />

bei dem eingeleiteten Abbau von<br />

Subventionen den Rotstift anzusetzen?<br />

Von den weiteren schwerwiegenden<br />

Mängeln von Gesetz und Praxis der Abtreibung<br />

möchten wir hier nur noch einen<br />

weiteren anführen. Nach § 219 Absatz 1<br />

Satz 3 StGB muss der Frau in der Beratung<br />

»bewusst sein, dass das Ungeborene<br />

in jedem Stadium der Schwangerschaft<br />

auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf<br />

Leben hat .« Wie soll der Frau ein solches<br />

Bewusstsein von Beratungsstellen glaubhaft<br />

vermittelt werden können, deren<br />

Träger die Anerkennung eines die Abtreibung<br />

einschließenden »Rechts auf sexuelle<br />

und reproduktive Gesundheit« fordert,<br />

wie insbesondere »Pro Familia«? Neben<br />

einem solchen angeblichen Recht hat das<br />

Lebensrecht des ungeborenen Kindes<br />

schließlich keinen Platz.<br />

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,<br />

wir vertrauen darauf, dass Sie bereit sind,<br />

sich mit der Regelung und der Praxis der<br />

Abtreibung in Deutschland vorurteilsfrei<br />

auseinander zu setzen und Ihren Beitrag<br />

dazu leisten werden, dass der Gesetzgeber<br />

seiner Beobachtungs- und Korrekturpflicht<br />

<strong>–</strong> nicht nur bezüglich der Spätabtreibungen<br />

<strong>–</strong> endlich nachkommt.<br />

Wir würden Ihnen unsere Vorstellungen<br />

in einem Gespräch gerne etwas ausführlicher<br />

erläutern und wären Ihnen<br />

deshalb dankbar, wenn Sie uns hierfür<br />

einen Termin mitteilen könnten.<br />

Die als Anlage beigefügte Nr. 3/2005<br />

der Zeitschrift für Lebensrecht enthält<br />

zwei Beiträge zu den Erfahrungen mit<br />

der Schwangerenberatung, die wir Ihrer<br />

Aufmerksamkeit empfehlen möchten.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

Vorsitzende des BVL<br />

Bundesvorsitzende der<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e. V.<br />

Bernward Büchner<br />

Stellv. Vorsitzender des BVL<br />

Vorsitzender der Juristen-Vereinigung<br />

Lebensrecht e.V.<br />

Berlin, den 9.01.<strong>2006</strong><br />

Sehr geehrte Frau Dr. Kaminski,<br />

sehr geehrter Herr Büchner,<br />

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 25.<br />

November 2005 und die Glückwünsche<br />

zu meinem neuen Amt als Bundesministerin.<br />

In Ihrem Schreiben wenden Sie sich<br />

gegen die geltenden Regelungen zum<br />

Schwangerschaftsabbruch und zeigen eine<br />

Reihe von Maßnahmen auf, die aus Ihrer<br />

Sicht zur Verbesserung des Lebensschutzes<br />

erforderlich sind und in der neuen<br />

Legislaturperiode umgesetzt werden sollten.<br />

Unter anderem fordern Sie politische<br />

Maßnahmen zur Vermeidung von Spätabbrüchen.<br />

Wie Sie wissen, wurde diese<br />

Problematik bereits in der vergangenen<br />

Legislaturperiode aufgrund der Anträge<br />

der CDU/CSU »Vermeidung von Spätabtreibungen<br />

<strong>–</strong> Hilfen für Eltern und<br />

Kinder« (BT-Drs. 15/3948) im Deutschen<br />

Bundestag diskutiert. In diesem Zusammenhang<br />

wurde auch eine Anhörung von<br />

Sachverständigen durchgeführt. Eine<br />

erste Auswertung dieser Anhörung hat<br />

ergeben, dass eine Änderung der gesetzlichen<br />

Regelung zur medizinischen Indikation<br />

für nicht erforderlich gehalten<br />

wird. Die Mehrheit der Sachverständigen<br />

erachtet ein adäquates und freiwilliges<br />

psychosoziales Beratungsangebot für die<br />

Schwangere für ausreichend, insbesondere<br />

auch nach Mitteilung eines pränatalen<br />

Befundes. Dazu wird im Hinblick auf die<br />

Beratungspflicht auf den in der Regel<br />

vorhandenen Wunsch der Betroffenen<br />

nach Beratung hingewiesen, im Übrigen<br />

darauf, dass dem Wesen der medizinischen<br />

Indikation <strong>–</strong> die im Einzelfall einen<br />

sofortigen Eingriff erforderlich machen<br />

kann <strong>–</strong> eine psychosoziale Beratungspflicht<br />

fremd sei.<br />

Die Koalitionspartner haben sich darauf<br />

verständigt zu überprüfen, ob und<br />

ggfls. wie die Situation bei Spätabtreibungen<br />

verbessert werden kann. Die Diskussion<br />

um die Spätabbrüche ist jedoch nicht<br />

abgeschlossen. Sie wird uns in dieser<br />

Legislaturperiode weiter beschäftigen.<br />

Allerdings wird es hierbei nicht darum<br />

gehen, die Debatte um den § 218 StGB<br />

neu zu eröffnen. Das Ergebnis der Diskussionen<br />

bleibt abzuwarten. Eine erneute<br />

Beschäftigung mit dem Thema bietet<br />

aber auch die Chance, über die Ausgestaltung<br />

vor pränataler Diagnostik sowie<br />

nach pränataler Diagnostik mit pathologischem<br />

Befund erneut nachzudenken.<br />

Darüber hinaus ist es auch mir ein<br />

besonderes Anliegen, die Zahl der<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 9


DOKUMENTATION<br />

Schwangerschaftsabbrüche insgesamt so<br />

niedrig wie möglich zu halten. Um<br />

Schwangerschafskonflikte zu vermeiden<br />

bzw. zu lösen, wird daher die Bundeszentrale<br />

für gesundheitliche Aufklärung im<br />

Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags auch<br />

weiterhin in Kooperation mit Ländern<br />

und Beratungsträgern Konzepte zur Sexualaufklärung<br />

und Familienplanung erstellen<br />

und bundeseinheitliche Aufklärungsmaterialien<br />

entwickeln und verbreiten. Vorrangiges<br />

Ziel ist dabei, die Bevölkerung zu<br />

einem eigen- wie auch partnerverantwortlichen<br />

Umgang mit Sexualität, Zeugung<br />

und Fruchtbarkeit zu befähigen, um ungewollte<br />

Schwangerschaften zu vermeiden<br />

und gewollte zu fördern. Grundlage dafür<br />

bildet entsprechend den Prinzipien der<br />

Gesundheitsförderung die Stärkung der<br />

eigenen Kompetenz von Mann und Frau,<br />

über Sexualität und die möglichen Folgen,<br />

Verhütung und Kinderwunsch zu kommunizieren<br />

sowie sich aktiv mit der Elternrolle<br />

auseinander zu setzen.<br />

Des Weiteren bleibt es Grundanliegen<br />

einer langfristig stabilen Gesellschaft, dass<br />

sich junge Menschen entschließen, Eltern<br />

zu werden und ihre Kinder in der Familie<br />

zu erziehen. Der Wunsch, Kinder zu<br />

haben und in Familien zu leben, gehört<br />

zu den vorrangigen Lebensvorstellungen<br />

der meisten Menschen in unserer Gesellschaft.<br />

Die Bundesregierung greift die<br />

Lebensvorstellungen der Menschen auf<br />

und schafft die Rahmenbedingungen dafür,<br />

dass sich junge Menschen für Kinder<br />

entscheiden können und Familien Zukunft<br />

haben. Eines solche Familienpolitik besteht<br />

aus einem Dreiklang von Infrastrukturpolitik,<br />

einer familienfreundlichen<br />

Zeitpolitik und differenzierten finanziellen<br />

Unterstützungsleistungen für Familien.<br />

Ein Schwerpunkt der Familienpolitik ist<br />

der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen<br />

auch für unter Dreijährige, die<br />

eine frühe Förderung der Kinder ermöglichen<br />

und Eltern die Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf erleichtern.<br />

Es geht auch um eine neue Konzeption<br />

von Zeit für Kinder und für das Leben<br />

mit Kindern in unserer Erwerbsgesellschaft,<br />

also um Angebote flexibler Arbeitszeiten<br />

und Arbeitsorganisation, um betriebliche<br />

Infrastrukturen für Kinder- und<br />

Angehörigenbetreuung, um eine familienbewusste<br />

Personalentwicklung und<br />

schließlich um verbesserte Möglichkeiten<br />

des Wiedereinstiegs nach Elternzeit.<br />

Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt ein Gesprächangebot<br />

zu unterbreiten, ist mir<br />

wegen zahlreicher anderer terminlicher<br />

Verpflichtungen leider nicht möglich.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Ursula von der Leyen<br />

Anmerkungen zum Briefwechsel des BVL mit Bundesfamilienministerin von der Leyen<br />

Der Briefwechsel mit der Bundesfamilienministerin<br />

ist ein typisches Beispiel dafür, wie<br />

Briefe von Lebensrechtlern den »Schwangerschaftsabbruch«<br />

betreffend von staatlichen<br />

Stellen üblicherweise beantwortet werden.<br />

Ungewöhnlich und anzuerkennen ist immerhin,<br />

dass die Ministerin das wohl kaum von ihr<br />

selbst verfasste Antwortschreiben, dessen<br />

Abdruck im ausdrücklichen Einverständnis des<br />

Ministeriums erfolgt ist, persönlich unterzeichnet<br />

hat. Inhaltlich jedoch ist die Antwort völlig<br />

unbefriedigend, weil sie auf das Bezugsschreiben<br />

in keinem einzigen Punkt wirklich eingeht.<br />

Da Gegenargumente offenbar fehlen, werden<br />

Argumente ignoriert. Stattdessen werden Stichworte<br />

zum Anlass genommen, passend erscheinende<br />

Textbausteine abzurufen. Das geschieht<br />

selbst dort, wo zumindest im Ergebnis Übereinstimmung<br />

besteht, nämlich bezüglich der<br />

jeweils abgelehnten Pflichtberatung nach Vorliegen<br />

eines embryopathischen Befundes.<br />

Die Beobachtungspflicht zu erwähnen, wird<br />

im Schreiben des Ministeriums peinlichst vermieden.<br />

Von den Spätabbrüchen abgesehen,<br />

gehe es nicht darum, »die Debatte um den<br />

Paragrafen 218 StGB neu zu eröffnen.« Das<br />

allerdings ist wohl nicht mehr der neueste<br />

Stand. Gegenüber der »Tagespost« (vom 25.02.)<br />

jedenfalls erklärte Ursula von der Leyen:<br />

»Bundesregierung und Parlament werden dieser<br />

Beobachtungspflicht nachkommen.« Dies aber<br />

macht nur Sinn, wenn die Bereitschaft besteht,<br />

die gesetzliche Regelung und ihre Praxis auf<br />

den Prüfstand zu stellen. Ist sich die Ministerin<br />

darüber im Klaren, um was es dabei geht? Um<br />

die von ihr in demselben Interview formulierte<br />

»Frage, wie man Schuld zuweisen und bestrafen<br />

kann«, wohl kaum.<br />

Für die Minimierung der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche<br />

setzt das Bundesfamilienministerium<br />

auf die Arbeit der Bundeszentrale<br />

für gesundheitliche Aufklärung, die es längst<br />

gibt. Ist der Rückgang der Abtreibungszahlen<br />

(auch) deshalb ausgeblieben, weil die Bundeszentrale<br />

bisher keine tauglichen »Konzepte zur<br />

Sexualaufklärung und Familienplanung« erstellt<br />

und ungeeignete Aufklärungsmaterialien entwickelt<br />

und verbreitet hat? An jeder und jedem<br />

leicht zugänglichen Informationen über die<br />

Möglichkeiten der Empfängnisverhütung fehlt<br />

es sicher nicht; an solchen über die teilweise<br />

frühabtreibende Wirkung einzelner Mittel aber<br />

durchaus. Und was hat die Bundeszentrale<br />

bisher an wahrheitsgetreuer Aufklärung für<br />

die Situation anzubieten, in der die Empfängnis<br />

bereits eingetreten ist und »Verhütung« dem<br />

Töten des Ungeborenen gleichkommt?<br />

In dieser Situation geht es in der Praxis offenbar<br />

vielfach in erster Linie oder gar ausschließlich<br />

darum, die Schwangere darüber aufzuklären,<br />

wie sie verhindern kann, dass »so etwas wieder<br />

passiert.« Das Leben des bereits gezeugten<br />

Kindes lässt sich weder so noch mit dem Versprechen<br />

einer gewiss notwendigen Verbesserung<br />

der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

für Familien retten. Ob dies gelingt,<br />

hängt vielmehr von den Möglichkeiten ab, der<br />

Frau die Hilfen zu vermitteln, die sie für sich<br />

und ihr Kind braucht. Es ist aber auch eine<br />

Frage des Bewusstseins.<br />

Das bisher nicht eingeplante, unbedingt zu verhütende<br />

Kind soll nun plötzlich angenommen<br />

und zur Welt gebracht werden. Dazu wird eine<br />

Frau nur fähig sein, wenn ihr bewusst ist, dass<br />

in ihr bereits ein kleiner Mensch lebt, über den<br />

sie nicht verfügen darf, weil er ein eigenes<br />

Recht auf Leben hat. Deshalb hat auch das<br />

Bundesverfassungsgericht den Schutzeffekt<br />

eines Beratungskonzepts davon abhängig gesehen,<br />

dass es gelingt, das Bewusstsein von<br />

dem Recht des Ungeborenen auf Leben zu erhalten<br />

und zu stärken. Dementsprechend heißt<br />

es auch im Gesetz, der Schwangeren müsse<br />

in der Beratung das Lebensrecht des Ungeborenen<br />

auch ihr gegenüber bewusst sein.<br />

Weiß die Bundesfamilienministerin um die<br />

Bedeutung dieses Bewusstseins und weiß es<br />

auch die Bundeszentrale für gesundheitliche<br />

Aufklärung, in deren Materialien hiervon nie<br />

die Rede war? Die Beratungsorganisation »Pro<br />

familia« jedenfalls weiß um die Bedeutung<br />

des Rechtsbewusstseins. Sonst wäre sie nicht<br />

darum bemüht, durch die Propagierung eines<br />

»Menschenrechts auf sexuelle und reproduktive<br />

Gesundheit«, welches ein »Recht auf Abtreibung«<br />

einschließen soll, das Lebensrecht ungeborener<br />

Kinder vergessen zu machen. Gleichwohl<br />

wird diese Organisation vom Bundesfamilienministerium<br />

finanziell großzügigst<br />

gefördert und sind deren Beratungsstellen in<br />

allen Bundesländern anerkannt <strong>–</strong> für eine<br />

Beratung, die am Lebensrecht des ungeborenen<br />

Kindes orientiert sein müsste.<br />

Bernward Büchner<br />

10<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


A USLAND<br />

ARCHIV<br />

Der Kampf um den<br />

Supreme Court<br />

Die Berufung zweier neuer Richter an den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika<br />

durch Präsident George W. Bush hat in den USA hohe Wellen geschlagen und weltweit Beachtung<br />

gefunden. In deutschen Medien ist von einem »Rechtsruck« am Obersten Gerichtshof die Rede.<br />

Abtreibungs-Lobby-Organisationen sehen das »Recht auf Abtreibung« in den USA vor dem Fall. Doch<br />

wie ist die Entwicklung tatsächlich zu bewerten und was hat es mit dem Supreme Court wirklich auf sich?<br />

Von Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

Strafrecht ist in den Vereinigten Staaten<br />

von Amerika eigentlich Sache<br />

der Einzelstaaten. Ungefähr ab der<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts, als einzelne<br />

US-Staaten tradiertes Recht durch Gesetzgebung<br />

ersetzten, wurde Abtreibung<br />

zunehmend kriminalisiert, und zwar während<br />

der gesamten Dauer der Schwangerschaft.<br />

Ende der fünfziger Jahre des 20.<br />

Jahrhunderts gab es in den allermeisten<br />

Staaten strikte Abtreibungsverbote.<br />

In den sechziger Jahren entwickelte<br />

sich dann eine Bewegung, die sich die<br />

Legalisierung der Abtreibung auf die<br />

Fahnen geschrieben hatte, die pro-choice-<br />

Bewegung. Den Umständen entsprechend<br />

verfolgte diese Bewegung ihre Ziele<br />

zunächst auf Ebene der Einzelstaaten. So<br />

wurde z.B. 1970 im Staat New York ein<br />

Recht auf Abtreibung bis zur 24. Schwangerschaftswoche<br />

eingeführt; eine Regelung,<br />

die dem Staat für einige Jahre einen<br />

massiven Abtreibungs-Tourismus hunderttausender<br />

abtreibungswilliger<br />

Schwangerer aus anderen Staaten bescherte,<br />

in denen Abtreibung verboten<br />

blieb, und die New York zur »Abtreibungs-Hauptstadt«<br />

Amerikas machte.<br />

Als sich jedoch zunehmend auch Lebensrechtsgruppen<br />

gründeten und ihrerseits<br />

für die Beibehaltung bzw. Wiedereinführung<br />

von Abtreibungsverboten<br />

eintraten, geriet der Ansatz der Abtreibungsbefürworter<br />

ins Stocken. Sie versuchten<br />

nun, die Abtreibungsverbote nicht<br />

mühsam und einzeln Staat für Staat durch<br />

den Gesetzgebungsprozess auszuhebeln,<br />

sondern mit einem Schlag ein »Recht auf<br />

Abtreibung« in den gesamten USA durch-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 11


A USLAND<br />

zusetzen. Dazu wurden Musterprozesse<br />

gegen einzelstaatliche Abtreibungsverbote<br />

angestrengt, die ihren Weg bis vor den<br />

Obersten Gerichtshof finden sollten. Am<br />

22. Januar 1973 erfüllte dieser den sehnlichen<br />

Wunsch der pro-choice-Bewegung<br />

und erklärte nahezu alle Abtreibungsverbote<br />

und -einschränkungen für verfassungswidrig.<br />

ROE V. WADE<br />

In den beiden exemplarischen Fällen,<br />

die der Oberste Gerichtshof 1973 entschied,<br />

unterstützte die pro-choice-<br />

Bewegung zwei Frauen, denen 1970 Abtreibungen<br />

in Texas und Georgia verweigert<br />

wurden. In der ersten Entscheidung,<br />

»Roe et al. v. Wade, District Attorney of<br />

Dallas County«, klagte Norma McCorvey<br />

unter dem Pseudonym Jane Roe gegen<br />

Präsident George W. Bush, Richter Samuel Alito<br />

12<br />

ARCHIV<br />

das strikte Abtreibungsverbot des Staates<br />

Texas, das Abtreibungen ausschließlich<br />

bei Lebensgefahr für die Schwangere<br />

erlaubte. Wie die Abtreibungsverbote in<br />

anderen US-Staaten auch, bedrohte das<br />

texanische Gesetz jedoch nur den Arzt<br />

bzw. denjenigen, der die Abtreibung<br />

durchführt, mit Strafe, nicht die Mutter.<br />

Im zweiten Fall, Doe v. Bolton, der am<br />

selben Tag entschieden wurde, ging es<br />

um die Abtreibungsregelung Georgias,<br />

die wenige Jahre zuvor modernisiert wurde<br />

und eine Indikationenregelung vorsah.<br />

Georgia gestattete Abtreibungen nur bei<br />

Lebensgefahr für die Mutter, bei schwerer<br />

und dauerhafter Verletzung ihrer Gesundheit,<br />

bei schwerer, dauerhafter und unheilbarer<br />

körperlicher oder geistiger Behinderung<br />

des Kindes sowie bei Vergewaltigung.<br />

Grundlage für die Entscheidung des<br />

Gerichts war der 14. Zusatzartikel zur<br />

US-Verfassung, der auf zweifelhafte Weise<br />

in den Nachwirren des Sezessionskrieges<br />

eingeführt wurde. Dieser Zusatzartikel<br />

ermöglichte es dem Obersten Gerichtshof,<br />

auf drastische Weise in die Gesetzgebung<br />

der Einzelstaaten einzugreifen,<br />

da die Verfassung zuvor die Einzelstaaten<br />

im Wesentlichen sich selbst überließ. In<br />

diesem 14. Zusatzartikel heißt es u.a.:<br />

»(...) weder soll ein Staat einer Person<br />

Leben, Freiheit oder Eigentum ohne<br />

ordentliches Verfahren entziehen, noch<br />

einer Person innerhalb seiner Gerichtsbarkeit<br />

den gleichen Schutz durch die<br />

Gesetze verweigern.«<br />

In Roe v. Wade konstruierte der Oberste<br />

Gerichtshof daraus, dass es ein Recht<br />

auf Privatsphäre gibt, das von den Einzelstaaten<br />

nicht eingeschränkt werden<br />

darf und dass dieses Recht auf Privatsphäre<br />

auch »ein Recht auf Abtreibung« einschließt.<br />

Weiter wurde festgestellt, dass<br />

Ungeborene keine Personen im Sinne<br />

der Verfassung seien und deswegen keinen<br />

verfassungsmäßigen Schutz beanspruchen<br />

könnten. Eine Regulierung der Abtreibung<br />

sei deshalb nur zulässig zum Schutz<br />

der Gesundheit der Mutter und, ab dem<br />

letzten Schwangerschaftsdrittel, auch zum<br />

Schutz der »Möglichkeit menschlichen<br />

Lebens« <strong>–</strong> freilich nur, sofern die Gesundheit<br />

der Mutter nicht beeinträchtigt wird.<br />

In Doe v. Bolton wurde aber auch noch<br />

diese letzte theoretisch mögliche Einschränkung<br />

des Rechts auf Abtreibung<br />

ausgehebelt, indem dort verkündet wurde,<br />

dass der Begriff »Gesundheit« weitmöglichst<br />

auszulegen sei. Sie umfasse, wie<br />

Richter Douglas in seiner Zustimmung<br />

zum Urteil ausdrückte, auch Begriffe wie<br />

»Leiden«, »Durcheinandersein«, »Not«<br />

und »Tragödie«, so dass auch jede nur<br />

»angemessene« Abtreibung verfassungsrechtlich<br />

geschützt sei.<br />

Beide Entscheidungen wurden mit<br />

einer Mehrheit von sieben gegen zwei<br />

getroffen. Wie wenig die Mehrheit ihre<br />

eigenen Urteile verstand, machen die<br />

Aussagen der Richter Blackmun, der beide<br />

Urteile formulierte, und Burger, dem<br />

Vorsitzenden Richter, klar, die beide behaupteten,<br />

ganz offensichtlich weise das<br />

Gericht zurück, dass es ein Recht auf<br />

»Abtreibung auf Wunsch« gebe. Genau<br />

das aber sagen Roe v. Wade und Doe v.<br />

Bolton zusammen aus, wie es Richter<br />

White, eine der beiden Gegenstimmen,<br />

ausdrückte: Nach diesen beiden Urteilen<br />

ist jede Abtreibung zulässig, solange die<br />

Schwangere einen Arzt findet, der bereit<br />

ist, sie durchzuführen.<br />

Richter Rehnquist, die andere Gegenstimme,<br />

argumentierte, dass sich das Gericht<br />

in diesen Urteilen eher als Gesetzgeber<br />

aufspielt als die Verfassung zu<br />

interpretieren. Aus heutiger Sicht wirkt<br />

insbesondere befremdlich, mit welcher<br />

Leichtigkeit die Mehrheit der Richter<br />

das ungeborene Kind aus ihrer Betrachtung<br />

ausblendete und ihm jegliche Rechte<br />

absprach.<br />

DIE KONSEQUENZEN<br />

In den nächsten Jahren folgten auf<br />

Grundlage von Roe v. Wade und Doe v.<br />

Bolton viele weitere Urteile des Obersten<br />

Gerichtshofes, die das Recht der Abtreibung<br />

auf Wunsch zementierten, wie zum<br />

Beispiel:<br />

1976: Planned Parenthood v. Danforth:<br />

Es ist nicht zulässig, die Zustimmung<br />

des Ehemannes zu einer Abtreibung zu<br />

verlangen oder die Zustimmung der<br />

Eltern bei der Abtreibung einer Minderjährigen.<br />

1979: Colautti v. Franklin: Der Arzt darf<br />

nicht dazu verpflichtet werden, nach Möglichkeit<br />

das Leben des Fötus zu retten.<br />

1983: Akron v. Akron Center for Reproductive<br />

Health: Es ist unzulässig, den<br />

Arzt zu verpflichten, der Schwangeren<br />

»bestimmte Informationen« über Abtreibung<br />

und Abtreibungsalternativen<br />

mitzuteilen. Ebenso ist eine 24-stündige<br />

Wartezeit vor Abtreibungen unzulässig.<br />

Selbst die Verpflichtung, die fötalen<br />

Überreste in einer »humanen und hygienischen«<br />

Weise zu entsorgen, wurde<br />

für unzulässig erklärt.<br />

Der Oberste Gerichtshof gestattete<br />

lediglich bestimmte Einschränkungen bei<br />

der öffentlichen Finanzierung von Abtreibungen.<br />

Bis 1989 schieden allerdings immer<br />

mehr Richter der Mehrheitsmeinung von<br />

Roe v. Wade aus dem Obersten Gerichtshof<br />

aus und wurden durch neue Richter<br />

ersetzt, die vor allem von Präsident Reagan<br />

nominiert worden waren. Dadurch<br />

kam es 1989 zum Urteil Webster v. Reproductive<br />

Health Services, in dem einige<br />

eher unbedeutende Abtreibungs-Regularien<br />

des Staates Missouri bestätigt wurden.<br />

Dennoch hatte das Urteil große<br />

psychologische Bedeutung, da es als eine<br />

Art Umschwung gedeutet wurde.<br />

Nachdem zwei weitere Richter durch<br />

von Präsident George H. W. Bush nomi-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


