ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 76 4/2005
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Nr. <strong>76</strong> | 4. Quartal <strong>2005</strong> | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 3,<strong>–</strong> €<br />
B 42890<br />
LEBENSFORUM<br />
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />
Interview<br />
Robert Spaemann:<br />
Hilfe hat Grenzen<br />
Ausland<br />
Der Preis des<br />
Abtreibungsrechts<br />
Medizin<br />
Ethisch korrekte<br />
Stammzellen?<br />
Sterbehilfe<br />
Gibt Deutschland Gas?<br />
In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)
INHALT<br />
LEBENSFORUM <strong>76</strong><br />
EDITORIAL<br />
Unteilbarer Lebensschutz 3<br />
Dr. med. Claudia Kaminski<br />
TITEL<br />
Manager des Todes auf dem Vormarsch 4<br />
Tobias B. Ottmar<br />
»Ungeheurer moralischer Druck« 8<br />
Interview mit Robert Spaemann<br />
AUSLAND<br />
Der Preis des Abtreibungsrechts 10<br />
Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />
A USLAND<br />
10 - 12<br />
treibungsrechts beiseite gefegt. Die hatte. Dazu ruft die Journalistin Candace immer wieder angeführt würden, um<br />
USA hatten deswegen seither praktisch Crandall in Erinnerung, mit welchen diesen Zusammenhang zu leugnen, die<br />
eine der freizügigsten Abtreibungsregelungen<br />
der Welt.<br />
isten in den sechziger und siebziger Jahren Lancet 2004 veröffentlichte Studie von<br />
Versprechungen die Abtreibungs-Lobby-<br />
Studie von Melbye 1997 und die im<br />
des 20. Jahrhunderts das Recht auf Abtreibung<br />
angepriesen hatten. Wie ein wissenschaftlichen Mängeln. Im Übrigen<br />
Beral, litten hingegen unter schweren<br />
GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN<br />
Wunderheilmittel sollte es angeblich gegen<br />
alle möglichen gesellschaftlichen bung und Brustkrebs physiologisch gut<br />
ist der Zusammenhang zwischen Abtrei-<br />
Der Kampf für das Abtreibungsrecht<br />
geht nach Meinung der Geisteswissenschaftlerin<br />
Fox-Genovese einher mit dem erzwungene Eheschließungen, Kindes-<br />
dass die Brüste der Frau in dem Zu-<br />
Probleme wirken: uneheliche Kinder, nachvollziehbar. Eine Abtreibung bewirkt,<br />
Versuch, die Rolle der Frau in der Welt missbrauch, Armut, Überbevölkerung, stand verbleiben, den sie während einer<br />
umzudefinieren. Das geht bis hin zur Todesfälle durch illegale Abtreibung und Schwangerschaft erreichen. In diesem<br />
Leugnung der biologischen Ursachen der so weiter. Die meisten dieser Heilsversprechen<br />
sind unerfüllt geblieben. Im äußerst anfällig. Erst ab der 32. Schwan-<br />
Zustand sind sie jedoch für Brustkrebs<br />
Unterschiede zwischen Mann und Frau,<br />
als deren Quelle allein Gesellschaft, Erziehung<br />
und Tradition angesehen werden wurden massiv verstärkt, da die frei ver-<br />
sogenannten Typ-3 und Typ-4 Lobuli<br />
Gegenteil, viele der erwähnten Probleme gerschaftswoche formen die Brüste die<br />
und die es auszumerzen gelte. Dafür wird fügbare Abtreibung das Verantwortungsbewusstsein<br />
aushöhlte. De facto ist Ab-<br />
Das ist der Grund, warum eine ausgetra-<br />
aus, die gegen Brustkrebs resistent sind.<br />
das Recht auf Abtreibung als unverzichtbar<br />
angesehen, da nur so die Selbstverwirklichung<br />
der Frau und die angestrebte angewandten Mittel der Geburtenkon-<br />
schützt und Frühgeburten <strong>–</strong> aus dem<br />
treibung längst zu einem massenhaft gene Schwangerschaft gegen Brustkrebs<br />
Individualisierung erreicht werden könnten.<br />
Kinder, vor allem unerwünschte, BUCHTIPP<br />
Brustkrebsrisiko erhöhen.<br />
selben Grund wie Abtreibungen <strong>–</strong> das<br />
würden der Erreichung dieser Ziele nur<br />
Während der Zusammenhang zwischen<br />
Frühgeburten und Brustkrebs all-<br />
störend im Wege stehen.<br />
Erika Bachiochi (Hrsg.):<br />
Anstatt der Frau die ersehnte Freiheit The Cost of »Choice«<br />
gemein anerkannt ist, wird der Einfluss<br />
und Gleichberechtigung zu bringen, hat Women Evaluate<br />
von Abtreibungen nach wie vor vehement<br />
das Recht auf Abtreibung nach Meinung the Impact of<br />
geleugnet. Auf Wissenschaftler und Mediziner,<br />
die darüber öffentlich sprechen<br />
der Juristinnen Dorinda Bordlee und Abortion<br />
Paige Comstock Cunningham vor allem Encounter Books, San<br />
wollen, werde laut Lanfranchi massiver<br />
Der Preis des<br />
bewirkt, dass die Gesellschaft die Frau Francisco, 2004. 180<br />
Druck ausgeübt. Sie würden keine Einladungen<br />
erhalten, Berufungen würden<br />
mit der Kindererziehung und sozialen Seiten. 17,50 EUR.<br />
Notlagen alleine lässt, da nun die Abtreibung<br />
als billigste und effizienteste Prozieren.<br />
Aber auch die anderen mit Abtrei-<br />
zurückgezogen, sie könnten nicht publiblemlösung<br />
allzeit zur Verfügung steht. trolle geworden. Von allen Frauen, die bungen im Zusammenhang stehenden<br />
Abtreibungsrechts<br />
Die Gesellschaft schiebt die gesamte Verantwortung<br />
einfach auf die Mutter ab, mindestens zwei Abtreibungen in ihrem geleugnet, selbst vom amerikanischen<br />
abtreiben, würde laut Crandall die Hälfte Gesundheitsrisiken werden weitgehend<br />
denn diese hätte durch eine Abtreibung Leben haben, ein Fünftel sogar mindestens<br />
fünf Abtreibungen.<br />
lobby hat so große Angst davor, dass diese<br />
Gynäkologenverband. Die Abtreibungs-<br />
30 Jahre nach Freigabe der vorgeburtlichen Kindstötung in den USA ziehen zwölf amerikanische<br />
ja die Gelegenheit gehabt, sich alle Probleme<br />
zu ersparen. Insbesondere den<br />
Risiken bekannt werden und die Zweifel<br />
Autorinnen Bilanz: Ihr Fazit: Die Legalisierung der Abtreibung hat verheerende Folgen <strong>–</strong> nicht nur<br />
männlichen Sexualpartnern der Frauen, GESUNDHEITLICHE FOLGEN<br />
an der Abtreibung allgemein erhöhen,<br />
für die Gesellschaft, sondern auch für die Frauen selbst.<br />
also den (potentiellen) Vätern, wurde<br />
dass sie sogar vehement dagegen kämpft,<br />
damit ein einfacher Weg bereitet, sich Stattdessen zeigte sich, dass Abtreibungen<br />
ganz andere, sehr handfeste und sehr Risiken aufzuklären. Was bei jeder ande-<br />
abtreibungswillige Frauen über diese<br />
Von Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />
aus der Verantwortung zu stehlen.<br />
Am schlimmsten macht sich dieser negative Folgen für die betroffenen Frauen<br />
haben können. Wie die Gynäkologin ständlich ist, darf bei Abtreibung offenbar<br />
ren medizinischen Prozedur selbstver-<br />
Aspekt der Abtreibungsmentalität nach<br />
eit gut 30 Jahren ist in den USA, der Feministen für das Leben, die amerikanischen<br />
Feministinnen weitgehend und welt. Seither entwickelte sich die Forde-<br />
Schiltz bei behinderten Kindern bemerkschen<br />
überzeugend belegt, dass durch In ähnlicher Weise tabuisiert werden<br />
verzichtbar, vor allem auch in der Arbeits-<br />
Ansicht der Jura-Professorin Elizabeth Elizabeth Shadigian ausführt, ist inzwi-<br />
nicht sein.<br />
aber auch vielen anderen westlichen<br />
SLändern, der freie Zugang zur oft vehement gegen Abtreibung eingestellt.<br />
Für sie sei es selbstverständlich auf Abtreibung zu der zentralen Kernfor-<br />
Diagnostik weiß, dass sie ein behindertes mit der Gebärmutter zu bekommen, um bung, wie die Psychiaterin E. Joanne<br />
rung nach dem uneingeschränkten Recht<br />
bar. Wenn eine Frau durch pränatale eine Abtreibung das Risiko, Probleme auch die psychischen Folgen der Abtrei-<br />
Abtreibung geltendes Recht. Eine ganze<br />
Generation ist inzwischen herangewachsen,<br />
für die es völlig normal ist, jederzeit ihrer Abhängigkeit von Männern gelitten Frauenverbände. Dies ist bis heute unver-<br />
Abtreibung von ihrer Umgebung aufge-<br />
durch Kaiserschnitt notwendig machen in denen in den USA Dutzende Millionen<br />
gewesen, dass Frauen, die selbst unter derung der meisten Feministinnen und<br />
Kind erwartet, wird immenser Druck zur ca. 50% steigt. Dies kann später Geburten Angelo meint. Doch nach über 30 Jahren,<br />
und aus jedem beliebigen Grund eine hatten, nicht ihrerseits das ungeborene ändert.<br />
baut, um der Gesellschaft die durch das oder sogar den Verlust der Gebärmutter Abtreibungen vorgenommen wurden,<br />
unerwünschte Schwangerschaft beenden Kind als Verfügungsmasse betrachten Durchgesetzt wurde das Recht auf<br />
Kind entstehenden Kosten zu ersparen. bedeuten. Das Risiko von Frühgeburten lassen sich die psychischen Folgen alleine<br />
zu können. »The Cost of ›Choice‹«, die dürften.<br />
Abtreibung in den USA 1973 durch zwei<br />
Bekommt sie das Kind dennoch, wird sie wird durch eine vorangegangene Abtreibung<br />
sogar verdoppelt. Auch lässt sich verleugnen. Sie sind inzwischen statistisch<br />
aus quantitativen Gründen nicht mehr<br />
Kosten des Abtreibungsrechts, heißt ein Erst in den sechziger Jahren des 20. Urteile des Obersten Gerichtshofes: das<br />
mit allen Problemen und Kosten weitgehend<br />
alleine gelassen. Auch das behinderte mittlerweile nicht mehr ernsthaft bestrei-<br />
messbar und schlagen sich in ihren Aus-<br />
kleiner Band, in dem zwölf amerikanische Jahrhunderts änderte sich diese Einstellung,<br />
als die Abtreibungs-Lobbyisten nicht minder bedeutende »Doe vs.<br />
Kind selbst hat nichts Gutes zu erwarten. ten, dass das Risiko, an Brustkrebs zu wirkungen bis auf die Krankenkassen<br />
bekannte Urteil »Roe vs. Wade« und das<br />
Frauen eine Bewertung dieses Rechts und<br />
der dadurch verursachten Entwicklungen Larry Lader und Bernard Nathanson Bolton«. Zusammen betrachtet, so meint<br />
Es genießt geringere Priorität in der erkranken, um 20 bis 30 Prozent nach durch. So ergab 2002 eine Auswertung<br />
vornehmen.<br />
erfolgreich versuchten, die amerikanischen<br />
Frauenverbände für ihre Sache zu bewirkten die Urteile nicht weniger als<br />
gen lehnen seine Aufnahme ab und gene-<br />
Die Ärztin Angela Lanfranchi führt Frauen in den ersten vier Jahren nach<br />
die Rechtsgelehrte Mary Ann Glendon,<br />
medizinischen Versorgung, Versicherun-<br />
einer Abtreibung steigt.<br />
kalifornischer Krankenkassendaten, dass<br />
DER WEG ZUM RECHT AUF ABTREIBUNG gewinnen. Das Recht auf Abtreibung, so das faktische Recht auf Abtreibung bis<br />
rell wird ihm vorgehalten, dass es am dazu ausführlich aus, dass inzwischen eine einer Abtreibung um 17% mehr psychologische<br />
Dienste in Anspruch nehmen<br />
die Argumentation Laders und Nathansons,<br />
sei für die Gleichberechtigung der Urteile wurden lange Zeit selbst alle nur<br />
Bedenkenswert ist ebenfalls, welche menhang zwischen Abtreibung und Brust-<br />
mussten als in den ersten vier Jahren nach<br />
zur Geburt. Auf Grundlage dieser beiden<br />
besten nicht geboren worden wäre. Vielzahl verlässlicher Studien den Zusam-<br />
Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein<br />
waren nach Serrin M. Foster, Vorsitzende Frau in der modernen Gesellschaft un-<br />
kosmetischen Regelungsversuche des Ab-<br />
Folgen das Recht auf Abtreibung nicht krebs erwiesen haben. Zwei Studien, die einer Geburt. Dieselben Daten ergaben<br />
10 <strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong><br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 11<br />
Verheerendes Fazit 30 Jahre nach Legalisierung der Abtreibung in den USA.<br />
DANIEL RENNEN<br />
Ab wann Schmerz? 13<br />
Matthias Lochner<br />
Goliath gegen David 16<br />
Stefan Baier<br />
MEDIZIN<br />
Ethisch einwandfreie Stammzellen? 18<br />
Dr. Adrienne Weigl<br />
4 - 7<br />
Wie »Dignitas« nach der<br />
Schweiz nun auch in Deutschland<br />
seine todbringenden<br />
Dienste anbieten möchte.<br />
GESELLSCHAFT<br />
Her mit den Embryonen! 22<br />
Stefan Rehder, M.A.<br />
Positionspapier der FDP 24<br />
zum Embryonenschutz<br />
Pädagogischer Schund an Schulen 26<br />
Hubert Hecker<br />
MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />
Neues aus der <strong>ALfA</strong> 28<br />
Cornelia Kaminski<br />
BÜCHERFORUM 30<br />
Ab wann können Kinder im<br />
Mutterleib Schmerz spüren?<br />
13 - 15<br />
KURZ VOR SCHLUSS 32<br />
LESERFORUM 34<br />
IMPRESSUM 35<br />
2<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong><br />
REHDER MEDIENAGENTUR
EDITORIAL<br />
8 - 9<br />
Robert Spaemann zählt zu den profiliertesten<br />
Anwälten der Würde der Person. <strong>LebensForum</strong><br />
sprach mit ihm über die Folgen legalisierter<br />
Sterbehilfe.<br />
18 - 21<br />
Das Wissenschaftsmagazin »Nature« veröffentlichte kürzlich die Berichte von zwei Forscherteams aus<br />
den USA. Deren Ergebnisse wurden weltweit als Sensation gefeiert. Endlich seien ethisch akzeptable<br />
Wege zur Gewinnung embryonaler Stammzellen gefunden worden. Doch wie so oft steckt auch hier<br />
der Teufel im Detail.<br />
Von Dr. Adrienne Weigl<br />
18<br />
MEDIZIN<br />
Z<br />
Ethisch einwandfreie<br />
Stammzellen?<br />
wei Forschungsberichte im Bereich<br />
Stammzellforschung haben<br />
im Oktober für Aufregung gesorgt,<br />
weil man in der Presse einmal mehr<br />
vermutete, hier wäre sie endlich: die<br />
»ethisch einwandfreie Stammzelle«. Der<br />
eine wurde von Wissenschaftlern der<br />
schon öfters in Erscheinung getretenen<br />
Institution ACT (Advanced Cell Technology),<br />
der andere von den Stammzellforschern<br />
Alexander Meissner und Rudolf<br />
Jaenisch in der Zeitschrift Nature vorgelegt.<br />
Betrachten wir zunächst den Versuch<br />
der ACT. Was wurde dabei gemacht? Aus<br />
Mausembryonen im 8-Zell-Stadium wurden<br />
einzelne Zellen entnommen. Eine<br />
solche Entnahme tötet den Embryo nicht.<br />
Diese einzelnen Blastomeren wurden<br />
zusammen mit embryonalen Stammzellen<br />
der Maus kultiviert und vermehrt. Dann<br />
wurden die zur gemeinsamen Kultur verwendeten<br />
Stammzellen wieder entfernt.<br />
Die anschließenden Versuche zeigten,<br />
dass sich allem Anschein nach aus den<br />
einzelnen Blastomeren normale embryonale<br />
Stammzellen mit all deren Fähigkeiten<br />
entwickelt hatten. Bei diesen Stammzellen<br />
wurde also der Embryo, von dem<br />
sie stammen, tatsächlich für ihre Gewinnung<br />
nicht getötet. Der Verbrauch von<br />
Embryonen, der in Bezug auf den Menschen<br />
die Stammzellforschung und die<br />
angestrebten Stammzelltherapien so problematisch<br />
macht, wurde hier partiell<br />
vermieden. Partiell: Denn natürlich<br />
stammten die zur gemeinsamen Kultur<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong><br />
US-amerikanische Wissenschaftler wollen<br />
ethisch akzeptable Wege zur Gewinnung<br />
embryonaler Stammzellen gefunden haben.<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
DPA<br />
Unteilbarer<br />
Lebensschutz<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
muss das eigentlich sein? Zu Weihnachten<br />
ein <strong>LebensForum</strong>, das Forderungen<br />
nach (Wieder)Einführung der Euthanasie<br />
thematisiert? Noch dazu auf der<br />
Titelseite?<br />
Ja, fanden wir. Nicht nur, weil die<br />
Politik längst keine Rücksicht mehr auf<br />
den christlichen Kalender nimmt, sondern<br />
vor allem, weil Lebensschutz unteilbar<br />
ist. Wer sich fragt, wie es sein kann, dass<br />
in einem Land wie Deutschland, das in<br />
seiner jüngeren Historie reichlich Erfahrungen<br />
mit der Euthanasie gesammelt<br />
hat, eine Debatte, wie die um die „Tötung<br />
auf Verlangen“ ausbrechen kann, muss<br />
auf die jüngste Geschichte<br />
zurückblicken.<br />
Die Liberalisierung<br />
der gesetzlichen<br />
Regelung der vorgeburtlichen<br />
Kindstötung<br />
vor rund zehn<br />
Jahren hat mehr bewirkt,<br />
als viele Politiker bis heute wahrhaben<br />
wollen. Gut möglich, dass vielen,<br />
die daran mitgewirkt haben, diese Folgen<br />
damals so nicht klar waren und sie diese<br />
folglich auch nicht beabsichtigt hatten.<br />
Und doch hat der Gesetzgeber mit der<br />
Reform des Paragrafen 218 eine unmissverständliche<br />
Botschaft in die Republik<br />
gesandt. Sie lautet, es gebe Menschen,<br />
deren Existenz anderen nicht zugemutet<br />
werden könne. Doch wo Menschen unzumutbar<br />
werden, wird ihre Tötung zumutbar;<br />
darf sie nicht länger bestraft<br />
werden, kann sie als abrechenbare Leistung<br />
deklariert und der Solidargemeinschaft<br />
