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ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 76 4/2005

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Nr. <strong>76</strong> | 4. Quartal <strong>2005</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 3,<strong>–</strong> €<br />

B 42890<br />

LEBENSFORUM<br />

Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Interview<br />

Robert Spaemann:<br />

Hilfe hat Grenzen<br />

Ausland<br />

Der Preis des<br />

Abtreibungsrechts<br />

Medizin<br />

Ethisch korrekte<br />

Stammzellen?<br />

Sterbehilfe<br />

Gibt Deutschland Gas?<br />

In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)


INHALT<br />

LEBENSFORUM <strong>76</strong><br />

EDITORIAL<br />

Unteilbarer Lebensschutz 3<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

TITEL<br />

Manager des Todes auf dem Vormarsch 4<br />

Tobias B. Ottmar<br />

»Ungeheurer moralischer Druck« 8<br />

Interview mit Robert Spaemann<br />

AUSLAND<br />

Der Preis des Abtreibungsrechts 10<br />

Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

A USLAND<br />

10 - 12<br />

treibungsrechts beiseite gefegt. Die hatte. Dazu ruft die Journalistin Candace immer wieder angeführt würden, um<br />

USA hatten deswegen seither praktisch Crandall in Erinnerung, mit welchen diesen Zusammenhang zu leugnen, die<br />

eine der freizügigsten Abtreibungsregelungen<br />

der Welt.<br />

isten in den sechziger und siebziger Jahren Lancet 2004 veröffentlichte Studie von<br />

Versprechungen die Abtreibungs-Lobby-<br />

Studie von Melbye 1997 und die im<br />

des 20. Jahrhunderts das Recht auf Abtreibung<br />

angepriesen hatten. Wie ein wissenschaftlichen Mängeln. Im Übrigen<br />

Beral, litten hingegen unter schweren<br />

GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN<br />

Wunderheilmittel sollte es angeblich gegen<br />

alle möglichen gesellschaftlichen bung und Brustkrebs physiologisch gut<br />

ist der Zusammenhang zwischen Abtrei-<br />

Der Kampf für das Abtreibungsrecht<br />

geht nach Meinung der Geisteswissenschaftlerin<br />

Fox-Genovese einher mit dem erzwungene Eheschließungen, Kindes-<br />

dass die Brüste der Frau in dem Zu-<br />

Probleme wirken: uneheliche Kinder, nachvollziehbar. Eine Abtreibung bewirkt,<br />

Versuch, die Rolle der Frau in der Welt missbrauch, Armut, Überbevölkerung, stand verbleiben, den sie während einer<br />

umzudefinieren. Das geht bis hin zur Todesfälle durch illegale Abtreibung und Schwangerschaft erreichen. In diesem<br />

Leugnung der biologischen Ursachen der so weiter. Die meisten dieser Heilsversprechen<br />

sind unerfüllt geblieben. Im äußerst anfällig. Erst ab der 32. Schwan-<br />

Zustand sind sie jedoch für Brustkrebs<br />

Unterschiede zwischen Mann und Frau,<br />

als deren Quelle allein Gesellschaft, Erziehung<br />

und Tradition angesehen werden wurden massiv verstärkt, da die frei ver-<br />

sogenannten Typ-3 und Typ-4 Lobuli<br />

Gegenteil, viele der erwähnten Probleme gerschaftswoche formen die Brüste die<br />

und die es auszumerzen gelte. Dafür wird fügbare Abtreibung das Verantwortungsbewusstsein<br />

aushöhlte. De facto ist Ab-<br />

Das ist der Grund, warum eine ausgetra-<br />

aus, die gegen Brustkrebs resistent sind.<br />

das Recht auf Abtreibung als unverzichtbar<br />

angesehen, da nur so die Selbstverwirklichung<br />

der Frau und die angestrebte angewandten Mittel der Geburtenkon-<br />

schützt und Frühgeburten <strong>–</strong> aus dem<br />

treibung längst zu einem massenhaft gene Schwangerschaft gegen Brustkrebs<br />

Individualisierung erreicht werden könnten.<br />

Kinder, vor allem unerwünschte, BUCHTIPP<br />

Brustkrebsrisiko erhöhen.<br />

selben Grund wie Abtreibungen <strong>–</strong> das<br />

würden der Erreichung dieser Ziele nur<br />

Während der Zusammenhang zwischen<br />

Frühgeburten und Brustkrebs all-<br />

störend im Wege stehen.<br />

Erika Bachiochi (Hrsg.):<br />

Anstatt der Frau die ersehnte Freiheit The Cost of »Choice«<br />

gemein anerkannt ist, wird der Einfluss<br />

und Gleichberechtigung zu bringen, hat Women Evaluate<br />

von Abtreibungen nach wie vor vehement<br />

das Recht auf Abtreibung nach Meinung the Impact of<br />

geleugnet. Auf Wissenschaftler und Mediziner,<br />

die darüber öffentlich sprechen<br />

der Juristinnen Dorinda Bordlee und Abortion<br />

Paige Comstock Cunningham vor allem Encounter Books, San<br />

wollen, werde laut Lanfranchi massiver<br />

Der Preis des<br />

bewirkt, dass die Gesellschaft die Frau Francisco, 2004. 180<br />

Druck ausgeübt. Sie würden keine Einladungen<br />

erhalten, Berufungen würden<br />

mit der Kindererziehung und sozialen Seiten. 17,50 EUR.<br />

Notlagen alleine lässt, da nun die Abtreibung<br />

als billigste und effizienteste Prozieren.<br />

Aber auch die anderen mit Abtrei-<br />

zurückgezogen, sie könnten nicht publiblemlösung<br />

allzeit zur Verfügung steht. trolle geworden. Von allen Frauen, die bungen im Zusammenhang stehenden<br />

Abtreibungsrechts<br />

Die Gesellschaft schiebt die gesamte Verantwortung<br />

einfach auf die Mutter ab, mindestens zwei Abtreibungen in ihrem geleugnet, selbst vom amerikanischen<br />

abtreiben, würde laut Crandall die Hälfte Gesundheitsrisiken werden weitgehend<br />

denn diese hätte durch eine Abtreibung Leben haben, ein Fünftel sogar mindestens<br />

fünf Abtreibungen.<br />

lobby hat so große Angst davor, dass diese<br />

Gynäkologenverband. Die Abtreibungs-<br />

30 Jahre nach Freigabe der vorgeburtlichen Kindstötung in den USA ziehen zwölf amerikanische<br />

ja die Gelegenheit gehabt, sich alle Probleme<br />

zu ersparen. Insbesondere den<br />

Risiken bekannt werden und die Zweifel<br />

Autorinnen Bilanz: Ihr Fazit: Die Legalisierung der Abtreibung hat verheerende Folgen <strong>–</strong> nicht nur<br />

männlichen Sexualpartnern der Frauen, GESUNDHEITLICHE FOLGEN<br />

an der Abtreibung allgemein erhöhen,<br />

für die Gesellschaft, sondern auch für die Frauen selbst.<br />

also den (potentiellen) Vätern, wurde<br />

dass sie sogar vehement dagegen kämpft,<br />

damit ein einfacher Weg bereitet, sich Stattdessen zeigte sich, dass Abtreibungen<br />

ganz andere, sehr handfeste und sehr Risiken aufzuklären. Was bei jeder ande-<br />

abtreibungswillige Frauen über diese<br />

Von Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

aus der Verantwortung zu stehlen.<br />

Am schlimmsten macht sich dieser negative Folgen für die betroffenen Frauen<br />

haben können. Wie die Gynäkologin ständlich ist, darf bei Abtreibung offenbar<br />

ren medizinischen Prozedur selbstver-<br />

Aspekt der Abtreibungsmentalität nach<br />

eit gut 30 Jahren ist in den USA, der Feministen für das Leben, die amerikanischen<br />

Feministinnen weitgehend und welt. Seither entwickelte sich die Forde-<br />

Schiltz bei behinderten Kindern bemerkschen<br />

überzeugend belegt, dass durch In ähnlicher Weise tabuisiert werden<br />

verzichtbar, vor allem auch in der Arbeits-<br />

Ansicht der Jura-Professorin Elizabeth Elizabeth Shadigian ausführt, ist inzwi-<br />

nicht sein.<br />

aber auch vielen anderen westlichen<br />

SLändern, der freie Zugang zur oft vehement gegen Abtreibung eingestellt.<br />

Für sie sei es selbstverständlich auf Abtreibung zu der zentralen Kernfor-<br />

Diagnostik weiß, dass sie ein behindertes mit der Gebärmutter zu bekommen, um bung, wie die Psychiaterin E. Joanne<br />

rung nach dem uneingeschränkten Recht<br />

bar. Wenn eine Frau durch pränatale eine Abtreibung das Risiko, Probleme auch die psychischen Folgen der Abtrei-<br />

Abtreibung geltendes Recht. Eine ganze<br />

Generation ist inzwischen herangewachsen,<br />

für die es völlig normal ist, jederzeit ihrer Abhängigkeit von Männern gelitten Frauenverbände. Dies ist bis heute unver-<br />

Abtreibung von ihrer Umgebung aufge-<br />

durch Kaiserschnitt notwendig machen in denen in den USA Dutzende Millionen<br />

gewesen, dass Frauen, die selbst unter derung der meisten Feministinnen und<br />

Kind erwartet, wird immenser Druck zur ca. 50% steigt. Dies kann später Geburten Angelo meint. Doch nach über 30 Jahren,<br />

und aus jedem beliebigen Grund eine hatten, nicht ihrerseits das ungeborene ändert.<br />

baut, um der Gesellschaft die durch das oder sogar den Verlust der Gebärmutter Abtreibungen vorgenommen wurden,<br />

unerwünschte Schwangerschaft beenden Kind als Verfügungsmasse betrachten Durchgesetzt wurde das Recht auf<br />

Kind entstehenden Kosten zu ersparen. bedeuten. Das Risiko von Frühgeburten lassen sich die psychischen Folgen alleine<br />

zu können. »The Cost of ›Choice‹«, die dürften.<br />

Abtreibung in den USA 1973 durch zwei<br />

Bekommt sie das Kind dennoch, wird sie wird durch eine vorangegangene Abtreibung<br />

sogar verdoppelt. Auch lässt sich verleugnen. Sie sind inzwischen statistisch<br />

aus quantitativen Gründen nicht mehr<br />

Kosten des Abtreibungsrechts, heißt ein Erst in den sechziger Jahren des 20. Urteile des Obersten Gerichtshofes: das<br />

mit allen Problemen und Kosten weitgehend<br />

alleine gelassen. Auch das behinderte mittlerweile nicht mehr ernsthaft bestrei-<br />

messbar und schlagen sich in ihren Aus-<br />

kleiner Band, in dem zwölf amerikanische Jahrhunderts änderte sich diese Einstellung,<br />

als die Abtreibungs-Lobbyisten nicht minder bedeutende »Doe vs.<br />

Kind selbst hat nichts Gutes zu erwarten. ten, dass das Risiko, an Brustkrebs zu wirkungen bis auf die Krankenkassen<br />

bekannte Urteil »Roe vs. Wade« und das<br />

Frauen eine Bewertung dieses Rechts und<br />

der dadurch verursachten Entwicklungen Larry Lader und Bernard Nathanson Bolton«. Zusammen betrachtet, so meint<br />

Es genießt geringere Priorität in der erkranken, um 20 bis 30 Prozent nach durch. So ergab 2002 eine Auswertung<br />

vornehmen.<br />

erfolgreich versuchten, die amerikanischen<br />

Frauenverbände für ihre Sache zu bewirkten die Urteile nicht weniger als<br />

gen lehnen seine Aufnahme ab und gene-<br />

Die Ärztin Angela Lanfranchi führt Frauen in den ersten vier Jahren nach<br />

die Rechtsgelehrte Mary Ann Glendon,<br />

medizinischen Versorgung, Versicherun-<br />

einer Abtreibung steigt.<br />

kalifornischer Krankenkassendaten, dass<br />

DER WEG ZUM RECHT AUF ABTREIBUNG gewinnen. Das Recht auf Abtreibung, so das faktische Recht auf Abtreibung bis<br />

rell wird ihm vorgehalten, dass es am dazu ausführlich aus, dass inzwischen eine einer Abtreibung um 17% mehr psychologische<br />

Dienste in Anspruch nehmen<br />

die Argumentation Laders und Nathansons,<br />

sei für die Gleichberechtigung der Urteile wurden lange Zeit selbst alle nur<br />

Bedenkenswert ist ebenfalls, welche menhang zwischen Abtreibung und Brust-<br />

mussten als in den ersten vier Jahren nach<br />

zur Geburt. Auf Grundlage dieser beiden<br />

besten nicht geboren worden wäre. Vielzahl verlässlicher Studien den Zusam-<br />

Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein<br />

waren nach Serrin M. Foster, Vorsitzende Frau in der modernen Gesellschaft un-<br />

kosmetischen Regelungsversuche des Ab-<br />

Folgen das Recht auf Abtreibung nicht krebs erwiesen haben. Zwei Studien, die einer Geburt. Dieselben Daten ergaben<br />

10 <strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong><br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 11<br />

Verheerendes Fazit 30 Jahre nach Legalisierung der Abtreibung in den USA.<br />

DANIEL RENNEN<br />

Ab wann Schmerz? 13<br />

Matthias Lochner<br />

Goliath gegen David 16<br />

Stefan Baier<br />

MEDIZIN<br />

Ethisch einwandfreie Stammzellen? 18<br />

Dr. Adrienne Weigl<br />

4 - 7<br />

Wie »Dignitas« nach der<br />

Schweiz nun auch in Deutschland<br />

seine todbringenden<br />

Dienste anbieten möchte.<br />

GESELLSCHAFT<br />

Her mit den Embryonen! 22<br />

Stefan Rehder, M.A.<br />

Positionspapier der FDP 24<br />

zum Embryonenschutz<br />

Pädagogischer Schund an Schulen 26<br />

Hubert Hecker<br />

MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />

Neues aus der <strong>ALfA</strong> 28<br />

Cornelia Kaminski<br />

BÜCHERFORUM 30<br />

Ab wann können Kinder im<br />

Mutterleib Schmerz spüren?<br />

13 - 15<br />

KURZ VOR SCHLUSS 32<br />

LESERFORUM 34<br />

IMPRESSUM 35<br />

2<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong><br />

REHDER MEDIENAGENTUR


EDITORIAL<br />

8 - 9<br />

Robert Spaemann zählt zu den profiliertesten<br />

Anwälten der Würde der Person. <strong>LebensForum</strong><br />

sprach mit ihm über die Folgen legalisierter<br />

Sterbehilfe.<br />

18 - 21<br />

Das Wissenschaftsmagazin »Nature« veröffentlichte kürzlich die Berichte von zwei Forscherteams aus<br />

den USA. Deren Ergebnisse wurden weltweit als Sensation gefeiert. Endlich seien ethisch akzeptable<br />

Wege zur Gewinnung embryonaler Stammzellen gefunden worden. Doch wie so oft steckt auch hier<br />

der Teufel im Detail.<br />

Von Dr. Adrienne Weigl<br />

18<br />

MEDIZIN<br />

Z<br />

Ethisch einwandfreie<br />

Stammzellen?<br />

wei Forschungsberichte im Bereich<br />

Stammzellforschung haben<br />

im Oktober für Aufregung gesorgt,<br />

weil man in der Presse einmal mehr<br />

vermutete, hier wäre sie endlich: die<br />

»ethisch einwandfreie Stammzelle«. Der<br />

eine wurde von Wissenschaftlern der<br />

schon öfters in Erscheinung getretenen<br />

Institution ACT (Advanced Cell Technology),<br />

der andere von den Stammzellforschern<br />

Alexander Meissner und Rudolf<br />

Jaenisch in der Zeitschrift Nature vorgelegt.<br />

Betrachten wir zunächst den Versuch<br />

der ACT. Was wurde dabei gemacht? Aus<br />

Mausembryonen im 8-Zell-Stadium wurden<br />

einzelne Zellen entnommen. Eine<br />

solche Entnahme tötet den Embryo nicht.<br />

Diese einzelnen Blastomeren wurden<br />

zusammen mit embryonalen Stammzellen<br />

der Maus kultiviert und vermehrt. Dann<br />

wurden die zur gemeinsamen Kultur verwendeten<br />

Stammzellen wieder entfernt.<br />

Die anschließenden Versuche zeigten,<br />

dass sich allem Anschein nach aus den<br />

einzelnen Blastomeren normale embryonale<br />

Stammzellen mit all deren Fähigkeiten<br />

entwickelt hatten. Bei diesen Stammzellen<br />

wurde also der Embryo, von dem<br />

sie stammen, tatsächlich für ihre Gewinnung<br />

nicht getötet. Der Verbrauch von<br />

Embryonen, der in Bezug auf den Menschen<br />

die Stammzellforschung und die<br />

angestrebten Stammzelltherapien so problematisch<br />

macht, wurde hier partiell<br />

vermieden. Partiell: Denn natürlich<br />

stammten die zur gemeinsamen Kultur<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong><br />

US-amerikanische Wissenschaftler wollen<br />

ethisch akzeptable Wege zur Gewinnung<br />

embryonaler Stammzellen gefunden haben.<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

DPA<br />

Unteilbarer<br />

Lebensschutz<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

muss das eigentlich sein? Zu Weihnachten<br />

ein <strong>LebensForum</strong>, das Forderungen<br />

nach (Wieder)Einführung der Euthanasie<br />

thematisiert? Noch dazu auf der<br />

Titelseite?<br />

Ja, fanden wir. Nicht nur, weil die<br />

Politik längst keine Rücksicht mehr auf<br />

den christlichen Kalender nimmt, sondern<br />

vor allem, weil Lebensschutz unteilbar<br />

ist. Wer sich fragt, wie es sein kann, dass<br />

in einem Land wie Deutschland, das in<br />

seiner jüngeren Historie reichlich Erfahrungen<br />

mit der Euthanasie gesammelt<br />

hat, eine Debatte, wie die um die „Tötung<br />

auf Verlangen“ ausbrechen kann, muss<br />

auf die jüngste Geschichte<br />

zurückblicken.<br />

Die Liberalisierung<br />

der gesetzlichen<br />

Regelung der vorgeburtlichen<br />

Kindstötung<br />

vor rund zehn<br />

Jahren hat mehr bewirkt,<br />

als viele Politiker bis heute wahrhaben<br />

wollen. Gut möglich, dass vielen,<br />

die daran mitgewirkt haben, diese Folgen<br />

damals so nicht klar waren und sie diese<br />

folglich auch nicht beabsichtigt hatten.<br />

Und doch hat der Gesetzgeber mit der<br />

Reform des Paragrafen 218 eine unmissverständliche<br />

Botschaft in die Republik<br />

gesandt. Sie lautet, es gebe Menschen,<br />

deren Existenz anderen nicht zugemutet<br />

werden könne. Doch wo Menschen unzumutbar<br />

werden, wird ihre Tötung zumutbar;<br />

darf sie nicht länger bestraft<br />

werden, kann sie als abrechenbare Leistung<br />

deklariert und der Solidargemeinschaft<br />

auferlegt werden.<br />

Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Und<br />

so wundert es denn auch kaum, dass immer<br />

Menschen nun zu »entdecken« beginnen,<br />

dass, wenn es »unzumutbares<br />

Leben« gibt, es dieses nicht nur am Anfang,<br />

sondern auch am Ende menschlicher<br />

Existenz geben kann. Eine gestiegene<br />

Lebenserwartung, die manchmal eben<br />

auch bedeutet, länger krank zu sein, der<br />

»Wo Menschen unzumutbar<br />

sind, wird Tötung zumutbar.«<br />

Verlust familiärer Bindungen<br />

und explodierende<br />

Gesundheitskosten,<br />

die von immer weniger<br />

Menschen erwirtschaftet<br />

werden müssen,<br />

mögen die gegenwärtige<br />

Debatte anheizen,<br />

ursächlich sind sie nicht.<br />

Wo Menschen »unzumutbar«<br />

geworden<br />

sind, wird ihre Tötung<br />

»zumutbar«. Alles andere<br />

ist dann nur noch Verhandlungssache.<br />

»<strong>LebensForum</strong>« hält hier dagegen,<br />

immer und überall. Auch in dieser Ausgabe.<br />

Tobias B. Ottmar hat sich für uns<br />

nicht nur bei den »Managern des Todes«<br />

umgeschaut, sondern auch noch ein lesenswertes<br />

Interview mit dem Philosophen<br />

Robert Spaemann geführt (ab S. 4).<br />

Raymond Georg Snatzke dokumentiert,<br />

welchen Preis die Vereinigten Staaten<br />

von Amerika für die<br />

zwanzig Jahre frührer<br />

als bei uns erfolgte Liberalisierung<br />

des Abtreibungsrechts<br />

bezahlen<br />

mussten (ab S.<br />

10). Der Beitrag zeigt<br />

deutlich, welche verheerende<br />

Folgen dieser<br />

fatale Schritt nicht nur für die Gesellschaft<br />

als ganze, sondern auch die betroffene<br />

Frau als einzelne hat. Matthias Lochner<br />

durchleuchtet eine »Studie«, die sich<br />

mit dem Schmerzempfinden des Embryos<br />

befasst und im Sommer von Abtreibungsbefürwortern<br />

lanciert worden ist (ab S.<br />

13.). Adrienne Weigl schließlich hat sich<br />

für uns die kürzlich veröffentlichten Forschungsarbeiten<br />

von Stammzellforschern<br />

in den USA vorgenommen: Sie zeigt auf,<br />

dass bei genauerem Hinsehen von<br />

»ethisch einwandfreien Stammzellen«,<br />

anderes als in vielen Zeitungen zu lesen<br />

war, keine Rede sein kann. Und all das<br />

ist nur ein Bruchteil von dem, was diese<br />

Ausgabe den an Fragen des Lebensrechts<br />

Interessierten zu bieten hat. Eine erhellende<br />

Lektüre wünscht<br />

Ihre<br />

Claudia Kaminski<br />

Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> und<br />

des Bundesverbandes Lebensrecht<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 3


TITEL<br />

Manager des Todes<br />

auf dem Vormarsch<br />

In der Schweiz arrangiert »Dignitas« schon seit Jahren den Tod auf Bestellung. Nun hat die Organisation<br />

auch in Deutschland ein Büro eröffnet. Doch die von Dignitas offerierte Beihilfe zum Selbstmord stößt<br />

nicht überall auf Widerspruch. Im Gegenteil: Die Stimmen, die selbst den Tod noch managen wollen,<br />

werden immer lauter.<br />

Von Tobias-B. Ottmar<br />

Angefangen hat es in der Edenstraße<br />

11 in Hannover. Dort, im<br />

Stadtteil List, hat der Verein<br />

Dignitas Ende September sein erstes Büro<br />

in Deutschland eröffnet. Die Organisation<br />

bietet schon seit Längerem in der Schweiz<br />

die Beihilfe zum Selbstmord an. Die ist<br />

<strong>–</strong> im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe <strong>–</strong><br />

auch in Deutschland nicht verboten.<br />

Mit der Ankündigung, dass die Sterbehilfeorganisation<br />

sich nun auch in<br />

Deutschland als Verein registrieren lassen<br />

will, ist eine Lawine losgegangen.<br />

Bis Anfang November habe<br />

der Verein über 1.000 Anfragen<br />

registriert, sagte Dignitas-<br />

Generalsekretär Ludwig Minelli.<br />

Bereits kurz nach Bekanntwerden,<br />

dass Dignitas nun auch<br />

in Deutschland die »Freitodbegleitung<br />

und -hilfe« anbieten<br />

wolle, kündigte die niedersächsische<br />

Justizministerin<br />

Elisabeth Heister-Neumann<br />

(CDU) Konsequenzen an. Über<br />

eine Bundesratsinitiative will<br />

sie versuchen, den Verein zu<br />

verbieten. Damit solle eine geschäftsmäßige<br />

Sterbehilfevermittlung<br />

unterbunden werden,<br />

sagte sie in der »Welt am Sonntag«.<br />

»Ich halte es für besonders<br />

problematisch, dass auch Menschen<br />

ohne unheilbare Krankheiten<br />

oder psychisch Kranken<br />

ohne körperliches Leiden leichte<br />

Selbsttötungsmöglichkeiten<br />

geboten werden«, betonte die<br />

50jährige Christdemokratin.<br />

Unterstützung erhielt die Ministerin<br />

vom Präsident der Bun-<br />

4<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

desärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe.<br />

Der sagte: »Wir müssen alle Mittel ausschöpfen,<br />

um die Etablierung dieser Organisation<br />

in Deutschland zu verhindern.«<br />

Doch ausgerechnet der Amtskollege<br />

von Heister-Neumann aus dem Norden<br />

leistete bei der neu aufflammenden Debatte<br />

Anschubhilfe: Der Hamburger Justizsenator<br />

Roger Kusch sprach sich Anfang<br />

Oktober für die aktive Sterbehilfe<br />

aus. Die Freiheit eines jeden Menschen<br />

über seinen Tod zu entscheiden, müsse<br />

respektiert werden. Kusch selber bezeichnet<br />

sich als Christ. Doch für ihn liegt der<br />

Anfang und das Ende des Lebens nicht<br />

in Gottes, sondern in Menschenhand.<br />

Nach seiner Auffassung sollte Sterbehilfe<br />

unter drei Voraussetzungen möglich sein:<br />

Die Bescheinigung eines Arztes, die belegt,<br />

dass der Patient unter einer tödlichen<br />

Krankheit leidet, ein ärztliches Beratungsgespräch<br />

und eine notariell beglaubigte<br />

Willenserklärung des Patienten.<br />

In der CDU scheint Kusch mit seinen<br />

Forderungen alleine zu stehen.<br />

Kurz nach seinem Vorstoß hat<br />

CDU-Generalsekretär Volker<br />

Kauder klargestellt, dass die<br />

Partei die aktive Sterbehilfe<br />

kategorisch ablehne. »Wir wollen<br />

Hilfe beim Sterben, nicht<br />

Hilfe zum Sterben«, sagte Kauder<br />

dem »Hamburger Abendblatt«.<br />

Der Leiter der CDU-<br />

Wertekommission Christoph<br />

Böhr schrieb im »Rheinischen<br />

Merkur«, wenn der Wert des<br />

Lebens nur noch bedingt gelte,<br />

»wird es heillosen Streit darüber<br />

geben, welche Eigenschaften<br />

eine solche Abstufung rechtfertigen«.<br />

Doch Kusch ist der Ansicht,<br />

dass es auch in seiner<br />

Partei viele gibt, »die mit Sicherheit<br />

meine Meinung<br />

teilen«.<br />

Einige FDP-Politiker witterten<br />

nach Kuschs Vorstoß<br />

Morgenluft. Und so trat niemand<br />

Geringeres als die frühere<br />

Bundesjustizministerin Sabine<br />

Leutheusser-Schnarrenberger<br />

auf den Plan. Sie sprach sich<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