nierte Kandidaten ersetzt worden waren,<br />

kulminierte diese Entwicklung 1992 im<br />

Urteil Planned Parenthood v. Casey. Der<br />

Oberste Gerichtshof entschied sich damals,<br />

noch einmal grundsätzlich zum<br />

Thema Abtreibung Stellung zu nehmen.<br />

Viele Beobachter erwarteten damals, dass<br />

das alte Urteil Roe v. Wade gekippt werden<br />

würde. In der Tat wurden die meisten<br />

Abtreibungs-Regularien des Staates Pennsylvania<br />

bestätigt, die dem Fall zugrunde<br />

lagen und die in früheren Verfahren verworfen<br />

worden waren: Die verpflichtende<br />

Information über Abtreibung und Alternativen,<br />

eine 24-stündige Wartefrist sowie<br />

die Zustimmung der Eltern oder eines<br />

Richters zur Abtreibung bei einer Minderjährigen.<br />

Lediglich die verpflichtende<br />

Benachrichtigung des Ehemanns bei einer<br />

Abtreibung wurde als »unangemessene<br />

Bürde« zurückgewiesen.<br />

Allerdings wurde in Casey Roe v. Wade<br />

<strong>–</strong> und damit das »Recht auf Abtreibung«<br />

<strong>–</strong> im Grundsatz mit einer knappen 5:4<br />

Mehrheit bestätigt. Dabei gingen die<br />

Richter dieser Mehrheit der Frage, ob<br />

Roe v. Wade korrekt entschieden wurde,<br />

und dem Lebensrecht des Kindes aus dem<br />

Wege. Stattdessen begründeten sie ihr<br />

Festhalten am Recht auf Abtreibung damit,<br />

dass sich die Gesellschaft <strong>–</strong> insbesondere<br />

die Frauen <strong>–</strong> inzwischen auf dieses<br />

Recht eingestellt habe und fest damit<br />

rechne. Außerdem gelte es, die Glaubwürdigkeit<br />

des Gerichts zu wahren, weswegen<br />

man Roe v. Wade nicht kippen dürfe.<br />

Präsident Clinton konnte in seiner<br />

Amtszeit wiederum zwei Richterstellen<br />

am Obersten Gerichtshof besetzen, diesmal<br />

mit klaren Befürwortern des »Rechts<br />

auf Abtreibung«, was im Jahr 2000 zu<br />

einem bitteren Rückschritt führte. Im<br />

Urteil Stenberg v. Carhart gab es eine<br />

knappe 5:4 Mehrheit gegen das Verbot<br />

des Staates Nebraska der Teilgeburts-<br />

Abtreibung (partial birth abortion), einer<br />

besonders widerwärtigen Form der Abtreibung<br />

in fortgeschrittenen Schwangerschafts-Stadien.<br />

RICHTER ALS GESETZGEBER<br />

Senatsabstimmungen über die von Präsident Bush ernannten Supreme-Court-Richter<br />

Ernennung von John Roberts, 29.9.2005 Ja Nein nicht abgestimmt<br />

Republikaner 55 0 0<br />

Demokraten 22 22 0<br />

Unabhängige 1 0 0<br />

Cloture des Alito-Filibusters, 30.1.<strong>2006</strong> Ja Nein nicht abgestimmt<br />

Republikaner 53 0 2<br />

Demokraten 19 24 1<br />

Unabhängige 0 1 0<br />

Ernennung von Samuel Alito, 31.1.<strong>2006</strong> Ja Nein nicht abgestimmt<br />

Republikaner 54 1 0<br />

Demokraten 4 40 0<br />

Unabhängige 0 1 0<br />

ARCHIV<br />

Der Supreme Court der USA in Washington D.C.<br />

Betrachtet man diese Entwicklung, so<br />

zeigt sich, dass zumindest in der Abtreibungsfrage<br />

der Oberste Gerichtshof de<br />

facto in die Rolle des höchsten Gesetzgebers<br />

geschlüpft ist. Dementsprechend<br />

wird die Neubesetzung von freien Richterstellen<br />

inzwischen von der Gesellschaft<br />

politisiert und umkämpft. Schließlich<br />

geht es nicht mehr nur um neutrale Richter,<br />

sondern faktisch um sehr parteiische<br />

Gesetzgeber. Dass es nur neun von ihnen<br />

gibt und diese auch noch auf Lebenszeit<br />

ernannt werden, verschärft die Situation<br />

zusätzlich. Es ist völlig normal, dass ein<br />

Richter am Obersten Gerichtshof für<br />

zwanzig bis über dreißig Jahre tätig ist.<br />

Wer bei der Neubesetzung einer dieser<br />

»Richter«-Stellen unterliegt, hat womöglich<br />

auf Jahrzehnte politisch das Nachsehen.<br />

Diese neue Rolle wird zunehmend<br />

auch den Richtern selbst bewusst. Im<br />

Abtreibungsrecht, aber auch in anderen<br />

Grundsatzfragen, verhalten sie sich zunehmend<br />

wie Politiker, stimmen nach<br />

festen Fraktionen ab und bekämpfen sich<br />

teils erbittert. Gute Beispiele hierfür sind<br />

die Urteilsbegründungen bzw. abweichenden<br />

Meinungen im Casey-Urteil. Die<br />

dort gewählte Sprache ist erheblich schärfer<br />

als bei Roe v. Wade 19 Jahre zuvor.<br />

Richter Blackmun, Verfasser der Roe<br />

v. Wade Mehrheitsmeinung, wirft in seiner<br />

Begründung zum Casey-Urteil der<br />

Minderheit offen vor, »die Hoffnungen<br />

und Visionen jeder Frau in diesem Land<br />

ins Dunkel stürzen« zu wollen. Sie könnte<br />

es gar nicht erwarten, die Flamme der<br />

Freiheit auszulöschen, und dafür fehle<br />

ihnen nur noch eine Stimme.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 13


A USLAND<br />

Von der Minderheitenseite des Casey-<br />

Urteils wird nicht weniger drastisch geurteilt.<br />

Besonders scharf verurteilt Richter<br />

Scalia die Arroganz der Richter-Mehrheit,<br />

sich anzumaßen, das Volk <strong>–</strong> Scalia verwendet<br />

sogar den deutschen Begriff<br />

»Volk« <strong>–</strong> zu führen und ihm seine verfassungsmäßigen<br />

Ideale zu erklären. Scalia<br />

und die anderen drei Richter der Minderheitsmeinung<br />

beschreiben dies mit den<br />

Begriffen »Orwellsch«, »Nietzscheisch«<br />

und »Zaristisch«. Scalias Kritik gipfelt<br />

in der Aussage: »Die Imperiale Richterschaft<br />

lebt.« Dass der Oberste Gerichtshof<br />

damit zu einer Art Parlament mit entsprechendem<br />

Wahlkampf verkomme, sei eine<br />

logische Folge. Wertentscheidungen sollten<br />

»mittels Abstimmungen entschieden<br />

und nicht diktiert werden«, so Scalia.<br />

DER OBERSTE GERICHTSHOF<br />

ALS PARLAMENT<br />

Spannend ist nun die Frage, wie die<br />

beiden neu berufenen Richter Roberts<br />

und Alito einzuschätzen sind. Von beiden<br />

gibt es einige wenige, 15 bis 25 Jahre alte<br />

schriftliche Aussagen, in denen sie gegen<br />

Roe v. Wade Stellung beziehen. In den<br />

Anhörungen zu ihren Nominierungen<br />

vor dem Senat haben sich beide dagegen<br />

sehr zurückgehalten und wenig über ihre<br />

persönlichen Meinungen preisgegeben.<br />

Sie ließen sich aber auch nicht auf eine<br />

Position festlegen, die es ihnen unmöglich<br />

machen würde, später gegen Roe v. Wade<br />

zu stimmen.<br />

Weder Roberts noch Alito hatten bisher<br />

Gelegenheit, am Obersten Gerichtshof<br />

in der Abtreibungsfrage abzustimmen.<br />

Alito war allerdings im Casey-Fall einer<br />

der Richter des untergeordneten Gerichts,<br />

von dem aus der Fall an den Obersten<br />

Gerichtshof gelangte, und hat damals alle<br />

Abtreibungs-Regulierungen Pennsylvanias<br />

bestätigt, einschließlich der Benachrichtigungs-Pflicht<br />

von Ehemännern.<br />

Auch gibt es Anzeichen, dass Alito das<br />

Verbot von Teilgeburts-Abtreibungen des<br />

Staates New Jersey bestätigt hätte, als er<br />

an einem untergeordneten Gericht darüber<br />

zu befinden hatte. Allerdings kam<br />

das erwähnte Urteil Stenberg v. Carhart<br />

dazwischen, welches entsprechende Verbote<br />

für verfassungswidrig erklärte.<br />

Roberts hatte sich dagegen in Gonzales<br />

v. Oregon im Januar <strong>2006</strong> mit der Sterbehilferegelung<br />

in Oregon zu befassen<br />

und bildete zusammen mit Scalia und<br />

Thomas die Minderheit im Sinne des<br />

Lebensrechts gegen die sechs anderen<br />

Richter. Allerdings handelte es sich hierbei<br />

eher um eine juristisch-technische Frage,<br />

so dass Roberts´ Abstimmungsverhalten<br />

in anderen Lebensrechtsfragen sich hieraus<br />

nicht sicher ableiten lässt. Es gibt also<br />

Richter Blackmun, Autor von Roe v. Wade<br />

zwar einige Anzeichen, die Optimismus<br />

rechtfertigen, aber letztendlich kann man<br />

nur abwarten, wie Roberts und Alito am<br />

Obersten Gericht tatsächlich abstimmen<br />

werden.<br />

DAS ENDE VON ROE V. WADE<br />

ARCHIV<br />

Selbst wenn Roberts und Alito die<br />

Erwartungen der Lebensrechts-Bewegung<br />

erfüllen sollten, dürfte Roe v. Wade<br />

und damit das prinzipielle Recht auf Abtreibung<br />

in den USA vorerst nicht gefährdet<br />

sein, da nach wie vor fünf der neun<br />

Richter dies stützen. Sollte sich dies jedoch<br />

ändern, so kann das Abtreibungsrecht in<br />

den USA theoretisch auf zwei unterschiedliche<br />

Weisen fallen.<br />

Eine Möglichkeit für den Obersten<br />

Gerichtshof wäre, Roe v. Wade durch ein<br />

Recht auf Leben des ungeborenen Kindes<br />

zu ersetzen. Dazu müsste er lediglich zu<br />

der Erkenntnis gelangen, dass ungeborene<br />

Menschen Personen im Sinne der Verfassung<br />

sind, und schon wären, ebenfalls<br />

über den Hebel des 14. Verfassungszusatzes,<br />

die Einzelstaaten gezwungen, diese<br />

Personen genauso zu schützen wie alle<br />

anderen auch, also die geborenen. Dies<br />

bestätigte sogar Richter Blackmun explizit<br />

in der Mehrheitsmeinung von Roe v.<br />

Wade.<br />

Auch wenn ein solches Urteil aus Lebensrecht-Sicht<br />

ideal erscheinen mag,<br />

würde es allerdings genauso der amerikanischen<br />

Verfassungstradition widersprechen<br />

wie Roe v. Wade, da sich der Oberste<br />

Gerichtshof auch dann als Gesetzgeber<br />

aufspielen würde. Deshalb forderte Richter<br />

Scalia in seiner abweichenden Meinung<br />

in Casey: »Wir [die Richter] sollten<br />

uns zurückziehen aus diesem Gebiet, wo<br />

wir kein Recht haben zu sein, und wo wir<br />

durch unseren Verbleib weder uns noch<br />

dem Land etwas Gutes tun.«<br />

Viel wahrscheinlicher ist deswegen,<br />

dass eine andere Richter-Mehrheit Roe<br />

v. Wade einfach aufheben und die Kompetenz<br />

zur Legalisierung oder zum Verbot<br />

von Abtreibungen an die Einzelstaaten<br />

zurückgeben würde. Der Abtreibungskonflikt<br />

an sich wäre dadurch aber in<br />

keiner Weise entschieden. Abtreibunsverbote<br />

wären lediglich wieder verfassungsgemäß,<br />

und es läge an den Einzelstaaten,<br />

ob sie diese für vernünftig erachten oder<br />

nicht. Der Konflikt zwischen Abtreibungsbefürwortern<br />

und Lebensrechtlern<br />

würde sich dann in die Parlamente der<br />

Der Supreme Court der USA<br />

Name Richter Geboren Nominiert von Präsident Für Abschaffung Für Regulierung von<br />

seit von Roe v. Wade Abtreibungen<br />

John P. Stevens 1975 1920 Ford, Republikaner Nein Nein<br />

Antonin Scalia 1986 1936 Reagan, Republikaner Ja Ja<br />

Anthony M. Kennedy 1988 1936 Reagan, Republikaner Nein Eher Ja<br />

David H. Souter 1990 1939 Bush sr., Republikaner Nein Eher Nein<br />

Clarence Thomas 1991 1948 Bush, sr., Republikaner Ja Ja<br />

Ruth Bader Ginsburg 1993 1933 Clinton, Demokraten Nein Nein<br />

Stephen G. Breyer 1994 1938 Clinton, Demokraten Nein Nein<br />

John G. Roberts (Vorsitzender) 2005 1955 Bush, jr., Republikaner Nicht bekannt Nicht bekannt<br />

Samuel A. Alito <strong>2006</strong> 1950 Bush, jr., Republikaner Nicht bekannt Nicht bekannt<br />

14<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


Richter White, Gegner von Roe v. Wade<br />

Einzelstaaten verlagern und voraussichtlich<br />

mit derselben Heftigkeit dort weitergehen.<br />

Eine Mehrheit der Staaten, vor allem<br />

des Südens und des mittleren Westens,<br />

würde wohl zu mehr oder weniger strikten<br />

Abtreibungsverboten zurückkehren. In<br />

einigen existieren sogar noch alte Abtreibungsverbote<br />

von vor 1973, die dann<br />

wieder in Kraft treten könnten. Andere<br />

Staaten an der Westküste oder dem Nordosten<br />

würden dagegen höchstwahrscheinlich<br />

an einem Recht auf Abtreibung festhalten.<br />

Einige Staaten haben dies sogar<br />

in ihrer Verfassung verankert, so kennt<br />

z.B. Kalifornien ein explizites verfassungsmäßiges<br />

Recht auf Privatsphäre. Und<br />

New York könnte wieder die »Abtreibungs-Hauptstadt«<br />

der USA werden.<br />

Damit es soweit kommt, müsste jedoch<br />

ein entsprechendes einzelstaatliches Gesetz<br />

beschlossen, angefochten und vom<br />

Obersten Gerichtshof verhandelt werden.<br />

South Dakota scheint exakt diese Vorreiterrolle<br />

einzunehmen, denn Ende Februar<br />

<strong>2006</strong> haben Repräsentantenhaus und Senat<br />

des Staates ein striktes Abtreibungsverbot<br />

beschlossen, das Abtreibungen nur<br />

noch im Fall von Lebensgefahr für die<br />

Mutter zulässt. Andere Ausnahmen sind<br />

nicht vorgesehen. Aber auch der Gesetzesentwurf<br />

South Dakotas bedroht lediglich<br />

denjenigen mit Strafe, der die Abtreibung<br />

durchführt, nicht die Frau. Planned<br />

Parenthood, die internationale Muttergesellschaft<br />

der deutschen Pro Familia<br />

und der einzige Anbieter von Abtreibungen<br />

in South Dakota, überlegt nun, das<br />

Gesetz anzufechten. Bis eine entsprechende<br />

Klage den Obersten Gerichtshof in<br />

Washington erreicht, können freilich<br />

Jahre vergehen <strong>–</strong> falls dieser den Fall dann<br />

überhaupt annimmt.<br />

ARCHIV<br />

Richterin O´Connor, trat <strong>2006</strong> zurück<br />

Bei aller Freude über die Intention des<br />

Gesetzes in South Dakota überwiegt bei<br />

der Mehrheit der Lebensrechtsgruppen<br />

aber die Skepsis. In seiner jetzigen Zusammensetzung<br />

ist es sehr wahrscheinlich,<br />

dass das generelle Abtreibungsverbot<br />

immer noch mit einer 5:4-Mehrheit im<br />

Obersten Gerichtshof gekippt wird. Dann<br />

hätte man statt dem Ende von Roe v.<br />

Wade einen weiteren Präzedenzfall für<br />

das »Recht auf Abtreibung« geschaffen.<br />

Neben South Dakota wird auch in Indiana,<br />

Ohio, Kentucky, Tennessee, Georgia<br />

und Mississippi an neuen Abtreibungsverboten<br />

gebastelt.<br />

Die Ernennung von Roberts und Alito<br />

könnte aber durchaus Auswirkungen am<br />

Rande der Abtreibungsdebatte haben, da<br />

möglicherweise eine ähnliche Situation<br />

wie 1992 beim Casey-Urteil vorliegt.<br />

Während das prinzipielle Recht auf Abtreibung<br />

noch sicher scheint, könnte es<br />

dennoch eine 5:4 Mehrheit für weitergehende<br />

Abtreibungs-Regulierungen geben.<br />

Damals wie heute wäre dann die Stimme<br />

Anthony Kennedys die sog. „swing vote“,<br />

die mal mit der einen, mal mit der anderen<br />

Fraktion stimmt.<br />

Im Zentrum der Diskussion steht dabei<br />

das bereits erwähnte Verbot von Teilgeburts-Abtreibungen,<br />

das 2000 im Stenberg-Urteil<br />

noch durchgefallen ist. Kennedy<br />

gehörte damals zusammen mit<br />

Rehnquist, Scalia und Thomas der Minderheit<br />

an, die das Verbot bestätigen<br />

wollte. Nun könnte es zu einer knappen<br />

fünfköpfigen Mehrheit reichen. Zur Debatte<br />

stehen heute allerdings nicht mehr<br />

nur Verbote der Teilgeburts-Abtreibung<br />

von Einzelstaaten, sondern auch ein USweites<br />

Verbot, das der Kongress in Washington<br />

beschlossen und das Präsident<br />

Bush Ende 2003 unterzeichnet hat. Dieses<br />

ARCHIV<br />

Verbot wurde von untergeordneten Gerichten<br />

mit Blick auf das Stenberg-Urteil<br />

für verfassungswidrig erklärt, doch am<br />

21. Februar <strong>2006</strong> hat der Oberste Gerichtshof<br />

beschlossen dieses Verbot zu<br />

verhandeln. Ein Urteil wird für Anfang<br />

2007 erwartet. Die Panik auf Seiten der<br />

Abtreibungslobby ist deswegen erheblich.<br />

Eine höchstrichterliche Bestätigung des<br />

US-weiten Verbotes von Teilgeburts-<br />

Abtreibungen wäre wohl die größte Niederlage<br />

für die pro-choice-Seite seit Roe<br />

v. Wade.<br />

DER WEG ZUM OBERSTEN GERICHTSHOF<br />

Wie man sieht, sind die Mehrheitsverhältnisse<br />

im Obersten Gerichtshof in<br />

beide Richtungen äußerst knapp und jede<br />

Veränderung kann der einen oder anderen<br />

Seite eine Mehrheit verschaffen und weitreichende<br />

Auswirkungen für die nächsten<br />

Jahrzehnte haben. Nominierungen für<br />

den Obersten Gerichtshof sind generell<br />

sehr umkämpft, aber da die Einsetzung<br />

eines weiteren konservativen Richters das<br />

»Recht auf Abtreibung« tatsächlich kippen<br />

könnte <strong>–</strong> immer vorausgesetzt, Roberts<br />

und Alito erfüllen die Erwartungen<br />

<strong>–</strong> darf man insbesondere für die nächste<br />

Nominierung eine politische Schlacht<br />

extremen Ausmaßes erwarten, für die<br />

Parteien und Lobbyorganisationen massiv<br />

mobilisieren werden.<br />

Ein gutes Beispiel für eine solche Auseinandersetzung<br />

ist der Kampf um die<br />

Nominierung von Robert Bork durch<br />

Präsident Reagan für den Obersten Gerichtshof<br />

1987. Die Abtreibungslobby<br />

hat damals zusammen mit anderen Oppositionsgruppen<br />

durch eine beispiellose<br />

Kampagne erreicht, dass Bork, der als<br />

strikter Gegner von Roe v. Wade galt,<br />

nicht an den Obersten Gerichtshof berufen<br />

wurde. Bedenkt man, dass anstelle<br />

Borks Kennedy berufen wurde und dieser<br />

die auschlaggebende fünfte Stimme für<br />

die Beibehaltung des Rechts auf Abtreibung<br />

beim Casey-Urteil 1992 war, dann<br />

hat sich dieser Einsatz für die Abtreibungsbefürworter<br />

auch voll ausgezahlt.<br />

Aus Sicht der Abtreibungslobby hängt<br />

alles am Obersten Gerichtshof, da sie<br />

bereits das Präsidentenamt und beide<br />

Häuser des US-Kongresses in der Hand<br />

der pro-life-Seite sehen.<br />

Da die Richter auf Lebenszeit ernannt<br />

sind, wird ein Platz am Obersten Gerichtshof<br />

nur durch Tod oder Rücktritt<br />

frei. Im Durchschnitt sind die Richter,<br />

die an Roe v. Wade festhalten wollen,<br />

deutlich älter als ihre konservativen Kollegen.<br />

John Paul Stevens, der im April<br />

<strong>2006</strong> 86 Jahre alt wird, ist sogar der dritt-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 15