auferlegt werden.<br />
Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Und<br />
so wundert es denn auch kaum, dass immer<br />
Menschen nun zu »entdecken« beginnen,<br />
dass, wenn es »unzumutbares<br />
Leben« gibt, es dieses nicht nur am Anfang,<br />
sondern auch am Ende menschlicher<br />
Existenz geben kann. Eine gestiegene<br />
Lebenserwartung, die manchmal eben<br />
auch bedeutet, länger krank zu sein, der<br />
»Wo Menschen unzumutbar<br />
sind, wird Tötung zumutbar.«<br />
Verlust familiärer Bindungen<br />
und explodierende<br />
Gesundheitskosten,<br />
die von immer weniger<br />
Menschen erwirtschaftet<br />
werden müssen,<br />
mögen die gegenwärtige<br />
Debatte anheizen,<br />
ursächlich sind sie nicht.<br />
Wo Menschen »unzumutbar«<br />
geworden<br />
sind, wird ihre Tötung<br />
»zumutbar«. Alles andere<br />
ist dann nur noch Verhandlungssache.<br />
»<strong>LebensForum</strong>« hält hier dagegen,<br />
immer und überall. Auch in dieser Ausgabe.<br />
Tobias B. Ottmar hat sich für uns<br />
nicht nur bei den »Managern des Todes«<br />
umgeschaut, sondern auch noch ein lesenswertes<br />
Interview mit dem Philosophen<br />
Robert Spaemann geführt (ab S. 4).<br />
Raymond Georg Snatzke dokumentiert,<br />
welchen Preis die Vereinigten Staaten<br />
von Amerika für die<br />
zwanzig Jahre frührer<br />
als bei uns erfolgte Liberalisierung<br />
des Abtreibungsrechts<br />
bezahlen<br />
mussten (ab S.<br />
10). Der Beitrag zeigt<br />
deutlich, welche verheerende<br />
Folgen dieser<br />
fatale Schritt nicht nur für die Gesellschaft<br />
als ganze, sondern auch die betroffene<br />
Frau als einzelne hat. Matthias Lochner<br />
durchleuchtet eine »Studie«, die sich<br />
mit dem Schmerzempfinden des Embryos<br />
befasst und im Sommer von Abtreibungsbefürwortern<br />
lanciert worden ist (ab S.<br />
13.). Adrienne Weigl schließlich hat sich<br />
für uns die kürzlich veröffentlichten Forschungsarbeiten<br />
von Stammzellforschern<br />
in den USA vorgenommen: Sie zeigt auf,<br />
dass bei genauerem Hinsehen von<br />
»ethisch einwandfreien Stammzellen«,<br />
anderes als in vielen Zeitungen zu lesen<br />
war, keine Rede sein kann. Und all das<br />
ist nur ein Bruchteil von dem, was diese<br />
Ausgabe den an Fragen des Lebensrechts<br />
Interessierten zu bieten hat. Eine erhellende<br />
Lektüre wünscht<br />
Ihre<br />
Claudia Kaminski<br />
Bundesvorsitzende der <strong>ALfA</strong> und<br />
des Bundesverbandes Lebensrecht<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 3
TITEL<br />
Manager des Todes<br />
auf dem Vormarsch<br />
In der Schweiz arrangiert »Dignitas« schon seit Jahren den Tod auf Bestellung. Nun hat die Organisation<br />
auch in Deutschland ein Büro eröffnet. Doch die von Dignitas offerierte Beihilfe zum Selbstmord stößt<br />
nicht überall auf Widerspruch. Im Gegenteil: Die Stimmen, die selbst den Tod noch managen wollen,<br />
werden immer lauter.<br />
Von Tobias-B. Ottmar<br />
Angefangen hat es in der Edenstraße<br />
11 in Hannover. Dort, im<br />
Stadtteil List, hat der Verein<br />
Dignitas Ende September sein erstes Büro<br />
in Deutschland eröffnet. Die Organisation<br />
bietet schon seit Längerem in der Schweiz<br />
die Beihilfe zum Selbstmord an. Die ist<br />
<strong>–</strong> im Gegensatz zur aktiven Sterbehilfe <strong>–</strong><br />
auch in Deutschland nicht verboten.<br />
Mit der Ankündigung, dass die Sterbehilfeorganisation<br />
sich nun auch in<br />
Deutschland als Verein registrieren lassen<br />
will, ist eine Lawine losgegangen.<br />
Bis Anfang November habe<br />
der Verein über 1.000 Anfragen<br />
registriert, sagte Dignitas-<br />
Generalsekretär Ludwig Minelli.<br />
Bereits kurz nach Bekanntwerden,<br />
dass Dignitas nun auch<br />
in Deutschland die »Freitodbegleitung<br />
und -hilfe« anbieten<br />
wolle, kündigte die niedersächsische<br />
Justizministerin<br />
Elisabeth Heister-Neumann<br />
(CDU) Konsequenzen an. Über<br />
eine Bundesratsinitiative will<br />
sie versuchen, den Verein zu<br />
verbieten. Damit solle eine geschäftsmäßige<br />
Sterbehilfevermittlung<br />
unterbunden werden,<br />
sagte sie in der »Welt am Sonntag«.<br />
»Ich halte es für besonders<br />
problematisch, dass auch Menschen<br />
ohne unheilbare Krankheiten<br />
oder psychisch Kranken<br />
ohne körperliches Leiden leichte<br />
Selbsttötungsmöglichkeiten<br />
geboten werden«, betonte die<br />
50jährige Christdemokratin.<br />
Unterstützung erhielt die Ministerin<br />
vom Präsident der Bun-<br />
4<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
desärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe.<br />
Der sagte: »Wir müssen alle Mittel ausschöpfen,<br />
um die Etablierung dieser Organisation<br />
in Deutschland zu verhindern.«<br />
Doch ausgerechnet der Amtskollege<br />
von Heister-Neumann aus dem Norden<br />
leistete bei der neu aufflammenden Debatte<br />
Anschubhilfe: Der Hamburger Justizsenator<br />
Roger Kusch sprach sich Anfang<br />
Oktober für die aktive Sterbehilfe<br />
aus. Die Freiheit eines jeden Menschen<br />
über seinen Tod zu entscheiden, müsse<br />
respektiert werden. Kusch selber bezeichnet<br />
sich als Christ. Doch für ihn liegt der<br />
Anfang und das Ende des Lebens nicht<br />
in Gottes, sondern in Menschenhand.<br />
Nach seiner Auffassung sollte Sterbehilfe<br />
unter drei Voraussetzungen möglich sein:<br />
Die Bescheinigung eines Arztes, die belegt,<br />
dass der Patient unter einer tödlichen<br />
Krankheit leidet, ein ärztliches Beratungsgespräch<br />
und eine notariell beglaubigte<br />
Willenserklärung des Patienten.<br />
In der CDU scheint Kusch mit seinen<br />
Forderungen alleine zu stehen.<br />
Kurz nach seinem Vorstoß hat<br />
CDU-Generalsekretär Volker<br />
Kauder klargestellt, dass die<br />
Partei die aktive Sterbehilfe<br />
kategorisch ablehne. »Wir wollen<br />
Hilfe beim Sterben, nicht<br />
Hilfe zum Sterben«, sagte Kauder<br />
dem »Hamburger Abendblatt«.<br />
Der Leiter der CDU-<br />
Wertekommission Christoph<br />
Böhr schrieb im »Rheinischen<br />
Merkur«, wenn der Wert des<br />
Lebens nur noch bedingt gelte,<br />
»wird es heillosen Streit darüber<br />
geben, welche Eigenschaften<br />
eine solche Abstufung rechtfertigen«.<br />
Doch Kusch ist der Ansicht,<br />
dass es auch in seiner<br />
Partei viele gibt, »die mit Sicherheit<br />
meine Meinung<br />
teilen«.<br />
Einige FDP-Politiker witterten<br />
nach Kuschs Vorstoß<br />
Morgenluft. Und so trat niemand<br />
Geringeres als die frühere<br />
Bundesjustizministerin Sabine<br />
Leutheusser-Schnarrenberger<br />
auf den Plan. Sie sprach sich<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
dafür aus, »in ganz schweren Fällen aktive<br />
Sterbehilfe zuzulassen.« FDP-Chef Guido<br />
Westerwelle äußerte sich da schon<br />
vorsichtiger: »Käme ich in eine solche<br />
aussichtslose, quälende Situation, würde<br />
ich mir mit dem Bewusstsein von heute<br />
wahrscheinlich wünschen, dass sich meiner<br />
jemand erbarmt.« Dennoch wolle er<br />
weiterhin noch »über diese grundsätzliche<br />
Frage nachdenken«.<br />
Der Stuttgarter Philosoph Robert<br />
Spaemann warf hinsichtlich der andauernden<br />
Diskussion die Frage auf, wer<br />
denn entscheiden solle, wann ein schwerer<br />
Fall vorliege und wann nicht. Er fände<br />
das eine Anmaßung. Im <strong>LebensForum</strong>-<br />
Interview sagte er: »Wir können doch<br />
nicht sagen: »Der darf« oder »Der darf<br />
nicht«. Spaemann verglich die Diskussion<br />
sogar mit der Nazi-Propaganda im dritten<br />
Reich. Da habe man auch »sehr auf Mitleid<br />
und Emotionen« gesetzt. Sein Berliner<br />
Kollege Volker Gerhardt kritisierte<br />
ihn dafür in der »Stuttgarter Zeitung«<br />
und bezeichnete Spaemanns Äußerungen<br />
als »starken Tobak«. Doch letztendlich<br />
kam er auch zu dem Schluss, dass aktive<br />
Sterbehilfe verboten bleiben solle.<br />
Auch wenn sich viele gegen eine Legalisierung<br />
aussprechen, so ist die Lobby<br />
der Befürworter nicht zu unterschätzen.<br />
Laut Wolfgang van den Daele, Mitglied<br />
im Nationalen Ethikrat, sei die<br />
Sterbehilfe auch in Deutschland im Grunde<br />
längst akzeptiert. In der Wochenzeitung<br />
»Die Zeit« schrieb er, die »Positionen<br />
der Entscheidungseliten« würden<br />
»sich immer stärker von den Wertvorstellungen<br />
der Bevölkerung entfernen.« Als<br />
Argument führt er einige Umfragen an:<br />
Danach haben 2001 64 Prozent der Befragten<br />
der Aussage zugestimmt: »Ein<br />
schwer kranker Patient im Krankenhaus<br />
soll das Recht haben zu verlangen, dass<br />
»Rechtzeitig sterben, um die<br />
Angehörigen nicht zu belasten.«<br />
Aus dem Dignitas-Tätigkeitsbericht 2003<br />
WWW:FDP-FRAKTION.DE<br />
ein Arzt ihm eine todbringende Spritze<br />
gibt.« 1973 sollen das noch 53 Prozent<br />
gewesen sein. 60 Prozent der Protestanten<br />
und 68 Prozent der Katholiken seien<br />
dafür, dass ein Mensch selbst entscheiden<br />
könne, ob er leben oder sterben wolle.<br />
Auch das Meinungsforschungsinstitut<br />
Forsa stellte eine große Zustimmung zur<br />
aktiven Sterbehilfe fest. Danach seien<br />
drei Viertel der Deutschen dafür, dass ein<br />
Arzt einem Schwerstkranken auf persönlichen<br />
Wunsch ein tödliches Mittel geben<br />
kann. Doch diese Ergebnisse spiegeln die<br />
Wirklichkeit nicht korrekt wider. In den<br />
Umfragen wurden den Befragten keine<br />
Alternativen zur aktiven Sterbehilfe vorgeschlagen.<br />
Nicht so bei einer Umfrage<br />
von TNS-Infratest. Die ermittelte einen<br />
deutlich anderen Wert. Nach dieser Befragung,<br />
die von der Deutschen Hospizstiftung<br />
in Auftrag gegeben worden war,<br />
befürworten nur 35 Prozent der Bevölkerung<br />
die aktive Sterbehilfe. Der Grund<br />
für die Differenz liegt aber nicht etwa in<br />
großen Meinungsschwankungen der Bevölkerung,<br />
sondern vielmehr im Vorwissen.<br />
Bei der Umfrage von TNS-Infratest<br />
Guido Westerwelle, FDP<br />
waren den befragten Personen Alternativen<br />
zur aktiven Sterbehilfe angeboten<br />
worden. Das führte dazu, dass 56 Prozent<br />
sich für die Palliativmedizin und Hospizarbeit<br />
aussprachen. Im Vergleich zu einer<br />
1997 durchgeführten Umfrage ist dieser<br />
Anteil sogar um 21 Prozentpunkte gestiegen.<br />
Wenn man sich die Ergebnisse nach<br />
der Parteipräferenz anschaut, fällt allerdings<br />
etwas Beunruhigendes auf: So sprachen<br />
sich 53 Prozent der Wähler der<br />
Linkspartei für die aktive Sterbehilfe aus.<br />
Die Wähler von Parteien am rechten<br />
Rand (DVU und Republikaner) votierten<br />
gar zu 95 Prozent dafür. Linkspartei und<br />
Republikaner, welche die Fünf-Prozent-<br />
Hürde verfehlten, kamen bei der letzten<br />
Bundestagswahl auf über zehn Prozent.<br />
Die Befürworter der aktiven Sterbehilfe<br />
setzen auf enge Grenzen, die es<br />
geben solle. Doch diese sind nach Ansicht<br />
vieler Gegner nicht durchzuhalten. Auch<br />
in den Niederlanden war die Regelung<br />
erst sehr eng gefasst. Doch Jahr für Jahr<br />
steigen dort die Fälle der Sterbehilfe.<br />
2001 wurde bereits an fast einem Viertel<br />
der rund 3.700 Getöteten Sterbehilfe<br />
ARCHIV<br />
ohne ein Verlangen des Patienten angewendet.<br />
Dort wird sogar bereits Sterbehilfe<br />
an Säuglingen geleistet.<br />
Der Bundestagsabgeordnete und Sprecher<br />
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />
in der Enquete-Kommission »Ethik und<br />
Recht der modernen Medizin« Thomas<br />
Rachel sagte gegenüber dem <strong>LebensForum</strong>,<br />
dass »eine Abgrenzung, wann die<br />
Assistenz eines Suizides geleistet werden<br />
sollte« unmöglich wäre. Ebenso sei auch<br />
»die Abgrenzung, wann aktive Sterbehilfe<br />
zulässig sein sollte« nicht machbar. In<br />
den Niederlanden werde derzeit darüber<br />
diskutiert »ob aktive Sterbehilfe auch<br />
bereits bei der Diagnose von Alzheimer<br />
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP<br />
oder auch bei Lebensüberdruss erlaubt<br />
sein sollte.«<br />
Für den Verein Dignitas ist allerdings<br />
nicht das westliche Nachbarland, sondern<br />
die Schweiz das große Vorbild. Der Potsdamer<br />
Rechtsanwalt Dieter Graefe, der<br />
die Organisation in Deutschland rechtlich<br />
vertritt, äußerte jüngst im Interview: »Das<br />
ganz große Ziel von Dignitas ist, die<br />
Schweizer Verhältnisse in Deutschland<br />
einzuführen.« Konkret würde das bedeuten,<br />
dass Dignitas-Deutschland seinen<br />
Mitgliedern auch das Sterbemittel Natrium-Pentobarbital<br />
zur Verfügung stellen<br />
könnte. Drei bis fünf Gramm des Mittels<br />
führen zum Tod. Dignitas gibt den Todeswilligen<br />
in der Regel 15 Gramm. Bislang<br />
gilt die Verabreichung des Mittels<br />
in Deutschland als Verstoß gegen das<br />
Betäubungsmittelgesetz.<br />
Nach Angaben von Dignitas habe man<br />
allein im vergangenen Jahr 79 Menschen<br />
zum Selbstmord verholfen. Nicht immer<br />
handelt es sich dabei um lebensbedrohliche<br />
Krankheiten. Aus dem Tätigkeitsbericht<br />
der Organisation von 2003 ist ersichtlich,<br />
dass beispielsweise ein <strong>76</strong>jähriger<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 5
TITEL<br />
Mann mit Alzheimer die Freitodhilfe für<br />
sich in Anspruch nahm. »Er legte Wert<br />
darauf, rechtzeitig zu sterben, um nicht<br />
eine »Alzheimer-Karriere« durchmachen<br />
und so seine Angehörigen schwer belasten<br />
zu müssen«, heißt es in dem Bericht. Ein<br />
anderer Mann im Alter von 55 Jahren sei<br />
seit 1994 halbseitig gelähmt gewesen. Die<br />
Ursache: Eine Schussverletzung, die er<br />
sich selbst in suizidaler Absicht zugefügt<br />
habe.<br />
Dignitas‘ führende Kräfte halten nicht<br />
viel von Statuten, die sich über Jahrhunderte<br />
bewährt haben. Der zweite Vorsitzende<br />
der Organisation Christian-Uwe<br />
Arnold sagte gegenüber <strong>LebensForum</strong>,<br />
man könne den »Hippokratischen Eid<br />
gleich vergessen«. Der Berliner Arzt hat<br />
selbst diesen Eid nicht geschworen. »Der<br />
Hippokrates ist nicht mehr up to date«,<br />
sagte er zu der Formel, die der griechische<br />
Arzt und Schriftsteller Hippokrates (ca.<br />
460 <strong>–</strong> 370 vor Christus) in seinen medizinischen<br />
Schriften formuliert hatte.<br />
Gleichzeitig zitiert Arnold aber jenen<br />
Hippokrates mit den Worten, der Arzt<br />
müsse sich im Unheilbaren auskennen,<br />
»damit er nicht nutzlos quäle«. In der<br />
ärztlichen Selbstverpflichtung ist allerdings<br />
auch klar formuliert, dass der Arzt<br />
nie jemandem zum Tod verhelfen soll:<br />
»Ich werde niemandem, auch nicht auf<br />
eine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen<br />
oder auch nur dazu raten.« Damit<br />
verbietet dieser ethische Eid nicht nur<br />
die aktive Sterbehilfe, sondern auch die<br />
Beihilfe zum Suizid.<br />
»Am sichersten<br />
funktioniert der ICE.«<br />
Dignitas-Chef Ludwig Minelli<br />
Arnold ist aus Überzeugung bei Dignitas.<br />
Der Agnostiker kennt den Sterbealltag.<br />
Die Ärzte gingen an einem Sterbezimmer<br />
lieber schnell vorbei, sagt er. Mit<br />
Dignitas wolle man einerseits praktische<br />
Hilfe leisten. Auf der anderen Seite bietet<br />
der Verein seinen Mitgliedern auch eine<br />
juristische Beratung an, »was in Deutschland<br />
alles bereits möglich ist.« Dignitas<br />
will damit auch provozieren, sieht sich<br />
aber nicht als Gegner der Hospizbewegung<br />
oder der Palliativmedizin. »Die<br />
sollen unterstützt werden«, meint Arnold.<br />
Doch es solle auch akzeptiert werden,<br />
dass nicht alle so sterben wollen. Dennoch:<br />
Dignitas sei kein Tötungsclub.<br />
»Sonst würde ich als Arzt da auch nicht<br />
mitmachen. Die meisten Gespräche und<br />
6<br />
STICHWORT<br />
Dignitas<br />
Dignitas wurde am 17. Mai 1998 vom<br />
Züricher Rechtsanwalt Ludwig Minelli<br />
gegründet. Die Organisation will nach<br />
eigenen Angaben ihren Mitgliedern ein<br />
»Menschenwürdiges Leben wie auch<br />
ein menschenwürdiges Sterben« ermöglichen.<br />
Für eine Eintrittsgebühr von rund<br />
<strong>76</strong> Euro und einem Mitgliedschaftsbeitrag<br />
von 38 Euro ist man dabei. Dignitas<br />