dafür aus, »in ganz schweren Fällen aktive<br />

Sterbehilfe zuzulassen.« FDP-Chef Guido<br />

Westerwelle äußerte sich da schon<br />

vorsichtiger: »Käme ich in eine solche<br />

aussichtslose, quälende Situation, würde<br />

ich mir mit dem Bewusstsein von heute<br />

wahrscheinlich wünschen, dass sich meiner<br />

jemand erbarmt.« Dennoch wolle er<br />

weiterhin noch »über diese grundsätzliche<br />

Frage nachdenken«.<br />

Der Stuttgarter Philosoph Robert<br />

Spaemann warf hinsichtlich der andauernden<br />

Diskussion die Frage auf, wer<br />

denn entscheiden solle, wann ein schwerer<br />

Fall vorliege und wann nicht. Er fände<br />

das eine Anmaßung. Im <strong>LebensForum</strong>-<br />

Interview sagte er: »Wir können doch<br />

nicht sagen: »Der darf« oder »Der darf<br />

nicht«. Spaemann verglich die Diskussion<br />

sogar mit der Nazi-Propaganda im dritten<br />

Reich. Da habe man auch »sehr auf Mitleid<br />

und Emotionen« gesetzt. Sein Berliner<br />

Kollege Volker Gerhardt kritisierte<br />

ihn dafür in der »Stuttgarter Zeitung«<br />

und bezeichnete Spaemanns Äußerungen<br />

als »starken Tobak«. Doch letztendlich<br />

kam er auch zu dem Schluss, dass aktive<br />

Sterbehilfe verboten bleiben solle.<br />

Auch wenn sich viele gegen eine Legalisierung<br />

aussprechen, so ist die Lobby<br />

der Befürworter nicht zu unterschätzen.<br />

Laut Wolfgang van den Daele, Mitglied<br />

im Nationalen Ethikrat, sei die<br />

Sterbehilfe auch in Deutschland im Grunde<br />

längst akzeptiert. In der Wochenzeitung<br />

»Die Zeit« schrieb er, die »Positionen<br />

der Entscheidungseliten« würden<br />

»sich immer stärker von den Wertvorstellungen<br />

der Bevölkerung entfernen.« Als<br />

Argument führt er einige Umfragen an:<br />

Danach haben 2001 64 Prozent der Befragten<br />

der Aussage zugestimmt: »Ein<br />

schwer kranker Patient im Krankenhaus<br />

soll das Recht haben zu verlangen, dass<br />

»Rechtzeitig sterben, um die<br />

Angehörigen nicht zu belasten.«<br />

Aus dem Dignitas-Tätigkeitsbericht 2003<br />

WWW:FDP-FRAKTION.DE<br />

ein Arzt ihm eine todbringende Spritze<br />

gibt.« 1973 sollen das noch 53 Prozent<br />

gewesen sein. 60 Prozent der Protestanten<br />

und 68 Prozent der Katholiken seien<br />

dafür, dass ein Mensch selbst entscheiden<br />

könne, ob er leben oder sterben wolle.<br />

Auch das Meinungsforschungsinstitut<br />

Forsa stellte eine große Zustimmung zur<br />

aktiven Sterbehilfe fest. Danach seien<br />

drei Viertel der Deutschen dafür, dass ein<br />

Arzt einem Schwerstkranken auf persönlichen<br />

Wunsch ein tödliches Mittel geben<br />

kann. Doch diese Ergebnisse spiegeln die<br />

Wirklichkeit nicht korrekt wider. In den<br />

Umfragen wurden den Befragten keine<br />

Alternativen zur aktiven Sterbehilfe vorgeschlagen.<br />

Nicht so bei einer Umfrage<br />

von TNS-Infratest. Die ermittelte einen<br />

deutlich anderen Wert. Nach dieser Befragung,<br />

die von der Deutschen Hospizstiftung<br />

in Auftrag gegeben worden war,<br />

befürworten nur 35 Prozent der Bevölkerung<br />

die aktive Sterbehilfe. Der Grund<br />

für die Differenz liegt aber nicht etwa in<br />

großen Meinungsschwankungen der Bevölkerung,<br />

sondern vielmehr im Vorwissen.<br />

Bei der Umfrage von TNS-Infratest<br />

Guido Westerwelle, FDP<br />

waren den befragten Personen Alternativen<br />

zur aktiven Sterbehilfe angeboten<br />

worden. Das führte dazu, dass 56 Prozent<br />

sich für die Palliativmedizin und Hospizarbeit<br />

aussprachen. Im Vergleich zu einer<br />

1997 durchgeführten Umfrage ist dieser<br />

Anteil sogar um 21 Prozentpunkte gestiegen.<br />

Wenn man sich die Ergebnisse nach<br />

der Parteipräferenz anschaut, fällt allerdings<br />

etwas Beunruhigendes auf: So sprachen<br />

sich 53 Prozent der Wähler der<br />

Linkspartei für die aktive Sterbehilfe aus.<br />

Die Wähler von Parteien am rechten<br />

Rand (DVU und Republikaner) votierten<br />

gar zu 95 Prozent dafür. Linkspartei und<br />

Republikaner, welche die Fünf-Prozent-<br />

Hürde verfehlten, kamen bei der letzten<br />

Bundestagswahl auf über zehn Prozent.<br />

Die Befürworter der aktiven Sterbehilfe<br />

setzen auf enge Grenzen, die es<br />

geben solle. Doch diese sind nach Ansicht<br />

vieler Gegner nicht durchzuhalten. Auch<br />

in den Niederlanden war die Regelung<br />

erst sehr eng gefasst. Doch Jahr für Jahr<br />

steigen dort die Fälle der Sterbehilfe.<br />

2001 wurde bereits an fast einem Viertel<br />

der rund 3.700 Getöteten Sterbehilfe<br />

ARCHIV<br />

ohne ein Verlangen des Patienten angewendet.<br />

Dort wird sogar bereits Sterbehilfe<br />

an Säuglingen geleistet.<br />

Der Bundestagsabgeordnete und Sprecher<br />

der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

in der Enquete-Kommission »Ethik und<br />

Recht der modernen Medizin« Thomas<br />

Rachel sagte gegenüber dem <strong>LebensForum</strong>,<br />

dass »eine Abgrenzung, wann die<br />

Assistenz eines Suizides geleistet werden<br />

sollte« unmöglich wäre. Ebenso sei auch<br />

»die Abgrenzung, wann aktive Sterbehilfe<br />

zulässig sein sollte« nicht machbar. In<br />

den Niederlanden werde derzeit darüber<br />

diskutiert »ob aktive Sterbehilfe auch<br />

bereits bei der Diagnose von Alzheimer<br />

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP<br />

oder auch bei Lebensüberdruss erlaubt<br />

sein sollte.«<br />

Für den Verein Dignitas ist allerdings<br />

nicht das westliche Nachbarland, sondern<br />

die Schweiz das große Vorbild. Der Potsdamer<br />

Rechtsanwalt Dieter Graefe, der<br />

die Organisation in Deutschland rechtlich<br />

vertritt, äußerte jüngst im Interview: »Das<br />

ganz große Ziel von Dignitas ist, die<br />

Schweizer Verhältnisse in Deutschland<br />

einzuführen.« Konkret würde das bedeuten,<br />

dass Dignitas-Deutschland seinen<br />

Mitgliedern auch das Sterbemittel Natrium-Pentobarbital<br />

zur Verfügung stellen<br />

könnte. Drei bis fünf Gramm des Mittels<br />

führen zum Tod. Dignitas gibt den Todeswilligen<br />

in der Regel 15 Gramm. Bislang<br />

gilt die Verabreichung des Mittels<br />

in Deutschland als Verstoß gegen das<br />

Betäubungsmittelgesetz.<br />

Nach Angaben von Dignitas habe man<br />

allein im vergangenen Jahr 79 Menschen<br />

zum Selbstmord verholfen. Nicht immer<br />

handelt es sich dabei um lebensbedrohliche<br />

Krankheiten. Aus dem Tätigkeitsbericht<br />

der Organisation von 2003 ist ersichtlich,<br />

dass beispielsweise ein <strong>76</strong>jähriger<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 5


TITEL<br />

Mann mit Alzheimer die Freitodhilfe für<br />

sich in Anspruch nahm. »Er legte Wert<br />

darauf, rechtzeitig zu sterben, um nicht<br />

eine »Alzheimer-Karriere« durchmachen<br />

und so seine Angehörigen schwer belasten<br />

zu müssen«, heißt es in dem Bericht. Ein<br />

anderer Mann im Alter von 55 Jahren sei<br />

seit 1994 halbseitig gelähmt gewesen. Die<br />

Ursache: Eine Schussverletzung, die er<br />

sich selbst in suizidaler Absicht zugefügt<br />

habe.<br />

Dignitas‘ führende Kräfte halten nicht<br />

viel von Statuten, die sich über Jahrhunderte<br />

bewährt haben. Der zweite Vorsitzende<br />

der Organisation Christian-Uwe<br />

Arnold sagte gegenüber <strong>LebensForum</strong>,<br />

man könne den »Hippokratischen Eid<br />

gleich vergessen«. Der Berliner Arzt hat<br />

selbst diesen Eid nicht geschworen. »Der<br />

Hippokrates ist nicht mehr up to date«,<br />

sagte er zu der Formel, die der griechische<br />

Arzt und Schriftsteller Hippokrates (ca.<br />

460 <strong>–</strong> 370 vor Christus) in seinen medizinischen<br />

Schriften formuliert hatte.<br />

Gleichzeitig zitiert Arnold aber jenen<br />

Hippokrates mit den Worten, der Arzt<br />

müsse sich im Unheilbaren auskennen,<br />

»damit er nicht nutzlos quäle«. In der<br />

ärztlichen Selbstverpflichtung ist allerdings<br />

auch klar formuliert, dass der Arzt<br />

nie jemandem zum Tod verhelfen soll:<br />

»Ich werde niemandem, auch nicht auf<br />

eine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen<br />

oder auch nur dazu raten.« Damit<br />

verbietet dieser ethische Eid nicht nur<br />

die aktive Sterbehilfe, sondern auch die<br />

Beihilfe zum Suizid.<br />

»Am sichersten<br />

funktioniert der ICE.«<br />

Dignitas-Chef Ludwig Minelli<br />

Arnold ist aus Überzeugung bei Dignitas.<br />

Der Agnostiker kennt den Sterbealltag.<br />

Die Ärzte gingen an einem Sterbezimmer<br />

lieber schnell vorbei, sagt er. Mit<br />

Dignitas wolle man einerseits praktische<br />

Hilfe leisten. Auf der anderen Seite bietet<br />

der Verein seinen Mitgliedern auch eine<br />

juristische Beratung an, »was in Deutschland<br />

alles bereits möglich ist.« Dignitas<br />

will damit auch provozieren, sieht sich<br />

aber nicht als Gegner der Hospizbewegung<br />

oder der Palliativmedizin. »Die<br />

sollen unterstützt werden«, meint Arnold.<br />

Doch es solle auch akzeptiert werden,<br />

dass nicht alle so sterben wollen. Dennoch:<br />

Dignitas sei kein Tötungsclub.<br />

»Sonst würde ich als Arzt da auch nicht<br />

mitmachen. Die meisten Gespräche und<br />

6<br />

STICHWORT<br />

Dignitas<br />

Dignitas wurde am 17. Mai 1998 vom<br />

Züricher Rechtsanwalt Ludwig Minelli<br />

gegründet. Die Organisation will nach<br />

eigenen Angaben ihren Mitgliedern ein<br />

»Menschenwürdiges Leben wie auch<br />

ein menschenwürdiges Sterben« ermöglichen.<br />

Für eine Eintrittsgebühr von rund<br />

<strong>76</strong> Euro und einem Mitgliedschaftsbeitrag<br />

von 38 Euro ist man dabei. Dignitas<br />

steht für die Sterbevorbereitung, Sterbebegleitung<br />

und Freitodhilfe zur Verfügung.<br />

In der Schweiz hat der Verein rund 4800<br />

Mitglieder, in Deutschland läuft derzeit<br />

das Verfahren, sich als Verein eintragen<br />

zu lassen. Bislang hat Dignitas 453 Menschen<br />

zum Tod verholfen.<br />

Diskussionen, die wir führen, sind zum<br />

Leben hin. Allein die Tatsache, dass Menschen<br />

mit ihrem Arzt darüber sprechen<br />

können, ist bereits eine Lebenshilfe.«<br />

Doch immerhin hat Dignitas bereits mindestens<br />

453 Menschen den vorzeitigen<br />

Tod ermöglicht. Mehr als die Hälfte kamen<br />

davon aus Deutschland. Für einen<br />

Verein, der sieben Jahre nach seiner Gründung<br />

fast 5.000 Mitglieder hat, keine<br />

kleine Zahl.<br />

Wohlmöglich haben die Todeshelfer<br />

selber nicht damit gerechnet, dass ihnen<br />

so viel Aufmerksamkeit geschenkt werden<br />

würde. Diese Ansicht vertritt zumindest<br />

Arnold. Doch das provokante Auftreten<br />

des Vereinsvorsitzenden Ludwig Minelli<br />

lässt daran zweifeln. Er will das »Selbstbestimmungsrecht<br />

des mündigen Menschen<br />

auch in Deutschland« durchsetzen. Für<br />

ihn ist der Selbstmord »eine großartige<br />

Möglichkeit, sich einer aussichtslosen<br />

Situation zu entziehen«, wird er in der<br />

TAZ zitiert. Er wirkt fast suizidfanatisch,<br />

wenn er sein Bedauern darüber äußert,<br />

dass in Deutschland Lebensmüde leider<br />

nur wenig Möglichkeiten hätten sich<br />

umzubringen. »Am sichersten funktioniert<br />

der ICE«, führt Minelli seine absurden<br />

Ansichten weiter aus. Auch sein Hinweis,<br />

80 Prozent der Leute würden sich<br />

nicht mehr melden, nachdem sie von<br />

Dignitas die Mitteilung erhalten hätten,<br />

ein Arzt sei bereit das Rezept für eine<br />

Freitod-Begleitung zu schreiben, tröstet<br />

nicht über dieses verquerte Bild von einem<br />

menschenwürdigen Sterben hinweg. Mit<br />

dem <strong>LebensForum</strong> wollte er übrigens<br />

nicht über seine Organisation sprechen.<br />

Abtreibungsgegner bezeichnete er als<br />

»Sektierer«.<br />

Vielleicht sind die Vorwürfe, die Leute<br />

wie der Vorsitzende der Deutschen Hospizstiftung<br />

Eugen Brysch gegenüber<br />

Dignitas erheben, nicht zu 100 Prozent<br />

berechtigt. Der verteilte bei einer spontanen<br />

Demonstration vor einem Hotel,<br />

in dem sich zeitgleich Minelli aufhielt,<br />

Zettel mit der eidgenössischen Flagge.<br />

Darauf stand: »Schweizer Geschäfte mit<br />

dem Tod«. Doch wie viel Geldgier und<br />

wie viel Ideologie hinter dem Ansinnen<br />

von Dignitas steckt, ist derzeit nicht auszumachen.<br />

Für Brysch ist allerdings nicht allein<br />

die Niederlassung von Dignitas problematisch.<br />

Er findet es »entsetzlich, dass<br />

wir sowohl in der Politik als auch in der<br />

Wissenschaft die Würde in jeder Form<br />

so inflationär benutzen und missbrauchen«,<br />

sagte er gegenüber dem Lebens-<br />

Forum. Die Forderung von Politikern<br />

wie Kusch stelle die »Hilfeleistungsethik<br />

auf den Kopf«. Statt das Leid zu beseitigen,<br />

werde der Leidende beseitigt. »Es<br />

ist ein Wahn zu glauben, dass die geregelte<br />

Tötung von Menschen unter objektiven<br />

Tatbeständen tatsächlich möglich ist«, so<br />

Bryschs Auffassung.<br />

Doch klar ist: Der Verein hat einer<br />

bereits lang schwelenden Debatte wieder<br />

neuen Schwung gegeben. Allerdings zeigen<br />

sich auch die Gegner der aktiven<br />

Sterbehilfe nicht untätig: Bundesgesundheitsministerin<br />

Ulla Schmidt (SPD) reagierte<br />

mit einem Millionenprogramm auf<br />

die Rufe nach einer Legalisierung der<br />

aktiven Sterbehilfe. Danach sollen jährlich<br />

250 Millionen Euro für die Pflege<br />

Todkranker bereitgestellt werden. 330<br />

Teams aus Ärzten und Pflegekräften sollten<br />

künftig für eine ambulante schmerzlindernde<br />

Palliativversorgung bereit stehen.<br />

Die Finanzierung dieses Vorhabens<br />

ist allerdings noch unklar.<br />

Die stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende<br />

Maria Böhmer (CDU) begrüßte<br />

das Vorhaben. Sie wolle »keine<br />

niederländischen oder belgischen Verhältnisse«.<br />

Das wollen wohl die Wenigsten.<br />

Selbst die Liberalen sind sich bei<br />

der Frage über die aktive Sterbehilfe<br />

uneins. So sagte das FDP-Präsidiumsmitglied<br />

Philip Rösler gegenüber der<br />

Berliner Morgenpost, er lehne die aktive<br />

Sterbehilfe »zum jetzigen Zeitpunkt« ab.<br />

Die FDP-Forschungspolitikerin Ulrike<br />

Flach ist dagegen der Auffassung, dass<br />

die Debatte »nicht unterdrückt werden«<br />

dürfe. Man solle darüber reden, »ob es<br />

ethisch vertretbare Antworten für die<br />

Menschen gibt, denen selbst die moderne<br />

Palliativmedizin nicht mehr helfen kann«.<br />

Die Oppositionskollegen aus den Reihen<br />

von Bündnis '90/Die Grünen zeigen<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


ARCHIV<br />

sich dagegen einhelliger. So sprach sich<br />

die Bundestagsvizepräsidentin Katrin-<br />

Göring-Eckardt gegen eine Legalisierung<br />

der aktiven Sterbehilfe aus. Sie verwies<br />

auf die Niederlande, wo sich die gesellschaftliche<br />

Stimmung durch die Euthanasie-Regelung<br />

stark verändert habe.<br />

Auch die parlamentarische Geschäftsführerin<br />

und Sprecherin für Altenpolitik<br />

Irmingard Schewe-Gerigk sprach sich<br />

klar gegen die aktive Sterbehilfe aus.<br />

Allerdings forderte sie, dass in der neuen<br />

Legislaturperiode das Thema Patientenverfügungen<br />

wieder auf die Tagesordnung<br />

gesetzt werde. »Bedingung muss dabei<br />

sein, dass die Patientenverfügung die Situation<br />

beschreibt, die im konkreten Fall<br />

eingetreten ist, und dass es kein Anzeichen<br />

dafür gibt, dass der Mensch in der Zwischenzeit<br />

seinen Willen geändert hat.«<br />

Palliativmedizin und Hospizarbeit sollten<br />

Roger Kusch, CDU<br />

ausgebaut werden. Schewe-Gerigk setzt<br />

sich aber auch für eine klare Regelung<br />

bei der Beihilfe zum Selbstmord ein: Sie<br />

sprach sich für die Straffreiheit aus, selbst<br />

wenn sich die Verabreichung eines<br />

schmerzstillenden Mittels im Einzelfall<br />

lebensverkürzend auswirken könne. Doch<br />

auch bei dieser eher vorsichtigen Formulierung<br />

scheint der Schritt zur aktiven<br />

Sterbehilfe nicht mehr weit.<br />

Andere sehen in der Debatte eine<br />

Chance. So die Bundesfamilienministerin<br />

Ursula von der Leyen (CDU), welche<br />

den Diskurs grundsätzlich begrüßte. Eine<br />

Diskussion über das Thema Sterbehilfe<br />

könne helfen, juristische Grauzonen zu<br />

klären. Die Mutter von sieben Kindern<br />

lehnt die Tötung unheilbar Kranker allerdings<br />

ab. Auch sie will gegen Dignitas<br />

rechtlich vorgehen.<br />

Bei allem Unbehagen, das sich bei den<br />

Beobachtern dieser Diskussion breit machen<br />

mag, könnte die Debatte aber auch<br />

einen positiven Effekt haben. So versprach<br />

Bischof Wolfgang Huber auf der Anfang<br />

November abgehaltenen EKD-Synode,<br />

ARCHIV<br />

sich auch für den Lebensschutz am Beginn<br />

des Lebens stärker einsetzen zu wollen.<br />

Auf Empfehlung einer württembergischen<br />

Synodalin kündigte er an, die vom Verfassungsgericht<br />

geforderte Überprüfung<br />

des Paragrafen 218 bei der neuen Bundesregierung<br />

anzumahnen.<br />

Eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe<br />

wird in Deutschland vorerst wohl<br />

nicht erfolgen. Mitte November lehnte<br />

die Justizministerkonferenz einen Antrag<br />

von Kusch ab, der über das Thema beraten<br />

wollte. Die Kollegen verwiesen auf<br />

»die Gefahr eines Dammbruchs beim<br />

Lebensschutz und auf die Sorge vor einem<br />

Missbrauch«. Im Streit um die Patientenverfügungen<br />

will die große Koalition in<br />

dieser Legislaturperiode zu einem Ergebnis<br />

kommen. Im Koalitionsvertrag von<br />

CDU/CSU und SPD heißt es: »Die Koalitionspartner<br />

schlagen vor, in der neuen<br />

Thomas Rachel, CDU<br />

Legislaturperiode die Diskussion über<br />

die gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung<br />

fortzuführen und abzuschließen.«<br />

Der CDU-Abgeordnete Rachel ist der<br />

Ansicht, dass Hospizdienste und Palliativmedizin<br />

Schmerzen, Leid und Ängste<br />

weitgehend lindern könnten, so »dass<br />

sich die Frage nach einer Zulassung der<br />

aktiven Sterbehilfe nicht stellt.« Es sei<br />

angesichts der Diskussion auch zu überlegen,<br />

»ob die professionell vermittelte<br />

Hilfe zum Selbstmord nicht unter Strafe<br />

gestellt werden sollte«. Die Übergänge<br />

seien schließlich fließend: »Die Beihilfe<br />

zum Selbstmord kann schnell zur aktiven<br />

Sterbehilfe werden, wenn der Arzt den<br />

Geschehensablauf in den Händen hält<br />

und nicht mehr der Patient. Ob der Patient<br />

das Medikament einnimmt oder ob<br />

es ihm gespritzt wird, spielt dann nicht<br />

mehr die entscheidende Rolle.«<br />

Beendet ist die Debatte also auf keinen<br />

Fall. Denn wenn Dignitas in Deutschland<br />

seine Arbeit erst einmal richtig aufgenommen<br />

hat, fängt die Problematik im Grunde<br />

ARCHIV<br />

»Wenn Tötung zur Normalität<br />

wird, gibt es kein Halt mehr.«<br />

Thomas Rachel, MdB<br />

erst wirklich an. Viele Politiker sehen<br />

zwischen der Beihilfe zum Selbstmord<br />

und der aktiven Sterbehilfe einen großen<br />

Unterschied. Doch der ist nur marginal.<br />

Schließlich ist der Unterschied sehr gering,<br />

ob der Arzt dem Patienten die Tabletten<br />

in die Hand drückt oder direkt<br />

in den Mund steckt. Wenn der Gesetzgeber<br />

auch nicht die Beihilfe zum Suizid<br />

unter Strafe stellt, könnte es auch hierzulande<br />

einen neuen Sterbeboom geben.<br />

Bei der Beleuchtung der heutigen Argumente<br />

für die aktive Sterbehilfe fallen<br />

zudem Parallelen zu früheren Diskussionen<br />

auf. Eugen Brysch drückt es vorsichtig<br />

aus: »Vielleicht gibt es ja irgendwann<br />

einmal eine Dissertation über einen Vergleich<br />

zwischen dieser Nazi-Propaganda<br />

(Film: »Ich klage an«, Anm. d. Red.) und<br />

dem Film »Das Meer in mir«.« Während<br />

»Ich klage an« den Höhepunkt des Euthanasie-Programms<br />

im Dritten Reich<br />

darstellt, spielt »Das Meer in mir« in<br />

unserer heutigen Zeit. In beiden Filmen<br />

wird das Thema aktive Sterbehilfe behandelt.<br />

Unabhängig davon, ob die aktive Sterbehilfe<br />

zugelassen wird, wird der Kampf<br />

um das Lebensrecht weitergehen. »Wenn<br />

Tötung zur Normalität wird, gibt es kein<br />

Halten mehr«, fürchtet der CDU-Abgeordnete<br />

Rachel. Die Geschichte der Abtreibung<br />

hat diese Ansicht bereits bestätigt.<br />

IM PORTRAIT<br />

Tobias-Benjamin Ottmar<br />

Der Autor, Jahrgang 1985, studiert an<br />

der FH Gelsenkirchen Journalismus /<br />

Technik-Kommunikation. Neben dem<br />

Studium und der<br />

journalistischen Tätigkeit<br />

für verschiedene<br />

Zeitungen und<br />

<strong>Magazin</strong>e engagiert<br />

er sich in der<br />

»Jugend für das<br />

Leben«, der Jugendorganisation der<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>), den<br />

»Christdemokraten für das Leben« (CDL)<br />

und anderen Organisationen für das<br />

Lebensrecht.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 7


TITEL<br />

IM PORTRAIT<br />

Robert Spaemann<br />

Geboren 1927 in Berlin, promovierte<br />

1952 in Münster und war danach als<br />

Verlagslektor und Universitätsassistent<br />

tätig. Von 1962 bis 1992, nach der Habilitation<br />

in den Fächern Philosophie<br />

und Pädagogik lehrte Robert Spaemann<br />

als ordentlicher Professor an den Unis<br />

Stuttgart, Heidelberg und München.<br />

8<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong><br />

DPA


»Ungeheurer<br />

moralischer Druck«<br />

Robert Spaemann zählt zu den profiliertesten Anwälten der Würde der Person. Wo immer Menschen<br />

das Recht auf Leben abgesprochen wird, meldet sich der Stuttgarter Philosoph zu Wort. So auch in<br />

der aktuellen Debatte um die »Tötung auf Verlangen«. Für <strong>LebensForum</strong> sprach Tobias-B. Ottmar<br />

mit ihm über die Folgen legalisierter Sterbehilfe.<br />

<strong>LebensForum</strong>: Wie weit geht die Selbstbestimmung<br />

des Menschen am Lebensende?<br />

Spaemann: Seine Selbstbestimmung<br />

ist eigentlich unbegrenzt. Die moralische<br />

Frage ist eine Frage für sich. Wenn ein<br />

Mensch sich töten will, dann kann er dies<br />

<strong>–</strong> auch vom Gesetz her <strong>–</strong> tun.<br />

Sollte ein Mensch das Recht haben, jemanden<br />

anderen zu bitten ihn umzubringen, wenn er dies<br />

selber nicht mehr machen kann?<br />

Er hat nicht das Recht, dass dieser Bitte<br />

entsprochen wird. Der Staat darf das<br />

nicht erlauben. Zwischenmenschliche<br />

Beziehungen unterliegen prinzipiell rechtlichen<br />

Regeln.<br />

Ihr Kollege Volker Gerhardt hat Ihre Äußerungen<br />

in der Stuttgarter Zeitung als »starken Tobak«<br />

bezeichnet. Wie stehen Sie zu seinen Äußerungen?<br />

Den Artikel von Volker Gerhardt kann<br />

man nicht ernst nehmen. Erst führt er<br />

schweres Geschütz gegen mich auf um<br />

dann letztlich auch zu dem Schluss zu<br />

kommen, dass er gegen die aktive Sterbehilfe<br />

ist. Es ist nun einmal so: Wenn man<br />

den Film der Nazis sieht, der sehr auf<br />

Mitleid und Emotionen setzt, dann hätte<br />

dieser Film auch heute gedreht werden<br />

können. Die Argumentation ist vollkommen<br />

dieselbe wie heute. Wenn man die<br />

psychiatrischen Gutachten von damals<br />

liest, argumentieren die Gutachter auch<br />

nicht mit dem »Volkswohl«, sondern vom<br />

Patienten aus. Aber am Ende stand die<br />

massenhafte Tötung.<br />

Viele, die dafür sind die Regeln auszuweiten,<br />

verweisen zugleich auf die »engen Grenzen«, die<br />

gesetzt werden sollen. Ist dies nur eine absichtliche<br />

vorsichtige Formulierung um jetzt erst einmal<br />

einen Teilsieg zu erreichen und später weitergehen<br />

zu können?<br />

Bei manchen Leuten ist das wohl so,<br />

dass sie jetzt erst das eine fordern um<br />

später noch weitergehen zu können. Ich<br />

bin auch der Meinung, dass für die passive<br />

Sterbehilfe klarere Regelungen getroffen<br />

werden müssen. Ich habe bereits vor 30<br />

Jahren geschrieben, dass, wenn man die<br />

Menschen zum Weiterleben durch lebensverlängernde<br />

Maßnahmen zwingt,<br />

unweigerlich der Ruf nach Euthanasie<br />

folgen wird. Und heute ist das nun eingetreten.<br />

Wie bewerten sie die »Freitodhilfe«, wie sie<br />

auch von dem in Deutschland neu gegründeten<br />

Verein »Dignitas« geleistet wird?<br />

Es ist Beihilfe zum Selbstmord und<br />

das ist nicht strafbar. Wir haben da allerdings<br />

einen gesetzlichen Widerspruch:<br />

Der Arzt kann dem Patienten zwar Mittel<br />

geben, dass er sich selbst umbringen kann,<br />

muss ihn dann aber reanimieren. Ich ziehe<br />

daraus einen anderen Schluss als Gerhardt.<br />

Ich meine, dass die Beihilfe zum<br />

Selbstmord unter Strafe gestellt werden<br />

muss. Der Arzt ist verpflichtet, Diener<br />

des Lebens zu sein. In meinen jungen<br />

Jahren erkannte man Anti-Nazi-Ärzte<br />

daran, dass sie den Hippokratischen Eid<br />

aufgehangen hatten. Ich möchte nicht,<br />

dass das wieder nötig wird.<br />

Was hätte es für Konsequenzen, wenn die aktive<br />

Sterbehilfe in Deutschland eingeführt werden<br />

würde?<br />

Dann werden sich genügend Leute<br />

finden, die das praktizieren. Enge Regeln<br />

sind da nicht durchzuhalten. Denn wenn<br />

ein Mensch das Recht hat, die Tötung<br />

zu verlangen, so ist er auch für alles verantwortlich.<br />

Das heißt, für alle Konsequenzen,<br />

die es hat, wenn er nicht danach<br />

verlangt. Dadurch entsteht ein ungeheurer<br />

moralischer Druck auf den Patienten.<br />

Das liegt in der Logik der Sache. Entweder<br />

gibt es das Recht oder nicht.<br />

Zudem können wir uns doch wohl<br />

kaum anmaßen, die Wünsche des Patienten<br />

zu beurteilen. Wir können doch nicht<br />

sagen: »Der darf«, oder »Der darf nicht!«.<br />

Das würde beispielsweise auch bedeuten,<br />

dass der Kannibale von Fulda nicht bestraft<br />

werden dürfte, da der Mensch, den<br />

er aufgegessen hatte, dies ja wollte.<br />

Wenn wir die aktive Sterbehilfe in<br />

Deutschland erlauben, dann werden wir<br />

holländische Zustände bekommen.<br />

Vielen Dank für das Gespräch.<br />

BUCHTIPP<br />

Robert Spaemann:<br />

Grenzen. Zur ethischen<br />

Dimension des Handelns.<br />

Verlag Klett-Cotta,<br />

2. Aufl. Stuttgart 2002.<br />

558 Seiten. 35,00 EUR.<br />

Robert Spaemann:<br />

Personen. Versuche<br />

über den Unterschied<br />

zwischen ‚etwas' und<br />

‚jemand'. Verlag Klett-<br />

Cotta, 2. Aufl. Stuttgart<br />

1998. 275 Seiten. 25,00 EUR.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 9