A USLAND<br />

älteste Richter, der jemals Mitglied des<br />

Obersten Gerichtshofes war. Da das Vorschlagsrecht<br />

für einen neuen Kandidaten<br />

aber allein beim Präsidenten liegt und<br />

Stevens und die anderen eher linksstehenden<br />

Richter sich ihrer Bedeutung bei<br />

diesen äußerst knappen Mehrheitsverhältnissen<br />

bewusst sind, ist davon auszugehen,<br />

dass sie auf keinen Fall zurücktreten werden,<br />

solange Bush oder ein anderer prolife<br />

eingestellter Präsident im Amt ist.<br />

Stevens mag sich in einer ähnlichen Situation<br />

sehen wie Blackmun 1992 beim<br />

Casesy-Urteil, als dieser schrieb: »Ich<br />

bin 83 Jahre alt. Ich kann nicht ewig in<br />

Richter Rehnquist, Gegner von Roe v. Wade<br />

diesem Gericht bleiben, und wenn ich<br />

zurücktrete, kann es sehr wohl sein, dass<br />

der Bestätigungs-Prozess für meinen<br />

Nachfolger von unserem heutigen Thema<br />

[Abtreibung] bestimmt wird. Das, so bedauere<br />

ich, kann exakt der Punkt sein, an<br />

dem die Wahl zwischen beiden Welten<br />

getroffen werden wird.«<br />

In den vergangenen Jahrzehnten haben<br />

die Demokraten immer Befürworter des<br />

Rechts auf Abtreibung, die Republikaner<br />

immer Anhänger des Lebensrechts als<br />

Präsidentschaftskandidaten nominiert.<br />

Vieles spricht dafür, dass dies auch bei<br />

der nächsten Wahl 2008 so sein wird. Die<br />

Wahl ist aus heutiger Sicht völlig offen,<br />

und mit Sicherheit wird im Wahlkampf<br />

eine bedeutende Rolle spielen, dass in die<br />

Amtszeit des nächsten Präsidenten möglicherweise<br />

die entscheidende Nominierung<br />

für die Zukunft des Rechts auf Abtreibung<br />

fallen könnte.<br />

Die entscheidende politische Auseinandersetzung<br />

über einen neuen Richter<br />

für den Obersten Gerichtshof wird aber<br />

im und mit dem Senat stattfinden, der<br />

den Kandidaten mit einfacher Mehrheit<br />

bestätigen muss. Das Repräsentantenhaus<br />

spielt hierbei keine Rolle. Zuerst gibt es<br />

Anhörungen und eine Abstimmung in<br />

16<br />

ARCHIV<br />

einem Senats-Ausschuss, anschließend<br />

stimmt der gesamte Senat über den Kandidaten<br />

ab. Jeder Einzelstaat stellt zwei<br />

Senatoren, insgesamt gibt es also 100<br />

Senatoren. Momentan stellen die Republikaner<br />

55 Senatoren, die Demokraten<br />

44. Ein Senator gehört keiner Fraktion<br />

an, stimmt aber normalerweise mit den<br />

Demokraten.<br />

Dass es für einen Präsidenten schwierig<br />

ist, eine Bestätigung für einen Kandidaten<br />

zu erhalten, wenn die Opposition im<br />

Senat die Mehrheit stellt, ist offenkundig,<br />

aber selbst, wenn die eigene Partei in der<br />

Mehrheit ist, hat die Opposition eine<br />

gute Möglichkeit, einem Kandidaten die<br />

Bestätigung zu verweigern. Zu einer Bestätigung<br />

kann es nur kommen, wenn es<br />

zu einer Abstimmung kommt, und zu<br />

einer Abstimmung kommt es erst, wenn<br />

die Debatte beendet ist. Entschließt sich<br />

die Seite, die voraussichtlich bei der Abstimmung<br />

unterliegen wird, zu einer Endlosdebatte,<br />

dem so genannten Filibuster,<br />

dann kann diese nur mit einer Drei-<br />

Fünftel-Mehrheit, also mindestens 60<br />

Stimmen, beendet werden, der so genannten<br />

Cloture.<br />

Die Abtreibungslobby hat vehement<br />

bei den Nominierungen von Roberts und<br />

Alito auf einen Filibuster durch Demokraten<br />

und pro-choice Senatoren der<br />

Republikaner gedrängt. Dieses Mittel<br />

hatte sich 2003 bewährt, indem <strong>–</strong> neben<br />

vielen anderen <strong>–</strong> insbesondere drei Kandidaten<br />

des Präsidenten für untergeordnete<br />

Bundesgerichte die Bestätigung<br />

durch einen erfolgreichen Filibuster<br />

verweigert werden konnte, die die Abtreibungslobby<br />

besonders ablehnte, Priscilla<br />

Owen, Janice Rogers Brown und William<br />

Pryor.<br />

Diese massenweise Blockade von Richterkandidaten<br />

durch die Senats-<br />

Minderheit war eine völlig neue politische<br />

Erfahrung, die es früher in den USA so<br />

nicht gegeben hat. In der darauf folgenden<br />

Senatswahl im Herbst 2004 verloren der<br />

damalige Oppositionsführer der Demokraten<br />

im Senat, Tom Daschle, und vier<br />

weitere demokratische Senatoren unter<br />

anderem genau wegen dieser Total-<br />

Verweigerungs-Taktik ihre Sitze, woraufhin<br />

die Filibuster-Front der Demokraten<br />

weitgehend in sich zusammen brach, obwohl<br />

sie theoretisch immer noch genügend<br />

Stimmen dafür hätten. 2005 konnten<br />

die Republikaner bei allen drei zuvor<br />

abgewiesenen Richtern eine Cloture und<br />

damit eine Abstimmung erzwingen. Bei<br />

der Roberts-Kandidatur versuchten die<br />

Demokraten keinen Filibuster mehr. Lediglich,<br />

als der außerparlamentarische<br />

Druck bei der Kandidatur von Alito sehr<br />

ARCHIV<br />

groß wurde, machten sie einen weiteren,<br />

aber nur halbherzigen Versuch auf einen<br />

Filibuster. Die Amtsperiode eines Senators<br />

dauert sechs Jahre, alle zwei Jahre<br />

wird ungefähr ein Drittel der Senatoren<br />

neu gewählt, das nächste Mal Ende <strong>2006</strong>.<br />

Traditionell gewinnt in den Zwischenwahlen,<br />

die in der Mitte der Amtszeit<br />

eines Präsidenten stattfinden, die Partei,<br />

die nicht den Präsidenten stellt. Dennoch<br />

stehen die Chancen gut für die Republikaner,<br />

ihre Mehrheit im Senat zu verteidigen.<br />

Es gibt zwar unter den Republikanern<br />

einige Abtreibungsbefürworter und umgekehrt<br />

auch pro-life-Demokraten, aber<br />

bei Abstimmungen im Kongress scheint<br />

die persönliche Überzeugung des einzelnen<br />

Abgeordneten immer weniger zum<br />

Ausdruck zu kommen, da meistens nach<br />

Parteilinie abgestimmt wird. Entsprechend<br />

werden sich auch die pro-life- und<br />

pro-choice-Gruppen in die anstehenden<br />

Senatswahlkämpfe einmischen, die einen<br />

meist auf Seite der republikanischen Kandidaten,<br />

die anderen weit überwiegend<br />

auf Seiten der Demokraten, mit nur einigen<br />

wenigen Ausnahmen.<br />

Wenn der nächste Kandidat für den<br />

Obersten Gerichtshof vom Präsidenten<br />

nominiert ist, geht es möglicherweise um<br />

die ausschlaggebende Stimme für das<br />

Recht auf Abtreibung in den USA. Die<br />

pro-choice-Seite wird dann nichts unversucht<br />

lassen, die Demokraten zu einem<br />

effektiven Filibuster zu bewegen. Der<br />

Druck von außen auf die Senatoren, der<br />

jetzt bereits enorm ist, wird nochmals<br />

erheblich verstärkt werden. Diese politische<br />

Auseinandersetzung wird so laut<br />

geführt werden, dass wir sie auch in<br />

Deutschland nicht überhören können<br />

werden.<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

Der in Jena lebende, promovierte Mathematiker,<br />

Jahrgang 1971, gehört der<br />

<strong>ALfA</strong> seit 1994 an. Zwei Jahre nach seinem<br />

Eintritt wurde<br />

er in den Bundesvorstand<br />

gewählt,<br />

wo er bis Juni 2004<br />

das Amt des<br />

Schriftführers im<br />

geschäftsführenden<br />

Bundesvorstand bekleidete. 1998 und<br />

2002 war er verantwortlich für die Planung<br />

und Durchführung der Bundestagswahl-Aktionen<br />

der <strong>ALfA</strong>. Seit 1996 koordiniert<br />

er zudem die Arbeit der Bundesgeschäftsstelle<br />

der <strong>ALfA</strong> in Augsburg.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


A USLAND<br />

CHRISTOPH HURNAUS<br />

»Wähle das Leben!«<br />

Als Joseph Kardinal Ratzinger am 19. April zum Papst gewählt wurde, kannte die Begeisterung der<br />

Deutschen keine Grenzen. Nicht nur Deutschlands größte Boulevardzeitung jubelte: »Wir sind Papst«.<br />

Dass der Lebensschutz eines der großen Themen des bisherigen Pontifikats Benedikt XVI. ist, wird<br />

hierzulande freilich übersehen. Der Vatikan-Journalist Armin Schwibach analysiert für <strong>LebensForum</strong>,<br />

wie der deutsche Papst Partei für das Recht auf Leben ergreift und was ihn dabei antreibt.<br />

Von Dr. phil. Armin Schwibach<br />

Benedikt XVI. lässt keinen Zweifel:<br />

zu den hervorstechenden Hauptworten<br />

seines Pontifikates gehört<br />

die neue soziale Frage des Lebensschutzes.<br />

Nicht nur besondere Anlässe wie die<br />

Tagung der Päpstlichen Akademie für das<br />

Leben zum Thema »Der menschliche<br />

Embryo in der Phase vor der Einnistung«<br />

(27.-28.2.<strong>2006</strong>) boten dem Papst die Gelegenheit,<br />

sich in entschiedener und eindeutiger<br />

Weise »auf die Seite des Lebens«<br />

zu schlagen. Alle, vor allem die Bischöfe<br />

und Priester, dann die Laien und die<br />

Bewegungen für den Lebensschutz sind<br />

dazu aufgerufen, unermüdlich die Unantastbarkeit<br />

der menschlichen Existenz<br />

von seinem Anfang bis zu seinem natürlichen<br />

Ende zu betonen und zu verteidigen.<br />

Das Bewusstsein dieser neuen sozialen<br />

Frage darf nie einschlafen oder politischen<br />

Kompromissen geopfert werden.<br />

Es geht um Gott, den Glauben an Gott,<br />

den Glauben der Kirche.<br />

DAS LEBEN IST DAS ZENTRUM<br />

Am 3. März <strong>2006</strong>, bei seinem Zusammentreffen<br />

mit dem römischen Klerus<br />

zum Beginn der Fastenzeit, hob der Papst<br />

ein Schriftwort aus der Liturgie des Tages<br />

hervor: »Leben und Tod lege ich dir vor,<br />

Segen und Fluch. Wähle also das Leben,<br />

damit du lebst, du und deine Nachkommen«<br />

(Dtn 30,19). In diesem Wort<br />

ist auch das grundlegende Erbe Johannes<br />

Pauls II. beschrieben: Wähle das Leben!<br />

Für Benedikt XVI. ist diese Wahl die<br />

Fundamentaloption des Christen, Charakteristik<br />

des wahren Humanismus, der<br />

die Verwirklichung des Menschseins aus<br />

dem Raum des Gerufenseins von Gott<br />

zum Leben ist. Die Moderne steht vor<br />

einem Widerspruch. Der Papst bemerkt:<br />

»Der große Abfall vom Christentum, der<br />

sich im Westen in den letzten hundert<br />

Jahren ereignet hat, wurde gerade im<br />

Namen der Option für das Leben ausgeführt.<br />

Es wurde gesagt <strong>–</strong> dabei denke ich<br />

nicht nur an Nietzsche <strong>–</strong> dass das Christentum<br />

eine Option gegen das Leben<br />

sei.« Dem Christentum sei vorgeworfen<br />

worden, mit dem Kreuz, all seinen Geboten<br />

und »Nein«, dem Leben die Tür<br />

zu schließen. Der moderne Mensch hin-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 17


A USLAND<br />

gegen wolle sich von all diesem befreien,<br />

das Leben, und nichts anderes als das<br />

Leben in Fülle haben. Dem hält der Papst<br />

entgegen, dass das Leben unverfügbar<br />

ist, seine Verwirklichung nicht vom subjektiven<br />

oder kollektiven Willen abhängt.<br />

Das Leben fällt nicht in den Machtbereich<br />

des Menschen. Der lebendige Mensch<br />

als Abbild Gottes kann das Leben nur<br />

wählen, wenn er Gott wählt. Leugnet er<br />

dem Leben seine innere und unverbrüchliche<br />

Würde, indem er es aus sich selbst<br />

heraus definieren will, leugnet er damit<br />

auch Gott.<br />

VON DER EMPFÄNGNIS BIS ZUM TOD<br />

Das Leben ist eine göttliche Gabe, die<br />

in jeder ihrer Phasen zu schützen und zu<br />

achten ist. Eine menschliche Herrschaft<br />

über das Leben, seinen Wert, seinen Beginn<br />

und sein Ende unter dem Deckmantel<br />

einer Kultur der verantwortlichen<br />

Das Wappen von Papst Benedikt XVI.<br />

Freiheit ist nichts anderes als die heuchlerische<br />

Vertuschung der Kultur des Todes.<br />

Die Kirche wählt das Leben. Die<br />

christliche Option ist, wie der Papst erklärte,<br />

eine absolute Option für das Leben.<br />

Sie ist identisch mit der Option für Gott.<br />

Das Leben, so der Papst, ist eine Beziehung:<br />

die fundamentale Beziehung zu<br />

seinem Schöpfer. Der universale Hirt<br />

muss, wie dies Johannes Paul II. in seiner<br />

Enzyklika Evangelium Vitae getan hat,<br />

der Antikultur des Todes, die Gott vergisst<br />

und ausschließt, in der der Hass siegt,<br />

eine Kultur der Wahrheit des Lebens<br />

entgegenhalten. Das Leben ist der Spiegel<br />

des Glanzes der göttlichen Wahrheit, der<br />

fast unbegreiflichen Liebe Gottes, die<br />

jedem Machen verschlossen ist. Das<br />

menschliche Leben ist ein absolutes Gut,<br />

18<br />

insofern es die Anwesenheit des liebenden<br />

Gottes in der Welt ist. Es ist »Spur der<br />

göttlichen Herrlichkeit« (Johannes Paul<br />

II.).<br />

Benedikt XVI. förderte immer wieder<br />

Initiativen der Bischöfe und der eng mit<br />

diesen zusammenarbeitenden Lebensrechtsorganisationen<br />

in Italien, Spanien<br />

und Lateinamerika. Er rief sie direkt dazu<br />

auf, den Schutz des Lebens von der Empfängnis<br />

bis zu seinem natürlichen Tod<br />

theologisch-anthropologisch, ethisch und<br />

sozialpolitisch in den Vordergrund zu<br />

stellen. So äußerte sich der Papst am 3.<br />

Dezember 2005 vor den Präsidenten der<br />

bischöflichen Kommissionen für die Familie<br />

und das Leben Lateinamerikas zur<br />

immer schwerer werdenden Situation der<br />

Familie und des Lebensschutzes. Die Ehe<br />

ist eine natürliche Einrichtung und als<br />

solche Schatz der Menschheit. Dieser<br />

Schatz, die Grundwerte der Ehe und der<br />

Familie, sind vom aktuellen Phänomen<br />

der Säkularisierung bedroht. Der Papst<br />

erinnerte an die große Sorge, die Johannes<br />

Paul II. der Ehe, der Familie und dem<br />

Lebensschutz zuteil werden lassen hatte.<br />

»Meinerseits«, so Benedikt XVI., »greife<br />

ich dieselbe Besorgnis auf, die in breitem<br />

Maße die Zukunft der Kirche und der<br />

Staaten betrifft.« Die Zukunft der<br />

Menschheit werde in der Familie geschmiedet.<br />

»Daher ist es unbedingt nötig<br />

und dringend, dass sich jeder Mensch<br />

guten Willens anstrengt, die Werte und<br />

die Erfordernisse der Familie zu fördern.«<br />

Der Papst verwies auf die von Johannes<br />

Paul II. im Apostolischen Schreiben Familiaris<br />

Consortio (22.11.1981) angemahnte<br />

Aufgabe eines jeden Christen:<br />

»Jeder Christ hat die Pflicht, mit Freude<br />

und Überzeugung die ›frohe Botschaft‹<br />

über die Familie zu verkünden. Für sie<br />

ist es absolut notwendig, die authentischen<br />

Worte, die ihre Identität, ihre inneren<br />

Ressourcen und die Wichtigkeit ihrer<br />

Mission offenbaren, in der Stadt der Menschen<br />

und in jener Gottes zu hören und<br />

zu verstehen« (FC, Nr. 86). Die Säkularisierung<br />

hindert das soziale Bewusstsein<br />

daran, die Identität und die Mission der<br />

Institution der Familie angemessen zu<br />

entdecken. Ungerechte Gesetze, die die<br />

fundamentalen Rechte der Familie ignorieren,<br />

übten in der letzten Zeit großen<br />

Druck aus. Es ist die Pflicht der Hirten,<br />

so der Papst, den außerordentlichen Wert<br />

der Ehe in seinem ganzen Reichtum zu<br />

präsentieren. Die Erhebung der Ehe zur<br />

sakramentalen Würde müsse mit Staunen<br />

und Dankbarkeit betrachtet werden. Benedikt<br />

XVI. zitierte seine eigenen Worte<br />

vom 6. Juni 2005 zur Eröffnung der römischen<br />

Diözesantagung zur Familie:<br />

»Die Sakramentalität, welche die Ehe in<br />

Christus annimmt, heißt also, dass das<br />

Geschenk der Schöpfung zur Gnade der<br />

Erlösung erhoben wurde. Die Gnade<br />

Christi kommt nicht von außen zur<br />

menschlichen Natur hinzu, sie tut ihr<br />

keine Gewalt an, sondern befreit sie und<br />

stellt sie wieder her, gerade indem sie sie<br />

jenseits der eigenen Grenzen erhöht«.<br />

Die Liebe verwirkliche sich in der totalen,<br />

ausschließlichen, treuen, andauernden<br />

und für das Leben offenen Hingabe. Es<br />

muss heute, so der Papst, mit erneuertem<br />

Enthusiasmus verkündigt werden, dass<br />

die Familie ein Weg der menschlichen<br />

und geistlichen Verwirklichung ist. Eheähnliche<br />

Verbindungen respektierten den<br />

ursprünglichen Plan Gottes nicht und<br />

verunstalteten die Botschaft der Ehe. So<br />

sei es dazu gekommen, neue Formen der<br />

Ehe vorzuschlagen, die deren besondere<br />

Natur entstellten.<br />

WISSENSCHAFT WIRD ZUR BEDROHUNG<br />

»Der Mensch ist das<br />

Wunder Gottes.«<br />

Eng mit diesem Thema verbunden ist<br />

für Benedikt XVI. die Gefährdung des<br />

ungeborenen Lebens. In Folge der Pervertierung<br />

der Ehe wird »die Eliminierung<br />

der Embryonen oder deren willkürlicher<br />

Gebrauch auf dem Altar des<br />

wissenschaftlichen Fortschrittes« vorangebracht.<br />

Die Wissenschaft wird zur Bedrohung<br />

der Menschheit, »wenn sie ihre<br />

eigenen Grenzen nicht anerkennt und<br />

nicht all diejenigen moralischen Prinzipien<br />

akzeptiert, die es erlauben, die Würde<br />

der Person zu schützen. Der Mensch wird<br />

so zum Gegenstand oder reinen Instrument.«<br />

Für den Papst ist es klar: werden<br />

derartige Handlungsweisen oder Weltanschauungen<br />

als möglich oder gerechtfertigt<br />

angesehen, entartet die Gesellschaft.<br />

Ihre Grundlagen werden mit all den daraus<br />

herrührenden Risiken erschüttert.<br />

Der Papst weist nichteheliche Gemeinschaften,<br />

Gemeinschaften gleichgeschlechtlicher<br />

Art und Abtreibung hart<br />

zurück: Kinder haben auf der ganzen<br />

Welt das Recht darauf geboren zu werden<br />

und in einer in der Ehe gründenden Familie<br />

aufzuwachsen, in der die Eltern die<br />

ersten Erzieher des Glaubens ihrer Kinder<br />

sind, so dass diese zur vollen menschlichen<br />

und geistlichen Reife gelangen können.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


CHRISTOPH HURNAUS<br />

Aus diesem Grund »ist es notwendig,<br />

allen Menschen zum Bewusstsein des<br />

inneren Bösen des Verbrechens der Abtreibung<br />

zu verhelfen.« Wer ein Attentat<br />

auf das Leben an seinem Beginn verübe,<br />

greife die Gesellschaft als solche an. Aus<br />

diesem Grund ruft Benedikt XVI. die<br />

Politiker und Gesetzgeber »als Diener<br />

des Gemeinwohls« dazu auf, der Pflicht<br />

zu gehorchen, die Grundrechte des Lebens<br />

zu verteidigen.<br />

Am 28. Dezember ging Benedikt XVI.<br />

dann während der Katechese der letzten<br />

Generalaudienz des Jahres 2005, an der<br />

auch deutsche Lebensrechtler teilnahmen,<br />

erneut auf den Wert des ungeborenen<br />

Lebens ein. Der Mensch ist das Wichtigste<br />

der Schöpfung, »die höchste und wunderbarste<br />

Wirklichkeit des ganzen Universums.<br />

Der Mensch ist das Wunder<br />

Gottes«. Das Leben ist von seinem embryonalen<br />

Stadium an erfüllt und vollkommen.<br />

Den Psalm 139 auslegend hob<br />

er dessen mächtige Idee hervor, dass<br />

»Gott schon die Zukunft jenes ›unförmigen‹<br />

Embryos sieht: im Buch des Lebens<br />

des Herrn sind schon die Tage geschrieben,<br />

die dieses Geschöpf leben und<br />

mit Werken während seiner irdischen<br />

Existenz erfüllen wird.« Die göttliche<br />

Erkenntnis umspanne die Ganzheit der<br />

Zeit. In der Bibel ist, so der Papst, um<br />

den Beginn des Lebens zu beschreiben,<br />

das Symbol des Gewebes gebraucht. Dieses<br />

hebe »die Zartheit der Haut hervor,<br />

des Fleisches, der Nerven, die über das<br />

aus Knochen bestehende Skelett<br />

›geflochten‹ werden.« Gott gebe, so Benedikt<br />

XVI., seinem kunstvollen Geschöpf,<br />

das sein Hauptwerk ist, von Anfang<br />

an eine von ihm erkannte Form.<br />

Eine aus den Fugen geratene Wissenschaft<br />

und Medizin, die einem nihilistischen<br />

Allmachtswahn säkularer gesellschaftlicher<br />

Institutionen und Weltanschauungen<br />

entspricht und diese dem<br />

Bösen entgegen treibt, sind für den Papst<br />

stets Anlass zur Wachsamkeit. Seine Sorge<br />

hatte Benedikt XVI. auch am 3. November<br />

2005 vor der Delegation des bayerischen<br />

Landtags zum Ausdruck gebracht:<br />

»Aus dem Fortschritt der Wissenschaften<br />

können ebenso Segen wie Verderben<br />

erwachsen. Hier kommt es darauf an, ob<br />

jene, die über rechten Gebrauch oder<br />

Missbrauch zu entscheiden haben, dabei<br />

bloß den Gesetzen vordergründigen Nutzens<br />

oder aber den Gesetzen Gottes folgen.<br />

Männer und Frauen, die sich ihrer<br />

Verantwortung vor Gott, dem Geber allen<br />

Lebens, bewusst sind, werden ihr Bestes<br />

tun, damit die unantastbare Würde des<br />

Menschen, dessen Leben in allen Phasen<br />

heilig ist, den Umgang mit neuen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen bestimmt.«<br />

