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ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 78 2/2006

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Nr. <strong>78</strong> | 2. Quartal <strong>2006</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 3,<strong>–</strong> €<br />

B 42890<br />

LEBENSFORUM<br />

Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Interview<br />

Manfred Spieker:<br />

Kirchen wie gelähmt<br />

Medizin<br />

Das Ende der<br />

Klonforschung?<br />

Gesellschaft<br />

Pränatale Diagnostik<br />

wird zum Baby-TÜV<br />

Deutsche Kirchen<br />

Offene<br />

Türen<br />

für den<br />

Lebensschutz?<br />

In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)


INHALT<br />

LEBENSFORUM <strong>78</strong><br />

EDITORIAL<br />

Bündnis für das Leben 3<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

TITEL<br />

»Wer nicht für die Ungeborenen schreit« 4<br />

Marcus Mockler<br />

»Zu viele Bischöfe meiden das Thema« 8<br />

Interview mit Manfred Spieker<br />

AUSLAND<br />

Recht zu sterben <strong>–</strong> Pflicht zu sterben 13<br />

Stephan Baier<br />

MEDIZIN<br />

Göttinger Wissenschaftler haben möglicherweise eine moralisch vertretbare Alternative zu der ethisch<br />

verwerflichen embryonalen Stammzellforschung gefunden. Klappt, was im Tierversuch funktionierte,<br />

auch beim Menschen, dann ließe sich womöglich Ersatzgewebe züchten, ohne Embryonen zu töten.<br />

W<br />

Spermatogonien<br />

sorgen für Aufsehen<br />

er an Göttingen denkt, mag<br />

sich an die Händel-Festspiele<br />

im Juni erinnern oder daran,<br />

dass der erste deutsche Reichskanzler<br />

Otto von Bismarck dort für ein Jahr studierte.<br />

Auch berühmte Wissenschaftler<br />

haben der Stadt Ruhm und Ehre bereitet<br />

<strong>–</strong> 44 Nobelpreisträger stammen aus der<br />

18 - 21<br />

130.000 Einwohner zählenden Kommune.<br />

Ende März rückte Göttingen als Forschungsstandort<br />

durch eine Veröffentlichung<br />

im Wissenschaftsmagazin »Nature«<br />

erneut in das Blickfeld der weltweiten<br />

Forschungsriege. Denn Göttinger<br />

Forscher haben möglicherweise eine Alternative<br />

zu der unethischen embryonalen<br />

Stammzellforschung gefunden.<br />

Ein Team um den Herzspezialisten<br />

Prof. Dr. Gerd Hasenfuß und den Humangenetiker<br />

Prof. Dr. Wolfgang Engel<br />

hat es geschafft, Zellen aus Mäusehoden<br />

im Reagenzglas zu kultivieren. Das Erstaunliche:<br />

Diese Zellen entsprechen den<br />

Eigenschaften von embryonalen Stamm-<br />

Aus Stammzellen bilden sich in Kultur Herzzellen (oben links), Skeletalmuskelzellen (oben rechts), Gefäßmuskelzellen<br />

(unten links) und Nervenzellen (unten rechts).<br />

ARCHIV<br />

zellen und konnten sich beispielsweise<br />

zu Herz- oder Skelettmuskelzellen entwickeln.<br />

Bislang war dies nur bei Zellen, die<br />

aus Embryonen gewonnen werden, gelungen.<br />

Allerdings werden dabei die heranwachsenden<br />

Menschen getötet. Es steht<br />

damit dem in Deutschland geltenden<br />

Embryonenschutzgesetz entgegen, was<br />

unter anderem die so genannte verbrauchende<br />

Embryonenforschung verbietet.<br />

Die embryonale Stammzellforschung ist<br />

in Deutschland daher nur eingeschränkt<br />

möglich.<br />

»Die Fähigkeit, der von uns kultivierten<br />

adulten Zellen in die verschiedensten<br />

Gewebe auszudifferenzieren wurde bisher<br />

nur bei embryonalen Stammzellen<br />

beobachtet«, sagte die Mitarbeiterin der<br />

Abteilung Kardiologie und Pneumologie<br />

am Göttinger Herzzentrum, Kaomei Guan.<br />

Die Erstautorin ist maßgeblich an<br />

den Forschungsergebnissen beteiligt. Sollte<br />

sich das Verfahren auf den Menschen<br />

übertragen lassen, könnte dieses unter<br />

anderem bei der Behandlung von Herzinfarkten,<br />

Parkinson oder Diabetes zum<br />

Einsatz kommen. Krankheiten, die bislang<br />

die Klonforscher irgendwann einmal bekämpfen<br />

wollten.<br />

Entsprechend erfreut zeigte sich auch<br />

das Göttinger Team. Hasenfuß, der die<br />

Abteilung Kardiologie und Pneumologie<br />

Göttingen leitet, sagte im ZDF-Morgenmagazin:<br />

»Wir arbeiten schon lange<br />

an Stammzellen. Dieser Erfolg ist uns<br />

mit anderen Zellen nicht geglückt, bei<br />

dieser Zelle waren wir aber besonders<br />

optimistisch. Und schlussendlich hat es<br />

dann geklappt.«<br />

Eigentlich beschäftigen sich Hasenfuß<br />

und seine Kollegen mit der Herzregeneration.<br />

»Wir versuchen Zellen zu züchten,<br />

mit denen Herzschwächen behandelt<br />

werden können«, sagte er im Interview<br />

mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«.<br />

Allerdings würden viele daran<br />

arbeiten, weshalb die Göttinger Herzforscher<br />

auf eine Zusammenarbeit mit dem<br />

Humangenetiker Wolfgang Engel setzten.<br />

Engel und seine Kollegen hatten sich<br />

bislang mit der Spermienreifung und mit<br />

männlicher Unfruchtbarkeit beschäftigt.<br />

»Weil Keimzellen im Hoden grundsätzlich<br />

alle Zelltypen des Körpers bilden<br />

können, entstand die Idee, aus diesem<br />

Gewebe Spermienvorläufer zu isolieren.<br />

So sind wir dann zu den in Zellkultur<br />

vermehrbaren, multipotenten adulten<br />

Keimzellstammzellen gelangt«, erläuterte<br />

Hasenfuß. Für ihn war die Forschung an<br />

und mit den Spermien kein Nebenjob<br />

aus reiner Neugierde. Es sei grundsätzlich<br />

so, dass man zunächst die Probleme beim<br />

Patienten identifizieren würde und die<br />

daraus resultierenden Fragen in die Forschung<br />

mit einbringe. »Und dann erarbeiten<br />

wir eine Antwort«, so Hasenfuß.<br />

KOMPLIZIERTES VERFAHREN<br />

MIT ERSTAUNLICHEN ERGEBNISSEN<br />

Ganz so einfach wie es scheint, waren<br />

die Tests dennoch nicht. Mit einer Erfolgsrate<br />

von 27 Prozent sei es gelungen,<br />

die spermatogonialen Zellen zu isolieren.<br />

Da diese die Eigenschaften von embryonalen<br />

Stammzellen besitzen, werden diese<br />

auch als »multipotentente adulte Keimbahn-Stammzellen«<br />

(maGSCs) bezeichnet.<br />

Mit einem grün fluoreszierenden<br />

Protein wurden diese Zellen markiert,<br />

um sie beim späteren Einsatz wieder finden<br />

zu können. Unter bestimmten Bedingungen<br />

entwickelten sich die Vorläuferzellen<br />

der Spermien zu allen drei<br />

Grundtypen embryonaler Zellen. Aus<br />

solchen Keimblättern gehen alle Organe<br />

und Gewebe des Körpers hervor. Durch<br />

die speziellen Farbstoffe, die vorher zugesetzt<br />

wurden, konnte hinterher festgestellt<br />

werden, welche Proteine die weiter<br />

entwickelten Zellverbände enthielten.<br />

Diese wiederum ließen darauf schließen,<br />

zu welchen Organen sich die Zellen weiter<br />

entwickeln. Denn eine Herzzelle besitzt<br />

beispielsweise ganz andere Proteine als<br />

eine Haut- oder Nervenzelle, erklärte<br />

Lars Maier vom Göttinger Herzzentrum.<br />

Die Arbeitsgruppe konnte nachweisen,<br />

dass die aus den Mäusehoden gewonnen<br />

Zellen zehn Tage nach Kulturbeginn die<br />

gleichen elektrischen Eigenschaften bewiesen,<br />

wie gewöhnliche Herzzellen. Sie<br />

zogen sich genauso rhythmisch zusammen,<br />

verkürzten und erschlafften wieder,<br />

wie es bei einem Herzen der Fall ist. Bei<br />

anderen Tests bildeten sich Nervenzellen,<br />

die Dopamin produzieren. Dopamin ist<br />

der Botenstoff, der bei Parkinson nur<br />

noch reduziert gebildet wird.<br />

Bei einem weiteren Versuch markierte<br />

das Team die Hoden-Stammzellen blau<br />

und injizierten diese in Mäuse-Embryos<br />

im Blastozysten-Stadium. Später fand<br />

man das Gewebe aus den Hodenzellen<br />

in allen Organen des Tieres. Laut Hasenfuß<br />

habe dies als Beweis für die Fähigkeiten<br />

der Zellen gedient, »nicht aber als<br />

therapeutischer Ansatz«. Aus den Hodenzellen<br />

selber, könnten keine Embryos<br />

entstehen.<br />

Auch so genannte Teratome, das sind<br />

sehr seltene Tumore, konnten die Stammzellen<br />

bilden. Dazu wurden diese unter<br />

die Haut von abwehrgeschwächten Mäusen<br />

gepflanzt. Die Tumore enthielten<br />

verschiedene Gewebetypen eines ausgewachsenen<br />

Nagers. Dieser Test war allerdings<br />

nur für die Bestätigung der anderen<br />

Tests notwendig. »Wir haben das auf<br />

Wunsch von ›Nature‹ gemacht, um zu<br />

beweisen, dass auch die Spermazellen von<br />

Mäusen das selbe schaffen wie embryonale<br />

Stammzellen«, erklärte Hasenfuß gegenüber<br />

dem <strong>LebensForum</strong>.<br />

ANDERE FORSCHER<br />

SIND NOCH SKEPTISCH<br />

Nicht alle Forscher teilen die Freude<br />

über die Göttinger Ergebnisse. Der Kölner<br />

Stammzell-Forscher Jürgen Hescheler<br />

sagte: »Schon andere Forscher haben<br />

18 <strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong><br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 19<br />

Göttinger Wissenschaftler wollen menschliches Ersatzgewebe züchten, ohne dabei auf<br />

Embryonen zurückzugreifen.<br />

GLOSSAR<br />

Pluripotenz<br />

Pluripotente Stammzellen können sich<br />

zu jedem Zelltyp eines erwachsenen<br />

Organismus entwickeln. Allerdings sind<br />

sie nicht in der Lage komplette Organismen<br />

zu bilden. Das können nur die so<br />

genannten totipotenten Zellen.<br />

Insgesamt gibt es drei große Zellfamilien,<br />

zu denen sich diese Stammzellen<br />

entwicklen können: Mesoderm, EKtoderm<br />

und Endoderm.<br />

Spermatogonese<br />

Unter Spermatogonese versteht man<br />

die Teilung von so genannten Spermatogonien,<br />

das sind Vorläuferzellen von<br />

Spermien. In mehreren Schritten teilen<br />

diese Vorläufer sich, bis sie schließlich<br />

zu Spermien heranreifen. Aus einem<br />

Spermatogonium gehen vier Spermien<br />

hervor. Ein gesunder Mann produziert<br />

pro Sekunde 1200, das sind 104 Millionen<br />

Spermien pro Tag.<br />

ARCHIV<br />

Prof. Dr. Wolfgang Engel, Prof. Dr. Gerd Hasenfuß<br />

INFORMATION<br />

Prof. Dr. Gerd Hasenfuß<br />

Geboren 1955 in Kehl am Rhein, promovierte<br />

1981 in Freiburg, anschließend<br />

bis 1988 Facharztausbildung an der Freiburger<br />

Universitätsklinik. Nach einem<br />

zweijährigen wissenschaftlichen Aufenthalt<br />

am „College of Medicine“ in<br />

Vermont/USA und seiner Habilitation<br />

1989 kehrte er 1990 nach Freiburg zurück,<br />

wurde drei Jahre später Oberarzt<br />

der medizinischen Klinik. 1998 Wechsel<br />

zur Georg-August-Universität Göttingen,<br />

seit 2001 Vorsitzender des Herzzentrums.<br />

Des Kaisers neue Kleider 16<br />

Stefan Rehder, M.A.<br />

MEDIZIN<br />

Spermatogonien sorgen für Aufsehen 18<br />

Tobias-Benjamin Ottmar<br />

Das Ende der Klonforschung? 21<br />

Interview mit Prof. Dr. Gerd Hasenfuß<br />

4 - 7<br />

Vorsichtig nähern sich die<br />

deutschen Kirchen den<br />

Lebensrechtlern an.<br />

GESELLSCHAFT<br />

Der Baby-TÜV 22<br />

Matthias Lochner<br />

Familien sind kein Sozialfall 26<br />

Cornelia Kaminski<br />

Ist das die Freiheit, die wir meinen? 28<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

BÜCHERFORUM 30<br />

KURZ VOR SCHLUSS 32<br />

LESERFORUM 34<br />

IMPRESSUM 35<br />

LETZTE SEITE 36<br />

Vom eigentlichen Zweck der<br />

Vorsorgeuntersuchung mutiert<br />

die Pränataldiagnostik immer<br />

öfter zur vorgeburtlichen<br />

Selektion.<br />

22 - 23<br />

LIFE ISSUES INSTITUTE<br />

2<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


EDITORIAL<br />

8 - 12<br />

<strong>LebensForum</strong> sprach mit Manfred Spieker über die<br />

Gründe der unterschiedlichen Nähe zwischen<br />

Kirchen und Lebensrechtlern in den USA und in<br />

Deutschland.<br />

DANIEL RENNEN<br />

13 - 15<br />

A USLAND<br />

Das britische Oberhaus stoppte eine Initiative zur Legalisierung der Euthanasie. Und selbst die<br />

linksradikale Regierung Spaniens will die aktive Sterbehilfe nicht erlauben. Grund zur Freude <strong>–</strong> aber<br />

auch zur Beruhigung?<br />

Von Stephan Baier<br />

I<br />

Recht zu sterben<br />

Pflicht zu sterben<br />

m April des Vorjahres scheiterte der<br />

liberale Schweizer Dick Marty mit<br />

seinen wiederholten Versuchen, den<br />

Europarat für die Straffreistellung der<br />

aktiven Euthanasie zu gewinnen. Eine<br />

entsprechende Empfehlung an die Mitgliedstaaten<br />

dieses eurasischen Gremiums<br />

<strong>–</strong> dem, im Gegensatz zur EU, auch die<br />

Türkei, Russland, Georgien, Aserbaidschan<br />

und Armenien angehören <strong>–</strong> hätte<br />

zwar keine rechtsverbindliche Wirkung<br />

gehabt, wohl aber eine ethisch enthemmende.<br />

Mit den gleichen Argumenten wie<br />

Marty im Europarat hatte nun der britische<br />

Lord Joffe versucht, in Großbritannien<br />

eine Legalisierung der Euthanasie<br />

zu erkämpfen. Joffe begründete seine<br />

»Auch ökonomischer<br />

Druck spielt eine Rolle.«<br />

Initiative damit, dass es für eine sich um<br />

Kranke sorgende Gesellschaft inakzeptabel<br />

sei, dass unheilbar Kranke unerträgliche<br />

Schmerzen erleiden müssen. Nur<br />

für den Fall, dass Leiden auch durch<br />

palliative Betreuung nicht gelindert werden<br />

könnten, biete sein Gesetzesentwurf<br />

einen Ausweg an. Die überaus breite<br />

Opposition gegen diesen Vorstoß wollte<br />

der Lord als »christliche Minorität«, die<br />

ihre »überholten Vorurteile« einer nichtchristlichen<br />

Mehrheit aufzwinge, marginalisieren.<br />

Tatsächlich kam von religiöser Seite<br />

massiver Widerstand: Der Primas der<br />

anglikanischen Staatskirche und Erzbischof<br />

von Canterbury, Rowan Williams,<br />

der katholische Erzbischof von Westmin-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 13<br />

Sowohl das britische Oberhaus als auch die<br />

spanische Regierung wollen die Sterbehilfe nicht<br />

erlauben. Grund zur Beruhigung?<br />

ARCHIV<br />

Bündnis für<br />

das Leben<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

»Getrennt marschieren, gemeinsam<br />

schlagen« lautet eine der Parolen, die im<br />

politischen Raum gerne und häufig zitiert<br />

wird. Mitunter mag eine solche Handlungsanweisung<br />

tatsächlich taktisch klug<br />

sein; in der Regel werden mit ihr jedoch<br />

vor allem jene abgespeist, deren Dienste<br />

hier und da als nützlich betrachtet werden,<br />

die man ansonsten aber gerne auf Distanz<br />

zu halten sucht.<br />

»Getrennt marschieren, gemeinsam<br />

schlagen«, so ließe sich <strong>–</strong> um im Bild zu<br />

bleiben <strong>–</strong> auch das höflich distanzierte<br />

Verhältnis beschreiben, das viele offizielle<br />

kirchlichen Stellen und Lebensrechtsorganisationen<br />

in Deutschland seit Jahren<br />

kultiviert haben. Dass<br />

dieses Bild seit einiger<br />

Zeit erfreuliche Risse<br />

aufweist, mag viele<br />

Gründe haben, über<br />

die hier nur spekuliert<br />

werden kann. Gut<br />

möglich, dass kirchliche<br />

Würdenträger<br />

ebenso wie die Lebensrechtler feststellen,<br />

dass nicht einmal die Debatte um den<br />

dramatischen demografischen Wandel<br />

dazu führt, dass die Politik ihre Haltung<br />

zum Lebensschutz überdenkt. Gut möglich,<br />

dass die bedrohlichen biopolitischen<br />

Szenarien und die Diskussion um die<br />

Tötung auf Verlangen manchem erst jetzt<br />

bewusst gemacht haben, wie eiskalt es in<br />

Deutschland mancherorts geworden ist.<br />

Gut möglich auch, dass die vielen Begegnungen,<br />

um die sich die ehrenamtlichen<br />

Repräsentanten der Lebensrechtsbewegung<br />

bemüht haben, bei kirchlichen<br />

Amtsträgern zu einem Abbau von Klischees<br />

beitragen haben, die an vielen<br />

Stellen <strong>–</strong> warum nicht auch in kirchlichen<br />

<strong>–</strong> über Lebensrechtler kursieren.<br />

Wie auch immer. Wir Lebensrechtler<br />

wünschen uns seit Jahren den Schulterschluss<br />

mit den Kirchen. Nicht weil wir,<br />

die wir überwiegend in einer der christlichen<br />

Kirchen beheimatet sind, nach Nestwärme<br />

Ausschau hielten, sondern weil<br />

Gemeinsam der »Kultur des<br />

Lebens« zum Sieg verhelfen.<br />

wir überzeugt davon<br />

sind, dass erst ein solcher<br />

Schulterschluss die<br />

träge gewordene Politik<br />

zum Handeln zu bewegen<br />

vermag.<br />

An Argumenten für<br />

einen konsequenten<br />

Lebensschutz fehlt es<br />

nicht, wie jede Ausgabe<br />

von <strong>LebensForum</strong> <strong>–</strong> so<br />

auch diese <strong>–</strong> neu zu belegen<br />

weiß. Woran es<br />

jedoch mangelt, ist die kritische Masse<br />

derjenigen, um deren Stimmen Politiker<br />

nun einmal werben. Das Beispiel der<br />

Vereinigten Staaten von Amerika zeigt,<br />

wie viel für den Schutz des Lebens erreicht<br />

werden kann, wenn Kirchen und Lebensrechtler<br />

gemeinsam marschieren. Wo<br />

dagegen Lebensrechtler in ihren Kirchen<br />

nur »gedultet« werden, da lehnen sich<br />

Politiker entspannt zurück, wenn die<br />

naturgemäß geringere Zahl der Aktivisten<br />

statt schöner Worte wieder einmal Taten<br />

von ihnen einfordert.<br />

»Gemeinsam marschieren,<br />

getrennt<br />

wirken«, so könnte<br />

die Formel lauten, die<br />

in Deutschland und<br />

in anderen Ländern<br />

Europas den von<br />

vielen heiß ersehnten<br />

Durchbruch zu einer »Kultur des<br />

Lebens« (Johannes Paul II.) bringen<br />

könnte. Wenn die Tötung ungeborener<br />

Kinder in Deutschland ein Ende und die<br />

Tötung alter und kranker Menschen keinen<br />

neuen Anfang haben soll, dann brauchen<br />

wir <strong>–</strong> analog zum »Bündnis für Erziehung«<br />

<strong>–</strong> ein »Bündnis für das Leben«.<br />

Die Titelgeschichte von Marcus Mockler,<br />

Reporter der evangelischen Nachrichtenagentur<br />

idea, und das Interview mit dem<br />

katholischen Sozialethiker Manfred Spieker<br />

zeigen, wie viel sich in letzter Zeit<br />

bewegt hat, auch wenn Kirchen und Lebensrechtler<br />

noch manchen Graben überwinden<br />

werden müssen. Eine anregende<br />

Lektüre wünscht wie immer<br />

Ihre<br />

Claudia Kaminski<br />

Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> und<br />

des Bundesverbandes Lebensrecht<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 3


TITEL<br />

»Wer nicht für die<br />

Ungeborenen schreit...«<br />

»Gott ist ein Freund des Lebens« haben katholische und evangelische Kirche 1989 ihre gemeinsame<br />

Denkschrift zum Thema Lebensschutz überschrieben. Doch sind die Kirchen ebenfalls »Freundinnen«<br />

des Lebens? Marcus Mockler, Reporter der Evangelischen Nachrichtenagentur idea, zeigt im folgenden<br />

Beitrag, wie sehr sich protestantische und katholische Amtsträger in jüngster Zeit der Lebensrechtsbewegung<br />

angenähert haben. Ein Schulterschluss scheint in nicht allzu ferner Zeit trotz noch bestehender<br />

Gräben möglich.<br />

Von Marcus Mockler<br />

Solche Sätze zum Thema Abtreibung<br />

hört man selten: »Gott will<br />

uns ja segnen, aber wir weisen<br />

diesen Segen ab. Im schlimmsten Fall<br />

bringen wir ihn um ... Stellen Sie sich<br />

4<br />

unsere Reaktionen vor, wenn ein Diktator<br />

jährlich 130.000 Kinder vertreiben oder<br />

sogar in die Todeskammer schicken würde.«<br />

Ungeborene seien in Deutschland<br />

»in unheimlicher Weise ungeschützt«.<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

Diese Worte stammen von keinem Papst<br />

und keinem katholischen Bischof, sondern<br />

von einer der höchsten Repräsentantinnen<br />

der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />

(EKD): Gudrun Lindner (Weißbach/<br />

Erzgebirge), Präsidentin der sächsischen<br />

Landessynode und Mitglied im Leitungsgremium<br />

der EKD, dem Rat. Sie sprach<br />

diese Worte im November 2004 vor der<br />

EKD-Synode in Magdeburg. Und sie<br />

ergänzte, angesichts der Millionen Abtreibungen<br />

in den vergangenen Jahrzehnten<br />

könne sie nur an das Stuttgarter<br />

Schuldbekenntnis denken, in dem die<br />

Evangelische Kirche in Deutschland nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg ihr Versagen<br />

während des Nationalsozialismus bekannt<br />

hatte.<br />

EIN BISCHOF DENKT UM<br />

Eine so klare Sicht vom Unrecht der<br />

Tötung ungeborener Kinder und vom<br />

Ausmaß der Abtreibungen ist bei leitenden<br />

Protestanten in Deutschland (noch)<br />

die Ausnahme. Aber der Wind dreht sich.<br />

Die abtreibungskritischen Stellungnahmen<br />

nehmen seit Jahren zu. Während<br />

sich in den 90er Jahren evangelische Bischöfe<br />

und Synodalpräsidenten nur gequält<br />

kritisch zu diesem Thema äußerten,<br />

wenn evangelikale Journalisten danach<br />

fragten, sieht die Situation inzwischen<br />

ganz anders aus. Führende Repräsentanten<br />

bringen das Thema von sich aus auf<br />

den Tisch <strong>–</strong> immer häufiger und immer<br />

klarer. Bezeichnend ist hier der Gesinnungswandel<br />

beim Ratsvorsitzenden der<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


ARCHIV<br />

ARCHIV<br />

Die katholische Kirche war hier <strong>–</strong> sowohl<br />

als Weltkirche als auch im deutschen<br />

Gewand <strong>–</strong> immer profilierter. Die päpstlichen<br />

Schreiben sind von einer Klarheit<br />

geprägt, die Liberale irritiert und die dazu<br />

dienen kann, Verunsicherten wieder einen<br />

festen Standpunkt zu geben. Erinnert sei<br />

an Papst Johannes Paul II. und seine 1995<br />

erschienene Enzyklika »Evangelium<br />

vitae« (Frohe Botschaft des Lebens). Dort<br />

zieht er eine gerade Linie vom Arbeitnehmerschutz<br />

zum Lebensschutz: »Wie es<br />

vor einem Jahrhundert die Arbeiterklasse<br />

war, die in ihren fundamentalsten Rechten<br />

unterdrückt und von der Kirche mit großem<br />

Mut in Schutz genommen wurde,<br />

indem sie die heiligen Rechte der Person<br />

des Arbeiters herausstellte, so weiß sie<br />

sich jetzt, wo eine andere Kategorie von<br />

Personen in ihren grundlegenden Lebensrechten<br />

unterdrückt wird, verpflichtet,<br />

mit unvermindertem Mut den Stimmlosen<br />

Stimme zu sein.« Der Text erschien<br />

in dem Jahr, als der Deutsche Bundestag<br />

mit überwältigender Mehrheit (auch von<br />

christdemokratischen Abgeordneten) die<br />

Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten<br />

praktisch völlig freigegeben<br />

hat. Johannes Paul II. ordnete<br />

das Übel ein, indem er Abtreibung in<br />

einem Atemzug mit Mord, Völkermord,<br />

Euthanasie und freiwilligem Selbstmord<br />

nannte und sie als »Widerspruch gegen<br />

die Ehre des Schöpfers« brandmarkte.<br />

Sprachlich milder, inhaltlich dennoch klar<br />

haben auch die deutschen katholischen<br />

Bischöfe immer wieder für einen besseren<br />

Lebensschutz argumentiert <strong>–</strong> etwa in Hirtenbriefen<br />

vor Bundestagswahlen.<br />

KEIN NEIN ZUM SCHEIN<br />

Bischof Wolfgang Huber<br />

EKD, dem Berliner Bischof Wolfgang<br />

Huber. Der evangelische Theologieprofessor<br />

aus Heidelberg kommt ursprünglich<br />

aus der eher sozialistischen Ecke und<br />

wollte noch 1993 für die SPD ein Bundestagsmandat<br />

erringen. Kurz darauf<br />

berief ihn die Evangelische Kirche in<br />

Berlin-Brandenburg (die inzwischen mit<br />

der kleinen Evangelischen Kirche der<br />

Schlesischen Oberlausitz fusioniert ist)<br />

ins Bischofsamt. Seitdem hat Huber einen<br />

klareren Blick für die Anliegen der Konservativen<br />

<strong>–</strong> sowohl beim Thema Mission<br />

als auch beim Lebensschutz. Seine Stellungnahmen<br />

haben an Profil gewonnen.<br />

So forderte er bei der jüngsten Eröffnung<br />

der ökumenischen »Woche für das<br />

Leben«, dass »den gesetzlich ermöglichten<br />

Spätabtreibungen ein Ende gemacht<br />

wird«. Es kennzeichnet Huber auch, dass<br />

er offen bekennt, in dieser Frage dazugelernt<br />

zu haben.<br />

NEUE TÖNE IM PROTESTANTISMUS<br />

Die Kommentare von Gudrun Lindner<br />

und Wolfgang Huber stehen im Raum<br />

der EKD nicht isoliert. Es hat von verschiedenen<br />

Seiten in jüngerer Zeit viele<br />

abtreibungskritische Äußerungen gegeben.<br />

Die Bischöfin der größten deutschen<br />

Landeskirche, Margot Käßmann (Hannover),<br />

bringt das Thema immer wieder<br />

zur Sprache. Die württembergische Landessynode<br />

wies im November 2005 nochmals<br />

in einer Erklärung darauf hin: »Abtreibung<br />

bedeutet Tötung eines Menschen.«<br />

Der Thüringer Landesbischof<br />

Christoph Kähler (Eisenach) nannte im<br />

Herbst 2004 die Vorstellung, dass es einen<br />

Rechtsanspruch auf Abtreibung gebe,<br />

»abstrus«. Der Bischof der Evangelischen<br />

Bischöfin Gudrun Lindner<br />

Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin<br />

Hein (Kassel), forderte 2001, die juristische<br />

Regelung von Abtreibungen zu überdenken.<br />

Das sind alles neue Töne, die<br />

einen Stimmungsumschwung andeuten.<br />

Denn die EKD hat eine Liberalisierung<br />

der Abtreibung in den 70er Jahren eher<br />

begrüßt. Die Evangelische Akademie in<br />

Bad Boll (Württemberg) hatte sich im<br />

Januar 1971 für eine Tagung missbrauchen<br />

lassen, die der freien Tötung Ungeborener<br />

das Wort redete und beim Stimmungswechsel<br />

unter Politikern eine wichtige<br />

Rolle spielte. Jahrzehntelang galt es<br />

im Protestantismus und gilt es großteils<br />

bis heute als Tabu, den Paragrafen 218<br />

zur Diskussion zu stellen.<br />

PROFILIERTER PAPST<br />

INFORMATION<br />

Evangelium vitae (Auszug)<br />

»Selbst in Schwierigkeiten und Unsicherheiten<br />

vermag jeder Mensch, der<br />

in ehrlicher Weise für die Wahrheit und<br />

das Gute offen ist, im Licht der Vernunft<br />

und nicht ohne den geheimnisvollen<br />

Einfluss der Gnade im ins Herz geschriebenen<br />

Naturgesetz (vgl. Röm 2, 14-15)<br />

den heiligen Wert des menschlichen<br />

Lebens vom ersten Augenblick bis zu<br />

seinem Ende zu erkennen und das Recht<br />

jedes Menschen zu bejahen, dass dieses<br />

sein wichtigstes Gut in höchstem Maße<br />

geachtet werde. Auf der Anerkennung<br />

dieses Rechtes beruht das menschliche<br />

Zusammenleben und das politische Gemeinwesen.«<br />

Mit so viel Klarheit tut sich allerdings<br />

der Katholizismus in Deutschland schwer.<br />

Hier fühlt man sich letztlich doch mehr<br />

der politischen Korrektheit verpflichtet<br />

und vermeidet es, die Schärfe lehramtlicher<br />

Positionen in den gesellschaftlichen<br />

Diskurs einzubringen. Zumal in politisch<br />

besetzten Kirchengremien wie dem Zentralkomitee<br />

der deutschen Katholiken<br />

(ZdK) die Protagonisten lebensfeindlicher<br />

Gesetze ja mit am Tisch sitzen und schon<br />

von daher außerstande sind, als Transmissionsriemen<br />

für die vom Papst geforderte<br />

Kultur des Lebens zu dienen. Aus diesen<br />

Reihen formierte sich denn auch der<br />

Widerstand gegen den vom Papst geforderten<br />

Verzicht auf die Ausstellung von<br />

Beratungsscheinen für Frauen im<br />

Schwangerschaftskonflikt. Die Scheine,<br />

die von Kritikern als »Lizenz zum Töten«<br />

bezeichnet werden, weil ihr einziger<br />

Zweck die Herstellung von Straffreiheit<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 5