A USLAND<br />

DANIEL RENNEN<br />

Der Preis des<br />

Abtreibungsrechts<br />

30 Jahre nach Freigabe der vorgeburtlichen Kindstötung in den USA ziehen zwölf amerikanische<br />

Autorinnen Bilanz: Ihr Fazit: Die Legalisierung der Abtreibung hat verheerende Folgen <strong>–</strong> nicht nur<br />

für die Gesellschaft, sondern auch für die Frauen selbst.<br />

Von Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

Seit gut 30 Jahren ist in den USA,<br />

aber auch vielen anderen westlichen<br />

Ländern, der freie Zugang zur<br />

Abtreibung geltendes Recht. Eine ganze<br />

Generation ist inzwischen herangewachsen,<br />

für die es völlig normal ist, jederzeit<br />

und aus jedem beliebigen Grund eine<br />

unerwünschte Schwangerschaft beenden<br />

zu können. »The Cost of ›Choice‹«, die<br />

Kosten des Abtreibungsrechts, heißt ein<br />

kleiner Band, in dem zwölf amerikanische<br />

Frauen eine Bewertung dieses Rechts und<br />

der dadurch verursachten Entwicklungen<br />

vornehmen.<br />

DER WEG ZUM RECHT AUF ABTREIBUNG<br />

Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein<br />

waren nach Serrin M. Foster, Vorsitzende<br />

10<br />

der Feministen für das Leben, die amerikanischen<br />

Feministinnen weitgehend und<br />

oft vehement gegen Abtreibung eingestellt.<br />

Für sie sei es selbstverständlich<br />

gewesen, dass Frauen, die selbst unter<br />

ihrer Abhängigkeit von Männern gelitten<br />

hatten, nicht ihrerseits das ungeborene<br />

Kind als Verfügungsmasse betrachten<br />

dürften.<br />

Erst in den sechziger Jahren des 20.<br />

Jahrhunderts änderte sich diese Einstellung,<br />

als die Abtreibungs-Lobbyisten<br />

Larry Lader und Bernard Nathanson<br />

erfolgreich versuchten, die amerikanischen<br />

Frauenverbände für ihre Sache zu<br />

gewinnen. Das Recht auf Abtreibung, so<br />

die Argumentation Laders und Nathansons,<br />

sei für die Gleichberechtigung der<br />

Frau in der modernen Gesellschaft unverzichtbar,<br />

vor allem auch in der Arbeitswelt.<br />

Seither entwickelte sich die Forderung<br />

nach dem uneingeschränkten Recht<br />

auf Abtreibung zu der zentralen Kernforderung<br />

der meisten Feministinnen und<br />

Frauenverbände. Dies ist bis heute unverändert.<br />

Durchgesetzt wurde das Recht auf<br />

Abtreibung in den USA 1973 durch zwei<br />

Urteile des Obersten Gerichtshofes: das<br />

bekannte Urteil »Roe vs. Wade« und das<br />

nicht minder bedeutende »Doe vs.<br />

Bolton«. Zusammen betrachtet, so meint<br />

die Rechtsgelehrte Mary Ann Glendon,<br />

bewirkten die Urteile nicht weniger als<br />

das faktische Recht auf Abtreibung bis<br />

zur Geburt. Auf Grundlage dieser beiden<br />

Urteile wurden lange Zeit selbst alle nur<br />

kosmetischen Regelungsversuche des Ab-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


treibungsrechts beiseite gefegt. Die USA<br />

hatten deswegen seither praktisch eine<br />

der freizügigsten Abtreibungsregelungen<br />

der Welt.<br />

GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN<br />

Der Kampf für das Abtreibungsrecht<br />

geht nach Meinung der Geisteswissenschaftlerin<br />

Fox-Genovese einher mit dem<br />

Versuch, die Rolle der Frau in der Welt<br />

umzudefinieren. Das geht bis hin zur<br />

Leugnung der biologischen Ursachen der<br />

Unterschiede zwischen Mann und Frau,<br />

als deren Quelle allein Gesellschaft, Erziehung<br />

und Tradition angesehen werden<br />

und die es auszumerzen gelte. Dafür wird<br />

das Recht auf Abtreibung als unverzichtbar<br />

angesehen, da nur so die Selbstverwirklichung<br />

der Frau und die angestrebte<br />

Individualisierung erreicht werden könnten.<br />

Kinder, vor allem unerwünschte,<br />

würden der Erreichung dieser Ziele nur<br />

störend im Wege stehen.<br />

Anstatt der Frau die ersehnte Freiheit<br />

und Gleichberechtigung zu bringen, hat<br />

das Recht auf Abtreibung nach Meinung<br />

der Juristinnen Dorinda Bordlee und<br />

Paige Comstock Cunningham vor allem<br />

bewirkt, dass die Gesellschaft die Frau<br />

mit der Kindererziehung und sozialen<br />

Notlagen alleine lässt, da nun die Abtreibung<br />

als billigste und effizienteste Problemlösung<br />

allzeit zur Verfügung steht.<br />

Die Gesellschaft schiebt die gesamte Verantwortung<br />

einfach auf die Mutter ab,<br />

denn diese hätte durch eine Abtreibung<br />

ja die Gelegenheit gehabt, sich alle Probleme<br />

zu ersparen. Insbesondere den<br />

männlichen Sexualpartnern der Frauen,<br />

also den (potentiellen) Vätern, wurde<br />

damit ein einfacher Weg bereitet, sich<br />

aus der Verantwortung zu stehlen.<br />

Am schlimmsten macht sich dieser<br />

Aspekt der Abtreibungsmentalität nach<br />

Ansicht der Jura-Professorin Elizabeth<br />

Schiltz bei behinderten Kindern bemerkbar.<br />

Wenn eine Frau durch pränatale<br />

Diagnostik weiß, dass sie ein behindertes<br />

Kind erwartet, wird immenser Druck zur<br />

Abtreibung von ihrer Umgebung aufgebaut,<br />

um der Gesellschaft die durch das<br />

Kind entstehenden Kosten zu ersparen.<br />

Bekommt sie das Kind dennoch, wird sie<br />

mit allen Problemen und Kosten weitgehend<br />

alleine gelassen. Auch das behinderte<br />

Kind selbst hat nichts Gutes zu erwarten.<br />

Es genießt geringere Priorität in der<br />

medizinischen Versorgung, Versicherungen<br />

lehnen seine Aufnahme ab und generell<br />

wird ihm vorgehalten, dass es am<br />

besten nicht geboren worden wäre.<br />

Bedenkenswert ist ebenfalls, welche<br />

Folgen das Recht auf Abtreibung nicht<br />

BUCHTIPP<br />

Erika Bachiochi (Hrsg.):<br />

The Cost of »Choice«<br />

Women Evaluate<br />

the Impact of<br />

Abortion<br />

Encounter Books, San<br />

Francisco, 2004. 180<br />

Seiten. 17,50 EUR.<br />

hatte. Dazu ruft die Journalistin Candace<br />

Crandall in Erinnerung, mit welchen<br />

Versprechungen die Abtreibungs-Lobbyisten<br />

in den sechziger und siebziger Jahren<br />

des 20. Jahrhunderts das Recht auf Abtreibung<br />

angepriesen hatten. Wie ein<br />

Wunderheilmittel sollte es angeblich gegen<br />

alle möglichen gesellschaftlichen<br />

Probleme wirken: uneheliche Kinder,<br />

erzwungene Eheschließungen, Kindesmissbrauch,<br />

Armut, Überbevölkerung,<br />

Todesfälle durch illegale Abtreibung und<br />

so weiter. Die meisten dieser Heilsversprechen<br />

sind unerfüllt geblieben. Im<br />

Gegenteil, viele der erwähnten Probleme<br />

wurden massiv verstärkt, da die frei verfügbare<br />

Abtreibung das Verantwortungsbewusstsein<br />

aushöhlte. De facto ist Abtreibung<br />

längst zu einem massenhaft<br />

angewandten Mittel der Geburtenkontrolle<br />

geworden. Von allen Frauen, die<br />

abtreiben, würde laut Crandall die Hälfte<br />

mindestens zwei Abtreibungen in ihrem<br />

Leben haben, ein Fünftel sogar mindestens<br />

fünf Abtreibungen.<br />

GESUNDHEITLICHE FOLGEN<br />

Stattdessen zeigte sich, dass Abtreibungen<br />

ganz andere, sehr handfeste und sehr<br />

negative Folgen für die betroffenen Frauen<br />

haben können. Wie die Gynäkologin<br />

Elizabeth Shadigian ausführt, ist inzwischen<br />

überzeugend belegt, dass durch<br />

eine Abtreibung das Risiko, Probleme<br />

mit der Gebärmutter zu bekommen, um<br />

ca. 50% steigt. Dies kann später Geburten<br />

durch Kaiserschnitt notwendig machen<br />

oder sogar den Verlust der Gebärmutter<br />

bedeuten. Das Risiko von Frühgeburten<br />

wird durch eine vorangegangene Abtreibung<br />

sogar verdoppelt. Auch lässt sich<br />

mittlerweile nicht mehr ernsthaft bestreiten,<br />

dass das Risiko, an Brustkrebs zu<br />

erkranken, um 20 bis 30 Prozent nach<br />

einer Abtreibung steigt.<br />

Die Ärztin Angela Lanfranchi führt<br />

dazu ausführlich aus, dass inzwischen eine<br />

Vielzahl verlässlicher Studien den Zusammenhang<br />

zwischen Abtreibung und Brustkrebs<br />

erwiesen haben. Zwei Studien, die<br />

immer wieder angeführt würden, um<br />

diesen Zusammenhang zu leugnen, die<br />

Studie von Melbye 1997 und die im<br />

Lancet 2004 veröffentlichte Studie von<br />

Beral, litten hingegen unter schweren<br />

wissenschaftlichen Mängeln. Im Übrigen<br />

ist der Zusammenhang zwischen Abtreibung<br />

und Brustkrebs physiologisch gut<br />

nachvollziehbar. Eine Abtreibung bewirkt,<br />

dass die Brüste der Frau in dem Zustand<br />

verbleiben, den sie während einer<br />

Schwangerschaft erreichen. In diesem<br />

Zustand sind sie jedoch für Brustkrebs<br />

äußerst anfällig. Erst ab der 32. Schwangerschaftswoche<br />

formen die Brüste die<br />

sogenannten Typ-3 und Typ-4 Lobuli<br />

aus, die gegen Brustkrebs resistent sind.<br />

Das ist der Grund, warum eine ausgetragene<br />

Schwangerschaft gegen Brustkrebs<br />

schützt und Frühgeburten <strong>–</strong> aus dem<br />

selben Grund wie Abtreibungen <strong>–</strong> das<br />

Brustkrebsrisiko erhöhen.<br />

Während der Zusammenhang zwischen<br />

Frühgeburten und Brustkrebs allgemein<br />

anerkannt ist, wird der Einfluss<br />

von Abtreibungen nach wie vor vehement<br />

geleugnet. Auf Wissenschaftler und Mediziner,<br />

die darüber öffentlich sprechen<br />

wollen, werde laut Lanfranchi massiver<br />

Druck ausgeübt. Sie würden keine Einladungen<br />

erhalten, Berufungen würden<br />

zurückgezogen, sie könnten nicht publizieren.<br />

Aber auch die anderen mit Abtreibungen<br />

im Zusammenhang stehenden<br />

Gesundheitsrisiken werden weitgehend<br />

geleugnet, selbst vom amerikanischen<br />

Gynäkologenverband. Die Abtreibungslobby<br />

hat so große Angst davor, dass diese<br />

Risiken bekannt werden und die Zweifel<br />

an der Abtreibung allgemein erhöhen,<br />

dass sie sogar vehement dagegen kämpft,<br />

abtreibungswillige Frauen über diese<br />

Risiken aufzuklären. Was bei jeder anderen<br />

medizinischen Prozedur selbstverständlich<br />

ist, darf bei Abtreibung offenbar<br />

nicht sein.<br />

In ähnlicher Weise tabuisiert werden<br />

auch die psychischen Folgen der Abtreibung,<br />

wie die Psychiaterin E. Joanne<br />

Angelo meint. Doch nach über 30 Jahren,<br />

in denen in den USA Dutzende Millionen<br />

Abtreibungen vorgenommen wurden,<br />

lassen sich die psychischen Folgen alleine<br />

aus quantitativen Gründen nicht mehr<br />

verleugnen. Sie sind inzwischen statistisch<br />

messbar und schlagen sich in ihren Auswirkungen<br />

bis auf die Krankenkassen<br />

durch. So ergab 2002 eine Auswertung<br />

kalifornischer Krankenkassendaten, dass<br />

Frauen in den ersten vier Jahren nach<br />

einer Abtreibung um 17% mehr psychologische<br />

Dienste in Anspruch nehmen<br />

mussten als in den ersten vier Jahren nach<br />

einer Geburt. Dieselben Daten ergaben<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 11


A USLAND<br />

Die Frau ist oft das zweite Opfer der Abtreibung.<br />

12<br />

auch, dass Frauen im gleichen Zeitraum<br />

nach einer Abtreibung ein signifikant<br />

höheres Sterberisiko haben als nach einer<br />

Geburt. Dabei ging es nicht nur um<br />

Selbstmord, sondern um alle Todesarten,<br />

was die Autoren der Studie zu Spekulationen<br />

über selbstzerstörerische Tendenzen<br />

bei Frauen nach einer Abtreibung<br />

veranlasste. Drastischer noch sind Daten<br />

aus Finnland aus den neunziger Jahren,<br />

aus denen hervorgeht, dass die Selbstmordrate<br />

bei Frauen im ersten Jahr nach<br />

einer Abtreibung drei Mal so hoch war<br />

wie bei Frauen allgemein und sogar sechs<br />

Mal so hoch wie bei Frauen im ersten<br />

Jahr nach einer Geburt.<br />

Doch eine legale Abtreibung kann<br />

auch ganz direkt tödlich sein, und zwar<br />

nicht nur für das ungeborene Kind, sondern<br />

auch für die abtreibende Mutter.<br />

Nach Anwältin Denise Burke hat gerade<br />

die totale Legalisierung der Abtreibung<br />

durch Roe vs. Wade dazu geführt, dass<br />

in den USA lange Zeit so gut wie keine<br />

Kontrollen der Abtreibungskliniken und<br />

-ärzte mehr stattfanden und unglaublicher<br />

Pfusch zugelassen wurde. Augenzeugen<br />

beschreiben teils katastrophale sanitäre<br />

Zustände und Todesfälle unter skandalösen<br />

Umständen in Abtreibungskliniken.<br />

Die amerikanische Krankheits- und Seuchenschutz-Behörde<br />

CDC geht statistisch von<br />

einem Todesfall auf<br />

100000 Abtreibungen in<br />

den ersten drei Schwangerschaftsmonaten<br />

und<br />

von sieben Todesfällen<br />

auf 100000 Abtreibungen<br />

im fünften Schwangerschaftsmonat<br />

aus. Selbst<br />

wenn man diese auf unvollständigen<br />

Daten basierenden<br />

Sterblichkeitsraten<br />

glaubt, ist bei deutlich<br />

über einer Million<br />

Abtreibungen pro Jahr in<br />

den USA klar, dass Dutzende<br />

Frauen jedes Jahr<br />

an legalen Schwangerschaftsabbrüchen<br />

sterben.<br />

Bedenkt man, dass die<br />

Gesundheitsstatistik für<br />

das Jahr 1972, also das<br />

Jahr vor der Einführung<br />

des Rechts auf Abtreibung,<br />

von 41 Toten durch<br />

Abtreibungen insgesamt<br />

in den USA ausging, so<br />

wird deutlich, dass die<br />

Legalisierung von Abtreibungen<br />

diese kaum,<br />

falls überhaupt, sicherer<br />

für die Frauen gemacht hat. Dies mutet<br />

um so perfider an, als gerade die angebliche<br />

Sorge um die Gesundheit der Frau<br />

ein wesentliches Argument für die Legalisierung<br />

der Abtreibung war und die<br />

Abtreibungslobby zur Durchsetzung des<br />

Abtreibungsrechts bewusst mit falschen<br />

Todeszahlen bei illegalen Abtreibungen<br />

argumentiert hat. In den sechziger und<br />

frühen siebziger Jahren war immer von<br />

fünf- bis zehntausend Toten pro Jahr<br />

durch illegale Abtreibungen die Rede,<br />

Zahlen, die frei erfunden waren, wie Bernard<br />

Nathanson später zugab.<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

HOFFNUNG FÜR DIE ZUKUNFT<br />

Das Fazit aus »The Cost of ›Choice‹«<br />

ist, dass die Einführung des nahezu uneingeschränkten<br />

Rechts auf Abtreibung<br />

auf jeder Ebene verheerend gewesen ist,<br />

gesellschaftlich und gesundheitlich, selbst<br />

wenn man das ethische Hauptproblem<br />

ausklammert, die millionenfache Tötung<br />

ungeborener Menschen. Die Autorinnen<br />

des Buches sehen jedoch Grund zur Hoffnung<br />

für die Zukunft. Der radikale Feminismus<br />

der sechziger und siebziger Jahre,<br />

der die Frau quasi zum Mann machen<br />

wollte, spricht heutige junge Frauen und<br />

Mütter nicht mehr an, denen viel mehr<br />

ARCHIV<br />

an der Vereinbarkeit von Familie und<br />

Beruf gelegen ist. Die Fähigkeit, Kinder<br />

kriegen zu können, wird von diesen Frauen<br />

wieder als etwas Besonderes geschätzt,<br />

das sie vom Mann unterscheidet und zur<br />

Rolle der Frau untrennbar dazu gehört,<br />

anstatt als eine lästige biologische Bürde<br />

auf dem Weg zur totalen Gleichheit zwischen<br />

Mann und Frau.<br />

Auch rechtlich gibt es Entwicklungen<br />

jenseits von Roe vs. Wade. Das Urteil<br />

»Planned Parenthood vs. Casey« von<br />

1992 des Obersten Gerichtshofes erlaubte<br />

zum ersten Mal einem Einzelstaat, Pennsylvania,<br />

Regelungen zur Regulierung<br />

der Abtreibung zu erlassen. Seither haben<br />

immer mehr Staaten davon in zunehmendem<br />

Maße Gebrauch gemacht. Eingeführt<br />

wurde zum Beispiel eine strengere<br />

Aufsicht für Abtreibungseinrichtungen,<br />

die Pflicht, den Ehemann bzw. bei Minderjährigen<br />

die Eltern über eine bevorstehende<br />

Abtreibung zu informieren, die<br />

verpflichtende Aufklärung über Abtreibungsrisiken<br />

und Alternativen, Wartezeiten<br />

vor der Abtreibung, der Schutz von<br />

Kindern, die ihre Abtreibung überleben,<br />

und Ähnliches.<br />

Die Öffentlichkeit begleitet diese Entwicklung<br />

positiv und sieht Abtreibung<br />

umgekehrt zunehmend negativ. Die Abtreibungslobby<br />

ihrerseits wird immer<br />

nervöser und reagiert äußerst hysterisch<br />

auf jeden neuen Vorstoß oder Vorschlag,<br />

der auch nur entfernt als Reglementierung<br />

oder Einschränkung des Abtreibungsrechts<br />

interpretiert werden könnte. Bisher<br />

haben die Urteile Roe vs. Wade und Doe<br />

vs. Bolton von 1973 und damit das uneingeschränkte<br />

Recht auf Abtreibung Bestand.<br />

Aber der Trend gibt Anlass zur<br />

Hoffnung.<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />

Der in Jena lebende, promovierte Mathematiker,<br />

Jahrgang 1971, gehört der<br />

<strong>ALfA</strong> seit 1994 an. Zwei Jahre nach seinem<br />

Eintritt wurde<br />

er in den Bundesvorstand<br />

gewählt,<br />

wo er bis Juni 2004<br />

das Amt des<br />

Schriftführers im<br />

geschäftsführenden<br />

Bundesvorstand bekleidete. 1998 und<br />

2002 war er verantwortlich für die Planung<br />

und Durchführung der Bundestagswahl-Aktionen<br />

der <strong>ALfA</strong>. Seit 1996 koordiniert<br />

er zudem die Arbeit der Bundesgeschäftsstelle<br />

der <strong>ALfA</strong> in Augsburg.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


A USLAND<br />

Ab wann Schmerz?<br />

Mitte des Jahres sorgte eine Studie US-amerikanischer Autoren weltweit für Aufsehen. Ihre These:<br />

Kinder im Mutterleib könnten Schmerz frühestens ab der 29. Woche empfinden. Für <strong>LebensForum</strong><br />

hat sich Matthias Lochner näher mit der Studie und den Motivationen ihrer Autoren beschäftigt.<br />

Das Ergebnis ist spannend wie ein Krimi.<br />

Von Matthias Lochner<br />

Ab wann können ungeborene<br />

Kinder Schmerzen empfinden?<br />

Eine Ende August im »Journal<br />

of the American Medical Association«<br />

(JAMA, Nr. 294) unter dem Titel »Fetal<br />

Pain <strong>–</strong> A Systematic Multidisciplinary<br />

Review of the Evidence« veröffentlichte<br />

Studie hat diese Frage neu aufgeworfen<br />

und die Abtreibungsdebatte in den USA<br />

zusätzlich angeheizt.<br />

Die Studie bringt jedoch keine neuen<br />

wissenschaftlichen Erkenntnisse hervor,<br />

sondern offenbart vielmehr, mit welchen<br />

Mitteln Abtreibungsbefürworter den<br />

Kampf um ein »Recht auf Abtreibung«<br />

führen.<br />

»Nach allen verfügbaren biologischen<br />

Daten ist es äußerst unwahrscheinlich,<br />

dass ein Fötus vor der 29. Schwangerschaftswoche<br />

nach der Empfängnis etwas<br />

fühlt, was wir als Schmerz bezeichnen<br />

würden«, fasste einer der federführenden<br />

Autoren, Mark Rosen von der Universität<br />

in San Francisco, die Studie gegenüber<br />

der Presse zusammen.<br />

Zu diesem Ergebnis kommt das Team<br />

von mehreren, teilweise angehenden Medizinern<br />

nach der Durchsicht von Forschungsergebnissen<br />

bei bis zu 30 Wochen<br />

alten ungeborenen Kindern. Um Schmerzen<br />

empfinden zu können, müssten entsprechende<br />

Neuronen und Neuronenverbindungen,<br />

insbesondere zwischen dem<br />

Kortex (Großhirnrinde) und dem Thalamus<br />

(Zentrum des Zwischenhirns) vorhanden<br />

sein. Dies sei jedoch erst in der<br />

29. oder 30. Woche der Fall, so die Autoren<br />

weiter.<br />

Kritiker merken an, dass die Studie<br />

nicht auf eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen<br />

beruhe, sondern eine Zusammenfassung<br />

einseitig ausgewählter<br />

Literatur zu dem Thema sei. Zudem ist<br />

keiner der Verfasser ein Experte auf dem<br />

Gebiet der pränatalen Schmerzforschung.<br />

Die Sache hat noch einen Haken: Die<br />

LIFE ISSUES INSTITUTE<br />

Autoren der Studie befürworten allesamt<br />

Abtreibungen.<br />

So war die Medizinstudentin und<br />

Hauptautorin, Susan J. Lee, mehrere<br />

Monate bei der bedeutenden Abtreibungsorganisation<br />

»NARAL Pro-Choice<br />

America« als juristische Beraterin tätig.<br />

Die 1977 gegründete Organisation hat<br />

Der menschliche Embryo <strong>–</strong> ein schmerzfreies Wesen?<br />

laut eigenen Angaben 400.000 Mitglieder<br />

und ist damit die größte Abtreibungs-<br />

Lobby-Organisation in den USA. Co-<br />

Autorin Eleanor Drey ist medizinische<br />

Direktorin des größten Abtreibungszentrums<br />

in San Francisco.<br />

Damit nicht genug, arbeitet eine weitere<br />

Co-Autorin für das »Center for Reproductive<br />

Health Research and Policy«<br />

(CRHRP) an der Universität in San Francisco.<br />

Das CRHRP wurde 1999 gegründet<br />

und unterstützt eigenen Angaben zufolge<br />

Programme zur reproduktiven Gesundheit,<br />

sprich Verhütungs- und Abtreibungsprojekte,<br />

mit jährlich 36 Mio. US-Dollar<br />

(etwa 31 Mio. Euro). In einer Monographie<br />

über das CRHRP schreibt die Abtreibungs-Aktivistin<br />

Carol Joffre: »Diese<br />

medizinische Einrichtung vermittelt an<br />

den Rest der Medizin die Botschaft, dass<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 13