Benedikt XVI. nahm ein Wort Johannes<br />

Pauls II. auf. Beim sonntäglichen Angelusgebet<br />

sagte er am 3. Februar 2002:<br />

»Das Leben zu erkennen heißt vor allem<br />

mit erneuertem Staunen das wieder zu<br />

entdecken, was die Vernunft und die Wissenschaft<br />

selbst sich nicht scheuen,<br />

Papst Johannes Paul II.<br />

›Mysterium‹ zu nennen. (…) Das Leben<br />

erkennen heißt des weiteren, jedem<br />

menschlichen Wesen das Recht zu garantieren,<br />

sich seiner eigenen Potentialität<br />

entsprechend zu entwickeln, indem ihm<br />

seine Unverletzbarkeit von der Empfängnis<br />

bis zum natürlichen Tod verbürgt<br />

wird. Niemand ist der Herr des Lebens.<br />

Niemand hat das Recht, das Leben zu<br />

manipulieren, zu unterdrücken oder gar<br />

zu nehmen, weder das eigene noch das<br />

eines anderen.«<br />

Die theologische, anthropologische<br />

und ethische Frage bedingt die Frage<br />

danach, was gemacht werden soll und<br />

darf, wie das Handeln unter dem spezifischen<br />

Aspekt der Gesundheit zu gestalten<br />

ist. Aus der Beobachtung und Erforschung<br />

des Faktischen und der faktischen Möglichkeiten<br />

ergeben sich keine normativen<br />

Anweisungen in Bezug auf das menschliche<br />

Leben. Deshalb sehen sich Genetik<br />

und Gentechnologie sowie aktuelle und<br />

künftige Gentherapien mit der grundsätzlichen<br />

anthropologischen Frage konfrontiert.<br />

Dazu kommt im Spezifischen, dass<br />

wissenschaftlicher Erkenntnisstand und<br />

praktische Einsetzbarkeit in medizinischer<br />

Diagnose und Therapie sich mit zwei<br />

unterschiedlichen Geschwindigkeiten<br />

entwickeln. Ein Beispiel hierfür sind die<br />

präsymptomatischen Krankheiten. Es<br />

handelt sich dabei um Krankheiten, die<br />

genetisch analysierbar und diagnostizierbar<br />

sind, sich allerdings erst in einer<br />

ferneren Zukunft im Patienten manifestieren<br />

werden. Wie stellt sich die medizinische<br />

Praxis zu einem Patienten, der<br />

jetzt gesund ist, von dem sie allerdings<br />

weiß, dass er es in Zukunft mit Sicherheit<br />

nicht mehr sein wird? Ethische und anthropologische<br />

Überlegungen haben an<br />

erster Stelle berücksichtigt zu werden,<br />

vereint mit einer Reflexion auf das Offenbarungswissen<br />

hin.<br />

DER MENSCH IST NICHT<br />

HERR DES LEBENS<br />

Benedikt XVI beklagt, dass die bioethischen<br />

Entscheidungen und Handlungen<br />

immer mehr die Tendenz aufweisen,<br />

den Menschen, vor allem in den ersten<br />

Momenten seiner Existenz, als ein einfaches<br />

Objekt der Forschung zu sehen. »Es<br />

ist wichtig«, erklärte der Papst am 15.<br />

Dezember 2005, »die ethischen Fragen<br />

nicht nur aus dem Gesichtspunkt der<br />

Wissenschaften, sondern vom menschlichen<br />

Sein her zu betrachten, das absolut<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 19


A USLAND<br />

und imperativ geschützt werden muss.«<br />

Der Papst beschloss seine Ausführungen:<br />

»Ohne die Annahme dieses fundamentalen<br />

moralischen Kriteriums wird es<br />

schwierig sein, eine wirklich menschliche<br />

Gesellschaft zu schaffen, die alle Wesen,<br />

die sie bilden, ohne Unterschiede achtet.«<br />

Am 5. Februar <strong>2006</strong> wurde in Italien<br />

der achtundzwanzigste Tag für das Leben<br />

begangen. Benedikt XVI. stellte in seiner<br />

Predigt an jenem Sonntag die »Synthese<br />

der frohen Botschaft« ins Zentrum: Gott<br />

ist der Gott des Lebens, der den Menschen<br />

von jeglicher Krankheit des Leibes<br />

und des Geistes gesunden lassen will. Es<br />

sei Berufung und Mission der Kirche, der<br />

Welt zu verkünden, dass »Gott die Liebe<br />

ist, das Leben liebt, in Christus die Sünde<br />

und den Tod besiegt hat und den Menschen<br />

so aus der Sklaverei des Bösen in<br />

jeder seiner Äußerung, sei es physisch,<br />

psychisch oder geistlich, befreit hat«. Der<br />

Tag für das Leben sei so völlig auf diese<br />

frohe Botschaft abgestimmt. Der Papst<br />

erinnerte an die Mitteilung der italienischen<br />

Bischofskonferenz zum Tag für das<br />

Leben. Die Bischöfe konzentrierten sich<br />

in ihr auf die Betonung der Priorität des<br />

Achtung des Lebens, das kein zur Verfügung<br />

stehendes Gut ist: »Der Mensch ist<br />

nicht Herr des Lebens. Er ist vielmehr<br />

sein Hirt und Verwalter.« Der Papst stellte<br />

in den Vordergrund, dass diese Wahrheit<br />

»ein qualifizierender Punkt des Naturrechts«<br />

ist und im Licht der biblischen<br />

Offenbarung steht. Heute präsentiere<br />

sich diese Wahrheit jedoch als »Zeichen<br />

des Widerspruchs« zur dominierenden<br />

Mentalität.<br />

Benedikt XVI. diagnostizierte zwei<br />

miteinander in Konflikt geratene Denkhaltungen.<br />

Deren eine überantworte das<br />

Lebensrechtler der <strong>ALfA</strong> reisten zur Generalaudienz am 28.12.2005 auf dem Petersplatz nach Rom.<br />

20<br />

Leben der Befugnis des Menschen, die<br />

andere den Händen Gottes. Der Konflikt<br />

beruhe jedoch nicht auf einem grundsätzlichen<br />

Fehler der Moderne, sondern in<br />

einem ihrer Mängel. Die moderne Kultur<br />

hat, so der Papst, »berechtigterweise die<br />

Autonomie des Menschen und der irdischen<br />

Wirklichkeiten hervorgehoben und<br />

so eine dem Christentum liebe Perspektive<br />

entwickelt«. Diese Perspektive ist<br />

die der Fleischwerdung Gottes. Das tiefe<br />

Ungleichgewicht hingegen ergebe sich,<br />

wenn diese Autonomie als Unabhängigkeit<br />

von Gott konzipiert wird und die in<br />

der Schönheit der Schöpfung offenbarte<br />

Gegenwart Gottes verkannt wird. Es ist<br />

für Benedikt XVI. der religiöse Sinn, der<br />

das Verhältnis zur Wirklichkeit bestimmt<br />

und den Menschen zur Anerkennung der<br />

Achtung, des Respekts führt. »Respekt«<br />

stamme vom lateinischen Verbum respicere.<br />

Respicere bedeutet »schauen«. Respekt<br />

meint somit »ein Schauen der Dinge<br />

und der Personen, das zur Anerkennung<br />

der Konsistenz führt, dazu, sich der Dinge<br />

und der Personen nicht zu bemächtigen,<br />

GEORG SNATZKE<br />

»Die Person, nicht die Forschung<br />

oder der Profit, ist das Ziel.«<br />

sondern sie in Fürsorge zu achten«. Wenn<br />

also den Geschöpfen ihr Bezug zu Gott<br />

als dem transzendenten Fundament genommen<br />

wird, laufen sie Gefahr, zum<br />

Spielball der Willkür des Menschen und<br />

seines unvernünftigen Gebrauchs zu werden.<br />

Der Papst schloss seine Mahnung:<br />

»Ohne auf das Gute und das Schöne zu<br />

verzichten, das wir in der Modernität<br />

erworben haben, muss unsere Zugangsweise<br />

zur Wirklichkeit neu ausgeglichen<br />

werden. Es müssen jene meist unbewussten<br />

Tendenzen korrigiert werden, die<br />

uns dazu gebracht haben, den Sinn der<br />

Tiefe und des Ausmaßes des Lebens sozusagen<br />

zu verlieren«.<br />

»Das Leben kommt vor allen Institutionen:<br />

vor dem Staat, vor den Mehrheiten,<br />

vor den gesellschaftlichen und politischen<br />

Strukturen. Es geht auch den<br />

Wissenschaften und deren Errungenschaften<br />

voraus.« So die italienische Bischofskonferenz<br />

in ihrer Botschaft zum<br />

Tag des Lebens. Ohne das Leben zu achten,<br />

gibt es weder wahre Freiheit noch<br />

wahres Glück. Eine Gesellschaft, die<br />

Leben verachtende Praktiken toleriert,<br />

läuft Gefahr, den Weg zur Hoffnung auf<br />

ein Leben in der Wahrheit zu zerstören.<br />

Die Achtung des Lebens beginnt mit dem<br />

Schutz des schwächsten Lebens. Das Leben<br />

zu respektieren ist gleichbedeutend<br />

damit, die Person an die erste Stelle zu<br />

setzen. Die Person müsse die Technik<br />

beherrschen, und nicht umgekehrt: »Die<br />

Person, und nicht die Forschung oder<br />

der Profit, ist das Ziel«.<br />

Schließlich stellt sich die Frage nach<br />

dem Wesen der modernen Kultur. Um<br />

welche Kultur des Wissens und Handelns<br />

geht es? In seiner Ansprache zur Eröffnung<br />

des akademischen Jahres der Università<br />

Cattolica am 25. November 2005<br />

betonte Benedikt XVI, dass eine um die<br />

Wahrheit bemühte Wissenschaft und<br />

Forschung in der Erarbeitung von immer<br />

neuen Wegen der Forschung in einer<br />

stimulierenden Konfrontation von Glauben<br />

und Vernunft besteht. Diese Konfrontation,<br />

so der Papst, »zielt darauf ab,<br />

die von Thomas von Aquin und den anderen<br />

großen christlichen Denkern erreichte<br />

harmonische Synthese wiederzuerlangen<br />

<strong>–</strong> eine Synthese, die leider von<br />

den wichtigen Strömungen der modernen<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


Philosophie bestritten wurde.« Das Ergebnis<br />

dieser Aberkennung sei, dass als<br />

Kriterium der Vernünftigkeit in immer<br />

»Erwachsen und doch zuweilen<br />

kraftlos im Denken und Wollen.«<br />

ausschließlicherer Weise das der experimentellen<br />

Beweisbarkeit behauptet wurde.<br />

So seien die Hauptfragen des Menschen<br />

nach dem Wie des Lebens und des<br />

Sterbens aus dem Bereich der Vernunft<br />

ausgeschlossen und der Sphäre der Subjektivität<br />

überlassen worden. Am Ende<br />

verschwinde auch die Frage danach, was<br />

dem Universum seinen Ursprung gegeben<br />

hat. Die Frage nach dem Guten und dem<br />

Bösen werde durch die Frage nach der<br />

Machbarkeit ersetzt. Ein wahrer Humanismus<br />

fordert eine Synthese. Wissenschaft<br />

muss, so der Papst, »eine Wissenschaft<br />

im Horizont einer Vernünftigkeit<br />

werden, die sich von der heute dominierenden<br />

unterscheidet, indem sie einer für<br />

das Transzendente, für Gott offenen Vernunft<br />

entspricht.«<br />

VERFEHLTE ANTHROPOLOGISCHE SICHT<br />

Benedikt XVI. verbindet das Problem<br />

der Geburtenregelung, der Abtreibung<br />

und der Manipulation von Embryonen<br />

zu Fortpflanzungs- oder Forschungszwecken.<br />

Sie sind Ausdruck einer verfehlten<br />

anthropologischen Sicht des Menschen<br />

und der Leugnung seiner Gottverwiesenheit.<br />

Der relativistische Grundzusammenhang,<br />

der jedes Gesetz als Einschränkung<br />

einer nicht näher definierten und verabsolutierten<br />

Freiheit ablehnt, ist der christlichen<br />

Botschaft und der christlich orientierten<br />

Kultur entgegengesetzt. Wie<br />

bereits Kardinal Ratzinger in seinem<br />

Vortrag »Europa in der Krise der Kulturen«<br />

am 1. April 2005 in Subiaco sagte,<br />

»kann der Mensch viel tun, und er kann<br />

immer mehr tun; und wenn dieses Tunkönnen<br />

nicht sein Maß in einer moralischen<br />

Norm findet, wird es, wie wir schon<br />

sehen können, zur Macht der Zerstörung.«<br />

Für den Präfekten der Glaubenskongregation<br />

besteht »die wahre Entgegensetzung,<br />

die die Welt von heute<br />

charakterisiert, nicht in der von verschiedenen<br />

religiösen Kulturen, sondern in<br />

der radikalen Emanzipation des Menschen<br />

von Gott, das heißt von den Wurzeln<br />

des Lebens einerseits, und den großen<br />

religiösen Kulturen anderseits.« Wenn<br />

es zu einer Auseinandersetzung zwischen<br />

den Kulturen kommt, so Kardinal Ratzinger<br />

weiter, wird diese nicht religiöser<br />

Art sein, »sondern es wird um den Zusammenstoß<br />

zwischen dieser radikalen<br />

Emanzipation des Menschen und den<br />

großen historischen Kulturen sein«.<br />

Der moderne Mensch ist »erwachsen<br />

und doch zuweilen kraftlos im Denken<br />

und im Wollen« (Urbi et Orbi, Weihnachten<br />

2005). Der Papst warnt vor einer<br />

geistlichen Atrophie, vor einer »Leere<br />

des Herzens«, die trotz der Intelligenz<br />

des Menschen alles nur in einem Rahmen<br />

der Verdinglichung Bestand haben lässt.<br />

Damit spricht der Papst der Intelligenz<br />

nicht ihre vorzügliche Rolle ab, im Gegenteil.<br />

Es braucht eine neue Ordnung,<br />

die dann zu einer neuen Weltordnung<br />

wird. Der Mensch ist als vernunftbegabtes<br />

»Widerschein der<br />

göttlichen Wirklichkeit«<br />

Wesen offen für die Ganzheit des Seins<br />

und darf sich dieser Offenheit nicht verschließen.<br />

Das Paradox des Christentums<br />

kommt hier ganz zum Ausdruck: die in<br />

ihrem Wesen verborgene Gottheit ist in<br />

ihrem Sein ganz wirklich, sie befreit die<br />

ansonsten von der Materie befangene<br />

Vernunft und befähigt sie zum Glauben.<br />

So wird der Glauben zum Sinngrund des<br />

vernünftigen Handelns. Die Vernunft<br />

zelebriert die Liturgie des Glaubens. Die<br />

Liturgie des Glaubens ist die kosmische<br />

Liturgie des handelnden Schöpfergottes,<br />

des göttlichen Logos, von dem her und<br />

auf den hin alles ist. Der geistliche Kräfteschwund,<br />

die geistliche Verkrüppelung<br />

des Reichtums des Glaubens und der<br />

Vernunft ersetzen das Wesen des suchenden<br />

Menschen, der unterwegs zur Wahrheit<br />

ist, mit dem, der sich mit dem Wenigen<br />

und grausam Klaren zufrieden gibt<br />

<strong>–</strong> und so hoffnungslos wird. In der Modernität<br />

der abendländischen Kultur ist<br />

es dazu gekommen, dass der Sinn für die<br />

Tiefe und die Substanz des Lebens abhanden<br />

gekommen ist. Dieser Verlust<br />

geht in eins mit dem Verlust des religiösen<br />

Sinnes der vollen Achtung des Lebens.<br />

Das menschliche Leben ist ein Wunder.<br />

In seiner Ansprache an die Teilnehmer<br />

der Vollversammlung der Päpstlichen<br />

Akademie für das Leben vom 27. Februar<br />

<strong>2006</strong> unterstrich Benedikt XVI. die Wichtigkeit<br />

und Komplexität der epistemologischen<br />

Probleme, die »die Beziehung<br />

ARCHIV<br />

zwischen der Erhebung der Fakten auf<br />

der Ebene der experimentellen Wissenschaften<br />

und der darauf folgenden und<br />

notwendigen Wertereflexion auf anthropologischer<br />

Ebene betreffen«. Das Geheimnis<br />

des Lebens lässt erstaunen und<br />

demütig werden vor der fast unbegreiflichen<br />

Liebe Gottes. Diese Liebe macht,<br />

so der Papst, »keinen Unterschied zwischen<br />

dem Ungeborenen, das sich noch<br />

im Mutterschoß befindet, und dem Kind<br />

oder dem Jugendlichen oder dem erwachsenen<br />

oder alten Menschen«. Der Mensch<br />

ist imago Dei: »Im Menschen, in jedem<br />

Menschen, in jedem Abschnitt und in<br />

jedem Zustand seines Lebens, erstrahlt<br />

ein Widerschein der göttlichen Wirklichkeit«.<br />

Die Abbildhaftigkeit kennt<br />

keine zeitlichen Einteilungen und führt<br />

zu einem absoluten, nicht diskutierbaren<br />

moralischen Urteil. Dieses Urteil gilt<br />

»bereits zu Beginn des Lebens eines Embryos,<br />

noch vor seiner Einnistung im<br />

mütterlichen Schoß, in dem er neun Monate<br />

lang, bis zu seiner Geburt, behütet<br />

und ernährt werden wird«. Wer die Wahrheit<br />

liebt, muss anerkennen, dass ȟber<br />

die Grenzen der experimentellen Methode<br />

hinaus, an der Grenze des Reiches,<br />

das einige als Meta-Analyse bezeichnen,<br />

dort wo weder die rein sinnliche Wahrnehmung<br />

noch die wissenschaftliche<br />

Überprüfung mehr ausreichen oder möglich<br />

sind, das Abenteuer der Transzendenz,<br />

das Bemühen des ›Darüber-<br />

Hinausgehens‹ beginnt«.<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. phil. Armin Schwibach<br />

Geboren 1964 in Pfarrkirchen (Bayern).<br />

Studium der Philosophie und Theologie<br />

in Rom (Päpstliche<br />

Universität Gregoriana,<br />

Päpstliche<br />

Universität Lateranense).<br />

Seit 1989<br />

tätig in Rom an<br />

verschiedenen<br />

Päpstlichen Universitäten als Professor<br />

für systematische Philosophie (Epistemologie,<br />

Metaphysik, Naturphilosophie,<br />

Wissenschaftstheorie, Bioethik). Forschungsaufenthalte<br />

in Münster und Trient.<br />

Gastdozenturen in Deutschland,<br />

Österreich und den Niederlanden. Vatikan-Korrespondent<br />

der überregionalen<br />

katholischen Tageszeitung »Die Tagespost«.Mitarbeiter<br />

für die deutsche Sektion<br />

der katholischen Nachrichtenagentur<br />

»ZENIT <strong>–</strong> die Welt von Rom aus<br />

gesehen«.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 21


GESELLSCHAFT<br />

»Ich trieb vor zehn Jahren ab. Ich war ziemlich jung, war alleine,<br />

hatte niemanden, auf den ich mich stützen konnte. Ich hatte Angst<br />

und da du dies angeboten bekommst, ziehst du es in Erwägung.«<br />

<strong>LebensForum</strong> dokumentiert das bewegende Interview, das Esperanza<br />