steht für die Sterbevorbereitung, Sterbebegleitung<br />
und Freitodhilfe zur Verfügung.<br />
In der Schweiz hat der Verein rund 4800<br />
Mitglieder, in Deutschland läuft derzeit<br />
das Verfahren, sich als Verein eintragen<br />
zu lassen. Bislang hat Dignitas 453 Menschen<br />
zum Tod verholfen.<br />
Diskussionen, die wir führen, sind zum<br />
Leben hin. Allein die Tatsache, dass Menschen<br />
mit ihrem Arzt darüber sprechen<br />
können, ist bereits eine Lebenshilfe.«<br />
Doch immerhin hat Dignitas bereits mindestens<br />
453 Menschen den vorzeitigen<br />
Tod ermöglicht. Mehr als die Hälfte kamen<br />
davon aus Deutschland. Für einen<br />
Verein, der sieben Jahre nach seiner Gründung<br />
fast 5.000 Mitglieder hat, keine<br />
kleine Zahl.<br />
Wohlmöglich haben die Todeshelfer<br />
selber nicht damit gerechnet, dass ihnen<br />
so viel Aufmerksamkeit geschenkt werden<br />
würde. Diese Ansicht vertritt zumindest<br />
Arnold. Doch das provokante Auftreten<br />
des Vereinsvorsitzenden Ludwig Minelli<br />
lässt daran zweifeln. Er will das »Selbstbestimmungsrecht<br />
des mündigen Menschen<br />
auch in Deutschland« durchsetzen. Für<br />
ihn ist der Selbstmord »eine großartige<br />
Möglichkeit, sich einer aussichtslosen<br />
Situation zu entziehen«, wird er in der<br />
TAZ zitiert. Er wirkt fast suizidfanatisch,<br />
wenn er sein Bedauern darüber äußert,<br />
dass in Deutschland Lebensmüde leider<br />
nur wenig Möglichkeiten hätten sich<br />
umzubringen. »Am sichersten funktioniert<br />
der ICE«, führt Minelli seine absurden<br />
Ansichten weiter aus. Auch sein Hinweis,<br />
80 Prozent der Leute würden sich<br />
nicht mehr melden, nachdem sie von<br />
Dignitas die Mitteilung erhalten hätten,<br />
ein Arzt sei bereit das Rezept für eine<br />
Freitod-Begleitung zu schreiben, tröstet<br />
nicht über dieses verquerte Bild von einem<br />
menschenwürdigen Sterben hinweg. Mit<br />
dem <strong>LebensForum</strong> wollte er übrigens<br />
nicht über seine Organisation sprechen.<br />
Abtreibungsgegner bezeichnete er als<br />
»Sektierer«.<br />
Vielleicht sind die Vorwürfe, die Leute<br />
wie der Vorsitzende der Deutschen Hospizstiftung<br />
Eugen Brysch gegenüber<br />
Dignitas erheben, nicht zu 100 Prozent<br />
berechtigt. Der verteilte bei einer spontanen<br />
Demonstration vor einem Hotel,<br />
in dem sich zeitgleich Minelli aufhielt,<br />
Zettel mit der eidgenössischen Flagge.<br />
Darauf stand: »Schweizer Geschäfte mit<br />
dem Tod«. Doch wie viel Geldgier und<br />
wie viel Ideologie hinter dem Ansinnen<br />
von Dignitas steckt, ist derzeit nicht auszumachen.<br />
Für Brysch ist allerdings nicht allein<br />
die Niederlassung von Dignitas problematisch.<br />
Er findet es »entsetzlich, dass<br />
wir sowohl in der Politik als auch in der<br />
Wissenschaft die Würde in jeder Form<br />
so inflationär benutzen und missbrauchen«,<br />
sagte er gegenüber dem Lebens-<br />
Forum. Die Forderung von Politikern<br />
wie Kusch stelle die »Hilfeleistungsethik<br />
auf den Kopf«. Statt das Leid zu beseitigen,<br />
werde der Leidende beseitigt. »Es<br />
ist ein Wahn zu glauben, dass die geregelte<br />
Tötung von Menschen unter objektiven<br />
Tatbeständen tatsächlich möglich ist«, so<br />
Bryschs Auffassung.<br />
Doch klar ist: Der Verein hat einer<br />
bereits lang schwelenden Debatte wieder<br />
neuen Schwung gegeben. Allerdings zeigen<br />
sich auch die Gegner der aktiven<br />
Sterbehilfe nicht untätig: Bundesgesundheitsministerin<br />
Ulla Schmidt (SPD) reagierte<br />
mit einem Millionenprogramm auf<br />
die Rufe nach einer Legalisierung der<br />
aktiven Sterbehilfe. Danach sollen jährlich<br />
250 Millionen Euro für die Pflege<br />
Todkranker bereitgestellt werden. 330<br />
Teams aus Ärzten und Pflegekräften sollten<br />
künftig für eine ambulante schmerzlindernde<br />
Palliativversorgung bereit stehen.<br />
Die Finanzierung dieses Vorhabens<br />
ist allerdings noch unklar.<br />
Die stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende<br />
Maria Böhmer (CDU) begrüßte<br />
das Vorhaben. Sie wolle »keine<br />
niederländischen oder belgischen Verhältnisse«.<br />
Das wollen wohl die Wenigsten.<br />
Selbst die Liberalen sind sich bei<br />
der Frage über die aktive Sterbehilfe<br />
uneins. So sagte das FDP-Präsidiumsmitglied<br />
Philip Rösler gegenüber der<br />
Berliner Morgenpost, er lehne die aktive<br />
Sterbehilfe »zum jetzigen Zeitpunkt« ab.<br />
Die FDP-Forschungspolitikerin Ulrike<br />
Flach ist dagegen der Auffassung, dass<br />
die Debatte »nicht unterdrückt werden«<br />
dürfe. Man solle darüber reden, »ob es<br />
ethisch vertretbare Antworten für die<br />
Menschen gibt, denen selbst die moderne<br />
Palliativmedizin nicht mehr helfen kann«.<br />
Die Oppositionskollegen aus den Reihen<br />
von Bündnis '90/Die Grünen zeigen<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
ARCHIV<br />
sich dagegen einhelliger. So sprach sich<br />
die Bundestagsvizepräsidentin Katrin-<br />
Göring-Eckardt gegen eine Legalisierung<br />
der aktiven Sterbehilfe aus. Sie verwies<br />
auf die Niederlande, wo sich die gesellschaftliche<br />
Stimmung durch die Euthanasie-Regelung<br />
stark verändert habe.<br />
Auch die parlamentarische Geschäftsführerin<br />
und Sprecherin für Altenpolitik<br />
Irmingard Schewe-Gerigk sprach sich<br />
klar gegen die aktive Sterbehilfe aus.<br />
Allerdings forderte sie, dass in der neuen<br />
Legislaturperiode das Thema Patientenverfügungen<br />
wieder auf die Tagesordnung<br />
gesetzt werde. »Bedingung muss dabei<br />
sein, dass die Patientenverfügung die Situation<br />
beschreibt, die im konkreten Fall<br />
eingetreten ist, und dass es kein Anzeichen<br />
dafür gibt, dass der Mensch in der Zwischenzeit<br />
seinen Willen geändert hat.«<br />
Palliativmedizin und Hospizarbeit sollten<br />
Roger Kusch, CDU<br />
ausgebaut werden. Schewe-Gerigk setzt<br />
sich aber auch für eine klare Regelung<br />
bei der Beihilfe zum Selbstmord ein: Sie<br />
sprach sich für die Straffreiheit aus, selbst<br />
wenn sich die Verabreichung eines<br />
schmerzstillenden Mittels im Einzelfall<br />
lebensverkürzend auswirken könne. Doch<br />
auch bei dieser eher vorsichtigen Formulierung<br />
scheint der Schritt zur aktiven<br />
Sterbehilfe nicht mehr weit.<br />
Andere sehen in der Debatte eine<br />
Chance. So die Bundesfamilienministerin<br />
Ursula von der Leyen (CDU), welche<br />
den Diskurs grundsätzlich begrüßte. Eine<br />
Diskussion über das Thema Sterbehilfe<br />
könne helfen, juristische Grauzonen zu<br />
klären. Die Mutter von sieben Kindern<br />
lehnt die Tötung unheilbar Kranker allerdings<br />
ab. Auch sie will gegen Dignitas<br />
rechtlich vorgehen.<br />
Bei allem Unbehagen, das sich bei den<br />
Beobachtern dieser Diskussion breit machen<br />
mag, könnte die Debatte aber auch<br />
einen positiven Effekt haben. So versprach<br />
Bischof Wolfgang Huber auf der Anfang<br />
November abgehaltenen EKD-Synode,<br />
ARCHIV<br />
sich auch für den Lebensschutz am Beginn<br />
des Lebens stärker einsetzen zu wollen.<br />
Auf Empfehlung einer württembergischen<br />
Synodalin kündigte er an, die vom Verfassungsgericht<br />
geforderte Überprüfung<br />
des Paragrafen 218 bei der neuen Bundesregierung<br />
anzumahnen.<br />
Eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe<br />
wird in Deutschland vorerst wohl<br />
nicht erfolgen. Mitte November lehnte<br />
die Justizministerkonferenz einen Antrag<br />
von Kusch ab, der über das Thema beraten<br />
wollte. Die Kollegen verwiesen auf<br />
»die Gefahr eines Dammbruchs beim<br />
Lebensschutz und auf die Sorge vor einem<br />
Missbrauch«. Im Streit um die Patientenverfügungen<br />
will die große Koalition in<br />
dieser Legislaturperiode zu einem Ergebnis<br />
kommen. Im Koalitionsvertrag von<br />
CDU/CSU und SPD heißt es: »Die Koalitionspartner<br />
schlagen vor, in der neuen<br />
Thomas Rachel, CDU<br />
Legislaturperiode die Diskussion über<br />
die gesetzliche Absicherung der Patientenverfügung<br />
fortzuführen und abzuschließen.«<br />
Der CDU-Abgeordnete Rachel ist der<br />
Ansicht, dass Hospizdienste und Palliativmedizin<br />
Schmerzen, Leid und Ängste<br />
weitgehend lindern könnten, so »dass<br />
sich die Frage nach einer Zulassung der<br />
aktiven Sterbehilfe nicht stellt.« Es sei<br />
angesichts der Diskussion auch zu überlegen,<br />
»ob die professionell vermittelte<br />
Hilfe zum Selbstmord nicht unter Strafe<br />
gestellt werden sollte«. Die Übergänge<br />
seien schließlich fließend: »Die Beihilfe<br />
zum Selbstmord kann schnell zur aktiven<br />
Sterbehilfe werden, wenn der Arzt den<br />
Geschehensablauf in den Händen hält<br />
und nicht mehr der Patient. Ob der Patient<br />
das Medikament einnimmt oder ob<br />
es ihm gespritzt wird, spielt dann nicht<br />
mehr die entscheidende Rolle.«<br />
Beendet ist die Debatte also auf keinen<br />
Fall. Denn wenn Dignitas in Deutschland<br />
seine Arbeit erst einmal richtig aufgenommen<br />
hat, fängt die Problematik im Grunde<br />
ARCHIV<br />
»Wenn Tötung zur Normalität<br />
wird, gibt es kein Halt mehr.«<br />
Thomas Rachel, MdB<br />
erst wirklich an. Viele Politiker sehen<br />
zwischen der Beihilfe zum Selbstmord<br />
und der aktiven Sterbehilfe einen großen<br />
Unterschied. Doch der ist nur marginal.<br />
Schließlich ist der Unterschied sehr gering,<br />
ob der Arzt dem Patienten die Tabletten<br />
in die Hand drückt oder direkt<br />
in den Mund steckt. Wenn der Gesetzgeber<br />
auch nicht die Beihilfe zum Suizid<br />
unter Strafe stellt, könnte es auch hierzulande<br />
einen neuen Sterbeboom geben.<br />
Bei der Beleuchtung der heutigen Argumente<br />
für die aktive Sterbehilfe fallen<br />
zudem Parallelen zu früheren Diskussionen<br />
auf. Eugen Brysch drückt es vorsichtig<br />
aus: »Vielleicht gibt es ja irgendwann<br />
einmal eine Dissertation über einen Vergleich<br />
zwischen dieser Nazi-Propaganda<br />
(Film: »Ich klage an«, Anm. d. Red.) und<br />
dem Film »Das Meer in mir«.« Während<br />
»Ich klage an« den Höhepunkt des Euthanasie-Programms<br />
im Dritten Reich<br />
darstellt, spielt »Das Meer in mir« in<br />
unserer heutigen Zeit. In beiden Filmen<br />
wird das Thema aktive Sterbehilfe behandelt.<br />
Unabhängig davon, ob die aktive Sterbehilfe<br />
zugelassen wird, wird der Kampf<br />
um das Lebensrecht weitergehen. »Wenn<br />
Tötung zur Normalität wird, gibt es kein<br />
Halten mehr«, fürchtet der CDU-Abgeordnete<br />
Rachel. Die Geschichte der Abtreibung<br />
hat diese Ansicht bereits bestätigt.<br />
IM PORTRAIT<br />
Tobias-Benjamin Ottmar<br />
Der Autor, Jahrgang 1985, studiert an<br />
der FH Gelsenkirchen Journalismus /<br />
Technik-Kommunikation. Neben dem<br />
Studium und der<br />
journalistischen Tätigkeit<br />
für verschiedene<br />
Zeitungen und<br />
<strong>Magazin</strong>e engagiert<br />
er sich in der<br />
»Jugend für das<br />
Leben«, der Jugendorganisation der<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>), den<br />
»Christdemokraten für das Leben« (CDL)<br />
und anderen Organisationen für das<br />
Lebensrecht.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 7
TITEL<br />
IM PORTRAIT<br />
Robert Spaemann<br />
Geboren 1927 in Berlin, promovierte<br />
1952 in Münster und war danach als<br />
Verlagslektor und Universitätsassistent<br />
tätig. Von 1962 bis 1992, nach der Habilitation<br />
in den Fächern Philosophie<br />
und Pädagogik lehrte Robert Spaemann<br />
als ordentlicher Professor an den Unis<br />
Stuttgart, Heidelberg und München.<br />
8<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong><br />
DPA
»Ungeheurer<br />
moralischer Druck«<br />
Robert Spaemann zählt zu den profiliertesten Anwälten der Würde der Person. Wo immer Menschen<br />
das Recht auf Leben abgesprochen wird, meldet sich der Stuttgarter Philosoph zu Wort. So auch in<br />
der aktuellen Debatte um die »Tötung auf Verlangen«. Für <strong>LebensForum</strong> sprach Tobias-B. Ottmar<br />
mit ihm über die Folgen legalisierter Sterbehilfe.<br />
<strong>LebensForum</strong>: Wie weit geht die Selbstbestimmung<br />
des Menschen am Lebensende?<br />
Spaemann: Seine Selbstbestimmung<br />
ist eigentlich unbegrenzt. Die moralische<br />
Frage ist eine Frage für sich. Wenn ein<br />
Mensch sich töten will, dann kann er dies<br />
<strong>–</strong> auch vom Gesetz her <strong>–</strong> tun.<br />
Sollte ein Mensch das Recht haben, jemanden<br />
anderen zu bitten ihn umzubringen, wenn er dies<br />
selber nicht mehr machen kann?<br />
Er hat nicht das Recht, dass dieser Bitte<br />
entsprochen wird. Der Staat darf das<br />
nicht erlauben. Zwischenmenschliche<br />
Beziehungen unterliegen prinzipiell rechtlichen<br />
Regeln.<br />
Ihr Kollege Volker Gerhardt hat Ihre Äußerungen<br />
in der Stuttgarter Zeitung als »starken Tobak«<br />
bezeichnet. Wie stehen Sie zu seinen Äußerungen?<br />
Den Artikel von Volker Gerhardt kann<br />
man nicht ernst nehmen. Erst führt er<br />
schweres Geschütz gegen mich auf um<br />
dann letztlich auch zu dem Schluss zu<br />
kommen, dass er gegen die aktive Sterbehilfe<br />
ist. Es ist nun einmal so: Wenn man<br />
den Film der Nazis sieht, der sehr auf<br />
Mitleid und Emotionen setzt, dann hätte<br />
dieser Film auch heute gedreht werden<br />
können. Die Argumentation ist vollkommen<br />
dieselbe wie heute. Wenn man die<br />
psychiatrischen Gutachten von damals<br />
liest, argumentieren die Gutachter auch<br />
nicht mit dem »Volkswohl«, sondern vom<br />
Patienten aus. Aber am Ende stand die<br />
massenhafte Tötung.<br />
Viele, die dafür sind die Regeln auszuweiten,<br />
verweisen zugleich auf die »engen Grenzen«, die<br />
gesetzt werden sollen. Ist dies nur eine absichtliche<br />
vorsichtige Formulierung um jetzt erst einmal<br />
einen Teilsieg zu erreichen und später weitergehen<br />
zu können?<br />
Bei manchen Leuten ist das wohl so,<br />
dass sie jetzt erst das eine fordern um<br />
später noch weitergehen zu können. Ich<br />
bin auch der Meinung, dass für die passive<br />
Sterbehilfe klarere Regelungen getroffen<br />
werden müssen. Ich habe bereits vor 30<br />
Jahren geschrieben, dass, wenn man die<br />
Menschen zum Weiterleben durch lebensverlängernde<br />
Maßnahmen zwingt,<br />
unweigerlich der Ruf nach Euthanasie<br />
folgen wird. Und heute ist das nun eingetreten.<br />
Wie bewerten sie die »Freitodhilfe«, wie sie<br />
auch von dem in Deutschland neu gegründeten<br />
Verein »Dignitas« geleistet wird?<br />
Es ist Beihilfe zum Selbstmord und<br />
das ist nicht strafbar. Wir haben da allerdings<br />
einen gesetzlichen Widerspruch:<br />
Der Arzt kann dem Patienten zwar Mittel<br />
geben, dass er sich selbst umbringen kann,<br />
muss ihn dann aber reanimieren. Ich ziehe<br />
daraus einen anderen Schluss als Gerhardt.<br />
Ich meine, dass die Beihilfe zum<br />
Selbstmord unter Strafe gestellt werden<br />
muss. Der Arzt ist verpflichtet, Diener<br />
des Lebens zu sein. In meinen jungen<br />
Jahren erkannte man Anti-Nazi-Ärzte<br />
daran, dass sie den Hippokratischen Eid<br />
aufgehangen hatten. Ich möchte nicht,<br />
dass das wieder nötig wird.<br />
Was hätte es für Konsequenzen, wenn die aktive<br />
Sterbehilfe in Deutschland eingeführt werden<br />
würde?<br />
Dann werden sich genügend Leute<br />
finden, die das praktizieren. Enge Regeln<br />
sind da nicht durchzuhalten. Denn wenn<br />
ein Mensch das Recht hat, die Tötung<br />
zu verlangen, so ist er auch für alles verantwortlich.<br />
Das heißt, für alle Konsequenzen,<br />
die es hat, wenn er nicht danach<br />
verlangt. Dadurch entsteht ein ungeheurer<br />
moralischer Druck auf den Patienten.<br />
Das liegt in der Logik der Sache. Entweder<br />
gibt es das Recht oder nicht.<br />
Zudem können wir uns doch wohl<br />
kaum anmaßen, die Wünsche des Patienten<br />
zu beurteilen. Wir können doch nicht<br />
sagen: »Der darf«, oder »Der darf nicht!«.<br />
Das würde beispielsweise auch bedeuten,<br />
dass der Kannibale von Fulda nicht bestraft<br />
werden dürfte, da der Mensch, den<br />
er aufgegessen hatte, dies ja wollte.<br />
Wenn wir die aktive Sterbehilfe in<br />
Deutschland erlauben, dann werden wir<br />