TITEL<br />

im Falle der Abtreibung ist, kommen nun<br />

aus dem Hause der katholischen Initiative<br />

»Donum vitae« (Geschenk des Lebens).<br />

WARUM PROMINENTE KONVERTIEREN<br />

Zweifellos hat trotz dieser Wirrungen<br />

die katholische Kirche in all den Jahren<br />

das klarere Profil bewahrt. Eine Straßenumfrage<br />

würde mit Sicherheit ergeben,<br />

dass der Durchschnittsdeutsche viel eher<br />

sagen kann, wie die katholische Kirche<br />

über Abtreibung denkt, als erklären zu<br />

können, was bei diesem Thema die evangelische<br />

Position ist. Interessanterweise<br />

hat gerade die jahrzehntelange Profillosigkeit<br />

der evangelischen Kirche in der<br />

Abtreibungsfrage prominente Mitglieder<br />

zu Konvertiten werden lassen. Dazu gehören<br />

der Gründer der Europäischen<br />

Ärzteaktion, Siegried Ernst, der auch<br />

Alterspräsident der württembergischen<br />

Landessynode war; die kürzlich verstorbene<br />

Schriftstellerin Karin Struck; die<br />

Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin<br />

Christa Meves, die früher der<br />

EKD-Synode angehörte. Die Gründe für<br />

diese Konversionen waren sicher vielschichtiger<br />

<strong>–</strong> doch das kompromisslose<br />

katholische Ja zum Lebensrecht Ungeborener<br />

war bei allen eines der Hauptargumente<br />

für den Konfessionswechsel. Andererseits<br />

hat die katholische Kirche in<br />

Deutschland <strong>–</strong> im Unterschied zu den<br />

USA <strong>–</strong> nicht die Federführung in der<br />

Pro-Life-Bewegung übernommen. Die<br />

liegt nach wie vor bei ehrenamtlich engagierten<br />

Katholiken und Protestanten.<br />

ZEIT UND GELD FÜR LEBENSSCHUTZ?<br />

Wie wichtig ist es nun aber der evangelischen<br />

und katholischen Kirche in<br />

Deutschland tatsächlich, gegen die in Stellungnahmen<br />

kritisierte Abtreibung vorzugehen?<br />

Wie wichtig einem eine Sache ist,<br />

läßt sich in der Regel an zwei Indikatoren<br />

ablesen: Zeit und Geld. Bei beiden Indikatoren<br />

sieht es noch schlecht aus. Weder<br />

macht man die massenhafte Tötung zu<br />

einem Sonderthema auf Synoden, noch<br />

führt sie zu massiver Intervention beim<br />

Pressekonferenz mit Bischof Huber und Kardinal Lehmann zu Beginn der »Woche für das Leben« im Jahr 2005.<br />

6<br />

Staat. Und außer bei der »Woche für das<br />

Leben« <strong>–</strong> die zwar ein bißchen an der<br />

Bewußtseinsschraube dreht, in den politischen<br />

Konsequenzen aber absolut konturlos<br />

bleibt <strong>–</strong> investieren die Kirchen auch<br />

kaum in die Öffentlichkeitsarbeit. Vergleicht<br />

man ihr Engagement in Sachen<br />

Lebensschutz mit dem berechtigten und<br />

wichtigen Einsatz für Asylbewerber oder<br />

Behinderte, so wird man den Verdacht<br />

INFORMATION<br />

»Gott ist ein Freund des Lebens«<br />

»Schwangerschaftsabbruch soll nach<br />

Gottes Willen nicht sein. Mit diesem<br />

Satz erinnern wir an den unbedingten<br />

Anspruch des Gebotes Gottes, das jede<br />

vorsätzliche Tötung eines Mitmenschen,<br />

also auch die Tötung eines ungeborenen<br />

Kindes ausschließen will. (…)«<br />

»Das Recht auf Selbstbestimmung ist<br />

Teil der menschlichen Würde und fordert<br />

darum unser Eintreten für eine fortschreitende<br />

Befreiung des Menschen aus<br />

Unmündigkeit und Fremdbestimmung.<br />

Selbstbestimmung findet aber ihre Grenze<br />

am Lebensrecht des anderen. Wer<br />

sie für sich selbst fordert, muß sie auch<br />

dem anderen zuerkennen. Darum kann<br />

das Selbstbestimmungsrecht der Frau<br />

keine Verfügung über das in ihr heranwachsende<br />

Leben begründen.«<br />

nicht los, dass die entscheidenden Amtsträger<br />

in den Kirchen die Dimension der<br />

Abtreibung nicht verstanden haben, bzw.<br />

nicht verstehen wollen. Man stelle sich<br />

vor, es würden jährlich in Deutschland<br />

nicht 200.000 wehrlose Kinder getötet,<br />

sondern 200.000 Ausländer erschlagen.<br />

Kaum denkbar, dass sich die Kirchen<br />

dann mit ein paar schlichten Stellungnahmen<br />

und Enzyklika-Zitaten<br />

ARCHIV<br />

zufrieden gäben. Sie würden<br />

Sturm laufen gegen diesen<br />

massiven Angriff auf das<br />

Leben. Bei den Ungeborenen<br />

entfachen sie kaum einen<br />

Wind.<br />

Daran wird sich möglicherweise<br />

auch nichts ändern,<br />

solange die Kirchen<br />

sich von der Lebensrechtsbewegung<br />

so distanziert<br />

halten. Bislang hat es praktisch<br />

keine offiziellen Begegnungen,<br />

Empfänge, Treffen<br />

gegeben. Doch es zeigen sich<br />

Hoffnungszeichen. Auf katholischer<br />

Seite haben in den<br />

vergangenen zwölf Monaten<br />

zwei Bischöfe die Distanzierung<br />

aufgegeben: Heinz<br />

Josef Algermissen (Fulda) trat vor einem<br />

Jahr beim Jahreskongress der <strong>ALfA</strong> als<br />

Referent bei einer Podiumsdiskussion auf<br />

(und hat in diesem Jahr sogar die Schirmherrschaft<br />

übernommen); Walter Mixa<br />

(Augsburg) hielt im Mai <strong>2006</strong> in Köln<br />

bei der Juristenvereinigung Lebensrecht<br />

ein Hauptreferat. Beide Auftritte sind<br />

wichtige Signale der Annäherung, die<br />

möglicherweise in ein paar Jahren zu<br />

einem Schulterschluss führen werden.<br />

EVANGELIKALE:<br />

ENGAGIERT FÜR DAS LEBEN<br />

Mit einem wichtigen Teil des Protestantismus<br />

hat dieser Schulterschluss längst<br />

stattgefunden <strong>–</strong> mit den Evangelikalen.<br />

Genauer: Die Evangelikalen waren von<br />

Anfang an eine tragende Säule im Kampf<br />

für den Lebensschutz. Von diesen theologisch<br />

Konservativen, die sich mit der<br />

Deutschen Evangelischen Allianz verbunden<br />

wissen, gibt es rund 1,3 Millionen in<br />

Deutschland. Sie stellen selbst keine Kirche<br />

dar, sondern sind ein loser Zusammenschluss<br />

von Christen aus evangelischen<br />

Landes- und Freikirchen. Der<br />

Generalsekretär der Evangelischen Allianz,<br />

Hartmut Steeb (Stuttgart), leitet das<br />

Treffen Christlicher Lebensgruppen<br />

(TCLG), war Sprecher der Arbeitsgemeinschaft<br />

Lebensrecht (aus der der Bundesverband<br />

Lebensrecht hervorgegangen<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


Bischof Heinz Josef Algermissen<br />

ist) und hat sich in Stellungnahmen, Gesprächen<br />

mit Politikern und zahllosen<br />

Initiativen für die Kultur des<br />

Lebens stark gemacht. Auch<br />

hat er <strong>–</strong> bis heute im Gegensatz<br />

zu führenden Vertretern<br />

der Landeskirchen <strong>–</strong> die<br />

katholische Kirche in ihrem<br />

Nein zum Beratungsschein<br />

unterstützt. In diesem Punkt<br />

ist die EKD samt ihren eher<br />

konservativen Synodenmitgliedern<br />

erstaunlich unsensibel<br />

geblieben. Ein möglicher<br />

Schulterschluss mit den<br />

katholischen Bistümern<br />

beim Nein zum Schein ist<br />

praktisch in keinem Gremium<br />

auch nur ernsthaft<br />

diskutiert worden.<br />

FRAGWÜRDIGE THEOLOGIE<br />

ARCHIV<br />

ARCHIV<br />

Schrift. Das ist um so erschütternder, als<br />

bereits der Titel der Arbeit mit dem Begriff<br />

»Menschwerdung« der auch von<br />

den Kirchen vertretenen Auffassung widerspricht,<br />

dass der Mensch im Mutterleib<br />

nicht »wird«, sondern schon Mensch ist<br />

und nur noch wächst. Die körperlichen<br />

und seelischen Folgeschäden von Abtreibungen<br />

werden von der Autorin kaum<br />

einbezogen, die Positionen anderer Konfessionen<br />

ignoriert. Und schließlich antwortete<br />

die Pfarrerin im Interview mit<br />

dem <strong>Magazin</strong> »chrismon« auf die Frage,<br />

ob eine Christin (!) abtreiben dürfe: »Ja.<br />

Wenn sie sich nicht in der Lage sieht, das<br />

Kind anzunehmen und dieses Kind zu<br />

gebären, dann darf sie das. Aber sie sollte<br />

es begründen.« Dass diese armselige Ethik<br />

in EKD-Kreisen nicht zur Korrektur,<br />

sondern zur Karriere innerhalb der evangelischen<br />

Theologie führt, zeigt, dass<br />

Beunruhigend ist auch<br />

eine kleine Personalie: Die<br />

württembergische Pfarrerin<br />

Christiane Kohler-Weiß, die<br />

eine Doktorarbeit unter dem Titel<br />

»Schutz der Menschwerdung. Schwangerschaft<br />

und Schwangerschaftskonflikt«<br />

verfasst hat, wird von namhaften EKD-<br />

Repräsentanten der Öffentlichkeit geradezu<br />

als ideale Vertreterin einer protestantischen<br />

Position zum Thema Abtreibung<br />

verkauft. Vor zwei Jahren bekam<br />

sie für ihre Promotionsschrift den »Hanna-Jursch-Preis«<br />

des Rats der EKD. Bischof<br />

Wolfgang Huber nahm die Arbeit<br />

in seine Buchreihe »Öffentliche Theologie«<br />

auf, und bei der jüngsten Tagung<br />

der Juristenvereinigung Lebensrecht lobte<br />

der Vorsitzende der EKD-Kammer für<br />

Öffentliche Verantwortung, Prof. Wilfried<br />

Härle (Heidelberg), ihre »Theologie<br />

der Schwangerschaft« als bahnbrechende<br />

Bischof Walter Mixa, Prof. Wilfried Härle, Bernward Büchner, Prof. Manfred Spieker (v.r.n.l. ).<br />

man seine Skepsis gegenüber der evangelischen<br />

Kirche als Bündnispartner im<br />

Kampf für den Lebensschutz nicht vorschnell<br />

ablegen sollte.<br />

VON BONHOEFFER LERNEN<br />

Im vergangenen Februar gedachten<br />

Protestanten <strong>–</strong> und mit ihnen viele Katholiken<br />

<strong>–</strong> des evangelischen Theologen<br />

Dietrich Bonhoeffer, der vor 100 Jahren<br />

geboren wurde und am 9. April 1945 im<br />

Konzentrationslager Flossenbürg von den<br />

Nationalsozialisten wegen seines Widerstandskampfes<br />

hingerichtet wurde. Gerühmt<br />

wurde seine Theologie sowie sein<br />

Mut, im Kampf gegen das Unrecht das<br />

eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Dass<br />

Bonhoeffer Abtreibung als Mord bezeichnete<br />

und damit eine hochaktuelle Botschaft<br />

für die Gegenwart hat <strong>–</strong> das wurde<br />

in den Gedenkveranstaltungen nicht erwähnt.<br />

So kann die Tugend des Erinnerns<br />

leicht in die Untugend des Verdrängens<br />

entarten. Lieber spricht man über die<br />

Sünden der Väter als über das Unrecht<br />

der Gegenwart. Von Bonhoeffer ist aus<br />

der Zeit des schlimmsten Antisemitismus<br />

das Zitat überliefert: »Nur wer für die<br />

Juden schreit, darf auch gregorianisch<br />

singen.« Auf heute übertragen heißt das:<br />

Nur wer für die Ungeborenen schreit,<br />

darf die Messe feiern und fröhliche Kirchentage<br />

bzw. Katholikentage begehen.<br />

Die Kirchen in Deutschland schreien<br />

nicht; sie flüstern noch; aber ihre Stimme<br />

ist in den vergangenen Monaten hörbar<br />

lauter geworden. Die Hoffnung scheint<br />

nicht unbegründet, dass daraus in absehbarer<br />

Zeit ein unüberhörbarer Protest<br />

gegen das Unrecht wird.<br />

IM PORTRAIT<br />

Marcus Mockler<br />

Marcus Mockler (St. Johann bei Reutlingen)<br />

ist Reporter der Evangelischen<br />

Nachrichtenagentur idea (Wetzlar). Zu<br />

seinen Themenschwerpunkten<br />

gehören Familie<br />

und Lebensschutz.<br />

Der Autor ist verheiratet<br />

und Vater<br />

von acht Kindern.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 7<br />

ARCHIV


TITEL<br />

IM PORTRAIT<br />

Manfred Spieker<br />

Geboren 1943 in München, Studium<br />

der Politikwissenschaft, Philosophie<br />

und Geschichte an den Universitäten<br />

Freiburg, Berlin und München. 1968<br />

Diplom in Politologie. 1973 Promotion<br />

zum Dr. phil. 1982 Habilitation im Fach<br />

Politische Wissenschaft. Seit 1983<br />

Professor für Christliche Sozialwissenschaften<br />

am Institut für Katholische<br />

Theologie der Universität Osnabrück.<br />

ARCHIV


»Zu viele Bischöfe<br />

meiden das Thema«<br />

Wie die Vereinigten Staaten von Amerika zeigen, ist die Distanz, die Kirchen und Lebensrechtsbewegung<br />

in Deutschland seit langem pflegen, kein Naturgesetz. Kaum jemand kennt die Lage in beiden Ländern<br />

so gut, wie der Osnabrücker Sozialwissenschaftler Manfred Spieker. Mit ihm sprach für <strong>LebensForum</strong><br />

Stefan Rehder über Ursachen und Gründe der unterschiedlichen Nähe zwischen Kirchen und<br />

Lebensrechtlern in den USA und in Deutschland.<br />

<strong>LebensForum</strong>: Herr Professor Spieker, Sie haben<br />

kürzlich in den Vereinigten Staaten von Amerika,<br />

die Zusammenarbeit der Kirchen mit der dortigen<br />

Pro-Life-Bewegung genauer unter die Lupe genommen.<br />

Welchen Eindruck haben Sie von dieser<br />

Zusammenarbeit gewonnen?<br />

Professor Dr. Manfred Spieker: Die<br />

katholische Kirche der USA kämpft seit<br />

der Freigabe der Abtreibung durch das<br />

Urteil des Supreme Court Roe v. Wade<br />

am 22. Januar 1973 gegen die Tötung<br />

ungeborener Kinder und gegen dieses<br />

Urteil. Sie fordert unablässig die Revision<br />

dieses Urteils. In den 80er Jahren haben<br />

sich die evangelikalen kirchlichen Gemeinschaften<br />

mit der katholischen Kirche<br />

im Kampf gegen dieses Urteil verbündet.<br />

Die katholische Kirche und die evangelikalen<br />

Gruppen sind das Rückgrat der<br />

Pro-Life-Bewegung in den Vereinigten<br />

Staaten. Die Zusammenarbeit ist eng,<br />

intensiv und sehr politisch orientiert.<br />

Trägt diese Zusammenarbeit auch sichtbare<br />

Früchte? Oder anders gefragt: Gibt es messbare<br />

politische Erfolge, die ohne diese Zusammenarbeit<br />

nicht oder zumindest nicht so zustande gekommen<br />

wären?<br />

Es gibt eine ganze Reihe von messbaren<br />

politischen Erfolgen dieses vereinten<br />

Engagements für eine Kultur des Lebens.<br />

Lassen Sie mich auf sechs Erfolge hinweisen:<br />

Zuallererst der deutliche Rückgang<br />

der Abtreibungen von ca. 1,6 Millionen<br />

(1991) auf etwa 1,1 Millionen<br />

(2002). Zweitens: Das Pro-Life-Lager ist<br />

in der amerikanischen Gesellschaft in den<br />

vergangenen Jahren deutlich stärker geworden.<br />

Es übertrifft das Pro-Choice-<br />

Lager, das sich am Urteil Roe v. Wade<br />

festklammert und ein Recht auf Abtreibung<br />

beansprucht, mit etwa 15 Prozent<br />

deutlich. Dies hat drittens entscheidend<br />

zur Wiederwahl von Präsident Bush im<br />

November 2004 beigetragen. Bush wiederum<br />

ist viertens dabei, den Supreme<br />

Court bei jeder Vakanz mit einem Pro-<br />

Life-Richter zu stärken. Bisher hat er<br />

zweimal dazu Gelegenheit gehabt und<br />

mit den Richtern Roberts, den er auch<br />

zum Chief Justice bestellt hat, und Alito<br />

zwei Pro-Life-Richter ernannt. Die Pro-<br />

Life-Bewegung hofft, dass er in seiner<br />

Amtszeit bis 2009 noch einen dritten<br />

Richter nominieren kann, der dem Gericht<br />

dann eine Pro-Life-Mehrheit sichern<br />

würde, die bisher noch nicht gesichert<br />

ist. Von den neuen Richtern, die auf Lebenszeit<br />

ernannt werden, gelten gegenwärtig<br />

vier als Pro-Life-Richter, vier als<br />

Pro-Choice-Richter und einer (Anthony<br />

Kennedy) als unberechenbares Zünglein<br />

an der Waage. Man nennt das in den USA<br />

»swing justice«. Zu den messbaren Erfolgen<br />

gehört fünftens der Partial Birth<br />

Abortion Ban Act, also das Gesetz, das<br />

die brutalste Methode der Spätabtreibung,<br />

bei der das Kind während des Geburtsvorganges<br />

getötet wird, verbietet und<br />

sechstens der Born-Alive Infants Protection<br />

Act, der alle Gesundheitsberufe dazu<br />

verpflichtet, lebend geborene Kinder zu<br />

schützen.<br />

In Deutschland haben sich sowohl der Ratsvorsitzende<br />

der Evangelischen Kirchen in Deutschland,<br />

Bischof Huber, als auch zahlreiche katholische<br />

Bischöfe, in letzter Zeit wiederholt zu Lebensschutzthemen<br />

wie Abtreibung und Euthanasie zu<br />

Wort gemeldet. Täuscht der Eindruck, dass diese<br />

Interventionen <strong>–</strong> im Vergleich zu früheren Jahren<br />

<strong>–</strong> inzwischen nicht nur zahlenmäßig zugenommen<br />

haben, sondern auch inhaltlich deutlicher ausfallen?<br />

Der Eindruck täuscht nicht. Vor allem<br />

Bischof Huber hat sich mehrmals und<br />

sehr deutlich für eine Überprüfung und<br />

Reform des Abtreibungsstrafrechts ausgesprochen.<br />

Auch einige katholische Bischöfe,<br />

vor allem Bischof Mixa und Kardinal<br />

Meisner haben sich immer wieder<br />

zu Fragen des Lebensschutzes geäußert.<br />

Zu viele Bischöfe aber meiden das Thema<br />

BUCHTIPP<br />

Manfred Spieker<br />

Der Verleugnete<br />

Rechtsstaat. Anmerkungen<br />

zur Kultur des<br />

Todes in Europa.<br />

Verlag Schöningh, Paderborn 2005.<br />

216 Seiten. 19,90 EUR.<br />

Manfred Spieker<br />

Kirche und Abtreibung<br />

in Deutschland. Ursachen<br />

und Verlauf eines<br />

Konflikts. Verlag Schöningh.<br />

Paderborn 2000. 260 S. 29,90 EUR.<br />

immer noch. Sie wirken nach ihrer äußerst<br />

fragwürdigen Verteidigung des Beratungsscheins<br />

gegenüber Papst Johannes<br />

Paul II. und Kardinal Ratzinger zwischen<br />

1995 und 1999 immer noch wie gelähmt.<br />

Von einer Zusammenarbeit mit der Lebensschutzbewegung,<br />

wie Sie sie in den USA beobachtet<br />

haben, scheinen die Kirchen in Deutschland,<br />

noch weit entfernt zu sein. Gibt es dafür nachvollziehbare<br />

Gründe?<br />

Von einer Zusammenarbeit der beiden<br />

Kirchen mit der Lebensrechtsbewegung<br />

kann in Deutschland in der Tat nicht die<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 9


TITEL<br />

Rede sein <strong>–</strong> weder im Hinblick auf den<br />

Gesetzgeber noch in der Erwachsenenbildung<br />

oder bei der jährlichen Woche<br />

für das Leben. Was sind die Gründe? Ich<br />

fürchte, die Lähmung seit der fatalen<br />

Verteidigung des Beratungsscheines nicht<br />

nur durch die Bischöfe, sondern auch<br />

»Welcher Priester predigt schon<br />

über den Schutz des Lebens?«<br />

durch das Zentralkomitee der Deutschen<br />

Katholiken. Man will mit denen, die den<br />

Beratungsschein immer schon als Beihilfe<br />

zur Tötung abgelehnt und seine Verteidigung<br />

kritisiert haben, nichts zu tun<br />

haben, denunziert sie als selbsternannte<br />

Lebensschützer und bemerkt nicht, wie<br />

sehr man sich selbst damit in seinem<br />

Einsatz für das ungeborene Leben<br />

schwächt. Das gilt nicht nur für viele<br />

Bischöfe, sondern auch für viele Priester<br />

und Laien. Welcher Priester predigt schon<br />

über den Schutz des ungeborenen Lebens,<br />

den Skandal der Abtreibung und das Versagen<br />

der Politik? Welches deutsche Bistum<br />

hat auf seiner Homepage die einschlägigen<br />

Dokumente Papst Johannes<br />

Pauls II., der Vatikanischen Glaubenskongregation<br />

oder Papst Pauls VI. zum Lebensschutz?<br />

Auf den Homepages amerikanischer<br />

Diözesen ist es üblich, die<br />

Enzyklika Johannes Pauls II. Evangelium<br />

Vitae (1995), sein apostolisches Schreiben<br />

Familiaris Consortio (1981), die Enzyklika<br />

Papst Pauls VI. Humanae Vitae (1968)<br />

und das Dokument der Glaubenskongregation<br />

zur künstlichen Befruchtung Donum<br />

Vitae (1987) sofort abrufbar zu präsentieren.<br />

Wo müsste Ihrer Ansicht nach eine vermehrte<br />

Zusammenarbeit zwischen den Kirchen und der<br />

Lebensrechtsbewegung in Deutschland in der jetzigen<br />

Situation ansetzen und wie könnte sie Fahrt<br />

aufnehmen?<br />

Eine Verbesserung der Zusammenarbeit<br />

könnte, ja müsste bei dem Problem<br />

ansetzen, das auch die Große Koalition<br />

auf ihre Agenda gesetzt hat und das der<br />

Deutsche Bundestag schon seit sieben<br />

Jahren angehen möchte: Der Vermeidung<br />

oder Reduzierung der Spätabtreibungen.<br />

Mit einer neuen Beratungspflicht nach<br />

Pränataldiagnostik bei einem problematischen<br />

Befund sind Spätabtreibungen<br />

nicht zu reduzieren. Im Gegenteil, eine<br />

solche Beratungspflicht beschert uns eine<br />

10<br />

neue Scheindebatte, da auch eine solche<br />

Beratung bescheinigt werden müsste und<br />

der Schein wäre ein Todesurteil für das<br />

behinderte Kind. Die Kirche säße wieder<br />

in der Beratungsfalle. Die bayrischen<br />

Bischöfe haben sich deshalb am 3. März<br />

2005 mit Recht gegen eine solche Beratungspflicht<br />

ausgesprochen. Spätabtreibungen<br />

lassen sich meines Erachtens nur<br />

durch eine Beschränkung der medizinischen<br />

Indikation auf die vitale Indikation<br />

sowie eine Änderung des Arzthaftungsrechts<br />

reduzieren. Im Feld der Spätabtreibungen<br />

könnte eine Zusammenarbeit<br />

zwischen den Kirchen und der Lebensrechtsbewegung<br />

Fahrt aufnehmen, wie<br />

Sie sagen. Aber es gibt natürlich noch<br />

eine ganze Reihe weiterer Felder für eine<br />

Zusammenarbeit: Die Überprüfung des<br />

Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes<br />

von 1995, zu der das Bundesverfassungsgericht<br />

in seinem Urteil<br />

vom 28. Mai 1993 aufforderte, die Sorge<br />

für Frauen, die abgetrieben haben und<br />

unter dem Post-Abortion-Trauma leiden,<br />

die beginnende Euthanasie-Debatte und<br />

alle anderen Problemfelder der Bioethik.<br />

In den USA werden solche Fragen, wie Sie kürzlich<br />

in einem Vortrag bei der Juristenvereingung<br />

Lebensrecht dargelegt haben, von »Pro-Life-<br />

Sekretariaten« der Diözesen und der Bischofskonferenz<br />

sowie »Think Tanks« bearbeitet. In Deutschland<br />

scheint sich <strong>–</strong> um es plakativ zu formulieren<br />

<strong>–</strong> außer einem guten Dutzend namhafter Professoren<br />

und überwiegend ehrenamtlich agierenden<br />

Lebensrechtlern, niemand um diese Fragen im<br />

Detail zu kümmern. Fehlt es den Kirchen in<br />

Deutschland im Vergleich zu den USA hier nicht an<br />

professionellen Strukturen?<br />

»Eine Beratungspflicht beschert<br />

uns eine neue Scheindebatte.«<br />

Die Kirchen in Deutschland haben<br />

sehr professionelle Strukturen. Die katholische<br />

Kirche hat im Bereich des Beratungswesens<br />

für Ehe und Familie, auch<br />

für Schwangere in Konfliktlagen, ferner<br />

im Bereich der Akademien, der Erwachsenenbildungswerke<br />

und der Schulen<br />

bewährte professionelle Strukturen. Sie<br />

hat schließlich sehr professionelle Strukturen<br />

in den katholischen Büros in Berlin<br />

und in den Landeshauptstädten, die für<br />

die Kontakte zur Politik genutzt werden<br />

können, und sie hat solche Strukturen in<br />

der sozialethischen Forschung und Bildung<br />

durch die Katholische Sozialwissenschaftliche<br />

Zentralstelle in Mönchengladbach.<br />

Was fehlt, ist der Wille, diese Strukturen<br />

für das Lebensrecht zu nutzen, sieht<br />

man von der Sozialwissenschaftlichen<br />

Zentralstelle in Mönchenglandbach ab,<br />

in deren Arbeit sich das Engagement für<br />

das Lebensrecht immer wieder niederschlägt.<br />

Vom Sekretariat der Bischofskonferenz<br />

kommen auf diesem Feld leider keine<br />

Impulse, aber das ist nicht nur ein Problem<br />

des Sekretariats, sondern es ist ein Problem<br />

der Bischöfe selbst. Die vierjährige<br />

Verteidigung des Beratungsscheines gegen<br />

Papst Johannes Paul II. und die Glaubenskongregation<br />

kostet immer noch einen<br />

hohen Preis. Das zeigt sich vor allem im<br />

Umgang mit Donum Vitae, jenem Verein,<br />

der in seiner Schwangerschaftskonfliktberatung<br />

fortfährt, die Tötungslizenz<br />

nach § 218a, Absatz 1 und § 219 StG<br />

»Die Verteidigung des Scheins<br />

kostet einen hohen Preis.«<br />

unter katholischer Flagge auszustellen.<br />

Viele Bischöfe glauben, es genügt zu bestreiten,<br />

dass der Verein Donum Vitae<br />

katholisch sei, obwohl alle Landesregierungen,<br />

die Donum Vitae finanziell über<br />

Wasser halten, ihn als katholisch betrachten.<br />

Donum Vitae weder zu billigen noch<br />

zu missbilligen ist für viele Bischöfe die<br />

explizite oder implizite Devise. So ignorieren<br />

sie bis auf wenige Ausnahmen seit<br />

Jahren die Aufforderung, die ihnen Papst<br />

Benedikt noch als Kardinal Ratzinger<br />

2003 zukommen ließ, einen deutlichen<br />

Trennungsstrich zu Donum Vitae zu ziehen<br />

und die Priester anzuweisen, jede<br />

Unterstützung von Donum Vitae einzustellen.<br />

Der Augsburger Bischof Walter Mixa ist kürzlich<br />

beim Ständigen Rat der Deutschen Bischofkonferenz<br />

mit dem Vorschlag gescheitert, einen Pro-<br />

Life-Bischof für Deutschland zu ernennen. Wäre<br />

dies ein strategisch sinnvoller Schritt gewesen?<br />

Einen Bischof als Pro-Life-Bischof zu<br />

ernennen, wäre ein erster Anfang gewesen.<br />

Ein Pro-Life-Bischof müsste aber<br />

dann ein Sekretariat für die Lebensrechtsfragen<br />

bei der Deutschen Bischofkonferenz<br />

errichten, das Stabsstellen auf Diözesanebene<br />

hilft, den Kampf für das<br />

Lebensrecht zu führen, Bisher hat erst<br />

eine von 27 Diözesen, nämlich Augsburg,<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