Puente Moreno, Sprecherin der Vereinigung der Opfer der Abtreibung,<br />

im vergangenen Jahr der spanischen Zeitschrift »ALBA« gab.<br />

Ich bin Sprecherin der Opfer der<br />

Abtreibung weil ich selbst ein Opfer<br />

bin. Ich wurde niemals über die<br />

psychischen Folgen der Abtreibung<br />

informiert«. Das ist der Anfang der Zeugenaussage<br />

von Esperanza Puente, die<br />

ALBA über die schlimmste Erfahrung<br />

ihres Lebens erzählt, nämlich über die<br />

Abtreibung ihres zweiten Kindes vor zehn<br />

Jahren. Sie erzählt es, damit andere Frauen<br />

nicht denselben Fehler begehen. Es ist<br />

ein schmerzhaftes und unangenehmes<br />

Zeugnis, aber, wie es auch nicht anders<br />

sein kann, ist es voller Hoffnung für viele<br />

Frauen und deren Kinder.<br />

DIE SITUATION<br />

22<br />

»Du bist nie wieder<br />

dieselbe«<br />

Von Jesús G. Sánchez-Colomer<br />

»Ich werde dir erklären, warum ich<br />

ein Opfer bin. Ich war jung und alleine,<br />

und hatte niemanden, an den ich mich<br />

wenden konnte. Du hast ein wichtiges<br />

Problem, bist alleine, voller Angst, und<br />

da sie dir diese Möglichkeit anbieten,<br />

fängst du an, die Abtreibung in Erwägung<br />

zu ziehen. Die Zeit drängt Tag für Tag<br />

und du bist weiterhin alleine. Also rief<br />

ich die Dator-Klinik an. Ich war im dritten<br />

Monat schwanger und sie gaben mir<br />

gleich für den nächsten Tag einen Termin,<br />

als würde es drängen, was auch normal<br />

ist, denn je mehr Zeit du zum Nachdenken,<br />

zum Überlegen hast, desto unschicklicher<br />

für sie.« Nichtsdestotrotz führen<br />

die Abtreiber ein prächtiges Leben auf<br />

Kosten des Dramas dieser Frauen.<br />

»Am nächsten Tag fuhr ich in die Klinik.<br />

Es ist eigenartig, denn du willst nicht<br />

hin, aber die Einsamkeit führt dich doch<br />

dort hin, es bleibt dir nichts anderes übrig,<br />

es ist das Einzige das du angeboten bekommst.<br />

Ich erwartete etwas Auskunft,<br />

doch in der Dator Klinik befand ich mich<br />

in einer fast unwirklichen Lage. Dort gab<br />

es nirgendwo nette Blicke, nur viel Kälte.<br />

Die Menschen waren kalt, die Stimmung<br />

ebenso. Kein einziges Lächeln.«<br />

ICH WILL NICHT!<br />

Esperanza versichert, dass ihr Gedächtnis,<br />

sogar nach so langer Zeit, »viele Erinnerungen<br />

aufbewahrt«, die man meint<br />

später zu vergessen; »bedrückend«, aber<br />

»dein natürliches und menschliches Gewissen<br />

erklärt dir, dass das, was du getan<br />

hast, falsch war. Es ist da und aus einem<br />

unbestimmten Grund wird es dir plötzlich<br />

bewusst«. Nun beginnt der größte psychische<br />

Schmerz, dem sich eine Frau dann<br />

unterziehen muss: das Post-Abortion-<br />

Syndrom, nämlich den unnatürlichen Tod<br />

des Kindes im eigenen Mutterleib zu<br />

akzeptieren. »Du brauchst dazu nicht<br />

gläubig oder ähnliches zu sein. Es gibt<br />

kein Zurück für das, was du getan hast,<br />

das für immer in dir latent steckt, aber<br />

dir irgendwann plötzlich bewusst wird.<br />

Du hast es getan und es kann nicht mehr<br />

gut gemacht werden und das ist etwas,<br />

das man dir nirgends erzählt. Deshalb<br />

bin ich ein Opfer.«<br />

Esperanza hat in den letzten Monaten<br />

diese Geschichte mehrmals erzählt und<br />

trotzdem muss sie immer neu Mut fassen,<br />

um das Erlebte erzählen zu können, denn<br />

sie hofft damit vielen Frauen zu helfen,<br />

deren härtester Teil in der ersten Untersuchung<br />

beginnt. »Der Arzt spricht mit<br />

dir überhaupt kein Wort. Zur selben Zeit,<br />

zu der er dich untersucht, siehst du natürlich<br />

das Ultraschallbild nicht. Er überprüft<br />

bestimmte Dinge und sie schicken<br />

dich zurück ins Wartezimmer. Du schaust<br />

dir die Gesichter an. Ich kann mich daran<br />

erinnern, dass die jüngsten Frauen leise<br />

weinten (ohne jeglichen Lärm). Niemand<br />

sagte etwas und es herrschte Stille, als du<br />

innerlich laut vor dich hinschreist: Ich<br />

will nicht! Aber es sind ertränkte Schreie,<br />

die nicht einmal derjenige, der neben dir<br />

sitzt, hören kann, nur du kannst sie hören.<br />

Dann empfängt dich der Psychologe und<br />

du wartest, dass er dir was sagt, aber das<br />

tut er nicht. Du möchtest, dass er sagt,<br />

du sollst es nicht tun. Aber ganz im Gegenteil<br />

erzählen sie dir, dass nichts passieren<br />

wird, dass es etwas sehr Einfaches<br />

ist und wenn du fertig bist, fährst du wieder<br />

heim, als wäre nichts gewesen. Aber<br />

die Wirklichkeit fängt dich später ein.<br />

Die Sache ist die, dass dich der Psychologe<br />

ganz und gar verwirrt, denn du erwartest<br />

eine minimale Erklärung, aber er gibt dir<br />

keine«.<br />

Esperanza zeigt sich heute, zehn Jahre<br />

danach, immer noch überrascht, als sie<br />

die Behandlung durch den Psychologen<br />

schildert, der nur darauf aus war, dass sie<br />

in den OP geht, um dann zur Kasse gebeten<br />

werden zu können, ohne dass ihm<br />

irgend etwas an dem Zustand der Frau<br />

oder an den psychischen Folgen der Opfer<br />

lag. Er hatte schließlich eine Frau vor<br />

sich, die sich unter so viel Druck einer<br />

so harten Entscheidung gegenüber sah!<br />

DANACH VERGESSEN SIE DICH<br />

»Er fragt dich, wie es dir geht und<br />

sagt, dass eine Antwort überflüssig ist,<br />

man sehe es an deinem Gesicht, und dass<br />

du die Zustimmung nach erfolgter und<br />

sachgerechter Beratung unterschreiben<br />

sollst. An dieses Dokument sind die Ärzte<br />

jedesmal, wenn sich eine Person einer<br />

Operation unterzieht, gesetzlich gebunden.<br />

Die Überwachung und Wichtigkeit<br />

des Dokumentes ist sehr groß, denn aus<br />

ihm ergibt sich, ob jemand mit dem ärztlichen<br />

Eingriff einverstanden ist oder<br />

nicht, in Anbetracht der daraus sich ableitenden<br />

möglichen Folgen. Dazu muss<br />

die ärztliche Auskunft besonders transparent<br />

und vollständig sein, was in den<br />

Abtreibungsräumen nicht der Fall ist, da<br />

sie dir nichts über mögliche psychische<br />

Folgen erzählen. Im Gegenteil, man geht<br />

davon aus, dass du abtreiben willst, dass<br />

du danach unter keinen negativen Folgen<br />

leiden wirst. Sie machen sich darüber gar<br />

keine Sorgen <strong>–</strong> und das ist Tatsache! Im<br />

schriftlichen Dokument, das sie dir geben,<br />

steht nichts über die psychischen Folgen<br />

oder möglichen Traumata, die dadurch<br />

entstehen könnten, es wird dies nicht<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


einmal als Möglichkeit erwähnt. Sie sagen<br />

dir, dass nichts passieren wird, dass es<br />

schnell geht und dass, sobald es vorbei<br />

ist, du nach Hause kannst als wäre nichts<br />

geschehen. In dem Moment fühlst du<br />

dich komplett abwesend, alleingelassen.<br />

Du bist kein Mensch. Niemand fragt,<br />

warum es für dich ein Problem sein könnte,<br />

die Schwangerschaft bis zu ihrem Ende<br />

auszuführen; der angeblich legale Grund<br />

deiner Abtreibung. Du bekommst weniger<br />

Auskunft als beim Zahnarzt. Sie tun es<br />

und vergessen dich dann. Schau selbst<br />

wie du zurecht kommst.«<br />

DANIEL RENNEN<br />

DER EINGRIFF<br />

Nicht wenige Frauen stürzen nach einer Abtreibung beim bloßen Anblick von Kindern in eine schwere Krise.<br />

»Nachdem du mit dem Psychologen<br />

gesprochen hast, kehrst du ins Wartezimmer<br />

zurück. Du bist orientierungslos.<br />

Kurz danach wirst du wieder aufgerufen.<br />

Du sollst dich ausziehen, ohne jegliche<br />

Scham. Du bekommst weder ein Nachthemd<br />

noch sonst etwas und du läufst<br />

nackt bis zur Tragbahre. Sobald du dich<br />

genauso hingelegt hast als würdest du<br />

entbinden, betritt der Arzt den Raum.<br />

Ich kann mich erinnern, dass, nachdem<br />

er mir eine örtliche Betäubung spritzte,<br />

er mir drohte, ich möge mich beruhigen,<br />

sonst würde es bis zum nächsten Tag<br />

dauern und es würde schmerzhafter werden.<br />

Er führte den Eingriff durch. Es<br />

ging schnell und war sehr lästig. Ich schaute<br />

auf die Decke hinauf und schrie ohne<br />

zu schreien: ›Hören Sie doch auf!‹ Ich<br />

wollte wegrennen, du kannst aber nicht.<br />

Zu akzeptieren, was geschieht, ist ebenso<br />

hart, wie die Art und Weise, wie es geschieht.<br />

In der Zwischenzeit unterhielten<br />

sich die Krankenschwestern untereinander.<br />

Sie interessierten sich nicht für dich«.<br />

Als Esperanza diese Episode schildert,<br />

kann sie ihre Tränen nicht weiter unterdrücken<br />

und kann kaum vom Schlimmsten<br />

der Abtreibung erzählen: die Reste<br />

ihres Kindes in einem Behälter gesehen<br />

zu haben: »Sie werfen sie in einen Glasbehälter<br />

rein und stellen ihn abseits irgendwo<br />

hin. Du siehst es. Es fällt auf,<br />

dass sie dich vor der Abtreibung kein<br />

Ultraschallbild sehen lassen, damit du<br />

keine Reue empfindest, aber sobald du<br />

auf der Tragbahre liegst, ist es ihnen<br />

gleichgültig. Sie stellen den Behälter<br />

abseits, du siehst es. Wenn du im dritten<br />

Monat schwanger warst, siehst du nicht<br />

bloß Flüssigkeit. Ich sah Fleischteile.<br />

Danach nahm eine Krankenschwester<br />

den Behälter mit. In diesem Moment ist<br />

es so, als würde man dir mit ihm dein<br />

Leben wegreißen. Du fühlst es hier<br />

drinnen«, sagt Esperanza, sich dabei auf<br />

die Brust klopfend, »dein Leben verschwindet<br />

hinter dem Behälter und du<br />

bist nie wieder dieselbe. Sie haben dir<br />

mit Stumpf und Stiel deine Persönlichkeit<br />

weggerissen, dein Leben, deine Integrität.<br />

Du fühlst wie es von innen nach außen<br />

drängt. Und sie tragen den Behälter fort<br />

genauso, wie man es mit einem Sack Kartoffeln<br />

tun würde. Dieses Bild verschwindet<br />

nie im Leben aus deinem Sinn«. Esperanza<br />

führt ihre Zeugenaussage fort,<br />

ohne eine Pause einzulegen, denn wenn<br />

sie es täte, würde sie zusammenbrechen.<br />

Sie hat das Ganze so oft in ihrem Gedächtnis<br />

durchgespielt, dass sie es schier auswendig<br />

kann. »Du ziehst dich an wie du<br />

kannst, niemand hilft dir und du wirst in<br />

ein anderes Zimmer geführt, denn du<br />

darfst von den Frauen, die im Wartezimmer<br />

sind, nicht in dem Zustand gesehen<br />

werden. Letztlich erscheint eine Krankenschwester,<br />

sie fragt dich, ob es dir<br />

schwindlig ist und wenn du »nein« sagst,<br />

antwortet sie: »Na also, dann kannst du<br />

schon heimgehen«.<br />

AUF DER STRASSE<br />

»Du gehst raus um Luft zu schnappen,<br />

aber etwas ist drinnen geblieben, etwas<br />

fehlt dir und die Welt stürzt in sich ein.<br />

Ich weiß nicht mehr wie ich nach Hause<br />

kam. Es war Freitag und ich lag drei Tage<br />

bekleidet im Bett. Ich stand nicht einmal<br />

zum Essen oder um ins Bad zu gehen auf.<br />

Aber dann war es Montag. Also stehst du<br />

auf, ziehst dich an und fährst auf die<br />

Arbeit. Als ob nichts geschehen wäre. Du<br />

bist nicht mehr dieselbe, aber die Leute<br />

wissen es nicht. Es ist unmöglich, so etwas<br />

zu ertragen«. Über das Post-Abortion-<br />

Syndrom deutet Esperanza als Bestimmungsfaktor<br />

an, sich »nicht verzeihen zu<br />

können«. »Die Frauen, mit denen ich<br />

gesprochen habe, leiden unter allem möglichen.<br />

Manche sehen ein vierjähriges<br />

Kind, das Alter, das ihr Kind hätte, und<br />

fangen an zu weinen. Es ist etwas, das<br />

plötzlich aufkommt, nach fünf oder 20<br />

Jahren, aufgrund eines Fernsehprogramms<br />

oder aufgrund von etwas, das dir<br />

die Nachbarin erzählt. Es ist da und plötzlich<br />

kommt es auf.«<br />

MANIPULIERUNG<br />

»Die Ärzte, die für den Staat arbeiten,<br />

bieten keine Hilfe an, der Staat informiert<br />

nicht, die Medien manipulieren. Sie reichen<br />

dir die Botschaft weiter, dass Abtreiben<br />

Freiheit ist, dass nichts passiert. Deshalb<br />

kannst du deinen Fall nicht erzählen,<br />

weil sie dich so behandeln, als wärest du<br />

eine seltsame Person. Sie fällen ein Urteil<br />

über dich. Doch die Medien sollten informieren.<br />

Warum wird die Durchführung<br />

einer Abtreibung im Fernsehen nicht<br />

gezeigt? Wir sehen Bilder aller Art, nur<br />

nie eine Abtreibung. Niemand sagt, was<br />

da passiert. Sie sprechen über die Abtreibung<br />

als ob es nichts wäre, als ob es etwas<br />

Normales wäre und das ist falsch; was der<br />

Staat und die Medien über Abtreibung<br />

erzählen sind Lügen. Bitte, fangen Sie an<br />

die Wahrheit auszusprechen! Nennen Sie<br />

die Dinge bei ihren Namen!« Esperanza<br />

ist mit ihrer Aussage über das, was ihr<br />

bereits vor zehn Jahren zugestoßen ist,<br />

zu Ende. In dieser Zeit hat sie ärztliche<br />

Hilfe beantragt, aber niemand hat ihr<br />

geholfen, außer der Vereinigung Opfer<br />

der Abtreibung, deren Sprecherin sie<br />

heute ist. Das behauptet ein Opfer, das<br />

den Mut gefunden hat, über etwas zu<br />

erzählen, worüber die meisten kein Wort<br />

verlieren: die Abtreibung ist etwas Böses,<br />

vielleicht das größte Übel.<br />

Übersetzung ins Deutsche: Christina Negro<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 23


GESELLSCHAFT<br />

Ärzte appellieren<br />

an die Politik<br />

Die »Ärzte für das Leben« e.V. haben sich in die Debatte um die<br />

Beratung der Politik in Fragen der Bioethik eingeschaltet, und in<br />

einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundestagspräsident<br />

Norbert Lammert sowie die Abgeordneten des Deutschen Bundestags<br />

die Wiedereinsetzung einer Enquetekommission gefordert.<br />

<strong>LebensForum</strong> dokumentiert den Appell im Wortlaut.<br />

Ungereimtheiten<br />

Seit dem 1. Januar <strong>2006</strong> gilt in Rheinland-Pfalz<br />

eine neue ärztliche Berufsordnung. Darin heißt<br />

es in § 14, Abs. 2: »Ärztinnen und Ärzte, die einen<br />

Schwangerschaftsabbruch durchführen oder<br />

eine Fehlgeburt betreuen, haben dafür Sorge zu<br />

tragen, dass die tote Leibesfrucht keiner missbräuchlichen<br />

Verwendung zugeführt wird.« § 15<br />

Abs. 1 erklärt dagegen, dass »vor der Durchführung<br />

gesetzlich zugelassener Forschung (...) mit<br />

lebendem embryonalen Gewebe« eine Beratung<br />

»bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz<br />

gebildeten Ethikkommission« zu erfolgen habe.<br />

Was »Missbrauch« ist, definiert demnach offensichtlich<br />

die lokale Ethikkommission. mog<br />

Auszug aus der »Berufsordnung für die<br />

Ärztinnen und Ärzte in Rheinland-Pfalz«:<br />

22. Januar <strong>2006</strong><br />

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,<br />

24<br />

die gesellschaftlich bedeutungsvolle<br />

Tätigkeit der Enquetekommissionen über<br />

Ethik und Recht der modernen Medizin<br />

des 14. und 15. Deutschen Bundestags<br />

wurde aufgrund des Regierungswechsels<br />

nicht weitergeführt, obwohl einzelne<br />

Thematiken nicht abschließend bearbeitet<br />

werden konnten. Inzwischen stehen weitere<br />

ethisch brisante Themen an wie die<br />

Notwendigkeit einer erweiterten Palliativmedizin,<br />

die Reichweite<br />

der Patientenverfügung,<br />

die Kosten-<br />

Verteilung im Gesundheitswesen<br />

im Geist<br />

von Gerechtigkeit und<br />

Solidarität.<br />

Vor allem die sich<br />

stets erweiternden Möglichkeiten<br />

der Stammzell-Forschung<br />

und<br />

Gentechnologie (Chimären-/Hybridbildung)<br />

eröffnen ethische Fragen,<br />

und die in einigen<br />

Ländern (z.B. Rheinland-Pfalz)<br />

angestrebten<br />

bedenklichen Erweiterungen<br />

innerhalb der Reproduktionstechnologie,<br />

einschließlich eventueller<br />

Änderungen im Embryonenschutzgesetz<br />

verlangen nach parlamentarischer<br />

Offenlegung und Diskussion. Über gesetzgeberischen<br />

Handlungsbedarf sollte<br />

nicht ein von der Regierung vorgefertigter<br />

Plan entscheiden, sondern eine innerparlamentarische<br />

Debatte.<br />

Ärzte-für-das-Leben e.V. wehren sich<br />

aufgrund der Erfahrungen aus dem Dritten<br />

Reich gegen eine erneute berufliche<br />

Instrumentalisierung bei der vorgeburtlichen<br />

Diagnostik im Sinne eugenischer<br />

Selektion ebenso wie im Umgang mit<br />

Komatösen, Wachkomapatienten,<br />

Schwerstbehinderten und dement gewordenen<br />

Menschen. Wir sind dem Wohl<br />

des einzelnen Menschen gegenüber verpflichtet<br />

und sind überzeugt, auf diese<br />

dem hippokratischen Eid entsprechende<br />

Weise auch Staat und Gesellschaft am<br />

besten zu dienen.<br />

Aus den aufgezeigten Gründen bitten<br />

wir Sie dringend, sich für die Wiedereinsetzung<br />

einer Enquetekommission<br />

zur<br />

Fertigstellung der<br />

noch nicht abgeschlossenen<br />

Arbeiten<br />

zu entscheiden und<br />

längerfristig nach einer<br />

Form ständiger<br />

ethischer Beratung<br />

des Parlaments zu<br />

suchen. Die Problemfelder<br />

auf dem Gebiet<br />

der Bioethik werden<br />

zunehmend breiter<br />

und diffiziler und die<br />

Forschungsvorhaben<br />

immer progressiver.<br />

Engagieren Sie sich<br />

bitte für eine Forschung für den Menschen,<br />

die seinem im Grundgesetz verankerten<br />

Lebensrecht und der Unantastbarkeit<br />

seiner Würde in allen Lebensphasen<br />

gerecht wird.<br />

Mit freundlichem Gruß<br />

Im Auftrag des Vorstandes<br />

Dr. med. Dr. theol. h.c.<br />

Maria Overdick-Gulden<br />

III.<br />

Besondere medizinische Verfahren und<br />

Forschung<br />

§ 14 Erhaltung des ungeborenen Lebens und<br />

Schwangerschaftsabbruch<br />

(1) Ärztinnen und Ärzte sind grundsätzlich verpflichtet,<br />

das ungeborene Leben zu erhalten.<br />

Der Schwangerschaftsabbruch unterliegt den<br />

gesetzlichen Bestimmungen. Ärztinnen und Ärzte<br />

können nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch<br />

vorzunehmen oder ihn zu<br />

unterlassen.<br />

(2) Ärztinnen und Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch<br />

durchführen oder eine Fehlgeburt<br />

betreuen, haben dafür Sorge zu tragen, dass die<br />

tote Leibesfrucht keiner missbräuchlichen Verwendung<br />

zugeführt wird.<br />

§ 15<br />

(1) Ärztinnen und Ärzte müssen sich vor der<br />

Durchführung biomedizinischer Forschung am<br />

Menschen <strong>–</strong> ausgenommen bei ausschließlich<br />

epidemiologischen Forschungsvorhaben <strong>–</strong> durch<br />

eine bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz<br />

gebildeten Ethik-Kommission über die mit ihrem<br />

Vorhaben verbundenen berufsethischen und berufsrechtlichen<br />

Fragen beraten lassen. Dasselbe<br />

gilt vor der Durchführung gesetzlich zugelassener<br />

Forschung mit vitalen menschlichen Gameten<br />

und lebendem embryonalen Gewebe.<br />

INFO<br />

»Ärzte für das Leben e.V. treten ein<br />

für die Würde des Menschen von der<br />

Empfängnis bis zum natürlichen Tod,<br />

widersetzen sich dem Embryonenverbrauch,<br />

der derzeitigen Abtreibungsregelung,<br />

der aktiven Euthanasie, dem<br />

Lebenserhalt um jeden Preis.«<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


ESSAY<br />

Menschenwürde <strong>–</strong><br />

philosophisch neu definiert?<br />

Die Würde des Menschen ist ein Absolutum, das keiner Abwägung zugänglich ist. Menschenwürde<br />

bemisst sich nicht nach Gramm. Der Mensch wird nicht geboren, um Mensch zu werden, er ist gezeugt<br />

als Träger seiner Würde.<br />

Von Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Wer ist ein Philosoph? Ein<br />

»Freund der Weisheit«, ein<br />

solcher, der nach der Lebens-,Welt-<br />

und Gottes-Weisheit strebt,<br />

waren sich Sokrates und Plato einig. In<br />

ihrer Nachfolge hatten Aristoteles und<br />

die Stoiker für den Philosophen beansprucht,<br />

die Weisheit bereits erreicht zu<br />

haben. In jenen Jahrhunderten war das<br />

Sachwissen überschaubar, alles Wissen<br />

galt als Einheit, und wenn man über den<br />

Menschen philosophierte, wurde dieser<br />

im allgemeinen als erwachsen, männlich,<br />

frei und nicht ernsthaft behindert gedacht.<br />

Nun sind 2300 Jahre nach Sokrates und<br />

seiner geistigen Hebammenkunst und<br />

zwei Jahrtausende nach dem Galaterbrief<br />

(3,28) des Paulus von Tarsus vergangen,<br />

der die in Christus vereinten Gläubigen<br />

alle, »Juden und Griechen, Sklaven und<br />

Freie, Mann und Frau« als gleich berechtigte<br />

»Erben der Verheißung« ansprach.<br />

Es liegen nur etwa 300 Jahre nach der<br />

Die Krankheit in die<br />

Kulturschale holen.<br />

Aufklärung mit ihrer reich dokumentierten<br />

Erkenntnis von der wesentlichen<br />

Gleichheit und Geschwisterlichkeit aller<br />

Menschen zurück. Zugegeben, es hat<br />

lange gedauert, bis man jeden Nächsten<br />

auch im säkularen Bereich als das wirkliche<br />

Du anerkannte: erst mit dem Preußischen<br />

Allgemeinen Landrecht von 1794<br />

setzte sich die strikte Auffassung durch,<br />

das ungeborene Kind von der Zeugung<br />

an als schutzwürdigen Menschen zu achten!<br />

Der Philosoph Otfried Höffe wendet<br />

sich derzeit gegen gewisse »Verkürzungen<br />

unserer Bürgerrolle und<br />

klagt (...) deren drei Dimensionen,<br />

den Wirtschaftsbürger,<br />

den<br />

Staatsbürger und den<br />

Weltbürger« ein. Auch<br />

in Bezug auf den Embryo<br />

habe man mittels<br />

der »immer noch gültigen<br />

und sich bewährenden<br />

Begriffe wie<br />

Person, Menschenrechte,<br />

Menschenwürde<br />

die neuen Probleme zu<br />

begreifen«, und dabei<br />

sei besonders Kants<br />

eigenständiges philosophisches<br />

Potential<br />

auszuschöpfen. Der Königsberger<br />

Philosoph<br />

hatte (1785) den Menschenembryo<br />

als »Weltbürger«<br />

erkannt - und<br />

den Menschen als<br />

»Zweck an sich selbst«.<br />

Nach allem aber, was<br />

im letzten Jahrzehnt aus<br />

dem »Wissen der<br />

Weisheit« über den<br />

Menschen und seine<br />

unantastbare Würde als<br />

»neu« behauptet wird,<br />

muss man schließen,<br />

dass nicht allein die<br />

progressive und sich der Antike Büste des Philosophen Plato<br />

Metaphysik methodisch<br />

verschließende Naturwissenschaft beim Menschen <strong>–</strong> wieder verloren hat. Wenn<br />

versuchten Fern-Blick über das eigene auch für ihn nur der Nutzen, der<br />

Fachgebiet hinaus das Bild vom Menschen »therapeutische Erfolg«, also allein fremde<br />