holländische Zustände bekommen.<br />
Vielen Dank für das Gespräch.<br />
BUCHTIPP<br />
Robert Spaemann:<br />
Grenzen. Zur ethischen<br />
Dimension des Handelns.<br />
Verlag Klett-Cotta,<br />
2. Aufl. Stuttgart 2002.<br />
558 Seiten. 35,00 EUR.<br />
Robert Spaemann:<br />
Personen. Versuche<br />
über den Unterschied<br />
zwischen ‚etwas' und<br />
‚jemand'. Verlag Klett-<br />
Cotta, 2. Aufl. Stuttgart<br />
1998. 275 Seiten. 25,00 EUR.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 9
A USLAND<br />
DANIEL RENNEN<br />
Der Preis des<br />
Abtreibungsrechts<br />
30 Jahre nach Freigabe der vorgeburtlichen Kindstötung in den USA ziehen zwölf amerikanische<br />
Autorinnen Bilanz: Ihr Fazit: Die Legalisierung der Abtreibung hat verheerende Folgen <strong>–</strong> nicht nur<br />
für die Gesellschaft, sondern auch für die Frauen selbst.<br />
Von Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />
Seit gut 30 Jahren ist in den USA,<br />
aber auch vielen anderen westlichen<br />
Ländern, der freie Zugang zur<br />
Abtreibung geltendes Recht. Eine ganze<br />
Generation ist inzwischen herangewachsen,<br />
für die es völlig normal ist, jederzeit<br />
und aus jedem beliebigen Grund eine<br />
unerwünschte Schwangerschaft beenden<br />
zu können. »The Cost of ›Choice‹«, die<br />
Kosten des Abtreibungsrechts, heißt ein<br />
kleiner Band, in dem zwölf amerikanische<br />
Frauen eine Bewertung dieses Rechts und<br />
der dadurch verursachten Entwicklungen<br />
vornehmen.<br />
DER WEG ZUM RECHT AUF ABTREIBUNG<br />
Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein<br />
waren nach Serrin M. Foster, Vorsitzende<br />
10<br />
der Feministen für das Leben, die amerikanischen<br />
Feministinnen weitgehend und<br />
oft vehement gegen Abtreibung eingestellt.<br />
Für sie sei es selbstverständlich<br />
gewesen, dass Frauen, die selbst unter<br />
ihrer Abhängigkeit von Männern gelitten<br />
hatten, nicht ihrerseits das ungeborene<br />
Kind als Verfügungsmasse betrachten<br />
dürften.<br />
Erst in den sechziger Jahren des 20.<br />
Jahrhunderts änderte sich diese Einstellung,<br />
als die Abtreibungs-Lobbyisten<br />
Larry Lader und Bernard Nathanson<br />
erfolgreich versuchten, die amerikanischen<br />
Frauenverbände für ihre Sache zu<br />
gewinnen. Das Recht auf Abtreibung, so<br />
die Argumentation Laders und Nathansons,<br />
sei für die Gleichberechtigung der<br />
Frau in der modernen Gesellschaft unverzichtbar,<br />
vor allem auch in der Arbeitswelt.<br />
Seither entwickelte sich die Forderung<br />
nach dem uneingeschränkten Recht<br />
auf Abtreibung zu der zentralen Kernforderung<br />
der meisten Feministinnen und<br />
Frauenverbände. Dies ist bis heute unverändert.<br />
Durchgesetzt wurde das Recht auf<br />
Abtreibung in den USA 1973 durch zwei<br />
Urteile des Obersten Gerichtshofes: das<br />
bekannte Urteil »Roe vs. Wade« und das<br />
nicht minder bedeutende »Doe vs.<br />
Bolton«. Zusammen betrachtet, so meint<br />
die Rechtsgelehrte Mary Ann Glendon,<br />
bewirkten die Urteile nicht weniger als<br />
das faktische Recht auf Abtreibung bis<br />
zur Geburt. Auf Grundlage dieser beiden<br />
Urteile wurden lange Zeit selbst alle nur<br />
kosmetischen Regelungsversuche des Ab-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
treibungsrechts beiseite gefegt. Die USA<br />
hatten deswegen seither praktisch eine<br />
der freizügigsten Abtreibungsregelungen<br />
der Welt.<br />
GESELLSCHAFTLICHE FOLGEN<br />
Der Kampf für das Abtreibungsrecht<br />
geht nach Meinung der Geisteswissenschaftlerin<br />
Fox-Genovese einher mit dem<br />
Versuch, die Rolle der Frau in der Welt<br />
umzudefinieren. Das geht bis hin zur<br />
Leugnung der biologischen Ursachen der<br />
Unterschiede zwischen Mann und Frau,<br />
als deren Quelle allein Gesellschaft, Erziehung<br />
und Tradition angesehen werden<br />
und die es auszumerzen gelte. Dafür wird<br />
das Recht auf Abtreibung als unverzichtbar<br />
angesehen, da nur so die Selbstverwirklichung<br />
der Frau und die angestrebte<br />
Individualisierung erreicht werden könnten.<br />
Kinder, vor allem unerwünschte,<br />
würden der Erreichung dieser Ziele nur<br />
störend im Wege stehen.<br />
Anstatt der Frau die ersehnte Freiheit<br />
und Gleichberechtigung zu bringen, hat<br />
das Recht auf Abtreibung nach Meinung<br />
der Juristinnen Dorinda Bordlee und<br />
Paige Comstock Cunningham vor allem<br />
bewirkt, dass die Gesellschaft die Frau<br />
mit der Kindererziehung und sozialen<br />
Notlagen alleine lässt, da nun die Abtreibung<br />
als billigste und effizienteste Problemlösung<br />
allzeit zur Verfügung steht.<br />
Die Gesellschaft schiebt die gesamte Verantwortung<br />
einfach auf die Mutter ab,<br />
denn diese hätte durch eine Abtreibung<br />
ja die Gelegenheit gehabt, sich alle Probleme<br />
zu ersparen. Insbesondere den<br />
männlichen Sexualpartnern der Frauen,<br />
also den (potentiellen) Vätern, wurde<br />
damit ein einfacher Weg bereitet, sich<br />
aus der Verantwortung zu stehlen.<br />
Am schlimmsten macht sich dieser<br />
Aspekt der Abtreibungsmentalität nach<br />
Ansicht der Jura-Professorin Elizabeth<br />
Schiltz bei behinderten Kindern bemerkbar.<br />
Wenn eine Frau durch pränatale<br />
Diagnostik weiß, dass sie ein behindertes<br />
Kind erwartet, wird immenser Druck zur<br />
Abtreibung von ihrer Umgebung aufgebaut,<br />
um der Gesellschaft die durch das<br />
Kind entstehenden Kosten zu ersparen.<br />
Bekommt sie das Kind dennoch, wird sie<br />
mit allen Problemen und Kosten weitgehend<br />
alleine gelassen. Auch das behinderte<br />
Kind selbst hat nichts Gutes zu erwarten.<br />
Es genießt geringere Priorität in der<br />
medizinischen Versorgung, Versicherungen<br />
lehnen seine Aufnahme ab und generell<br />
wird ihm vorgehalten, dass es am<br />
besten nicht geboren worden wäre.<br />
Bedenkenswert ist ebenfalls, welche<br />
Folgen das Recht auf Abtreibung nicht<br />
BUCHTIPP<br />
Erika Bachiochi (Hrsg.):<br />
The Cost of »Choice«<br />
Women Evaluate<br />
the Impact of<br />
Abortion<br />
Encounter Books, San<br />
Francisco, 2004. 180<br />
Seiten. 17,50 EUR.<br />
hatte. Dazu ruft die Journalistin Candace<br />
Crandall in Erinnerung, mit welchen<br />
Versprechungen die Abtreibungs-Lobbyisten<br />
in den sechziger und siebziger Jahren<br />
des 20. Jahrhunderts das Recht auf Abtreibung<br />
angepriesen hatten. Wie ein<br />
Wunderheilmittel sollte es angeblich gegen<br />
alle möglichen gesellschaftlichen<br />
Probleme wirken: uneheliche Kinder,<br />
erzwungene Eheschließungen, Kindesmissbrauch,<br />
Armut, Überbevölkerung,<br />
Todesfälle durch illegale Abtreibung und<br />
so weiter. Die meisten dieser Heilsversprechen<br />
sind unerfüllt geblieben. Im<br />
Gegenteil, viele der erwähnten Probleme<br />
wurden massiv verstärkt, da die frei verfügbare<br />
Abtreibung das Verantwortungsbewusstsein<br />
aushöhlte. De facto ist Abtreibung<br />
längst zu einem massenhaft<br />
angewandten Mittel der Geburtenkontrolle<br />
geworden. Von allen Frauen, die<br />
abtreiben, würde laut Crandall die Hälfte<br />
mindestens zwei Abtreibungen in ihrem<br />
Leben haben, ein Fünftel sogar mindestens<br />
fünf Abtreibungen.<br />
GESUNDHEITLICHE FOLGEN<br />
Stattdessen zeigte sich, dass Abtreibungen<br />
ganz andere, sehr handfeste und sehr<br />
negative Folgen für die betroffenen Frauen<br />
haben können. Wie die Gynäkologin<br />
Elizabeth Shadigian ausführt, ist inzwischen<br />
überzeugend belegt, dass durch<br />
eine Abtreibung das Risiko, Probleme<br />
mit der Gebärmutter zu bekommen, um<br />
ca. 50% steigt. Dies kann später Geburten<br />
durch Kaiserschnitt notwendig machen<br />
oder sogar den Verlust der Gebärmutter<br />
bedeuten. Das Risiko von Frühgeburten<br />
wird durch eine vorangegangene Abtreibung<br />
sogar verdoppelt. Auch lässt sich<br />
mittlerweile nicht mehr ernsthaft bestreiten,<br />
dass das Risiko, an Brustkrebs zu<br />
erkranken, um 20 bis 30 Prozent nach<br />
einer Abtreibung steigt.<br />
Die Ärztin Angela Lanfranchi führt<br />
dazu ausführlich aus, dass inzwischen eine<br />
Vielzahl verlässlicher Studien den Zusammenhang<br />
zwischen Abtreibung und Brustkrebs<br />
erwiesen haben. Zwei Studien, die<br />
immer wieder angeführt würden, um<br />
diesen Zusammenhang zu leugnen, die<br />
Studie von Melbye 1997 und die im<br />
Lancet 2004 veröffentlichte Studie von<br />
Beral, litten hingegen unter schweren<br />
wissenschaftlichen Mängeln. Im Übrigen<br />
ist der Zusammenhang zwischen Abtreibung<br />
und Brustkrebs physiologisch gut<br />
nachvollziehbar. Eine Abtreibung bewirkt,<br />
dass die Brüste der Frau in dem Zustand<br />
verbleiben, den sie während einer<br />
Schwangerschaft erreichen. In diesem<br />
Zustand sind sie jedoch für Brustkrebs<br />
äußerst anfällig. Erst ab der 32. Schwangerschaftswoche<br />
formen die Brüste die<br />
sogenannten Typ-3 und Typ-4 Lobuli<br />
aus, die gegen Brustkrebs resistent sind.<br />
Das ist der Grund, warum eine ausgetragene<br />
Schwangerschaft gegen Brustkrebs<br />
schützt und Frühgeburten <strong>–</strong> aus dem<br />
selben Grund wie Abtreibungen <strong>–</strong> das<br />
Brustkrebsrisiko erhöhen.<br />
Während der Zusammenhang zwischen<br />
Frühgeburten und Brustkrebs allgemein<br />
anerkannt ist, wird der Einfluss<br />
von Abtreibungen nach wie vor vehement<br />
geleugnet. Auf Wissenschaftler und Mediziner,<br />
die darüber öffentlich sprechen<br />
wollen, werde laut Lanfranchi massiver<br />
Druck ausgeübt. Sie würden keine Einladungen<br />
erhalten, Berufungen würden<br />
zurückgezogen, sie könnten nicht publizieren.<br />
Aber auch die anderen mit Abtreibungen<br />
im Zusammenhang stehenden<br />
Gesundheitsrisiken werden weitgehend<br />
geleugnet, selbst vom amerikanischen<br />
Gynäkologenverband. Die Abtreibungslobby<br />
hat so große Angst davor, dass diese<br />
Risiken bekannt werden und die Zweifel<br />
an der Abtreibung allgemein erhöhen,<br />
dass sie sogar vehement dagegen kämpft,<br />
abtreibungswillige Frauen über diese<br />
Risiken aufzuklären. Was bei jeder anderen<br />
medizinischen Prozedur selbstverständlich<br />
ist, darf bei Abtreibung offenbar<br />
nicht sein.<br />
In ähnlicher Weise tabuisiert werden<br />
auch die psychischen Folgen der Abtreibung,<br />
wie die Psychiaterin E. Joanne<br />
Angelo meint. Doch nach über 30 Jahren,<br />
in denen in den USA Dutzende Millionen<br />
Abtreibungen vorgenommen wurden,<br />
lassen sich die psychischen Folgen alleine<br />
aus quantitativen Gründen nicht mehr<br />
verleugnen. Sie sind inzwischen statistisch<br />
messbar und schlagen sich in ihren Auswirkungen<br />
bis auf die Krankenkassen<br />
durch. So ergab 2002 eine Auswertung<br />
kalifornischer Krankenkassendaten, dass<br />
Frauen in den ersten vier Jahren nach<br />
einer Abtreibung um 17% mehr psychologische<br />
Dienste in Anspruch nehmen<br />
mussten als in den ersten vier Jahren nach<br />
einer Geburt. Dieselben Daten ergaben<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 11
A USLAND<br />
Die Frau ist oft das zweite Opfer der Abtreibung.<br />
12<br />
auch, dass Frauen im gleichen Zeitraum<br />
nach einer Abtreibung ein signifikant<br />
höheres Sterberisiko haben als nach einer<br />
Geburt. Dabei ging es nicht nur um<br />
Selbstmord, sondern um alle Todesarten,<br />
was die Autoren der Studie zu Spekulationen<br />
über selbstzerstörerische Tendenzen<br />
bei Frauen nach einer Abtreibung<br />
veranlasste. Drastischer noch sind Daten<br />
aus Finnland aus den neunziger Jahren,<br />
aus denen hervorgeht, dass die Selbstmordrate<br />
bei Frauen im ersten Jahr nach<br />
einer Abtreibung drei Mal so hoch war<br />
wie bei Frauen allgemein und sogar sechs<br />
Mal so hoch wie bei Frauen im ersten<br />
Jahr nach einer Geburt.<br />
Doch eine legale Abtreibung kann<br />
auch ganz direkt tödlich sein, und zwar<br />
nicht nur für das ungeborene Kind, sondern<br />
auch für die abtreibende Mutter.<br />
Nach Anwältin Denise Burke hat gerade<br />
die totale Legalisierung der Abtreibung<br />
durch Roe vs. Wade dazu geführt, dass<br />
in den USA lange Zeit so gut wie keine<br />
Kontrollen der Abtreibungskliniken und<br />
-ärzte mehr stattfanden und unglaublicher<br />
Pfusch zugelassen wurde. Augenzeugen<br />
beschreiben teils katastrophale sanitäre<br />
Zustände und Todesfälle unter skandalösen<br />
Umständen in Abtreibungskliniken.<br />
Die amerikanische Krankheits- und Seuchenschutz-Behörde<br />
CDC geht statistisch von<br />
einem Todesfall auf<br />
100000 Abtreibungen in<br />
den ersten drei Schwangerschaftsmonaten<br />
und<br />
von sieben Todesfällen<br />
auf 100000 Abtreibungen<br />
im fünften Schwangerschaftsmonat<br />
aus. Selbst<br />
wenn man diese auf unvollständigen<br />
Daten basierenden<br />
Sterblichkeitsraten<br />
glaubt, ist bei deutlich<br />
über einer Million<br />
Abtreibungen pro Jahr in<br />
den USA klar, dass Dutzende<br />
Frauen jedes Jahr<br />
an legalen Schwangerschaftsabbrüchen<br />
sterben.<br />
Bedenkt man, dass die<br />
Gesundheitsstatistik für<br />
das Jahr 1972, also das<br />
Jahr vor der Einführung<br />
des Rechts auf Abtreibung,<br />
von 41 Toten durch<br />
Abtreibungen insgesamt<br />
in den USA ausging, so<br />
wird deutlich, dass die<br />
Legalisierung von Abtreibungen<br />
diese kaum,<br />
falls überhaupt, sicherer<br />
für die Frauen gemacht hat. Dies mutet<br />
um so perfider an, als gerade die angebliche<br />
Sorge um die Gesundheit der Frau<br />
ein wesentliches Argument für die Legalisierung<br />
der Abtreibung war und die<br />
Abtreibungslobby zur Durchsetzung des<br />
Abtreibungsrechts bewusst mit falschen<br />
Todeszahlen bei illegalen Abtreibungen<br />
argumentiert hat. In den sechziger und<br />
frühen siebziger Jahren war immer von<br />
fünf- bis zehntausend Toten pro Jahr<br />
durch illegale Abtreibungen die Rede,<br />
Zahlen, die frei erfunden waren, wie Bernard<br />
Nathanson später zugab.<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
HOFFNUNG FÜR DIE ZUKUNFT<br />
Das Fazit aus »The Cost of ›Choice‹«<br />
ist, dass die Einführung des nahezu uneingeschränkten<br />
Rechts auf Abtreibung<br />
auf jeder Ebene verheerend gewesen ist,<br />
gesellschaftlich und gesundheitlich, selbst<br />
wenn man das ethische Hauptproblem<br />
ausklammert, die millionenfache Tötung<br />
ungeborener Menschen. Die Autorinnen<br />
des Buches sehen jedoch Grund zur Hoffnung<br />
für die Zukunft. Der radikale Feminismus<br />
der sechziger und siebziger Jahre,<br />
der die Frau quasi zum Mann machen<br />
wollte, spricht heutige junge Frauen und<br />
Mütter nicht mehr an, denen viel mehr<br />
ARCHIV<br />
an der Vereinbarkeit von Familie und<br />
Beruf gelegen ist. Die Fähigkeit, Kinder<br />
kriegen zu können, wird von diesen Frauen<br />
wieder als etwas Besonderes geschätzt,<br />
das sie vom Mann unterscheidet und zur<br />
Rolle der Frau untrennbar dazu gehört,<br />
anstatt als eine lästige biologische Bürde<br />
auf dem Weg zur totalen Gleichheit zwischen<br />
Mann und Frau.<br />
Auch rechtlich gibt es Entwicklungen<br />
jenseits von Roe vs. Wade. Das Urteil<br />
»Planned Parenthood vs. Casey« von<br />
1992 des Obersten Gerichtshofes erlaubte<br />
zum ersten Mal einem Einzelstaat, Pennsylvania,<br />
Regelungen zur Regulierung<br />
der Abtreibung zu erlassen. Seither haben<br />
immer mehr Staaten davon in zunehmendem<br />
Maße Gebrauch gemacht. Eingeführt<br />
wurde zum Beispiel eine strengere<br />
Aufsicht für Abtreibungseinrichtungen,<br />
die Pflicht, den Ehemann bzw. bei Minderjährigen<br />
die Eltern über eine bevorstehende<br />
Abtreibung zu informieren, die<br />
verpflichtende Aufklärung über Abtreibungsrisiken<br />
und Alternativen, Wartezeiten<br />
vor der Abtreibung, der Schutz von<br />
Kindern, die ihre Abtreibung überleben,<br />
und Ähnliches.<br />
Die Öffentlichkeit begleitet diese Entwicklung<br />
positiv und sieht Abtreibung<br />
umgekehrt zunehmend negativ. Die Abtreibungslobby<br />
ihrerseits wird immer<br />
nervöser und reagiert äußerst hysterisch<br />
auf jeden neuen Vorstoß oder Vorschlag,<br />