A USLAND<br />

»Hoch spezifische und gut<br />

koordinierte Reaktionen.«<br />

Jean A. Wright , Pädiatrie-Spezialistin<br />

mittee«, Wanda Franz, brachte es auf den<br />

Punkt, als sie meinte, wenn man »objektiv«<br />

die humane Tötung von Kälbern<br />

und Lämmern bewerten wolle, käme auch<br />

niemand auf die Idee, sich auf einen Bericht<br />

von »Betreibern eines Schlachthauses«<br />

zu stützen.<br />

Hinzu kommt, dass der Zeitpunkt der<br />

Veröffentlichung der Studie nicht zufällig<br />

gewählt wurde. So wurde sie bemerkenswerter<br />

Weise genau zu der Zeit publiziert,<br />

als republikanische Abgeordnete den Gesetzesvorschlag<br />

»Unborn Child Pain Awareness<br />

Act of <strong>2005</strong>« in den Kongress<br />

einbrachten. Das Gesetz sieht vor, dass<br />

Ärzte, die vorgeburtliche Kindstötungen<br />

vornehmen, die Frauen darüber informieren<br />

müssen, dass das ungeborene Kind<br />

etwa ab der 20. Schwangerschaftswoche<br />

schmerzempfindlich ist. Bei einer Abtreibung<br />

könnten diese Schmerzen zwar<br />

durch eine Anästhesie gemindert werden,<br />

diese berge jedoch gesundheitliche Risiken<br />

für die Frau. Der Gesetzesinitiative<br />

zufolge sollen die Frauen deshalb, nachdem<br />

sie über diesen Umstand aufgeklärt<br />

worden sind, ihr explizites Einverständnis<br />

zur vorgeburtlichen Kindstötung geben.<br />

Es liegt auf der Hand, dass dieser Gesetzesvorschlag<br />

den Pro-Abtreibungs-<br />

Aktivisten ein Dorn im Auge ist. Eine<br />

öffentlichkeitswirksame Studie, die Ungeborenen<br />

vor der 29. Schwangerschaftswoche<br />

jegliches Schmerzempfinden abspricht<br />

und somit ein derartiges Gesetz<br />

überflüssig machen könnte, kommt da<br />

natürlich wie gerufen.<br />

Könnte dennoch etwas Wahres an der<br />

so genannten Studie dran sein? Immerhin<br />

ist sie in der wissenschaftlichen Zeitschrift<br />

des Amerikanischen Ärzteverbandes erschienen,<br />

also vergleichbar mit dem Deutschen<br />

Ärzteblatt hierzulande. Die Chefredakteurin<br />

von JAMA, Catherine DeAngelis,<br />

bedauerte zwar gegenüber der Presse,<br />

dass sie über die Verbindungen der<br />

Mediziner zu Abtreibungszentren nicht<br />

informiert gewesen sei, erklärte jedoch<br />

Soll angeblich keinen Schmerz bei seiner Abtreibung empfinden: Der Embryo im Alter von 20 Wochen.<br />

eine Abtreibung ein gewöhnlicher Teil<br />

der reproduktiven Gesundheit der Frau<br />

ist.« Keine andere Organisation habe<br />

soviel dafür getan, dass Abtreibungen in<br />

die allgemeine medizinische Versorgung<br />

integriert worden seien, so Joffre weiter.<br />

»Autoren gehen mit ihrer Studie<br />

20 Jahre zurück.«<br />

Dr. Paul Ranalli, Neurologe<br />

14<br />

Angesichts der Tatsache, dass alle Verfasser<br />

ausgewiesene Abtreibungsbefürworter<br />

sind, darf die Seriosität der Studie sicherlich<br />

in Frage gestellt werden. Die Direktorin<br />

des »National Right to Life Com-<br />

LIFE ISSUES INSTITUTE<br />

»Abtreibung ist Teil der<br />

reproduktiven Gesundheit.«<br />

Carol Joffre, US-Abtreibungsaktivistin<br />

gleichzeitig, dass dies nichts an der Entscheidung<br />

geändert hätte, den Artikel zu<br />

veröffentlichen. Dies ist nur schwer nachvollziehbar,<br />

da die Ergebnisse der Mediziner<br />

um Susan J. Lee zahlreichen Studien<br />

zufolge auch aus wissenschaftlicher Sicht<br />

nicht glaubwürdig sind. So sind sich Experten<br />

auf dem Gebiet der pränatalen<br />

Schmerzempfindung darüber einig, dass<br />

Kinder deutlich vor der 29. Woche der<br />

Schwangerschaft Schmerz empfinden.<br />

Der an der Universität von Arkansas<br />

lehrende und als Kinderarzt in der Pädiatrie,<br />

Anästhesie, Pharmazie und Neurologie<br />

tätige Mediziner Dr. Kanwaljeet<br />

S. Anand erklärte etwa, dass frühgeborene<br />

Babys im Alter von etwa 23 Wochen<br />

schreien würden, wenn ihnen eine Nadel<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


zur Blutentnahme in die Ferse gestochen<br />

wird. Die gleich alten Kinder im Mutterleib<br />

müssten also auch Schmerz empfinden,<br />

so der Experte für Schmerzforschung<br />

weiter.<br />

Der Neurologe Dr. Paul Ranalli, der<br />

an der Universität von Toronto lehrt,<br />

geht sogar davon aus, dass Kinder zwischen<br />

der 20. und 30. Schwangerschaftswoche<br />

mehr Schmerz als Erwachsene<br />

empfinden. »Die Schmerzimpulsverbindungen<br />

des Embryos verknüpfen sich im<br />

Rückenmark und erreichen den Thalamus<br />

in der 7. bis 20. Schwangerschaftswoche«,<br />

erklärte er in einem Interview. Spätestens<br />

dann müsste das Ungeborene also<br />

Schmerz empfinden. Ranalli kritisierte,<br />

dass die Autoren mit ihrer Studie 20 Jahre<br />

zurückgehen würden, in eine Zeit, in der<br />

»Grausamer, brutaler, barbarischer<br />

und unzivilisierter Eingriff.«<br />

Der US-Supreme Court über Teilgeburtsabtreibung<br />

Mediziner auch glaubten, Neugeborene<br />

würden keinen Schmerz empfinden.<br />

Bereits 1996 meinte die Pädiatrie-<br />

Spezialistin, Dr. Jean A. Wright, dass<br />

Frühgeborene etwa im Alter von 23. Wochen<br />

»hoch spezifische und gut koordinierte<br />

physische Reaktionen auf Schmerzen<br />

zeigen«. Zu diesem Ergebnis kommt<br />

auch eine Gruppe von Ärzten, die sich<br />

letztes Jahr im Zuge der Diskussion um<br />

die so genannteTeilgeburtsabtreibung im<br />

Auftrag des Obersten Gerichtes der USA<br />

mit der Frage der pränatalen Schmerzempfindung<br />

auseinandersetzte.<br />

Bei der wohl grausamsten Abtreibungsmethode<br />

greift der Arzt das Kind mit<br />

einer Zange und entbindet es bis auf den<br />

Kopf. Dann steckt er eine Schere in den<br />

Schädel des Kindes. Dadurch entsteht<br />

ein Loch, in das er einen Saugschlauch<br />

einführt und das Gehirn absaugt. Zuvor<br />

um sich schlagende Glieder des Kindes<br />

hängen danach bewegungslos herab. Juristisch<br />

wird die Teilgeburtsabtreibung<br />

nicht als »Kindermord« betrachtet, da<br />

der Kopf des Kindes noch nicht geboren<br />

ist. US-Präsident George W. Bush unterzeichnete<br />

am 5. November 2003 ein Gesetz,<br />

dass diese Methode verbietet. Seitdem<br />

wird das Gesetz von Richtern in<br />

einigen Bundesstaaten blockiert.<br />

Die Mediziner, darunter auch Abtreibungsbefürworter,<br />

bestätigten, dass ungeborene<br />

Kinder Schmerz empfinden<br />

und trugen mit ihrer Stellungnahme wesentlich<br />

dazu bei, dass der Oberste Gerichtshof<br />

die partielle Abtreibung als<br />

»grausamen, brutalen, barbarischen und<br />

unzivilisierten medizinischen Eingriff«<br />

verurteilte.<br />

In Deutschland gilt noch heute die<br />

1991 von einem wissenschaftlichen Beirat<br />

der Bundesärztekammer<br />

veröffentlichte<br />

Studie »Pränatale<br />

und perinatale<br />

Schmerzempfindung«<br />

als maßgeblich.<br />

In der Studie,<br />

die die gesamte<br />

bis dato vorliegenden<br />

wissenschaftliche<br />

Literatur berücksichtigt,<br />

heißt<br />

es, dass sich zwischen<br />

der 8. und 21.<br />

Schwangerschaftswoche<br />

kontinuierlich<br />

die Nozizeption<br />

(Schmerz ohne<br />

Bewusstsein) entwickele<br />

und dass das<br />

Kind ab der 22.<br />

Schwangerschaftswoche<br />

zunehmend<br />

bewusst Schmerz<br />

erlebe.<br />

Die Beispiele<br />

zeigen allesamt,<br />

dass sich Experten<br />

darüber einig sind,<br />

dass ungeborene<br />

Kinder spätestens ab der 23. Woche nach<br />

der Empfängnis, wahrscheinlich jedoch<br />

»Die Möglichkeit, schmerzlos zu<br />

töten, ist keine Rechfertigung.«<br />

Frank Pavone, Direktor von »Priests of Life«<br />

LIFE ISSUES INSTITUTE<br />

deutlich früher Schmerz empfinden. Diese<br />

Tatsache wird im Übrigen auch bei Operationen<br />

am Fetus berücksichtigt. So wird<br />

das ungeborene Kind entweder über eine<br />

Vollnarkose der Mutter mit betäubt oder<br />

durch eine Injektion in die Nabelschnur<br />

direkt narkotisiert. Die so genannte Studie<br />

ist also nicht nur in Frage zu stellen, weil<br />

alle Autoren Abtreibungsbefürworter<br />

sind, sondern auch, weil ausgewiesene<br />

Experten auf dem Gebiet der Schmerzforschung<br />

den Ergebnissen eindeutig<br />

widersprechen.<br />

Man wird den Verdacht nicht los, dass<br />

es den Verfassern gar nicht darum geht,<br />

ab wann ungeborene Kinder Schmerzen<br />

empfinden können. Vielmehr scheinen<br />

Kein Schmerz? In der 12. Woche beginnt der Embryo seine Umgebung zu ertasten.<br />

sie jedem Argument, das gegen eine Abtreibung<br />

sprechen könnte, öffentlichkeitswirksam<br />

entgegentreten zu wollen. Dies<br />

verwundert kaum, denn schließlich ist<br />

nur so das erklärte Ziel der Abtreibungslobbyisten<br />

erreichbar, weltweit ein uneingeschränktes<br />

»Recht auf Abtreibung«<br />

durchzusetzen.<br />

Ob sie dieses Ziel erreichen, wird nicht<br />

unwesentlich davon abhängen, wie konsequent<br />

und öffentlichkeitswirksam Lebensschützer<br />

gegen derartige »wissenschaftliche<br />

Studien« vorgehen. Der Direktor<br />

von »Priests of Life«, Frank Pavone,<br />

ging mit gutem Beispiel voran, als er<br />

treffend meinte: »Es gibt viele Möglichkeiten,<br />

ungeborenes wie geborenes Leben<br />

schmerzlos zu töten. Das rechtfertigt es<br />

aber nicht.«<br />

IM PORTRAIT<br />

Matthias Lochner<br />

Der Autor, Jahrgang 1984, studiert<br />

Deutsch und Geschichte für das Lehramt<br />

an Gymnasien und<br />

Gesamtschulen an<br />

der Universität zu<br />

Köln. Er ist seit<br />

2001 Mitglied der<br />

<strong>ALfA</strong>. Als freier<br />

Journalist publiziert<br />

er regelmäßig auch im <strong>LebensForum</strong>.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 15


A USLAND<br />

Goliath gegen David<br />

Warum sollte Grundrechte achten, wer Menschenrechte in Frage stellt? Warum sollte die Meinungsfreiheit<br />

des anders Gesinnten verteidigen oder auch nur dulden, wer nicht einmal das Lebensrecht ungeborener<br />

Babys verteidigt oder anerkennt? Ein Prozess der österreichischen Sozialdemokratie gegen die »Jugend<br />

für das Leben« demonstriert, wie der Rechtsstaat langsam verkommt.<br />

Von Stephan Baier<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

Jutta Lang<br />

Wenn es um den Lebensschutz<br />

geht, kämpft Österreichs<br />

zweitgrößte Partei, die SPÖ,<br />

mit härtesten Bandagen. Leider nicht für<br />

den Schutz des ungeborenen Lebens,<br />

sondern gegen die Lebensschützer. In<br />

der Bundeshauptstadt Wien, wo die SPÖ<br />

mit absoluter Mehrheit regiert, schützt<br />

neuerdings ein polizeiliches Wegweiserecht<br />

abtreibungswillige Frauen (und mitunter<br />

die sie zur Abtreibung drängenden<br />

Begleiter) vor der Beratung durch Lebensschützer.<br />

Im Versuch der Abtreibungsgegner,<br />

Frauen vor dem folgenschweren<br />

Schritt in die Fänge der Abtreibungsindustie<br />

zu schützen, sehen österreichische<br />

Sozialisten »Psychoterror«.<br />

Das mit den Mitteln des Staates zu schützende<br />

Gut, ist nach sozialistischer Lesart<br />

offenbar nicht das ungeborene Kind,<br />

sondern die Abtreibungsindustrie.<br />

SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim<br />

musste Mitte Oktober via Pressedienst<br />

STEPHAN BAIER<br />

der SPÖ eine formelle Widerrufserklärung<br />

abgeben, »der Verein ›Jugend für<br />

das Leben‹ sei für die Anti-Abtreibungsdemonstrationen<br />

vor Wiener Klinken<br />

verantwortlich«. Widerrufen musste er<br />

auch seine Behauptung, »es handle sich<br />

bei diesem Verein um gewaltbereite Abtreibungsgegner<br />

sowie nachweislich um<br />

amtsbekannte Personen, die vor massivem<br />

Psychoterror gegen Frauen nicht zurückschrecken«.<br />

Nicht, dass der parlamentarische<br />

Justizsprecher der SPÖ plötzlich<br />

den wahren Charakter der Lebensschutz-<br />

Aktivitäten vor Wiener Abtreibungsklinken<br />

erkannt hätte. Nein, er hatte in diesem<br />

Fall die »Jugend für das Leben« mit »Human<br />

Life International« verwechselt.<br />

Gegen die in Linz beheimateten jugendlichen<br />

Lebensschützer führt Jarolim<br />

einen weit bedeutenderen Prozess, für<br />

den er mit dem Widerruf offenbar die<br />

Hände frei haben wollte. Nicht als Justizsprecher<br />

seiner Partei, sondern als ihr<br />

Rechtsanwalt hat er die »Jugend für das<br />

Leben« auf Unterlassung und Widerruf<br />

geklagt, und dabei in erster Instanz bereits<br />

obsiegt. Gegenstand des Verfahrens, das<br />

nun beim Oberlandesgericht Linz in die<br />

zweite Instanz geht, ist ein Informationsblatt<br />

der jugendlichen Lebensschutzbewegung,<br />

auf dem schlagwortartig die<br />

Folgen der in Österreich seit 1975 geltenden<br />

Fristenregelung aufgezählt werden.<br />

Dort war unter der Überschrift<br />

»Hemmungslose Kindestötung« zu lesen:<br />

»Forderung nach Abtreibung bis zur Geburt<br />

(z.B. Beschluss am 38. Bundesparteitag<br />

der SPÖ vom 30.11.2004)«.<br />

»FRAUEN WERDEN ZU GEBÄRMASCHINEN«<br />

Die SPÖ dementiert und sieht sich in<br />

ihrer Ehre verletzt. Wörtlich heißt es in<br />

der von Jarolim eingereichten Klageschrift:<br />

»Die Ehre der klagenden Partei<br />

wird durch die genannten unwahren Äußerungen<br />

beleidigt.« Die Behauptung sei<br />

»ehrrührig und unrichtig... daher geeignet,<br />

den Ruf der klagenden Partei erheblich<br />

zu schädigen«.<br />

Wahr ist aber, dass die SPÖ bei ihrem<br />

Bundesparteitag im November 2004 in<br />

Wien einen Antrag unter der Überschrift<br />

»Ob Kinder oder keine, bestimmen wir<br />

alleine!« beschloss. Darin lesen wir: »Aus<br />

unserer Sicht geht es in der Abtreibungsdiskussion<br />

nicht darum, ab wann Leben<br />

beginnt, sondern um das Recht, Entscheidungen<br />

für das eigene Leben zu treffen.<br />

Das beinhaltet die freie Entscheidung für<br />

eine verantwortungsvolle Mutterschaft...<br />

Trotzdem können ungewollte Schwangerschaften<br />

entstehen, solange es kein<br />

100prozentig sicheres Verhütungsmittel<br />

gibt, solange ›Pannen‹ bei der Verhütung<br />

passieren können, solange Vergewaltigungen<br />

Frauenrealität sind. Ein Abtreibungsverbot<br />

fordert von Frauen die totale Unterwerfung<br />

unter ihre biologische Fähigkeit<br />

zur Mutterschaft: physisch, psychisch,<br />

sozial und rechtlich.«<br />

Die vermeintlich logische Konsequenz<br />

des SPÖ-Parteitags im Wortlaut: »Wenn<br />

einer Frau zugemutet wird, sich einer<br />

Schwangerschaft zu fügen und ein Kind<br />

zu gebären, das sie nicht gewollt hat, dann<br />

ist dies Zwang und Fremdbestimmung,<br />

eine Verletzung elementarster Grundrechte.<br />

Frauen werden dadurch zu Gebärmaschinen<br />

reduziert.« Deshalb forderte<br />

die SPÖ die »Herausnahme der<br />

Regelung des Schwangerschaftsabbruches<br />

aus dem Strafgesetzbuch«. Im klaren<br />

Widerspruch zur geltenden österreichischen<br />

Rechtslage heißt es in dem SPÖ-<br />

Beschluss: »Schwangerschaftsabbruch ist<br />

kein Straftatbestand!«<br />

Kein Satz in dem Parteitagsbeschluss<br />

deutet darauf hin, die Sozialdemokratie<br />

könnte im ungeborenen Kind bereits<br />

einen Menschen mit Rechten sehen. Im<br />

Gegenteil: Es geht ihr ausdrücklich nicht<br />

darum, zu überlegen, »ab wann Leben<br />

beginnt«. Diese Einstellung alleine würde<br />

16<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


wohl schon die Interpretation zulassen,<br />

die SPÖ habe bei der Tötung ungeborener<br />

Kinder <strong>–</strong> in Österreich zwischen<br />

40.000 und 70.000 pro Jahr <strong>–</strong> keinerlei<br />

Hemmung mehr. Zur traurigen Gewissheit<br />

wird diese Vermutung aber durch<br />

die juristisch derzeit unhaltbare Behauptung,<br />

Abtreibung sei »kein Straftatbestand«<br />

und die Forderung, deren Regelung<br />

»aus dem Strafgesetzbuch« herauszunehmen.<br />

Das viel zitierte »Recht<br />

auf Abtreibung« gibt es in Österreich<br />

ebenso wenig wie in Deutschland. Das<br />

Strafgesetzbuch sieht eine Straffreiheit<br />

innerhalb der ersten drei Monate beziehungsweise<br />

bei Behinderung oder Minderjährigkeit<br />

der Mutter auch bis zur<br />

Geburt vor.<br />

Wenn die geltende Rechtslage in<br />

Österreich als der erste und größte Skandal<br />

in diesem Zusammenhang genannt<br />

Hannes Jarolim<br />

werden muss, dann ist die (Un-)Logik<br />

des SPÖ-Parteitagsbeschlusses, seine<br />

Ignoranz gegenüber dem ungeborenen<br />

Kind und seine Forderung nach Streichung<br />

des Sachverhalts aus dem Strafgesetzbuch<br />

der zweite Skandal. Der dritte<br />

aber ist die Unverfrorenheit, mit der sich<br />

die SPÖ nun in dem verletzt fühlt, was<br />

sie ihre Ehre nennt.<br />

DAS KIND WIRD ZUR KRANKHEIT<br />

Die Klage gegen die »Jugend für das<br />

Leben« beruht auf der Tatsache, dass der<br />

zitierte Parteitagsbeschluss darauf verweist,<br />

»die notwendigen Regelungen«<br />

könnten im Krankenanstaltenrecht und<br />

im Ärzterecht geregelt werden. <strong>–</strong> Etwa<br />

wie eine Magenspiegelung oder die chirurgische<br />

Entfernung einer Warze. Das<br />

Kind wird damit, wie die Sprecherin der<br />

»Jugend für das Leben«, Jutta Lang,<br />

anmerkt, »zu einer Krankheit erklärt«.<br />

PETRA SPIOLA<br />

Trotzdem, und obwohl die SPÖ zeitgleich<br />

Abtreibungen »österreichweit...<br />

kostenlos und anonym« fordert, hat das<br />

Landesgericht Linz der SPÖ-Klage gegen<br />

die »Jugend für das Leben« Recht gegeben.<br />

In ihrer Berufung an das Oberlandesgericht<br />

weisen die Rechtsvertreter der<br />

Lebensschützer darauf hin, dass es im<br />

SPÖ-Parteitagsbeschluss nirgends auch<br />

nur einen Hinweis gebe, »dass das ungeborene<br />

Leben in irgendeinem Stadium<br />

seiner Entwicklung rechtlich geschützt<br />

werden soll«.<br />

Sollte diese Tatsache, verbunden mit<br />

den zitierten Parteitagsbeschlüssen der<br />

SPÖ noch nicht den Schluss zulassen,<br />

den die »Jugend für das Leben« gezogen<br />

hat? Mehr noch: Könnte nicht sogar die<br />

derzeit geltende Rechtslage <strong>–</strong> die Fristenregelung<br />

<strong>–</strong>, die die SPÖ offenbar zu beseitigen<br />

gedenkt, die Auffassung rechtfertigen,<br />

in Österreich sei »hemmungslose<br />

Kindestötung« möglich: von unbehinderten<br />

Ungeborenen bis zum dritten Monat,<br />

von behinderten Ungeborenen bis zur<br />

Geburt? Sollte eine solche Sicht der Dinge<br />

von der Meinungsfreiheit nicht mehr<br />

gedeckt sein?<br />

Interessanterweise erlauben sich die<br />

Rechtsanwälte Adam und Steier in ihrem<br />

Berufungsschreiben folgenden Hinweis:<br />

»Auch nach der geltenden strafgesetzlichen<br />

Regelung, die ebenfalls auf einen<br />

Parteitagsbeschluss der klagenden Partei<br />

zurückgeht, kann mit gutem Grund davon<br />

gesprochen werden, dass dadurch eine<br />

›hemmungslose Kindestötung‹ bis zur<br />

Geburt ermöglicht worden ist.« Vorsichtigerweise<br />

begründen sie dies mit der<br />

Tatsache, dass nur vorsätzliche, nicht aber<br />

fahrlässige Abtreibungen strafbar sind.<br />

Die zusätzliche Diskriminierung ungeborener<br />

Menschen mit Behinderungen, die<br />

bis zur Geburt von der Abtreibung bedroht<br />

sind, hätte auch Erwähnung finden<br />

können.<br />

Der nun in die zweite Instanz gehende<br />

Prozess der SPÖ gegen die »Jugend für<br />

das Leben« zeigt den Zustand des Rechtsstaates<br />

30 Jahre nach Einführung der<br />

Fristenlösung. Selbige wird innerhalb der<br />

politischen Klasse längst nicht mehr von<br />

der ÖVP <strong>–</strong> die vor drei Jahrzehnten noch<br />

dagegen Widerstand leistete <strong>–</strong> angefochten,<br />

sondern nur mehr von jenen, denen<br />

selbst diese Regelung zu reglementierend<br />

ist. Während sich ÖVP-Politiker bei jedem<br />

Anlass laut zur »Fristenlösung« bekennen,<br />

scheint das Strafrecht den Sozialisten<br />

dort ein Dorn im Auge zu sein, wo<br />

es um den Schutz des noch nicht geborenen<br />

Kindes geht. Gleichzeitig zieht man<br />

aber gerne vor Gericht, um den Lebensschützern<br />

den Mund zu verbieten.<br />

GRUNDRECHTE IN GEFAHR<br />

Darum geht es bei diesem überaus<br />

politischen Prozess letztlich: Die SPÖ<br />

weiß wohl, dass eine kleine, nur aus ehrenamtlichen<br />

jugendlichen Idealisten bestehende<br />

Lebensschutzbewegung ihr weder<br />

politische noch rechtliche Prügel<br />

zwischen die Beine werfen kann. Sie weiß<br />

ebenso, dass keine im Parlament vertretene<br />

Partei und kein führendes Medium<br />

des Landes sich die Sicht der Abtreibungsgegner<br />

zueigen machen werden. Wenn<br />

der Polit-Goliath SPÖ dennoch mit solchem<br />

Eifer gegen den Lebensschutz-<br />

David in die Schlacht zieht, dann um die<br />

ganze Lebensschutz-Szene Österreichs<br />

einzuschüchtern, um eine jugendliche<br />

Nichtregierungsorganisation mundtot zu<br />

machen.<br />

Das ist der dritte, aber nicht der letzte<br />

Skandal in diesem Prozess: Es geht um<br />

die Meinungsfreiheit, die im Fall der<br />

Abtreibungsgegner offenbar ebenso eingeschränkt<br />

werden soll, wie die Demonstrationsfreiheit<br />

(siehe Wegweiserecht<br />

und Schutzzonen um Abtreibungsklinken).<br />

Die Rechtsanwälte der »Jugend für<br />

das Leben« haben in ihrer Berufung deshalb<br />

auch ein Plädoyer für die Meinungsfreiheit<br />

niedergeschrieben: »Im Sinne<br />

des Grundrechtes der Meinungsäußerungsfreiheit<br />

muss es in einer politisch<br />

und weltanschaulich kontroversen Diskussion<br />

zulässig sein, eine solche öffentlich<br />

geäußerte Meinung der klagenden Partei<br />

in der gegenständlichen Art und Weise<br />

zu kritisieren.« Ja, es müsste! Aber wer<br />

das Lebensrecht der Ungeborenen negiert,<br />

wird sich auch um die Grundrechte<br />

der Geborenen wenig scheren.<br />

IM PORTRAIT<br />

Stephan Baier<br />

Der Autor, 1965 in Roding (Bayern) geboren,<br />

ist Österreich- und Europa-Korrespondent<br />

der überregionalen katholischen<br />

Tageszeitung »Die Tagespost«. Nach<br />

dem Studium der<br />

Theologie in Regensburg,<br />

München<br />

und Rom arbeitete<br />

er zunächst als<br />

Pressesprecher für<br />

die Diözese Augsburg,<br />

dann fünf Jahre lang als Pressesprecher<br />

und Parlamentarischer Assistent<br />

für Otto von Habsburg im Europäischen<br />

Parlament. Baier, Autor mehrerer<br />

Sachbücher, ist verheiratet und<br />

Vater von fünf Kindern.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 17


MEDIZIN<br />

REHDER MEDIENAGENTUR<br />

Ethisch einwandfreie<br />

Stammzellen?<br />

Das Wissenschaftsmagazin »Nature« veröffentlichte kürzlich die Berichte von zwei Forscherteams aus<br />

den USA. Deren Ergebnisse wurden weltweit als Sensation gefeiert. Endlich seien ethisch akzeptable<br />