Zwecke gelten, dann sollte man den<br />

verkürzt und den Menschen in seinen<br />

»unscheinbaren« Anfängen und manipulierbaren<br />

Schwächestadien »übersehen« kratische Selbstbescheidung erinnern.<br />

solcherart Selbst-Vergessenen an die so-<br />

will. Fatal ist, dass auch so mancher Weisheitslehrer<br />

den Stein der Weisen <strong>–</strong> die Philosoph Volker Gerhardt im Lesezirkel<br />

Im Mai 2005 hat sich der Berliner<br />

Einsicht von der gleichen Würde aller der Süddeutschen Zeitung »Wissen« ge-<br />

ARCHIV<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 25


ESSAY<br />

ARCHIV<br />

meldet, um seine Leser über Menschenwürde<br />

zu belehren. Zu der an ihn gestellten<br />

Frage: »Verändert Fortschritt die<br />

Menschenwürde?« schreibt er: »Zur<br />

Würde gehören Selbstachtung und damit<br />

Verantwortung«. Eine Offenbarung ist<br />

das nicht, wir kennen diese These vom<br />

früheren Kulturstaatsminister Nida-<br />

Rümelin, der unlängst einen »rationalen<br />

Risikodiskurs« zum Embryonenverbrauch<br />

<strong>–</strong> angesiedelt zwischen Wissenschaftseuphorie<br />

und der Apokalyptik von Maschinenstürmern<br />

<strong>–</strong> anmahnte. So geäußert<br />

haben sich auch Professor Norbert Hoerster<br />

und natürlich klipp und klar der<br />

Australier Peter Singer, der ein erwachsenes<br />

Schwein für »würdiger« hält als ein<br />

kleines Menschenkind, vom Ungeborenen<br />

ganz zu schweigen.<br />

Doch geht es Volker Gerhardt überhaupt<br />

um die Menschenwürde, auf der<br />

unser Grundgesetz basiert? Für Gerhardt<br />

stehen sichtlich die »Würde« und eine<br />

gewisse »Unantastbarkeit« der Wissenschaft<br />

auf dem Spiel. Darüber soll man<br />

bei soviel Bastelplänen in der Tat nachdenken:<br />

da stehen die als Präimplantationsdiagnostik<br />

(PID) getarnte Präimplantationsselektion,<br />

das Forschungsklonen<br />

»Menschenleben für den<br />

Altar der Forschung«<br />

am Menschen, die Chimärenbildung und<br />

Hybridisierung und der tötende Embryonenverbrauch<br />

im Wissenschaftsraum! Mit<br />

dem geklonten oder im Reagenzglas selektiert-verworfenen<br />

Embryo lässt sich<br />

»die Krankheit in die Kulturschale holen«,<br />

meinte jüngst ein durch das südkoreanische<br />

Pseudowunder von Herrn<br />

Hwang geblendeter Molekularbiologe.<br />

Er fragt nicht nach dem Wesen des Menschenkeimlings,<br />

sondern schätzt ihn als<br />

begehrtes Forschungsmaterial und untergräbt<br />

wie selbstverständlich dessen Würde<br />

als Mitmensch. Hier setzt Volker Gerhardt<br />

an: »Müssen wir womöglich« anhand<br />

des wissenschaftlichen Fortschritts<br />

»ethische Standards wie die Unantastbarkeit<br />

der Menschenwürde überprüfen, um<br />

den Fortschritt nicht zu behindern?« Da<br />

Wissenschaft zur Elementarbedingung<br />

der menschlichen Zivilisation geworden<br />

sei, könne man sich dem Sog nach weiterer<br />

Vermehrung des Wissens nicht entziehen.<br />

Wer dabei »mit Bestimmtheit<br />

handeln und forschen will, muss der Erkenntnis<br />

einen festen Ausgangspunkt und<br />

26<br />

ein Ziel setzen, das ihm<br />

Gewissheit gibt«, selbst<br />

wenn »sicheres Wissen<br />

über Ursachen und Folgen<br />

fehlt«. Der »feste<br />

Ausgangspunkt« »ohne<br />

sicheres Wissen« bedeutet<br />

ihm offenbar das<br />

Ja zur verbrauchenden<br />

Embryonentötung. Das<br />

»Ziel« der Erkenntnis,<br />

»das Gewissheit gibt«,<br />

wäre für den Berliner<br />

Philosophen der Forschungserfolg.<br />

Dazu<br />

aber wäre der 1991<br />

überparteilich beschlossene<br />

und gesetzlich<br />

vereinbarte Embryonenschutz<br />

öffentlich<br />

und rechtlich zu<br />

kippen. Nicht eben zufällig<br />

möchte auch der<br />

liberale Entwurf der<br />

Bioethikkommission<br />

aus Rheinland-Pfalz das<br />

Stammzellgesetz dem<br />

»Stand der Wissenschaft<br />

anpassen« und<br />

darüber hinaus zur Erfolgssteigerung<br />

der Reproduktionsmedizin<br />

eine »Überzahl« von Embryonen<br />

produzieren mit dem kaum verhüllten<br />

Nebeneffekt gesteigerter Materialgewinnung<br />

für hochwertige Forschungsziele:<br />

mit der Einführung der PID und der<br />

Entschränkung der Zahl übertragener<br />

Embryonen würde solcher Fortschritt<br />

nicht mehr »behindert«. Es bliebe viel<br />

Menschenleben für den Altar der Forschung<br />

übrig!<br />

Huldigt diese Philosophenspekulation<br />

im faszinierenden »Sog nach weiterem<br />

Wissen« nicht an sich schon einem unkritischen<br />

Optimismus? Oder übersieht<br />

sie die ganz »gezielten« Arsenale präzisierter<br />

Waffen, Bomben oder raffinierte<br />

Folter-Techniken gar bewusst? Auch dieser<br />

technische Progress basiert auf differenziertem<br />

Wissen und einem verwegenen<br />

»festen Ausgangspunkt«, nämlich<br />

dem von Sicherheitsinteresse, Angriffsoder<br />

Abwehrstrategie. Auch die marxistische<br />

Utopie benutzte technisches Können<br />

und erfand den Gulag für den Systemfeind<br />

wie Hitlers Rassenideologie den Holocaust,<br />

um ihn technisch-wissenschaftlich<br />

so zu perfektionieren, dass auch noch das<br />

Zahngold der Opfer für die Siege des<br />

»arischen Übermenschen« zu verwerten<br />

war! Heute wird der »Sog« nach Sachwissen<br />

derart verklärt, als gäbe es weder<br />

Schuld noch Sünde auf Erden, nur noch<br />

das »Bewusstsein vom eigenen Handeln«<br />

Antike Büste des Philosophen Sokrates<br />

»Hat unser Leben nicht<br />

in kleiner Zelle begonnen?«<br />

und »feste Standpunkte« als Voraussetzung<br />

angeblicher Menschenwürde. Und<br />

so fährt Gerhardt fort: »wer nicht weiß,<br />

wer er ist, wo er sich befindet und woher<br />

er kommt, kann sich nicht orientieren«.<br />

Das stimmt! Aber: kommen wir nicht alle<br />

von unseren Eltern, haben wir nicht alle<br />

menschliche Ahnen in einer ganzen Reihe?<br />

Hat unser aller Leben nicht in kleiner<br />

Zelle begonnen? Mit dem »Ziel«, uns<br />

lebenslänglich danach zu fragen, wohin<br />

wir unterwegs sind und wer wir eigentlich<br />

sind? Dieses fragend-strebende Menschsein<br />

beginnt mit den ersten Lebensäußerungen<br />

der Zygote.<br />

Wenn Gerhardt seinerseits »Tugend«,<br />

abgeleitet vom lateinischen »virtus«, wieder<br />

auf »Tüchtigkeit« reduziert und<br />

diese zum »Fundament der Würde« erklärt<br />

und dabei an die »humanitas« der<br />

alten Römer erinnert <strong>–</strong> wo der Familienvater<br />

noch über das Weiterleben seines<br />

Kindes frei befand, behinderte Kinder<br />

straflos ausgesetzt oder direkt getötet<br />

wurden und wo es trotz aller »Tüch-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


tigkeiten« ein unüberschaubares Elend<br />

von Sklaven gab - , dann braucht er offenbar<br />

Sehhilfe für unsere Geschichte.<br />

Dann ist die Aufklärung mit ihren bereits<br />

biblisch grundgelegten Idealen an ihm<br />

vorbeigegangen oder sie wird zugunsten<br />

des Fortschritts wieder verdrängt: die<br />

Gleichheit, Freiheit, Geschwisterlichkeit<br />

aller Menschenkinder. Oder ruft er eine<br />

Art napoleonische Episode zurück, in der<br />

die abgeschaffte Sklaverei aus dem »Diktat<br />

der Stunde« für einige Jahrzehnte wieder<br />

ihre Opfer forderte?<br />

Volker Gerhardt will beruhigen: wer<br />

mit der erlangten »Freiheit« und »Selbstständigkeit«,<br />

so handeln kann, dass er<br />

»sich den drohenden Versuchen... seine<br />

Würde anzutasten«, widersetzt, der könne<br />

doch in Gelassenheit leben. Mit anderen<br />

Worten, wer sich wehren kann, braucht<br />

nicht um seine Würde zu fürchten. Aber<br />

Hwang Woo Suk (links)<br />

was hilft solche Gelassenheit des »Würdenträgers«,<br />

was hilft die »Tüchtigkeit« dem<br />

schwachen Alten, dem geistig Schwerbehinderten,<br />

dem Unselbstständigen oder<br />

politisch Unterdrückten? Dem Ungeborenen?<br />

Gerhardts diesbezügliche Anwandlung<br />

erscheint als der »komplette Ausfall<br />

aller Himmelsrichtungen. Das Überangebot<br />

an falschen Einschätzungen der Lage.<br />

Die Fehldeutung jedes Verbots. Die Verkennung<br />

jedes anderen Menschen«, als<br />

den vor fünf Jahren der Schriftsteller<br />

Botho Strauss unter der Überschrift »Wollt<br />

ihr das totale Engineering?« den orientierungslosen<br />

Fortschritt um jeden Preis<br />

kritisierte. »Man friert« bei solch »humaner«<br />

Eiseskälte.<br />

Hier kehrt der antike Würdebegriff<br />

der Mächtigen zurück: die »Ehre des<br />

ARCHIV<br />

öffentlichen Ansehens«, die narzisstische<br />

Selbstdarstellung im Glanz internationalen<br />

Ruhmes, die Kaste der Auserlesenen,<br />

die nicht nur sich, sondern auch über<br />

andere bestimmen will. Lehrt Friedrich<br />

Nietzsches »Übermensch« uns diese<br />

»neue Würde«? Die Würde jener, die<br />

sich in der »Freiheit der Forschung« allzu<br />

Vieles selbst erlauben wollen? Dieser<br />

Verdacht liegt nicht fern, wenn Gerhardt<br />

seine Auslassungen über eine »veränderte<br />

Menschenwürde« so krönt: der Wissenschaftler<br />

könne »Würde zeigen, indem<br />

er das neu erworbene Wissen« über<br />

Volker Gerhardt<br />

Embryonenverbrauch und Klonierung<br />

»in den Dienst der Heilung stellt«.<br />

Hier aber Klartext: die Arbeit und der<br />

Erfolg von Molekularbiologen und Medizinwissenschaftlern<br />

sind kein Erweis<br />

ihrer »Würde«, sondern die selbst gewählte<br />

Aufgabe ihrer Talente, ihre auch<br />

vom Bürger zu fordernde Pflicht und<br />

Schuldigkeit! Einer selbstgefälligen Abgehobenheit<br />

des Wissenschaftsbegriffs<br />

ist mit aller Entschiedenheit gegenzusteuern.<br />

Vielmehr sind eine Wissenschaft und<br />

eine Philosophie im Dienst des Menschen<br />

zu fordern, und zwar für die Ganzheit<br />

des Menschenlebens von der Zeugung<br />

bis zum natürlichen Tod. Dazu hat die<br />

Philosophie die Erkenntnisse der Embryologie<br />

in ihr Denken einzubeziehen.<br />

Deren Ergebnis: »Menschsein ist kein<br />

Phänomen, das aus der Ontogenese folgt,<br />

sondern eine Wirklichkeit, die Voraussetzung<br />

der Ontogenese ist«; was sich im<br />

Prozess des Menschenlebens ändert, »ist<br />

nur das Erscheinungsbild« (Erich Blechschmidt).<br />

Diese Wirklichkeit von Anfang<br />

an ist der Würdenträger Mensch, er zu<br />

allererst der »Selbstzweck«.<br />

WWW.HU-BERLIN.DE<br />

ARCHIV<br />

Ist mit der Zulassung der künstlichen<br />

Befruchtung nicht »ein Rubikon überschritten«<br />

worden? Wurde der Embryo<br />

im Reagenzglas nicht zugleich Produkt<br />

und Objekt menschlichen Handelns?<br />

»Seitdem erst stellt sich die Frage, ob wir<br />

in diesem Embryo mehr sehen als eine<br />

Sache, mehr als eine Ware, die wir nach<br />

Gutdünken prüfen..., wählen oder<br />

»Was sich ändert, ist nur<br />

das Erscheinungsbild.«<br />

verwerfen« (Bischof Prof. Dr. Huber).<br />

Nun heiße es, an diesem Rubikon endlich<br />

Halt zu machen und nachzudenken.<br />

»Wäre die Selektion menschlichen Lebens<br />

legalisiert, hätte die eugenische<br />

Denkweise einen wichtigen Sieg errungen.«<br />

Wir Deutsche hätten aus unserer<br />

Vergangenheit nichts gelernt. Der Embryo<br />

ist kein »werdendes Leben«, keine<br />

unorganisierte Zellmasse, sondern der<br />

Mensch in seiner ersten Lebensphase.<br />

Die Menschenwürde ist ein Absolutum,<br />

ist keiner Abwägung zugänglich und unbedingt<br />

zu schützen. Weil sie gilt, dürfen<br />

weder Forschungsfreiheit noch medizinische<br />

Heilshoffnungen in die andere<br />

Waagschale gelegt werden. Menschenwürde<br />

misst sich nicht nach Gramm. Der<br />

Mensch wird nicht erst geboren, um<br />

Mensch zu sein, er ist gezeugt als Träger<br />

seiner Würde.<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. med. Dr. theol. h.c.<br />

Maria Overdick-Gulden<br />

Jahrgang 1931, ist Ärztin. Sie war im<br />

Fach Innere Medizin als klinische Oberärztin<br />

und in freier Praxis tätig. Sie beschäftigt<br />

sich eingehend<br />

mit der<br />

wissenschaftlichen<br />

Thematik der Bioethik,<br />

hält Vorträge<br />

und publiziert, unter<br />

anderem im <strong>LebensForum</strong>,<br />

zu verschiedenen Lebensrechtsthemen.<br />

Für eines ihrer Bücher<br />

erhielt sie die Ehrendoktorwürde der<br />

Theologischen Fakultät der Universität<br />

Trier. Seit dem Jahr 2000 ist sie Mitglied<br />

des Bundesvorstands der Aktion Lebensrecht<br />

für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 27


Sag´ mir, wo die Kinder sind! <strong>–</strong> 10 Jahre § 218<br />

2. Fuldaer Lebensrechtskongress der Aktion Lebensrecht für Alle <strong>ALfA</strong> e.V.<br />

19. bis 21. Mai <strong>2006</strong><br />

Schirmherrschaft: Bischof Heinz Josef Algermissen, Fulda<br />

Freitag, 19.05.<strong>2006</strong><br />

19.30 Uhr<br />

Podiumsdiskussion:<br />

Deutschland kinderlos <strong>–</strong> der § 218 und seine Folgen<br />

Fürstin Gloria von Thurn und Taxis<br />

Michael Stephan Kornau, Dipl.-Finanzwirt/Master in Angewandter Ethik<br />

Hans-Jürgen Pokall, Landesschulrat Berlin<br />

Margarete Nimsch, Landesvorsitzende Pro Familia Hessen (angefragt)<br />

Margarethe Ziegler-Raschdorf, Landtagsabgeordnete Hessen (CDU)<br />

Moderation: Dr. Kai Witzel, Chefarzt Chirurgie des Helios St. Elisabeth Krankenhauses<br />

Hünfeld<br />

Samstag, 20.05.<strong>2006</strong><br />

9.00 Uhr<br />

Die Thüringische Familienoffensive<br />

Dr. Klaus Zeh, Sozialminister des Landes Thüringen<br />

10.30 Uhr<br />

Gesunde Kinder <strong>–</strong> Gesunde Gesellschaft<br />

Christa Meves, Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutin<br />

14.00 Uhr<br />

Motivation und Ehrenamt in Deutschland<br />

Dr. Constantin von Brandenstein-Zeppelin, ehrenamtlicher Präsident des Malteser<br />

Hilfsdienstes<br />

Sonntag, 21.05.<strong>2006</strong><br />

11.00 Uhr<br />

Menschenrechte und das ungeborene Leben<br />

Erika Steinbach, MdB<br />

Tagungsort:<br />

Bonifatiushaus, Neuenbergerstr. 3-5, 36041 Fulda, Telefon (06 61) 8 39 80<br />

Tagungskosten: 65 € / 75 € im DZ/EZ inkl. Vollpension und Tagungsgebühr bei<br />

einer Übernachtung, 90 € / 100 € für zwei Tage. Kinder bis 12 Jahre frei, bis 18<br />

Jahre 50 % des Tagungsbeitrags. Die Teilnahme an Einzelveranstaltungen ist<br />

kostenlos.<br />

Anmeldung<br />

Am Kongress: »Sag mir, wo die Kinder sind <strong>–</strong> 10 Jahre § 218« der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. nehme ich mit<br />

______ Erwachsenen, ______ Kindern bis 12 Jahren, ______ Kindern bis 18 Jahren teil.<br />

Ich buche ______ Übernachtung(en) im DZ, ______ Übernachtung(en) im EZ.<br />

Bitte senden an: Bundesgeschäftsstelle der <strong>ALfA</strong>, Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Telefon (08 21) 51 20 31, Telefax: (08 21) 15 64 07, E-Mail: bgs@alfa-ev.de<br />

28<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />

BDV <strong>2006</strong><br />

Neues aus der <strong>ALfA</strong><br />

Vom 19. bis 21. Mai findet in Fulda der 2. Lebensrechtskongress<br />

der <strong>ALfA</strong> statt. Gelegenheit zur Aktion bieten aber auch die<br />