der auch nur entfernt als Reglementierung<br />
oder Einschränkung des Abtreibungsrechts<br />
interpretiert werden könnte. Bisher<br />
haben die Urteile Roe vs. Wade und Doe<br />
vs. Bolton von 1973 und damit das uneingeschränkte<br />
Recht auf Abtreibung Bestand.<br />
Aber der Trend gibt Anlass zur<br />
Hoffnung.<br />
IM PORTRAIT<br />
Dr. rer. nat. Raymond Georg Snatzke<br />
Der in Jena lebende, promovierte Mathematiker,<br />
Jahrgang 1971, gehört der<br />
<strong>ALfA</strong> seit 1994 an. Zwei Jahre nach seinem<br />
Eintritt wurde<br />
er in den Bundesvorstand<br />
gewählt,<br />
wo er bis Juni 2004<br />
das Amt des<br />
Schriftführers im<br />
geschäftsführenden<br />
Bundesvorstand bekleidete. 1998 und<br />
2002 war er verantwortlich für die Planung<br />
und Durchführung der Bundestagswahl-Aktionen<br />
der <strong>ALfA</strong>. Seit 1996 koordiniert<br />
er zudem die Arbeit der Bundesgeschäftsstelle<br />
der <strong>ALfA</strong> in Augsburg.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
A USLAND<br />
Ab wann Schmerz?<br />
Mitte des Jahres sorgte eine Studie US-amerikanischer Autoren weltweit für Aufsehen. Ihre These:<br />
Kinder im Mutterleib könnten Schmerz frühestens ab der 29. Woche empfinden. Für <strong>LebensForum</strong><br />
hat sich Matthias Lochner näher mit der Studie und den Motivationen ihrer Autoren beschäftigt.<br />
Das Ergebnis ist spannend wie ein Krimi.<br />
Von Matthias Lochner<br />
Ab wann können ungeborene<br />
Kinder Schmerzen empfinden?<br />
Eine Ende August im »Journal<br />
of the American Medical Association«<br />
(JAMA, Nr. 294) unter dem Titel »Fetal<br />
Pain <strong>–</strong> A Systematic Multidisciplinary<br />
Review of the Evidence« veröffentlichte<br />
Studie hat diese Frage neu aufgeworfen<br />
und die Abtreibungsdebatte in den USA<br />
zusätzlich angeheizt.<br />
Die Studie bringt jedoch keine neuen<br />
wissenschaftlichen Erkenntnisse hervor,<br />
sondern offenbart vielmehr, mit welchen<br />
Mitteln Abtreibungsbefürworter den<br />
Kampf um ein »Recht auf Abtreibung«<br />
führen.<br />
»Nach allen verfügbaren biologischen<br />
Daten ist es äußerst unwahrscheinlich,<br />
dass ein Fötus vor der 29. Schwangerschaftswoche<br />
nach der Empfängnis etwas<br />
fühlt, was wir als Schmerz bezeichnen<br />
würden«, fasste einer der federführenden<br />
Autoren, Mark Rosen von der Universität<br />
in San Francisco, die Studie gegenüber<br />
der Presse zusammen.<br />
Zu diesem Ergebnis kommt das Team<br />
von mehreren, teilweise angehenden Medizinern<br />
nach der Durchsicht von Forschungsergebnissen<br />
bei bis zu 30 Wochen<br />
alten ungeborenen Kindern. Um Schmerzen<br />
empfinden zu können, müssten entsprechende<br />
Neuronen und Neuronenverbindungen,<br />
insbesondere zwischen dem<br />
Kortex (Großhirnrinde) und dem Thalamus<br />
(Zentrum des Zwischenhirns) vorhanden<br />
sein. Dies sei jedoch erst in der<br />
29. oder 30. Woche der Fall, so die Autoren<br />
weiter.<br />
Kritiker merken an, dass die Studie<br />
nicht auf eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen<br />
beruhe, sondern eine Zusammenfassung<br />
einseitig ausgewählter<br />
Literatur zu dem Thema sei. Zudem ist<br />
keiner der Verfasser ein Experte auf dem<br />
Gebiet der pränatalen Schmerzforschung.<br />
Die Sache hat noch einen Haken: Die<br />
LIFE ISSUES INSTITUTE<br />
Autoren der Studie befürworten allesamt<br />
Abtreibungen.<br />
So war die Medizinstudentin und<br />
Hauptautorin, Susan J. Lee, mehrere<br />
Monate bei der bedeutenden Abtreibungsorganisation<br />
»NARAL Pro-Choice<br />
America« als juristische Beraterin tätig.<br />
Die 1977 gegründete Organisation hat<br />
Der menschliche Embryo <strong>–</strong> ein schmerzfreies Wesen?<br />
laut eigenen Angaben 400.000 Mitglieder<br />
und ist damit die größte Abtreibungs-<br />
Lobby-Organisation in den USA. Co-<br />
Autorin Eleanor Drey ist medizinische<br />
Direktorin des größten Abtreibungszentrums<br />
in San Francisco.<br />
Damit nicht genug, arbeitet eine weitere<br />
Co-Autorin für das »Center for Reproductive<br />
Health Research and Policy«<br />
(CRHRP) an der Universität in San Francisco.<br />
Das CRHRP wurde 1999 gegründet<br />
und unterstützt eigenen Angaben zufolge<br />
Programme zur reproduktiven Gesundheit,<br />
sprich Verhütungs- und Abtreibungsprojekte,<br />
mit jährlich 36 Mio. US-Dollar<br />
(etwa 31 Mio. Euro). In einer Monographie<br />
über das CRHRP schreibt die Abtreibungs-Aktivistin<br />
Carol Joffre: »Diese<br />
medizinische Einrichtung vermittelt an<br />
den Rest der Medizin die Botschaft, dass<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 13
A USLAND<br />
»Hoch spezifische und gut<br />
koordinierte Reaktionen.«<br />
Jean A. Wright , Pädiatrie-Spezialistin<br />
mittee«, Wanda Franz, brachte es auf den<br />
Punkt, als sie meinte, wenn man »objektiv«<br />
die humane Tötung von Kälbern<br />
und Lämmern bewerten wolle, käme auch<br />
niemand auf die Idee, sich auf einen Bericht<br />
von »Betreibern eines Schlachthauses«<br />
zu stützen.<br />
Hinzu kommt, dass der Zeitpunkt der<br />
Veröffentlichung der Studie nicht zufällig<br />
gewählt wurde. So wurde sie bemerkenswerter<br />
Weise genau zu der Zeit publiziert,<br />
als republikanische Abgeordnete den Gesetzesvorschlag<br />
»Unborn Child Pain Awareness<br />
Act of <strong>2005</strong>« in den Kongress<br />
einbrachten. Das Gesetz sieht vor, dass<br />
Ärzte, die vorgeburtliche Kindstötungen<br />
vornehmen, die Frauen darüber informieren<br />
müssen, dass das ungeborene Kind<br />
etwa ab der 20. Schwangerschaftswoche<br />
schmerzempfindlich ist. Bei einer Abtreibung<br />
könnten diese Schmerzen zwar<br />
durch eine Anästhesie gemindert werden,<br />
diese berge jedoch gesundheitliche Risiken<br />
für die Frau. Der Gesetzesinitiative<br />
zufolge sollen die Frauen deshalb, nachdem<br />
sie über diesen Umstand aufgeklärt<br />
worden sind, ihr explizites Einverständnis<br />
zur vorgeburtlichen Kindstötung geben.<br />
Es liegt auf der Hand, dass dieser Gesetzesvorschlag<br />
den Pro-Abtreibungs-<br />
Aktivisten ein Dorn im Auge ist. Eine<br />
öffentlichkeitswirksame Studie, die Ungeborenen<br />
vor der 29. Schwangerschaftswoche<br />
jegliches Schmerzempfinden abspricht<br />
und somit ein derartiges Gesetz<br />
überflüssig machen könnte, kommt da<br />
natürlich wie gerufen.<br />
Könnte dennoch etwas Wahres an der<br />
so genannten Studie dran sein? Immerhin<br />
ist sie in der wissenschaftlichen Zeitschrift<br />
des Amerikanischen Ärzteverbandes erschienen,<br />
also vergleichbar mit dem Deutschen<br />
Ärzteblatt hierzulande. Die Chefredakteurin<br />
von JAMA, Catherine DeAngelis,<br />
bedauerte zwar gegenüber der Presse,<br />
dass sie über die Verbindungen der<br />
Mediziner zu Abtreibungszentren nicht<br />
informiert gewesen sei, erklärte jedoch<br />
Soll angeblich keinen Schmerz bei seiner Abtreibung empfinden: Der Embryo im Alter von 20 Wochen.<br />
eine Abtreibung ein gewöhnlicher Teil<br />
der reproduktiven Gesundheit der Frau<br />
ist.« Keine andere Organisation habe<br />
soviel dafür getan, dass Abtreibungen in<br />
die allgemeine medizinische Versorgung<br />
integriert worden seien, so Joffre weiter.<br />
»Autoren gehen mit ihrer Studie<br />
20 Jahre zurück.«<br />
Dr. Paul Ranalli, Neurologe<br />
14<br />
Angesichts der Tatsache, dass alle Verfasser<br />
ausgewiesene Abtreibungsbefürworter<br />
sind, darf die Seriosität der Studie sicherlich<br />
in Frage gestellt werden. Die Direktorin<br />
des »National Right to Life Com-<br />
LIFE ISSUES INSTITUTE<br />
»Abtreibung ist Teil der<br />
reproduktiven Gesundheit.«<br />
Carol Joffre, US-Abtreibungsaktivistin<br />
gleichzeitig, dass dies nichts an der Entscheidung<br />
geändert hätte, den Artikel zu<br />
veröffentlichen. Dies ist nur schwer nachvollziehbar,<br />
da die Ergebnisse der Mediziner<br />
um Susan J. Lee zahlreichen Studien<br />
zufolge auch aus wissenschaftlicher Sicht<br />
nicht glaubwürdig sind. So sind sich Experten<br />
auf dem Gebiet der pränatalen<br />
Schmerzempfindung darüber einig, dass<br />
Kinder deutlich vor der 29. Woche der<br />
Schwangerschaft Schmerz empfinden.<br />
Der an der Universität von Arkansas<br />
lehrende und als Kinderarzt in der Pädiatrie,<br />
Anästhesie, Pharmazie und Neurologie<br />
tätige Mediziner Dr. Kanwaljeet<br />
S. Anand erklärte etwa, dass frühgeborene<br />
Babys im Alter von etwa 23 Wochen<br />
schreien würden, wenn ihnen eine Nadel<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
zur Blutentnahme in die Ferse gestochen<br />
wird. Die gleich alten Kinder im Mutterleib<br />
müssten also auch Schmerz empfinden,<br />
so der Experte für Schmerzforschung<br />
weiter.<br />
Der Neurologe Dr. Paul Ranalli, der<br />
an der Universität von Toronto lehrt,<br />
geht sogar davon aus, dass Kinder zwischen<br />
der 20. und 30. Schwangerschaftswoche<br />
mehr Schmerz als Erwachsene<br />
empfinden. »Die Schmerzimpulsverbindungen<br />
des Embryos verknüpfen sich im<br />
Rückenmark und erreichen den Thalamus<br />
in der 7. bis 20. Schwangerschaftswoche«,<br />
erklärte er in einem Interview. Spätestens<br />
dann müsste das Ungeborene also<br />
Schmerz empfinden. Ranalli kritisierte,<br />
dass die Autoren mit ihrer Studie 20 Jahre<br />
zurückgehen würden, in eine Zeit, in der<br />
»Grausamer, brutaler, barbarischer<br />
und unzivilisierter Eingriff.«<br />
Der US-Supreme Court über Teilgeburtsabtreibung<br />
Mediziner auch glaubten, Neugeborene<br />
würden keinen Schmerz empfinden.<br />
Bereits 1996 meinte die Pädiatrie-<br />
Spezialistin, Dr. Jean A. Wright, dass<br />
Frühgeborene etwa im Alter von 23. Wochen<br />
»hoch spezifische und gut koordinierte<br />
physische Reaktionen auf Schmerzen<br />
zeigen«. Zu diesem Ergebnis kommt<br />
auch eine Gruppe von Ärzten, die sich<br />
letztes Jahr im Zuge der Diskussion um<br />
die so genannteTeilgeburtsabtreibung im<br />
Auftrag des Obersten Gerichtes der USA<br />
mit der Frage der pränatalen Schmerzempfindung<br />
auseinandersetzte.<br />
Bei der wohl grausamsten Abtreibungsmethode<br />
greift der Arzt das Kind mit<br />
einer Zange und entbindet es bis auf den<br />
Kopf. Dann steckt er eine Schere in den<br />
Schädel des Kindes. Dadurch entsteht<br />
ein Loch, in das er einen Saugschlauch<br />
einführt und das Gehirn absaugt. Zuvor<br />
um sich schlagende Glieder des Kindes<br />
hängen danach bewegungslos herab. Juristisch<br />
wird die Teilgeburtsabtreibung<br />
nicht als »Kindermord« betrachtet, da<br />
der Kopf des Kindes noch nicht geboren<br />
ist. US-Präsident George W. Bush unterzeichnete<br />
am 5. November 2003 ein Gesetz,<br />
dass diese Methode verbietet. Seitdem<br />
wird das Gesetz von Richtern in<br />
einigen Bundesstaaten blockiert.<br />
Die Mediziner, darunter auch Abtreibungsbefürworter,<br />
bestätigten, dass ungeborene<br />
Kinder Schmerz empfinden<br />
und trugen mit ihrer Stellungnahme wesentlich<br />
dazu bei, dass der Oberste Gerichtshof<br />
die partielle Abtreibung als<br />
»grausamen, brutalen, barbarischen und<br />
unzivilisierten medizinischen Eingriff«<br />
verurteilte.<br />
In Deutschland gilt noch heute die<br />
1991 von einem wissenschaftlichen Beirat<br />
der Bundesärztekammer<br />
veröffentlichte<br />
Studie »Pränatale<br />
und perinatale<br />
Schmerzempfindung«<br />
als maßgeblich.<br />
In der Studie,<br />
die die gesamte<br />
bis dato vorliegenden<br />
wissenschaftliche<br />
Literatur berücksichtigt,<br />
heißt<br />
es, dass sich zwischen<br />
der 8. und 21.<br />
Schwangerschaftswoche<br />
kontinuierlich<br />
die Nozizeption<br />
(Schmerz ohne<br />
Bewusstsein) entwickele<br />
und dass das<br />
Kind ab der 22.<br />
Schwangerschaftswoche<br />
zunehmend<br />
bewusst Schmerz<br />
erlebe.<br />
Die Beispiele<br />
zeigen allesamt,<br />
dass sich Experten<br />
darüber einig sind,<br />
dass ungeborene<br />
Kinder spätestens ab der 23. Woche nach<br />
der Empfängnis, wahrscheinlich jedoch<br />
»Die Möglichkeit, schmerzlos zu<br />
töten, ist keine Rechfertigung.«<br />
Frank Pavone, Direktor von »Priests of Life«<br />
LIFE ISSUES INSTITUTE<br />
deutlich früher Schmerz empfinden. Diese<br />
Tatsache wird im Übrigen auch bei Operationen<br />
am Fetus berücksichtigt. So wird<br />
das ungeborene Kind entweder über eine<br />
Vollnarkose der Mutter mit betäubt oder<br />
durch eine Injektion in die Nabelschnur<br />
direkt narkotisiert. Die so genannte Studie<br />
ist also nicht nur in Frage zu stellen, weil<br />
alle Autoren Abtreibungsbefürworter<br />
sind, sondern auch, weil ausgewiesene<br />
Experten auf dem Gebiet der Schmerzforschung<br />
den Ergebnissen eindeutig<br />
widersprechen.<br />
Man wird den Verdacht nicht los, dass<br />
es den Verfassern gar nicht darum geht,<br />
ab wann ungeborene Kinder Schmerzen<br />
empfinden können. Vielmehr scheinen<br />
Kein Schmerz? In der 12. Woche beginnt der Embryo seine Umgebung zu ertasten.<br />
sie jedem Argument, das gegen eine Abtreibung<br />
sprechen könnte, öffentlichkeitswirksam<br />
entgegentreten zu wollen. Dies<br />
verwundert kaum, denn schließlich ist<br />
nur so das erklärte Ziel der Abtreibungslobbyisten<br />
erreichbar, weltweit ein uneingeschränktes<br />
»Recht auf Abtreibung«<br />
durchzusetzen.<br />
Ob sie dieses Ziel erreichen, wird nicht<br />
unwesentlich davon abhängen, wie konsequent<br />
und öffentlichkeitswirksam Lebensschützer<br />
gegen derartige »wissenschaftliche<br />
Studien« vorgehen. Der Direktor<br />
von »Priests of Life«, Frank Pavone,<br />
ging mit gutem Beispiel voran, als er<br />
treffend meinte: »Es gibt viele Möglichkeiten,<br />
ungeborenes wie geborenes Leben<br />
schmerzlos zu töten. Das rechtfertigt es<br />
aber nicht.«<br />
IM PORTRAIT<br />
Matthias Lochner<br />
Der Autor, Jahrgang 1984, studiert<br />
Deutsch und Geschichte für das Lehramt<br />
an Gymnasien und<br />
Gesamtschulen an<br />
der Universität zu<br />
Köln. Er ist seit<br />
2001 Mitglied der<br />
<strong>ALfA</strong>. Als freier<br />
Journalist publiziert<br />
er regelmäßig auch im <strong>LebensForum</strong>.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 15
A USLAND<br />
Goliath gegen David<br />
Warum sollte Grundrechte achten, wer Menschenrechte in Frage stellt? Warum sollte die Meinungsfreiheit<br />
des anders Gesinnten verteidigen oder auch nur dulden, wer nicht einmal das Lebensrecht ungeborener<br />
Babys verteidigt oder anerkennt? Ein Prozess der österreichischen Sozialdemokratie gegen die »Jugend<br />
für das Leben« demonstriert, wie der Rechtsstaat langsam verkommt.<br />
Von Stephan Baier<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
Jutta Lang<br />
Wenn es um den Lebensschutz<br />
geht, kämpft Österreichs<br />
zweitgrößte Partei, die SPÖ,<br />
mit härtesten Bandagen. Leider nicht für<br />
den Schutz des ungeborenen Lebens,<br />
sondern gegen die Lebensschützer. In<br />
der Bundeshauptstadt Wien, wo die SPÖ<br />
mit absoluter Mehrheit regiert, schützt<br />
neuerdings ein polizeiliches Wegweiserecht<br />
abtreibungswillige Frauen (und mitunter<br />
die sie zur Abtreibung drängenden<br />
Begleiter) vor der Beratung durch Lebensschützer.<br />
Im Versuch der Abtreibungsgegner,<br />
Frauen vor dem folgenschweren<br />
Schritt in die Fänge der Abtreibungsindustie<br />
zu schützen, sehen österreichische<br />
Sozialisten »Psychoterror«.<br />
Das mit den Mitteln des Staates zu schützende<br />
Gut, ist nach sozialistischer Lesart<br />
offenbar nicht das ungeborene Kind,<br />
sondern die Abtreibungsindustrie.<br />
SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim<br />
musste Mitte Oktober via Pressedienst<br />
STEPHAN BAIER<br />
der SPÖ eine formelle Widerrufserklärung<br />
abgeben, »der Verein ›Jugend für<br />
das Leben‹ sei für die Anti-Abtreibungsdemonstrationen<br />
vor Wiener Klinken<br />
verantwortlich«. Widerrufen musste er<br />
auch seine Behauptung, »es handle sich<br />
bei diesem Verein um gewaltbereite Abtreibungsgegner<br />
sowie nachweislich um<br />
amtsbekannte Personen, die vor massivem<br />
Psychoterror gegen Frauen nicht zurückschrecken«.<br />