Wege zur Gewinnung embryonaler Stammzellen gefunden worden. Doch wie so oft steckt auch hier<br />

der Teufel im Detail.<br />

Von Dr. Adrienne Weigl<br />

18<br />

Zwei Forschungsberichte im Bereich<br />

Stammzellforschung haben<br />

im Oktober für Aufregung gesorgt,<br />

weil man in der Presse einmal mehr<br />

vermutete, hier wäre sie endlich: die<br />

»ethisch einwandfreie Stammzelle«. Der<br />

eine wurde von Wissenschaftlern der<br />

schon öfters in Erscheinung getretenen<br />

Institution ACT (Advanced Cell Technology),<br />

der andere von den Stammzellforschern<br />

Alexander Meissner und Rudolf<br />

Jaenisch in der Zeitschrift Nature vorgelegt.<br />

Betrachten wir zunächst den Versuch<br />

der ACT. Was wurde dabei gemacht? Aus<br />

Mausembryonen im 8-Zell-Stadium wurden<br />

einzelne Zellen entnommen. Eine<br />

solche Entnahme tötet den Embryo nicht.<br />

Diese einzelnen Blastomeren wurden<br />

zusammen mit embryonalen Stammzellen<br />

der Maus kultiviert und vermehrt. Dann<br />

wurden die zur gemeinsamen Kultur verwendeten<br />

Stammzellen wieder entfernt.<br />

Die anschließenden Versuche zeigten,<br />

dass sich allem Anschein nach aus den<br />

einzelnen Blastomeren normale embryonale<br />

Stammzellen mit all deren Fähigkeiten<br />

entwickelt hatten. Bei diesen Stammzellen<br />

wurde also der Embryo, von dem<br />

sie stammen, tatsächlich für ihre Gewinnung<br />

nicht getötet. Der Verbrauch von<br />

Embryonen, der in Bezug auf den Menschen<br />

die Stammzellforschung und die<br />

angestrebten Stammzelltherapien so problematisch<br />

macht, wurde hier partiell<br />

vermieden. Partiell: Denn natürlich<br />

stammten die zur gemeinsamen Kultur<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


mit den einzelnen Blastomeren verwendeten<br />

Stammzellen aus zerstörten Embryonen.<br />

Und damit zeigt sich schon,<br />

dass auch die Ergebnisse dieses Versuchs<br />

noch nichts Wesentliches an der ethischen<br />

Fragwürdigkeit der embryonalen Stammzellforschung<br />

in Bezug auf den Menschen<br />

geändert haben, auch wenn sich die Vorgehensweise<br />

in der Tat von anderen Methoden,<br />

auch der von Meissner und Jaenisch<br />

substantiell unterscheidet. Vielleicht<br />

wird es sich einmal als der erste Schritt<br />

in die richtige Richtung erweisen, doch<br />

um das zu beurteilen, ist es zu früh.<br />

»Menschwürde erfordert<br />

keine Zusatzleistungen.«<br />

Es sei vor einer weiteren Analyse eine<br />

kurze Skizze gegeben, wie sich vom Prinzip<br />

der Menschenwürde her die verbrauchende<br />

Embryonenforschung einer ethischen<br />

Überprüfung darbietet. Dies umso<br />

mehr, als man bei nicht wenigen Wortmeldungen<br />

aus den Reihen der Wissenschaft<br />

wie aus Politik und Öffentlichkeit<br />

immer wieder den Eindruck gewinnt,<br />

dass das hier bestehende Problem nicht<br />

wirklich zur Kenntnis und ernst genommen<br />

wird <strong>–</strong> was man auch von dem verlangen<br />

könnte, der eine andere ethische<br />

Position vertritt. So zeigt die nicht selten<br />

zu hörende Strategie, dem Gegner eines<br />

Verbrauchs menschlicher Embryonen eine<br />

»Ethik des Heilens«, gar eine christliche<br />

Pflicht zur Heilung entgegenzuhalten,<br />

eine nachgerade kaum erträgliche<br />

Ignoranz gegenüber den tatsächlichen<br />

Bedenken, die sich von einer Ethik der<br />

Menschenwürde, sei sie säkular oder<br />

christlich motiviert, gegen die Tötung<br />

menschlicher Embryonen ergeben. Der<br />

christliche Glaube verträgt sich nicht mit<br />

einer Billigung gesellschaftlich-staatlich<br />

verordneter Menschenopfer um eines<br />

höheren Zieles willen und es gibt kein<br />

christliches Gebot der Nächstenliebe<br />

nach dem Grundsatz: »Liebe deinen<br />

Nächsten und wenn der Übernächste<br />

deshalb zugrunde geht, ist das nicht zu<br />

vermeiden.« Und das Prinzip der Menschenwürde<br />

verbietet ein Verrechnen des<br />

Einzelnen in seiner unbedingten Würde<br />

nach dem Grundsatz: »Du bist nichts,<br />

die Menge der zu Heilenden ist alles«.<br />

Kein noch so hoch stehender Zweck<br />

heiligt die Verletzung der Würde des<br />

Menschen. Deshalb spricht man ja in<br />

Bezug auf die Menschenwürde von<br />

»Auch zusätzliche Embryonen<br />

dürfen nicht getötet werden.«<br />

»unantastbar« und nicht von »nur zu<br />

bestimmten Zwecken und unter großen<br />

Auflagen (Hinzuziehung von Ethikkommissionen)<br />

antastbar«. Wer sich am Prinzip<br />

der Menschenwürde orientiert und<br />

nicht bereit ist, den Embryo als ein bloß<br />

untermenschliches Wesen zu verstehen,<br />

das nicht in den Anerkennungsbereich<br />

der Menschenwürde fällt,<br />

kann vielmehr unter keinen<br />

Umständen akzeptieren,<br />

dass im Rahmen der Gewinnung<br />

embryonaler<br />

Stammzellen ein menschliches<br />

Wesen für das andere<br />

»verbraucht« wird. Es gibt<br />

wohl kaum eine Weise, den<br />

anderen mehr zum bloßen<br />

Objekt zu machen, als ihn<br />

zu töten, um mit ihm dann<br />

zu forschen oder aus ihm<br />

ein Medikament herzustellen.<br />

Man erinnere sich nur,<br />

dass das Töten zum Verbrauch<br />

in der deutschen<br />

Sprache »schlachten«<br />

heißt. Außerdem wird mit<br />

einer Tötung eines Menschen<br />

zum Verbrauch natürlich<br />

auch das aus der<br />

Menschenwürde resultierende<br />

Recht auf Leben<br />

verletzt, das ein Abwehrrecht<br />

und kein soziales<br />

Anspruchsrecht ist. Dem<br />

Recht auf Leben des Embryos,<br />

wenn man ihm ein<br />

solches zugesteht, das Recht auf Leben<br />

der Patienten entgegenzusetzen, ist deswegen<br />

Unsinn. Niemand kann von einem<br />

Anderen oder auch vom Staat verlangen,<br />

ihm das Weiterleben zu garantieren. Wie<br />

sollte eine solche Garantie denn aussehen?<br />

Sehr wohl kann man aber verlangen, dass<br />

der Staat und der Mitmensch es unterlassen,<br />

mein Leben durch Tötung zum Verbrauch<br />

zu beenden. Wie sehr man also<br />

auch Anspruch auf Hilfe und Beistand in<br />

Krankheit und Not haben mag, ein Menschenrecht<br />

auf Leben als soziales Anspruchsrecht<br />

ist undenkbar, es kann nur<br />

als Abwehrrecht seinen verbindlichen<br />

Charakter haben. Ein dritter Aspekt des<br />

Menschenwürdeethos sei noch erinnert,<br />

ehe wir die konkreten biotechnischen<br />

WWW.UNI-HEIDELBERG.DE<br />

Stammzellforscher Rudolf Jaenisch<br />

Entwicklungen weiter betrachten: Von<br />

seiner Dynamik her war die Ideengeschichte<br />

der Menschenrechte und ihres<br />

Kerns, des Prinzips der Menschenwürde,<br />

eine Geschichte der Aufhebung von Grenzen.<br />

Die sich zunehmend durchsetzende<br />

Einsicht war: Menschenwürde kommt<br />

dem Menschen zu, weil er Mensch ist.<br />

Es gibt keine »Zusatzleistungen«, die zu<br />

erbringen wären, bevor einem Angehörigen<br />

der menschlichen Art Achtung gebühren<br />

würde. Sowohl Hautfarbe wie<br />

Geschlecht, Alter wie Gesundheitszustand,<br />

Geisteszustand und selbst die moralische<br />

Verfassung wurden im Horizont<br />

der Menschenwürde als unerheblich erkannt,<br />

so wichtig Unterschiede hier ansonsten<br />

sein mögen. Im Gegenteil kristallisierte<br />

sich heraus: Wer eine solche Grenze<br />

ziehen will, um damit zwischen<br />

menschlichen Wesen zu unterscheiden,<br />

die dazugehören, und anderen, die nicht<br />

dazugehören, verletzt mit diesem Gedanken<br />

selbst schon das Prinzip Menschenwürde.<br />

Die einzig rechtfertigbare<br />

Grenze läuft zwischen Mensch und<br />

Nicht-Mensch. Die Kategorie »Untermensch«<br />

jedoch, die jene erfassen soll,<br />

die doch »irgendwie« menschlich sind<br />

und dennoch nicht so viel wert, wie ein<br />

»wirklicher« Mensch, ist gleichgültig, ob<br />

man sie bewusst oder implizit gebraucht,<br />

für eine Ethik der Menschenwürde unannehmbar.<br />

Der Entwicklungsstand eines<br />

menschlichen Lebewesens fügt sich in<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 19


MEDIZIN<br />

die Liste der Kriterien, die nicht für die<br />

Anerkennung der Würde ausschlaggebend<br />

sein dürfen, nahtlos ein. Fernab<br />

noch von naturphilosophischen und anthropologischen<br />

Erwägungen ist es also<br />

ethisch höchst problematisch, den frühen<br />

Embryo als ein Lebewesen zu verstehen,<br />

das trotz seiner Zugehörigkeit zur Art<br />

Mensch dennoch »nicht dazu-gehört«,<br />

das kein »wirklicher« Mensch sei und<br />

keine unantastbare Würde habe.<br />

»Die gezielte Schädigung<br />

verschärft die ethische Situation.«<br />

Nach dieser kurzen Skizze einiger<br />

Grundlinien des Menschenwürdeethos<br />

mit Blick auf seine Anwendung auf den<br />

frühen menschlichen Embryo zurück zu<br />

den neuesten biotechnologischen Entwicklungen:<br />

Die Versuche von ACT sind<br />

wie gesagt für die ethische Problematik<br />

tatsächlich nicht ohne Perspektive, weil<br />

der Embryo, der die Blastomere »spendet«,<br />

dafür nicht getötet wird. Es bleiben<br />

aber massive Kontext-Probleme: Sichtlich<br />

braucht man andere embryonale Stammzellen,<br />

um die einzelnen Blastomeren zu<br />

einer Menge von Stammzellen weiterzuentwickeln;<br />

diese zusätzlichen Stammzellen<br />

dürften aber auch nicht durch Tötung<br />

gewonnen werden, wenn eine solche Herstellung<br />

von Stammzellen beim Menschen<br />

ethisch erlaubt sein soll. Die entnommenen<br />

Blastomeren waren ferner solche des<br />

8-Zell-Stadiums: Es ist nicht gewiss, dass<br />

beim menschlichen Embryo hier schon<br />

die Totipotenz bei allen Zellen vergangen<br />

ist, also die vom Ursprungsembryo getrennte<br />

Zelle nicht den Status einer Zygote<br />

hat und damit selbst ein menschliches<br />

Lebewesens darstellt. Sodann ist die Frage,<br />

ob sich für den Spender-Embryo wirklich<br />

Lebenschancen zeigen, ob es also eine<br />

Frau gibt, die bereit ist, ihm die Chance<br />

zur Einnistung und Weiterentwicklung<br />

zu gewähren. Auch das Risiko, das solch<br />

eine Manipulation und auch der ganze<br />

Kontext der künstlichen Befruchtung für<br />

den Embryo bedeuten, ist zu veranschlagen.<br />

Noch ist es also auch hier viel zu<br />

früh, von einer Lösung für die ethische<br />

Problematik zu reden, und ob man einer<br />

solchen näher kommen kann, muss erst<br />

die Zeit zeigen.<br />

Anders das Experiment von Jaenisch<br />

und Meissner. Hier kann man jetzt schon<br />

sagen, dass es die ethische Fragwürdigkeit<br />

verbrauchender Embryonenforschung<br />

20<br />

GRAFIK: RAINER BECKMANN<br />

eher verstärkt, denn verbessert. Der Versuch<br />

lässt sich relativ kurz auf den Punkt<br />

bringen. Die beiden Forscher haben mit<br />

Erfolg Mäuseembryonen geklont, die<br />

genetisch so manipuliert waren, dass sie<br />

nur ein degeneriertes Blastozystenstadium<br />

bilden und sich deswegen nicht mehr<br />

einnisten können, also mit Sicherheit<br />

schon sehr früh zugrunde gehen. Wenn<br />

man aus diesen Embryonen Stammzellen<br />

gewann, zeigten diese sich allem Anschein<br />

nach als funktionstüchtig und es war auch<br />

möglich, bei diesen Stammzellen den<br />

Effekt der genetischen Manipulation<br />

rückgängig zu machen, den genetischen<br />

Schalter sozusagen wieder umzulegen.<br />

Es erstaunt, dass eine solche Vorgehensweise<br />

als eine Lösung der ethischen Probleme<br />

bezeichnet wird. Die Süddeutsche<br />

Zeitung (»Ohne die Zerstörung potentiellen<br />

Lebens«, www.sueddeutsche.de vom<br />

17.10.<strong>2005</strong>) berichtete etwa, die Forscher<br />

hätten in einer Stellungnahme gesagt,<br />

diese geschädigten Embryonen fielen<br />

nicht unter »die allgemein akzeptierte<br />

Definition von Leben« und William<br />

Hurlbut, Mitglied des Bioethikrates des<br />

US-Präsidenten sehe hier ein Chance für<br />

den ethischen Disput, weil kein »potentielles<br />

Leben« zerstört werde.<br />

Letztlich bewegt sich dieses Experiment<br />

und seine Kommentierung auf einer<br />

Linie von immer wieder auftauchenden<br />

Vorschlägen, die folgende Logik gemeinsam<br />

haben: Wenn wir durch eine entsprechende<br />

Manipulation sicherstellen, dass<br />

es der Embryo »todsicher« nicht zu einem<br />

höheren Entwicklungsstand des Fötus<br />

oder gar des geborenen Menschen schafft,<br />

dann kann doch keiner etwas dagegen<br />

haben, wenn wir ihn schon vorher töten.<br />

Dahinter mag im Einzelfall durchaus die<br />

echte subjektive Überzeugung stehen,<br />

dass man hier ethisch Genüge getan habe,<br />

objektiv ist ein solches Prinzip zynisch.<br />

Man stelle sich nur vor, man habe durch<br />

eine Manipulation verhindert, dass der<br />

Embryo eine Lunge ausbildet. Dann<br />

könnte man nach dieser Logik sagen: Da<br />

ich damit verhindert habe, dass der Embryo<br />

die Geburt überlebt, darf ich ihn<br />

doch jetzt auch im neunten Monat töten.<br />

Das Ganze präsentiert sich bei näherem<br />

Besehen als eine Beschwichtigungsaktion,<br />

die den Gegner im Disput in keiner Weise<br />

ernst nimmt. Denn sie setzt voraus, was<br />

von der Gegenseite gerade bestritten<br />

wird: Dass der Embryo ein menschliches<br />

Wesen, aber dennoch kein Mensch mit<br />

Menschenwürde sei. Nur dann kann man<br />

dergleichen Manipulationen erwägen,<br />

ohne das ethische Gruseln zu bekommen,<br />

genau dann aber, wenn diese Position<br />

richtig wäre, wäre eine solche Manipulation<br />

auch völlig unnötig. Wenn der Embryo<br />

keinen Schutz der Menschenwürde<br />

hat, dann ist angesichts der hohen Ziele,<br />

die im Raum stehen, sein Verbrauch gerechtfertigt<br />

und es bedarf keiner komplizierten<br />

Zurichtungen, um ihn unter ethischen<br />

Gesichtspunkten »tötungstauglich«<br />

zu machen. Genau darum wird aber in<br />

der ethischen Diskussion gestritten: Ob<br />

man den Embryo gemäß der Menschenwürde<br />

behandeln soll oder nicht. Als<br />

Vertreter der Menschenwürdeposition<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


kann man sich nur schwer des<br />

Eindrucks erwehren, man solle<br />

mithilfe der immer beeindruckenderen<br />

und auch bisweilen<br />

verwirrenden Versuchsergebnisse<br />

düpiert werden, da das, was von<br />

der anderen Seite als Kompromiss<br />

angeboten wird, nur eine geschickte<br />

Anwendung dessen ist,<br />

wogegen man selbst angetreten<br />

ist.<br />

Nicht weniger verdrießt der<br />

Wortgebrauch, beginnend bei der<br />

stereotypen Behauptung, man<br />

habe jetzt die »ethisch einwandfreie«<br />

Stammzelle. Bedenkt man,<br />

dass nun wirklich nicht jeder Leser<br />

die Kenntnisse hat, anhand der<br />

dargebotenen Fakten dergleichen<br />

Behauptungen zu überprüfen,<br />

erscheint bei dem Ernst der Sache<br />

ein solch wohlfeiler Gebrauch<br />

einer derart bedeutsamen Formulierung<br />

journalistisch schwerlich<br />

verantwortbar. Unangenehm<br />

stößt auch die Behauptung auf,<br />

hier werde kein potentielles Leben<br />

vernichtet. Das ist richtig, aber<br />

nicht so, wie es gemeint ist. Denn<br />

es wird kein potentielles, sondern<br />

aktuelles Leben beendet, oder<br />

noch zutreffender, ein aktuell<br />

lebender Organismus getötet, den<br />

man allerdings vorher einiger<br />

Potenzen (also Fähigkeiten) beraubt hat,<br />

die er braucht, um länger überleben zu<br />

können. Für Ausdruck »potentielles<br />

Leben« kann vermutlich überhaupt keine<br />

Wirklichkeit gefunden werden, auf die<br />

er sinnvoll anzuwenden ist. In Bezug auf<br />

den frühen Embryo sollte man ihn als<br />

Anwärter auf das Unwort des Jahres betrachten.<br />

Leider war für mich die Stellungnahme<br />

von Meissner und Jaenisch,<br />

auf die sich die Süddeutsche Zeitung<br />

bezieht, nicht zu finden. Es wäre interessant,<br />

welche »Definition von Leben« sie<br />

zugrunde legen, die überdies »allgemein<br />

akzeptiert« sein soll. Denn mit Sicherheit<br />

gehört es nicht zur Definition von Leben,<br />

nie zu sterben. Nicht was nicht sterben<br />

wird oder was nicht früh sterben wird,<br />

das ist lebendig, sondern das, was nicht<br />

tot ist. Erst wenn ein Embryo getötet<br />

oder an seiner Schädigung zugrunde gegangen<br />

ist, erfüllt er nicht mehr die Definition<br />

von Leben. Das berichtete Statement<br />

der Forscher überrascht auch<br />

insofern, als sie in ihrem Forschungsartikel<br />

(A. Meissner u. R. Jaenisch, Generation<br />

of nuclear transfer-derived pluripotent<br />

ES cells from cloned Cdx2-deficient blastocysts<br />

In: www.nature.com, doi:<br />

10.1038/nature04257) selbst schreiben,<br />

ARCHIV<br />

Die befruchtete Eizelle im Acht-Zellen-Stadium.<br />

dass das ethische Problem, das manche<br />

mit dem therapeutischen Klonen und der<br />

Gewinnung von Stammzellen haben,<br />

durch ihre Methode nicht beseitigt werde.<br />

Ein menschlicher Embryo, der durch die<br />

Art seiner künstlichen Hervorbringung<br />

(Klonen, Parthenogenese) oder durch<br />

eine zusätzliche Manipulation genetisch<br />

geschädigt ist, so dass er nur wenige Tage<br />

oder Wochen überleben kann, ist deswegen<br />

keine bloße Zellkultur und kein Lebewesen<br />

einer anderen Art, das eine normale<br />

Lebensdauer von wenigen Tagen<br />

hätte, innerhalb dieser sich der ganze<br />

Lebenszyklus inklusive Fortpflanzung<br />

vollzieht. Er ist vielmehr ein Lebewesen<br />

der Art Mensch, freilich ein genetisch<br />

geschädigtes Lebewesen, ein auf den Tod<br />

erkrankter Organismus. Man überlege<br />

sich mit Blick auf eine Intensivstation<br />

oder ein Hospiz, was man von dem Gedanken<br />

halten solle, dass schwer erkrankte<br />

oder geschädigte und dem Tod geweihte<br />

menschliche Lebewesen nicht als Lebewesen<br />

und deshalb auch nicht als Menschen<br />

zu betrachten seien. Die z.T. gezielte<br />

oder billigend in Kauf genommene<br />

Schädigung eines menschlichen Organismus,<br />

insbesondere eine Schädigung, die<br />

seine Lebenserwartung einschränkt,<br />

ARCHIV<br />

macht den weiteren Umgang mit ihm<br />

nicht ethisch harmloser, sondern verschärft<br />

vielmehr die ethische Situation.<br />

IM PORTRAIT<br />

Dr. Adrienne Weigl<br />

Geb. 1967, studierte Philosophie mit<br />

den Nebenfächern Theologie und Geschichte<br />

der Naturwissenschaften.<br />

2000 erfolgte die<br />

Promotion zum Dr.<br />

phil. mit einer Arbeit<br />

über die Metaphysik<br />

Emerich<br />

Coreths. Nach dem Studium arbeitete<br />

sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

im John Henry Newman-Institut für<br />

christliche Weltanschauung, ein Arbeitsschwerpunkt<br />

waren dabei die bioethischen<br />

Fragen am Lebensanfang. Nach<br />

der Schließung des Instituts ist sie nun<br />

als selbstständige Wissenschaftlerin<br />

und Referentin in der Erwachsenenbildung<br />

tätig.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 21


GESELLSCHAFT<br />

Her mit den Embryonen!<br />

Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) schützt den künstlich erzeugten Embryo vor seiner Verzweckung.<br />

Die neue Bundesregierung sendet erste Signale, daran festhalten zu wollen. Doch der Druck nimmt<br />

zu. Wissenschaftler und die FDP blasen bereits zur Attacke.<br />

Von Stefan Rehder, M.A.<br />

Wäre es nach Gerhard Schröder<br />

(SPD) gegangen, dann<br />

würden Wissenschaftler<br />

auch hierzulande längst menschliche Embryonen<br />

zu Forschungszwecken klonen<br />

und töten. Doch weil der Altkanzler trotz<br />

mehrfacher Anläufe weder die eigene<br />

Partei noch die Grünen mehrheitlich<br />

hinter sich zu bringen vermochte, blieb<br />

das Embryonenschutzgesetz, das die Verwendung<br />

von Embryonen zu einem anderen<br />

Zweck als der Herbeiführung einer<br />

Schwangerschaft verbietet, bislang unangetastet.<br />

Ob es dabei auch unter der neuen<br />

Bundesregierung bleiben wird, vermag<br />

derzeit wohl niemand mit Gewissheit zu<br />

sagen.<br />

POSITIVE SIGNALE DER REGIERUNG<br />

Auch der Koalitionsvertrag hält die<br />

Frage offen. Dort heißt es unter Abschnitt<br />

4.3: »Schwerpunkte bei den Spitzentechnologien<br />

und der Projektförderung«:<br />

»Zur Entwicklung des Potentials der<br />

regenerativen Medizin bei gleichzeitiger<br />

Beachtung ethischer Grenzen werden wir<br />

der Förderung adulter Stammzellforschung<br />

weiterhin eine besondere Bedeutung<br />

zumessen.« Das liest sich gut, sagt<br />

aber genau genommen nichts darüber,<br />

wie die neue Regierung die Rahmenbedingungen<br />

der embryonalen Stammzellforschung<br />

zu gestalten gedenkt. »Ethische<br />

Grenzen« gab die Bundesvorsitzende der<br />

<strong>ALfA</strong>, Claudia Kaminski, gleich nach<br />

Vorstellung des Vertrags zu bedenken,<br />

sei ein »ziemlich denkbarer Begriff«.<br />

Doch gibt es mittlerweile auch echte<br />

positive Signale: Mit der Berufung von<br />

Annette Schavan (CDU) als Bundesforschungsministerin<br />

hat Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel, das weite Feld der Biopolitik<br />

einer Politikerin anvertraut, die<br />

der embryonalen Stammzellforschung<br />

mehr als nur skeptisch gegenübersteht.<br />

Während Amtsvorgängerin Edelgard Bulmahn<br />

(SPD) Schröders biopolitischen<br />

22<br />

Kurs unterstützte, erklärte Schavan: »Wir<br />

brauchen eine Stammzellenforschung<br />

ohne ethisches Dilemma.« Im Übrigen<br />

sei eine besondere Förderung der adulten<br />

Stammzellforschung kein Standortnachteil<br />

für Deutschland. Viele Wissenschaftler<br />

hätten erkannt, dass die embryonale<br />

Stammzellenforschung nicht soviel Erfolg<br />

verspreche wie zunächst angenommen,<br />

und forschten längst in eine andere Richtung.<br />

Damit nicht genug verlangte Deutschland<br />

Ende November gemeinsam mit<br />

Italien, Luxemburg, Malta, Österreich,<br />

Polen und der Slowakei in Brüssel die<br />

Streichung der embryonenverbrauchenden<br />

Forschung aus dem gemeinschaftlich<br />

finanzierten 7. Forschungsrahmenprogramm<br />

der Europäischen Union. Die<br />

sieben Mitgliedsstaaten plädieren dafür,<br />

derartige Forschungsprojekte nur mit<br />

Mitteln der nationalen Haushalte zu fördern,<br />

nicht aber mit EU-Geldern. Der<br />

Grund: Während die verbrauchende Embryonenforschung<br />

in einigen Ländern<br />

erlaubt ist, ist sie zehn Mitgliedsstaaten<br />

ausdrücklich verboten.<br />

Der in den Ruhestand gehende Staatssekretär<br />

Wolf-Michael Catenhusen<br />

(SPD), der Schavan bei den Verhandlungen<br />

des Forschungsministerrats vertrat,<br />

sagte nach den Beratungen der Minister,<br />

es sei nicht akzeptabel, dass »Aktivitäten,<br />

die den Verbrauch menschlicher Embryonen<br />

beinhalten, förderungswürdig sind«.<br />

Außerdem hätten die Verhandlungen gezeigt,<br />

»dass die Wahrnehmung, Deutschland<br />

stünde mit seinem Stammzellengesetz<br />

allein da, nicht stimmt«.<br />

FORSCHER MACHEN DRUCK<br />

Trotz solch erfreulicher Signale bleibt<br />

die Lage heikel. Denn der Druck, der auf<br />

der Bundesregierung lastet, nimmt zu.<br />

So bekannte kürzlich der Präsident der<br />

Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Peter<br />

Gruss bei der Jahrespressekonferenz der<br />

WWW.KMK.ORG<br />

MPG in Berlin, er erhoffe sich von der<br />

neuen Bundesregierung »mehr Freiheiten«<br />

bei der Forschung mit embryonalen<br />

Stammzellen. Durch die Stichtagsregelung<br />

drohten deutsche Forscher in eine<br />

»nationale Isolation« zu geraten.<br />

Das am 1. Juli 2002 nach monatelanger<br />

Debatte in Kraft getretene Stammzellgesetz<br />

erlaubt deutschen Forschern unter<br />

Auflagen die Einfuhr und Verwendung<br />

embryonaler Stammzellen, die im Ausland<br />

vor dem 1. Januar 2002 aus menschlichen<br />

Embryonen gewonnen wurden. Da bei<br />

der Gewinnung embryonaler Stammzellen<br />

Embryonen getötet werden, die für<br />

die künstliche Befruchtung nicht mehr<br />

Annette Schavan, CDU<br />

benötigt werden, sah der vom Bundestag<br />

beschlossene Kompromiss einen Stichtag<br />

vor. Mit ihm sollte, so die damalige Formel,<br />

sichergestellt werden, dass für die<br />

Forschung in Deutschland keine Embryonen<br />

sterben müssen.<br />

Geht es nach den Forschern, dann ist<br />

das bald Geschichte. Ein Grund: Die vor<br />

dem Stichtag etablierten Stammzellenlinien<br />

sind für den Einsatz beim Menschen<br />

unbrauchbar. Wissenschaftler der Universität<br />

von San Diego und des Salk Institute<br />

in La Jolla konnten Anfang des<br />

Jahres nachweisen, dass sämtliche embryonalen<br />

Stammzellen, mit dem tieri-<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