US-Präsident George W. Bush mit Richtern des Supreme Court.<br />

eine solche Stabsstelle eingerichtet. Die<br />

amerikanischen Bischöfe haben in ihrer<br />

Bischofskonferenz einen Pro-Life-Ausschuss<br />

mit 20 Mitgliedern und Beratern,<br />

der von Kardinal Keeler (Baltimore) geleitet<br />

wird, dem auch alle anderen amerikanischen<br />

Kardinäle als Berater angehören<br />

und der im Pro-Life-Sekretariat der<br />

Bischofkonferenz ein sehr professionelles<br />

Personal hat. Dieses Sekretariat hilft den<br />

Pro-Life-Sekretariaten in den Bistümern<br />

und über diese den Pro-Life-Ausschüssen<br />

der Pfarrgemeinden in ihrer Arbeit. Auch<br />

bei den evangelikalen Christen gibt es<br />

Pro-Life-Komitees mit eindrucksvollen<br />

Aktivitäten, so z.B. die Lutherans for Life<br />

( www.lutheransforlife.org) oder die Commission<br />

on the sanctity of life der Missouri<br />

Synod der Lutheraner. Auch sie fordern<br />

ihre Mitglieder dazu auf, als christliche<br />

Bürger alle legalen Mittel zu nutzen, um<br />

»Der Verkündigungsauftrag ist<br />

das erste Gebot für die Kirche.«<br />

das Urteil Roe v. Wade zu überwinden.<br />

All dies hat zum Mentalitäts- und Politikwandel<br />

in den USA beigetragen.<br />

Ähnlich wie in den USA gibt es auch in Deutschland<br />

eine Trennung von Kirche und Staat. Gleichwohl<br />

existiert hierzulande auf vielen Feldern eine<br />

enge institutionelle Zusammenarbeit von Staat<br />

und Kirchen, etwa bei der Einziehung der Kirchensteuer,<br />

der Finanzierung von Kindergärten und<br />

Schulen in kirchlicher Trägerschaft, der Durchführung<br />

des Religionsunterrichts und jetzt auch beim<br />

»Bündnis für Erziehung«. Müssen die Kirchen daher,<br />

wenn sie auf einem Feld vehement etwas<br />

einfordern, nicht einkalkulieren, dass diese Forderungen<br />

negative Konsequenzen auf anderen Feldern<br />

nach sich ziehen könnten?<br />

Wenn die Kirchen sich durch die zahlreichen<br />

partnerschaftlichen Regelungen<br />

des Grundgesetzes bzw. des deutschen<br />

Staatskirchenrechts in ihrem Auftrag, sich<br />

für eine Kultur des Lebens einzusetzen,<br />

beeinträchtigen lassen, dann haben sie<br />

schon verloren. Dann wäre die bei uns<br />

in vielen Feldern bewährte institutionelle<br />

Zusammenarbeit von Staat und Kirche<br />

eine verhängnisvolle Fessel. Der Verkündigungsauftrag<br />

ist das erste Gebot für die<br />

Kirche. Wenn seine Wahrnehmung dazu<br />

führt, dass der Staat die institutionelle<br />

Kooperation beendet, soll die Kirche<br />

dieser Kooperation keinen Augenblick<br />

nachtrauern. Sie soll sich geehrt fühlen,<br />

wie sich die Apostel in Jerusalem geehrt<br />

fühlten, als sie um Jesu Willen vor dem<br />

Hohen Rat angeklagt und ausgepeitscht<br />

wurden. Freilich kann die Kirche den<br />

Staat darauf hinweisen, dass er sich mit<br />

einer solchen Beendigung der Kooperation<br />

ins eigene Fleisch schneidet. In der Auseinandersetzung<br />

um den Beratungsschein<br />

zwischen 1995 und 1999 hat sich die Kirche,<br />

sieht man vom Bistum Fulda ab, von<br />

dieser Kooperation freilich fesseln lassen.<br />

Es scheint, dass nicht wenige der führenden<br />

Repräsentanten der Kirchen in Deutschland den<br />

Ausbruch eines neuen Kulturkampfes fürchten.<br />

Andere sehen die Christen bereits mitten in einem<br />

solchen Kulturkampf und argumentieren, gewinnen<br />

ließe er sich allenfalls, wenn er auch angenommen<br />

werde. Wer hat aus Ihrer Sicht denn nun<br />

Recht?<br />

ARCHIV<br />

Der Kulturkampf Bismarcks wollte die<br />

katholische Kirche aus der Öffentlichkeit<br />

des Deutschen Reiches gleichsam vertreiben<br />

und in die Sakristei zurückdrängen.<br />

Die deutsche Gesellschaft sollte protestantisch<br />

sein und die ultramontanen<br />

Katholiken waren so lange geduldet, wie<br />

sie die Herrschaft des Protestantismus<br />

nicht in Frage stellten. Heute haben wir<br />

keinen konfessionellen Kulturkampf<br />

mehr, sondern einen Kampf zwischen<br />

einer Kultur des Todes und der Kultur<br />

des Lebens, der eine enge ökumenische<br />

Zusammenarbeit erfordert. Dieser Kulturkampf<br />

wird weltweit geführt und die<br />

Kirchen können in ihm viel mehr erreichen,<br />

wenn sie, wie in den USA, ökumenisch<br />

zusammenarbeiten.<br />

Bleiben wir noch einmal bei den USA. Für wie<br />

wahrscheinlich halten Sie die Möglichkeit, dass in<br />

die verbleibende Amtszeit von Präsident Bush die<br />

Berufung eines weiteren Richters an den Supreme<br />

Court fallen wird? Oder präziser: halten Sie einen<br />

Rücktritt vom Amt eines der auf Lebenszeit gewählten<br />

Richter aus Altersgründen in der jetzigen<br />

Situation für denkbar?<br />

»Bush ist kein Populist.«<br />

Schwer zu sagen. Die einen sagen,<br />

jeder der vier Pro-Choice-Richter, die ja<br />

alle auf Lebenszeit ernannt sind, wird<br />

sich hüten, noch in der Amtszeit von Bush<br />

zurückzutreten, um genau dies zu vermeiden,<br />

was die Pro-Life-Bewegung erhofft,<br />

dass nämlich Bush nochmals einen Pro-<br />

Life-Richter nominieren kann, der ja die<br />

Zustimmung des Senats braucht. Der<br />

Kampf bei der nächsten Nominierung,<br />

sollte sie in der Amtszeit von Bush noch<br />

möglich sein, wird eine beispiellose<br />

Schlacht werden, der gegenüber alle bisherigen<br />

Auseinandersetzungen um die<br />

Richternominierungen »einem Picknick<br />

gleichen«, wie man in den USA sagt. Nominierungen<br />

von Richtern für den Supreme<br />

Court gelten als die härtesten Schlachten<br />

der amerikanischen Innenpolitik.<br />

Inwieweit ist Präsident Bushs Politik in Fragen<br />

der Abtreibung, der embryonalen Stammzellforschung<br />

und der Euthanasie nicht auch der von<br />

Ihnen angesprochenen sich wandelnden Einstellung<br />

unter den Bürgerinnen und Bürgern der Vereinigten<br />

Staaten von Amerika geschuldet? Und<br />

was können die Kirchen und die Lebensrechtsbewegung<br />

in Deutschland zur Förderung eines solchen<br />

Bewusstseinswandels tun?<br />

Bushs Politik in diesen Fragen hat<br />

ihren Grund nicht in erster Linie in der<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 11


TITEL<br />

Veränderung der öffentlichen Meinung<br />

hin zu einer Kultur des Lebens, die ganz<br />

wesentlich durch die Debatte um die<br />

Partial Birth Abortion gefördert wurde.<br />

Bush ist kein Populist. Sein Einsatz für<br />

»Evangelium Vitae ist auch eine<br />

sozialethische Herausforderung.«<br />

eine Kultur des Lebens entspricht ganz<br />

wesentlich seinen christlichen Überzeugungen.<br />

In Deutschland haben Kirchen<br />

und Lebensrechtsbewegungen leider keine<br />

solche Stütze in der Regierung. Aber<br />

sie könnten zu einem Bewusstseinswandel<br />

sicher wesentlich mehr beitragen, wenn<br />

sie politisch werden wie die katholische<br />

Kirche und die evangelikalen kirchlichen<br />

Gruppen in den USA. Eine Woche für<br />

das Leben zugunsten ungeborener Kinder<br />

wie <strong>2006</strong>, die unter dem Thema stand<br />

»Von Anfang an uns anvertraut. Mensch<br />

sein beginnt vor der Geburt«, und nicht<br />

einen Gedanken der Bedeutung<br />

der Rechtsordnung und der<br />

Politik für den Schutz dieser<br />

Kinder widmet, wäre in den<br />

Vereinigten Staaten unvorstellbar.<br />

Stichwort Demografie: Es fällt auf,<br />

dass das Thema Abtreibung durch die<br />

desaströse demografische Situation<br />

vermehrten Rückenwind erhält. Kann<br />

Lebensrechtlern eine solche Verknüpfung<br />

dieser Themen eigentlich recht<br />

sein? Anders gefragt: Droht nicht der<br />

Fokus auf die Geburtenrate zu verwischen,<br />

dass es sich bei der vorgeburtlichen<br />

Kindstötung um einen<br />

schweren Menschenrechtsverstoß<br />

handelt, der nicht minder schwer<br />

wäre, wenn die Geburtsrate ausreichend<br />

hoch wäre?<br />

ARCHIV<br />

Abtreibung bliebe auch dann ein schwerwiegendes<br />

Problem, wenn die Geburtenrate<br />

ausreichend hoch, also 2,1 wäre. Die<br />

Abtreibung ist zuallererst ein Verstoß<br />

gegen das grundlegende Gebot des demokratischen<br />

Verfassungsstaates, Unschuldige<br />

nicht zu töten. Sie ist eine Verleugnung<br />

des Rechtsstaates, der ja<br />

angetreten ist, private Gewalt aus dem<br />

Zusammenleben der Bürger auszuschließen.<br />

Dieser politische Aspekt der Abtreibung<br />

wird von den Kirchen in Deutschland<br />

noch viel zu wenig ins Bewusstsein<br />

gerückt. Auch meine eigene Disziplin,<br />

die Christliche Gesellschaftslehre, ignoriert<br />

diesen Aspekt leider weithin. Der<br />

Präsident des Päpstlichen Rates Justitia<br />

et Pax, Kardinal Martino, hat im vergangenen<br />

Jahr die Christliche Gesellschaftslehre<br />

dazu aufgefordert, dieses Problem<br />

als eines ihrer wichtigsten Probleme zu<br />

bearbeiten.<br />

Haben Sie die Hoffnung, dass sich daran etwas<br />

in Zukunft ändern wird?<br />

et Pax am 15. und 16. September. Es gibt<br />

in anderen Ländern durchaus Kollegen,<br />

nicht nur in der Christlichen Gesellschaftslehre,<br />

sondern auch in rechts- oder<br />

sozialwissenschaftlichen sowie philosophischen<br />

Disziplinen, die sich mit Fragen<br />

des Lebensrechts aus der Perspektive der<br />

Christlichen Gesellschaftslehre befassen.<br />

In Deutschland ist es einstweilen noch<br />

schwer, die Verengung der Christlichen<br />

Gesellschaftslehre auf die Wirtschaftsethik<br />

und die Sozialpolitik oder methodologische<br />

und philosophische Fragen aufzubrechen<br />

und zu zeigen, dass der Kampf<br />

gegen die Tötung ungeborener Kinder<br />

auch, ja in erster Linie, eine Legitimitätsfrage<br />

des demokratischen Verfassungsstaates<br />

und damit ein eminent sozialethisches<br />

Problem ist. Papst Johannes Paul<br />

II. hat die Politik und die Katholische<br />

Soziallehre nie aus dem Evangelium des<br />

Lebens ausgespart. Aber in Deutschland<br />

scheinen die Sozialethiker noch weitgehend<br />

der Meinung zu sein, »Evangelium<br />

Vitae« sei nur eine moraltheologische<br />

Enzyklika. »Evangelium Vitae« ist aber<br />

auch eine sozialethische Herausforderung.<br />

Das neue Kompendium der Soziallehre<br />

Ich hätte keine Bedenken,<br />

wenn die Demographiedebatte<br />

endlich die Abtreibungskatastrophe<br />

zu Bewusstsein brächte.<br />

Dass seit der Freigabe der<br />

Abtreibung 1974 in Deutschland über 8<br />

Millionen Kinder vor der Geburt getötet<br />

wurden, wird ja leider in der Demographiedebatte<br />

immer noch viel zu wenig,<br />

genauer gesagt, gar nicht zur Kenntnis<br />

genommen. Die demographischen Probleme<br />

wären wesentlich geringer, wenn<br />

die Abtreibung nicht freigegeben worden<br />

wäre. Aber es ist richtig, die Freigabe der<br />

Jedes Jahr demonstrieren in den USA Lebensrechtler beim »March for life« gegen »Roe v. Wade«.<br />

Nachdem Kardinal Martino im August<br />

2005 in Rimini diese Aufforderung formuliert<br />

hatte, beschloss z.B. die Internationale<br />

Vereinigung für Christliche Soziallehre,<br />

ihre Jahrestagung <strong>2006</strong> in Rom,<br />

bei der sie zugleich ihren 20. Geburtstag<br />

begeht, dem Thema »Der Schutz des<br />

Lebens als Aufgabe der Christlichen<br />

Gesellschaftslehre« zu widmen. Sie veranstaltet<br />

diese Konferenz in Zusammenarbeit<br />

mit dem Päpstlichen Rat Justitia<br />

der Kirche, das der Päpstliche Rat Justitia<br />

et Pax 2004 herausgegeben hat und dessen<br />

deutsche Ausgabe im Februar <strong>2006</strong> erschienen<br />

ist, unterstreicht die sozialethische<br />

Bedeutung der Lebensrechtsproblematik.<br />

Auch dieses Kompendium ist ein<br />

Anlass zur Hoffnung, dass sich auch die<br />

Christliche Gesellschaftslehre demnächst<br />

mehr mit diesem Thema befassen wird.<br />

12<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


A USLAND<br />

DANIEL RENNEN<br />

Recht zu sterben<br />

Pflicht zu sterben<br />

Das britische Oberhaus stoppte eine Initiative zur Legalisierung der Euthanasie. Und selbst die<br />

linksradikale Regierung Spaniens will die aktive Sterbehilfe nicht erlauben. Grund zur Freude <strong>–</strong> aber<br />

auch zur Beruhigung?<br />

Von Stephan Baier<br />

Im April des Vorjahres scheiterte der<br />

liberale Schweizer Dick Marty mit<br />

seinen wiederholten Versuchen, den<br />

Europarat für die Straffreistellung der<br />

aktiven Euthanasie zu gewinnen. Eine<br />

entsprechende Empfehlung an die Mitgliedstaaten<br />

dieses eurasischen Gremiums<br />

<strong>–</strong> dem, im Gegensatz zur EU, auch die<br />

Türkei, Russland, Georgien, Aserbaidschan<br />

und Armenien angehören <strong>–</strong> hätte<br />

zwar keine rechtsverbindliche Wirkung<br />

gehabt, wohl aber eine ethisch enthemmende.<br />

Mit den gleichen Argumenten wie<br />

Marty im Europarat hatte nun der britische<br />

Lord Joffe versucht, in Großbritannien<br />

eine Legalisierung der Euthanasie<br />

zu erkämpfen. Joffe begründete seine<br />

»Auch ökonomischer<br />

Druck spielt eine Rolle.«<br />

Initiative damit, dass es für eine sich um<br />

Kranke sorgende Gesellschaft inakzeptabel<br />

sei, dass unheilbar Kranke unerträgliche<br />

Schmerzen erleiden müssen. Nur<br />

für den Fall, dass Leiden auch durch<br />

palliative Betreuung nicht gelindert werden<br />

könnten, biete sein Gesetzesentwurf<br />

einen Ausweg an. Die überaus breite<br />

Opposition gegen diesen Vorstoß wollte<br />

der Lord als »christliche Minorität«, die<br />

ihre »überholten Vorurteile« einer nichtchristlichen<br />

Mehrheit aufzwinge, marginalisieren.<br />

Tatsächlich kam von religiöser Seite<br />

massiver Widerstand: Der Primas der<br />

anglikanischen Staatskirche und Erzbischof<br />

von Canterbury, Rowan Williams,<br />

der katholische Erzbischof von Westmin-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 13


ster, Kardinal Cormac Murphy O´Connor,<br />

und der Oberrabiner der »United<br />

Hebrew Congregations of the Commonwealth«,<br />

Jonathan Sacks, veröffentlichten<br />

am 12. Mai, unmittelbar vor der<br />

Oberhaus-Debatte, einen gemeinsamen<br />

Offenen Brief in der traditionsreichen<br />

Londoner Zeitung »Times«. Darin<br />

schreiben die drei religiösen Autoritäten:<br />

»Wir sind gegen diesen Gesetzesentwurf<br />

und gegen jede Maßnahme, die versucht,<br />

begleiteten Suizid oder Euthanasie zu<br />

legalisieren. Wir glauben, dass jegliches<br />

menschliche Leben heilig und von Gott<br />

gegeben ist, und einen Wert in sich besitzt,<br />

der nicht von Bedingungen abhängt.«<br />

Ein solches Gesetz könne nicht garantieren,<br />

»dass ein Recht zu sterben nicht<br />

zu einer Pflicht zu sterben« werde. Die<br />

beiden christlichen und der hohe jüdische<br />

Würdenträger zeigten sich in ihrem Brief<br />

besorgt, dass ältere, einsame, kranke und<br />

leidende Menschen unter einen »tatsächlichen<br />

oder empfundenen« Druck<br />

geraten könnten, um eine vorzeitige Beendigung<br />

ihres Lebens zu bitten. Außerdem<br />

könne nicht ausgeschlossen werden,<br />

dass in diesem Zusammenhang ökonomischer<br />

Druck eine wesentliche Rolle spielen<br />

werde.<br />

DPA<br />

Blick in das House of Lords.<br />

DRUCK WIRD UNAUSWEICHLICH<br />

Doch nicht nur christliche, jüdische<br />

und auch muslimische Repräsentanten<br />

stemmten sich gegen die Straffreistellung<br />

der Euthanasie. Das Behindertenforum<br />

»Disability Rights Commission« wandte<br />

sich ebenso gegen den Joffe-Vorstoß wie<br />

die ärztlichen Standesvertretungen »Royal<br />

College of Physicans« und »Royal College<br />

»Mehrheit der britischen Ärzte<br />

sind gegen liberalere Gesetze.«<br />

of Psychiatry« oder die Gewerkschaft des<br />

Pflegepersonals. Auch britische Abgeordnete<br />

warnten, das Gesetz führe unweigerlich<br />

zu einem Druck, der Schwerkranke<br />

zur Entscheidung für ihren eigenen Tod<br />

drängen könne.<br />

Möglicherweise auch unter dem Eindruck<br />

der Morgenlektüre der »Times«<br />

fand am 12. Mai im Oberhaus eine scharfe<br />

Kontroverse statt: Mehr als 90 Mitglieder<br />

des House of Lords meldeten sich zu<br />

Wort, darunter Ärzte und Menschen mit<br />

Behinderung. Die »Religions-Korrespondentin«<br />

der »Times« hatte in einem<br />

14<br />

Bericht zuvor gewarnt, die Interventionen<br />

der Bischöfe im Oberhaus könnten die<br />

Debatte über die Reform dieser Institution<br />

beeinflussen: »Großbritannien ist<br />

die einzige westliche Demokratie, wo<br />

Kleriker von Gesetzes wegen in der gesetzgebenden<br />

Kammer sitzen.«<br />

Noch schärfere anti-klerikale Töne<br />

hatten schillernde, die Euthanasie befürwortende<br />

Organisationen angeschlagen:<br />

»Dignity in Dying« (Würde im Sterben)<br />

nennt sich etwa ein Verein, der früher<br />

weniger euphemistisch »Voluntary Euthanasia<br />

Society« (Gesellschaft für freiwillige<br />

Euthanasie) hieß. Am Vortag der<br />

Oberhaus-Debatte ließ »Dignity in<br />

Dying« eine Umfrage veröffentlichen,<br />

wonach 76 Prozent der Befragten für das<br />

Gesetz seien. Deborah Annetts, die Chefin<br />

der Organisation, sah deshalb die<br />

Öffentlichkeit klar auf der Seite des Gesetzesentwurfs,<br />

gegen den nur »eine gut<br />

finanzierte Demonstration« der Religiösen<br />

aufmarschiere. Gegen diese Sichtweise<br />

spricht sachlich, dass sich bei einer Umfrage<br />

unter 5.000 britischen Medizinern<br />

73 Prozent gegen eine »Liberalisierung«<br />

des bestehenden Verbots aussprachen.<br />

Unter den Palliativmedizinern, die mit<br />

sterbenden Patienten zu tun haben, waren<br />

es sogar 95 Prozent.<br />

Keith Porteous Wood von der »National<br />

Secular Society« meinte, wenn es<br />

den Bischöfen im Oberhaus tatsächlich<br />

gelingen sollte, eine weitere Debatte über<br />

den Gesetzesentwurf zu verhindern, dann<br />

wäre dies »ein schändlicher Missbrauch<br />

des demokratischen Verfahrens«. Die<br />

»British Humanist Association« beschuldigte<br />

die christlichen Gruppen in ihrem<br />

Widerstand gegen den Gesetzesentwurf<br />

ein Schreckgespenst zu schaffen, heuchlerisch<br />

zu agieren und zur Desinformation<br />

zu greifen.<br />

In dieser aufgeheizten Stimmung lehnte<br />

das Oberhaus in London schließlich<br />

mit einer klaren Mehrheit von 148 gegen<br />

100 Stimmen Lord Joffes Initiativantrag<br />

ab, die Beihilfe zum Selbstmord straffrei<br />

zu stellen. Jede legislative Weiterentwicklung,<br />

die mit einem Änderungsantrag<br />

erwirkt werden sollte, wurde vom Oberhaus<br />

gestoppt.<br />

PARALLELEN IN<br />

ARGUMENTATION UND TAKTIK<br />

Wie Marty argumentierte Lord Joffe<br />

mit dem Wunsch und dem Leiden des<br />

schwerkranken und unheilbaren Patienten.<br />

Und ebenfalls wie bei Marty nannten<br />

die Befürworter des Joffe-Entwurfs auch<br />

die angeblich hohe Dunkelziffer als Argument<br />

für eine Legalisierung: »Das<br />

derzeitige Verbot reicht nicht aus, um<br />

Ärzte abzuschrecken, die im Geheimen<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