Nicht, dass der parlamentarische<br />
Justizsprecher der SPÖ plötzlich<br />
den wahren Charakter der Lebensschutz-<br />
Aktivitäten vor Wiener Abtreibungsklinken<br />
erkannt hätte. Nein, er hatte in diesem<br />
Fall die »Jugend für das Leben« mit »Human<br />
Life International« verwechselt.<br />
Gegen die in Linz beheimateten jugendlichen<br />
Lebensschützer führt Jarolim<br />
einen weit bedeutenderen Prozess, für<br />
den er mit dem Widerruf offenbar die<br />
Hände frei haben wollte. Nicht als Justizsprecher<br />
seiner Partei, sondern als ihr<br />
Rechtsanwalt hat er die »Jugend für das<br />
Leben« auf Unterlassung und Widerruf<br />
geklagt, und dabei in erster Instanz bereits<br />
obsiegt. Gegenstand des Verfahrens, das<br />
nun beim Oberlandesgericht Linz in die<br />
zweite Instanz geht, ist ein Informationsblatt<br />
der jugendlichen Lebensschutzbewegung,<br />
auf dem schlagwortartig die<br />
Folgen der in Österreich seit 1975 geltenden<br />
Fristenregelung aufgezählt werden.<br />
Dort war unter der Überschrift<br />
»Hemmungslose Kindestötung« zu lesen:<br />
»Forderung nach Abtreibung bis zur Geburt<br />
(z.B. Beschluss am 38. Bundesparteitag<br />
der SPÖ vom 30.11.2004)«.<br />
»FRAUEN WERDEN ZU GEBÄRMASCHINEN«<br />
Die SPÖ dementiert und sieht sich in<br />
ihrer Ehre verletzt. Wörtlich heißt es in<br />
der von Jarolim eingereichten Klageschrift:<br />
»Die Ehre der klagenden Partei<br />
wird durch die genannten unwahren Äußerungen<br />
beleidigt.« Die Behauptung sei<br />
»ehrrührig und unrichtig... daher geeignet,<br />
den Ruf der klagenden Partei erheblich<br />
zu schädigen«.<br />
Wahr ist aber, dass die SPÖ bei ihrem<br />
Bundesparteitag im November 2004 in<br />
Wien einen Antrag unter der Überschrift<br />
»Ob Kinder oder keine, bestimmen wir<br />
alleine!« beschloss. Darin lesen wir: »Aus<br />
unserer Sicht geht es in der Abtreibungsdiskussion<br />
nicht darum, ab wann Leben<br />
beginnt, sondern um das Recht, Entscheidungen<br />
für das eigene Leben zu treffen.<br />
Das beinhaltet die freie Entscheidung für<br />
eine verantwortungsvolle Mutterschaft...<br />
Trotzdem können ungewollte Schwangerschaften<br />
entstehen, solange es kein<br />
100prozentig sicheres Verhütungsmittel<br />
gibt, solange ›Pannen‹ bei der Verhütung<br />
passieren können, solange Vergewaltigungen<br />
Frauenrealität sind. Ein Abtreibungsverbot<br />
fordert von Frauen die totale Unterwerfung<br />
unter ihre biologische Fähigkeit<br />
zur Mutterschaft: physisch, psychisch,<br />
sozial und rechtlich.«<br />
Die vermeintlich logische Konsequenz<br />
des SPÖ-Parteitags im Wortlaut: »Wenn<br />
einer Frau zugemutet wird, sich einer<br />
Schwangerschaft zu fügen und ein Kind<br />
zu gebären, das sie nicht gewollt hat, dann<br />
ist dies Zwang und Fremdbestimmung,<br />
eine Verletzung elementarster Grundrechte.<br />
Frauen werden dadurch zu Gebärmaschinen<br />
reduziert.« Deshalb forderte<br />
die SPÖ die »Herausnahme der<br />
Regelung des Schwangerschaftsabbruches<br />
aus dem Strafgesetzbuch«. Im klaren<br />
Widerspruch zur geltenden österreichischen<br />
Rechtslage heißt es in dem SPÖ-<br />
Beschluss: »Schwangerschaftsabbruch ist<br />
kein Straftatbestand!«<br />
Kein Satz in dem Parteitagsbeschluss<br />
deutet darauf hin, die Sozialdemokratie<br />
könnte im ungeborenen Kind bereits<br />
einen Menschen mit Rechten sehen. Im<br />
Gegenteil: Es geht ihr ausdrücklich nicht<br />
darum, zu überlegen, »ab wann Leben<br />
beginnt«. Diese Einstellung alleine würde<br />
16<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
wohl schon die Interpretation zulassen,<br />
die SPÖ habe bei der Tötung ungeborener<br />
Kinder <strong>–</strong> in Österreich zwischen<br />
40.000 und 70.000 pro Jahr <strong>–</strong> keinerlei<br />
Hemmung mehr. Zur traurigen Gewissheit<br />
wird diese Vermutung aber durch<br />
die juristisch derzeit unhaltbare Behauptung,<br />
Abtreibung sei »kein Straftatbestand«<br />
und die Forderung, deren Regelung<br />
»aus dem Strafgesetzbuch« herauszunehmen.<br />
Das viel zitierte »Recht<br />
auf Abtreibung« gibt es in Österreich<br />
ebenso wenig wie in Deutschland. Das<br />
Strafgesetzbuch sieht eine Straffreiheit<br />
innerhalb der ersten drei Monate beziehungsweise<br />
bei Behinderung oder Minderjährigkeit<br />
der Mutter auch bis zur<br />
Geburt vor.<br />
Wenn die geltende Rechtslage in<br />
Österreich als der erste und größte Skandal<br />
in diesem Zusammenhang genannt<br />
Hannes Jarolim<br />
werden muss, dann ist die (Un-)Logik<br />
des SPÖ-Parteitagsbeschlusses, seine<br />
Ignoranz gegenüber dem ungeborenen<br />
Kind und seine Forderung nach Streichung<br />
des Sachverhalts aus dem Strafgesetzbuch<br />
der zweite Skandal. Der dritte<br />
aber ist die Unverfrorenheit, mit der sich<br />
die SPÖ nun in dem verletzt fühlt, was<br />
sie ihre Ehre nennt.<br />
DAS KIND WIRD ZUR KRANKHEIT<br />
Die Klage gegen die »Jugend für das<br />
Leben« beruht auf der Tatsache, dass der<br />
zitierte Parteitagsbeschluss darauf verweist,<br />
»die notwendigen Regelungen«<br />
könnten im Krankenanstaltenrecht und<br />
im Ärzterecht geregelt werden. <strong>–</strong> Etwa<br />
wie eine Magenspiegelung oder die chirurgische<br />
Entfernung einer Warze. Das<br />
Kind wird damit, wie die Sprecherin der<br />
»Jugend für das Leben«, Jutta Lang,<br />
anmerkt, »zu einer Krankheit erklärt«.<br />
PETRA SPIOLA<br />
Trotzdem, und obwohl die SPÖ zeitgleich<br />
Abtreibungen »österreichweit...<br />
kostenlos und anonym« fordert, hat das<br />
Landesgericht Linz der SPÖ-Klage gegen<br />
die »Jugend für das Leben« Recht gegeben.<br />
In ihrer Berufung an das Oberlandesgericht<br />
weisen die Rechtsvertreter der<br />
Lebensschützer darauf hin, dass es im<br />
SPÖ-Parteitagsbeschluss nirgends auch<br />
nur einen Hinweis gebe, »dass das ungeborene<br />
Leben in irgendeinem Stadium<br />
seiner Entwicklung rechtlich geschützt<br />
werden soll«.<br />
Sollte diese Tatsache, verbunden mit<br />
den zitierten Parteitagsbeschlüssen der<br />
SPÖ noch nicht den Schluss zulassen,<br />
den die »Jugend für das Leben« gezogen<br />
hat? Mehr noch: Könnte nicht sogar die<br />
derzeit geltende Rechtslage <strong>–</strong> die Fristenregelung<br />
<strong>–</strong>, die die SPÖ offenbar zu beseitigen<br />
gedenkt, die Auffassung rechtfertigen,<br />
in Österreich sei »hemmungslose<br />
Kindestötung« möglich: von unbehinderten<br />
Ungeborenen bis zum dritten Monat,<br />
von behinderten Ungeborenen bis zur<br />
Geburt? Sollte eine solche Sicht der Dinge<br />
von der Meinungsfreiheit nicht mehr<br />
gedeckt sein?<br />
Interessanterweise erlauben sich die<br />
Rechtsanwälte Adam und Steier in ihrem<br />
Berufungsschreiben folgenden Hinweis:<br />
»Auch nach der geltenden strafgesetzlichen<br />
Regelung, die ebenfalls auf einen<br />
Parteitagsbeschluss der klagenden Partei<br />
zurückgeht, kann mit gutem Grund davon<br />
gesprochen werden, dass dadurch eine<br />
›hemmungslose Kindestötung‹ bis zur<br />
Geburt ermöglicht worden ist.« Vorsichtigerweise<br />
begründen sie dies mit der<br />
Tatsache, dass nur vorsätzliche, nicht aber<br />
fahrlässige Abtreibungen strafbar sind.<br />
Die zusätzliche Diskriminierung ungeborener<br />
Menschen mit Behinderungen, die<br />
bis zur Geburt von der Abtreibung bedroht<br />
sind, hätte auch Erwähnung finden<br />
können.<br />
Der nun in die zweite Instanz gehende<br />
Prozess der SPÖ gegen die »Jugend für<br />
das Leben« zeigt den Zustand des Rechtsstaates<br />
30 Jahre nach Einführung der<br />
Fristenlösung. Selbige wird innerhalb der<br />
politischen Klasse längst nicht mehr von<br />
der ÖVP <strong>–</strong> die vor drei Jahrzehnten noch<br />
dagegen Widerstand leistete <strong>–</strong> angefochten,<br />
sondern nur mehr von jenen, denen<br />
selbst diese Regelung zu reglementierend<br />
ist. Während sich ÖVP-Politiker bei jedem<br />
Anlass laut zur »Fristenlösung« bekennen,<br />
scheint das Strafrecht den Sozialisten<br />
dort ein Dorn im Auge zu sein, wo<br />
es um den Schutz des noch nicht geborenen<br />
Kindes geht. Gleichzeitig zieht man<br />
aber gerne vor Gericht, um den Lebensschützern<br />
den Mund zu verbieten.<br />
GRUNDRECHTE IN GEFAHR<br />
Darum geht es bei diesem überaus<br />
politischen Prozess letztlich: Die SPÖ<br />
weiß wohl, dass eine kleine, nur aus ehrenamtlichen<br />
jugendlichen Idealisten bestehende<br />
Lebensschutzbewegung ihr weder<br />
politische noch rechtliche Prügel<br />
zwischen die Beine werfen kann. Sie weiß<br />
ebenso, dass keine im Parlament vertretene<br />
Partei und kein führendes Medium<br />
des Landes sich die Sicht der Abtreibungsgegner<br />
zueigen machen werden. Wenn<br />
der Polit-Goliath SPÖ dennoch mit solchem<br />
Eifer gegen den Lebensschutz-<br />
David in die Schlacht zieht, dann um die<br />
ganze Lebensschutz-Szene Österreichs<br />
einzuschüchtern, um eine jugendliche<br />
Nichtregierungsorganisation mundtot zu<br />
machen.<br />
Das ist der dritte, aber nicht der letzte<br />
Skandal in diesem Prozess: Es geht um<br />
die Meinungsfreiheit, die im Fall der<br />
Abtreibungsgegner offenbar ebenso eingeschränkt<br />
werden soll, wie die Demonstrationsfreiheit<br />
(siehe Wegweiserecht<br />
und Schutzzonen um Abtreibungsklinken).<br />
Die Rechtsanwälte der »Jugend für<br />
das Leben« haben in ihrer Berufung deshalb<br />
auch ein Plädoyer für die Meinungsfreiheit<br />
niedergeschrieben: »Im Sinne<br />
des Grundrechtes der Meinungsäußerungsfreiheit<br />
muss es in einer politisch<br />
und weltanschaulich kontroversen Diskussion<br />
zulässig sein, eine solche öffentlich<br />
geäußerte Meinung der klagenden Partei<br />
in der gegenständlichen Art und Weise<br />
zu kritisieren.« Ja, es müsste! Aber wer<br />
das Lebensrecht der Ungeborenen negiert,<br />
wird sich auch um die Grundrechte<br />
der Geborenen wenig scheren.<br />
IM PORTRAIT<br />
Stephan Baier<br />
Der Autor, 1965 in Roding (Bayern) geboren,<br />
ist Österreich- und Europa-Korrespondent<br />
der überregionalen katholischen<br />
Tageszeitung »Die Tagespost«. Nach<br />
dem Studium der<br />
Theologie in Regensburg,<br />
München<br />
und Rom arbeitete<br />
er zunächst als<br />
Pressesprecher für<br />
die Diözese Augsburg,<br />
dann fünf Jahre lang als Pressesprecher<br />
und Parlamentarischer Assistent<br />
für Otto von Habsburg im Europäischen<br />
Parlament. Baier, Autor mehrerer<br />
Sachbücher, ist verheiratet und<br />
Vater von fünf Kindern.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 17
MEDIZIN<br />
REHDER MEDIENAGENTUR<br />
Ethisch einwandfreie<br />
Stammzellen?<br />
Das Wissenschaftsmagazin »Nature« veröffentlichte kürzlich die Berichte von zwei Forscherteams aus<br />
den USA. Deren Ergebnisse wurden weltweit als Sensation gefeiert. Endlich seien ethisch akzeptable<br />
Wege zur Gewinnung embryonaler Stammzellen gefunden worden. Doch wie so oft steckt auch hier<br />
der Teufel im Detail.<br />
Von Dr. Adrienne Weigl<br />
18<br />
Zwei Forschungsberichte im Bereich<br />
Stammzellforschung haben<br />
im Oktober für Aufregung gesorgt,<br />
weil man in der Presse einmal mehr<br />
vermutete, hier wäre sie endlich: die<br />
»ethisch einwandfreie Stammzelle«. Der<br />
eine wurde von Wissenschaftlern der<br />
schon öfters in Erscheinung getretenen<br />
Institution ACT (Advanced Cell Technology),<br />
der andere von den Stammzellforschern<br />
Alexander Meissner und Rudolf<br />
Jaenisch in der Zeitschrift Nature vorgelegt.<br />
Betrachten wir zunächst den Versuch<br />
der ACT. Was wurde dabei gemacht? Aus<br />
Mausembryonen im 8-Zell-Stadium wurden<br />
einzelne Zellen entnommen. Eine<br />
solche Entnahme tötet den Embryo nicht.<br />
Diese einzelnen Blastomeren wurden<br />
zusammen mit embryonalen Stammzellen<br />
der Maus kultiviert und vermehrt. Dann<br />
wurden die zur gemeinsamen Kultur verwendeten<br />
Stammzellen wieder entfernt.<br />
Die anschließenden Versuche zeigten,<br />
dass sich allem Anschein nach aus den<br />
einzelnen Blastomeren normale embryonale<br />
Stammzellen mit all deren Fähigkeiten<br />
entwickelt hatten. Bei diesen Stammzellen<br />
wurde also der Embryo, von dem<br />
sie stammen, tatsächlich für ihre Gewinnung<br />
nicht getötet. Der Verbrauch von<br />
Embryonen, der in Bezug auf den Menschen<br />
die Stammzellforschung und die<br />
angestrebten Stammzelltherapien so problematisch<br />
macht, wurde hier partiell<br />
vermieden. Partiell: Denn natürlich<br />
stammten die zur gemeinsamen Kultur<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
mit den einzelnen Blastomeren verwendeten<br />
Stammzellen aus zerstörten Embryonen.<br />
Und damit zeigt sich schon,<br />
dass auch die Ergebnisse dieses Versuchs<br />
noch nichts Wesentliches an der ethischen<br />
Fragwürdigkeit der embryonalen Stammzellforschung<br />
in Bezug auf den Menschen<br />
geändert haben, auch wenn sich die Vorgehensweise<br />
in der Tat von anderen Methoden,<br />
auch der von Meissner und Jaenisch<br />
substantiell unterscheidet. Vielleicht<br />
wird es sich einmal als der erste Schritt<br />
in die richtige Richtung erweisen, doch<br />
um das zu beurteilen, ist es zu früh.<br />
»Menschwürde erfordert<br />
keine Zusatzleistungen.«<br />
Es sei vor einer weiteren Analyse eine<br />
kurze Skizze gegeben, wie sich vom Prinzip<br />
der Menschenwürde her die verbrauchende<br />
Embryonenforschung einer ethischen<br />
Überprüfung darbietet. Dies umso<br />
mehr, als man bei nicht wenigen Wortmeldungen<br />
aus den Reihen der Wissenschaft<br />
wie aus Politik und Öffentlichkeit<br />
immer wieder den Eindruck gewinnt,<br />
dass das hier bestehende Problem nicht<br />
wirklich zur Kenntnis und ernst genommen<br />
wird <strong>–</strong> was man auch von dem verlangen<br />
könnte, der eine andere ethische<br />
Position vertritt. So zeigt die nicht selten<br />
zu hörende Strategie, dem Gegner eines<br />
Verbrauchs menschlicher Embryonen eine<br />
»Ethik des Heilens«, gar eine christliche<br />
Pflicht zur Heilung entgegenzuhalten,<br />
eine nachgerade kaum erträgliche<br />
Ignoranz gegenüber den tatsächlichen<br />
Bedenken, die sich von einer Ethik der<br />
Menschenwürde, sei sie säkular oder<br />
christlich motiviert, gegen die Tötung<br />
menschlicher Embryonen ergeben. Der<br />
christliche Glaube verträgt sich nicht mit<br />
einer Billigung gesellschaftlich-staatlich<br />
verordneter Menschenopfer um eines<br />
höheren Zieles willen und es gibt kein<br />
christliches Gebot der Nächstenliebe<br />
nach dem Grundsatz: »Liebe deinen<br />
Nächsten und wenn der Übernächste<br />
deshalb zugrunde geht, ist das nicht zu<br />
vermeiden.« Und das Prinzip der Menschenwürde<br />
verbietet ein Verrechnen des<br />
Einzelnen in seiner unbedingten Würde<br />
nach dem Grundsatz: »Du bist nichts,<br />
die Menge der zu Heilenden ist alles«.<br />
Kein noch so hoch stehender Zweck<br />
heiligt die Verletzung der Würde des<br />
Menschen. Deshalb spricht man ja in<br />
Bezug auf die Menschenwürde von<br />
»Auch zusätzliche Embryonen<br />
dürfen nicht getötet werden.«<br />
»unantastbar« und nicht von »nur zu<br />
bestimmten Zwecken und unter großen<br />
Auflagen (Hinzuziehung von Ethikkommissionen)<br />
antastbar«. Wer sich am Prinzip<br />
der Menschenwürde orientiert und<br />
nicht bereit ist, den Embryo als ein bloß<br />
untermenschliches Wesen zu verstehen,<br />
das nicht in den Anerkennungsbereich<br />
der Menschenwürde fällt,<br />
kann vielmehr unter keinen<br />
Umständen akzeptieren,<br />
dass im Rahmen der Gewinnung<br />
embryonaler<br />
Stammzellen ein menschliches<br />
Wesen für das andere<br />
»verbraucht« wird. Es gibt<br />
wohl kaum eine Weise, den<br />
anderen mehr zum bloßen<br />
Objekt zu machen, als ihn<br />
zu töten, um mit ihm dann<br />
zu forschen oder aus ihm<br />
ein Medikament herzustellen.<br />
Man erinnere sich nur,<br />
dass das Töten zum Verbrauch<br />
in der deutschen<br />
Sprache »schlachten«<br />
heißt. Außerdem wird mit<br />
einer Tötung eines Menschen<br />
zum Verbrauch natürlich<br />
auch das aus der<br />
Menschenwürde resultierende<br />
Recht auf Leben<br />