WWW.WIRTSCHAFTSINFORMATIONSDIENST-MUENSTER.DE<br />

Hans Schöler<br />

schen Nährmaterial, auf dem sie gezüchtet<br />

wurden, kontaminiert sind. Bei der Verunreinigung<br />

handelt es sich um bestimmte<br />

tierische Zuckermoleküle, die im Verdacht<br />

stehen, im menschlichen Organismus<br />

Krebs und Herzkrankheiten auszulösen.<br />

Daher seien, so die Forscher, die bisher<br />

gewonnenen embryonalen Stammzellen<br />

für therapeutische Zwecke nicht verwendbar.<br />

Aus den embryonalen Stammzellen<br />

wollen Forscher Ersatzgewebe züchten,<br />

dass zerstörtes Gewebe bei Patienten<br />

ersetzen können soll, die an Krankheiten<br />

wie Parkinson oder Diabetes leiden. Neidisch<br />

blicken daher Forscher wie der<br />

Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle<br />

oder der Kölner Jürgen Hescheler, die<br />

mit importierten Stammzellen arbeiten,<br />

auf Länder, wo der im Reagenzglas erzeugte<br />

Embryo weniger Schutz genießt<br />

als hierzulande.<br />

»Institute in Schweden, Finnland,<br />

Großbritannien und mehreren anderen<br />

Staaten arbeiten bereits an neuen Stammzelllinien<br />

<strong>–</strong> Zellen, die nach dem so genannten<br />

Stichtag gewonnen wurden und<br />

hierzulande verboten sind«, klagt Brüstle.<br />

Hescheler wird noch deutlicher: »Ich<br />

sehe ein realistisches und großes Risiko,<br />

dass Patienten einmal ins Ausland abwandern,<br />

zum Beispiel nach Großbritannien,<br />

wo man die Stammzellforschung vorantreibt<br />

und auch das therapeutische Klonen<br />

erlaubt ist«, orakelt der Kölner.<br />

In den Chor der Unzufriedenen<br />

stimmt nun auch Hans Schöler ein. Auf<br />

der Pressekonferenz anlässlich eines internationalen<br />

Symposiums der Deutschen<br />

Gesellschaft für Regenerative Medizin in<br />

Berlin rief der Direktor des Max-Planck-<br />

Instituts für Molekukare Biomedizin:<br />

»Wir erwarten von Frau Merkel, dass sie<br />

sagt: Ich will die Stammzellforschung<br />

fördern.« Gemeint war natürlich die embryonale.<br />

WWW.MPIBPR.ORG<br />

Peter Gruss<br />

Tatsächlich könnte sich die Lage<br />

schlagartig ändern, wenn der Kanzlerin,<br />

der eine gewisse Offenheit für diesen<br />

Forschungszweig nachgesagt wird, in der<br />

Frage von ihrer Richtlinienkompetenz<br />

Gebrauch machen würde. Mit Wolfgang<br />

Schäuble, Peter Hintze und Katharina<br />

Reiche (alle CDU) sitzen in Kabinett und<br />

Fraktion ohnehin vehemente Befürworter<br />

der verbrauchenden Embryonenforschung.<br />

Auch Vizekanzler Franz Müntefering<br />

(SPD) hat sich längst öffentlich<br />

für das Klonen menschlicher Embryonen<br />

als Rohstofflieferanten für die Transplantationsmedizin<br />

ausgesprochen.<br />

Auch weiß derzeit keiner genau, wie<br />

die neu gewählten Abgeordneten in diesen<br />

Fragen denken. Nur bei der FDP ist das<br />

längst geklärt. Dass die Liberalen in dem<br />

im Labor erzeugten Embryo kaum mehr<br />

als ein x-beliebiges Wirtschaftsgut zu<br />

erblicken vermögen, ist nicht neu. Gleichwohl<br />

dürften Qualität und Umfang, den<br />

der Embryonenschutz nach Vorstellung<br />

der FDP in Deutschland zukünftig noch<br />

besitzen soll, selbst diejenigen überrascht<br />

haben, die sich bei der Frage, wessen<br />

Geistes Kind die Freidemokraten sind,<br />

keinen Illusionen hingeben.<br />

In einem wenige Tage vor dem Wahlsonntag<br />

veröffentlichten Positionspapier<br />

(vgl. S. 24f) forderte die FDP denn auch<br />

nicht weniger als das volle Programm:<br />

Aufhebung der Stichtagsregelung beim<br />

Import embryonaler Stammzellen, Einführung<br />

der Präimplantationsdiagnostik<br />

(PID), Zulassung der Eizellspende und<br />

des Klonens zu Forschungszwecken sowie<br />

die Freigabe verwaister Embryonen für<br />

die Forschung.<br />

Münden sollen alle diese Forderungen<br />

in einen Gesetzentwurf zur Änderung<br />

des Embryonenschutzgesetzes (ESchG),<br />

den die Liberalen demnächst in das Parlament<br />

einbringen wollen. Formulieren<br />

soll ihn niemand anderes als Reinhard<br />

Merkel. Der Radikalismus des früheren<br />

»Zeit«-Redakteurs, der seit einigen Jahren<br />

als ordentlicher Professor Strafrecht und<br />

Rechtsphilosophie an der Universität<br />

Hamburg lehrt und sich mit einer Arbeit<br />

über die Euthanasie von Neugeborenen<br />

habilitierte, hielt weiland selbst Gerhard<br />

Schröder davon ab, Merkel in den »Nationalen<br />

Ethikrat« zu berufen.<br />

Weil auch das Positionspapier den<br />

Merkelschen Ungeist atmet, wundert es<br />

denn auch kaum, dass derjenige, der nach<br />

Rechtfertigungen für den totalen Ausverkauf<br />

geltenden Rechts in dem Papier<br />

Ausschau hält, sich auf eine vergebliche<br />

Suche begibt. Nicht einmal eine Definition<br />

ist der Embryo, der schutzlos zurückgelassen<br />

werden soll, der FDP noch wert.<br />

Unredlich ist zudem, wenn die FDP<br />

behauptet, Ziel ihres Gesetzentwurfs bleibe<br />

»der Schutz des Embryos«. Zwar soll<br />

nach Vorstellung der FDP auch das reformierte<br />

ESchG ein »Verbotsgesetz«<br />

darstellen, doch sind die darin vorgesehenen<br />

Ausnahmetatbestände ebenso zahlreich<br />

wie die Löcher in einem Schweizer<br />

Käse. Für beinah alle vom ESchG geregelten<br />

Tatbestände <strong>–</strong> angefangen bei der<br />

Eizellspende, über die künstliche Befruchtung,<br />

die Erzeugung von Vorkernstadien,<br />

bis zum Klonen menschlicher Embryonen<br />

und ihrer Übertragung <strong>–</strong> sollen zulässige<br />

Ausnahmen formuliert werden.<br />

Dass es in der Praxis so gut wie keine<br />

Rolle spielt, ob etwas generell oder »nur«<br />

in Ausnahmefällen erlaubt wird, belegen<br />

die Erfahrungen, die Deutschland mit<br />

dem Paragraph 218 gemacht hat. Da<br />

zudem das Töten von Embryonen im<br />

Reagenzglas, sei es zum Zweck der Entnahme<br />

embryonaler Stammzellen, sei es<br />

<strong>–</strong> wie von der FDP ebenfalls vorgesehen<br />

<strong>–</strong> zur »Prüfung neuer Heilmittel«, noch<br />

viel leichter zu bewerkstelligen ist, als die<br />

Tötung im Mutterleib, würde der »Verbrauch«<br />

von Embryonen in Deutschland<br />

rasch ein gigantisches Ausmaß annehmen.<br />

Damit nicht genug würde der Gesetzentwurf<br />

dafür sorgen, dass der Handel mit<br />

Eizellen und embryonalen Stammzellen<br />

auch in Deutschland in Schwung käme.<br />

Zwar sollen diese nach Vorstellung<br />

der Liberalen »nicht veräußert, verkauft<br />

oder gegen Geld erworben werden.« Allerdings<br />

sollen die Forscher »für die Gewinnung,<br />

Bearbeitung und Aufbewahrung«<br />

angemessen entschädigt werden,<br />

was unter dem Strich aufs Gleiche rauskommt.<br />

Keine Rhetorik vermag darüber<br />

hinwegzutäuschen, dass die FDP beim<br />

Embryonenschutz keinen Stein auf dem<br />

anderen lassen will. Ob sich dafür im neu<br />

gewählten Bundestag eine Mehrheit finden<br />

lässt, ist fraglich. Ausgeschlossen ist<br />

es nicht.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 23


GESELLSCHAFT<br />

»Das könnte eine Mehrheit<br />

zusammen bringen«<br />

<strong>LebensForum</strong> dokumentiert im Wortlaut das Positionspapier der Liberalen zum Embryonenschutz,<br />

das die forschungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, kurz vor der<br />

Bundestagwahl der Öffentlichkeit vorstellte.<br />

Von Ulrike Flach, MdB<br />

Die Forschung an embryonalen<br />

Stammzellen ist ein Symbolthema<br />

für die Innovationsfähigkeit<br />

Deutschlands. Die FDP-Fraktion<br />

hat Herrn Prof. Dr. Reinhard Merkel gebeten,<br />

einen Gesetzesentwurf zur Änderung<br />

des Embryonenschutzgesetzes zu<br />

formulieren. Prof. Merkel hat die FDP<br />

bereits im Jahr 2001 mit einem Gutachten<br />

unterstützt und ist unser Experte in der<br />

Enquete-Kommission »Ethik und Recht<br />

in der modernen Medizin«.<br />

1. Das Ziel des Gesetzes bleibt der<br />

Schutz des Embryos. Im Rahmen dieses<br />

Schutzes sollen aber zugleich die Bedingungen<br />

einer verantwortbaren Forschung<br />

an menschlichen embryonalen Stammzellen<br />

garantiert und Missbräuche dieser<br />

Forschung verhindert werden. Deshalb<br />

regeln die Vorschriften die Voraussetzungen,<br />

unter denen solche Stammzellen<br />

gewonnen werden dürfen und welche<br />

Anforderungen an die Forschungszwecke<br />

gestellt werden.<br />

2. Geregelt wird außerdem eine verantwortbare<br />

Präimplantationsdiagnostik<br />

an Embryonen, die im Wege einer künstlichen<br />

Befruchtung entstanden sind.<br />

3. Ähnlich wie beim Stammzellimportgesetz<br />

handelt es sich um ein Verbotsgesetz<br />

mit Ausnahmetatbeständen. Wir geben<br />

also keineswegs alles frei, sondern<br />

im Gegenteil gilt der Grundsatz:<br />

- die Übertragung von fremden, unbefruchteten<br />

Eizellen ist grundsätzlich verboten,<br />

- die künstliche Befruchtung aus einem<br />

anderen Grund als der Herbeiführung<br />

einer Schwangerschaft ist grundsätzlich<br />

verboten;<br />

- die Erzeugung von Vorkernstadien<br />

ist grundsätzlich verboten;<br />

- die Veräußerung von extrakorporal<br />

erzeugten Embryonen ist verboten;<br />

24<br />

ARCHIV<br />

- das Klonen von Embryonen und die<br />

Übertragung geklonter Embryonen sind<br />

grundsätzlich verboten;<br />

- die Veränderung der menschlichen<br />

Keimbahn ist verboten;<br />

- die Bildung von Chimären ist verboten.<br />

Alle diese Tatbestände werden mit<br />

Freiheits- oder Geldstrafe bestraft. Von<br />

diesem Grundsatz macht unser Gesetzesentwurf<br />

aber entscheidende Ausnahmen,<br />

also ähnlich wie beim Stammzellimportgesetz,<br />

das den Import ja grundsätzlich<br />

verbietet, aber Ausnahmen der Zulässigkeit<br />

definiert. Es werden konkrete Ausnahmen<br />

von den Verboten, die wir heute<br />

im Embryonenschutzgesetz haben definiert.<br />

• Wir wollen Verwendung von Blastozysten<br />

(4.-5. Tag) zum Zwecke der Gewinnung<br />

embryonaler Stammzellen zulassen,<br />

wenn diese für eine Forschung<br />

dienen, die zur Entwicklung oder Verbesserung<br />

möglicher Diagnose-, Präventions-<br />

oder Heilverfahren dient. Dabei aber<br />

nicht für alle Verfahren, sondern nur<br />

solche, die zur Bekämpfung oder Verhinderung<br />

schwerwiegender, anders nicht<br />

therapierbarer Krankheiten dienen.<br />

• Wir wollen die Verwendung für die<br />

hochrangige medizinische Grundlagenforschung<br />

zulassen;<br />

• Wir wollen die Verwendung für die<br />

Prüfung neuer Heilmittel zulassen. Dadurch<br />

könnten Forschungen an Kindern<br />

und Erwachsenen, die oft mit erheblichen<br />

Belastungen verbunden sind, vermieden<br />

werden.<br />

• Wir wollen die Verwendung zulassen,<br />

wenn die Blastozyste ein überzähliger<br />

Embryo ist;<br />

• Wir wollen die Entnahme der inneren<br />

Zellmasse einer Blastozyste zulassen,<br />

wenn sie nicht später als am zehnten Tag<br />

nach der Befruchtung erfolgt;<br />

Zusätzlich müssen die Keimzellspender<br />

nach hinreichender Aufklärung ihre Zustimmung<br />

gegeben haben und die zuständige<br />

Behörde nach einer Prüfung die<br />

Verwendung befürwortet haben. Welche<br />

Behörde zuständig sein soll, soll das Gesundheitsministerium<br />

festlegen. Also:<br />

nichts darf ohne Zustimmung der Frau<br />

geschehen und nichts ohne Zustimmung<br />

der Genehmigungsbehörden. Klar ist,<br />

dass ein Embryo, dem die innere Zellmasse<br />

oder Teile davon entnommen wurden,<br />

nicht mehr auf eine Frau übertragen<br />

werden darf.<br />

Wir sagen, die gewonnenen Stammzellen<br />

dürfen nicht veräußert, verkauft<br />

oder gegen Geld erworben werden. Die<br />

unentgeltliche Weitergabe im Rahmen<br />

der Forschungskooperation dagegen ist<br />

möglich. Die Leistung einer angemessenen<br />

Entschädigung für die Gewinnung,<br />

Bearbeitung, Aufbewahrung etc. an die<br />

Forscher ist kein Entgelt oder ein Gewinn.<br />

Damit verhindern wir einen Verkauf von<br />

Eizellen z.B. durch mittellose Frauen,<br />

aber ermöglichen den Wissenschaftlern,<br />

ihre Leistung vergütet zu bekommen.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


Zum therapeutischen Klonen bzw.<br />

Forschungsklonen<br />

WWW.ULRIKE-FLACH.DE<br />

1998 gelang es James Thomson erstmalig,<br />

menschliche embryonale Stammzellen<br />

zu isolieren. Er sagte voraus, dass<br />

es eines Tages eine praktisch unbegrenzte<br />

Quelle von Zellmaterial für Transplantationen<br />

geben würde, die nicht vom Immunsystem<br />

abgestoßen werden. Das ist<br />

zwar noch Zukunftsmusik, aber um die<br />

entsprechende Vermehrung von entnommenen<br />

International sehen wir eine Entwicklung,<br />

die Restriktionen abbaut und die<br />

Chancen erkennt. Aus Großbritannien<br />

oder Südkorea hören wir fast jeden Monat<br />

von neuen, z.T. bahnbrechenden Erkenntnissen,<br />

die mit Hilfe geklonter Embryonen<br />

gewonnen wurden. Frankreich, Belgien,<br />

Schweden, Israel, Singapur oder<br />

auch die USA setzen auf die Forschung<br />

an embryonalen Stammzellen, wobei es<br />

natürlich Unterschiede gibt, wenn z.B.<br />

Frankreich die Forschung nur für fünf<br />

Jahre freigibt oder wenn Kalifornien deutlich<br />

weitergehen will als die US-Bundesregierung.<br />

Deutschlands fundamentalistische<br />

Position ist aber auch im Kontext<br />

christlicher Wertvorstellungen nicht<br />

angemessen, denn niemand würde bestreiten,<br />

dass die USA, Großbritannien, Frankreich<br />

oder Belgien ebenso christlich geprägte<br />

Länder sind.<br />

Das Embryonenschutzgesetz stammt<br />

aus dem Jahr 1990, mit einem Faktenund<br />

Sachstand von Ende der 80er Jahre.<br />

Weder die heutigen Verfahren (Thomson,<br />

Schöler) noch die absehbaren therapeutischen<br />

Potenziale waren damals erkennbar.<br />

Wir meinen deshalb, dass das Embryonenschutzgesetz<br />

nicht nur in einzelnen<br />

Paragraphen, sondern in seiner Systematik<br />

insgesamt geändert werden muss. Wir<br />

wollen, dass solche Embryonen, die für<br />

die Forschung verwendet werden dürfen,<br />

auch durch therapeutisches Klonen vermehrt<br />

werden dürfen. Würde man dies<br />

nicht zulassen, würde die Forschung nur<br />

sehr eingeschränkt möglich sein oder sie<br />

brauchen sehr viele einzelne Embryonen.<br />

Voraussetzung für das Forschungsklonen<br />

ist aber, dass ein hochrangiger Forschungszweck<br />

verfolgt wird und dass es<br />

keine alternativen Methoden zur Erreichung<br />

des Forschungszweckes gibt.<br />

Neben dem therapeutischen Klonen<br />

wollen wir aber auch andere Wege eröffnen,<br />

um die Forschung zu ermöglichen.<br />

Hier handelt es sich um Verfahren, die<br />

bei der Schaffung des Embryonenschutzgesetzes<br />

1990 noch gar nicht bekannt<br />

waren. Wir setzen auch auf ethisch unbedenkliche<br />

Forschungswege. Erlaubt werden<br />

soll die Herstellung von sog. »Umgehungsembryonen«.<br />

Dazu gehören<br />

„knock-out“-Embryonen oder parthogenetisch<br />

entstandene Embryonen, also aus<br />

einer unbefruchteten Eizelle stammend.<br />

Diese Embryonen sind nicht totipotent,<br />

können sich also nicht zu einem Menschen<br />

entwickeln und sind daher in ihrer<br />

Verwendung für die Forschung unbedenklich.<br />

Erlaubt werden soll auch das Herstellen<br />

oder Auftauen von Vorkernstadien,<br />

sofern diese allein zum Zwecke der Fortpflanzung<br />

erzeugt wurden und die aus<br />

ihnen entstehenden Embryonen ausschließlich<br />

der Forschung dienen.<br />

Nach unserem Gesetz ist auch die<br />

Eizell-Spende nicht mehr verboten. Der<br />

Handel mit Eizellen dagegen muss verboten<br />

bleiben. Für die Eizellspende eignen<br />

sich vor allem solche Eizellen, die ohnehin<br />

bei der künstl. Befruchtung anfallen. Und<br />

es sollen auch Eizellen verwendet werden<br />

Hatte vor der Bundestagswahl noch gut Lachen: Ulrike Flach, FDP<br />

dürfen, die die Spenderin für die eigennützige<br />

Therapie an sich selbst spendet.<br />

Würden wir dieses Gesetz durchsetzen,<br />

könnte das Stammzellimportgesetz aufgehoben<br />

werden. Der zukünftige Import<br />

embryonaler Stammzellen würde nach<br />

den gleichen Vorschriften wie die Verwendung<br />

von in Deutschland entstandener<br />

Stammzellen ablaufen. Es wäre unlogisch,<br />

für den Import schärfere oder<br />

schwächere Vorschriften zu haben als für<br />

die Forschung an einheimischen embryonalen<br />

Stammzellen.<br />

Die Durchsetzung dieser Vorstellungen<br />

wird mit der Union sehr schwer.<br />

Das hindert uns aber nicht, unsere<br />

Vorstellungen »FDP pur« zu formulieren.<br />

Unser Fahrplan ist also ganz klar:<br />

1. Änderung des Stammzellimportgesetzes<br />

mit Streichung des Stichtags und<br />

der Beendigung der Kriminalisierung von<br />

deutschen Wissenschaftlern, die im Ausland<br />

mit Stammzellen arbeiten.<br />

Diese Festlegung sollte entweder im<br />

Koalitionsvertrag verankert werden, oder<br />

<strong>–</strong> wenn das mit der Union nicht geht <strong>–</strong><br />

muss das Thema freigegeben werden, so<br />

dass jede Fraktion die Möglichkeit hat,<br />

sich eigene Mehrheiten im Parlament zu<br />

suchen. Hierfür sehe ich gute Chancen,<br />

eine Mehrheit zu erreichen, da sich sowohl<br />

der Bundeskanzler, als auch die<br />

Minister Clement und Bulmahn dafür<br />

ausgesprochen haben. Dazu kommt eine<br />

Gruppe von Unionsabgeordneten um<br />

Frau Reiche und Herrn Hinze, die gesamte<br />

FDP-Fraktion und <strong>–</strong> wenn sie wieder<br />

in den Bundestag einziehen sollte <strong>–</strong><br />

die Linkspartei, die als PDS bereits 2002<br />

für unseren Entwurf zum Stammzellimportgesetz<br />

gestimmt hat. Das könnte als<br />

Gruppenantrag eine Mehrheit zusammen<br />

bringen.<br />

2. Änderung des Embryonenschutzgesetzes<br />

nach den Vorstellungen unseres<br />

Gesetzesentwurfes. Hier sehe ich<br />

größere Probleme, eine Mehrheit<br />

zustande zu bringen, als bei Punkt<br />

1. Wer allerdings beim TV-Duell<br />

den Bundeskanzler und Frau<br />

Merkel zu diesem Thema gehört<br />

hat, der weiß, dass beide die<br />

Chancen der roten Gentechnik<br />

als Schlüsselthema für die Innovationsfähigkeit<br />

herausgestellt<br />

haben. Der Kanzler hat sich eindeutig<br />

für das therapeutische<br />

Klonen ausgesprochen.<br />

Um einen wirklichen Durchbruch<br />

zu erreichen, würde die<br />

Lockerung des Stammzellgesetzes<br />

nicht ausreichen, sondern<br />

Deutschland müsste auf das Niveau Großbritanniens<br />

oder Frankreichs kommen,<br />

die die Forschung freigegeben haben. Ich<br />

sehe hier mit der SPD bessere Möglichkeiten<br />

als mit der Union.<br />

Das entscheidende Argument ist hier,<br />

welche Entwicklungen es im Ausland<br />

geben wird. Wenn es gelingt, mittels<br />

therapeutischem Klonen und der Forschung<br />

an embryonalen Stammzellen<br />

Erfolge für Therapien gegen schwere,<br />

genetisch bedingte Krankheiten zu erzielen,<br />

so wird auch in Deutschland die Frage<br />

gestellt werden, ob man unseren Patienten<br />

diese Therapien vorenthalten will.<br />

Diese Position wird auf Dauer nicht<br />

zu halten sein, selbst mit einer Mehrheit<br />

in den großen Volksparteien. Der Druck<br />

der Patienten wird zunehmen. Wir meinen<br />

deshalb, mit unseren Vorstellungen<br />

innerhalb der nächsten Legislaturperiode<br />

einen Durchbruch erzielen zu können<br />

und werden entsprechend um Mehrheiten<br />

werben.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 25


GESELLSCHAFT<br />

Pädagogischer Schund<br />

an hessischen Schulen<br />

Keine Frage, Aufklärung muss sein. Eigentlich eine Aufgabe für die Eltern. Weil aber nicht alle Eltern<br />

dazu fähig und willens sind, kommen auch Schulen nicht um die Sexualerziehung herum. Wer diese<br />

Aufgabe jedoch der Organisation Pro familia anvertraut, macht, wie der Pädagoge Hubert Hecker<br />

zeigt, den Bock zum Gärtner.<br />

Von Hubert Hecker<br />

Im Schuljahr 2004/<strong>2005</strong> hat Pro<br />

familia Gießen an vier mittelhessischen<br />

Schulen ein so genanntes<br />

»Peer Education Projekt« zur Sexualberatung<br />

gestartet. Nach Aussage der Profamilia-Verantwortlichen<br />

bezieht sich<br />

dieses Modell, das im Saarland erfolgreich<br />

erprobt worden sei, auf das folgende<br />

Handbuch: »Peer Education <strong>–</strong> ein Handbuch<br />

für die Praxis. Ergebnisse des Modellprojektes<br />

im Auftrag der BZgA« in<br />

der Reihe »Forschung und Praxis der<br />

Sexualaufklärung und Familienplanung«.<br />

Die Herausgeberin weist ausdrücklich<br />

darauf hin, dass die »Beiträge der Fachheftreihe<br />

nur die Meinungen der Autorinnen<br />

und Autoren« wiedergäben und<br />

die »Fachheftreihe als Diskussionsforum«<br />

anzusehen wäre. Das Projekt »peer<br />

education« ist also im eigentlichen Sinne<br />

nicht von der Bundeszentrale für gesund-<br />

DANIEL RENNEN<br />

Jugendlichen für Jugendliche« zu sein,<br />

völlig überzogen ist bzw. nicht eingelöst<br />

wird.<br />

Das Hauptstück des Ordners ist eine<br />

Methodensammlung für Sozialpädagogen<br />

und Jugendleiter, auf 120 Seiten ausgebreitet.<br />

Die meisten dieser kurz beschriebenen<br />

Methoden für Gruppenarbeit mit<br />

»Petting als ›geheimes Lernziel‹<br />

für Jugendliche ab 14 Jahre.«<br />

Macht mittelhessische Schulen unsicher: Pro familia.<br />

26<br />

heitliche Aufklärung (BZgA) entwickelt<br />

worden und erst recht hat die BZgA mit<br />

dem Projektordner nicht eine »positive<br />

Auswertung vorgelegt«, wie das Hessische<br />

Sozialministerium meinte. Selbst wenn<br />

man den Ordner nur oberflächlich durchblättert,<br />

wird man leicht zu dem Urteil<br />

und Ergebnis kommen, dass der Anspruch,<br />

ein »Projekt zur Beratung von<br />

Jugendlichen sind kleine Gruppenspiele<br />

und -arbeiten, wie sie in den diversen<br />

Handbüchern für Gruppenleiter immer<br />

schon auf dem Markt waren und auf<br />

Gruppenleiterschulungen praktiziert und<br />

eingeübt werden. (Beispiel: Zusammenfinden<br />

einer neuen Gruppe nach dem<br />

Prinzip »Orgelpfeifen«.) In dieser Hinsicht<br />

ist der Ordner eine fleißige Sammelarbeit,<br />

aber für 27 Euro viel zu teuer.<br />

Ein kleinerer Teil des Ordners ist den<br />

Berührungs- und Aufklärungsspielen gewidmet.<br />

Drei Beispiele möchte ich dazu<br />

vorstellen und bewerten.<br />

1. »Kondom am Körper verstecken«:<br />

Ein aus dem Raum geschickter Jugendlichen<br />

muss alle Jugendlichen eines Kreises<br />

an deren Körpern abtasten, um ein oder<br />

mehrere an den Körpern versteckte Kondome<br />

zu suchen und zu finden. Mit dieser<br />

Methode sollen die Ziele »Kennenlernen<br />

von Kondomen«, »Überwindung von<br />

Berührungsscheu« sowie Grenzen und<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