arbeiten«, so die Medizin-Ethikerin Sheila<br />

McLean in der »Times«. Dazu kommt,<br />

dass sich die Fälle häufen, in denen britische<br />

Gerichte bei Tötungen »aus Mitleid«<br />

oder »aus Liebe« keine Verurteilungen<br />

aussprachen.<br />

Sogar ein eigenes Gutachten wurde<br />

erstellt, um zu suggerieren, dass sich die<br />

tatsächliche Zahl der Euthanasie-Fälle<br />

durch eine Legalisierung verringern würde.<br />

Eine Behauptung, die nicht nur durch<br />

die Parallelen zur Abtreibung und durch<br />

die Euthanasiepraxis in Belgien und den<br />

Niederlanden längst widerlegt ist, sondern<br />

auch den Gesetzen der Logik kaum standhält.<br />

Parallelen zwischen Martys wiederholten<br />

Versuchen auf der Ebene des Europarates<br />

und Joffes Initiative in Großbritannien<br />

gibt es nicht nur in der Argumentation,<br />

sondern auch in der Taktik:<br />

So wie Marty seinen Forderungskatalog<br />

langsam kürzte, als er Widerstand im<br />

Plenum der Parlamentarischen Versammlung<br />

des Europarates erfuhr, machte es<br />

Lord Joffe in London. Dessen erster Gesetzesentwurf<br />

hatte noch die Freigabe<br />

der Tötung auf Verlangen gefordert.<br />

Nach massiver Kritik reduzierte Joffe<br />

seine Ziele: Ärzten solle die Möglichkeit<br />

eingeräumt werden, unheilbar kranken<br />

Patienten tödliche Medikamente zu verschreiben.<br />

Diese sollten aber die Patienten<br />

selbst einnehmen.<br />

Parallelen auch in der Tarnung: Hatte<br />

Marty nach dem Scheitern seines ersten<br />

»Euthanasie«-Berichts einen etwas diplomatischeren<br />

Bericht mit dem euphemistischen<br />

Titel »Assistance to patients at<br />

end of life« (Unterstützung für Patienten<br />

am Lebensende) eingereicht, so nannte<br />

Lord Joffe seine Gesetzesvorlage verschleiernd<br />

»Assisted Dying for the terminally<br />

Ill« (Unterstütztes Sterben für unheilbar<br />

Kranke). Offensichtlich sind die<br />

Propagandisten der Euthanasie doch vorsichtig<br />

geworden und tarnen ihre Intentionen.<br />

Sie spüren, dass der Begriff »Euthanasie«<br />

<strong>–</strong> im Gegensatz zur griechischen<br />

Wortbedeutung »guter Tod« <strong>–</strong> längst<br />

europaweit in Misskredit geraten ist. Die<br />

Legalisierung in Belgien und den Niederlanden<br />

mag mit ihren ausufernden Folgen<br />

dazu beigetragen haben.<br />

SPANIENS SOZIALISTEN<br />

GEGEN EUTHANASIE<br />

Das dürfte wohl auch der Grund dafür<br />

sein, dass die sozialistische Regierung<br />

Spaniens, die bisher auf vielen Gebieten<br />

wenig ethische Hemmungen bewies, sich<br />

klar von einer Legalisierung der Euthanasie<br />

distanzierte. Nach der Tötung eines<br />

»In EU-Staaten wächst die<br />

Zustimmung zur Euthanasie.«<br />

Querschnittsgelähmten meinte die spanische<br />

Gesundheitsministerin Elena Salgado<br />

Mitte Mai gegenüber spanischen Medien,<br />

eine Legalisierung der aktiven<br />

Sterbehilfe stehe derzeit nicht zur Debatte.<br />

Wie alle anderen Menschen hätten<br />

auch Querschnittsgelähmte das Recht auf<br />

einen würdevollen Tod. Dies bedeute<br />

aber palliative Betreuung, und nicht die<br />

direkte Sterbehilfe.<br />

Zuvor hatte der Fall des 53jährigen<br />

Jorge Leon für Debatten gesorgt: Der<br />

Mann, der seit einem Unfall vor sechs<br />

Jahren nur mehr die Lippen bewegen<br />

konnte, bat im Internet um eine »hilfreiche<br />

Hand« zum Abschalten seiner<br />

Beatmungsmaschine. Er habe, so versicherte<br />

er, Vorsichtsmaßnahmen getroffen,<br />

damit die Person, die ihn »von den Qualen<br />

erlöst«, nicht gefasst werden könne.<br />

In Frankreich wurde vor einem Jahr<br />

ein »Gesetz über die Rechte der Kranken<br />

am Lebensende« verabschiedet, das in<br />

der Nationalversammlung und im Senat<br />

für heftige Kontroversen gesorgt hatte.<br />

Sozialisten und Kommunisten hatten,<br />

den Fall der Amerikanerin Terri Schiavo<br />

zitierend, gefordert, eine »Hilfe beim<br />

Sterben« zuzulassen. Gesundheitsminister<br />

Philippe Douste-Blazy dagegen insistierte,<br />

er werde gegen die aktive Sterbehilfe<br />

Widerstand leisten, so lange er dieses<br />

Amt bekleide. Schließlich wurde ein Gesetz<br />

beschlossen, das die Euthanasie weiterhin<br />

unter Strafe stellt, zugleich aber<br />

regelt, wann und unter welchen Umständen<br />

Ärzte die Behandlung Sterbenskranker<br />

einstellen oder begrenzen dürfen.<br />

Patienten können unter Berufung auf<br />

dieses Gesetz auch eine künstliche Ernährung<br />

ablehnen. Damit soll mehr Rechtssicherheit<br />

für die Patienten und für das<br />

medizinische Personal erreicht werden.<br />

KRÖNUNG WAHRER MENSCHLICHKEIT<br />

ARCHIV<br />

Laut einer Studie der Freien Universität<br />

Brüssel, aus der die belgische Tageszeitung<br />

»De Standaard« am 10. Mai zitierte,<br />

soll in 32 europäischen Ländern<br />

zwischen 1981 und 1999 die Zustimmung<br />

zur aktiven Sterbehilfe gewachsen sein.<br />

Nur in Deutschland habe sich die Einstellung<br />

der Bevölkerung kaum verändert.<br />

Laut dieser Studie soll es in den Niederlanden,<br />

in Dänemark, Schweden, Finnland,<br />

Island, Frankreich, Belgien, Luxemburg,<br />

der Tschechischen Republik, Russland<br />

und Slowenien eine Mehrheit für<br />

die Legalisierung der Euthanasie geben.<br />

Eine deutliche Mehrheit dagegen gebe<br />

es in Italien, Portugal, Polen, Irland,<br />

Ungarn, Kroatien, Malta und der Türkei.<br />

Besonders rasch ändere sich die Einstellung<br />

der Bevölkerung, wo die Medien<br />

über ganz konkrete Fälle berichten.<br />

Das wusste bereits Joseph Goebbels,<br />

der vor 65 Jahren ganz in diesem Sinn<br />

den Euthanasie-Werbefilm »Ich klage<br />

an« in Auftrag gab. Der NS-Propagandafilm<br />

zeigt einen Arzt, der seine<br />

geliebte junge Frau, die an Multipler<br />

Sklerose erkrankt war, aus Mitleid und<br />

auf ihre eigene Bitte hin tötete. Gegen<br />

Ende des Films diskutieren in einem<br />

Nebenzimmer des Gerichts die Geschworenen<br />

das Dilemma, dass die Gesetze eine<br />

solche Tötung auf Verlangen zwar verbieten,<br />

der Arzt aber nach einem höheren<br />

Ethos gehandelt habe. Am Ende, dem<br />

Freispruch aus Mangel an Beweisen bereits<br />

recht nahe, leugnet der Arzt vor<br />

Gericht die Tat nicht mehr, sondern er<br />

bekennt sich dazu, fordert sein Urteil und<br />

die Änderung von Gesetzen, die den leidenden<br />

Menschen zwingen, sein Leben<br />

weiter zu leben.<br />

Auf eine höchst emotionale, im Stil<br />

jener Zeit theatralische Art wird die Euthanasie<br />

aus Mitleid und auf Verlangen<br />

als Krönung wahrer Menschlichkeit präsentiert.<br />

So ganz anders waren die aktuellen<br />

Begründungen, die Marty und Joffe<br />

<strong>–</strong> und ihre Vorläufer in den Niederlanden<br />

und in Belgien <strong>–</strong> lieferten, auch nicht.<br />

IM PORTRAIT<br />

Stephan Baier<br />

Der Autor, 1965 in Roding (Bayern) geboren,<br />

ist Österreich- und Europa-Korrespondent<br />

der überregionalen katholischen<br />

Tageszeitung »Die Tagespost«. Nach<br />

dem Studium der<br />

Theologie in Regensburg,<br />

München<br />

und Rom arbeitete<br />

er zunächst als<br />

Pressesprecher für<br />

die Diözese Augsburg,<br />

dann fünf Jahre lang als Pressesprecher<br />

und Parlamentarischer Assistent<br />

für Otto von Habsburg im Europäischen<br />

Parlament. Baier, Autor mehrerer<br />

Sachbücher, ist verheiratet und<br />

Vater von fünf Kindern.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 15


A USLAND<br />

Die Züchtung von Ersatzgewebe aus den Stammzellen geklonter<br />

Embryonen ist ein utopisches Projekt. Dennoch wollen in Europa<br />

weder Wissenschaft noch Politik davon lassen.<br />

Die Zeitschiene ist eine lange. Es<br />

wird meiner Meinung nach<br />

mindestens fünf bis zehn Jahre<br />

dauern, bis man überhaupt abschätzen<br />

kann, in welchen Bereichen die Stammzellforschung<br />

klinisch zum Einsatz kommen<br />

kann«, vertraute der Bonner Stammzellforscher<br />

Oliver Brüstle im Juni 2001<br />

der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«<br />

an. Inzwischen sind die ersten fünf Jahre<br />

vergangen. Von der Euphorie, mit der<br />

die Forscher damals die Heilung von tödlich<br />

verlaufenden Krankheiten versprachen,<br />

ist kaum noch etwas zu spüren. Aus<br />

gutem Grund: Die einzige Sensation, mit<br />

der der mittlerweile weltweit etablierte<br />

16<br />

Des Kaisers<br />

neue Kleider<br />

Von Stefan Rehder, M.A.<br />

Forschungszweig in den vergangenen<br />

fünf Jahren aufwartete, ist die Aufdeckung<br />

des Betrug-Skandals um den südkoreanischen<br />

Klonforscher Woo Suk Hwang.<br />

Der als Nationalheld gefeierte Hwang<br />

hatte mit zwei Aufsehen erregenden Studien,<br />

die 2004 und 2005 in dem renommierten<br />

Wissenschaftsjournal »Science«<br />

veröffentlich worden waren, den Eindruck<br />

erweckt, embryonale Stammzellen aus<br />

geklonten menschlichen Embryonen gewonnen<br />

und kultiviert zu haben.<br />

Alles gelogen: »Wir sind aufgrund<br />

sorgfältiger DNA-Analyse zu dem Schluss<br />

gekommen, dass die 2004 in ›Science‹<br />

dokumentierten Daten und Abbildungen<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

manipuliert wurden«, erklärte Anfang Januar<br />

der Vorsitzende der Untersuchungskommission<br />

der Nationaluniversität von<br />

Seoul, Myung Hee Chung, vor Journalisten.<br />

Die aus acht Experten bestehende<br />

Untersuchungskommission hatte drei<br />

unabhängige Labors mit den aufwendigen<br />

DNA-Tests beauftragt. Alle drei kamen<br />

zu identischen Ergebnissen: »Es gab keine<br />

wissenschaftlichen Belege, dass Hwang<br />

Stammzellen angefertigt hat«, so Chung.<br />

Bereits im Dezember war die Untersuchungskommission<br />

zu dem Ergebnis<br />

gekommen, dass die 2005 in »Science«<br />

veröffentlichte Studie komplett gefälscht<br />

war.<br />

Inzwischen hat auch die Staatsanwaltschaft<br />

Anklage gegen Hwang und weitere<br />

Mitglieder seines Teams wegen der Veruntreuung<br />

von Forschungsgeldern und<br />

des Verstoßes gegen das südkoreanische<br />

Bioethikgesetz erhoben. Hwang, der mittlerweile<br />

eingeräumt hat, Gelder in Höhe<br />

von 6,2 Milliarden Won (5,3 Millionen<br />

Euro) an Politiker gespendet zu haben,<br />

hatte in den vergangenen fünf Jahren für<br />

seine Forschungen umgerechnet rund 33<br />

Millionen Euro an öffentlichen Geldern<br />

und Spenden erhalten.<br />

Geld soll auch für den Kauf menschlicher<br />

Eizellen geflossen sein. Das ist in<br />

Südkorea seit 2005 verboten. Laut den<br />

Ergebnissen der universitären Untersuchungskommission<br />

benötigte Hwangs<br />

Team für seine erfolglosen Versuche, embryonale<br />

Stammzelllinien aus geklonten<br />

Embryonen zu etablieren, insgesamt<br />

2.061 menschliche Eizellen, die 129 Frauen<br />

in vier Kliniken entnommen worden<br />

waren. In den in »Science« veröffentlichten<br />

Studien war im Jahr 2004 jedoch von<br />

lediglich 242 Eizellen und im Jahr 2005<br />

sogar nur noch von 185 die Rede.<br />

Die Menge der von Hwangs Team tatsächlich<br />

benötigten Eizellen ist unabhängig<br />

von möglichen Straftaten auch deshalb<br />

so bedeutsam, weil Eizellen gewissermaßen<br />

den limitierenden Faktor für die<br />

Klon-Forschung darstellen. So würde es<br />

für die Therapie einer Krankheit gar nicht<br />

ausreichen, wenn das Klonen menschlicher<br />

Embryonen und ihre anschließende<br />

Tötung zum Zweck der Stammzellentnahme<br />

und der Etablierung von Stammzelllinien<br />

technisch durchführbar wäre.<br />

Das Verfahren müsste auch effizient sein.<br />

Nach dem bisherigen Stand der Wissenschaft<br />

ist es das nicht. Selbst wenn es<br />

gelänge, beim Menschen eine Erfolgsquote<br />

wie beim Klon-Schaf Dolly zu<br />

erreichen, würden allein für die Heilung<br />

von 17 Millionen Menschen, die weltweit<br />

an Typ-1-Diabetes leiden, immer noch<br />

850 Millionen Eizellen benötigt.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


Axel W. Bauer<br />

Sieht man einmal von den ethischen<br />

Argumenten ab, die gegen das Klonen<br />

von menschlichen Embryonen zu Forschungszwecken<br />

sprechen, wie die Zerstörung<br />

der Embryonen, die gesundheitliche<br />

Gefährdung der Eizellspenderinnen<br />

durch unnatürlich hohe Hormongaben<br />

zur Eizellreifung und das hohe Risiko der<br />

Transplantate im Körper der Empfänger<br />

zu entarten, so ist es vor allem die mangelhafte<br />

Effizienz, die gegen diesen Forschungszweig<br />

spricht. Doch die Forscher,<br />

die auf diesem Feld arbeiten, scheint all<br />

das nicht zu stören.<br />

»Keiner wollte es sich merken lassen,<br />

dass er nichts sah; denn dann hätte er ja<br />

nicht zu seinem Amte getaugt oder wäre<br />

sehr dumm gewesen. Keine Kleider des<br />

Kaisers hatten solches Glück gemacht<br />

wie diese«, zitiert Professor Dr. med. Axel<br />

W. Bauer, Koordinator des Querschnittsbereichs<br />

Geschichte, Theorie und Ethik<br />

der Medizin, aus dem Märchen »Des<br />

Kaisers neue Kleider« des dänischen<br />

Dichters Hans Christian Andersen (1805<br />

<strong>–</strong> 1875). Auch dass keinem der Forscher<br />

Hwangs Fälschungen, die schließlich von<br />

Studenten entdeckt worden waren, aufgefallen<br />

war, wundert Bauer nicht.<br />

»Die weltweit aktive Scientific Community<br />

der embryonalen Stammzellforscher<br />

ließ sich fast zwei Jahre lang nur<br />

allzu gerne täuschen, weil man glauben<br />

wollte, was Hwang zu können vorgab«,<br />

ist der Medizinhistoriker an der Fakultät<br />

für Klinische Medizin Mannheim der<br />

Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg<br />

überzeugt.<br />

Das gilt auch für die europäische Politik,<br />

wo die Befürworter der embryonalen<br />

Stammzellforschung nach wie vor die<br />

Idee verfolgen, aus den embryonalen<br />

Stammzellen geklonter Embryonen Ersatzgewebe<br />

für den Reparaturbetrieb am<br />

Menschen zu züchten. Obwohl die Forschung<br />

mit embryonalen Stammzellen <strong>–</strong><br />

trotz liberaler Gesetze in Ländern wie<br />

Großbritannien, Schweden und Belgien<br />

ARCHIV<br />

WWW.HCANDERSEN-HOMEPAGE.DK<br />

und massiver staatlicher Förderung <strong>–</strong><br />

noch immer keinerlei Erfolge aufzuweisen<br />

hat, drohen in Europa nun sämtliche<br />

Dämme zu brechen. So hat sich Ende<br />

Mai der Forschungsausschuss des Europäischen<br />

Parlaments dafür ausgesprochen,<br />

die Embryonen verbrauchende Stammzellforschung<br />

künftig mit Mitteln des 7.<br />

EU-Forschungsrahmenprogramms zu<br />

fördern. Änderungsanträge, die etwa die<br />

Einführung einer Stichtagsregelung nach<br />

deutschem Vorbild vorsahen, wurden<br />

abgeschmettert.<br />

Damit nicht genug. Nach dem Regierungswechsel<br />

in Italien ist den Gegnern<br />

der verbrauchenden Embryonenforschung<br />

nun auch ein wichtiger Bündnispartner<br />

verloren gegangen. Bei einem<br />

Treffen des EU-Forschungsministerrates<br />

Ende Mai in Brüssel kündigte der neue<br />

italienische Forschungsminister Fabio<br />

Mussi an, die Regierung von Ministerpräsident<br />

Romano Prodi werde sich nicht<br />

länger der Finanzierung embryonaler<br />

Stammzellforschung mit Mitteln des 7.<br />

EU-Forschungsrahmenprogramms widersetzen.<br />

Bislang hatte Italien gemeinsam<br />

Des Kaisers neue Kleider<br />

mit Deutschland, Österreich, Malta, Polen,<br />

Slowenien und der Slowakei gegen<br />

eine solche Förderung gestimmt. Aus<br />

gutem Grund: Wie in Deutschland ist<br />

auch in zahlreichen anderen EU-Staaten<br />

die Tötung menschlicher Embryonen zu<br />

Forschungszwecken verboten. Dass die<br />

verbrauchende Embryonenforschung nun<br />

mit ihren Steuergeldern europaweit gefördert<br />

werden soll, ist auch ein Angriff auf<br />

die nationale Souveränität dieser Staaten.<br />

Dennoch hält sich der Widerstand der<br />

Europäer in Grenzen. Zwar hat der<br />

Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments<br />

bereits Anfang Mai mehrheitlich<br />

gegen eine Förderung der embryonalen<br />

Stammzellforschung mit EU-Geldern<br />

gestimmt, doch liegt die Federführung<br />

in dieser Frage nun einmal beim Forschungsausschuss.<br />

In den Vereinigten Staaten von Amerika<br />

ist man wieder einmal weiter. Laut<br />

einer repräsentativen Umfrage, die von<br />

der Bischofskonferenz der katholischen<br />

Kirche in den USA in Auftrag gegeben<br />

wurde, lehnen 56,8 Prozent der US-<br />

Bürgerinnen und -Bürger Methoden zur<br />

Gewinnung von Stammzellen ab, bei<br />

denen Embryonen getötet werden. Nur<br />

23,6 Prozent plädieren dafür, Wissenschaftler<br />

sollten sämtliche Methoden der<br />

Stammzellforschung nutzen dürfen. 81,2<br />

Prozent der Befragten lehnen zudem das<br />

Klonen menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken<br />

ab. Befürwortet wird das<br />

Klonen menschlicher Embryonen mit<br />

therapeutischer Zielsetzung lediglich noch<br />

von 11,4 Prozent. Kaum mehr als der<br />

Anteil derjenigen, die auch das Klonen<br />

von Menschen zu reproduktiven Zwecken<br />

(9,7 Prozent) befürworten.<br />

Weder in den USA noch in Europa<br />

fehlt es an Stimmen, die wie der Junge<br />

im Märchen vernehmbar darauf hinweisen,<br />

dass der Kaiser keine Kleider trägt,<br />

sprich die Züchtung von Ersatzgewebe<br />

aus den Stammzellen geklonter Embryonen<br />

ein utopisches Projekt darstellt. Doch<br />

in Europa werden sie bislang nicht gehört.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 17


MEDIZIN<br />

Spermatogonien<br />

sorgen für Aufsehen<br />

Göttinger Wissenschaftler haben möglicherweise eine moralisch vertretbare Alternative zu der ethisch<br />

verwerflichen embryonalen Stammzellforschung gefunden. Klappt, was im Tierversuch funktionierte,<br />

auch beim Menschen, dann ließe sich womöglich Ersatzgewebe züchten, ohne Embryonen zu töten.<br />

Von Tobias-Benjamin Ottmar<br />

18<br />

Aus Stammzellen bilden sich in Kultur Herzzellen (oben links), Skeletalmuskelzellen (oben rechts), Gefäßmuskelzellen<br />

(unten links) und Nervenzellen (unten rechts).<br />

ARCHIV<br />

Wer an Göttingen denkt, mag<br />

sich an die Händel-Festspiele<br />

im Juni erinnern oder daran,<br />

dass der erste deutsche Reichskanzler<br />

Otto von Bismarck dort für ein Jahr studierte.<br />

Auch berühmte Wissenschaftler<br />

haben der Stadt Ruhm und Ehre bereitet<br />

<strong>–</strong> 44 Nobelpreisträger stammen aus der<br />

130.000 Einwohner zählenden Kommune.<br />

Ende März rückte Göttingen als Forschungsstandort<br />

durch eine Veröffentlichung<br />

im Wissenschaftsmagazin »Nature«<br />

erneut in das Blickfeld der weltweiten<br />

Forschungsriege. Denn Göttinger<br />

Forscher haben möglicherweise eine Alternative<br />

zu der unethischen embryonalen<br />

Stammzellforschung gefunden.<br />

Ein Team um den Herzspezialisten<br />

Prof. Dr. Gerd Hasenfuß und den Humangenetiker<br />

Prof. Dr. Wolfgang Engel<br />

hat es geschafft, Zellen aus Mäusehoden<br />

im Reagenzglas zu kultivieren. Das Erstaunliche:<br />

Diese Zellen entsprechen den<br />

Eigenschaften von embryonalen Stammzellen<br />

und konnten sich beispielsweise<br />

zu Herz- oder Skelettmuskelzellen entwickeln.<br />

Bislang war dies nur bei Zellen, die<br />

aus Embryonen gewonnen werden, gelungen.<br />

Allerdings werden dabei die heranwachsenden<br />

Menschen getötet. Es steht<br />

damit dem in Deutschland geltenden<br />

Embryonenschutzgesetz entgegen, was<br />

unter anderem die so genannte verbrauchende<br />

Embryonenforschung verbietet.<br />

Die embryonale Stammzellforschung ist<br />

in Deutschland daher nur eingeschränkt<br />

möglich.<br />

»Die Fähigkeit, der von uns kultivierten<br />

adulten Zellen in die verschiedensten<br />

Gewebe auszudifferenzieren, wurde bisher<br />

nur bei embryonalen Stammzellen<br />

beobachtet«, sagte die Mitarbeiterin der<br />

Abteilung Kardiologie und Pneumologie<br />

am Göttinger Herzzentrum, Kaomei Guan.<br />

Die Erstautorin ist maßgeblich an<br />

den Forschungsergebnissen beteiligt. Sollte<br />

sich das Verfahren auf den Menschen<br />

übertragen lassen, könnte dieses unter<br />

anderem bei der Behandlung von Herzinfarkten,<br />

Parkinson oder Diabetes zum<br />

Einsatz kommen. Krankheiten, die bislang<br />

die Klonforscher irgendwann einmal bekämpfen<br />

wollten.<br />

Entsprechend erfreut zeigte sich auch<br />

das Göttinger Team. Hasenfuß, der die<br />

Abteilung Kardiologie und Pneumologie<br />

Göttingen leitet, sagte im ZDF-Morgenmagazin:<br />

»Wir arbeiten schon lange<br />

an Stammzellen. Dieser Erfolg ist uns<br />

mit anderen Zellen nicht geglückt, bei<br />

dieser Zelle waren wir aber besonders<br />

optimistisch. Und schlussendlich hat es<br />

dann geklappt.«<br />

Eigentlich beschäftigen sich Hasenfuß<br />

und seine Kollegen mit der Herzregeneration.<br />

»Wir versuchen Zellen zu züchten,<br />

mit denen Herzschwächen behandelt<br />

werden können«, sagte er im Interview<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


mit der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«.<br />

Allerdings würden viele daran<br />

arbeiten, weshalb die Göttinger Herzforscher<br />

auf eine Zusammenarbeit mit dem<br />

Humangenetiker Wolfgang Engel setzten.<br />

Engel und seine Kollegen hatten sich<br />

bislang mit der Spermienreifung und mit<br />

männlicher Unfruchtbarkeit beschäftigt.<br />

»Weil Keimzellen im Hoden grundsätzlich<br />

alle Zelltypen des Körpers bilden<br />

können, entstand die Idee, aus diesem<br />

Gewebe Spermienvorläufer zu isolieren.<br />

So sind wir dann zu den in Zellkultur<br />

vermehrbaren, multipotenten adulten<br />

Keimzellstammzellen gelangt«, erläuterte<br />

Hasenfuß. Für ihn war die Forschung an<br />

und mit den Spermien kein Nebenjob<br />

aus reiner Neugierde. Es sei grundsätzlich<br />

so, dass man zunächst die Probleme beim<br />

Patienten identifizieren würde und die<br />

daraus resultierenden Fragen in die Forschung<br />

mit einbringe. »Und dann erarbeiten<br />

wir eine Antwort«, so Hasenfuß.<br />

KOMPLIZIERTES VERFAHREN<br />

MIT ERSTAUNLICHEN ERGEBNISSEN<br />

Ganz so einfach wie es scheint, waren<br />

die Tests dennoch nicht. Mit einer Erfolgsrate<br />

von 27 Prozent sei es gelungen,<br />

die spermatogonialen Zellen zu isolieren.<br />

Da diese die Eigenschaften von embryonalen<br />

Stammzellen besitzen, werden diese<br />

auch als »multipotentente adulte Keimbahn-Stammzellen«<br />

(maGSCs) bezeichnet.<br />

Mit einem grün fluoreszierenden<br />

Protein wurden diese Zellen markiert,<br />

GLOSSAR<br />

Pluripotenz<br />

Pluripotente Stammzellen können sich<br />

zu jedem Zelltyp eines erwachsenen<br />

Organismus entwickeln. Allerdings sind<br />

sie nicht in der Lage komplette Organismen<br />

zu bilden. Das können nur die so<br />

genannten totipotenten Zellen.<br />

Insgesamt gibt es drei große Zellfamilien,<br />

zu denen sich diese Stammzellen<br />

entwicklen können: Mesoderm, Ektoderm<br />

und Endoderm.<br />

Spermatogonese<br />

Unter Spermatogonese versteht man<br />

die Teilung von so genannten Spermatogonien,<br />

das sind Vorläuferzellen von<br />

Spermien. In mehreren Schritten teilen<br />

diese Vorläufer sich, bis sie schließlich<br />

zu Spermien heranreifen. Aus einem<br />

Spermatogonium gehen vier Spermien<br />

hervor. Ein gesunder Mann produziert<br />

pro Sekunde 1200, das sind 104 Millionen<br />

Spermien pro Tag.<br />

ARCHIV<br />

Prof. Dr. Wolfgang Engel, Prof. Dr. Gerd Hasenfuß<br />

um sie beim späteren Einsatz wieder finden<br />

zu können. Unter bestimmten Bedingungen<br />

entwickelten sich die Vorläuferzellen<br />

der Spermien zu allen drei<br />

Grundtypen embryonaler Zellen. Aus<br />

solchen Keimblättern gehen alle Organe<br />

und Gewebe des Körpers hervor. Durch<br />

die speziellen Farbstoffe, die vorher zugesetzt<br />

wurden, konnte hinterher festgestellt<br />

werden, welche Proteine die weiter<br />

entwickelten Zellverbände enthielten.<br />

Diese wiederum ließen darauf schließen,<br />

zu welchen Organen sich die Zellen weiter<br />

entwickeln. Denn eine Herzzelle besitzt<br />

beispielsweise ganz andere Proteine als<br />

eine Haut- oder Nervenzelle, erklärte<br />

Lars Maier vom Göttinger Herzzentrum.<br />

Die Arbeitsgruppe konnte nachweisen,<br />

dass die aus den Mäusehoden gewonnenen<br />

Zellen zehn Tage nach Kulturbeginn die<br />

gleichen elektrischen Eigenschaften bewiesen<br />

wie gewöhnliche Herzzellen. Sie<br />

zogen sich genauso rhythmisch zusammen,<br />

verkürzten und erschlafften wieder,<br />

wie es bei einem Herzen der Fall ist. Bei<br />

anderen Tests bildeten sich Nervenzellen,<br />

die Dopamin produzieren. Dopamin ist<br />

der Botenstoff, der bei Parkinson nur<br />

noch reduziert gebildet wird.<br />

Bei einem weiteren Versuch markierte<br />

das Team die Hoden-Stammzellen blau<br />

und injizierte diese in Mäuse-Embryos<br />

im Blastozysten-Stadium. Später fand<br />

man das Gewebe aus den Hodenzellen<br />

in allen Organen des Tieres. Laut Hasenfuß<br />

habe dies als Beweis für die Fähigkeiten<br />

der Zellen gedient, »nicht aber als<br />

INFORMATION<br />

Prof. Dr. Gerd Hasenfuß<br />

Geboren 1955 in Kehl am Rhein, promovierte<br />

1981 in Freiburg, anschließend<br />

bis 1988 Facharztausbildung an der Freiburger<br />

Universitätsklinik. Nach einem<br />

zweijährigen wissenschaftlichen Aufenthalt<br />

am „College of Medicine“ in<br />

Vermont/USA und seiner Habilitation<br />

1989 kehrte er 1990 nach Freiburg zurück,<br />

wurde drei Jahre später Oberarzt<br />

der medizinischen Klinik. 1998 Wechsel<br />

zur Georg-August-Universität Göttingen,<br />

seit 2001 Vorsitzender des Herzzentrums.<br />

therapeutischer Ansatz«. Aus den Hodenzellen<br />

selber könnten keine Embryos<br />

entstehen.<br />

Auch so genannte Teratome, das sind<br />

sehr seltene Tumore, konnten die Stammzellen<br />

bilden. Dazu wurden diese unter<br />

die Haut von abwehrgeschwächten Mäusen<br />

gepflanzt. Die Tumore enthielten<br />

verschiedene Gewebetypen eines ausgewachsenen<br />

Nagers. Dieser Test war allerdings<br />

nur für die Bestätigung der anderen<br />

Tests notwendig. »Wir haben das auf<br />

Wunsch von ›Nature‹ gemacht, um zu<br />

beweisen, dass auch die Spermazellen von<br />

Mäusen dasselbe schaffen wie embryonale<br />

Stammzellen«, erklärte Hasenfuß gegenüber<br />

dem <strong>LebensForum</strong>.<br />

ANDERE FORSCHER<br />

SIND NOCH SKEPTISCH<br />

Nicht alle Forscher teilen die Freude<br />

über die Göttinger Ergebnisse. Der Kölner<br />

Stammzell-Forscher Jürgen Hescheler<br />

sagte: »Schon andere Forscher haben<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 19