verletzt, das ein Abwehrrecht<br />
und kein soziales<br />
Anspruchsrecht ist. Dem<br />
Recht auf Leben des Embryos,<br />
wenn man ihm ein<br />
solches zugesteht, das Recht auf Leben<br />
der Patienten entgegenzusetzen, ist deswegen<br />
Unsinn. Niemand kann von einem<br />
Anderen oder auch vom Staat verlangen,<br />
ihm das Weiterleben zu garantieren. Wie<br />
sollte eine solche Garantie denn aussehen?<br />
Sehr wohl kann man aber verlangen, dass<br />
der Staat und der Mitmensch es unterlassen,<br />
mein Leben durch Tötung zum Verbrauch<br />
zu beenden. Wie sehr man also<br />
auch Anspruch auf Hilfe und Beistand in<br />
Krankheit und Not haben mag, ein Menschenrecht<br />
auf Leben als soziales Anspruchsrecht<br />
ist undenkbar, es kann nur<br />
als Abwehrrecht seinen verbindlichen<br />
Charakter haben. Ein dritter Aspekt des<br />
Menschenwürdeethos sei noch erinnert,<br />
ehe wir die konkreten biotechnischen<br />
WWW.UNI-HEIDELBERG.DE<br />
Stammzellforscher Rudolf Jaenisch<br />
Entwicklungen weiter betrachten: Von<br />
seiner Dynamik her war die Ideengeschichte<br />
der Menschenrechte und ihres<br />
Kerns, des Prinzips der Menschenwürde,<br />
eine Geschichte der Aufhebung von Grenzen.<br />
Die sich zunehmend durchsetzende<br />
Einsicht war: Menschenwürde kommt<br />
dem Menschen zu, weil er Mensch ist.<br />
Es gibt keine »Zusatzleistungen«, die zu<br />
erbringen wären, bevor einem Angehörigen<br />
der menschlichen Art Achtung gebühren<br />
würde. Sowohl Hautfarbe wie<br />
Geschlecht, Alter wie Gesundheitszustand,<br />
Geisteszustand und selbst die moralische<br />
Verfassung wurden im Horizont<br />
der Menschenwürde als unerheblich erkannt,<br />
so wichtig Unterschiede hier ansonsten<br />
sein mögen. Im Gegenteil kristallisierte<br />
sich heraus: Wer eine solche Grenze<br />
ziehen will, um damit zwischen<br />
menschlichen Wesen zu unterscheiden,<br />
die dazugehören, und anderen, die nicht<br />
dazugehören, verletzt mit diesem Gedanken<br />
selbst schon das Prinzip Menschenwürde.<br />
Die einzig rechtfertigbare<br />
Grenze läuft zwischen Mensch und<br />
Nicht-Mensch. Die Kategorie »Untermensch«<br />
jedoch, die jene erfassen soll,<br />
die doch »irgendwie« menschlich sind<br />
und dennoch nicht so viel wert, wie ein<br />
»wirklicher« Mensch, ist gleichgültig, ob<br />
man sie bewusst oder implizit gebraucht,<br />
für eine Ethik der Menschenwürde unannehmbar.<br />
Der Entwicklungsstand eines<br />
menschlichen Lebewesens fügt sich in<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 19
MEDIZIN<br />
die Liste der Kriterien, die nicht für die<br />
Anerkennung der Würde ausschlaggebend<br />
sein dürfen, nahtlos ein. Fernab<br />
noch von naturphilosophischen und anthropologischen<br />
Erwägungen ist es also<br />
ethisch höchst problematisch, den frühen<br />
Embryo als ein Lebewesen zu verstehen,<br />
das trotz seiner Zugehörigkeit zur Art<br />
Mensch dennoch »nicht dazu-gehört«,<br />
das kein »wirklicher« Mensch sei und<br />
keine unantastbare Würde habe.<br />
»Die gezielte Schädigung<br />
verschärft die ethische Situation.«<br />
Nach dieser kurzen Skizze einiger<br />
Grundlinien des Menschenwürdeethos<br />
mit Blick auf seine Anwendung auf den<br />
frühen menschlichen Embryo zurück zu<br />
den neuesten biotechnologischen Entwicklungen:<br />
Die Versuche von ACT sind<br />
wie gesagt für die ethische Problematik<br />
tatsächlich nicht ohne Perspektive, weil<br />
der Embryo, der die Blastomere »spendet«,<br />
dafür nicht getötet wird. Es bleiben<br />
aber massive Kontext-Probleme: Sichtlich<br />
braucht man andere embryonale Stammzellen,<br />
um die einzelnen Blastomeren zu<br />
einer Menge von Stammzellen weiterzuentwickeln;<br />
diese zusätzlichen Stammzellen<br />
dürften aber auch nicht durch Tötung<br />
gewonnen werden, wenn eine solche Herstellung<br />
von Stammzellen beim Menschen<br />
ethisch erlaubt sein soll. Die entnommenen<br />
Blastomeren waren ferner solche des<br />
8-Zell-Stadiums: Es ist nicht gewiss, dass<br />
beim menschlichen Embryo hier schon<br />
die Totipotenz bei allen Zellen vergangen<br />
ist, also die vom Ursprungsembryo getrennte<br />
Zelle nicht den Status einer Zygote<br />
hat und damit selbst ein menschliches<br />
Lebewesens darstellt. Sodann ist die Frage,<br />
ob sich für den Spender-Embryo wirklich<br />
Lebenschancen zeigen, ob es also eine<br />
Frau gibt, die bereit ist, ihm die Chance<br />
zur Einnistung und Weiterentwicklung<br />
zu gewähren. Auch das Risiko, das solch<br />
eine Manipulation und auch der ganze<br />
Kontext der künstlichen Befruchtung für<br />
den Embryo bedeuten, ist zu veranschlagen.<br />
Noch ist es also auch hier viel zu<br />
früh, von einer Lösung für die ethische<br />
Problematik zu reden, und ob man einer<br />
solchen näher kommen kann, muss erst<br />
die Zeit zeigen.<br />
Anders das Experiment von Jaenisch<br />
und Meissner. Hier kann man jetzt schon<br />
sagen, dass es die ethische Fragwürdigkeit<br />
verbrauchender Embryonenforschung<br />
20<br />
GRAFIK: RAINER BECKMANN<br />
eher verstärkt, denn verbessert. Der Versuch<br />
lässt sich relativ kurz auf den Punkt<br />
bringen. Die beiden Forscher haben mit<br />
Erfolg Mäuseembryonen geklont, die<br />
genetisch so manipuliert waren, dass sie<br />
nur ein degeneriertes Blastozystenstadium<br />
bilden und sich deswegen nicht mehr<br />
einnisten können, also mit Sicherheit<br />
schon sehr früh zugrunde gehen. Wenn<br />
man aus diesen Embryonen Stammzellen<br />
gewann, zeigten diese sich allem Anschein<br />
nach als funktionstüchtig und es war auch<br />
möglich, bei diesen Stammzellen den<br />
Effekt der genetischen Manipulation<br />
rückgängig zu machen, den genetischen<br />
Schalter sozusagen wieder umzulegen.<br />
Es erstaunt, dass eine solche Vorgehensweise<br />
als eine Lösung der ethischen Probleme<br />
bezeichnet wird. Die Süddeutsche<br />
Zeitung (»Ohne die Zerstörung potentiellen<br />
Lebens«, www.sueddeutsche.de vom<br />
17.10.<strong>2005</strong>) berichtete etwa, die Forscher<br />
hätten in einer Stellungnahme gesagt,<br />
diese geschädigten Embryonen fielen<br />
nicht unter »die allgemein akzeptierte<br />
Definition von Leben« und William<br />
Hurlbut, Mitglied des Bioethikrates des<br />
US-Präsidenten sehe hier ein Chance für<br />
den ethischen Disput, weil kein »potentielles<br />
Leben« zerstört werde.<br />
Letztlich bewegt sich dieses Experiment<br />
und seine Kommentierung auf einer<br />
Linie von immer wieder auftauchenden<br />
Vorschlägen, die folgende Logik gemeinsam<br />
haben: Wenn wir durch eine entsprechende<br />
Manipulation sicherstellen, dass<br />
es der Embryo »todsicher« nicht zu einem<br />
höheren Entwicklungsstand des Fötus<br />
oder gar des geborenen Menschen schafft,<br />
dann kann doch keiner etwas dagegen<br />
haben, wenn wir ihn schon vorher töten.<br />
Dahinter mag im Einzelfall durchaus die<br />
echte subjektive Überzeugung stehen,<br />
dass man hier ethisch Genüge getan habe,<br />
objektiv ist ein solches Prinzip zynisch.<br />
Man stelle sich nur vor, man habe durch<br />
eine Manipulation verhindert, dass der<br />
Embryo eine Lunge ausbildet. Dann<br />
könnte man nach dieser Logik sagen: Da<br />
ich damit verhindert habe, dass der Embryo<br />
die Geburt überlebt, darf ich ihn<br />
doch jetzt auch im neunten Monat töten.<br />
Das Ganze präsentiert sich bei näherem<br />
Besehen als eine Beschwichtigungsaktion,<br />
die den Gegner im Disput in keiner Weise<br />
ernst nimmt. Denn sie setzt voraus, was<br />
von der Gegenseite gerade bestritten<br />
wird: Dass der Embryo ein menschliches<br />
Wesen, aber dennoch kein Mensch mit<br />
Menschenwürde sei. Nur dann kann man<br />
dergleichen Manipulationen erwägen,<br />
ohne das ethische Gruseln zu bekommen,<br />
genau dann aber, wenn diese Position<br />
richtig wäre, wäre eine solche Manipulation<br />
auch völlig unnötig. Wenn der Embryo<br />
keinen Schutz der Menschenwürde<br />
hat, dann ist angesichts der hohen Ziele,<br />
die im Raum stehen, sein Verbrauch gerechtfertigt<br />
und es bedarf keiner komplizierten<br />
Zurichtungen, um ihn unter ethischen<br />
Gesichtspunkten »tötungstauglich«<br />
zu machen. Genau darum wird aber in<br />
der ethischen Diskussion gestritten: Ob<br />
man den Embryo gemäß der Menschenwürde<br />
behandeln soll oder nicht. Als<br />
Vertreter der Menschenwürdeposition<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
kann man sich nur schwer des<br />
Eindrucks erwehren, man solle<br />
mithilfe der immer beeindruckenderen<br />
und auch bisweilen<br />
verwirrenden Versuchsergebnisse<br />
düpiert werden, da das, was von<br />
der anderen Seite als Kompromiss<br />
angeboten wird, nur eine geschickte<br />
Anwendung dessen ist,<br />
wogegen man selbst angetreten<br />
ist.<br />
Nicht weniger verdrießt der<br />
Wortgebrauch, beginnend bei der<br />
stereotypen Behauptung, man<br />
habe jetzt die »ethisch einwandfreie«<br />
Stammzelle. Bedenkt man,<br />
dass nun wirklich nicht jeder Leser<br />
die Kenntnisse hat, anhand der<br />
dargebotenen Fakten dergleichen<br />
Behauptungen zu überprüfen,<br />
erscheint bei dem Ernst der Sache<br />
ein solch wohlfeiler Gebrauch<br />
einer derart bedeutsamen Formulierung<br />
journalistisch schwerlich<br />
verantwortbar. Unangenehm<br />
stößt auch die Behauptung auf,<br />
hier werde kein potentielles Leben<br />
vernichtet. Das ist richtig, aber<br />
nicht so, wie es gemeint ist. Denn<br />
es wird kein potentielles, sondern<br />
aktuelles Leben beendet, oder<br />
noch zutreffender, ein aktuell<br />
lebender Organismus getötet, den<br />
man allerdings vorher einiger<br />
Potenzen (also Fähigkeiten) beraubt hat,<br />
die er braucht, um länger überleben zu<br />
können. Für Ausdruck »potentielles<br />
Leben« kann vermutlich überhaupt keine<br />
Wirklichkeit gefunden werden, auf die<br />
er sinnvoll anzuwenden ist. In Bezug auf<br />
den frühen Embryo sollte man ihn als<br />
Anwärter auf das Unwort des Jahres betrachten.<br />
Leider war für mich die Stellungnahme<br />
von Meissner und Jaenisch,<br />
auf die sich die Süddeutsche Zeitung<br />
bezieht, nicht zu finden. Es wäre interessant,<br />
welche »Definition von Leben« sie<br />
zugrunde legen, die überdies »allgemein<br />
akzeptiert« sein soll. Denn mit Sicherheit<br />
gehört es nicht zur Definition von Leben,<br />
nie zu sterben. Nicht was nicht sterben<br />
wird oder was nicht früh sterben wird,<br />
das ist lebendig, sondern das, was nicht<br />
tot ist. Erst wenn ein Embryo getötet<br />
oder an seiner Schädigung zugrunde gegangen<br />
ist, erfüllt er nicht mehr die Definition<br />
von Leben. Das berichtete Statement<br />
der Forscher überrascht auch<br />
insofern, als sie in ihrem Forschungsartikel<br />
(A. Meissner u. R. Jaenisch, Generation<br />
of nuclear transfer-derived pluripotent<br />
ES cells from cloned Cdx2-deficient blastocysts<br />
In: www.nature.com, doi:<br />
10.1038/nature04257) selbst schreiben,<br />
ARCHIV<br />
Die befruchtete Eizelle im Acht-Zellen-Stadium.<br />
dass das ethische Problem, das manche<br />
mit dem therapeutischen Klonen und der<br />
Gewinnung von Stammzellen haben,<br />
durch ihre Methode nicht beseitigt werde.<br />
Ein menschlicher Embryo, der durch die<br />
Art seiner künstlichen Hervorbringung<br />
(Klonen, Parthenogenese) oder durch<br />
eine zusätzliche Manipulation genetisch<br />
geschädigt ist, so dass er nur wenige Tage<br />
oder Wochen überleben kann, ist deswegen<br />
keine bloße Zellkultur und kein Lebewesen<br />
einer anderen Art, das eine normale<br />
Lebensdauer von wenigen Tagen<br />
hätte, innerhalb dieser sich der ganze<br />
Lebenszyklus inklusive Fortpflanzung<br />
vollzieht. Er ist vielmehr ein Lebewesen<br />
der Art Mensch, freilich ein genetisch<br />
geschädigtes Lebewesen, ein auf den Tod<br />
erkrankter Organismus. Man überlege<br />
sich mit Blick auf eine Intensivstation<br />
oder ein Hospiz, was man von dem Gedanken<br />
halten solle, dass schwer erkrankte<br />
oder geschädigte und dem Tod geweihte<br />
menschliche Lebewesen nicht als Lebewesen<br />
und deshalb auch nicht als Menschen<br />
zu betrachten seien. Die z.T. gezielte<br />
oder billigend in Kauf genommene<br />
Schädigung eines menschlichen Organismus,<br />
insbesondere eine Schädigung, die<br />
seine Lebenserwartung einschränkt,<br />
ARCHIV<br />
macht den weiteren Umgang mit ihm<br />
nicht ethisch harmloser, sondern verschärft<br />
vielmehr die ethische Situation.<br />
IM PORTRAIT<br />
Dr. Adrienne Weigl<br />
Geb. 1967, studierte Philosophie mit<br />
den Nebenfächern Theologie und Geschichte<br />
der Naturwissenschaften.<br />
2000 erfolgte die<br />
Promotion zum Dr.<br />
phil. mit einer Arbeit<br />
über die Metaphysik<br />
Emerich<br />
Coreths. Nach dem Studium arbeitete<br />
sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />
im John Henry Newman-Institut für<br />
christliche Weltanschauung, ein Arbeitsschwerpunkt<br />
waren dabei die bioethischen<br />
Fragen am Lebensanfang. Nach<br />
der Schließung des Instituts ist sie nun<br />
als selbstständige Wissenschaftlerin<br />
und Referentin in der Erwachsenenbildung<br />
tätig.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 21
GESELLSCHAFT<br />
Her mit den Embryonen!<br />
Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) schützt den künstlich erzeugten Embryo vor seiner Verzweckung.<br />
Die neue Bundesregierung sendet erste Signale, daran festhalten zu wollen. Doch der Druck nimmt<br />
zu. Wissenschaftler und die FDP blasen bereits zur Attacke.<br />
Von Stefan Rehder, M.A.<br />
Wäre es nach Gerhard Schröder<br />
(SPD) gegangen, dann<br />
würden Wissenschaftler<br />
auch hierzulande längst menschliche Embryonen<br />
zu Forschungszwecken klonen<br />
und töten. Doch weil der Altkanzler trotz<br />
mehrfacher Anläufe weder die eigene<br />
Partei noch die Grünen mehrheitlich<br />
hinter sich zu bringen vermochte, blieb<br />
das Embryonenschutzgesetz, das die Verwendung<br />
von Embryonen zu einem anderen<br />
Zweck als der Herbeiführung einer<br />
Schwangerschaft verbietet, bislang unangetastet.<br />
Ob es dabei auch unter der neuen<br />
Bundesregierung bleiben wird, vermag<br />
derzeit wohl niemand mit Gewissheit zu<br />
sagen.<br />
POSITIVE SIGNALE DER REGIERUNG<br />
Auch der Koalitionsvertrag hält die<br />
Frage offen. Dort heißt es unter Abschnitt<br />
4.3: »Schwerpunkte bei den Spitzentechnologien<br />
und der Projektförderung«:<br />
»Zur Entwicklung des Potentials der<br />
regenerativen Medizin bei gleichzeitiger<br />
Beachtung ethischer Grenzen werden wir<br />
der Förderung adulter Stammzellforschung<br />
weiterhin eine besondere Bedeutung<br />
zumessen.« Das liest sich gut, sagt<br />
aber genau genommen nichts darüber,<br />
wie die neue Regierung die Rahmenbedingungen<br />
der embryonalen Stammzellforschung<br />
zu gestalten gedenkt. »Ethische<br />
Grenzen« gab die Bundesvorsitzende der<br />
<strong>ALfA</strong>, Claudia Kaminski, gleich nach<br />
Vorstellung des Vertrags zu bedenken,<br />
sei ein »ziemlich denkbarer Begriff«.<br />
Doch gibt es mittlerweile auch echte<br />
positive Signale: Mit der Berufung von<br />
Annette Schavan (CDU) als Bundesforschungsministerin<br />
hat Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel, das weite Feld der Biopolitik<br />
einer Politikerin anvertraut, die<br />
der embryonalen Stammzellforschung<br />
mehr als nur skeptisch gegenübersteht.<br />
Während Amtsvorgängerin Edelgard Bulmahn<br />
(SPD) Schröders biopolitischen<br />
22<br />
Kurs unterstützte, erklärte Schavan: »Wir<br />
brauchen eine Stammzellenforschung<br />
ohne ethisches Dilemma.« Im Übrigen<br />
sei eine besondere Förderung der adulten<br />
Stammzellforschung kein Standortnachteil<br />
für Deutschland. Viele Wissenschaftler<br />
hätten erkannt, dass die embryonale<br />
Stammzellenforschung nicht soviel Erfolg<br />
verspreche wie zunächst angenommen,<br />
und forschten längst in eine andere Richtung.<br />
Damit nicht genug verlangte Deutschland<br />
Ende November gemeinsam mit<br />
Italien, Luxemburg, Malta, Österreich,<br />