»Woche für das Leben«, der Katholikentag in Saarbrücken oder die<br />

1000-Kreuze-Aktion in Berlin.<br />

Die diesjährige Ordentliche Bundesdelegiertenversammlung<br />

der Aktion Lebensrecht<br />

für Alle e.V. findet vom 19.-<br />

21. Mai <strong>2006</strong> wie bereits im letzten Jahr<br />

in Fulda statt. Vor gut zehn Jahren beschloss<br />

der deutsche Bundestag die Neufassung<br />

des Paragrafen 218 <strong>–</strong> eine der<br />

Auflagen der damaligen Beschlussfassung<br />

war, regelmäßig zu überprüfen, ob die<br />

neue Gesetzgebung einen verbesserten<br />

Schutz des menschlichen Lebens vor allem<br />

in seiner Anfangsphase gewährleisten<br />

würde. Grund genug für die <strong>ALfA</strong>, den<br />

die Bundesdelegiertenversammlung begleitenden<br />

zweiten Fuldaer Lebensrechtskongress<br />

unter das Thema zu stellen:<br />

»Sag´ mir, wo die Kinder sind! <strong>–</strong> 10 Jahre<br />

§ 218«. Wie auch im letzten Jahr wird<br />

der Kongress mit einer Podiumsdiskussion<br />

zum Thema beginnen, für die unter anderem<br />

Fürstin Gloria von Thurn und Taxis<br />

zugesagt hat. Im weiteren Verlauf des<br />

Kongresses werden Christa Meves und<br />

Erika Steinbach, MdB sowie Dr. Constantin<br />

von Brandenstein-Zeppelin, ehrenamtlicher<br />

Präsident des Malteser Hilfsdienstes,<br />

als Referenten zur Verfügung stehen. Wir<br />

freuen uns auf informative Vorträge und<br />

angeregte Diskussionen. Da nur eine begrenzte<br />

Anzahl an Zimmern zur Verfügung<br />

steht, wird dringend dazu aufgerufen,<br />

sich frühzeitig anzumelden.<br />

KATHOLIKENTAG <strong>2006</strong><br />

Ein weiteres Großereignis, an dem die<br />

<strong>ALfA</strong> sich präsentieren wird, ist der vom<br />

24.-28. Mai <strong>2006</strong> in Saarbrücken stattfindende<br />

Katholikentag. Eine Recherche<br />

auf den Internetseiten, die das Programm<br />

des Katholikentags präsentieren, hat für<br />

ein in unseren Augen frustrierendes Ergebnis<br />

gesorgt: Die dringende Frage<br />

nach einer besseren Gestaltung des Schutzes<br />

ungeborenen Lebens in Deutschland<br />

Von Cornelia Kaminski<br />

scheint auf dem<br />

gesamten Katholikentag<br />

eine untergeordnete<br />

Rolle zu<br />

spielen. Unter dem<br />

Motto »Gerechtigkeit<br />

vor Gottes<br />

Angesicht« bieten Logo Katholikentag <strong>2006</strong><br />

die Organisatoren<br />

des Katholikentags an gesellschaftlichen<br />

Themen von A wie Arbeitslosigkeit bis<br />

Z wie Zuwanderung alles mögliche <strong>–</strong> die<br />

größte Ungerechtigkeit in unserem Land,<br />

die tausendfache Tötung unschuldiger<br />

ungeborener Kinder wird jedoch nahezu<br />

totgeschwiegen. So hat die Suche nach<br />

den Begriffen Abtreibung, Schwangerschaftsabbruch,<br />

Embryonenforschung,<br />

Klonen und Euthanasie im Programm<br />

des Katholikentags nicht einen einzigen<br />

Treffer ergeben! In einem Forum zum<br />

Thema »Menschenwürde und Lebensbeginn«<br />

setzt sich unter anderem Christiane<br />

Woopen vom Nationalen Ethikrat<br />

mit embryonaler Stammzellforschung<br />

auseinander, ein anderes unter Beteiligung<br />

von Rita Waschbüsch befasst sich mit<br />

dem Schutz des ungeborenen Lebens im<br />

europäischen Vergleich. Die Mitglieder<br />

der <strong>ALfA</strong> sind daher dringend aufgerufen,<br />

Foren und Podien zu besuchen und auf<br />

unsere Anliegen aufmerksam zu machen.<br />

Das können sicher auch Veranstaltungen<br />

mit verwandten Themen sein wie etwa<br />

die Veranstaltung »Methusalem und seine<br />

Kinder« mit Prof. Kirchhof. Solche Gelegenheiten<br />

sollten genutzt werden, um<br />

auf das Abtreibungsgeschehen als eine<br />

der Ursachen für die demographische<br />

Entwicklung hinzuweisen. Wer aktiv für<br />

die <strong>ALfA</strong> am Katholikentag in Saarbrücken<br />

teilnehmen und so dazu beitragen<br />

möchte, dass auf dieser religiösen Großveranstaltung<br />

das Lebensrecht der Ungeborenen<br />

nicht vollständig aus dem Blickwinkel<br />

verloren geht, möge sich bitte<br />

möglichst schnell bei der Bundesgeschäftsstelle<br />

melden, die entsprechende<br />

Anfragen an Julia Castor und Michael<br />

Frisch (RV Trier) weiterleiten wird.<br />

MESSESTÄNDE <strong>2006</strong><br />

Nachdem die <strong>ALfA</strong> in diesem Jahr<br />

bereits auf der Bildungsmesse didacta in<br />

Hannover präsent war, sind noch weitere<br />

Teilnahmen an Messen geplant. Dies sind<br />

die Jugendmesse YOU in Essen vom 15.-<br />

18. Juni <strong>2006</strong>, Informationen und Anmeldungen<br />

hierzu sind über den Landesverband<br />

NRW (Peter Kern oder Birgit Kelle)<br />

möglich.<br />

Die Teilnahme an den Babymessen<br />

hat sich in den letzten Jahren als sehr<br />

erfolgreich erwiesen, so dass die <strong>ALfA</strong> in<br />

<strong>2006</strong> ebenfalls auf Babymessen einen<br />

Stand betreuen wird. Fest angemeldet ist<br />

bereits die Messe »Baby und Kids« in<br />

der Esperantohalle Fulda vom 1. <strong>–</strong> 2.<br />

April <strong>2006</strong>. Angebote zur Mithilfe nimmt<br />

Cornelia Kaminski (RV Fulda) entgegen.<br />

Weitere Babymessen finden statt in<br />

Offenburg (22.-23. April), Koblenz (6.-<br />

7. Mai), Hannover (13.-14. Mai), Rosenheim<br />

(27.-28. Mai), Bochum (16.-17.<br />

Sept.), Halle/Saale (30. Sept.-1. Oktober),<br />

Rheda-Wiedenbrück (14.-15. Oktober),<br />

Erfurt (21.-22. Oktober), Ulm (28.-29.<br />

Oktober) und Augsburg (11.-12. November).<br />

Bitte prüfen Sie, ob eine Teilnahme<br />

an einer dieser Messen durch Ihren Regionalverband<br />

möglich ist!<br />

WOCHE FÜR DAS LEBEN<br />

Die diesjährige »Woche für das Leben«<br />

findet unter dem Motto: »Von Anfang<br />

an uns anvertraut. Menschsein beginnt<br />

vor der Geburt.« vom 29. April<br />

bis 5. Mai <strong>2006</strong> statt. Es wäre schön, wenn<br />

möglichst zahlreiche Aktionen der Regionalverbände<br />

der <strong>ALfA</strong> diese Woche begleiten<br />

könnten.<br />

1000-KREUZE-AKTION IN BERLIN<br />

1000-Kreuze-Aktion in Berlin: Der<br />

Bundesverband Lebensrecht, dessen Mitglied<br />

die <strong>ALfA</strong> ist, ist Mitausrichter dieser<br />

Aktion am 23.09.<strong>2006</strong> in Berlin, bei der<br />

Demonstranten als Mahnung an täglich<br />

tausend Abtreibungen in Deutschland<br />

weiße Kreuze durch die Berliner Innenstadt<br />

tragen werden. Bitte merken Sie<br />

sich diesen Termin vor und überlegen<br />

Sie, ob Sie an dieser wichtigen Demonstration<br />

in der Bundeshauptstadt teilnehmen<br />

können. Anmeldungen nimmt gern<br />

die Bundesgeschäftsstelle entgegen.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 29


BÜCHERFORUM<br />

Was bleibt an verpflichtender<br />

Ethik, wenn Gott nicht existiert?<br />

Glaube und Vernunft:<br />

ist diese »explosive Mischung« aus fester<br />

Zustimmung einerseits<br />

und Denkunruhe<br />

andererseits erhellend<br />

für den modernen<br />

Menschen und<br />

seine Fragen zur Moral<br />

oder doch nur lästige<br />

Beschränkung seiner Autonomie?<br />

Etwa bei Embryonen verbrauchender<br />

Forschung? Atheistische Weltanschauung<br />

verneint Religion - betont - um des Menschen<br />

willen. Es dominiert<br />

die Absicht, »sinnloses«<br />

Leid zu vermeiden.<br />

Religiös fundierte<br />

Ethik, die auch das verzichtende<br />

Unterlassen<br />

kennt, steht demgegenüber<br />

unter dem Verdacht<br />

heteronomer (»theonomer«)<br />

Freiheitsbeschränkung.<br />

Deshalb<br />

verlangt man heute vielfach<br />

eine säkulare »religionsbereinigte«<br />

Ethik,<br />

etwa wenn James Watson<br />

den Menschen zur<br />

Selbstbestimmung des<br />

Evolutionsverlaufs (!)<br />

aufruft. Dieses megalomane<br />

Selbstverständnis<br />

gipfelt in der These: der Mensch ist des<br />

Menschen Gott (A. Feuerbach).<br />

Oder ist Religiosität nur »Vehikel«<br />

für Moral <strong>–</strong> und Kirche »moralische Anstalt«,<br />

fragt der Moraltheologe Hans<br />

Gleixner in den »grundsätzlichen Überlegungen«<br />

seines Buches. Zunächst sind<br />

falsche Gottesbilder zu reinigen: Gott ist<br />

weder Lückenbüßer für unerklärliches<br />

Leid, noch strafender Willkürgott, noch<br />

»Räuber« menschlicher Freiheit, noch<br />

der Weltabgewandte des Deismus. Auch<br />

ist Religion nicht nur als Motiv, sondern<br />

als Bindung an metaphysische Wahrheit<br />

und als »Letztverankerung von Ethik«<br />

zu verstehen. Glaube fordert Vernunft<br />

und Erfahrung auf, in Freiheit nach der<br />

»Nächstbegründung des sittlich Guten«<br />

zu suchen, was sich in konkreten Situationen<br />

bewähren muss. So verlangt die<br />

christliche Botschaft als »Evangelium<br />

vitae« den Schutz des Menschenlebens<br />

von Anfang bis Ende, sowie Verantwortung<br />

<strong>–</strong> für die eigene Gesundheit wie die<br />

fremde, im Umgang mit Kranken, mit<br />

dem Leiden und Sterben. Da die Bibel<br />

den persönlich-nahen Gott verkündet<br />

und den Menschen als sein Ebenbild, ist<br />

30<br />

Religion<br />

und Ethik<br />

alles Tun am Menschen an dieser personalen<br />

Würde und Gottes barmherzigem<br />

Handeln auszurichten. Eugenische Selektion<br />

(PID, PND), Embryonenverbrauch,<br />

Folter und Todesstrafe<br />

sind wie Abtreibung<br />

oder Euthanasie abzulehnen,<br />

unmoralisch.<br />

Beispiel: Beim so genannten<br />

therapeutischen<br />

Klonen »werden<br />

Formen frühesten menschlichen<br />

Lebens« zum »Bio-Rohstoff« für medizinische<br />

Zwecke reduziert. Die Qualifizierung<br />

»therapeutisch« ist sprachliche<br />

Augenwischerei, denn<br />

nicht der geklonte Embryo<br />

wird therapiert, sondern<br />

ein Kranker mittels dessen<br />

Substanz. Es ist weder<br />

vernünftig, noch ethisch<br />

gut, »einen Menschen,<br />

hier das wehrloseste<br />

schwächste Glied der<br />

Kette bewusst zu opfern,<br />

um anderen... zu helfen«!<br />

Widerspricht der religiöse<br />

Glaube also »den Denkvoraussetzungen<br />

eines<br />

modernen wissenschaftlichen<br />

Weltbildes«? Nein.<br />

Wenn Gott nicht existiert,<br />

erscheint im Umgang mit<br />

»sinnlosem« Leid vieles<br />

moralisch erlaubt, was der<br />

religiöse Mensch »als inhuman erkennen<br />

kann und begründet ablehnt«.<br />

Muss sich der Gläubige dann dem<br />

Verdacht der Unaufgeklärtheit ausgesetzt<br />

sehen und seine religiöse Argumentation<br />

in eine säkulare Sprachkultur umschreiben,<br />

um sie dem Diskurs anzupassen?<br />

Hierzu macht der »religiös unmusikalische«<br />

Philosoph J. Habermas ein Angebot<br />

praktischer Vernunft. Der liberale<br />

Staat dürfe seine gläubigen Bürger nicht<br />

unfair ausgrenzen, vielmehr sollte man<br />

nach allgemein akzeptablen Gründen<br />

suchen und diese jeweils in der eigenen<br />

Sprache ausdrücken; wechselseitiges<br />

Sprachverständnis sei gefordert. Das entspreche<br />

der »Goldenen Regel«. Und:<br />

Worüber nicht mehr diskutiert wird, ist<br />

nicht mehr in der Welt. Also von Gott<br />

reden, wo es um Ethik geht!<br />

Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Hans Gleixner<br />

»Wenn Gott nicht existiert...«<br />

Zur Beziehung zwischen Religion und Ethik.<br />

Paderborner theologische Studien, Band 46. Verlag<br />

Schöningh, Paderborn 2005. 254 Seiten. 29,90 Euro<br />

Im Schaufenster<br />

Alles Zufall?<br />

Naive Fragen zur<br />

Evolution<br />

Die gedanklichen<br />

Vorarbeiten für die<br />

Relativierung des<br />

Rechts auf Leben<br />

speisen sich nicht<br />

zuletzt aus der Annahme,<br />

dass der<br />

Mensch ein zufälliges<br />

Produkt der Evolution sei. Unter Berufung<br />

auf den gesunden Menschenverstand prüft<br />

der Jurist und katholische Priester Peter Blank<br />

in dem vorliegenden Band diese Annahme<br />

auf Herz und Nieren. Auf überaus unterhaltsame<br />

Weise weist er nach, dass die These,<br />

der Mensch sei Ergebnis einer zufälligen Entwicklung,<br />

welche die Materie im Laufe von<br />

Jahrtausenden genommen habe, in etwa so<br />

viel Geltung beanspruchen kann, wie die Behauptung<br />

ein Golf V habe sich selbst aus seinen<br />

Vorgängermodellen entwickelt. Ohne gesicherte<br />

naturwissenschaftliche Erkenntnisse<br />

in Zweifel zu ziehen, zeigt der Autor, dass<br />

Evolution als Weltanschauung nicht trägt und<br />

sehr viel mehr »Glauben« erfordert als jede<br />

andere Erklärung. reh<br />

Peter Blank: Alles Zufall? Naive Fragen zur Evolution.<br />

Sankt Ulrich Verlag, Augsburg <strong>2006</strong>. 128 Seiten. 9,90<br />

EUR.<br />

Ärztliche Freiheit<br />

und Berufsethos<br />

Wenn von Ethik in der<br />

Medizin die Rede ist,<br />

geht es meist um die<br />

Frage, was bei konkreten<br />

Problemen und<br />

Sachverhalten zu tun<br />

oder zu unterlassen<br />

ist. Selten werden die<br />

handelnden Personen<br />

dabei selbst stärker in den Blick genommen.<br />

Diese Lücke schließt dankenswerterweise<br />

nun ein Buch mit dem Titel Ȁrztliche Freiheit<br />

und Berufsethos«, das auf ein gleichnamiges<br />

internationales und interdisziplinäres Kolloquium<br />

zurückgeht, das im September 2004<br />

vom Kölner Lindenthal-Institut veranstaltet<br />

wurde. Namhafte Autoren wie Edmund D.<br />

Pellegrino und William B. Hurlbut, Mitglieder<br />

im »President´s Council of Bioethics«, der US-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


Präsident Bush in Fragen der Bioethik berät,<br />

Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer,<br />

die Juristen Christian Hillgruber,<br />

Winfried Kluth und Adolf Laufs und viele<br />

andere gehen darin der Frage nach, ob es ein<br />

dem Arztberuf eingeschriebenes Berufsethos<br />

gibt und welche Anforderungen an den Arzt<br />

von Seiten des Gesetzgebers, der Krankenkassen<br />

und der Patienten gestellt werden.<br />

Zusammenfassend lautet der gemeinsame<br />

Befund der vorgenommenen Untersuchungen:<br />

Die »Befreiung« der Ärzte von ethischen Bindungen<br />

bezahlt die Ärzteschaft mit »der Unterwerfung<br />

unter die Staatsräson«. Mit einer<br />

Ärzteschaft, die »treu zu ihrem Arztethos«<br />

steht, hingegen muss sich die Politik<br />

»arrangieren« (Hans Thomas). Ein für Ärzte<br />

und (potentielle) Patienten gleich wichtiges<br />

Buch.<br />

reh<br />

Hans Thomas (Hg.): Ärztliche Freiheit und Berufsethos.<br />

Verlag J.H. Röll, Dettelbach, 2005. 296 Seiten.<br />

19,80 EUR.<br />

Humanbiotechnologie<br />

als gesellschaftliche<br />

Herausforderung<br />

Der vorliegende<br />

Band versammelt<br />

die Beiträge, die<br />

Naturwissenschaftler,<br />

Philosophen,<br />

Theologen und Juristen<br />

auf der Wartburgtagung<br />

zur Humanbiotechnologie im Mai<br />

2004 gehalten haben. Er eignet sich gut als<br />

Einführung in das Denken der Befürworter<br />

der Forschung mit menschlichen Embryonen.<br />

Denn mit Autoren wie den Naturwissenschaftlern<br />

Christiane Nüsslein-Vollhard, die sich als<br />

Biologin gerne auch über den moralischen<br />

Statuts des Embryos auslässt, Hans Schöler<br />

und Ernst-Ludwig Winnacker sowie den Philosophen<br />

Nikolaus Knoeppfler und Julian<br />

Nida-Rümelin wurden die nationalen Schwergewichte<br />

unter den Befürwortern einer Embryonen<br />

verbrauchenden Forschung aufgeboten.<br />

Die Kirchen wurden durch die örtlichen<br />

Autoritäten, dem Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen<br />

Kirche in Thüringen und<br />

dem Bischof der Diözese Erfurt Joachim Wanke<br />

vertreten, soliden Theologen, die in der<br />

bisherigen bioethischen Diskussion allerdings<br />

noch nicht sonderlich in Erscheinung getreten<br />

waren. reh<br />

Nikolaus Knoepffler, Dagmar Schipanski, Stefan Lorenz<br />

Sorgner (Hg.): Humanbiotechnologie als gesellschaftliche<br />

Herausforderung. Verlag Karl Alber, Freiburg/München<br />

2005. 250 Seiten. 19,00 EUR.<br />

Im Jahr 1969 gründeten die Vereinten<br />

Nationen eine Organisation mit dem<br />

Namen »United Nations Fund of<br />

Population Activities« (UNFPA) mit dem<br />

Ziel, sämtliche<br />

Bemühungen<br />

zu koordinieren,<br />

die in der<br />

Lage waren,<br />

das damals als<br />

Bedrohung betrachtete<br />

Bevölkerungswachstum zu stoppen.<br />

Zu den Hauptgeberländern, die die<br />

UNFPA mit einem Jahresbudget von 250<br />

bis 300 Millionen US-<br />

Dollar ausstatten, zählt<br />

neben den USA, Großbritannien,<br />

Japan und<br />

den Niederlanden auch<br />

Deutschland.<br />

Nun hat Douglas A.<br />

Sylva zusammen mit der<br />

von ihm geleiteten »International<br />

Organisations<br />

Research Group« ein<br />

Weißbuch vorgelegt, das<br />

schwere Vorwürfe gegen<br />

die Aktivitäten von<br />

UNFPA erhebt. Die deutsche<br />

Ausgabe des Weißbuchs<br />

erschien im vergangenen<br />

Jahr als Sonderheft<br />

der vom Institut<br />

für Gesellschaftswissenschaften Walberberg<br />

herausgegebenen Zeitschrift »Die<br />

Neue Ordnung«. Das Vorwort besorgte<br />

der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert<br />

Hüppe, für die Übersetzung zeichnen<br />

Johannes Stemmler und Thomas Friedl<br />

verantwortlich. Ihnen ist die gesamte<br />

Öffentlichkeit zu Dank verpflichtet. Denn<br />

die von Sylva erhobenen und erschreckend<br />

gut belegten Vorwürfe besitzen ein<br />

gigantisches Ausmaß: »UNFPA bejaht<br />

Abtreibung und fördert sie unter der<br />

Hand. UNFPA verteilt Abtreibungsinstrumente<br />

und Abtreibungsmittel in allen<br />

Entwicklungsländern. UNFPA leitet Geld<br />

an Nicht-Regierungs-Organisationen<br />

(non-governmental organizastions <strong>–</strong><br />

NGOs) weiter, die ihrerseits Abtreibungen<br />

vornehmen. Schließlich gibt UNFPA<br />

Gelder, leistet Hilfestellung und gibt<br />

Rückendeckung für Bevölkerungsprogramme,<br />

die auf Zwangsanwendung beruhen,<br />

wie sie die Regime in China, Vietnam,<br />

Kosovo und Peru durchführen.<br />

UNFPA ist daher mitbeteiligt an Menschenrechtsverletzungen,<br />

die diese Regierungen<br />

begehen. Zu diesen Menschenrechtsverletzungen<br />

zählen Zwangsabtreibungen,<br />

Zwangssterilisationen und sogar<br />

Kindestötungen«, schreibt Sylva. Dass<br />

es sich nicht um Einzelfälle, sondern um<br />

ein System handelt, zeigt bereits die Personalpolitik<br />

von UNFPA. Sylva weist<br />

nach, dass führende UNFPA-Funktionäre<br />

»glühende Verfechter«<br />

eines<br />

Kindstötungen mit<br />

Regierungsgeldern<br />

»Menschenrechts<br />

auf Abtreibung«<br />

sind.<br />

Die frühere<br />

UNFPA-Generalsekräterin<br />

Nafis Sadik etwa wechselte<br />

nach ihrem Ausscheiden bei UNFPA in<br />

den Vorstand des »Center for Reproductive<br />

Law and Policy«<br />

(CRLP), zu dessen erklärten<br />

Zielen die »Anerkennung<br />

von Abtreibung<br />

als grundlegendes<br />

Menschenrecht« zählt.<br />

1999 wurde das »U.S.<br />

Committee for UNFPA«<br />

gegründet, »um einer<br />

zunehmenden (...) Zahl<br />

von Belegen entgegenzuwirken,<br />

dass UNFPA<br />

Bevölkerungsprogramme<br />

in Entwicklungsländern finanziert,<br />

die mit Zwangsanwendung<br />

arbeiten.«<br />

Elf der 24 Vorstandsmitglieder<br />

besäßen enge Verbindungen<br />

zu dem weltweit<br />

größten Abtreibungsanbieter »International<br />

Planned Parenthood (IPPF)“.<br />

Bekanntestes Mitglied des »U.S. Committee<br />

for UNFPA«: Die ehemalige Präsidentin<br />

der »National Abortion and Reproductive<br />

Rights Action League«<br />

(NARAL) Robin Duke.<br />

Sylva zeigt detailliert, dass UNFPA an<br />

Millionen von Zwangabtreibungen in<br />

China und an der Zwangssterilisation von<br />

Peruanerinnen beteiligt war sowie auf<br />

Einladung von Slobodan Milosevic auch<br />

im Kosovo tätig wurde, wo die Bevölkerung<br />

die UNFPA, als die »weiße Seuche«<br />

bezeichnete. Das Weißbuch liest sich wie<br />

ein Krimi. So erschreckend ist das Ausmaß,<br />

dass selbst hart gesottene Leser<br />

wünschen werden, das alles möge nur<br />

Fiktion sein <strong>–</strong> wohlwissend, dass es sich<br />

hierbei um die schmutzige Wirklichkeit<br />

handelt.<br />

Stefan Rehder<br />

Douglas A. Sylva<br />

Der UN-Bevölkerungsfonds UNFPA:<br />

Ein Angriff auf die Völker der Welt.<br />

Sonderheft der Zeitschrift »Die Neue Ordnung«.<br />

59. Jahrgang, September 2005. Institut für Gesellschaftswissenschaften<br />

Walberberg. 70 Seiten. 5,00 EUR.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 31