MEDIZIN<br />

behauptet, pluripotente Stammzellen aus<br />

ausgewachsenen Tieren gewonnen zu<br />

haben, zum Beispiel aus deren Bauchspeicheldrüse.<br />

So weit ich weiß, konnten<br />

solche Ergebnisse von anderen Teams<br />

aber bisher nicht reproduziert werden.«<br />

Anders Rudolf Jaenisch vom »Whitehead<br />

Institute for Biomedical Research«<br />

(Whitehead Institut für biomedizinische<br />

Forschung) in Cambridge (US-Bundesstaat<br />

Massachusetts). Er bezeichnete<br />

die Veröffentlichung als »schön und<br />

potenziell«. Allerdings fordert er noch<br />

mehr Beweise: Weitere Studien sollten<br />

zeigen, »ob die Zellen auch über längere<br />

Zeit hinweg normal wachsen.« Der Direktor<br />

des Max Planck Instituts für molekulare<br />

Biomedizin in Münster, Hans<br />

Schöler, war ebenso zurückhaltend:<br />

»Wenn das auch beim Menschen gelingen<br />

würde, wäre das eine tolle Sache. Aber<br />

ich bin vorsichtig geworden, habe schon<br />

viele Träume platzen sehen.« Laut Schöler<br />

sei es wichtig zu prüfen, was diese Zellen<br />

»wirklich wert sind«. Ob daraus zum<br />

Beispiel Spermien werden oder ob sie<br />

wirklich eine ganze Maus bilden können.<br />

Dieser letzte Beweis ihrer Pluripotenz<br />

fehlt noch.<br />

Thomas Zwaka von der medizinischen<br />

Baylor-Hochschule in Houston (USA)<br />

zeigte sich da schon optimistischer. »Das<br />

ist eine tolle Arbeit. Wenn wir die Ergebnisse<br />

bestätigen können, wäre das für die<br />

Stammzellforschung eine große Sache.«<br />

Auch Henning Beier, Reproduktionsmediziner<br />

aus Aachen, sieht ȟberhaupt<br />

keinen Grund, dass es beim Menschen<br />

nicht funktionieren soll. Die Chance ist<br />

garantiert da.«<br />

Die Göttinger Experimente sind nicht<br />

ganz unerwartet. Vor zwei Jahren hatte<br />

20<br />

INFORMATION<br />

Herzzentrum Göttingen<br />

Am 20. Dezember 2001 wurde das Herzzentrum<br />

Göttingen eröffnet. Eine der<br />

sechs Abteilungen ist die Kardiologie<br />

(wörtl: Lehre vom Herzen) die von Prof.<br />

Dr. Hasenfuß geleitet wird. Er ist zugleich<br />

Vorstandsvorsitzender des Herzzentrums.<br />

Gemeinsame Forschungsprojekte<br />

der Abteilungen gehören zu den Hauptzielen<br />

der Einrichtung. Dafür wurde ein<br />

Sonderforschungsbereich der Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft »Biomechanische<br />

Phänotyp-Regulation im Herz-<br />

Kreislaufsystem« eingerichtet. Darüber<br />

hinaus wurde Göttingen zu einem Standort<br />

des Nationalen Genomforschungsnetzes<br />

»Herzkreislauf« ernannt.<br />

der Japaner Takashi Shinohara unreife<br />

Spermatogonien aus den Hoden neugeborener<br />

Mäuse isoliert. Die verhielten<br />

sich in der Petri-Schale ähnlich wie embryonale<br />

Stammzellen. Allerdings schafften<br />

sie es damals nicht, auch aus den<br />

Hoden erwachsener Mäuse entsprechende<br />

Zellen zu gewinnen. Die deutschen<br />

Forscher haben dies nun erreicht.<br />

WEITERE EXPERIMENTE<br />

IN DEN NÄCHSTEN MONATEN<br />

In den nächsten Monaten wollen die<br />

Wissenschaftler herausfinden, ob die gebildeten<br />

Herzzellen auch einen Herzinfarkt<br />

heilen können. Zeitgleich seien<br />

Hasenfuß und seine Kollegen dabei<br />

»Zellen aus Hodenbiopsien, wie sie bei<br />

Routineeingriffen, bei Patienten mit klinischer<br />

Indikation gewonnen werden<br />

können, zu untersuchen. Wir möchten<br />

erfahren, ob das Verfahren, das wir bei<br />

den Mäusen etabliert haben, auch auf das<br />

menschliche Gewebe übertragen werden<br />

kann. Ob oder wann das gelingt, das<br />

wissen wir noch nicht.«<br />

Allerdings drängt die Zeit. Denn seit<br />

der Nature-Veröffentlichung können nun<br />

auch andere Forscher die Ergebnisse<br />

nachvollziehen. Hasenfuß: »Es ist ja gut,<br />

wenn es nachgemacht wird. Das ist ja<br />

auch eine Bestätigung unserer Arbeit,<br />

wenn es andere nachmachen können.«<br />

Doch die Göttinger Forscher müssen<br />

sich nun beeilen, »damit wir am Ende<br />

unsere Nase bei der Übertragung auf den<br />

Menschen vorne haben.« Hasenfuß’ Kollege<br />

Engel geht sogar noch weiter: »Was<br />

wir jetzt brauchen, wäre beispielsweise<br />

Hodenmaterial von Verunglückten, die<br />

einer Organtransplantation zugestimmt<br />

haben. Oder Zellen von transsexuellen<br />

Männern, denen ja nach einer entsprechenden<br />

Hormonbehandlung die Hoden<br />

entfernt werden.« Engel sei guten Mutes,<br />

dass solche Zellen für die Göttinger Forscher<br />

»in den nächsten sechs bis acht<br />

Monaten« verfügbar seien. »Das kann<br />

allerdings auch schon morgen passieren.<br />

Oder übermorgen. Wir sind ja jetzt nicht<br />

mehr die einzigen, die das machen. Trotzdem<br />

haben wir natürlich zunächst mal<br />

eine Spitzenreiterfunktion erreicht.« Und<br />

auch Hasenfuß gibt sich optimistisch:<br />

»Wir haben neue Grundlagen für die zukünftige<br />

Behandlung von schweren Erkrankungen<br />

wie beispielsweise Herzmuskelschwäche<br />

mit körpereigenen Stammzellen<br />

entwickelt.«<br />

Selbst wenn das Verfahren auf den<br />

Menschen übertragbar wird <strong>–</strong> profitieren<br />

könnten erst einmal nur die Männer.<br />

Allerdings gibt es laut Hasenfuß auch für<br />

ARCHIV ARCHIV<br />

Kaomei Guan<br />

die Therapie bei Frauen zwei Optionen:<br />

Eine Möglichkeit wäre die Verwendung<br />

von Stammzellen aus den Eierstöcken.<br />

Diese seien allerdings schwer zu gewinnen.<br />

»Eine andere Option wäre es, die<br />

immunologischen Eigenschaften der<br />

männlichen Zellen so zu verändern, dass<br />

sie auch auf andere Menschen übertragen<br />

werden könnten.«<br />

Bis zu einer möglichen Anwendung<br />

des Verfahrens wird die zerstörende Forschung<br />

am Menschen von Ian Wilmut<br />

und Co. weitergehen. Schließlich solle<br />

man nicht den Fehler machen, sich nur<br />

noch auf eine gar nicht sichere Alternative<br />

aus den Hoden zu verlassen, so Zwakas<br />

Ansicht: »Wir wissen es nicht. Und solange<br />

wir es nicht wissen, haben die anderen<br />

Wege noch immer dieselbe wissenschaftliche<br />

Berechtigung«, sagte der 33-<br />

jährige Professor.<br />

IM PORTRAIT<br />

Tobias-Benjamin Ottmar<br />

Der Autor, Jahrgang 1985, studiert an<br />

der FH Gelsenkirchen Journalismus /<br />

Technik-Kommunikation. Neben dem<br />

Studium und der<br />

journalistischen Tätigkeit<br />

für verschiedene<br />

Zeitungen und<br />

<strong>Magazin</strong>e engagiert<br />

er sich in der<br />

»Jugend für das<br />

Leben«, der Jugendorganisation der<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>), den<br />

»Christdemokraten für das Leben« (CDL)<br />

und anderen Organisationen für das<br />

Lebensrecht.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


Das Ende der<br />

Klonforschung?<br />

Mit ihren Versuchen haben Göttinger Forscher vor einigen Monaten<br />

für Aufsehen gesorgt: Bei Tests mit Zellen aus Mäusehoden stellten<br />

sie dieselben Eigenschaften fest wie bei embryonalen Stammzellen.<br />

Tobias-Benjamin Ottmar sprach für <strong>LebensForum</strong> mit Professor Dr.<br />

Gerd Hasenfuß, der an den Untersuchungen beteiligt war.<br />

<strong>LebensForum</strong>: Sie haben mit den Erfolgen bei<br />

den Tests mit Spermatogonien von Mäusen international<br />

für Aufsehen gesorgt. Was bedeutet die<br />

„Nature“-Veröffentlichung für Göttingen?<br />

Professor Dr. Gerd Hasenfuß: Nun<br />

ja, es ist ja nicht die erste »Nature«-Veröffentlichung<br />

aus Göttingen. Aber es ist<br />

eine wichtige Publikation im Bereich der<br />

Stammzellforschung. Wir haben dadurch<br />

auf den Standort aufmerksam gemacht.<br />

In einem Zitat Ihres Kollegen Wolfgang Engel<br />

heißt es, dass er damit rechne, dass man „in sechs<br />

bis acht Monaten“ auch entsprechende Ergebnisse<br />

bei den Versuchen mit Menschen haben werde.<br />

Wie viel PR und wie viel Wirklichkeit steckt in<br />

dieser Einschätzung?<br />

Wir denken schon, dass das biologische<br />

Prinzip auch beim Menschen grundsätzlich<br />

möglich ist. Und davon gehen auch<br />

andere Stammzellforscher aus, sonst hätte<br />

unsere Arbeit nicht so für Aufsehen gesorgt.<br />

Es kann auch sein, dass wir schon<br />

in vier Wochen so weit sind. Es kann aber<br />

auch länger dauern. Ich wäre da vorsichtig<br />

mit einer Prognose.<br />

Wie schnell werden Ihre anderen Kollegen die<br />

Versuche nachmachen können?<br />

Für ein gutes Team wäre es sicherlich<br />

möglich, innerhalb von drei Monaten die<br />

Ergebnisse zu haben. Das betrifft aber<br />

nur die Tests mit Mäusen. Für den Menschen<br />

müssten diese noch modifiziert<br />

werden. Sollten die Kollegen tatsächlich<br />

so schnell sein, stehen wir natürlich unter<br />

Zeitdruck.<br />

In Ihrem Bericht ist von so genannten »embryoid<br />

bodies« die Rede. Was ist darunter zu verstehen?<br />

Handelt es sich am Ende doch um Embryos?<br />

Prof. Dr. Gerd Hasenfuß<br />

Dieser Begriff stammt aus der embryonalen<br />

Stammzellforschung. Die Stammzellen<br />

bilden nach der Entnahme aus dem<br />

Embryo einen Zellknäuel, wenn man sie<br />

kultiviert. Das gleiche geschah auch bei<br />

unseren Zellen. Der Unterschied ist aber,<br />

dass sie nicht aus Embryonen stammen,<br />

sondern aus spermatogenialen Zellen.<br />

Wenn die Tests mit menschlichen Zellen erfolgreich<br />

sein sollten, können die Klonforscher dann<br />

einpacken?<br />

Ich hätte es jetzt nicht so formuliert,<br />

aber im Grunde kann ich diese Frage mit<br />

»Ja« beantworten. Schließlich läuft es<br />

darauf hinaus. Zumindest für den Mann<br />

hätten wir dann eine Lösung. Danach<br />

müssten wir untersuchen, wie solche adulten<br />

Zellen in fremde Körper, also auch<br />

bei Frauen, eingesetzt werden können,<br />

ohne dass diese abgestoßen werden.<br />

Inwiefern war die ethische Diskussion um das<br />

Klonen für Sie Motivation, nach Alternativen zu<br />

suchen?<br />

ARCHIV<br />

Das war für uns natürlich eine große<br />

Motivation, aber ich denke, das ist bei<br />

allen Stammzellforschern der Fall. Natürlich<br />

versucht man auf adulte Stammzellen<br />

auszuweichen. Aber so lange das<br />

noch nicht endgültig funktioniert, werden<br />

andere weiterhin auch mit embryonalen<br />

Zellen forschen.<br />

Der Stammzellforscher Hans Schöler sagte,<br />

man müsse sehen, was die Zellen wert seien. Können<br />

Sie es ihm sagen?<br />

Ich muss sagen, ich habe sein Zitat<br />

nicht ganz verstanden. Das, was unsere<br />

Zellen wert sind, kommt in der Arbeit<br />

eindeutig heraus: Nämlich zunächst einmal<br />

so viel wie auch embryonale Stammzellen.<br />

Im Reagenzglas verhalten sich<br />

beide Zellarten ziemlich gleich.<br />

Auch Jürgen Hescheler scheint etwas skeptisch<br />

zu sein. Er forderte weitere Beweise!<br />

Damit hat er auch völlig Recht. Wissenschaftliche<br />

Ergebnisse müssen reproduzierbar<br />

sein. Es ist legitim, das zu fordern.<br />

Und ich denke, bald werden auch<br />

andere diese Erfolge haben. Wenn wir<br />

nicht gut gearbeitet hätten, hätte »Nature«<br />

nach dem Klon-Skandal unsere<br />

Ergebnisse sicher nicht publiziert. Wir<br />

mussten ja sogar eine Art Vaterschaftstest<br />

machen, um zu beweisen, dass die<br />

Zellen tatsächlich aus Mäusehoden stammen.<br />

Stellen Sie nicht durch Ihre Arbeit eine Konkurrenz<br />

für Wilmut und Co dar?<br />

Das sehe ich nicht so. Schließlich müssen<br />

wir ja erst einmal so weit sein, dass<br />

das auch in der regenerativen Medizin<br />

angewendet werden kann. Solange das<br />

noch nicht der Fall ist, werden die Kollegen<br />

in den Ländern, wo keine rechtlichen<br />

Bedenken bestehen, weitermachen. In<br />

Ländern, wo man die ethische Problematik<br />

mehr beachtet, kann es natürlich sein,<br />

dass für diesen Forschungsbereich Gelder<br />

gekürzt werden. Wenn wir beim Menschen<br />

Erfolg haben, werden die Kollegen<br />

aber sicher auch unsere Therapien übernehmen.<br />

Drehen wir die Zeit vor: Wie behandeln Sie ihre<br />

Patienten in drei Jahren?<br />

Ich glaube, dass wir eher von einem<br />

Zeitraum von zehn Jahren sprechen. Alles<br />

andere wäre zu optimistisch. Ich denke<br />

aber, dass ich in zehn Jahren meine Patienten<br />

mit Zellen aus Spermatogonien<br />

behandele.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 21


GESELLSCHAFT<br />

Der Baby-TÜV<br />

Was in den 60er Jahren begann, gehört heute meist zur routinemäßigen Schwangerenvorsorge: Die<br />

Pränataldiagnostik, kurz PND. Die vorgeburtliche Diagnostik stand auch im Mittelpunkt der diesjährigen<br />

von den Kirchen durchgeführten »Woche für das Leben«. Grund genug für <strong>LebensForum</strong>, dem Thema<br />

einen umfassenden Beitrag zu widmen.<br />

Von Matthias Lochner<br />

des, wenn die Mutter bei der Schwangerschaft<br />

älter als 35 Jahre alt ist.<br />

Seit der Einführung der Mutterschaftsrichtlinien<br />

(MRS) 1966 wurden dann<br />

nach und nach Methoden der pränatalen<br />

Diagnostik als Empfehlung in die Richtlinien<br />

aufgenommen: die Fruchtwasseruntersuchung<br />

(19<strong>78</strong>), Ultraschalluntersuchungen<br />

(1979) und der Triple-Test<br />

(1988). Seit 1995 sind drei Ultraschalluntersuchungen<br />

vorgesehen, um unter anderem<br />

auch nach Beeinträchtigungen zu<br />

suchen. Das so genannte Erst-Trimester-<br />

Screening, eine Kombination aus Untersuchungen<br />

aus dem Blut der Frau, Ultraschall<br />

und Berechnungen, die das Alter<br />

der Frau einbeziehen, ist inzwischen Teil<br />

der Routine der Schwangerenvorsorge<br />

in jeder gynäkologischen Praxis.<br />

Das Erst-Trimester-Screening hebt<br />

die Altersindikation auf und bezieht alle<br />

LIFE ISSUES INSTITUTE<br />

jede Zehnte, einer Fruchtwasseruntersuchung,<br />

wobei in nur 2 bis 3 Prozent der<br />

Fälle ein so genanntes »familiäres Risiko«<br />

vorliegt. Im Vergleich dazu gab es 1977<br />

lediglich 2.648 Fruchtwasseruntersuchungen.<br />

Die Ausweitung der PND wurde<br />

nicht zuletzt durch die grundsätzliche<br />

Erstattung der Kosten für die Behandlungen<br />

durch die gesetzlichen Krankenkassen<br />

vorangetrieben. Während die PND anfangs<br />

für seltene Fälle, also so genannte<br />

belastete Familien, gefordert und eingeführt<br />

wurde <strong>–</strong> wie wir es im Übrigen bei<br />

der Diskussion um die Zulassung der PID<br />

wiederfinden <strong>–</strong>, wird heute jeder Schwangeren<br />

die vorgeburtliche Diagnostik angeboten.<br />

Die meisten der ca. 700.000<br />

schwangeren Frauen im Jahr nehmen<br />

dieses Angebot dann auch wahr.<br />

»Nur wenige Erkrankungen<br />

lassen sich auch therapieren.«<br />

Irrtumsanfällig: Die Fehldiagnosen der PND liegen bei fünf bis zehn Prozent.<br />

Die Pränataldiagnostik hat eine<br />

lange Geschichte. Den Anfang<br />

machte eine Studie der Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft (DFG),<br />

in der zwischen 1964 und 1972 20.000<br />

Frauen während ihrer Schwangerschaft<br />

und ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr<br />

untersucht wurden. Ergebnis der<br />

Studie war unter anderem das so genannte<br />

Altersrisiko der Frau, also das Risiko einer<br />

körperlichen Beeinträchtigung des Kin-<br />

22<br />

schwangeren Frauen ein. Ziel ist es, eine<br />

möglichst genaue »Risikoabschätzung«<br />

zu ermitteln, um dann nur Frauen mit<br />

einem »hohen Risiko« einer invasiven<br />

Diagnostik, also einer Untersuchung innerhalb<br />

des Körpers der Frau, zuzuführen.<br />

Doch auch die Zahl der invasiven Untersuchungen<br />

hat stark zugenommen:<br />

Experten zufolge unterziehen sich etwa<br />

70.000 schwangere Frauen im Jahr, also<br />

Seit ihrer Einführung ist die pränatale<br />

Diagnostik fortwährend starker Kritik<br />

ausgesetzt gewesen. So wird immer wieder<br />

problematisiert, dass eine große Zahl an<br />

Behinderungen zwar diagnostiziert, aber<br />

nur ganz wenige davon pränatal therapiert<br />

werden können. Anfang Mai bestätigte<br />

der Leiter der Genetik-Abteilung an der<br />

Universitätsklinik für Frauenheilkunde<br />

in Wien, Professor Markus Hengstschläger,<br />

in einem Interview mit der Tageszeitung<br />

»Der Standard«, dass »die Zahl der<br />

genetischen Erkrankungen, für die es<br />

weder Prophylaxe noch Therapie gibt,<br />

groß ist.« Nur wenige Erkrankungen<br />

ließen sich bei frühzeitiger Diagnose<br />

behandeln. Das wahre Problem sei, dass<br />

viele genetische Erkrankungen zwar diagnostiziert,<br />

aber nicht behandelt werden<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


könnten. Die Folge dieser Diskrepanz<br />

zwischen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten<br />

räumte der Humangenetiker<br />

denn auch ein: »Viele Paare entscheiden<br />

sich nach der PND gegen die Geburt eines<br />

schwer kranken Kindes.«<br />

Dabei scheint insbesondere der gesellschaftliche<br />

Druck eine große Rolle zu<br />

spielen. So gab 2001 die überwiegende<br />

Mehrheit der Eltern eines Kindes mit<br />

Behinderung (72 Prozent der Mütter und<br />

100 Prozent der Väter) an, dass sie aus<br />

ihrem Umfeld mit der Frage konfrontiert<br />

würden, warum sie keine Pränatale Diagnostik<br />

in Anspruch genommen hätten,<br />

was den Gedanken impliziert, dass das<br />

»Wenn der Wunsch der Ärzte als<br />

Aufruf zum Mord verstanden wird.«<br />

»Unheil« durch eine Abtreibung hätte<br />

verhindert werden können.<br />

Diesen Druck bekam auch Dalila Simon<br />

zu spüren, die ihre Erfahrungen in<br />

dem Buch »Dann werde ich Dich tragen«<br />

festgehalten hat. Bei ihrem Sohn wurde<br />

in der 20. Schwangerschaftswoche die so<br />

genannte Trisomie 18 (Edwards-Syndrom)<br />

festgestellt, das sich in schweren<br />

körperlichen und geistigen Beinträchtigen<br />

äußert und eine verkürzte Lebensdauer<br />

zur Folge hat. In einem Interview äußerte<br />

Simon kürzlich, dass die Ärzte ihr einen<br />

Schwangerschaftsabbruch nahegelegt hätten,<br />

mit dem Argument, ihr Kind sei<br />

»lebensunfähig«. Sie habe jedoch niemals<br />

eine Abtreibung erwogen und »der<br />

Wunsch der Ärzte« sei für sie ein »Aufruf<br />

zum Mord« gewesen, so die Buchautorin.<br />

Die Umfrage und Simons Beispiel<br />

zeigen, wie wichtig eine psychosoziale<br />

Beratung der Eltern vor einer PND ist.<br />

Behindertenverbände beklagen immer<br />

wieder, dass ein entsprechendes Beratungsangebot<br />

in Deutschland völlig unzureichend<br />

sei. Die Verbände sind es<br />

auch, die auf die verheerende Wirkung<br />

der PND auf Menschen mit Behinderung<br />

aufmerksam machen: Es werde ein Klima<br />

geschaffen, in dem es normal sei, z.B.<br />

nach dem »Down-Syndrom zu fahnden«<br />

und dafür zu sorgen, dass diese Kinder<br />

nicht geboren werden. Dies werde als ein<br />

Angriff auf ihr Lebensrecht und eine<br />

Infragestellung ihrer gleichberechtigten<br />

Existenz erlebt.<br />

Zur mangelhaften psychosozialen Beratung<br />

kommt hinzu, dass auch die Ärzte<br />

im Zuge der so genannten »Kind-als-<br />

Schaden«-Rechtsprechung zunehmendem<br />

Druck ausgesetzt sind. Das Haftungsrecht<br />

verpflichtet sie, die Frauen<br />

umfassend über alle diagnostischen Möglichkeiten<br />

aufzuklären. Tun sie das nicht,<br />

müssen sie nach der Geburt eines Kindes<br />

mit Behinderung, das hätte »verhindert«<br />

werden können bzw. sollen, mit Schadensersatzansprüchen<br />

bis hin zum vollen Unterhalt<br />

rechnen. Das Signal für Gynäkologen<br />

geht also dahin, Kinder mit<br />

Behinderungen als »Schaden« zu vermeiden.<br />

Nicht zuletzt spielt die Bewertung und<br />

Haltung zur »Technik« bei der PND eine<br />

Rolle. Vielfach wird argumentiert, die<br />

Techniken seien neutral und würden erst<br />

durch eine missbräuchliche Anwendung<br />

problematisch. In ihrem Beitrag »Ethik<br />

in Gynäkologie und Geburtshilfe«<br />

schreibt die Oberärztin und Präsidentin<br />

der Österreichischen Gesellschaft für<br />

Psychosomatik in Gynäkologie und Geburtshilfe,<br />

DDr. Barbara Maier, dazu:<br />

»Die innere Logik von Technologien zielt<br />

darauf ab zu tun, was getan werden kann.<br />

Die Attraktion von Techniken kann zu<br />

einem unkontrollierten, irrationalen Mehr<br />

an Anwendung führen, als dies innerhalb<br />

des eigenen Systems für sinnvoll gehalten<br />

wird. Dies ist bei Pränataldiagnostik mehr<br />

als deutlich.«<br />

Zudem wird häufig verschwiegen, dass<br />

die PND keine eindeutige Sicherheit<br />

bietet. So konnten Schätzungen zufolge<br />

beispielsweise im Jahr 2005 weniger als<br />

ein Prozent der Behinderungen und Erkrankungen<br />

pränatal erkannt werden.<br />

Experten gehen außerdem davon aus,<br />

dass in 5 bis 10 Prozent der Fälle von<br />

PND ein vermeintlicher positiver Befund<br />

gemacht wird, obwohl das Kind absolut<br />

gesund ist.<br />

All dies zeigt: Auch wenn die Absichten<br />

aller Beteiligten (Forschung, Gynäkologie,<br />

Frau) komplex und nicht notwendig<br />

primär und bewusst selektiv sind, ist das<br />

System der PND als solches doch selektiv.<br />

»Das System der PND<br />

ist als solches selektiv.«<br />

ARCHIV<br />

Die«Guten« ins Töpfchen, ...<br />

Nur selten scheint es um ein für die Gesundheit<br />

der schwangeren Frau oder des<br />

Ungeborenen heilendes Eingreifen nach<br />

einem Befund zu gehen. Ansonsten<br />

scheint ein großer Aufwand an Kontrolle<br />

und Überwachung betrieben zu werden,<br />

um die Geburt eines Kindes mit »Behinderung«<br />

zu vermeiden, das bis zu diesem<br />

Befund eigentlich erwünscht war.<br />

Dies belegen auch einschlägige Zahlen:<br />

»95 Prozent der Frauen, die mit der dramatischen<br />

Nachricht einer Erbmaterialstörung<br />

konfrontiert werden, brechen die<br />

Schwangerschaft ab,« bestätigte beispielsweise<br />

der Leiter der Abteilung für Pränatal-<br />

und Geburtsmedizin an der Frauenklinik<br />

der Universität Leipzig, Prof. Dr.<br />

Renaldo Faber, im März 2004 gegenüber<br />

der Presse. Auch der an der Universität<br />

Würzburg lehrende Psychologe Dr. Wolfgang<br />

Lenhard sieht eine Korrelation zwischen<br />

der zunehmenden PND und Abtreibung.<br />

In seiner bereits 2003 veröffentlichten<br />

Arbeit »Der Einfluss pränataler<br />

Diagnostik und selektiven Fetozids<br />

auf die Inzidenz von Menschen mit angeborener<br />

Behinderung« schreibt er, dass<br />

die Anzahl vorgeburtlicher Untersuchungen<br />

stark angestiegen sei, 10 Prozent<br />

der Schwangeren gar invasive Diagnostika<br />

durchliefen. »Die gesamte Erkennungsrate<br />

für Föten mit Trisomie 21<br />

[Down-Syndrom, Anm. d. A.] liegt bei<br />

ca. 72 Prozent. Eine metaanalytische<br />

Auswertung von 20 Studien zeigte, dass<br />

90 Prozent der Frauen im Falle eines<br />

positiven Trisomie-21-Befundes die<br />

Schwangerschaft beenden, was verglichen<br />

mit anderen Behinderungsformen die<br />

höchste Abbruchrate darstellt. Die Daten<br />

deuten auf eine Zunahme selektiven Ab-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 23