Gefühle »wahrzunehmen, zu erkennen<br />

und zu akzeptieren« erreicht werden.<br />

Entgegen dem Hinweis für die Gruppenleiter,<br />

»die Kondome nicht an zu intimen<br />

Körperstellen zu verbergen«, läuft die<br />

Logik des Spieles genau in diese Richtung,<br />

Schamgrenzen abzubauen und sich an<br />

den Intimbereich anderer Personen heranzufummeln.<br />

Insofern ist diese Methode<br />

nicht geeignet, ein »Bewusstsein für eine<br />

persönliche Intimsphäre« zu entwickeln<br />

(§ 7 des Hess. Schulgesetzes), als Methode<br />

in der Schule sowieso völlig deplaziert.<br />

»Bildliche Darstellungen laufen auf Zerstörung<br />

der natürlichen Schamgrenzen hinaus.«<br />

2. Mit der Methode »Sexualität und<br />

Körper« soll über den »Aufbau der männlichen<br />

und der weiblichen Geschlechtsorgane«<br />

informiert werden. Die Jugendlichen<br />

ab 14 Jahren sollen anhand von<br />

Abbildungen »aus Knetmasse gemeinsam<br />

die einzelnen Teile der männlichen und<br />

weiblichen Geschlechtsorgane« formen.<br />

An dem fertig gestellten Modell erklärt<br />

die Gruppenleitung anschließend »den<br />

Ablauf des weiblichen Zyklus und/oder<br />

das weibliche Lustempfinden«, analog<br />

die Funktion der männlichen<br />

Sexualorgane. Die<br />

Teilnehmer können Fragen<br />

stellen und ihr Wissen<br />

und ihre Erfahrungen einbringen.<br />

Diese Methode<br />

beinhaltet ein doppelbödiges<br />

Spiel: Hinter dem<br />

vordergründigen Lernziel,<br />

Kenntnisse zum Aufbau der Geschlechtsorgane<br />

zu vermitteln, wird in das »Handhaben«<br />

und Anfühlen von Geschlechtsorganen<br />

eingeführt und dazu angeleitet,<br />

etwa als Probespiel zum Petting. Die<br />

Methode ist also ein Falschspiel und mit<br />

diesem »geheimen Lernziel« in doppelter<br />

Weise ethisch problematisch.<br />

3. Bei der Methode »Sexualität und<br />

Sprache« soll für die sprachliche Gestaltung<br />

des Sexualbereichs und deren Wirkung<br />

sensibilisiert werden. Dabei sollen<br />

die Jugendlichen zu fünf vorgegebenen<br />

Abbildungen von Sexual- und Intimbereichen<br />

jeweils Begriffe aufschreiben, die<br />

sie mögen oder ablehnen. Anschließend<br />

lesen jeweils andere aus der Gruppe die<br />

Begriffe von den zusammen gefalteten<br />

Zetteln vor. Während das Lernziel der<br />

sprachlichen Sensibilisierung zum Sexualbereich<br />

ein wichtiges pädagogisches<br />

Anliegen ist, muss die vorgestellte Methode<br />

als völlig ungeeignet bewertet werden.<br />

Die bildlichen Darstellungen laufen<br />

auf eine Verletzung und Zerstörung der<br />

natürlichen Schamgrenzen und des Intimgefühls<br />

von Jugendlichen hinaus. Um<br />

die gefühlsmäßige Bedeutung und Wirkung<br />

von bekannten und unbekannten<br />

Begriffen des Sexuallebens zu erkennen,<br />

um das Kennenlernen und (persönliche)<br />

Bewerten von umgangssprachlichen und<br />

hochsprachlichen Bezeichnungen zu bewirken,<br />

sind diese schamlosen<br />

bildlichen Darstellungen<br />

völlig überflüssig.<br />

Jede Beschäftigung mit<br />

der Sexualsprache und<br />

Sexualbegriffen wird die<br />

Phantasie von Jugendlichen<br />

sowieso beeinflussen.<br />

Die sehr intimen bildlichen Darstellungen<br />

bringen einen zusätzlichen Sexualisierungsschub<br />

in das Geschehen. Insofern<br />

muss diese Methode als ein Beispiel für<br />

aufgeheizte Frühsexualisierung angesehen<br />

und abgelehnt werden.<br />

Die zuständige Referentin für Sexualberatung<br />

und Sexualerziehung im Hessischen<br />

Sozialministerium schrieb im Sommer<br />

<strong>2005</strong> zu diesem Handbuch: »Die<br />

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />

hat zwischen 1994 und 1997 das<br />

Projekt zur Beratung von Jugendlichen<br />

»Schüler sollen weibliche und männliche<br />

Geschlechtsorgane aus Knetmasse formen.«<br />

für Jugendliche entwickelt und 2002 eine<br />

positive Auswertung vorgelegt.« Es ist<br />

unfassbar, dass selbst ein CDU-Ministerium<br />

so einen pädagogischen und sexualerzieherischen<br />

Schund auch noch positiv<br />

bewertet.<br />

IM PORTRAIT<br />

Hubert Hecker<br />

Der Autor, Jahrgang 1947, ist Oberstudienrat<br />

in Hadamar<br />

/ Westerwald. Er<br />

unterrichtet katholische<br />

Religionslehre,<br />

Geschichte<br />

sowie Politik und<br />

Wirtschaft.<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

Papst: Angriff auf die Gesellschaft<br />

»Kinder sind der größte Schatz und das wertvollste<br />

Gut der Familie.« Das hob Papst Benedikt<br />

XVI. auf der internationalen Konferenz über<br />

Leben und Familie Anfang Dezember in Rom<br />

hervor. »Deshalb<br />

muss man allen<br />

Menschen helfen,<br />

sich über das<br />

Übel bewusst zu<br />

werden, das dem<br />

Verbrechen der<br />

Abtreibung innewohnt.«,<br />

fuhr<br />

der Papst fort.<br />

»Indem sie das<br />

menschliche Leben<br />

in seinen<br />

WWW.VATICAN.VA<br />

Papst Benedikt XVI.<br />

Anfängen zerstört, ist Abtreibung zugleich ein<br />

Angriff gegen die ganze Gesellschaft«. In seiner<br />

Ansprache vor der Teilnehmern der Konferenz<br />

unterstrich das Oberhaupt der katholischen<br />

Kirche, das es Aufgabe der Politik sei, »das<br />

fundamentale Recht auf Leben zu verteidigen,<br />

das eine Frucht der Liebe Gottes ist«. Gerate<br />

diese Aufgabe in Vergessenheit, werde auch<br />

»die Zerstörung des Embryos oder seine willkürliche<br />

Verwendung im Interesse des Fortschritts<br />

der Wissenschaften« voranschreiten.<br />

Sollte es soweit kommen, »wird die Gesellschaft<br />

in ihren Grundfesten erschüttert werden«, so<br />

der Papst.<br />

reh<br />

Einspruch gegen Designer-Baby-Patent<br />

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace<br />

hat Ende November beim Europäischen Patentamt<br />

(EPA) in München Einspruch gegen<br />

ein Patent zur Auswahl menschlicher Keimzellen<br />

eingelegt. Anfang des Jahres hatte das<br />

Europäische Patentamt einen Antrag der Firma<br />

XY Inc. mit Sitz im US-Bundesstaat Colorado<br />

auf Erteilung eines Patents zur Tiefkühl-Konservierung<br />

von geschlechtssortierten Spermien<br />

bewilligt (EP 1257 168 B). Das patentierte<br />

Verfahren erlaubt es Eltern, bei einer künstlichen<br />

Befruchtung das Geschlecht des Kindes<br />

festzulegen. Greenpeace zufolge geht laut<br />

der Patentschrift auch das selektierte und<br />

tiefgekühlte Sperma in den Besitz der Firma<br />

über. Zuvor hatte das Europäische Parlament<br />

in einer Resolution die Praxis des EPA beklagt<br />

und die Europäische Kommission aufgefordert,<br />

Einspruch gegen das Patent beim EPA einzureichen.<br />

Die Parlamentarier stellten in der<br />

Entschließung fest, dass Keimzellen Teile des<br />

menschlichen Körpers sind. Ihre Patentierung<br />

verstoße daher gegen die EU-Richtlinie »über<br />

den rechtlichen Schutz biotechnologischer<br />

Erfindungen« (98/44/EG), die 1998 nach rund<br />

zehnjährigen Verhandlungen beschlossen<br />

worden war.<br />

reh<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 27


MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />

und den Eltern auch mit Hilfe der Unterstützungszusagen<br />

der <strong>ALfA</strong> eine Perspektive<br />

für das Leben mit ihren Kind<br />

eröffnet. Da die <strong>ALfA</strong> in genau dieser<br />

Arbeit ihr Hauptanliegen verwirklicht<br />

sieht, übernimmt Frau Grundberger die<br />

ARCHIV<br />

ARCHIV<br />

Neues aus der <strong>ALfA</strong><br />

Vom 19. bis 21. Mai findet in Fulda der 2. Lebensrechtskongress<br />

statt. Thema: »Sag mir, wo die Kinder sind! <strong>–</strong> 10 Jahre § 218«. Auch<br />

sonst gibt es wieder jede Menge Berichtenswertes aus der <strong>ALfA</strong>.<br />

BDV 2006<br />

Von Cornelia Kaminski<br />

ARCHIV<br />

darf sie aber nicht in Vergessenheit geraten.<br />

Nach den guten Erfahrungen, die<br />

wir mit dem Tagungsort Fulda bei der<br />

BDV <strong>2005</strong> gemacht haben, wollen wir<br />

nun vom 19. bis 21.5.2006 abermals in<br />

Fulda tagen und gleichzeitig den zweiten<br />

Fuldaer Lebensrechtskongress ausrichten,<br />

der diesmal unter dem Thema stehen<br />

wird: »Sag mir, wo die Kinder sind! <strong>–</strong> 10<br />

Jahre § 218«. Bischof Algermissen von<br />

Fulda hat bereits zugesagt, die Schirmherrschaft<br />

über den Kongress übernehmen<br />

zu wollen und ein Grußwort zu<br />

sprechen. Über das genaue Programm<br />

des Kongresses informieren wir in der<br />

nächsten Ausgabe des Lebensforums.<br />

WWW.BISTUM-FULDA.DE<br />

Maria Grundberger<br />

bisher von Frau Kaiser geleistete Beratungsarbeit<br />

bei Schwangerschaftskonflikten.<br />

Das Notruftelefon wird auf Frau<br />

Grundbergers Nummer und die Nummer<br />

von vitaL weitergeschaltet. Zudem wird<br />

Frau Grundberger die <strong>ALfA</strong> bei der Spendenwerbung<br />

unterstützen und steht für<br />

Vorträge und Seminare, auch bei der<br />

Neugründung von Regionalverbänden,<br />

Schlossgarten in Fulda.<br />

Die traurige Bilanz nach zehn Jahren<br />

§ 218 in Deutschland war eines der Themen<br />

des letzten <strong>LebensForum</strong>s. Vermutlich<br />

ist auch von der neuen Regierung im<br />

Bezug auf die Abtreibungsfrage keine<br />

Bewegung zu erwarten - gerade deswegen<br />

28<br />

PERSONALIEN<br />

Wer Kinder schützen will, muss die<br />

Herzen ihrer Eltern gewinnen <strong>–</strong> das hat<br />

die Hebamme Maria Grundberger verinnerlicht.<br />

Beharrlich führt sie vor Abtreibungskliniken<br />

Gehsteigberatung durch.<br />

Durch ihre eindringliche Art und ihren<br />

entschlossenen Einsatz für das Leben hat<br />

sie binnen kurzer Zeit zahlreiche Kinder<br />

vor ihrer Abtreibung bewahren können<br />

Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen<br />

zur Verfügung. Wir freuen uns, eine so<br />

engagierte und kompetente Mitarbeiterin<br />

gewonnen zu haben. Die bisher von der<br />

Landesgeschäftsstelle Düsseldorf zudem<br />

geleistete Arbeit bei der Besetzung und<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


Betreuung von Ständen an Messen und<br />

Kirchentagen sowie die Beratung vor Ort<br />

wird weitergeführt, ein Personalwechsel<br />

steht jedoch auch hier ins Haus.<br />

Mit Herrn Hannes Ortmann begrüßen<br />

wir zudem einen neuen Mitarbeiter in<br />

der Bundesgeschäftsstelle der <strong>ALfA</strong> in<br />

Augsburg. Er löst zum Jahresende Herrn<br />

Seiler ab.<br />

WELTJUGENDTAG / KATHOLIKENTAG<br />

Die Resonanz auf die Materialien der<br />

<strong>ALfA</strong> beim Weltjugendtag <strong>–</strong> insbesondere<br />

das T-Shirt der Jugend für das Leben <strong>–</strong><br />

und auf ihr Anliegen war ausgesprochen<br />

positiv. Die <strong>ALfA</strong> wird daher auch beim<br />

ALFA E.V.<br />

ALFA E.V.<br />

Die Internetseite der <strong>ALfA</strong> ist nunmehr<br />

seit Anfang des Jahres in Bearbeitung.<br />

Die <strong>ALfA</strong> musste den hierfür erst<br />

vor einem Jahr geschlossenen Vertrag mit<br />

unserem Auftragnehmer kündigen, da<br />

dieser mehrfach gesetzte Fristen zur Vorlage<br />

von Entwürfen hat verstreichen lassen<br />

und eine Fertigstellung der Homepage<br />

innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens<br />

nicht erkennbar war.<br />

Mittlerweile wurde die Neugestaltung<br />

der Homepage daher erneut ausgeschrieben<br />

und an einen anderen Partner vergeben.<br />

Mit einem neuen Design der Homepage<br />

ist daher nun voraussichtlich Ende<br />

des Jahres zu rechnen.<br />

ADRESSAUFKLEBER<br />

Die Füßchenaufkleber der <strong>ALfA</strong> sind<br />

eine gute Möglichkeit, Menschen daran<br />

zu erinnern, wie schützenswert ein Menschenleben<br />

auch in einem solch frühen<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

Richter verbieten Volksabstimmung<br />

Das portugiesische Verfassungsgericht hat<br />

ein Referendum über eine Lockerung der Abtreibungsgesetze<br />

abgelehnt. Ende Oktober<br />

entschieden die Richter in Lissabon, die vom<br />

Parlament beschlossene Volksabstimmung<br />

sei aus formalen Gründen mit der Verfassung<br />

unvereinbar. Bereits im Mai hatte Staatspräsident<br />

Sampaio einen Antrag des Parlaments<br />

zur Abhaltung eines Referendums abgelehnt.<br />

Sampaio begründete seine Ablehnung mit der<br />

niedrigen Beteilung, die bei einer während<br />

der Sommerferien geplanten Volksabstimmung<br />

zu erwarten sei. Daraufhin erneuerte das<br />

Parlament Ende September mit den Stimmen<br />

der Sozialisten und des Blocks der Linken<br />

seinen Antrag. Dieser Antrag ist nach Auffassung<br />

des Verfassungsgerichts jedoch ungültig,<br />

weil er innerhalb derselben Legislaturperiode<br />

gestellt wurde. Ministerpräsident Socrates<br />

kündigte nun an, das Referendum zum frühest<br />

möglichen Zeitpunkt abzuhalten, lehnte es<br />

jedoch ab, die geltenden Abtreibungsgesetze<br />

ohne Volksabstimmung durch einen Parlamentsbeschluss<br />

zu lockern.<br />

reh<br />

T-Shirt der Jugend für das Leben.<br />

Katholikentag in Saarbrücken präsent<br />

sein und bietet allen, die sich als Helfer<br />

für die Standbetreuung zur Verfügung<br />

stellen, eine Übernahme eines Teils der<br />

entstehenden Unkosten an. Bitte melden<br />

Sie Ihre Teilnahme daher rechtzeitig bei<br />

der Landesgeschäftsstelle in Düsseldorf<br />

an.<br />

INTERNETAUFTRITT<br />

Vorentwurf für die neue Homepage der <strong>ALfA</strong>.<br />

ARCHIV<br />

Die neuen Adressaufkleber der <strong>ALfA</strong>.<br />

Stadium ist. Sie werden daher ausgesprochen<br />

häufig in der Bundesgeschäftsstelle<br />

der <strong>ALfA</strong> in Augsburg angefragt. Die<br />

<strong>ALfA</strong> bietet nun<br />

die Möglichkeit,<br />

diese als Adressaufkleber,<br />

versehen<br />

mit der eigenen<br />

Anschrift, zu<br />

bestellen (siehe<br />

Abbildung). Die<br />

Kosten für 300<br />

Adressaufkleber<br />

belaufen sich auf<br />

ca. 60 Euro. Bestellungen<br />

hierfür<br />

nimmt die<br />

Bundesgschäftsstelle<br />

entgegen.<br />

Mietrecht<br />

Immobilienrecht<br />

Verkehrsrecht<br />

Bank- und Finanzrecht<br />

Versicherungsrecht<br />

Schweiz ringt um Verbot der PID<br />

Mit sieben zu fünf Stimmen hat sich die Wissenschaftskommission<br />

des Schweizer Ständerates<br />

für die Beibehaltung des im Fortpflanzungsmedizingesetz<br />

festgeschriebenen Verbots<br />

der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen<br />

und einen Antrag des Parlaments<br />

auf Zulassung der genetischen Untersuchung<br />

von im Reagenzglas erzeugten Embryonen abgelehnt.<br />

Bei der PID werden künstlich erzeugte<br />

Embryonen einem Gen-Check unterzogen. Ziel<br />

ist, nur genetisch unverdächtige Embryonen<br />

auf die Mutter zu übertragen. Embryonen, bei<br />

denen ein genetischer Defekt vermutet wird,<br />

werden ausgesondert und sofort vernichtet<br />

oder zunächst der Forschung zugeführt. Der<br />

Ständerat, in dem alle Kantone vertreten sind,<br />

entspricht dem deutschen Bundesrat. reh<br />

RA Stefan Brandmaier<br />

Straß 8<br />

83714 Miesbach<br />

Telefon 0 80 25 / 99 23 22<br />

Telefax 0 80 25 / 99 23 20<br />

www.RA-Brandmaier.de<br />

mail@RA-Brandmaier.de<br />

ANZEIGE<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 29


BÜCHERFORUM<br />

30<br />

Verleugneter<br />

Rechtsstaat<br />

Um ein Wort Robert Spaemanns<br />

aufzugreifen: Ist nicht »schon<br />

alles gesagt«, was zum grundgesetzlich<br />

verbrieften Lebensrechts jedes<br />

Menschen zu sagen<br />

ist, zu Abtreibung,<br />

Euthanasie<br />

und Verbrauch des<br />

Menschenembryos?<br />

»Anmerkungen«<br />

untertitelt<br />

Manfred Spieker, Professor für Christliche<br />

Sozialwissenschaft in Osnabrück und<br />

nicht nur <strong>LebensForum</strong>-Lesern als Autor<br />

bestens bekannt, sein neues Buch: »Anmerkungen<br />

zur Kultur<br />

des Todes in Europa«. In<br />

gewohnter Präzision<br />

wird die Hintergehung<br />

des Tötungsverbots<br />

durch Justiz, Gesetzgebung,<br />

Politik und Gesellschaft<br />

kommentiert.<br />

Indem gesellschaftliche<br />

Strukturen und Vereine<br />

das Töten als medizinische<br />

Dienstleistung oder<br />

Sozialhilfe und die beratene<br />

Fristenlösung von<br />

1992 im »Schwangerenund<br />

Familienhilfeänderungsgesetz«<br />

als »Verbesserung<br />

des Lebensschutzes«<br />

tarnen <strong>–</strong> korrumpiert<br />

der demokratische Staat das<br />

Lebensrecht seiner Bürger und somit die<br />

ihn legitimierenden Grundlagen. Seit<br />

1974 stellen die Abtreibungsregelungen<br />

im deutschen Strafrecht das ungeborene<br />

Kind im Schwangerschaftskonflikt rechtlos.<br />

Die Euthanasiegesetze in den Niederlanden<br />

und Belgien lassen aktive Sterbehilfe<br />

(obwohl de jure noch verboten)<br />

bei erfüllten Auflagen straffrei und überlassen<br />

das Weiter-Leben kranker Erwachsener<br />

oder schwer behinderter Neugeborener<br />

dem Ermessen ihrer medizinischen<br />

Umgebung. Bürgerinitiativen und parlamentarische<br />

Korrekturversuche im Fall<br />

der Spätabtreibungen, wo sich die Tötungsgewalt<br />

nicht mehr vertuschen lässt,<br />

sind in unserem Rechtsstaat bisher gescheitert.<br />

Verblüffend ähnlich sind sich<br />

auf allen bioethischen Feldern die tödlichen<br />

»Argumente«: »helfen statt strafen«<br />

beim § 218; über eine Patientenverfügung<br />

(oder auch ohne sie) rasch »abhelfen«<br />

statt dem Sterbenden beizustehen; ja:<br />

Dritten »helfen« mittels embryonaler<br />

Stammzellen statt den Menschenembryo<br />

als Unseresgleichen zu schützen oder ihn<br />

wenigstens sterben zu lassen. Embryonen<br />

sind kein Eigentum: PID, Klonen, Verbrauch<br />

und Vernutzung des Embryos<br />

auch zu einem »besten« Zweck bedeuten<br />

Rückkehr zur Sklaverei. Grundlage der<br />

bioethischen Einordnung von Forschung<br />

und Praxis ist die<br />

Menschenwürde,<br />

die der Philosoph<br />

Jürgen Habermas<br />

aus der »Symmetrie<br />

der Beziehungen«,<br />

also sozial,<br />

ableitet, die darüber hinaus aber ontologisch-essentiell<br />

ab der Zeugung zu respektieren<br />

ist und daher das Tabu der<br />

»Nichtinstrumentalisierbarkeit menschlichen<br />

Lebens« einfordert.<br />

Spiekers »Anmerkungen«<br />

dienen auch dem<br />

erfahrenen Lebensrechtler<br />

mit detaillierten Sachverhalten<br />

und wiederholten<br />

Zitaten und lassen<br />

neben gesellschaftlichen<br />

auch innerkirchliche Fehl-<br />

Entwicklungen verfolgen.<br />

Ist der eigentliche Dammbruch<br />

letztlich nicht in der<br />

rechtlichen Zulassung der<br />

In-vitro-Fertilisation auszumachen<br />

<strong>–</strong> und wie wäre<br />

sie zu beschränken? Das<br />

Buch bleibt indes nicht<br />

beim Bedauern, es ermutigt<br />

vielmehr, immer wieder<br />

neu das Lebensrecht für Alle mit Vernunftgründen<br />

einzufordern und auf notwendige<br />

biopolitische Veränderungen in<br />

Gesellschaft, Kirche und Politik zu drängen.<br />

»Habt keine Angst« steht über dem<br />

letzten Kapitel des Bandes; dort geht es<br />

um die Preisverleihung der »Stiftung Ja<br />

zum Leben« 2002. Ausgezeichnet wurde<br />

Frau Elke Feldmeier-Thiele für ihre Initiative<br />

zum Verein »Hilfe für Schwangere<br />

in Norddeutschland«: sie bietet Schwangeren<br />

keinen »Schein«, sondern das ermutigende<br />

Wort und praktische Hilfe.<br />

Unser Redaktionsleiter Stefan Rehder<br />

wurde aufgrund akribischer Recherchen<br />

und treffsicherer Beurteilungen bei biopolitischen<br />

Fragestellungen als »Anwalt<br />

der gesamten Lebensrechtsbewegung«<br />

und als Repräsentant »ihres intellektuellen<br />

und sittlichen Niveaus« geehrt. Dem lässt<br />

sich nur dankbar zustimmen.<br />

Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Manfred Spieker<br />

Der verleugnete Rechtsstaat. Anmerkungen zur<br />

Kultur des Todes in Europa.<br />

Verlag Schöningh, Paderborn <strong>2005</strong>. 216 Seiten. 19,90 EUR.<br />

Im Schaufenster<br />

Warum Frauen<br />

nicht schwach,<br />

Schwarze nicht<br />

dumm und Behinderte<br />

nicht arm sind<br />

In diesem Buch räumt<br />

der Humangenetiker<br />

und Ethiker Wolfram<br />

Henn mit dem<br />

Wunschdenken vieler<br />

Gen-Bastler auf. Gene verhalten sich unberechenbarer<br />

als viele glauben und erweisen<br />

sich als weniger manipulierbar als manche<br />

wünschen. Prädiktive Gentests sind vor allem<br />

eine lohnende Einnahmequelle für kommerzielle<br />

Labors und Patentinhaber. Tests auf Brustkrebs<br />

auslösende Genmutationen liefern weder<br />

sichere Prognosen für eine künftige<br />

Erkrankung noch erlaubt ein negativer Befund,<br />

sich in Sicherheit zu wiegen. Das geistige<br />

Entwicklungspotential eines Menschen mit<br />

Behinderung ist <strong>–</strong> wie bei nichtbehinderten<br />

Menschen auch <strong>–</strong> nicht vom Funktionszustand<br />

eines einzelnen Gens abhängig, sondern vom<br />

Zusammenwirken einer Vielzahl genetischer<br />

und sozialer Faktoren. Angesichts mehrerer<br />

tausend, überwiegend rezessiver Erbleiden<br />

ist ohnehin nahezu jeder Mensch Träger von<br />

mehreren Erbkrankheiten. Genetische Vielfalt<br />

ist eine Notwendigkeit, der Versuch sie durch<br />

Eugenik zu vereinheitlichen biologischer Unsinn.<br />

Solche und viele weitere Erkenntnisse<br />

stellt der Autor fachlich versiert und allgemeinverständlich<br />

dar. reh<br />

Wolfram Henn: Warum Frauen nicht schwach,<br />

Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm<br />

sind. Der Mythos von den guten Genen. Verlag<br />

Herder, Reihe »Herder Spektrum«, Freiburg im Breisgau.<br />

190 Seiten. 8,90 EUR.<br />

»Lasst uns Menschen<br />

machen«<br />

Mit »Lasst uns Menschen<br />

machen« hat<br />

der evangelische<br />

Theologe Ulrich Körtner,<br />

Professor für Systematische<br />

Theologie,<br />

Vorstand des Instituts<br />

für Ethik und Recht in<br />

der Medizin der Universität Trier und Mitglied<br />

der österreichischen Bioethikkommission, ein<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