KURZ VOR SCHLUSS<br />

Expressis verbis<br />

»<br />

Ich kann mir nicht vorstellen, eine Technik<br />

zu nutzen, die hunderte Frauen zur Zellgewinnung<br />

heranzieht.«<br />

Die deutsche Stammzellforscherin Anna Wobus,<br />

die für die embryonenverbrauchende Forschung<br />

eintritt, zum Klonen von Embryonen zu Forschungszwecken.<br />

»<br />

Ich genieße die Freiheit, nicht überlegen zu<br />

müssen, wie viele Jahre Gefängnis es in<br />

Deutschland bedeutet, wenn ich zehn<br />

Stammzellenlinien aus menschlichen<br />

Embryonen gewinne.«<br />

Der deutsche Stammzellforscher Miodrag<br />

Stojkovic, der von München zunächst nach<br />

Newcastle und jetzt nach Valencia ging, um an<br />

menschlichen Embryonen zu forschen.<br />

»<br />

Natürlich kann man mit gigantischem Aufwand<br />

gentechnische Therapien für Krankheiten<br />

entwickeln, die dann aber logischerweise<br />

das gesamte Gesundheitssystem<br />

ruinieren würden.<br />

Zukunftsforscher Matthias Horx im Interview<br />

mit der Zeitung »Das Parlament«.<br />

»<br />

Wir erwarten von Frau Merkel, dass sie<br />

sagt: Ich will die Stammzellforschung<br />

fördern.«<br />

Hans Schöler, Direktor des Max-Planck-Instituts<br />

für Molekulare Biomedizin in Münster, der mit<br />

embryonalen Stammzellen forscht.<br />

Tops & Flops<br />

»So wichtig das Recht auf<br />

Selbstbestimmung von Frauen<br />

ist, so muss es im Abwägungsfall<br />

gegenüber dem<br />

Recht auf Leben eines Embryos doch<br />

zurückgestellt werden.« Mit dieser Klarstellung<br />

meldete sich Erika Steinbach,<br />

Sprecherin für Menschenrechte und humanitäre<br />

Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,<br />

in der Debatte um die Positionierung<br />

der<br />

Menschenrechtsorganisation<br />

»Amnesty<br />

International«<br />

zur Abtreibung<br />

zu Wort.<br />

»Menschenrechte<br />

gelten absolut und<br />

schützen gerade<br />

auch das ungeborene<br />

Leben«, hob<br />

Erika Steinbach<br />

die protestantische CDU-Politikerin aus<br />

Hessen hervor. Eine Verknüpfung von<br />

Menschenrechten mit dem Alter beziehungsweise<br />

dem Entwicklungsstand eines<br />

Menschen »wäre ein fatales Zeichen«,<br />

warnte die frühere Konzert-Geigerin im<br />

Vorfeld einer für Juni anberaumten Tagung,<br />

auf der die deutsche Sektion von<br />

»Amnesty International« ihre Haltung<br />

zur vorgeburtlichen Kindstötung klären<br />

will. Nachdem im vergangenen Jahr auf<br />

einer Tagung von »Amnesty International«<br />

in Mexiko ein Antrag gescheitert<br />

war, der ein »Recht auf Abtreibung«<br />

forderte, will die Menschenrechtsorganisation<br />

nun bis zum Jahr 2007 einen weltweiten<br />

Konsultationsprozess zu diesem<br />

Thema durchführen. reh<br />

ARCHIV<br />

Ernst-Ludwig Winnacker<br />

Der Präsident der Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft<br />

(DFG) Ernst-Ludwig Winnacker<br />

will es noch einmal<br />

wissen. In einem Interview mit der Zeitung<br />

»Das Parlament« forderte er jetzt,<br />

»schrittweise« das Embryonenschutzgesetz<br />

zu ändern. Zunächst müsse aber das<br />

Stammzellgesetz so geändert werden,<br />

»dass man einen neuen Stichtag hat.«<br />

Winnacker forderte<br />

die Politik auf, »die<br />

Stichtagsregelung<br />

in eine nachlaufende<br />

zu ändern oder<br />

sie abzuschaffen.«<br />

In Deutschland dürfen<br />

Forscher nur<br />

mit aus dem Ausland<br />

importierten<br />

Stammzellen forschen,<br />

die dort vor dem 1. Januar 2002<br />

aus Embryonen gewonnen wurden. Bei<br />

der Entnahme der Stammzellen werden<br />

die Embryonen getötet.<br />

Als »äußerst hinderlich« habe sich<br />

auch die Androhung von Strafe bei Übertretung<br />

des Stammzellgesetzes erwiesen,<br />

klagte der DFG-Präsident und folgerte:<br />

»Die Strafbewehrung im Gesetz muss<br />

weg, sie hat sich überhaupt nicht bewährt.«<br />

Großzügig gab sich Winnacker<br />

dagegen bei der Frage der Herstellung<br />

von Embryonen für die Forschung mittels<br />

Klonen. Dass fordere, so Winnacker, die<br />

DFG derzeit gar nicht. Zur Begründung<br />

erklärte der DFG-Chef: »Es gibt genügend<br />

überzählige Embryonen auch bei<br />

uns im Land.« reh<br />

ARCHIV<br />

»<br />

Das Parlament wird es sich nicht bieten<br />

lassen, wenn versucht wird, die Abgeordneten<br />

auszubooten.«<br />

Der SPD-Gentechnikexperte Wolfgang Wodarg,<br />

MdB, zu Plänen, den Nationalen Ethikrat ohne<br />

Beteiligung der Parlamentarier zum alleinigen<br />

Beratungsgremium der Politik in Fragen der<br />

Bioethik zu machen.<br />

»<br />

Wer die Bedingtheit des Lebens beseitigen<br />

will, muss das Leben beseitigen.«<br />

Der Philosoph Robert Spaemann in einem Beitrag<br />

für die Frankfurter Allgemeine Zeitung.<br />

32<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


Aus dem Netz gefischt<br />

Wer sich detailliert mit Fragen auseinandersetzt,<br />

die durch den medizin-technischen<br />

Fortschritt aufgeworfen werden,<br />

dem kann das Internetangebot des Zusammenschlusses<br />

»ReproKult <strong>–</strong> Frauen<br />

www.reprokult.de<br />

»Deutschland. Das von morgen« (5)<br />

Forum Fortpflanzungsmedizin« ans Herz<br />

gelegt werden. Aus feministischer Perspektive<br />

werden hier Themen wie Pränataldiagnostik,<br />

künstliche Befruchtung,<br />

Präimplantationsdiagnostik, Forschung<br />

an Embryonen und embryonalen Stammzellen<br />

sowie die Eizellspende und das<br />

Klonen diskutiert. Dabei kritisiert »ReproKult«,<br />

das sich als »ein Arbeitszusammenschluss<br />

von Frauen aus gesellschaftlich<br />

relevanten Vereinen und Institutionen,<br />

aus der Frauen-Gesundheitsarbeit,<br />

aus Bereichen psychosozialer Beratung,<br />

aus der Behindertenselbsthilfe, aus Wissenschaft<br />

und Politik, aus der Öffentlichkeitsarbeit«<br />

versteht, zu Recht, dass der<br />

Bereich der menschlichen Fortpflanzung<br />

»zunehmend« zu einer »technisch gesteuerten<br />

Reproduktion« entarte, bei der vor<br />

allem die »Machbarkeiten« im Vordergrund<br />

stehen. Frauen hätten »begehrte<br />

Rohstoffe wie Ei und Embryo«<br />

zu liefern und würden für »gesunde«<br />

Kinder verantwortlich gemacht.<br />

Ferner bemängelt »ReproKult«, dass<br />

»Forschung, Wirtschaft und Teile der<br />

Ärzteschaft« auf die »Anwendung<br />

neuer Technologien« drängten und<br />

fordert stattdessen »ein Innehalten<br />

und eine breite öffentliche Debatte<br />

über die Voraussetzungen und sozialen<br />

Wirkungen dieser Technologien.«<br />

Die von ReproKult in den einzelnen<br />

Themengebieten vertretenden Positionen<br />

decken sich vielfach mit denen von Lebensrechtlern.<br />

Aufgrund ihrer anders gelagerten<br />

Argumentation stellen sie in vielen<br />

eine echte Bereicherung für Lebensschützer<br />

dar. Allein in der Frage der Abtreibung<br />

zeichnen sich <strong>–</strong> wenn auch dies<br />

weder die eine noch die andere Seite<br />

überraschen dürfte <strong>–</strong> schwer überbrückbare<br />

Differenzen ab. Ausgewählte Publikationen<br />

und ein umfangreiches Literaturverzeichnis<br />

runden das dennoch<br />

grundsätzlich solide und informative<br />

Webangebot ab.<br />

reh<br />

Die Bundesregierung schult um.<br />

Seit fest steht, dass Deutschland innerhalb<br />

der EU das einwohnerstärkste<br />

aber das geburtenschwächste Land ist,<br />

hat Kanzlerin Merkel den Notstand<br />

ausgerufen. Als Sofortmaßnahme boten<br />

sich die Kabinettsmitglieder als Babysitter<br />

für zeugungswillige Paare an.<br />

Gesundheitsministerin Ulla Schmidt<br />

und Finanzminister Steinbrück haben<br />

sich aufs Märchenerzählen spezialisiert,<br />

Arbeitsminister Müntefering und Justizministerin<br />

Zypries wollen Wiegenlieder<br />

beisteuern. Die öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunksender wurden<br />

von Kulturstaatsminister Neumann<br />

aufgefordert, verstärkt Familienfilme<br />

und nach 23 Uhr überhaupt kein Programm<br />

mehr auszustrahlen. Bildungsministerin<br />

Schavan hat ein bundesweites<br />

Forschungsprojekt ausgeschrieben,<br />

bei dem das Jahr 1964 im Detail rekonstruiert<br />

werden soll. Damals wurden<br />

in Deutschland knapp 1,36 Millionen<br />

Kinder geboren, statt 676.000 wie im<br />

vergangenen Jahr. Während Familienministerin<br />

von der Leyen recherchieren<br />

lässt, welchen gesellschaftlichen Konsens<br />

es damals zum § 218 gab, sucht<br />

Innenminister Schäuble händeringend<br />

nach einer Möglichkeit, Alice Schwarzer<br />

des Landes zu verweisen und hat<br />

zu diesem Zweck bereits Unterstützung<br />

bei dem für die Landesverteidigung<br />

zuständigen Minister Jung angefordert.<br />

Stefan Rehder<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

»Auf die Beine«<br />

Professor Eckhard Schönau, medizinischer<br />

Leiter eines neuen Reha-Zentrums am Kölner<br />

Uni-Klinikum, stellte jetzt erste Erfolge seines<br />

Projekts »auf die Beine« für bewegungsunfähige<br />

Kinder (z.B. mit Glasknochenkrankheit,<br />

spina bifida) vor. Dabei handelt es sich um<br />

die bisher weltweit einzige Therapie mittels<br />

des aus der Weltraumforschung bekannten<br />

Trainingsgeräts »Galileo«. Das Vibrationsgerät<br />

verhindert den Muskel- und Knochenabbau.<br />

Zudem können Kinder lernen, sich zu setzen,<br />

zu stehen oder einige Schritte zu gehen; das<br />

bedeutet Hoffnung für bundesweit rund<br />

30 000 bis 50 000 betroffene Kinder und ihre<br />

Eltern.<br />

mog<br />

Symposium zu Mutter-Kind-Verhältnis<br />

Eine natürliche Entbindung fördert das Verhältnis<br />

von Mutter und Kind. Zu diesem Ergebnis<br />

kommen verschiedene Studien, die<br />

auf einem von der Uni-Kinderklinik München,<br />

der Akademie für Entwicklungsrehabilitation<br />

und der Theodor-Hellbrügge Stiftung veranstaltetem<br />

internationalem<br />

Symposium<br />

vorgestellt<br />

wurden. So<br />

fördere ein erhöhter<br />

Oxytocinspiegel<br />

der<br />

Mutter die Interaktion<br />

mit<br />

dem Säugling,<br />

reduziere die<br />

Ängstlichkeit und übe auf das Kind einen<br />

beruhigenden und streßimmunisierenden Effekt<br />

aus, der Langzeitwirkung habe. Durch die<br />

in Industriestaaten inzwischen weit verbreite<br />

Narkose während der Geburt werde dieser<br />

für die Entwicklung des Kindes bedeutsame<br />

Effekt für einen Zeitraum von bis zu zwei<br />

Tagen ausgesetzt.<br />

reh<br />

Zeugung gebiert kein Recht auf Geburt<br />

Eine Britin, die durch eine Krebsbehandlung<br />

unfruchtbar geworden ist, darf einen zuvor<br />

künstlich befruchteten und tiefkühlgelagerten<br />

Embryo nicht gegen den Willen ihres früheren<br />

Partners austragen. Das hat der Europäische<br />

Gerichtshof für Menschenrechte (EuGH) Anfang<br />

März in Straßburg entschieden. In dem<br />

Urteil sprachen die Richter dem Embryo ein<br />

unabhängiges Recht auf Leben ab. Das Paar<br />

hatte sich 2001 zu einer In-vitro-Fertilisation<br />

entschieden, bevor der Frau wegen einer<br />

Krebserkrankung die Eierstöcke entfernt werden<br />

mussten, sich dann aber im Jahr 2002<br />

getrennt.<br />

reh<br />

WWW.PIXELQUELLE.DE<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong> 33


LESERFORUM<br />

DPA<br />

Gutes Autorenteam<br />

Ich gratuliere Ihnen zum letzten Heft<br />

»<strong>LebensForum</strong>«. Damit ist Ihnen meines<br />

Erachtens ein ganz großer Wurf gelungen.<br />

Besonders gut haben mir die Beiträge<br />

der jungen Autoren gefallen, die in einem<br />

sehr spritzigen, flüssigen Stil geschrieben<br />

haben, und dazu wissenschaftlich gut<br />

fundiert und brilliant formuliert. Mit diesen<br />

jungen Autoren haben Sie ein gutes<br />

Team für Ihre Zeitschrift gefunden. Sie<br />

verdient weiteste Verbreitung, vor allem<br />

bei den zuständigen und verantwortlichen<br />

Leuten im Bundesgesundheitsministerium.<br />

Die Lektüre dieses Heftes könnte<br />

ihnen helfen bei der Entscheidungsfindung<br />

in den anstehenden Fragen! Für<br />

Ihre weitere wichtige Arbeit im Dienst<br />

für das ungeborene Leben wünsche ich<br />

Ihnen auch in Zukunft unermüdlichen<br />

Eifer und viel Erfolg!<br />

Rudolf Meyer, Berching<br />

Aus Geschichte kaum gelernt<br />

Mit großem Interesse (und stets mit<br />

Gewinn) lese ich Ihre guten Hefte des<br />

»<strong>LebensForum</strong>«. Ich möchte einen<br />

Aspekt beisteuern, der mir <strong>–</strong> aus der Erinnerung<br />

an die trübe Geschichte des<br />

Nationalsozialismus <strong>–</strong> wichtig erscheint.<br />

Unter dem »Stichwort« des schon 1920<br />

von Binding und Hoche geprägten Begriffs<br />

»lebensunwertes Leben« konnten<br />

die Nationalsozialisten ihre »Tötungsideologie«<br />

mit der gängigen Devise<br />

»Gnadentod« unter der Bevölkerung<br />

relativ leicht verbreiten. Das geschah<br />

34<br />

Bei einer Sexual-Aufklärung á la<br />

»Pro familia« darf man sich über<br />

die zunehmende Anzahl von<br />

Schwangerschaften und Abtreibungen<br />

unter Minderjährigen nicht<br />

wundern. Es ist ein Skandal, dass<br />

solche Aufklärungsprogramme<br />

auch noch durch Steuergelder<br />

unterstützt werden!<br />

Anne Magahs, Düren, zum Beitrag<br />

»Pädagogischer Schund an hessischen<br />

Schulen«<br />

besonders durch die seinerzeit weite Verbreitung<br />

des Tendenzfilmes »Ich klage<br />

an«. Die Historie mit den deletären Folgen<br />

dürfte bekannt genug sein. Erstaunlich,<br />

in welch weiten Kreisen damals in<br />

den Vorkriegsjahren diese gefährliche<br />

Ideologie des »Gnadentodes« <strong>–</strong> aus fatalen<br />

Mitleids-Erwägungen um sich griff. Mit<br />

an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />

wird die gegenwärtig in unseren<br />

Nachbarländern Belgien und Niederlande<br />

schon recht weit verbreitete Ideologie<br />

des »Mitleids mit den schwer kranken<br />

Menschen, denen man mit einer gnädigen<br />

Tötung zu helfen glaubt«, auch in unserer<br />

Bevölkerung immer mehr Sympathisanten<br />

finden. Eine Tragik, die sich immer<br />

wieder bestätigt: aus Geschichte wird<br />

kaum gelernt und Fehlhaltungen nisten<br />

sich zu oft hartnäckig ein.<br />

Dr. med. Günter Struck, Köln<br />

Das Herz kommt zu kurz<br />

Ich lese ihre Zeitschrift sehr gern. Was<br />

mir fehlt, ist die musische Seite. Sie sprechen<br />

vor allem den Verstand an. Die<br />

Zahlen, die Argumentation rührt die Vernunftseite,<br />

das Herz aber kommt zu kurz.<br />

Andreas Peters, Lyriker, Bad Reichenhall<br />

Interview mit Spaemann<br />

Es ist gut und wichtig, dass die <strong>ALfA</strong><br />

mit dem »<strong>LebensForum</strong>« eine hochwertige<br />

Zeitschrift herausgibt, die informativ<br />

und umfassend die aktuellen Themen des<br />

Robert Spaemann<br />

Lebensrechts beleuchtet. Angesichts der<br />

hierzulande voranschreitenden Diskussion<br />

um eine mögliche Legalisierung der aktiven<br />

Sterbehilfe war es unerlässlich, dass<br />

sich die letzte Ausgabe unter anderem<br />

diesem Thema gewidmet hat. Besonders<br />

lesenwert war dabei das Interview mit<br />

Robert Spaemann. Es ist beeindruckend,<br />

wie stringent und verständlich Spaemann<br />

argumentiert. Das »<strong>LebensForum</strong>« könnte<br />

seine Qualität noch verbessern, wenn<br />

es häufiger solch renommierte Persönlichkeiten<br />

zu Wort kommen lassen würde.<br />

Mira Steinhauer, Kerpen<br />

ANZEIGE<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>77</strong>


IMPRESSUM<br />

IMPRESSUM<br />

LEBENSFORUM<br />

Ausgabe Nr. <strong>77</strong>, 1. Quartal <strong>2006</strong><br />

ISSN 0945-4586<br />

Verlag<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, Email: info@alfa-ev.de<br />

Herausgeber<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />

Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />

Kooperation<br />

Ärzte für das Leben e.V. <strong>–</strong> Geschäftsstelle<br />

z.H. Frau Dr. Bärbel Dirksen<br />

Ludwig-Schüsselerstr. 29, 64678 Lindenfels<br />

Tel.: 0 62 54 / 4 30, E-Mail: dr.b.dirksen@gmx.de<br />

www.aerzte-fuer-das-leben.de<br />

Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen<br />

Stitzenburgstraße 7, 70182 Stuttgart<br />

Tel.: 0711 - 232232, Fax: 0711 - 2364600<br />

E-Mail: info@tclrg.de, Internet: www.tclrg.de<br />

Redaktionsleitung<br />

Stefan Rehder, M.A., Dr. phil. nat. Andreas Reimann<br />

Redaktion<br />

Veronika Blasel, M.A.,Alexandra Linder, M.A.,<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Ingolf Schmid-<br />

Tannwald (Ärzte für das Leben e.V.)<br />

Anzeigenverwaltung<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, E-Mail: info@alfa-ev.de<br />

Satz / Layout<br />

Rehder Medienagentur, Aachen<br />

www.rehder-agentur.de<br />

Auflage<br />

6.500 Exemplare<br />

Anzeigen<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 1.01.2003<br />

Erscheinungweise<br />

Vierteljährlich, Lebensforum Nr. 78 erscheint am 9.06.<strong>2006</strong>,<br />

Redaktionsschluss ist der 12.05.<strong>2006</strong><br />

Jahresbezugspreis<br />

12,- EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der Ärzte für<br />

das Leben im Beitrag enthalten)<br />

Bankverbindung<br />

Augusta-Bank<br />

Konto Nr. 50 40 990 - BLZ 720 900 00<br />

Spenden erwünscht<br />

Druck<br />

Reiner Winters GmbH<br />

Wiesenstraße 11, 57537 Wissen<br />

www.rewi.de<br />

Titelbild<br />

Rehder Medienagentur<br />

www.rehder-agentur.de<br />

Das Lebensforum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem<br />

Papier gedruckt.<br />

Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt<br />

die Meinung der Redaktion oder der <strong>ALfA</strong> wieder und stehen in<br />

der Verantwortung des jeweiligen Autors.<br />

Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck <strong>–</strong> auch auszugsweise<br />

<strong>–</strong> nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für<br />

unverlangt eingesandte Beiträge können wir keine Haftung<br />

übernehmen. Unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare<br />

werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor,<br />

Leserbriefe zu kürzen.<br />

Helfen Sie Leben retten!<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.de<br />

Spendenkonto: Augusta-Bank eG (BLZ 720 900 00), Konto Nr. 50 40 990<br />

Ja, ich abonniere die Zeitschrift Lebensforum für 12,<strong>–</strong> € pro Jahr.<br />

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des Lebensforums ist im Beitrag schon enthalten. Die Höhe des Beitrages, die ich leisten möchte, habe ich angekreuzt:<br />

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einzuziehen:<br />

Institut Konto.-Nr. BLZ<br />

Datum, Unterschrift


LETZTE SEITE<br />

»Skandalös«<br />

Das 7. EU<strong>–</strong>Forschungsrahmenprogramm<br />

sorgt weiter für Streit. Ginge es nach<br />

Großbritannien, wäre der künstlich<br />

erzeugte Embryo nächstes Jahr vogelfrei.<br />

Von Matthias Lochner<br />

Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt<br />

Deutsche Post AG (DPAG)<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg<br />

der Arbeitsgruppe Bioethik der größten<br />

Fraktion im Europäischen Parlament<br />

(EVP-ED), Peter Liese, denn auch schockiert.<br />

»In ihrem Wahn, ethische Grenzen,<br />

die viele Mitgliedstaaten in Europa<br />

für notwendig halten, zu ignorieren, machen<br />

die Briten jetzt offensichtlich auch<br />

vor dem reproduktiven Klonen keinen<br />

Halt mehr«, erklärte der promovierte<br />

ARCHIV<br />

Das Europäische Parlament in Straßburg<br />

Der bisherige Vorschlag der Europäischen<br />

Kommission sieht<br />

vor, einige Forschungsvorhaben<br />

von der Finanzierung durch die EU<br />

auszunehmen, darunter das reproduktive<br />

Klonen von Menschen, Eingriffe in die<br />

menschliche Keimbahn und die Herstellung<br />

von Embryonen zu Forschungszwecken.<br />

Mit Deutschland, Italien, Österreich,<br />

Malta, Luxemburg, Polen, Slowenien<br />

und der Slowakei halten jedoch acht<br />

Mitgliedsstaaten den Vorschlag für nicht<br />

weitreichend genug, weil damit die verbrauchende<br />

Forschung an menschlichen<br />

Embryonen und menschlichen embryonalen<br />

Stammzellen trotzdem möglich<br />

wäre. Einem Dokument der österreichischen<br />

EU-Präsidentschaft zufolge wollen<br />

Großbritannien und Schweden hingegen<br />

noch weiter gehen und sämtliche ethischen<br />

Begrenzungen aus dem Rahmenprogramm<br />

streichen.<br />

»Ich finde die britische Forderung<br />

skandalös«, zeigte sich der Vorsitzende<br />

Humangenetiker. Dadurch werde die<br />

Haltung des EU-Parlaments und der<br />

deutschen Bundesregierung, »die in dieser<br />

Frage für strenge Regelungen und vor<br />

allen Dingen für die Unterstützung der<br />

ethisch unbedenklichen Forschung mit<br />

adulten Stammzellen und Stammzellen<br />

aus der Nabelschnur eintreten,« erneut<br />

bestätigt, so Liese weiter.<br />

Österreichs Wissenschaftsministerin<br />

Elisabeth Gehrer betonte, dass Österreich<br />

daran festhalte, die Forschung an adulten<br />

Stammzellen zu bevorzugen. Da es aber<br />

keine entsprechende Mehrheit für diese<br />

Position gebe, sei wohl die »einfachste<br />

WWW.PIXELQUELLE.DE<br />

Peter Liese<br />

Lösung«, an der bisherigen Regelung im<br />

6. Rahmenprogramm festzuhalten.<br />

»Wir schlagen vor, das System beizubehalten,<br />

so wie es ist«, sagte denn auch<br />

der EU-Forschungskommissar Janez Potočnik<br />

und wies damit die Forderungen<br />

Deutschlands und der sieben anderen<br />

EU-Mitgliedstaaten zurück. Potočnik<br />

erklärte, dass das bestehende System,<br />

wonach ein wissenschaftlicher Expertenrat<br />

und ein Ethik-Gremium die Projekte<br />

prüfen, bevor ein Regelungsausschuss mit<br />

Experten der Mitgliedstaaten von Fall zu<br />

Fall darüber entscheidet, »in der Praxis<br />

bisher gut funktioniert« habe. Außerdem<br />

dürfe nicht übersehen werden, dass mehr<br />

als 90 Prozent der Forschung auf diesem<br />

Gebiet mit adulten Stammzellen betrieben<br />

werde, so der EU-Kommissar weiter.<br />

Bleibt es dabei, würden auch von 2007<br />

bis 2013 mit Steuergeldern aller EU-<br />

Mitgliedstaaten Projekte gefördert, die<br />

in Deutschland und zahlreichen anderen<br />

EU-Staaten verboten sind. Der Antrag<br />

des Deutschen Bundestags vom 1.7.2003,<br />

keine »Forschungsvorhaben, bei denen<br />

menschliche Embryonen getötet werden«<br />

zu unterstützen und »auch auf europäischer<br />

Ebene bei den Forschungsprojekten<br />

eine Beschränkung auf bestehende<br />

Stammzelllinien« vorzunehmen, wäre<br />

abermals gescheitert.

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