GESELLSCHAFT<br />

»98 % aller Neugeborenen<br />

haben keine Probleme.«<br />

orts hin«, so Lenhard. Mittelfristig werde<br />

die Weiterentwicklung pränataler Untersuchungen,<br />

deren steigende Akzeptanz<br />

und die hohe Abortrate die Zusammensetzung<br />

der Schülerschaft an Förderschulen<br />

deutlich verändern. Im Vergleich zum<br />

Beginn der 70er Jahre habe sich der Anteil<br />

von Kindern mit Down-Syndrom bereits<br />

etwa halbiert, so der Psychologe weiter.<br />

In einem Beitrag für das Themenheft<br />

der »Woche für das Leben« kommt die<br />

Wissenschaftsjournalistin Hildegard Kaulen<br />

zu ähnlichen Ergebnissen und beruft<br />

sich dabei auf eine Studie der Berlin Brandenburgischen<br />

Akademie der Wissenschaften.<br />

Demnach würde jede zwanzigste<br />

Frau und jede fünfzehnte Humangenetikerin<br />

auch ein Kind mit Lippen-Kiefer-<br />

Gaumen-Spalte abtreiben, obwohl diese<br />

Fehlbildung heute gut zu korrigieren sei.<br />

Ähnlich sei die Situation bei Anomalien<br />

der Geschlechtschromosomen, die ihre<br />

Träger zwar unfruchtbar machten, aber<br />

ansonsten kaum belasteten. Obwohl sie<br />

medizinisch nicht als schwerwiegend eingestuft<br />

würden, würden sie relativ häufig<br />

als Grund für eine Abtreibung genannt.<br />

»Diese Daten zeigen, dass bei vielen<br />

Frauen eine selektive Einstellung vorhanden<br />

ist,« so Kaulen. »Was vor sechzig<br />

Jahren als Initiative zur Senkung der<br />

Mütter- und Säuglingssterblichkeit begonnen<br />

hat, scheint zum Baby-TÜV geworden<br />

zu sein.« Die im Paragraphen<br />

218 festgeschriebene medizinische Indikation<br />

lasse es zu, dass die festgestellte<br />

Missbildung des Ungeborenen als so belastend<br />

für die Mutter interpretiert wird,<br />

dass sie mit schweren gesundheitlichen<br />

Schäden rechnen könne, wenn sie das<br />

Kind zur Welt bringt. »Die Ängste und<br />

Sorgen einer Mutter, die sich beim Leben<br />

mit einem behinderten Kind ergeben<br />

werden, werden zu Krankheiten stilisiert<br />

und als Legitimation für den Schwangerschaftsabbruch<br />

benutzt«, beschreibt die<br />

Journalistin die Situation. Den Frauen<br />

gehe es aber weniger um ihre Gesundheit,<br />

als vielmehr um ihr Selbstbestimmungsrecht:<br />

»Bei einer Befragung sahen es 95<br />

Prozent der Frauen als Vorteil an, durch<br />

die Diagnostik selbst darüber zu verfügen,<br />

ob sie ein behindertes Kind zur Welt<br />

bringen wollen oder nicht,« so Kaulen.<br />

24<br />

DPA<br />

INFO<br />

Pränatale Diagnostik<br />

In der Pränataldiagnostik wird zwischen<br />

außerhalb (nicht-invasiv) und innerhalb<br />

(invasiv) dem Körper der Schwangeren<br />

vorgenommenen Untersuchungen unterschieden.<br />

Zu den nicht-invasiven Methoden<br />

gehören jegliche Ultraschalluntersuchungen<br />

und der so genannte Triple-<br />

Test (Untersuchung des mütterlichen<br />

Bluts). Die Chorionzottenbiopsie (Entnahme<br />

von kindlichem Plazentagewebe),<br />

die Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung)<br />

und die Nabelschnurpunktion<br />

sind hingegen invasive Untersuchungen.<br />

Nach heutigem Wissensstand bestehen<br />

bei den nicht-invasiven Untersuchungen<br />

keinerlei Risiken für die Gesundheit der<br />

Mutter und des ungeborenen Kindes.<br />

Invasive Untersuchungen dagegen erhöhen<br />

Studien zufolge das Risiko einer<br />

Fehlgeburt um bis zu 8 Prozent.<br />

Durch Pränataldiagnostik können zwar<br />

zahlreiche Erkrankungen diagnostiziert<br />

werden, aber nur wenige von diesen<br />

auch pränatal therapiert werden, z.B.<br />

die Rhesusfaktor-Inkompatibilität oder<br />

das Adrenogenitale Syndrom<br />

(Zwitterbildung).<br />

»Vorgeburtliche Selektion ist demnach<br />

eine Realität in der Bundesrepublik, auch<br />

wenn es nicht immer so deutlich gesagt<br />

wird.«<br />

Diese Feststellung ist jedoch nicht neu.<br />

Bereits 1995 schlossen sich Einrichtungen<br />

und Einzelpersonen aus Schwangerenund<br />

Schwangerenkonfliktberatung, aus<br />

Hebammenarbeit und Geburtsvorbereitung,<br />

aus der Behinderten- und der Frauenbewegung<br />

zusammen, um die Entwicklung<br />

der vorgeburtlichen Diagnostik<br />

kritisch zu hinterfragen und gaben sich<br />

zwei Jahre später den Namen »Netzwerk<br />

Längst Routine: Der Ultraschall.<br />

gegen Selektion durch Pränataldiagnostik«.<br />

Der Name war heftig umstritten<br />

und stieß auf viel Widerstand, muss heute<br />

jedoch als prophetisch angesehen werden.<br />

Im Grundsatzprogramm mit dem Titel<br />

»Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik<br />

<strong>–</strong> Unser Name ist Programm«<br />

heißt es beispielsweise: »Die im<br />

System der Schwangerenvorsorge routinemäßig<br />

durchgeführte Pränataldiagnostik<br />

dient in den wenigsten Fällen dazu,<br />

bestimmte Therapiemaßnahmen einzuleiten.<br />

Vielmehr geht es in der Regel<br />

darum, fetale Fehlbildungen oder genetische<br />

Dispositionen zu entdecken. Der<br />

Frau bzw. dem Paar werden diese Informationen<br />

über das Ungeborene mitgeteilt.<br />

Ihnen wird die Entscheidung überlassen,<br />

wie sie mit dem Befund umgehen.«<br />

So fordert der Verein denn auch, die<br />

auf Selektion zielende Pränataldiagnostik<br />

aus der regulären Schwangerenvorsorge<br />

herauszunehmen, die Schwangerenvorsorge<br />

so zu organisieren, dass nicht eine<br />

»Eugenik von unten« durchgesetzt wird,<br />

und dass alle Beteiligten des Systems sich<br />

ihrer Verantwortung bewusst werden und<br />

dazu beitragen, dass der Pränataldiagnostik<br />

Grenzen gesetzt werden.<br />

Das Grundsatzprogramm betont, dass<br />

es nicht darum gehe die Mediziner oder<br />

die Mütter »als schuldig und als Täter<br />

und Täterinnen« zu brandmarken, sondern<br />

vielmehr um die Frage, »ob das<br />

System der Pränataldiagnostik unseren<br />

ethischen Wertvorstellungen entspricht<br />

und ob Frauen ein Recht darauf haben,<br />

eine eigentlich erwünschte Schwangerschaft<br />

abzubrechen, weil das Ungeborene<br />

bestimmte Bedingungen nicht erfüllt.«<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


Auch der »Bund deutscher Hebammen«<br />

(BDH) sieht die vorgeburtliche<br />

Diagnostik kritisch: »Schwangerschaft<br />

ist ein besonderer Abschnitt im Leben<br />

einer Frau, der mit körperlichen, psychischen<br />

und sozialen Veränderungen einhergeht.<br />

In dieser sensiblen Phase brauchen<br />

Frauen, Paare und Familien einfühlsame<br />

und professionelle Begleitung.«<br />

Und weiter: »Die Pränataldiagnostik gehört<br />

aus Hebammensicht nicht zur normalen<br />

Schwangerenvorsorge, die Frau<br />

wird jedoch über die Möglichkeiten und<br />

Folgen der vorgeburtlichen Untersuchungsmethoden<br />

informiert.«<br />

In einer Anhörung der »Kassenärztlichen<br />

Bundesvereinigung« (KBV) lehnte<br />

der »Arbeitskreis Frau und Gesundheit«<br />

(AKF) die ausufernde Praxis der PND,<br />

vor allem das Erst-Trimester-Secreening<br />

ebenfalls ab: »Die meisten Behinderungen,<br />

die im Leben sichtbar werden, sind weder<br />

durch PND erkennbar noch angeboren,<br />

sondern in der Schwangerschaft oder unter<br />

der Geburt oder im späteren Leben durch<br />

Krankheiten oder Unfälle entstanden.<br />

Nach wie vor haben 98 Prozent aller Neugeborenen<br />

ohnehin keine Probleme.« Das<br />

»Risiko«, ein Kind mit Down-Syndrom<br />

zu bekommen, werde, so der Arbeitskreis,<br />

in der öffentlichen Diskussion viel zu hoch<br />

bewertet und die allgemeine Verängstigung<br />

der Schwangeren sei nicht sachlich begründet.<br />

»Frauen werden unnötig in Angst und<br />

Schrecken versetzt, unter Entscheidungsdruck<br />

gebracht und unterziehen sich zum<br />

größten Teil überflüssigen invasiven Maßnahmen<br />

mit den damit verbundenen Risiken<br />

für ihre Schwangerschaft.« Durch das<br />

Angebot des Erst-Trimesters-Screenings<br />

werde mehr und mehr die Geburt von<br />

Kindern mit Down-Syndrom und anderen<br />

Behinderungen einerseits als große Gefahr,<br />

andererseits als durch einfache Maßnahmen<br />

vermeidbar dargestellt, mahnt der<br />

AKF. »Der Test schürt die Angst erst, die<br />

»Der Test schürt die Angst,<br />

die er auszuräumen verspricht.«<br />

er dann auszuräumen verspricht. Wir sehen<br />

es als unsere Aufgabe als Frauenärztinnen<br />

an, Ängste zu bearbeiten, die Schwangeren<br />

zu begleiten und zu stärken. Wir sehen es<br />

nicht als unsere Aufgabe an, uns an diesem<br />

Selektionsverfahren zu beteiligen.«<br />

Auf die Zunahme des Erst-Trimester-<br />

Screenings reagierte auch die »Turner-<br />

Syndrom Vereinigung Deutschland« mit<br />

Unverständnis: »Wir sind uns bewusst,<br />

dass wir pränatal auf dem Prüfstand stehen.<br />

Wir kritisieren, dass die Tests im<br />

»Tests im ersten Trimester<br />

haben selektive Funktion.«<br />

DANIEL RENNEN<br />

ersten Trimester eine selektive Funktion<br />

haben. Sie sollen in erster Linie dazu<br />

dienen, Schwangerschaftsabbrüche bei<br />

zu erwartender Behinderung früh vornehmen<br />

zu können«, so die Vereinigung. Es<br />

gebe zwar keine eugenische Indikation<br />

für einen Schwangerschaftsabbruch,<br />

die Fakten, die mit<br />

einem Schwangerschaftsabbruch<br />

wegen einer Behinderung<br />

des Kindes geschaffen<br />

würden, ähnelten jedoch einer<br />

Eugenik. »Wir können deswegen<br />

ein Screening auf<br />

Krankheiten, wie z.B. das<br />

Ullrich-Turner-Syndrom, deren<br />

Diagnose und wirksame<br />

Behandlung nach Auftreten<br />

der ersten Symptome möglich<br />

ist, nicht befürworten.«<br />

Aller Kritik zum Trotz betonen<br />

die Bundesärztekammer<br />

(BÄK) und die »Deutsche<br />

Gesellschaft für Geburtshilfe<br />

und Gynäkologie« (DGGG)<br />

weiterhin ihre positive Haltung<br />

gegenüber der Pränataldiagnostik.<br />

Sicherlich sind hier auch die wirtschaftlichen<br />

Interessen von Belang, schließlich<br />

verdient die Gynäkologie mit der vorgeburtlichen<br />

Diagnostik gutes Geld.<br />

Der BÄK zufolge sind die Ziele von<br />

PND die Früherkennung von Krankheit<br />

und Behinderung zur optimalen Betreuung<br />

von Frau und Kind, der Angstabbau<br />

bei den schwangeren Frauen und die<br />

Hilfestellung in der Abwägung für einen<br />

Schwangerschaftsabbruch. Aber: Ein Fetozid<br />

kann aus Sicht der BÄK nötig sein.<br />

Um »späte Abbrüche« zu vermeiden,<br />

favorisiert die DGGG ein möglichst frühes<br />

Screening. Zu Ultraschalluntersuchungen<br />

heißt es: »Mit Hilfe der Ultraschalldiagnostik<br />

kann eine Vielzahl von<br />

Fehlbildungen oder Erkrankungen des<br />

Kindes erkannt und vor allem ausgeschlossen<br />

werden. Andererseits muss jedoch<br />

ausdrücklich darauf hingewiesen<br />

werden, dass auch bei moderner apparativer<br />

Ausstattung, größter Sorgfalt und<br />

umfassender Erfahrung des Untersuchers<br />

nicht alle Fehlbildungen und Erkrankungen<br />

erkannt werden können.«<br />

Weder BÄK noch DGGG lehnen<br />

Schwangerschaftsabbrüche nach Pränataldiagnostik<br />

entschieden genug ab.<br />

Vielmehr scheint es <strong>–</strong> nach dem Motto<br />

»Je früher, desto besser« <strong>–</strong>, darum zu<br />

gehen, Beeinträchtigungen möglichst<br />

früh zu erkennen, um dann eine Abtreibung<br />

vornehmen zu können. Die<br />

Stellungnahmen zeugen von wenig<br />

Verständnis für die betroffenen Frauen<br />

sowie die Gynäkologen und Hebammen,<br />

die die ausufernde PND nicht mittragen<br />

wollen. Sie verkennen, dass die Pränataldiagnostik<br />

zur neuen Eugenik unserer<br />

Zeit geworden ist. Es ist Aufgabe des<br />

Gesetzgebers dieser katastrophalen Entwicklung<br />

entgegenzuwirken. Dass bereits<br />

Einfach nur froher Hoffnung zu sein, fällt zunehmend schwer.<br />

vielfach angewendete Methoden der Pränataldiagnostik<br />

zurückgenommen werden,<br />

scheint kaum möglich. Denkbar wäre<br />

jedoch, die Diagnose auf die Krankheiten<br />

zu reduzieren, die auch pränatal therapiert<br />

werden können, bzw. dass die gesetzlichen<br />

Krankenkassen die Kosten nur für diese<br />

Behandlungen übernehmen.<br />

IM PORTRAIT<br />

Matthias Lochner<br />

Der Autor, Jahrgang 1984, studiert<br />

Deutsch, Geschichte und Katholische<br />

Theologie für das<br />

Lehramt an Gymnasien<br />

und Gesamtschulen<br />

an der<br />

Universität zu Köln.<br />

Er ist seit 2001<br />

Mitglied der <strong>ALfA</strong>.<br />

Als freier Journalist publiziert er regelmäßig<br />

auch im <strong>LebensForum</strong>.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 25


GESELLSCHAFT<br />

Familien sind<br />

kein Sozialfall<br />

»Sag’ mir, wo die Kinder sind! <strong>–</strong> 10 Jahre § 218«, so lautete das Motto<br />

des 2. Fuldaer Lebensrechtskongresses der Aktion Lebensrecht für<br />

Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>), der Mitte Mai in Fulda stattfand<br />

und unter der Schirmherrschaft des Bischofs von Fulda Heinz Josef<br />

Algermissen stand.<br />

Der Staat kann und darf die Erziehungsarbeit<br />

der Eltern nicht<br />

übernehmen wollen. Er muss<br />

sie vielmehr stärken und unterstützen,<br />

damit sie ihrer Verantwortung gerecht<br />

werden können.« Dies forderte der thüringische<br />

Minister für Familie, Soziales<br />

und Gesundheit Klaus Zeh beim 2. Fuldaer<br />

Lebensrechtskongress, der vom 19.-<br />

21. Mai im Bonifatiushaus stattfand.<br />

Am Abend zuvor hatten im Rahmen<br />

einer engagierten Podiumsdiskussion, die<br />

von Kai Witzel, Chefarzt der Helios Klinik<br />

Hünfeld moderiert wurde, bereits<br />

Christa Meves, der Berliner Landesschulrat<br />

Hans Jürgen Pokall, die hessische<br />

Landtagsabgeordnete Margarethe Ziegler-Raschdorf<br />

und der Betriebswirt und<br />

Ethiker Michael Kornau aus Münster die<br />

Frage diskutiert, ob der Staat mit der<br />

Neuregelung des § 218 die Grundlage<br />

für die Kinder- und damit Familienfeindlichkeit<br />

unserer Gesellschaft gelegt habe.<br />

»Politik betreiben, heißt Kompromisse<br />

Von Cornelia Kaminski<br />

Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Christa Meves.<br />

26<br />

eingehen«, stellte Margarethe Ziegler-<br />

Raschdorf fest, die sich im Rahmen ihrer<br />

politischen Arbeit insbesondere mit der<br />

Adoptionsproblematik auseinander setzt.<br />

»Es kann doch nicht sein, dass wir einerseits<br />

dreizehn adoptionswillige<br />

Paare für ein zur<br />

Adoption stehendes Kind<br />

haben, und andererseits jedes<br />

Jahr 134.000 Kinder das<br />

Recht auf Leben abgesprochen<br />

bekommen!« Hans<br />

Jürgen Pokall betonte zwar<br />

die Bedeutung, die den<br />

Schulen bei der Vermittlung<br />

von Werten <strong>–</strong> wozu auch die<br />

Achtung vor dem ungeborenen<br />

Leben zählt <strong>–</strong> zukomme,<br />

wies jedoch gleichzeitig<br />

darauf hin, dass Eltern<br />

ihren Aufgaben gerecht<br />

werden müssten, damit<br />

Schule überhaupt ansetzen<br />

könne. Dinge, die selbstverständlich<br />

sein müssten <strong>–</strong> wie z.B. das<br />

morgendliche Frühstück oder Schulbrot<br />

<strong>–</strong> funktionierten nicht mehr, den Kindern<br />

HANNES ORTMANN<br />

»Familien sind die Basis<br />

unserer Gesellschaft.«<br />

fehle Geborgenheit und Fürsorge: »Sie<br />

glauben nicht, wie viele Berliner Kinder<br />

froh sind, wenn sie nach der Schule nicht<br />

nach Hause gehen müssen.«<br />

Kinderfeindlichkeit zeige sich aber<br />

auch an anderer Stelle, betonte Michael<br />

Kornau: »Da kommt das Bauamt und<br />

nimmt die korrekte bauliche Ausführung<br />

des vorgeschriebenen Kindergartens ab,<br />

und sobald die Herren weg sind, wird<br />

dieser in Stellplätze für PKW umgewandelt.«<br />

Jeder habe die Möglichkeit, in<br />

seinem eigenen Wirkungskreis verbesserte<br />

Bedingungen für Kinder zu schaffen,<br />

sagte der Betriebswirt, der in seinem Büro<br />

eine Legokiste für die Kinder der Kunden<br />

bereithält. Wie katastrophal sich der<br />

Rückzug der Eltern aus der Erziehungsarbeit<br />

auswirkt, betonte die Kinder- und<br />

Jugendpsychotherapeutin Christa Meves,<br />

die jedoch in der gegenwärtigen Debatte<br />

auch viele positive Anzeichen sah. Zwar<br />

hält sie auch den von der CDU eingeschlagenen<br />

Weg, die Betreuung von Kindern<br />

durch Fremdinstitutionen statt durch<br />

die eigene Mutter zu fördern, für falsch.<br />

Aber sie betonte auch: »Familien schließen<br />

sich mittlerweile zusammen, sie lassen<br />

sich nicht mehr alles gefallen.« In Internetforen<br />

wie z.B. www.familie-sind-wir.de<br />

forderten Familien die Rechte ein, die<br />

»Durch Spätabtreibungen werden<br />

Menschen gezielt selektiert.«<br />

sich aus der Leistung ergäben, die sie für<br />

die Gesellschaft erbrächten. »Familien<br />

sind kein Sozialfall, der Almosen vom<br />

Staat bekommt, sondern die Basis unserer<br />

Gesellschaft. Sie haben daher Anspruch<br />

auf eine angemessene Förderung«, betonte<br />

Staatsminister Klaus Zeh in seinem<br />

Vortrag am Samstagmorgen. Dabei stellte<br />

er heraus, dass den Familien Wahlfreiheit<br />

bei der Gestaltung der Kindererziehung<br />

zugestanden werden müsse. Genau in<br />

diese Richtung ziele die Thüringer Familienoffensive,<br />

mit der das Land Thüringen<br />

junge Familien unterstützen wolle. Der<br />

Maßnahmenkatalog sehe eine Zahlung<br />

des Erziehungsgeldes vor, die sechs Monate<br />

über den vom Bund gesetzten Rahmen<br />

hinausreiche, sowie ein Rechtsanspruch<br />

auf einen Kindergartenplatz ab<br />

einem Alter von zwei Jahren. Zudem habe<br />

das Land Thüringen darauf verzichtet,<br />

das Erziehungsgeld einkommens- und<br />

arbeitszeitabhängig zu zahlen, da diese<br />

Form der Auszahlung dazu geführt hätte,<br />

dass nur noch etwa die Hälfte aller Eltern<br />

überhaupt Anspruch auf Erziehungsgeld<br />

hätten geltend machen können. Um zu<br />

verhindern, dass Subventionen für Kindergärten<br />

von den Kommunen zur Querfinanzierung<br />

anderer Projekte genutzt<br />

werden, hat das Land darüber hinaus von<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand.<br />

der stellenbezogenen Subventionierung<br />

auf eine kindbezogene Subventionierung<br />

umgestellt und den Eltern gleichzeitig<br />

ein Recht auf Einsicht in die Kostenstruktur<br />

der Träger zugestanden.<br />

Zuspruch für ihre Arbeit erhielt die<br />

<strong>ALfA</strong> vom Präsidenten des Malteser Hilfsdienstes,<br />

Constantin von Brandenstein-<br />

Zeppelin, der am Nachmittag zum Thema<br />

»Motivation und Ehrenamt« sprach. »Reden<br />

reicht nicht, man muss etwas tun!«<br />

forderte von Brandenstein-Zeppelin, und<br />

bedankte sich bei der <strong>ALfA</strong> für ihren<br />

Einsatz: »Sie helfen Frauen, die aus Not<br />

abtreiben wollen, und sie helfen denen,<br />

die in Not sind, weil sie abgetrieben haben.<br />

Dieser Einsatz ist in unserer Gesellschaft<br />

unverzichtbar!« Der Malteser<br />

Hilfsdienst selbst engagiere sich in der<br />

Migrantenmedizin <strong>–</strong> der kostenlosen medizinischen<br />

Versorgung von Menschen,<br />

»Der Versuch, eine leidfreie Welt<br />

zu schaffen, muss scheitern.«<br />

die nicht krankenversichert sind <strong>–</strong> und in<br />

der Hospizarbeit, die von Brandenstein-<br />

Zeppelin als Gegenmodell zur Euthanasie<br />

betrachtet. Durch den Zerfall althergebrachter<br />

Familienstrukturen werde die<br />

Bedeutung der Hospizarbeit künftig weiter<br />

wachsen, prognostizierte der Präsident<br />

des Malteser Hilfsdienstes. Auch der<br />

Fuldaer Bundestagsabgeordnete Michael<br />

Brand (CDU), der am Sonntag zu den<br />

Gästen und Delegierten der Aktion Lebensrecht<br />

für Alle sprach, betonte die<br />

Notwendigkeit einer intensiven Familienförderung<br />

und begrüßte in dieser Hinsicht<br />

die Initiativen von Bundesfamilienministerin<br />

Ursula von der Leyen (CDU).<br />

Frau von der Leyen habe Familien damit<br />

wieder zu einem gesellschaftlichen Thema<br />

gemacht. Finanzielle Unterstützung allein<br />

reiche allerdings nicht immer aus, um<br />

Eltern eine Perspektive für das Leben<br />

mit einem ungewollten Kind zu bieten,<br />

sagte Brand. Hier sei ein Wandel der<br />

Mentalität der Menschen erforderlich,<br />

um die vom Bundesverfassungsgericht<br />

festgeschriebene<br />

Schutzwürdigkeit<br />

ungeborenen<br />

menschlichen Lebens<br />

auch wieder im<br />

öffentlichen Bewusstsein<br />

zu verankern. Tief<br />

beeindruckt zeigte sich<br />

Brand von der Arbeit<br />

der Hebamme Maria<br />

Grundberger, die oft<br />

ganze Tage vor Abtreibungskliniken<br />

verbringt,<br />

um dort das Gespräch<br />

mit schwangeren<br />

Frauen zu suchen, welche<br />

eine Abtreibung vornehmen lassen<br />

wollen. Oft handelt es sich um Studentinnen,<br />

deren BAfög für sie selbst und ihr<br />

Kind nicht ausreicht, und die sich exmatrikulieren<br />

müssten, um Sozialhilfe empfangen<br />

zu können. Stets freundlich begegnet<br />

Maria Grundberger den nicht<br />

selten aggressiv auftretenden Frauen und<br />

ihren Begleitern und schafft es vor allem<br />

mit Hilfe der schnellen und unkomplizierten<br />

Geldzusagen der <strong>ALfA</strong>, werdende<br />

Mütter zur Austragung ihres Kindes zu<br />

überreden. Auf diese Weise konnten in<br />

diesem Jahr bereits 85 Kinder gerettet<br />

werden.<br />

Im Deutschen Bundestag setzt sich<br />

Michael Brand insbesondere für eine<br />

Änderung der bestehenden Rechtslage<br />

bei Spätabtreibungen ein: »Durch Spätabtreibungen<br />

werden gezielt behinderte<br />

Menschen selektiert. Aber der Versuch,<br />

auf diese Weise eine leidfreie Welt zu<br />

schaffen, muss scheitern«, zeigte sich der<br />

Abgeordnete überzeugt.<br />

ARCHIV<br />

HANNES ORTMANN<br />

IM PORTRAIT<br />

Cornelia Kaminski<br />

ist Mitglied im Bundesvorstand der Aktion<br />

Lebensrecht für<br />

Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>) und<br />

hat gemeinsam mit<br />

anderen den 1. Lebenrechtskongress<br />

der <strong>ALfA</strong> in Fulda<br />

organisiert.<br />

Die Studienrätin ist verheiratet und<br />

Mutter von zwei Kindern.<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

SPD wollte bei Spätabtreibung handeln<br />

Die mangelnde Bereitschaft der SPD-Bundestagsfraktion,<br />

gegen Spätabtreibungen vorzugehen,<br />

hat die hessische Landtagsabgeordnete<br />

Margarete Ziegler-Raschdorf (CDU) kritisiert.<br />

Bei einem Vorstoß der Union innerhalb der Großen<br />

Koalition hätten die Sozialdemokraten einen<br />

»Handel« versucht: Der Unionsfraktion komme<br />

man in Sachen Spätabtreibung nur dann entgegen,<br />

wenn die Union im Gegenzug einen grundgesetzlichen<br />

Schutz für eingetragene Lebenspartnerschaften<br />

unterstütze. Daraufhin habe<br />

Fraktionschef Volker Kauder (CDU) die Verhandlungen<br />

abgebrochen, sagte Frau Ziegler-Raschdorf<br />

beim 2. Fuldaer Lebensrechtskongress der<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>). Ein besserer<br />