interessantes Buch vorgelegt. Es zeigt, dass<br />

es offensichtlich nicht reicht, über eine umfassende<br />

Bildung und zahlreiche zutreffende<br />

Einsichten zu verfügen. Mann muss das, was<br />

aus dem richtig Erkanntem folgt, auch wollen.<br />

Körtner will nicht. So bleibt etwa der Befund,<br />

dass das Personsein des Menschen mit seiner<br />

leiblichen Existenz gegeben ist, folgenlos.<br />

Respektiert werden muss laut Körtner nicht<br />

das Leben des schutzlosen Embryos, sondern<br />

die Taten derer, die »im Geiste der Liebe«<br />

handeln.<br />

Dass gut Gemeintes aber oft das Gegenteil<br />

des Guten ist <strong>–</strong> diese Einsicht hätte man<br />

freilich gerade von einem Theologen erwartet;<br />

erst recht wenn er sich also so gebildet erweist,<br />

wie Körtner in diesem Buch. Wer ethische<br />

Orientierung sucht, kann dieses Buch<br />

daher ohne Sorge ignorieren. reh<br />

Ulrich H.J. Körtner: »Lasst uns Menschen machen«.<br />

Christliche Anthropologie im biotechnologischen<br />

Zeitalter. Verlag C.H. Beck, München <strong>2005</strong>. 240 Seiten.<br />

17,90 EUR.<br />

Das Ende des<br />

Alterns<br />

Wer immer noch<br />

meint, mahnende<br />

Stimmen als »bioethischen<br />

Alarmismus«<br />

diskreditieren zu müssen,<br />

dem kann die Lektüre<br />

des vorliegenden<br />

Buches ans Herz gelegt<br />

werden. Das Werk offeriert »Strategien<br />

zur Lebensverlängerung« für jedermann, vor<br />

allem mittels Stammzelltherapie und Organverjüngung.<br />

Die dazu notwendige Vernichtung<br />

menschlicher Embryonen wird dabei verschleiert:<br />

»Nach der Gewinnung solcher embryonalen<br />

Stammzellen sind die Embryonen nicht<br />

mehr lebensfähig.« Rücksicht und Respekt<br />

lassen die Autoren aber auch gegenüber Geborenen<br />

vermissen. An Alzheimer Erkrankte<br />

werden als »rüstige Idioten« tituliert, die<br />

Schwangerschaft als Strategie zur Selbstverjüngung<br />

gepriesen.<br />

Dem Tod entkommt trotz all solchen Mühen<br />

niemand. Das wissen auch die Autoren.<br />

Machttrunken fordern sie: »Wir sollten alles<br />

dafür tun, dass er erst kommt, wenn wir ihn<br />

rufen.« Merke: Es gibt zwar kein Gesetz, das<br />

Wissenschafts-Trash verbietet, allerdings<br />

auch keines, das seine Lektüre verordnet. reh<br />

Johannes Huber, Robert Buchacher: Das Ende des<br />

Alterns. Bahnbrechende medizinische Möglichkeiten<br />

der Verjüngung. Verlag Econ, Berlin <strong>2005</strong>. 285<br />

Seiten. 19,95 EUR.<br />

Thanatos, »der Tod ist groß«.<br />

Rilkes Diktum wird durch die<br />

breite gesellschaftliche Debatte<br />

um Sterbehilfe und Autonomie bestätigt.<br />

Seit der Popularität<br />

der Autorin<br />

Kübler-<br />

Ross hat sich<br />

auch die Soziologie<br />

der<br />

»death-awareness«<br />

angenommen und erörtert heute<br />

in phänomenologischen und systemtheoretischen<br />

Untersuchungen die ars moriendi.<br />

Dazu legt die Görresgesellschaft<br />

jetzt eine<br />

anspruchsvolle Sammlung<br />

von Vorträgen aus den<br />

Jahren 1999 bis 2002 zu<br />

»Tod, Hospiz und Institutionalisierung<br />

des Sterbens«<br />

vor. Der Tabuisierung<br />

des Todes in der<br />

Leistungsgesellschaft sei<br />

geradezu eine »Geschwätzigkeit<br />

des Todes« gefolgt.<br />

Kein Wunder, in einem<br />

vergreisenden Europa<br />

wird mehr gestorben als<br />

geboren! Überdies sind<br />

aus den unterschiedlichen<br />

sozialen Funktionssystemen<br />

inzwischen neue<br />

Todes-Perspektiven entstanden: seine<br />

»Verwissenschaftlichung« in der Hirntoddebatte,<br />

die »Politisierung, Ökonomisierung,<br />

Judifizierung, Medikalisierung«,<br />

die Rationalisierung und Säkularisierung.<br />

Die private Frage nach einem guten, weil<br />

persönlichen Sterben wandelt sich zum:<br />

»Wie sterbe ich richtig?« Und wie reden<br />

wir über das Sterben? Will die Patientenverfügung<br />

ein »formulargesichertes<br />

Sterben« erreichen und letzte Unsicherheiten<br />

autonom vertreiben? Oder gerät<br />

sie zum Ausdruck eines moralisierenden<br />

Zwangs, sich (gefälligst) um die Sozialverträglichkeit<br />

des eigenen Ablebens zu<br />

kümmern und niemandem zur Last zu<br />

fallen?<br />

Biografisch mag der Soziologe die so<br />

genannten »Unsterblichen« ausmachen,<br />

das sind Menschen, die auch in Alter und<br />

Krankheit so leben als lebten sie ewig,<br />

daneben die Gruppe der »Todesexperten«<br />

mit lässiger Aufgeklärtheit oder religiösem<br />

Fundament und weiter die »Todesforscher«,<br />

welchen die Vergänglichkeit<br />

(Kontingenz) Anlass zur Frage wird: Wer<br />

bin ich eigentlich? Inzwischen drängt die<br />

moderne Gesellschaft in Gesetzen, Administration,<br />

pflegerischer wie medizinischer<br />

Professionalisierung längst zu einer<br />

Was ist<br />

Thanatosoziologie?<br />

Vereinheitlichung des Sterbens. Wird<br />

nicht das Sterben schon professionell »gemacht«:<br />

»qualitätsorientiert« («in Würde<br />

sterben«), »medikalisiert«, am Ende auf<br />

europäischer<br />

Ebene einheitlich<br />

»bürokratisiert«?<br />

Und sind<br />

vielleicht auch<br />

Hospiz und<br />

Palliativmedizin<br />

gefährdet, der Ökonomisierung durch<br />

großflächige Organisationsgeflechte und<br />

Wohlfahrtskonzerne nachzugeben und<br />

zu »Entsorgungsstätten«<br />

zu mutieren?<br />

Der Band legt dazu<br />

interessante Alternativen<br />

vor: Gegenstrategien der<br />

kommunikativen Aufmerksamkeit<br />

und Interaktion,<br />

sorgende Krankenbegleitung<br />

und »Nähe«<br />

im Erfahrungsaustausch,<br />

im »Loslassen« und pflegerischer<br />

Kompetenz. Für<br />

die heute weitgehend privatisierte<br />

Religiosität liegen<br />

eine Menge »Ratgeber«<br />

in der Bücherecke<br />

bereit, die allerdings kaum<br />

mehr an die klassische<br />

Tradition der ars moriendi<br />

oder die christliche Erlösungs- und Auferstehungshoffnung<br />

anschließen. Sie stehen<br />

im Windschatten theologischer Auseinandersetzungen<br />

über Diesseits und<br />

Jenseits, bieten Mögliches anstatt Notwendiges<br />

und Bindendes an, tragen nicht<br />

selten Züge der Esoterik. Die säkulare<br />

Aufwertung des Sterbens wird mehr von<br />

der Mitteilung persönlicher Erfahrung<br />

und einem Ethos des guten mitmenschlichen<br />

Umgangs getragen: ein verständnisvoll-harmonisches<br />

Milieu schafft Vergewisserung<br />

über gutes Leben und<br />

Sterben. Die wieder erwachte Todesbewusstheit<br />

in der Gesellschaft ist Ausdruck<br />

einer Zeit, in der, nicht zuletzt medizinbedingt,<br />

sich dem »aktiven Alter« Jahre<br />

der »Abhängigkeit« anschließen können.<br />

Darauf müssen alle antworten, auch Pfleger<br />

und Arzt, indem sie dem Patienten<br />

seine je persönliche »Sterberolle« lassen<br />

und sie begleitend aushalten.<br />

Dr. Maria Overdick-Gulden<br />

Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hrsg.)<br />

Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die<br />

Institutionalisierung des Sterbens.<br />

Verlag Duncker & Humblot, Berlin <strong>2005</strong>. 220 Seiten.<br />

54,00 EUR.<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 31


KURZ VOR SCHLUSS<br />

Expressis verbis<br />

»<br />

Nicht durch die Hand eines anderen sollen<br />

die Menschen sterben, sondern an der Hand<br />

eines anderen.«<br />

Bundespräsident Horst Köhler auf einer<br />

Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

Hospiz in Würzburg.<br />

»<br />

Eine Gesellschaft, die aus Heilern Henkern<br />

machen will, hat aufgehört eine humane zu<br />

sein.«<br />

Die Ärztin und Bundesvorsitzende der Aktion<br />

Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>), Claudia Kaminski.<br />

»<br />

Die Vertreter der Euthanasieforderung legen<br />

in der Regel großen Wert darauf, nicht mit<br />

der kriminellen Praxis der Nationalsozialisten<br />

in Zusammenhang gebracht zu werden.<br />

Dieser Zusammenhang aber ist nicht zu<br />

leugnen.«<br />

Der Philosoph Robert Spaemann in einem<br />

Zeitungsbeitrag für die »Stuttgarter Zeitung«.<br />

»<br />

Wenn wir sagen, dass menschliches Leben<br />

Würde hat, dann meinen wir doch, dass es<br />

keinen Zustand dieses menschlichen Lebens<br />

gibt, den wir als lebensunwert bezeichnen<br />

dürfen.«<br />

Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende<br />

Christoph Böhr in einem Gastbeitrag für die<br />

katholische Zeitung »Die Tagespost«.<br />

Tops & Flops<br />

Zwei Weltkriege hätten demografisch<br />

nicht so verheerend<br />

gewirkt, wie der nach<br />

dem Wirtschaftswunder einsetzende<br />

dauerhafte Geburtenrückgang.<br />

Jahr für Jahr weise Deutschland mehr<br />

Sterbefälle als Geburten aus. »Daran lässt<br />

sich nun auf Jahrzehnte hinaus nichts<br />

mehr ändern, denn<br />

die Eltern, die das<br />

ändern könnten<br />

sind nie geboren<br />

worden.« Der Bevölkerungswissenschaftler<br />

Herwig<br />

Birg redet nicht<br />

lange um den heißen<br />

Brei herum. Im<br />

Interview mit der<br />

Herwig Birg<br />

Zeitung »Die Welt«, beklagt der Autor<br />

des Buches »Die ausgefallene Generation«<br />

auch den Umgang der Politik mit<br />

dem Thema Demografie: »Im zurückliegenden<br />

Wahlkampf haben wir erneut ein<br />

Allparteien-Schweigekartell gegen die<br />

existenzbedrohende demografische Fehlentwicklung<br />

erleben können. Die Parteien<br />

täuschen sich über die Zukunft unseres<br />

Landes und so wird zugleich der Rest der<br />

Gesellschaft mitgetäuscht.« Dass die Abtreibung<br />

von acht Millionen Kindern in<br />

den letzten drei Jahrzehnten eine beträchtliche<br />

Teilschuld an dieser Entwicklung<br />

besitzt, sagt Birg in dem Interview<br />

nicht. Wo kämen wir denn hin, wenn<br />

Journalisten danach fragten? reh<br />

WWW.OEDP.DE<br />

Ursula von der Leyen<br />

Niemand hatte erwartet, dass<br />

eine Änderung des § 218 auf<br />

der Agenda der neuen Regierung<br />

ganz oben stehen<br />

würde. Aber dass ausgerechnet die CDU-<br />

Politikerin Ursula von der Leyen kurz<br />

vor ihrer Vereidigung als Familienministerin<br />

allen Hoffnungen auf eine Reform<br />

des § 218 eine Absage erteilen würde, hat<br />

auch keiner erwartet. Im Interview mit<br />

dem »Rheinischen<br />

Merkur« sagte die<br />

Politikerin: »Das<br />

grundsätzliche Prinzip<br />

des Paragrafen<br />

218 werden wir<br />

nicht mehr antasten.<br />

Da ist nach vielen<br />

gesellschaftlichen<br />

Diskussionen<br />

ein Konsens gefunden<br />

worden, der jetzt von allen Seiten<br />

getragen wird.«<br />

Das ist starker Tobak. Denn dass Abtreibung<br />

gegen das Menschenrecht auf<br />

Leben und die Verfassung verstößt, ist<br />

evident. Wie soll ein angeblicher gesellschaftlicher<br />

Konsens, das »heilen« können?<br />

Vorausgesetzt von der Leyen weiß,<br />

was sie sagt, müsste sie, wenn das Parlament<br />

auf die Idee käme, die Sklaverei<br />

straffrei zu stellen, dann nicht dasselbe<br />

sagen: »Da ist nach vielen gesellschaftlichen<br />

Diskussionen ein Konsens gefunden<br />

worden, der jetzt von allen Seiten getragen<br />

wird«?<br />

reh<br />

CDL.NIEDERSACHSEN.DE<br />

»<br />

Vordergründig geht es um das Mitleid, um<br />

die Forderung nach dem so genannten<br />

selbst bestimmten Tod. Tatsächlich aber<br />

geht es um die Frage, wie wir Gesundheit<br />

und Pflege in Zukunft noch finanzieren<br />

können.«<br />

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe<br />

im »Rheinischen Merkur« über die Hintergründe<br />

der Debatte um die »Tötung auf Verlangen«.<br />

»<br />

Menschlichem Leid darf nicht durch Tötung,<br />

sondern muss durch Zuwendung begegnet<br />

werden.«<br />

Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang<br />

Huber in einem Statement für die Zeitung »Die<br />

Welt«.<br />

32<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


Aus dem Netz gefischt<br />

»Schuleinsätze zum Thema<br />

Abtreibung online bestellbar.«<br />

Ihr erklärtes Ziel besteht in der Förderung<br />

der »Kultur des Lebens«. Seit<br />

ihrer Gründung im Jahr 1997 sorgt die<br />

»Jugend für das Leben«, die als eigenständiger<br />

Verein organisiert wurde und<br />

die Anerkennung der Österreichischen<br />

Bischofskonferenz genießt, immer wieder<br />

mit spektakulären Aktionen dafür, dass<br />

der mangelnde Schutz menschlichen Lebens<br />

in Österreich öffentlich debattiert<br />

wird. Doch handelt es sich bei den öffentlichkeitswirksamen<br />

Kundgebungen und<br />

Demonstrationen, nur um die Spitze eines<br />

Eisberges.<br />

Zum Alltag der »Jugend für Leben«<br />

zählen vielmehr Einsätze in Schulen und<br />

Pfarreien. Auf Einladung informieren die<br />

jugendlichen Lebensrechtler dabei zum<br />

Beispiel Schüler ab 13 Jahren über Fakten,<br />

Ursachen und Auswirkungen der Abtreibung.<br />

Die Nachfrage nach diesem Angebot<br />

ist mittlerweile so hoch, dass auf der<br />

Internetseite der »Jugend für das Leben«<br />

(www.youthforlife.net) zu diesem Zweck<br />

sogar ein Anforderungs-Formular bereitgehalten<br />

wird, das online ausgefüllt und<br />

abgeschickt werden kann.<br />

www.youthforlife.net<br />

Wissenswertes findet sich aber auch<br />

auf der Homepage selbst. Allgemeinverständlich<br />

und seriös werden in deutscher<br />

und englischer Sprache dort Fragen wie<br />

»Wann beginnt das menschliche Leben?«<br />

oder »Wie entwickelt sich das menschliche<br />

Leben?« beantwortet und Fakten zu<br />

den Abtreibungsmethoden und ihren<br />

Folgen geboten. Unter den Buttons<br />

»Aktuelles« und »Internationales« finden<br />

sich auf der übersichtlich gestalteten Homepage<br />

Nachrichten zu verschiedenen<br />

Lebensrechtsthemen, österreich- und<br />

weltweit. Ein aktuell gehaltener Veranstaltungskalender<br />

und ein kostenlos abonnierbarer<br />

Newsletter runden das nutzerfreundliche<br />

und solide Webangebot der<br />

jungen Lebensrechtler ab. Fazit: Ein<br />

Bookmark lohnt.<br />

reh<br />

KURZ & BÜNDIG<br />

<strong>ALfA</strong>: Koalitionsvertrag enttäuscht<br />

»Der Koalitionsvertrag von Union und SPD<br />

zeigt bedauerlicherweise wenig Licht und viel<br />

Schatten in aktuellen Lebensrechtsfragen.«<br />

Das erklärte die Vorsitzende der Aktion Lebensrecht<br />

für Alle (<strong>ALfA</strong>), Claudia Kaminski,<br />

nach Durchsicht des beinah 200 Seiten umfassenden<br />

Vertrags. Als »positiv« wertete<br />

Kaminski, dass die neue Bundesregierung der<br />

Förderung der adulten Stammzellforschung<br />

»besondere Bedeutung« zumesse und »ethische<br />

Grenzen« auf dem Feld der regenerativen<br />

Medizin beachten wolle. Allerdings sei der<br />

Begriff ›ethische Grenzen‹ »ziemlich dehnbar«.<br />

»Da zudem ein explizites Bekenntnis zur geltenden<br />

Stichtagsregelung keinen Eingang in<br />

den Vertrag gefunden hat, wird die <strong>ALfA</strong> die<br />

Entwicklung auf diesem Gebiet auch in Zukunft<br />

genau beobachten müssen. Anlass zur Entwarnung<br />

geben die gefundenen Formulierungen<br />

leider nicht«, so Kaminski weiter.<br />

Als »echten Skandal« wertete Kaminski den<br />

Umgang der Koalitionspartner mit dem Thema<br />

Abtreibung. Zwar heiße es in dem Koalitionsvertrag<br />

zutreffend: »Das Bundesverfassungsgericht<br />

hat dem Gesetzgeber (...) in seinem<br />

»Deutschland. Das von morgen« (4)<br />

»Du bist Deutschland«. So lautet<br />

eine Kampagne, die eigenen Angaben<br />

zufolge Mut machen will. Und Mut ist<br />

etwas, das Deutschland wirklich brauchen<br />

kann. Schließlich wird es ja nun<br />

gleich von zwei Volksparteien regiert.<br />

Die, so heißt es, könnten, wenn sie<br />

wollten, den Reformstau auflösen. Ob<br />

sie wollen, wird sich noch zeigen müssen.<br />

Fest steht dagegen: Union und<br />

SPD müssten erheblich weniger wollen,<br />

wenn sie mit der Reform des § 218 vor<br />

zehn Jahren nicht der Selbstdezimierung<br />

Deutschlands den Weg geebnet<br />

hätten. 130.000 zusätzliche Bürger pro<br />

Jahr, sind auch 130.000 zusätzliche<br />

Konsumenten. Denn von Luft und<br />

Liebe allein können auch Kinder nicht<br />

leben. In zwei Jahren macht das<br />

260.000, in fünf 650.000 und in zehn<br />

1,3 Millionen. Wer weiß, dass die Abtreibungszahlen<br />

in Wirklichkeit rund<br />

doppelt so hoch sind wie die gemeldeten,<br />

kommt auf 2,6 Millionen pro Dekade.<br />

Menschen, die unser Leben nicht<br />

nur als Personen bereichert hätten,<br />

sondern als Nebenwirkung auch für<br />

eine gewaltige Binnennachfrage gesorgt<br />

hätten, die nicht ohne Folgen für Arbeitsplätze<br />

und die sozialen Sicherungssysteme<br />

geblieben wäre. Davon abgesehen,<br />

kostet die gesetzlich geregelte<br />

Selbstvernichtung die verbleibende<br />

Solidargemeinschaft auch noch zusätzliche<br />

Millionen. Denn wie <strong>LebensForum</strong>-Leser<br />

längst wissen, werden Abtreibungen<br />

mit Steuergeldern in Höhe<br />

von rund 40 Millionen Euro pro Jahr<br />

subventioniert.<br />

Stefan Rehder<br />

ARCHIV<br />

Dr. med. Claudia Kaminski<br />

Urteil bezüglich der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch<br />

eine Beobachtungs- und eventuelle<br />

Nachbesserungspflicht auferlegt.« »Es<br />

demonstriert aber die unglaubliche Wirklichkeitsferne<br />

der Koalitionäre, wenn es weiter<br />

heißt: ›Wir werden dieser Verpflichtung auch<br />

in der 16. Legislaturperiode nachkommen‹«,<br />

so Kaminski. In »Wahrheit hat die Politik unter<br />

Missachtung der Verfassung und des Karlsruher<br />

Urteils bei der Abtreibung zehn Jahre lang<br />

die Hände in den Schoß gelegt. Die Formulierung<br />

des Koalitionsvertrages lässt darauf<br />

schließen, dass sich daran auch in Zukunft<br />

nichts ändern soll«, so die <strong>ALfA</strong>-Vorsitzende<br />

weiter. Vor diesem Hintergrund könne auch<br />

der Beteuerung der Regierung prüfen zu wollen,<br />

»›ob und gegebenenfalls wie die Situation<br />

bei Spätabtreibungen verbessert werden<br />

kann‹, keine besonders hohe Bedeutung zugemessen<br />

werden.« reh<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 33


LESERFORUM<br />

Ausgezeichneter Überblick<br />

Herzlichen Dank Herrn Matthias<br />

Lochner für seinen hervorragenden Artikel<br />

»Die Zukunft gehört adulten Stammzellen«.<br />

Die ausführliche Recherche der<br />

Zitate bedeutender Persönlichkeiten aus<br />

Politik und Wissenschaft gibt einen ausgezeichneten<br />

Überblick über die derzeit<br />

in unserem Land an wichtigen Schaltstellen<br />

herrschenden Meinungen. Die geradezu<br />

spannende Darstellung der neuesten<br />

Forschungsergebnisse zum Thema<br />

Stammzellenforschung bringt höchst aufschlussreiche<br />

Informationen, die eine<br />

große Hilfe darstellen für alle, die in der<br />

heutigen oft verworrenen Zeit auf der<br />

Suche nach einem ethisch vertretbaren<br />

eigenen Standpunkt sind.<br />

Antonia Egger, München<br />

Befruchtete Eizelle im Acht-Zellen-Stadium.<br />

34<br />

ARCHIV<br />

»In den letzten 50 Jahren haben<br />

wir Kinder um etwa 3.000 Mrd.<br />

Euro benachteiligt, gleichzeitig<br />

einen staatlichen Schuldenberg von<br />

etwa 1.500 Mrd. Euro angehäuft,<br />

den die besonders durch<br />

Abtreibungen verminderten Kinder<br />

abarbeiten sollen, wobei unser<br />

Geburtenschwund zunimmt.«<br />

Dipl.-Volkswirt Ludwig Bergmann, Vechta<br />

zum Interview mit Harry Walter<br />

(«Befruchtung ist Zufall«)<br />

Gesundheitsrisiko beleuchten<br />

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass<br />

derjenige, der das »Recht auf Leben«<br />

verteidigt, sich zugleich aber eine kritische<br />

Haltung gegenüber künstlichen Befruchtungen<br />

bewahrt hat, heute bei nicht wenigen<br />

Mitmenschen auf Unverständnis<br />

stößt. »Was willst Du denn, hier wird<br />

doch Leben gezeugt ?«, bekomme ich<br />

(sinngemäß) oft zu hören. Daher bin ich<br />

Ihnen für den Beitrag »Vorsicht Falle«<br />

in der letzten Ausgabe von <strong>LebensForum</strong><br />

ausgesprochen dankbar. Er deckt auf, wie<br />

viele (Menschen-)Opfer für die künstliche<br />

Zeugung erbracht werden müssen. Da<br />

dieses Unrecht noch viel zu selten erkannt<br />

wird, ist hier meines Erachtens noch viel<br />

Aufklärungsarbeit nötig. Und als kleine<br />

Anregung: Vielleicht können Sie ja auch<br />

einmal ausführlich die gesundheitlichen<br />

Risiken beleuchten, die mit den unnatürlich<br />

hohen Hormongaben für die Frauen<br />

verbunden sein sollen.<br />

Andreas Maiworm, Fröndenberg<br />

Hans Jonas hatte Recht<br />

Der jüdische Philosoph Hans Jonas<br />

(1903 - 1993) hat einmal geäußert: Von<br />

zwei Kernen hätten die Menschen besser<br />

die Finger gelassen: Vom Atomkern und<br />

vom Zellkern. Die Lektüre von Lebens-<br />

Forum macht zumindest für einen dieser<br />

Kerne deutlich, wie Recht dieser <strong>–</strong> übrigens<br />

nicht christlich argumentierende <strong>–</strong><br />

Philosoph hatte.<br />

Roman Schneider, Düsseldorf<br />

PRESSESERVICE STADT MÖNCHENGLADBACH<br />

REHDER-MEDIENAGENTUR<br />

Hans Jonas (1903 - 1993)<br />

Zumutungen für Frauen<br />

Ich mag ihre Zeitschrift. Auch dass Sie<br />

außer dem Lebensrecht des Kindes auch<br />

die Risiken beleuchten, die für Frauen<br />

mit der Abtreibung verbunden sind, finde<br />

ich gut. Aber genau da müssten Sie mehr<br />

tun. Schließlich sind wir Frauen die Leidtragenden.<br />

Unsere Eizellen werden »heiß<br />

begehrt« (<strong>LebensForum</strong> Nr. 75, S. 13).<br />

Wir sind die »Opfer einer biotechnologischen<br />

Sklaverei« (<strong>LebensForum</strong><br />

Nr. 75, S. 3). Wir sollen die »Pille<br />

danach« und regelmäßig die »davor«<br />

schlucken. Wir sollen eine Hormonstimulation<br />

über uns ergehen lassen, wenn<br />

Sind noch Mangelware: weibliche Eizellen.<br />

»Mann« auf einmal doch Kinder haben<br />

will und die Zeit davonläuft. Viele, auch<br />

Frauen meinen, wir hätten an Freiheit<br />

gewonnen. Ich stehe vielleicht allein mit<br />

der Ansicht, dass man Vergleiche nur zu<br />

solchen Zeiten ziehen sollte, die man<br />

auch selbst erlebt hat. Aber was heute<br />

von uns Frauen alles erwartet wird, empfinde<br />

ich als Zumutung. Und da bin ich<br />

sicher kein Einzelfall.<br />

Alexandra Baumann, Berlin<br />

<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>


IMPRESSUM<br />

IMPRESSUM<br />

LEBENSFORUM<br />

Ausgabe Nr. <strong>76</strong>, 4. Quartal <strong>2005</strong><br />

ISSN 0945-4586<br />

Verlag<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, Email: info@alfa-ev.de<br />

Herausgeber<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />

Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />

Kooperation<br />

Ärzte für das Leben e.V. <strong>–</strong> Geschäftsstelle<br />

z.H. Frau Dr. Bärbel Dirksen<br />

Ludwig-Schüsselerstr. 29, 64678 Lindenfels<br />

Tel.: 0 62 54 / 4 30, E-Mail: dr.b.dirksen@gmx.de<br />

www.aerzte-fuer-das-leben.de<br />

Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen<br />

Stitzenburgstraße 7, 70182 Stuttgart<br />

Tel.: 0711 - 232232, Fax: 0711 - 2364600<br />

E-Mail: info@tclrg.de, Internet: www.tclrg.de<br />

Redaktionsleitung<br />

Stefan Rehder, M.A., Dr. phil. nat. Andreas Reimann<br />

Redaktion<br />

Veronika Blasel, M.A.,Alexandra Linder, M.A.,<br />

Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Ingolf Schmid-<br />

Tannwald (Ärzte für das Leben e.V.)<br />

Anzeigenverwaltung<br />

Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />

Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />

Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />

www.alfa-ev.de, E-Mail: info@alfa-ev.de<br />

Satz / Layout<br />

Rehder Medienagentur, Aachen<br />

www.rehder-agentur.de<br />

Auflage<br />

7.500 Exemplare<br />

Anzeigen<br />

Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 01.01.2003<br />

Erscheinungweise<br />

Vierteljährlich, Lebensforum Nr. 77 erscheint am 31.03.2006,<br />

Redaktionsschluss ist der 10.03.2006<br />

Jahresbezugspreis<br />

12,- EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der Ärzte für<br />

das Leben im Beitrag enthalten)<br />

Bankverbindung<br />

Augusta-Bank<br />

Konto Nr. 50 40 990 - BLZ 720 900 00<br />

Spenden erwünscht<br />

Druck<br />

Reiner Winters GmbH<br />

Wiesenstraße 11, 57537 Wissen<br />

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LETZTE SEITE<br />

Frozen Angels<br />

Der Dokumentarfilm Frozen Angels<br />

beleuchtet eindrucksvoll die Geschäfte, die<br />

sich mit dem Wunsch nach Kindern<br />

machen lassen.<br />

Von Dr. José García<br />

Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt<br />

Deutsche Post AG (DPAG)<br />

Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />

Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg<br />

Erst langsam wird das weite Feld<br />

genetischer Eingriffe bei Menschen<br />

<strong>–</strong> etwa durch künstliche<br />

Befruchtung oder Klonen <strong>–</strong> zum Gegenstand<br />

von Science-Fiction-Filmen,<br />

obwohl bereits im Jahre 1997 Andrew<br />

Niccol in »Gattaca« die unheimlichen<br />

Filmausschnitt aus »Frozen Angels«<br />

Seiten einer Welt aufzeigte, in der sich<br />

Eltern ihre Wunschkinder »maßschneidern«<br />

lassen können. Dass sich Spielfilmregisseure<br />

mit solchen Fragen schwer<br />

tun, wurde allzu deutlich in den zwei<br />

Spielfilmen, die sich in letzter Zeit an<br />

dieses Thema heranwagten: »Godsend«<br />

behandelt zwar das Klonen von Menschen,<br />

nimmt jedoch ab etwa seiner Mitte<br />

eine ganz neue Wendung an: Die ethische<br />

Seite einer Gott spielenden Reproduktionsmedizin<br />

steht nun nicht länger im<br />

Vordergrund. Ähnlich erging es auch<br />

Michael Bays »Die Insel«, der zwar Klone<br />

in den Mittelpunkt seiner Handlung stellt,<br />

die als Ersatzteillager oder auch als »Leihmütter«<br />

bestellt werden, der jedoch durch<br />

die Elemente des Action-Filmes die eigentlichen<br />

Fragen in den Hintergrund<br />

drängt.<br />

Der zurzeit im deutschen Kino laufende<br />

Dokumentarfilm »Frozen Angels« von<br />

FILMINFO<br />

Frozen Angels<br />

Regie: Frauke Sandig, Eric Black<br />

Mit: Bill Handel, Lori Andrews, Cappy<br />

Rothman, Kari Ciechoski, Kim Brewer,<br />

Amy und Steve Jurewicz, Gregory Stock,<br />

Shelley Smith, Doron Blake<br />

Land, Jahr: Deutschland / USA <strong>2005</strong><br />

Laufzeit: 90 Minuten<br />

Frauke Sandig und Eric Black beleuchtet<br />

eindrücklicher als die zuletzt genannten<br />

Spielfilme die Geschäfte der »Reproduktionsindustrie«;<br />

zugleich weist er deutlich<br />

auf die Gefahren der Gentechnik hin.<br />

Der Titel »Frozen Angels« («gefrorene<br />

PIFFL MEDIEN<br />

Engel«) spielt auf die in den Reproduktionslabors<br />

eingefroren lagernden Embryonen<br />

an. »Reproduktionsmedizin« nennt<br />

sich ein höchst profitabler Industriezweig,<br />

der sich mit der künstlichen Erzeugung<br />

von Menschen beschäftigt. Nirgendwo<br />

auf der Welt ist die Gesetzgebung für die<br />

Reproduktionsmedizin laxer als in Kalifornien:<br />

»In Kalifornien ist es leichter,<br />

eine Samenbank zu eröffnen, als eine<br />

Pizzeria«, stellt Bill Handel fest, der<br />

Radiomoderator und zugleich Besitzer<br />

der weltweit größten Agentur für Ei-<br />

Spenderinnen und Leihmütter ist.<br />

Bill Handels Sendung, insbesondere<br />

Handels Interview mit der international<br />

renommierten Biotechnologie-Expertin<br />

Lori Andrews (Autorin von »The Clone<br />

Age«), stellt eine Art Rahmenhandlung<br />

in einem Dokumentarfilm dar, der die<br />

vielschichtige Welt der künstlichen Fortpflanzung<br />

beleuchtet. »Frozen Engels«<br />

begleitet in mosaikartiger Form eine Leihmutter<br />

bis in den Kreissaal, Ei-Spenderinnen,<br />

die wegen ihrer blauen Augen und<br />

ihres blonden Haars ganz oben auf der<br />

Beliebtheitsskala der Kunden stehen, den<br />

Wissenschaftler, der für die künstliche<br />

als ausschließliche Form der menschlichen<br />

Fortpflanzung plädiert, den Samenbankdirektor<br />

Cappy Rothman, der stolz auf<br />

seinen »Rassen«-Farbcode für die Samenaufbewahrung<br />

ist, sowie Doron Blake,<br />

der mithilfe der vom Millionär und Erfinder<br />

Robert Graham gegründeten Nobelpreisträger-Samenbank<br />

erzeugt wurde.<br />

Lori Andrews warnt eindringlich vor<br />

den Gefahren der neuen Technologien.<br />

Denn neben den unüberschaubaren medizinischen<br />

und juristischen Folgen rufen<br />

die Anwendungen der Genmanipulation<br />

die Absicht hervor, den Menschen nicht<br />

nur »aufzuwerten«, sondern ihn gar neu<br />

zu entwerfen, eine neue Spezies zu »kreieren«.<br />

»Frozen Angels« ist jedoch ein<br />

Film, der aufrüttelt, gerade weil die Bilder<br />

selbst die dunklen Seiten der Reproduktionsmedizin<br />

deutlich zeigen.

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