Lebensschutz sei unter den derzeitigen politischen<br />

Mehrheitsverhältnissen nicht zu erreichen,<br />

bedauerte die Abgeordnete, die auch dem<br />

Rechtsausschuss des Hessischen Landtags vorsitzt.<br />

Die Politikerin warb dafür, Mütter nicht zu<br />

stigmatisieren, die ihr Kind nach der Geburt zur<br />

Adoption freigeben. Dies könne eine Alternative<br />

zur Abtreibung sein. Der gesellschaftliche Trend<br />

gehe dahin, dass immer mehr adoptionswilligen<br />

Paaren immer weniger zur Adoption freigegebene<br />

Kinder gegenüber stünden. idea<br />

<strong>ALfA</strong>: SPD muss Blockade beenden<br />

Die Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>) hat<br />

die SPD-Fraktion aufgefordert, den »Tag des<br />

Lebens« (1. Juni) zum Anlass zu nehmen, mögliche<br />

Verbesserungen zur Begrenzung von Spätabtreibungen<br />

nicht länger zu blockieren. »Es ist<br />

unverantwortlich, den Schutz des Lebens ungeborener<br />

Kindern als Faustpfand einzusetzen,<br />

um etwa einen grundgesetzlichen Schutz von<br />

homosexuellen Lebensgemeinschaften durchzusetzen.<br />

Auch wenn der ›politische Kuhhandel‹<br />

zum Alltag gehören mag, so gibt es doch Themen,<br />

die für politische Tauschgeschäfte ungeeignet<br />

sind«, erklärte die <strong>ALfA</strong>-Bundesvorsitzende<br />

Claudia Kaminski. »Wer Spätabtreibungen<br />

wirksam begrenzen will, muss zunächst die<br />

medizinisch-soziale Indikation auf eine enge<br />

medizinische Indikation zurückführen. Erforderlich<br />

ist weiter eine Begrenzung der Diagnostik.<br />

Wer zulässt, dass ohne Einschränkung auch<br />

nach Beeinträchtigungen gefahndet wird, für<br />

die es überhaupt keine Therapien gibt, darf sich<br />

nicht wundern, dass Gynäkologen und Hebammen<br />

seit Jahren die selektiven Folgen beklagen,<br />

zu denen der schrankenlose Gebrauch der pränatalen<br />

Diagnostik geführt hat. Schließlich<br />

müssen gesetzliche Klarstellungen dafür sorgen,<br />

dass der so genannten Kind-als-Schaden-<br />

Rechtsprechung der Boden entzogen wird. Nur<br />

wenn sich die Politik bereit findet, diese Felder<br />

anzugehen, kann von einem ernsthaften Bemühen<br />

um die Begrenzung von Spätabtreibungen<br />

gesprochen werden«, so Kaminski weiter. reh<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 27


GESELLSCHAFT<br />

Ist das die Freiheit,<br />

die wir meinen?<br />

Unter dem Titel »Forschungsklonen mit dem Ziel therapeutischer<br />

Anwendungen« veröffentlichte im März die Zentrale Kommission<br />

zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Medizin und ihren Grenzgebieten<br />

(ZEKO) bei der Bundesärztekammer eine Stellungnahme,<br />

die zeigt, mit welchen gedanklichen Taschenspielertricks dem<br />

Verbrauch von Embryonen der Weg bereitet werden soll.<br />

Von Dr. med. Dr. theol. h.c. Maria Overdick-Gulden<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

28<br />

D<br />

as Fiasko um das südkoreanische<br />

Klonwunder ist eine Sache <strong>–</strong><br />

Deutschlands Forschungsbereitschaft<br />

eine andere. Zwar haben sich<br />

die Vereinten Nationen am 8. März 2005<br />

mehrheitlich für ein weltweites Verbot<br />

jeglichen Klonens ausgesprochen. Doch<br />

ist das Forschungsklonen in Großbritannien<br />

und Schweden rechtlich zugelassen,<br />

und weitere europäische Staaten werden<br />

folgen.<br />

Sollte man da nicht doch mitziehen!?<br />

Ja, ist das noch hinderliche deutsche Embryonenschutzgesetz<br />

von 1991 nicht geradezu<br />

unsittlich, weil es <strong>–</strong> angeblich <strong>–</strong><br />

Therapiechancen bei seltenen Krankheiten<br />

ausschlägt, fragt der Philosoph Reinhard<br />

Merkel provokant und aufgebracht.<br />

In den gesellschaftlichen Debatten wird<br />

die therapeutische Notwendigkeit des<br />

Menschenklonens hervorgehoben, während<br />

Forscherkreise argumentativ eine<br />

solide Grundlagenforschung bemühen.<br />

Allerdings ist die Ausdrucksweise deutscher<br />

Forscher und Bioethiker, so auch<br />

das Papier der bei der Bundesärztekammer<br />

eingerichteten unabhängigen Zentralen<br />

Kommission zur Wahrung ethischer<br />

Grundsätze in der Medizin (ZEKO)<br />

zu dieser Thematik inzwischen zurückhaltender<br />

geworden; man gibt sich nicht<br />

mehr so buchstäblich viel-versprechend.<br />

»Muss die Menschenwürde<br />

erst verliehen werden?«<br />

Auch die ZEKO formuliert jetzt um und<br />

spricht vom »Forschungsklonen mit dem<br />

Ziel therapeutischer Anwendungen«<br />

(Deutsches Ärzteblatt Heft 10 vom 10.<br />

März <strong>2006</strong>). Durch das bisher gültige<br />

totale Klonverbot sieht die Kommission<br />

die Rechte von Kranken und nicht zuletzt<br />

die Forschungsfreiheit berührt <strong>–</strong> auch<br />

wenn die adulte Stammzelltherapie bereits<br />

auf vielen medizinischen Fachgebieten<br />

überzeugende Erfolge in der Praxis aufzuweisen<br />

hat und sich daraus weite Forschungsfelder<br />

ergeben. Muss man aber<br />

nicht grundsätzlich erforschen, was an<br />

der menschlichen embryonalen Stammzelle<br />

passiert, fragt ganz akzentuiert der<br />

Vorstandsvorsitzende des Kompetenznetzwerks<br />

Stammzellforschung Nordrhein-Westfalens<br />

Hans Schöler. Für ihn<br />

sei der fernöstliche Fälschungsskandal<br />

»auch befreiend« gewesen. Vielleicht<br />

nach dem Motto: wir werden es schaffen!?<br />

Die embryonale Stammzelle ist »ultima<br />

ratio«?<br />

Der Entwurf der ZEKO will diesen<br />

Vorstellungen entgegenkommen. Man<br />

sucht angeblich <strong>–</strong> abseits des ethisch pluralistischen<br />

Chors um den ontologischen,<br />

moralischen und rechtlichen Status des<br />

Frühembryos <strong>–</strong> nicht die Lösung ethischer<br />

Probleme, sondern nach »Konvergenzen<br />

im Umgang« mit dem Menschenkeim.<br />

Man geht »pragmatistisch« vor. Doch da<br />

ist zuerst das Problem der Eizellspende,<br />

ist diese doch eine unwägbare Gesundheitsbelastung<br />

der Spenderin durch die<br />

unnatürlich hohe Hormonstimulation.<br />

Bei der Eizellgewinnung sei nach der<br />

koreanischen Missbrauchserfahrung hierzulande<br />

allein auf das »Selbstbestimmungsrecht«<br />

der Spenderin zu setzen.<br />

»Konvergenz« könne bedeuten: die Zustimmung<br />

ohne Abhängigkeit, <strong>–</strong> eine<br />

gewisse »materielle Kompensation« <strong>–</strong> die<br />

Spende der bei der IvF überzählig gewonnenen<br />

Eizellen - oder wie jüngste Forschung<br />

ahnen lässt: Eizellen aus embryonalen<br />

Stammzellen (»Kulturschalen-Eizellen«).<br />

Nun aber weiter! Um den begründeten<br />

ethischen und juristischen Bedenken beim<br />

Embryonenverbrauch auszuweichen, will<br />

man ein »gradualistisches« Denken in<br />

die Praxis einführen. Das jeweilige Verfahren<br />

soll allein von den faktischen Mög-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


»Text befürwortet Idee einer<br />

abgestuften Menschenwürde.«<br />

lichkeiten her beurteilt werden <strong>–</strong> also abseits<br />

von Moral und Ethik. Hier begegnet<br />

das Paradigma vom »gestuften Modell«.<br />

Ein solches hatte der Münchener Philosoph<br />

Nida-Rümelin bereits 2004 in Wittenberg<br />

in die bioethische Debatte eingebracht.<br />

In »bewusster Opposition zu<br />

den meisten Ethikern des 20. Jahrhunderts«<br />

wolle er keinen archimedischen<br />

Punkt bestimmen, aus dem abzuleiten<br />

wäre, was richtig oder falsch ist. Deswegen<br />

rekurriere er bei der heutigen Vielfalt der<br />

Weltanschauungen und Menschenbilder<br />

auf den Weg des »overlapping consensus«<br />

(Rawls). Geradezu leichtsinnig utilitaristisch<br />

hatte er sich zuvor schon im betreffenden<br />

Diskurs geäußert: »Die Achtung<br />

der Menschenwürde ist dort angebracht,<br />

Reinhard Merkel<br />

wo die Voraussetzungen erfüllt sind, dass<br />

ein menschliches Wesen entwürdigt werde,<br />

ihm seine Selbstachtung genommen<br />

werden kann. Daher lässt sich das Kriterium<br />

Menschenwürde nicht auf Embryonen<br />

ausweiten. Die Selbstachtung eines<br />

Embryonen lässt sich nicht beschädigen.«<br />

Muss die Menschenwürde also erst verliehen<br />

werden? Ist unser Grundgesetz<br />

einem Irrtum erlegen?<br />

In dieser Gedankenfolge liest sich die<br />

Nummer 3 des ZEKO-Entwurfs. Man<br />

stehe »hinsichtlich Art und Umfang des<br />

Schutzes frühesten menschlichen Lebens<br />

(...) nicht vor einer Alles-oder-Nichts-<br />

Alternative. Statt eines strengen binären<br />

Denkens <strong>–</strong> zwischen Ja oder Nein <strong>–</strong> spricht<br />

viel für ein gradualistisches Denken, das<br />

DPA<br />

die moralische Akzeptabilität des Umgangs<br />

mit frühestem menschlichen Leben<br />

nach bestimmten Kriterien abstuft. Auch<br />

in anderen Bereichen kennen Moral und<br />

Recht nicht nur Ja-Nein-Urteile, sondern<br />

verfügen über ein vielfach abgestuftes<br />

Spektrum normativer Beurteilungen von<br />

Handlungen im Umgang mit menschlichem<br />

Leben. Dies zeigt sich etwa in der<br />

unterschiedlichen moralischen und rechtlichen<br />

Bewertung der Tötung eines Menschen<br />

(Mord, Totschlag, fahrlässige Tötung).<br />

Dabei geht es nicht um den ontologischen<br />

Status des Menschen, sondern<br />

um die Bewertung von Handlungen und<br />

Verfahrenweisen. In ähnlicher Weise<br />

schlägt die ZEKO vor, auch bezogen auf<br />

den Umgang mit Formen frühesten<br />

menschlichen Lebens, die möglichen<br />

unterschiedlichen Gesichtspunkte einer<br />

Bewertung von Handlungen in ihrem<br />

jeweiligen Kontext offen zu legen.«<br />

Über solchen »Kontext« will man also<br />

an dem Damm rütteln, den sich christlich<br />

geprägte westliche Kultur mühsam in<br />

Jahrhunderten zum Schutz von Selbstachtung<br />

und Respekt vor dem Nächsten,<br />

<strong>–</strong> dem Anderen und doch wesenhaft (ontologisch)<br />

Gleichen <strong>–</strong> , aufgebaut hat.<br />

Und was verschweigt der Text hier zudem:<br />

alle oben angeführten Formen der Tötung<br />

eines Mitmenschen sind prinzipiell als<br />

kriminelle Taten strafbar!<br />

Für den beabsichtigten Konsens bei<br />

der Tötungspraxis an frühen Menschenembryonen<br />

will die ZEKO die Unterscheidung<br />

zwischen menschlichem Leben<br />

und menschlichem Wesen einführen.<br />

Entgegen ihren Vorgaben will sie den<br />

Forschern zuliebe also doch ontologisch<br />

differenzieren <strong>–</strong> ähnlich den Kategorien<br />

einer vergangen geglaubten Historie, wo<br />

man wertes und unwertes Leben unterschied!<br />

Aus solch konstruierter Differenz<br />

angeblich qualitativ unterschiedlicher<br />

Phasen im Sein des Menschen will man<br />

Klon-Verfahren mit unterschiedlichen<br />

Stufen problematischer Einordnung<br />

wahrnehmen. Ein derartiges »sittliches<br />

Forschungsverhalten« unterscheidet: die<br />

Blastocystenproduktion eigens zum Verbrauch,<br />

<strong>–</strong> die Verwendung der zu Reproduktionszwecken<br />

erzeugten, aber nicht<br />

mehr genutzten Embryonen, <strong>–</strong> die Nutzung<br />

zur Gesamtentwicklung unfähiger<br />

Embryonen (entsprechend den derzeitigen<br />

Versuchen zum Klonen menschlicher<br />

Blastocysten).<br />

Noch unproblematischer seien manipulierte<br />

Blastocysten, deren Wachstum<br />

man vor dem Kerntransfer derart genetisch<br />

oder biochemisch hemmend beeinflusst,<br />

dass sie »mit Sicherheit unfähig<br />

sind, sich zu einem menschlichen Organismus<br />

zu entwickeln«. Denn damit verlöre<br />

sich bei diesen bewusst vorgeschädigten<br />

Menschenkeimen die Anwendbarkeit<br />

»zumindest drei der vier für die<br />

starke Lebensschutzposition herangezogenen<br />

Argumente (nämlich Kontinuitäts-<br />

Identitäts- und Potenzialitätsargument)«!<br />

Noch geringer sei die Problematik bei<br />

der Verwendung sog. überzähliger Blastocysten<br />

aus der IvF, die von sich aus<br />

unfähig zum Weiterwachsen sind.<br />

Das also versteht man als »differenzierte<br />

Diskussion um das Forschungsklonen«?<br />

Fazit: Der verdächtig umfängliche<br />

Entwurfstext befürwortet nichts<br />

anderes als die Abstufung der Menschenwürde<br />

in der vorgeburtlichen Phase und<br />

die Vernutzung der Frau zur Forschung.<br />

Gäben wir mit solch »differenzierender«<br />

Methode nicht das menschliche Selbstbewusstsein<br />

in Freiheit und Gleichheit<br />

auf? Wenn auch der einzelne Forscher<br />

»Freiheit für alle oder<br />

zu allem Möglichen?«<br />

sich hier nicht vor einer Ja-Nein-Alternative<br />

sehen sollte, so bedeutet das gestufte<br />

Modell der ZEKO für jeden verbrauchten<br />

Embryo immer ein unwiderrufliches<br />

Nein für sein Weiterleben. Unsere<br />

menschliche Gemeinschaft erklärte<br />

sich - völlig unzeitgemäß <strong>–</strong> zum exklusiven<br />

Verein. Will Forschungsfreiheit wirklich<br />

mehr Freiheit für alle <strong>–</strong> oder die Freiheit<br />

zu allem Möglichen?<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. med. Dr. theol. h.c.<br />

Maria Overdick-Gulden<br />

Jahrgang 1931, ist Ärztin. Sie war im<br />

Fach Innere Medizin als klinische Oberärztin<br />

und in freier Praxis tätig. Sie beschäftigt<br />

sich eingehend<br />

mit der<br />

wissenschaftlichen<br />

Thematik der Bioethik,<br />

hält Vorträge<br />

und publiziert, unter<br />

anderem im <strong>LebensForum</strong>,<br />

zu verschiedenen Lebensrechtsthemen.<br />

Für eines ihrer Bücher<br />

erhielt sie die Ehrendoktorwürde der<br />

Theologischen Fakultät der Universität<br />

Trier. Seit dem Jahr 2000 ist sie Mitglied<br />

des Bundesvorstands der Aktion Lebensrecht<br />

für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 29


BÜCHERFORUM<br />

Beim Überdenken des Jahrzehnts<br />

nach der Neuregelung des Paragraphen<br />

218 sollte man zwar<br />

die demografische Situation berücksichtigen,<br />

doch für<br />

Vernunft und Erkenntnis<br />

geht es um<br />

wesentlich mehr:<br />

die hohe Zahl straffrei<br />

getöteter Kinder<br />

in unserem<br />

Land! Das Langzeitergebnis des Gesetzes,<br />

einst höchstrichterlich als Lebensschutzkonzept<br />

konzipiert, von Befürwortern als<br />

»gesellschaftlicher Konsens« hochgelobt<br />

und von Politikern aller Parteien bis heute<br />

mit einem fast sakrosankten<br />

Tabu belegt, ist<br />

einer realistischen Beurteilung<br />

zu unterziehen.<br />

Die Zahl der beim Statistischen<br />

Bundesamt in<br />

Wiesbaden gemeldeten<br />

vorgeburtlichen Kindstötungen<br />

bleibt <strong>–</strong> ohne<br />

die Anrechnung der hohen<br />

Dunkelziffer <strong>–</strong> seit<br />

Jah-ren mit rund 130.000<br />

relativ konstant. Das sind<br />

»rund 4.333 Schulklassen<br />

im Jahr«, betonte Claudia<br />

Kaminski bei der<br />

Einführung in ein vom<br />

Bundesverband Lebensrecht<br />

(BVL) zum 10. Jahrestag des Inkrafttretens<br />

der Neuregelung des § 218<br />

in Berlin veranstalteten Symposium, das<br />

sich nun in einem Buch vorstellt.<br />

Der Bonner Lehrstuhlinhaber für Öffentliches<br />

Recht Christian Hillgruber<br />

zieht eine kritische Bilanz: bezogen auf<br />

die sinkende Zahl der Frauen im gebärfähigen<br />

Alter und die ebenfalls sinkende<br />

Zahl der Lebendgeburten steigt die Abtreibungshäufigkeit<br />

in unserm Land de<br />

facto stetig an. Auch fehlt eine gesetzliche<br />

Meldepflicht darüber, wie viele der beratenen<br />

Frauen sich letztlich für das Leben<br />

ihres Kindes entschieden haben. »Will<br />

man es vielleicht gar nicht so genau wissen?«<br />

Gesetzgeber und Länder vernachlässigen<br />

die Überprüfung eklatant: warum<br />

hat noch keine Beratungsstelle ihre Anerkennung<br />

verloren <strong>–</strong> selbst wenn sie wie<br />

»Pro familia« eine Beratung zum kindlichen<br />

Lebensschutz offen ablehnt?<br />

Dabei ist an der Entscheidung des<br />

BVerfGerichts nichts zu bemängeln:<br />

»Liegt die Würde des Menschseins auch<br />

für das ungeborene Leben im Dasein um<br />

seiner selbst willen, so verbieten sich<br />

jegliche Differenzierungen der Schutzverpflichtungen<br />

mit Blick auf Alter und<br />

30<br />

Lebensschutz<br />

gescheitert!<br />

Entwicklungszustand dieses Lebens oder<br />

die Bereitschaft der Frau, es weiter leben<br />

zu lassen«. Ist daraus aber das Konzept<br />

der »ergebnisoffen geführten Beratung«<br />

ableitbar? Liegt die<br />

Alleinverantwortung<br />

wirklich bei<br />

der Frau? Oder hat<br />

die Gesellschaft ihr<br />

diese nur auferlegt,<br />

um sich mit der<br />

Formel »Helfen statt Strafen« aus der<br />

Verantwortung zu ziehen?<br />

Vom Tabu belegt ist auch das Post-<br />

Abortion-Syndrom (PAS), über das die<br />

Psycho- und Traumatherapeutin Angelika<br />

Pokropp-Hippen berichtet.<br />

Sie ordnet seine<br />

oft erschütternde Symptomatik<br />

als »traumatische<br />

Neurose“ der sog.<br />

posttraumatischen Belastungsstörung<br />

zu. Der<br />

Journalist Martin Lohmann<br />

verweist auf die<br />

Tabuisierung des Abtreibungsverbrechens<br />

in<br />

der Medienwelt: vom<br />

Kind ist fast nirgendwo<br />

die Rede! Nach dem Sozialwissenschaftler<br />

Manfred<br />

Spieker verbreitet<br />

sich die tödliche Unkultur<br />

unter semantischen<br />

»Tarnkappen«: ein Beratungsschein<br />

lässt die Kindestötung straffrei; sie wird<br />

als »medizinisch-soziale Hilfsleistung«<br />

und als »staatliche Subvention« »flächendeckend«<br />

angeboten. Kein Wunder<br />

also, dass der vom BVerfG erwartete<br />

Schutzeffekt auf das ungeborene Kind<br />

bis heute ausblieb und Abtreibung zunehmend<br />

als »Recht« beansprucht wird!<br />

In den zweiten Teil des Bandes sind<br />

das Thema Spätabtreibung (M. Spieker),<br />

Erfahrungen der Bundesländer mit der<br />

Schwangerenberatung (B. Büchner), verwaltungstechnische<br />

Fragen zum Schwangerschaftskonfliktgesetz<br />

(D. Ellwanger),<br />

statistische Daten (V. Blasel/ St. Rehder)<br />

sowie ein erhellender Beratungsbericht<br />

(J. Hofmann) aufgenommen. Alle Beiträge<br />

motivieren zur überfälligen Auseinandersetzung<br />

mit der Gesetzgebung von 1995<br />

<strong>–</strong> damit sich Vernunft und Menschlichkeit<br />

durchsetzen in unserem Land!<br />

Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Bernward Büchner/ Claudia Kaminski (Hrsg.)<br />

Lebensschutz oder kollektiver Selbstbetrug?<br />

10 Jahre Neuregelung des § 218 (1995-2005).<br />

BVL, Bonn <strong>2006</strong>. 200 Seiten. 9,80 EUR.<br />

Im Schaufenster<br />

Der Wert des<br />

Menschen<br />

Um den »Wert des<br />

Menschen« drehte<br />

sich im vergangenen<br />

Jahr das berühmte<br />

Philosophicum in<br />

Lech am Arlberg. Im<br />

Mittelpunkt der<br />

mehrtägigen Veranstaltung<br />

standen<br />

dabei die aktuellen Entwicklungen der biologischen<br />

Forschung und ihre gesellschaftliche<br />

Rezeption. Nun hat Konrad Paul Liessmann<br />

die dort dargebotenen Beiträge als Buch herausgegeben.<br />

Wer das Aufeinandertreffen der<br />

deutschen Vorkämpfer einer »Kultur des Lebens«<br />

wie Robert Spaemann und Eberhard<br />

Schockenhoff mit den Antagonisten der »Kultur<br />

des Todes« wie Norbert Hoerster und Reinhard<br />

Merkel verpasst hat, und die Güte ihrer Argumente<br />

prüfen will, dem dürfte dieses lesenswerte<br />

Buch gelegen kommen.<br />

reh<br />

Konrad Paul Liessmann (Hrsg.): Der Wert des Menschen.<br />

An den Grenzen des Humanen. Philosophicum<br />

Lech, Bd. 9, Paul Zsolnay Verlag, Wien <strong>2006</strong>. 298<br />

Seiten. 19,90 EUR.<br />

Kriterien biomedizinischer<br />

Ethik<br />

Das vorliegende, von<br />

Theologen, Philosophen<br />

und Medizinern<br />

verfasste Buch klärt<br />

die in der bioethischen<br />

Diskussion verwendeten<br />

Begriffe und<br />

Kategorien wie »Leben«,<br />

»Potentialität«, »Mensch« und »Person«,<br />

»Leid« und »Würde« legt <strong>–</strong> darauf aufbauend<br />

<strong>–</strong> den moralischen und rechtlichen Statuts<br />

des Embryos dar und diskutiert die Auswirkungen,<br />

die die erweiterten biotechnologischen<br />

Möglichkeiten für das Bild vom Menschen<br />

haben. Besonders brisante bioethische<br />

Fragen wie die Präimplantationsdiagnostik<br />

und die Patentierung menschlichen Lebens<br />

werden eigens behandelt.<br />

Damit nicht genug, befasst sich der Sammelband<br />

auch noch mit der bioethischen Diskussion<br />

innerhalb der Theologie und fragt schließlich,<br />

welche politische Relevanz den Ergebnis-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


sen des bioethischen Diskurses in einer pluralistischen<br />

Gesellschaft überhaupt noch zukommen<br />

kann.<br />

Eine nützliche Hilfe für all diejenigen, die sich<br />

erst jetzt tiefer mit der Bioethik beschäftigen<br />

wollen, bietet auch der Anhang, der eine<br />

umfangreiche Auswahl der bislang erschienenen<br />

offiziellen Stellungnahmen zu bioethischen<br />

Fragen aus dem Bereich der Kirchen<br />

und dem stattlichen Raum enthält.<br />

Bedauerlich ist allein, dass die Bearbeitung<br />

der Frage nach dem Stand Embryologie ausschließlich<br />

Reproduktionsmedizinern überlassen<br />

wurde. Hier wäre wohl zumindest ein<br />

ergänzender Beitrag eines Autors angezeigt<br />

gewesen, der selbst kein Anbieter so genannter<br />

Kinderwunschbehandlungen ist.<br />

Wer sich ernsthaft mit bioethischen Fragenstellungen<br />

auseinandersetzt, kommt trotz<br />

dieses echten Mankos an dem ansonsten<br />

empfehlenswerten Buch nicht vorbei. reh<br />

Konrad Hilpert, Dietmar Mieth (Hrsg.): Kriterien biomedizinischer<br />

Ethik. Theologische Beiträge zum<br />

gesellschaftlichen Diskurs. Reihe: Quaestiones Disputate.<br />

Band 217. Herder-Verlag, Freiburg im Breisgau,<br />

<strong>2006</strong>. 506 Seiten. 39,00 EUR.<br />

Bioethik<br />

zwischen Natur<br />

und Interesse<br />

Falsches wird auch<br />

durch Wiederholung<br />

nicht richtig. Insofern<br />

nützt es wenig, dass<br />

der Philosoph Dieter<br />

Birnbacher jetzt eine<br />

Auswahl seiner einschlägigen,<br />

weit verstreuten<br />

Aufsätze zur Bioethik in einem einzigen<br />

Band neu versammelt hat. Aus Sicht der Wirkungsforschung<br />

ist das vorliegende Buch jedoch<br />

hoch interessant. Denn trotz der oftmals mangelhaften<br />

Güte seiner Argumente und trotz des<br />

wiederholten (bewussten) Missverständnisses<br />

der Argumente seiner Gegner, zählt Birnbacher,<br />

ein bekennender Utilitarist, zu denjenigen Philosophen,<br />

die den Verlauf der bioethischen<br />

Debatten durch ihre Präsenz und Willen zum<br />

kalkulierten Tabubruch entscheidend geprägt<br />

haben. Wer nachvollziehen will, wie Themen<br />

gesetzt werden und Politik gemacht wird, kann<br />

in der Auseinandersetzung mit diesem Buch<br />

viel lernen. Wer dagegen die Wahrheit sucht,<br />

darf es gelassen ignorieren.<br />

reh<br />

Dieter Birnbacher: Bioethik zwischen Natur und<br />

Interesse. Mit einer Einleitung von Andreas Kuhlmann.<br />

Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, <strong>2006</strong>.<br />

396 Seiten. 14,00 EUR.<br />

Für den praktischen Religionsunterricht<br />

in der Sekundarstufe<br />

II ist eine empfehlenswerte Handreichung<br />

zum Thema »Christliche Ethik<br />

und Gentechnologie«<br />

bei Vandenhoeck<br />

und Ruprecht<br />

erschienen.<br />

Nach einem theologisch-didaktischen<br />

Überblick<br />

werden die »Bausteine« für den Aufbau<br />

des Unterrichts ausgesucht; von der<br />

»Problemfeststellung« am Fallbeispiel<br />

Präimplantationsdiagnostik, Klonen und<br />

Stammzellgewinnung, über<br />

die »Situationsanalyse«<br />

hinsichtlich biologischer<br />

Grundlagen und juristischer<br />

Voraussetzungen<br />

gelangt die pädagogische<br />

Anleitung zur »Prüfung<br />

von Alternativen«. Hier<br />

werden die Kritiken des<br />

Gentechnikers und Moralisten<br />

Erwin Chargaff herangezogen.<br />

Für Chargaff<br />

ist der Fortschrittsglaube<br />

»in unserer Zeit eine ideologische<br />

Waffe geworden,<br />

ein Giftgas«. Da helfe es<br />

nur, mit »dem Zauberwort Trotzdem im<br />

Herzen« weiter zu leben.<br />

Der Text leitet dann zur »Frage nach<br />

den grundlegenden Werten« über. Hier<br />

wird der Utilitarismus mit dem Prinzip<br />

der Leidvermeidung der Pflichtenethik<br />

(Deontologie) gegenübergestellt. Neben<br />

der Diskursethik von Jürgen Habermas,<br />

die als formale Ethik den respektvollen<br />

Konsens im Werte-Pluralismus sucht,<br />

wird das Wesen der Verantwortungsethik<br />

erörtert und an Leben und Werk Dietrich<br />

Bonhoeffers verdeutlicht. Texte von Max<br />

Weber und Hans Jonas verweisen in gewissem<br />

Gegensatz zu früheren Zeiten,<br />

wo es eher das in der Vergangenheit Getane<br />

zu reflektieren galt, auf die Unüberschaubarkeit<br />

und Irreversibilität heutiger<br />

technischer Umwälzungen und warnen<br />

vor einer Zukunft des »Zuviel«. Bei dem<br />

immensen Zuwachs an technischer Handlungsmacht<br />

habe sich Verantwortung vor<br />

allem auf »Vor-Sorge«, auf Aus- und Nebenwirkungen<br />

zu konzentrieren.<br />

Zum Urteilsentscheid »Was dürfen<br />

wir am Menschen tun?« werden Stellungnahmen<br />

zur Würde des Menschen und<br />

zum Beginn menschlichen Lebens aus<br />

Theologie und Kirche herangezogen.<br />

Die prinzipiell entscheidenden Fragen<br />

nach dem Beginn und Wesen des menschlichen<br />

Lebens werden anhand bekannter<br />

Mensch macht<br />

Mensch<br />

Kontroversen (P. Singer; auch Trutz<br />

Rendtorff, Klaus Tanner; Oliver Brüstle<br />

u.a. Forscher) dargestellt und in Texten<br />

von Ulrich Eilbach, Johannes Rau, Margot<br />

Käßmann im<br />

Sinn des christlichen<br />

Menschenbilds<br />

in seiner Berufung<br />

zum Gegenüber<br />

Gottes beantwortet.<br />

Pastor<br />

Ulrich Bach wendet sich »wider eine<br />

Theologie der Stärke« und stellt sich der<br />

Herausforderung im Umgang mit Behinderung,<br />

Misserfolgen und Schwäche.<br />

Auch die Theodizeefrage<br />

wird unter dem Titel<br />

»Gnädig geordnet«? angesprochen.<br />

Die Kenntnis der Positionen<br />

der Nachbarschaftsreligionen<br />

Judentum, Islam<br />

und Buddhismus ist<br />

Grundlage für den internationalen<br />

bzw. interreligiösen<br />

Dialog. Im Judentum<br />

gibt es beim Embryo<br />

»im Reagenzglas ... kein<br />

Verbot« <strong>–</strong> der Talmud<br />

nennt einen Embryo bis<br />

zum 40. Tag »einfach Wasser«,<br />

auch die Halacha (rabbinische Gesetzesbelehrung)<br />

hat keine Bedenken<br />

gegen Embryonenverbrauch. Im Islam<br />

genießt die Ethik Vorrang vor der Forschung;<br />

doch sind die Urteile über Embryonenforschung<br />

innerhalb der islamischen<br />

Welt uneinheitlich. Dem »Islamic<br />

Code of Medical Ethics« in Kuwait zufolge<br />

ist menschliches Leben in allen<br />

Phasen heilig, »das Leben des Embryos<br />

und des Fötus in der Gebärmutter eingeschlossen«.<br />

Muslime in den USA dagegen<br />

stimmen dem »therapeutischen«<br />

Klonen zu, indem sie sich auf die alte<br />

aristotelische Beseelungstheorie des Embryos<br />

am 40. Tag berufen. Die Deutsche<br />

Buddhistische Union sieht in den »pseudorationalen<br />

Heilsutopien« moderner<br />

Wissenschaft eine »Sackgasse verhängnisvoller<br />

Selbsttäuschung« und lehnte 2001<br />

jede »verbrauchende Embryonenforschung«<br />

ab. Bibliografie und Quellenverzeichnis<br />

machen die Lektüre zur wertvollen<br />

pädagogischen Hilfe.<br />

Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Susanne Bürig-Heinze<br />

Mensch macht Mensch.<br />

Christliche Ethik und Gentechnologie.<br />

RU Religionsunterricht praktisch. Sekundarstufe II,<br />

Vandenhoeck & Ruprecht 2005. 135 Seiten. 24,90 EUR.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 31


KURZ VOR SCHLUSS<br />

Expressis verbis<br />

»<br />

Ich hätte keine Schmerzen gehabt, wenn der<br />

Nationale Ethikrat aufgelöst worden wäre.«<br />

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Julia Klöckner<br />

zur Diskussion um die Beibehaltung des<br />

Gremiums.<br />

»<br />

Kein Gremium kann beanspruchen, die Ethik<br />

der Nation bestimmen zu können <strong>–</strong> schon<br />

gar nicht, wenn Leute drinsitzen, die über<br />

ihre eigenen Forschungsinteressen entscheiden<br />

dürfen.«<br />

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe<br />

zur selben Diskussion.<br />

»<br />

Wir brauchen dringend eine Diskussion über<br />

den Paragrafen 218. Im Jahr gibt es knapp<br />

130.000 Abtreibungen, das entspricht in den<br />

letzten zehn Jahren einer Stadt in der Größenordnung<br />

von München. Die CSU sollte das<br />

in ihrem neuen Grundsatzprogramm zum<br />

Thema machen.«<br />

Der bayerische JU-Vorsitzende Manfred Weber,<br />

MdEP über die gesetzliche Regelung der<br />

vorgeburtlichen Kindstötung.<br />

»<br />

Es gibt kein Recht auf ein gesundes Kind,<br />

aber es gibt ein Recht auf Leben, auch für<br />

die Nicht-Gesunden.«<br />

Franz Kamphaus, Bischof von Limburg, auf einer<br />

Veranstaltung in Wiesbaden anlässlich der<br />

»Woche für das Leben«.<br />

Tops & Flops<br />

Saarlands Ministerpräsident<br />

Peter Müller hat sich in der<br />

Debatte um die Spätabtreibungen<br />

zu Wort gemeldet.<br />

Dem »Berliner Tagespiegel« sagte der<br />

CDU-Politiker, der auch Co-Vorsitzender<br />

der Grundsatzprogrammkommission<br />

seiner Partei ist: »Wir müssen die Frage<br />

stellen: Ist die<br />

jetzige Regelung<br />

ausreichend geeignet,<br />

werdendes<br />

Leben zu schützen<br />

<strong>–</strong> oder muss nicht<br />

gerade in diesen<br />

Peter Müller<br />

Fällen der Spätabtreibung<br />

bei Behinderung<br />

noch<br />

einmal nachgedacht<br />

werden? Ich denke, wir haben da<br />

Regelungsbedarf.« Nach der Novelle des<br />

Paragrafen 218 von 1995 können schwangere<br />

Frauen auch nach der 12. Woche<br />

straffrei abtreiben, »wenn der Abbruch<br />

der Schwangerschaft unter Berücksichtigung<br />

der gegenwärtigen und zukünftigen<br />

Lebensverhältnisse der Schwangeren nach<br />

ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um<br />

eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr<br />

einer schwerwiegenden Beeinträchtigung<br />

des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes<br />

der Schwangeren abzuwenden,<br />

und die Gefahr nicht auf eine<br />

andere für sie zumutbare Weise abgewendet<br />

werden kann.« Diese Regelung, sei<br />

so Müller, »gemessen an der Verpflichtung<br />

des Staates, auch ungeborenes Leben<br />

zu schützen, verbesserungsfähig.« reh<br />

ARCHIV<br />

Unter der Überschrift »Leben<br />

und töten lassen« hat<br />

der Münchner Philosoph<br />

Julian Nida-Rümelin in der<br />

Mai-Ausgabe der Zeitschrift »Cicero«<br />

einen Essay veröffentlicht, der ein nur<br />

mühsam bemänteltes Plädoyer für die<br />

Einführung des assistierten Suizids enthält.<br />

Laut Nida-Rümelin macht es »einen<br />

wesentlichen Teil« der »menschlichen<br />

Würde« aus, auch über den eigenen Tod<br />

»zu bestimmen.« Der frühere Kulturstaatsminister<br />

räumte zwar ein, dass es<br />

ernst zunehmende<br />

»Argumente« gibt,<br />

»die vor Missbrauch<br />

des so genannten<br />

assistierten<br />

Suizids warnen«,<br />

setzte sich jedoch<br />

so gleich darüber<br />

hinweg:<br />

»Aber es sollte unbestritten<br />

sein, das<br />

Julian Nida-Rümelin<br />

jeder ein Recht auf Selbstbestimmung<br />

seines Todes hat.« Da aber niemand daran<br />

gehindert wird, sich selbst zu töten, macht<br />

dieser Hinweis nur Sinn, wenn es darum<br />

geht, solche, die ihm dabei zur Hand<br />

gehen können, straffrei zu stellen.<br />

Dass Nida-Rümelin genau das meint,<br />

dafür spricht neben der Überschrift des<br />

Beitrags auch seine Behauptung, die Autonomie<br />

des Menschen umfasse die Verfügung<br />

»über den eigenen sicheren Tod«.<br />

Als »sicher« gilt nämlich gemeinhin nur<br />

der von kundigem Personal fachmännisch<br />

verabreichte Tod.<br />

reh<br />

ARCHIV<br />

»<br />

Auf keinen Fall darf direkt oder indirekt die<br />

Zerstörung von menschlichen Embryonen<br />

gefördert werden.«<br />

Der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese (EVP-<br />

ED) zur Diskussion um das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm.<br />

»<br />

Diese Stichtagsregelung muss neu überdacht<br />

werden. Nur so können wir mit den<br />

exzellenten Forschungsinstituten in den<br />

USA, etwa den Zentren in Boston und<br />

Kalifornien, mithalten.«<br />

Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut<br />

für molekulare Biomedizin in Münster, der mit<br />

embryonalen Stammzellen forscht.<br />

die gewinnung von<br />

stammzellen aus<br />

menschlichen<br />

embryonen - so wie<br />

hier - wird leben<br />

retten!<br />

meines<br />

nicht!<br />

32<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


Aus dem Netz gefischt<br />

Seit Anfang Mai ist der neue Internetauftritt<br />

der Aktion Lebensrecht für<br />

Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>) online. Unter der bekannten<br />

Domain www.alfa-ev.de findet<br />

sich eine komplett überarbeitete Homepage,<br />

übersichtlich strukturiert und in<br />

neuem Design. Auch inhaltlich wurde<br />

einiges geändert.<br />

So gibt es jetzt eine ausführlichere<br />

Darstellung der <strong>ALfA</strong>-Arbeit und der<br />

konkreten Hilfe für Schwangere in Not.<br />

Vorgestellt wird auch die Patenschaftsaktion<br />

der <strong>ALfA</strong>. Die Adressen der <strong>ALfA</strong>-<br />

www.alfa-ev.de<br />

»Deutschland. Das von morgen« (6)<br />

Landes- und Regionalverbände sind nach<br />

Postleitzahlen sortiert abrufbar. Die letzten<br />

Ausgaben der Zeitschrift »Lebenszeichen«,<br />

in dem die <strong>ALfA</strong> über ihre Arbeit<br />

informiert und alle Ausgaben der populärwissenschaftlichen<br />

Verbandszeitschrift<br />

»<strong>LebensForum</strong>« ab dem<br />

Jahr 2001 stehen kostenlos zum<br />

Download im PDF-Format bereit.<br />

Ein wöchentlich aktualisierter Online-Pressespiegel<br />

mit vielen verlinkten<br />

Artikeln zu sämtlichen Themen<br />

des Lebensrechts, eine umfangreiche<br />

Sammlung von Fremdund<br />

Eigenmaterialien, ein Archiv aller<br />

voran gegangener Newsletter, mit<br />

dem sich die politischen Entwicklungen<br />

nachvollziehen lassen, die<br />

einzelne Themen genommen haben,<br />

sowie die Möglichkeit der Volltextsuche<br />

machen die neue Homepage zu einem<br />

interessanten Werkzeug für die Lebensrechtsarbeit.<br />

Last but not least können<br />

Förderer und Unterstützer ab sofort auch<br />

online spenden, einen Antrag auf Mitgliedschaft<br />

stellen oder eine Patenschaft<br />

übernehmen.<br />

reh<br />

Geht es nach Spaniens Sozialisten,<br />

dann sollen auch Menschenaffen künftig<br />

Grundrechte besitzen. Weil die<br />

Menschenaffen »genetische Gefährten<br />

der Menschheit« seien, haben sich die<br />

Parteifreunde von Ministerpräsident<br />

José Luis Rodríguez Zapatero die Forderungen<br />

der internationalen Initiative<br />

»Projekt Menschenaffen« zu eigen<br />

gemacht. Die vor acht Jahren gestartete<br />

Initiative wird mittlerweile von Wissenschaftlern<br />

an 70 Universitäten unterstützt.<br />

Sie verlangen die Anerkennung eines<br />

»Rechts auf Leben«, eines »Rechts auf<br />

Freiheit« und eines »Rechts auf körperliche<br />

Unversehrtheit« von Primaten.<br />

Die Folgen: Künftig dürfen unsere<br />

dicht behaarten Freunde <strong>–</strong> außer in<br />

Notwehr <strong>–</strong> weder getötet noch zu Forschungszwecken<br />

in Labors eingesetzt<br />

werden. Auch im Zoo sind Menschenaffen<br />

nur noch dann gerne gesehen,<br />

wenn sie sich Stachelschweine anschauen<br />

oder auf der Streichelwiese Ziegen<br />

füttern. Hat die Initiative in Spanien<br />

Erfolg, will Deutschland nachziehen.<br />

Der Deutsche Gewerkschaftsbund feilt<br />

bereits an einer Stellungnahme zur<br />

Einführung einer 35-Stunden-Woche<br />

bei vollem Nahrungsausgleich. Die<br />

Bundesregierung will das Antidiskriminierungsgesetz<br />

noch um eine »Causa<br />

Kahn« erweitern. So genannte Fußballfans<br />

müssen demnach künftig mit empfindlichen<br />

Geldstrafen rechnen, falls<br />

sie dem Torwart des FC Bayern Bananen<br />

auf das Spielfeld werfen. Kopfzerbrechen<br />

macht den Politikern derzeit<br />

nur noch, wie man den Menschenaffen<br />

nahe bringen soll, dass Abtreibungen<br />

hierzulande zwar »rechtswidrig« sind,<br />

aber »straffrei« bleiben, wenn sich die<br />

Weibchen drei Tage vor Durchführung<br />

einer vorgeburtlichen Menschenaffenkindstötung<br />

in einer staatlich anerkannten<br />

Beratungsstelle haben beraten lassen.<br />

Stefan Rehder<br />

ARCHIV<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

Ethik-Studium in Münster<br />

An der WWU Münster besteht die Möglichkeit,<br />

einen Mastertitel in Angewandter Ethik<br />

zu erwerben. Das nebenberufliche Studium<br />

dauert vier Semester und füllt eine Lücke im<br />

deutschen Studienangebot. Themen sind<br />

Grundlagen der Ethik, Bereiche und Konzepte<br />

der Angewandten Ethik, Umgang mit ethischen<br />

Problemen und praktische Umsetzung im beruflichen<br />

Alltag. Das Studium wird mit einer<br />

Masterarbeit und Prüfungen abgeschlossen.<br />

Weitere Informationen sind erhältlich bei Dr.<br />

Ursula Windmüller unter (0251) 8324762,<br />

weiterbildung@uni-muenster.de oder<br />

www.uni-muenster.de/weiterbildung. mal<br />

Film zu PAS<br />

Mit den Folgen einer Abtreibung beschäftigt<br />

sich der Film »Ungeboren« von Hans Schotte.<br />

Der Autor beleuchtet Gründe und Umstände<br />

von Abtreibungen anhand des Schicksals<br />

mehrerer Frauen, lässt Experten zu Wort kommen<br />

(u.a. Christa Meves und Prof. Dr. Spieker)<br />

und zeigt Wege zur Bewältigung für christlich<br />

geprägte Frauen. Zu beziehen bei HS Videound<br />

Buchverlag, Bärbel Schotte, Eichenstr.<br />

14, 86316 Friedberg/Ottmaring. Tel.: (0821)<br />

603336, Telefax: (0821) 608315, E.Mail:<br />

hs.video@t-online.de. Als DVD 19,50 Euro<br />

zzgl. Versandkosten, als VHS 17,50 Euro zzgl.<br />

Versandkosten. mal<br />

1000-Kreuze-Marsch in Berlin<br />

Am Samstag, den 23. September <strong>2006</strong> treffen<br />

sich Lebensrechtler aus ganz Deutschland in<br />

Berlin, um gegen die massenhaften vorgeburtlichen<br />

Kindstötungen zu protestieren. Die vom<br />

Bundesverband Lebensrecht (BVL) veranstaltete<br />

Demonstration beginnt um 12.00 Uhr mit<br />

einer Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz.<br />

Um 13.00 Uhr brechen die Demonstranten<br />

dann von dort zu einem Trauermarsch<br />

durch die Bundeshauptstadt auf. Dabei sollen<br />

1.000 weiße Kreuze mitgeführt werden. Die<br />

Kreuze veranschaulichen die Zahl der Kinder,<br />

die an einem Werktag in Deutschland abgetrieben<br />

werden. Die Veranstaltung endet mit<br />

einem um 14.00 Uhr beginnenden ökumenischen<br />

Gottesdienst in der Berliner Hedwigskathedrale.<br />

reh<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong> 33


LESERFORUM<br />

Ausgeblendete Folgen<br />

Der Erfahrungsbericht »Du bist nie<br />

wieder dieselbe« (<strong>LebensForum</strong> Nr. 77)<br />

ist erschreckend und zeigt exemplarisch,<br />

welche schwerwiegenden psychologischen<br />

Folgen eine Abreibung auf eine Frau hat,<br />

Qual für viele Frauen: Das Post Abortion Syndrom.<br />

die sich zu dieser vermeindlichen Lösung<br />

entschließt. Auch angesichts der zahlreichen<br />

Studien zum so genannten Post-<br />

Abortion-Syndrom ist es deshalb vollkommen<br />

uneinsichtig, dass die fatalen Folgen<br />

eines Schwangerschaftsabbruchs für die<br />

Frau in der politischen Diskussion keine<br />

Rolle spielen.<br />

Luisa Schwaderlapp, Madrid<br />

Mutlose Union<br />

Die letzte Ausgabe des <strong>LebensForum</strong><br />

hat mir Mal wieder gezeigt, dass man als<br />

Christ kaum guten Gewissens die<br />

CDU/CSU wählen kann, sondern sie<br />

34<br />

DANIEL RENNEN<br />

Abgesehen von wenigen Medien<br />

wie <strong>LebensForum</strong> verschweigt die<br />

Presse einhellig den Zusammenhang<br />

zwischen Geburtenrückgang<br />

und Abtreibungen. Dabei ist die demografische<br />

Krise Deutschlands vor<br />

allem eine Folge der millionenfachen<br />

Tötung von Kindern im Mutterleib!<br />

Sabine Schmidt, Stuttgart zu »Todesfalle<br />

Mutterleib«<br />

lediglich das geringere Übel im Gegensatz<br />

zu den anderen im Bundestag vertretenden<br />

Parteien ist. Der Briefwechsel zwischen<br />

dem BVL und Ministerin Ursula<br />

von der Leyen, aber auch das Interview<br />

mit Johannes Singhammer sind ernüchternd.<br />

Es mag sein, dass beide und auch<br />

viele andere Unionspolitiker sich zwar<br />

persönlich gegen Abtreibungen aussprechen,<br />

sie sind allerdings nicht bereit, auch<br />

politisch gegen das größte Unrecht unserer<br />

Zeit vorzugehen. Zaghaft kommen<br />

Initiativen gegen die Spätabtreibungen,<br />

aber das eigentliche Problem, Paragraf<br />

218 und sein Widerspruch »rechtswidrig,<br />

aber straffrei«, wird nicht angegangen.<br />

Es ist unverständlich, dass die CDU/CSU<br />

so wenig Mut an den Tag legt, sind es<br />

doch nicht wenige Wähler, die der Union<br />

nicht zuletzt ihr Mandat geben, weil sie<br />

glauben oder hoffen, dass das »C« in<br />

ihrem Namen doch noch eine Rolle spielt.<br />

Damian Binger, Merzenich<br />

Agressiv und polemisch<br />

Seit einiger Zeit erlebe ich die von Ihnen<br />

herausgegebene Zeitschrift als zunehmend<br />

aggressiv und polemisch. Als bisherigen<br />

Höhepunkt Ihres kämpferischen<br />

Engagements empfinde ich das Titelbild<br />

der Ausgabe Nr. 77. In Ihrer Botschaft<br />

entspricht es genau dem Geist der Propaganda,<br />

die uns <strong>–</strong> gerade als gläubige<br />

Katholiken <strong>–</strong> in »Sekten« und evangelikalen<br />

Gruppen jeglicher Coleur begegnet.<br />

In keiner Weise zeugt diese Art von<br />

bildlicher und textlicher Darstellung von<br />

Respekt und liebender Zuwendung zu<br />

den Menschen, die uns als ChristInnen<br />

und ÄrztInnen anvertraut sind.<br />

Ich möchte Sie bitten, Ihre Strategie<br />

zu überdenken und sich <strong>–</strong> öffentlich <strong>–</strong> für<br />

das Bild »Todesfalle Mutterleib« zu entschuldigen.<br />

Es ist unerträglich pauschalierend,<br />

lieblos und <strong>–</strong> hoffentlich nur (!)<br />

gedankenlos. Wenn ich allerdings Stil<br />

und Inhalt der letzten Zeit damit in Verbindung<br />

setze, habe ich wenig Hoffnung,<br />

dass dies nur ein »Missgriff« war.<br />

Dr. med. Stephan H. Rank, Grafenau/Bayer. Wald<br />

Unbestechlich<br />

Seit einiger Zeit bekomme ich Lebens-<br />

Forum. Ob es sich um Abtreibung, die<br />

bei Ihnen sachlich als »vorgeburtliche<br />

Kindstötung« statt als »Mord« oder<br />

»Schwangerschaftsabbruch« bezeichnet<br />

wird, um embryonale Stammzellforschung<br />

oder Sterbehilfe handelt, Sie legen<br />

unbestechlich und unaufgeregt die Finger<br />

in die Wunden unserer Gesellschaft. Sie<br />

scheinen weder forschungsfeindlich noch<br />

blauäugig zu sein und auch keiner politischen<br />

Farbenlehre zu huldigen. Kompliment.<br />

Machen Sie weiter so.<br />

Roman Schneider, Düsseldorf<br />

ANZEIGE<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>78</strong>


IMPRESSUM<br />

IMPRESSUM<br />

LEBENSFORUM<br />

Ausgabe Nr. <strong>78</strong>, 2. Quartal <strong>2006</strong><br />

ISSN 0945-4586<br />

Verlag<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, Email: info@alfa-ev.de<br />

Herausgeber<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />

Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />

Kooperation<br />

Ärzte für das Leben e.V. <strong>–</strong> Geschäftsstelle<br />

z.H. Frau Dr. Bärbel Dirksen<br />

Ludwig-Schüsselerstr. 29, 646<strong>78</strong> Lindenfels<br />

Tel.: 0 62 54 / 4 30, E-Mail: dr.b.dirksen@gmx.de<br />

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Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen<br />

Stitzenburgstraße 7, 70182 Stuttgart<br />

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Redaktionsleitung<br />

Stefan Rehder, M.A., Dr. phil. nat. Andreas Reimann<br />

Redaktion<br />

Veronika Blasel, M.A.,Alexandra Linder, M.A.,<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Ingolf Schmid-<br />

Tannwald (Ärzte für das Leben e.V.)<br />

Anzeigenverwaltung<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

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Satz / Layout<br />

Rehder Medienagentur, Aachen<br />

www.rehder-agentur.de<br />

Auflage<br />

6.500 Exemplare<br />

Anzeigen<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 1.01.2003<br />

Erscheinungweise<br />

Vierteljährlich, Lebensforum Nr. 79 erscheint am 21.08.<strong>2006</strong>,<br />

Redaktionsschluss ist der 28.07.<strong>2006</strong><br />

Jahresbezugspreis<br />

12,- EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der Ärzte für<br />

das Leben im Beitrag enthalten)<br />

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Konto Nr. 50 40 990 - BLZ 720 900 00<br />

Spenden erwünscht<br />

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Titelbild<br />

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Das Lebensforum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem<br />

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Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt<br />

die Meinung der Redaktion oder der <strong>ALfA</strong> wieder und stehen in<br />

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werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor,<br />

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LETZTE SEITE<br />

Leben in mir<br />

Mit »Leben in mir« liefert die polnische<br />

Regisseurin Malgosia Szumowska ein<br />

eindringliches Plädoyer für das Leben.<br />

Von Dr. José García<br />

Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt<br />

Deutsche Post AG (DPAG)<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg<br />

Im Kino stehen zurzeit ungewollt<br />

schwanger gewordene junge Frauen<br />

hoch im Kurs. Das Drogenkurier-<br />

Drama »Maria voll der Gnade« handelte<br />

unlängst von der 17-jährigen Maria, die<br />

in der kolumbianischen Provinz kein einfaches<br />

Leben führt: Sie ist unzufrieden<br />

Szene aus »Leben in mir«<br />

mit ihrer Arbeit und ihrer Familie, und<br />

den Kindeserzeuger liebt sie auch nicht.<br />

In ihrem Spielfilmdebüt »Die Perlenstickerinnen«<br />

zeichnete die französische<br />

Regisseurin Eléonore Faucher ein Porträt<br />

der erst 17-jährigen Claire, die ebenfalls<br />

schwanger ist, aber den Vater ihres zukünftigen<br />

Kindes nicht liebt. Dieser interessiert<br />

sich lediglich dafür, ob sie das Kind<br />

abtreiben will und Geld dafür braucht.<br />

Nein, abtreiben will Claire nicht, ebenso<br />

FILMINFO<br />

Leben in mir<br />

Regie: Malgosia Szumowska<br />

Mit Malgosia Bela, Marek Walczewski,<br />

Teresa Dudzisz-Krzyzanowska, Barbara<br />

Kurzaj, Marcin Brzozowski, Andrzej Chyra<br />

Land, Jahr: Polen / Deutschland 2004<br />

Laufzeit: 95 Minuten<br />

wenig wie Maria. Sowohl Maria als auch<br />

Claire entscheiden sich für ihr Kind.<br />

Malgosia Szumowskas Spielfilm<br />

»Leben in mir« (»Ono«), der am 29.<br />

Juni im deutschen Kino startet, erzählt<br />

wiederum von einer unbeabsichtigt<br />

schwanger gewordenen Frau: Eva (Malgosia<br />

Bela), die in einer ähnlichen Situation<br />

lebt wie Maria aus Kolumbien und<br />

Claire aus Frankreich. Auch sie arbeitet<br />

in einem schlecht bezahlten und sie nicht<br />

PANDORA<br />

ausfüllenden Job. Und die familiäre Lage<br />

stellt sich in der polnischen auch nicht<br />

besser als in der kolumbianischen oder<br />

französischen Provinz dar: Evas Mutter<br />

bringt kaum Interesse für ihre Tochter<br />

auf, Evas Vater verliert langsam sein Gedächtnis.<br />

Ähnlich in »Maria voll der<br />

Gnade« und »Die Perlenstickerinnen«<br />

spielt in Evas Leben der Mann, von dem<br />

sie das Kind erwartet, gar keine Rolle<br />

mehr. Obwohl sie im Gegensatz zu Marie<br />

und Claire keine Minderjährige mehr<br />

ist, fühlt sich Eva doch zu jung für ein<br />

Kind.<br />

In ihrer trostlosen Lage, die von der<br />

Kamera mit kalten Farben und unruhigen<br />

Bewegungen unterstrichen wird, entscheidet<br />

sich Eva zunächst gegen das Kind.<br />

Das für die (illegale) Abtreibung mühsam<br />

beschaffte Geld wird ihr jedoch auf dem<br />

Weg zur Klinik von einem Drogensüchtigen<br />

gestohlen. Ein Zufall ändert allerdings<br />

ihre Entscheidung radikal: Im Krankenhaus<br />

erfährt sie aus einem mitgehörten<br />

Gespräch, dass ihr Kind sie bereits hören<br />

kann. Nun versucht Eva, ihrem Kind die<br />

Welt <strong>–</strong> die Farben, die Klänge, die Formen<br />

<strong>–</strong> zu erklären. Ihm spielt sie sogar die<br />

Musik vor, die ihr Vater so sehr liebt. Für<br />

Eva selbst ändert sich auch die Wahrnehmung,<br />

was der Film durch eine schöne<br />

Traumsequenz verdeutlicht. Darüber hinaus<br />

erfährt Evas Leben eine Wende: sie<br />

freundet sich mit der Prostituierten Ivona<br />

an. Eva versucht, zu ihrer verschlossenen<br />

Mutter einen neuen Zugang zu finden,<br />

und verliebt sich ausgerechnet in Michal<br />

(Marcin Brzozowski), den »Junkie«, der<br />

ihr das Geld gestohlen hatte.<br />

Obwohl sich »Leben in mir« einer<br />

teilweise surrealen Filmsprache bedient,<br />

mit allzu häufig rätselhaften Sequenzen,<br />

die das Verständnis erschweren, weshalb<br />

die Erzählung weniger stimmig als in<br />

»Maria voll der Gnade« und »Die Perlenstickerinnen«<br />

ausfällt, liefert Malgosia<br />

Szumowskas Film ein deutliches Plädoyer<br />

für das Leben.

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