Polen und der Slowakei in Brüssel die<br />
Streichung der embryonenverbrauchenden<br />
Forschung aus dem gemeinschaftlich<br />
finanzierten 7. Forschungsrahmenprogramm<br />
der Europäischen Union. Die<br />
sieben Mitgliedsstaaten plädieren dafür,<br />
derartige Forschungsprojekte nur mit<br />
Mitteln der nationalen Haushalte zu fördern,<br />
nicht aber mit EU-Geldern. Der<br />
Grund: Während die verbrauchende Embryonenforschung<br />
in einigen Ländern<br />
erlaubt ist, ist sie zehn Mitgliedsstaaten<br />
ausdrücklich verboten.<br />
Der in den Ruhestand gehende Staatssekretär<br />
Wolf-Michael Catenhusen<br />
(SPD), der Schavan bei den Verhandlungen<br />
des Forschungsministerrats vertrat,<br />
sagte nach den Beratungen der Minister,<br />
es sei nicht akzeptabel, dass »Aktivitäten,<br />
die den Verbrauch menschlicher Embryonen<br />
beinhalten, förderungswürdig sind«.<br />
Außerdem hätten die Verhandlungen gezeigt,<br />
»dass die Wahrnehmung, Deutschland<br />
stünde mit seinem Stammzellengesetz<br />
allein da, nicht stimmt«.<br />
FORSCHER MACHEN DRUCK<br />
Trotz solch erfreulicher Signale bleibt<br />
die Lage heikel. Denn der Druck, der auf<br />
der Bundesregierung lastet, nimmt zu.<br />
So bekannte kürzlich der Präsident der<br />
Max-Planck-Gesellschaft (MPG) Peter<br />
Gruss bei der Jahrespressekonferenz der<br />
WWW.KMK.ORG<br />
MPG in Berlin, er erhoffe sich von der<br />
neuen Bundesregierung »mehr Freiheiten«<br />
bei der Forschung mit embryonalen<br />
Stammzellen. Durch die Stichtagsregelung<br />
drohten deutsche Forscher in eine<br />
»nationale Isolation« zu geraten.<br />
Das am 1. Juli 2002 nach monatelanger<br />
Debatte in Kraft getretene Stammzellgesetz<br />
erlaubt deutschen Forschern unter<br />
Auflagen die Einfuhr und Verwendung<br />
embryonaler Stammzellen, die im Ausland<br />
vor dem 1. Januar 2002 aus menschlichen<br />
Embryonen gewonnen wurden. Da bei<br />
der Gewinnung embryonaler Stammzellen<br />
Embryonen getötet werden, die für<br />
die künstliche Befruchtung nicht mehr<br />
Annette Schavan, CDU<br />
benötigt werden, sah der vom Bundestag<br />
beschlossene Kompromiss einen Stichtag<br />
vor. Mit ihm sollte, so die damalige Formel,<br />
sichergestellt werden, dass für die<br />
Forschung in Deutschland keine Embryonen<br />
sterben müssen.<br />
Geht es nach den Forschern, dann ist<br />
das bald Geschichte. Ein Grund: Die vor<br />
dem Stichtag etablierten Stammzellenlinien<br />
sind für den Einsatz beim Menschen<br />
unbrauchbar. Wissenschaftler der Universität<br />
von San Diego und des Salk Institute<br />
in La Jolla konnten Anfang des<br />
Jahres nachweisen, dass sämtliche embryonalen<br />
Stammzellen, mit dem tieri-<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
WWW.WIRTSCHAFTSINFORMATIONSDIENST-MUENSTER.DE<br />
Hans Schöler<br />
schen Nährmaterial, auf dem sie gezüchtet<br />
wurden, kontaminiert sind. Bei der Verunreinigung<br />
handelt es sich um bestimmte<br />
tierische Zuckermoleküle, die im Verdacht<br />
stehen, im menschlichen Organismus<br />
Krebs und Herzkrankheiten auszulösen.<br />
Daher seien, so die Forscher, die bisher<br />
gewonnenen embryonalen Stammzellen<br />
für therapeutische Zwecke nicht verwendbar.<br />
Aus den embryonalen Stammzellen<br />
wollen Forscher Ersatzgewebe züchten,<br />
dass zerstörtes Gewebe bei Patienten<br />
ersetzen können soll, die an Krankheiten<br />
wie Parkinson oder Diabetes leiden. Neidisch<br />
blicken daher Forscher wie der<br />
Bonner Stammzellforscher Oliver Brüstle<br />
oder der Kölner Jürgen Hescheler, die<br />
mit importierten Stammzellen arbeiten,<br />
auf Länder, wo der im Reagenzglas erzeugte<br />
Embryo weniger Schutz genießt<br />
als hierzulande.<br />
»Institute in Schweden, Finnland,<br />
Großbritannien und mehreren anderen<br />
Staaten arbeiten bereits an neuen Stammzelllinien<br />
<strong>–</strong> Zellen, die nach dem so genannten<br />
Stichtag gewonnen wurden und<br />
hierzulande verboten sind«, klagt Brüstle.<br />
Hescheler wird noch deutlicher: »Ich<br />
sehe ein realistisches und großes Risiko,<br />
dass Patienten einmal ins Ausland abwandern,<br />
zum Beispiel nach Großbritannien,<br />
wo man die Stammzellforschung vorantreibt<br />
und auch das therapeutische Klonen<br />
erlaubt ist«, orakelt der Kölner.<br />
In den Chor der Unzufriedenen<br />
stimmt nun auch Hans Schöler ein. Auf<br />
der Pressekonferenz anlässlich eines internationalen<br />
Symposiums der Deutschen<br />
Gesellschaft für Regenerative Medizin in<br />
Berlin rief der Direktor des Max-Planck-<br />
Instituts für Molekukare Biomedizin:<br />
»Wir erwarten von Frau Merkel, dass sie<br />
sagt: Ich will die Stammzellforschung<br />
fördern.« Gemeint war natürlich die embryonale.<br />
WWW.MPIBPR.ORG<br />
Peter Gruss<br />
Tatsächlich könnte sich die Lage<br />
schlagartig ändern, wenn der Kanzlerin,<br />
der eine gewisse Offenheit für diesen<br />
Forschungszweig nachgesagt wird, in der<br />
Frage von ihrer Richtlinienkompetenz<br />
Gebrauch machen würde. Mit Wolfgang<br />
Schäuble, Peter Hintze und Katharina<br />
Reiche (alle CDU) sitzen in Kabinett und<br />
Fraktion ohnehin vehemente Befürworter<br />
der verbrauchenden Embryonenforschung.<br />
Auch Vizekanzler Franz Müntefering<br />
(SPD) hat sich längst öffentlich<br />
für das Klonen menschlicher Embryonen<br />
als Rohstofflieferanten für die Transplantationsmedizin<br />
ausgesprochen.<br />
Auch weiß derzeit keiner genau, wie<br />
die neu gewählten Abgeordneten in diesen<br />
Fragen denken. Nur bei der FDP ist das<br />
längst geklärt. Dass die Liberalen in dem<br />
im Labor erzeugten Embryo kaum mehr<br />
als ein x-beliebiges Wirtschaftsgut zu<br />
erblicken vermögen, ist nicht neu. Gleichwohl<br />
dürften Qualität und Umfang, den<br />
der Embryonenschutz nach Vorstellung<br />
der FDP in Deutschland zukünftig noch<br />
besitzen soll, selbst diejenigen überrascht<br />
haben, die sich bei der Frage, wessen<br />
Geistes Kind die Freidemokraten sind,<br />
keinen Illusionen hingeben.<br />
In einem wenige Tage vor dem Wahlsonntag<br />
veröffentlichten Positionspapier<br />
(vgl. S. 24f) forderte die FDP denn auch<br />
nicht weniger als das volle Programm:<br />
Aufhebung der Stichtagsregelung beim<br />
Import embryonaler Stammzellen, Einführung<br />
der Präimplantationsdiagnostik<br />
(PID), Zulassung der Eizellspende und<br />
des Klonens zu Forschungszwecken sowie<br />
die Freigabe verwaister Embryonen für<br />
die Forschung.<br />
Münden sollen alle diese Forderungen<br />
in einen Gesetzentwurf zur Änderung<br />
des Embryonenschutzgesetzes (ESchG),<br />
den die Liberalen demnächst in das Parlament<br />
einbringen wollen. Formulieren<br />
soll ihn niemand anderes als Reinhard<br />
Merkel. Der Radikalismus des früheren<br />
»Zeit«-Redakteurs, der seit einigen Jahren<br />
als ordentlicher Professor Strafrecht und<br />
Rechtsphilosophie an der Universität<br />
Hamburg lehrt und sich mit einer Arbeit<br />
über die Euthanasie von Neugeborenen<br />
habilitierte, hielt weiland selbst Gerhard<br />
Schröder davon ab, Merkel in den »Nationalen<br />
Ethikrat« zu berufen.<br />
Weil auch das Positionspapier den<br />
Merkelschen Ungeist atmet, wundert es<br />
denn auch kaum, dass derjenige, der nach<br />
Rechtfertigungen für den totalen Ausverkauf<br />
geltenden Rechts in dem Papier<br />
Ausschau hält, sich auf eine vergebliche<br />
Suche begibt. Nicht einmal eine Definition<br />
ist der Embryo, der schutzlos zurückgelassen<br />
werden soll, der FDP noch wert.<br />
Unredlich ist zudem, wenn die FDP<br />
behauptet, Ziel ihres Gesetzentwurfs bleibe<br />
»der Schutz des Embryos«. Zwar soll<br />
nach Vorstellung der FDP auch das reformierte<br />
ESchG ein »Verbotsgesetz«<br />
darstellen, doch sind die darin vorgesehenen<br />
Ausnahmetatbestände ebenso zahlreich<br />
wie die Löcher in einem Schweizer<br />
Käse. Für beinah alle vom ESchG geregelten<br />
Tatbestände <strong>–</strong> angefangen bei der<br />
Eizellspende, über die künstliche Befruchtung,<br />
die Erzeugung von Vorkernstadien,<br />
bis zum Klonen menschlicher Embryonen<br />
und ihrer Übertragung <strong>–</strong> sollen zulässige<br />
Ausnahmen formuliert werden.<br />
Dass es in der Praxis so gut wie keine<br />
Rolle spielt, ob etwas generell oder »nur«<br />
in Ausnahmefällen erlaubt wird, belegen<br />
die Erfahrungen, die Deutschland mit<br />
dem Paragraph 218 gemacht hat. Da<br />
zudem das Töten von Embryonen im<br />
Reagenzglas, sei es zum Zweck der Entnahme<br />
embryonaler Stammzellen, sei es<br />
<strong>–</strong> wie von der FDP ebenfalls vorgesehen<br />
<strong>–</strong> zur »Prüfung neuer Heilmittel«, noch<br />
viel leichter zu bewerkstelligen ist, als die<br />
Tötung im Mutterleib, würde der »Verbrauch«<br />
von Embryonen in Deutschland<br />
rasch ein gigantisches Ausmaß annehmen.<br />
Damit nicht genug würde der Gesetzentwurf<br />
dafür sorgen, dass der Handel mit<br />
Eizellen und embryonalen Stammzellen<br />
auch in Deutschland in Schwung käme.<br />
Zwar sollen diese nach Vorstellung<br />
der Liberalen »nicht veräußert, verkauft<br />
oder gegen Geld erworben werden.« Allerdings<br />
sollen die Forscher »für die Gewinnung,<br />
Bearbeitung und Aufbewahrung«<br />
angemessen entschädigt werden,<br />
was unter dem Strich aufs Gleiche rauskommt.<br />
Keine Rhetorik vermag darüber<br />
hinwegzutäuschen, dass die FDP beim<br />
Embryonenschutz keinen Stein auf dem<br />
anderen lassen will. Ob sich dafür im neu<br />
gewählten Bundestag eine Mehrheit finden<br />
lässt, ist fraglich. Ausgeschlossen ist<br />
es nicht.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 23
GESELLSCHAFT<br />
»Das könnte eine Mehrheit<br />
zusammen bringen«<br />
<strong>LebensForum</strong> dokumentiert im Wortlaut das Positionspapier der Liberalen zum Embryonenschutz,<br />
das die forschungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, kurz vor der<br />
Bundestagwahl der Öffentlichkeit vorstellte.<br />
Von Ulrike Flach, MdB<br />
Die Forschung an embryonalen<br />
Stammzellen ist ein Symbolthema<br />
für die Innovationsfähigkeit<br />
Deutschlands. Die FDP-Fraktion<br />
hat Herrn Prof. Dr. Reinhard Merkel gebeten,<br />
einen Gesetzesentwurf zur Änderung<br />
des Embryonenschutzgesetzes zu<br />
formulieren. Prof. Merkel hat die FDP<br />
bereits im Jahr 2001 mit einem Gutachten<br />
unterstützt und ist unser Experte in der<br />
Enquete-Kommission »Ethik und Recht<br />
in der modernen Medizin«.<br />
1. Das Ziel des Gesetzes bleibt der<br />
Schutz des Embryos. Im Rahmen dieses<br />
Schutzes sollen aber zugleich die Bedingungen<br />
einer verantwortbaren Forschung<br />
an menschlichen embryonalen Stammzellen<br />
garantiert und Missbräuche dieser<br />
Forschung verhindert werden. Deshalb<br />
regeln die Vorschriften die Voraussetzungen,<br />
unter denen solche Stammzellen<br />
gewonnen werden dürfen und welche<br />
Anforderungen an die Forschungszwecke<br />
gestellt werden.<br />
2. Geregelt wird außerdem eine verantwortbare<br />
Präimplantationsdiagnostik<br />
an Embryonen, die im Wege einer künstlichen<br />
Befruchtung entstanden sind.<br />
3. Ähnlich wie beim Stammzellimportgesetz<br />
handelt es sich um ein Verbotsgesetz<br />
mit Ausnahmetatbeständen. Wir geben<br />
also keineswegs alles frei, sondern<br />
im Gegenteil gilt der Grundsatz:<br />
- die Übertragung von fremden, unbefruchteten<br />
Eizellen ist grundsätzlich verboten,<br />
- die künstliche Befruchtung aus einem<br />
anderen Grund als der Herbeiführung<br />
einer Schwangerschaft ist grundsätzlich<br />
verboten;<br />
- die Erzeugung von Vorkernstadien<br />
ist grundsätzlich verboten;<br />
- die Veräußerung von extrakorporal<br />
erzeugten Embryonen ist verboten;<br />
24<br />
ARCHIV<br />
- das Klonen von Embryonen und die<br />
Übertragung geklonter Embryonen sind<br />
grundsätzlich verboten;<br />
- die Veränderung der menschlichen<br />
Keimbahn ist verboten;<br />
- die Bildung von Chimären ist verboten.<br />
Alle diese Tatbestände werden mit<br />
Freiheits- oder Geldstrafe bestraft. Von<br />
diesem Grundsatz macht unser Gesetzesentwurf<br />
aber entscheidende Ausnahmen,<br />
also ähnlich wie beim Stammzellimportgesetz,<br />
das den Import ja grundsätzlich<br />
verbietet, aber Ausnahmen der Zulässigkeit<br />
definiert. Es werden konkrete Ausnahmen<br />
von den Verboten, die wir heute<br />
im Embryonenschutzgesetz haben definiert.<br />
• Wir wollen Verwendung von Blastozysten<br />
(4.-5. Tag) zum Zwecke der Gewinnung<br />
embryonaler Stammzellen zulassen,<br />
wenn diese für eine Forschung<br />
dienen, die zur Entwicklung oder Verbesserung<br />
möglicher Diagnose-, Präventions-<br />
oder Heilverfahren dient. Dabei aber<br />
nicht für alle Verfahren, sondern nur<br />
solche, die zur Bekämpfung oder Verhinderung<br />
schwerwiegender, anders nicht<br />
therapierbarer Krankheiten dienen.<br />
• Wir wollen die Verwendung für die<br />
hochrangige medizinische Grundlagenforschung<br />
zulassen;<br />
• Wir wollen die Verwendung für die<br />
Prüfung neuer Heilmittel zulassen. Dadurch<br />
könnten Forschungen an Kindern<br />
und Erwachsenen, die oft mit erheblichen<br />
Belastungen verbunden sind, vermieden<br />
werden.<br />
• Wir wollen die Verwendung zulassen,<br />
wenn die Blastozyste ein überzähliger<br />
Embryo ist;<br />
• Wir wollen die Entnahme der inneren<br />
Zellmasse einer Blastozyste zulassen,<br />
wenn sie nicht später als am zehnten Tag<br />
nach der Befruchtung erfolgt;<br />
Zusätzlich müssen die Keimzellspender<br />
nach hinreichender Aufklärung ihre Zustimmung<br />
gegeben haben und die zuständige<br />
Behörde nach einer Prüfung die<br />
Verwendung befürwortet haben. Welche<br />
Behörde zuständig sein soll, soll das Gesundheitsministerium<br />
festlegen. Also:<br />
nichts darf ohne Zustimmung der Frau<br />
geschehen und nichts ohne Zustimmung<br />
der Genehmigungsbehörden. Klar ist,<br />
dass ein Embryo, dem die innere Zellmasse<br />
oder Teile davon entnommen wurden,<br />
nicht mehr auf eine Frau übertragen<br />
werden darf.<br />
Wir sagen, die gewonnenen Stammzellen<br />
dürfen nicht veräußert, verkauft<br />
oder gegen Geld erworben werden. Die<br />
unentgeltliche Weitergabe im Rahmen<br />
der Forschungskooperation dagegen ist<br />
möglich. Die Leistung einer angemessenen<br />
Entschädigung für die Gewinnung,<br />
Bearbeitung, Aufbewahrung etc. an die<br />
Forscher ist kein Entgelt oder ein Gewinn.<br />
Damit verhindern wir einen Verkauf von<br />
Eizellen z.B. durch mittellose Frauen,<br />
aber ermöglichen den Wissenschaftlern,<br />
ihre Leistung vergütet zu bekommen.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
Zum therapeutischen Klonen bzw.<br />
Forschungsklonen<br />
WWW.ULRIKE-FLACH.DE<br />
1998 gelang es James Thomson erstmalig,<br />
menschliche embryonale Stammzellen<br />
zu isolieren. Er sagte voraus, dass<br />
es eines Tages eine praktisch unbegrenzte<br />
Quelle von Zellmaterial für Transplantationen<br />
geben würde, die nicht vom Immunsystem<br />
abgestoßen werden. Das ist<br />
zwar noch Zukunftsmusik, aber um die<br />
entsprechende Vermehrung von entnommenen<br />
International sehen wir eine Entwicklung,<br />
die Restriktionen abbaut und die<br />
Chancen erkennt. Aus Großbritannien<br />
oder Südkorea hören wir fast jeden Monat<br />
von neuen, z.T. bahnbrechenden Erkenntnissen,<br />
die mit Hilfe geklonter Embryonen<br />
gewonnen wurden. Frankreich, Belgien,<br />
Schweden, Israel, Singapur oder<br />
auch die USA setzen auf die Forschung<br />
an embryonalen Stammzellen, wobei es<br />
natürlich Unterschiede gibt, wenn z.B.<br />
Frankreich die Forschung nur für fünf<br />
Jahre freigibt oder wenn Kalifornien deutlich<br />
weitergehen will als die US-Bundesregierung.<br />
Deutschlands fundamentalistische<br />
Position ist aber auch im Kontext<br />
christlicher Wertvorstellungen nicht<br />
angemessen, denn niemand würde bestreiten,<br />
dass die USA, Großbritannien, Frankreich<br />
oder Belgien ebenso christlich geprägte<br />
Länder sind.<br />
Das Embryonenschutzgesetz stammt<br />
aus dem Jahr 1990, mit einem Faktenund<br />
Sachstand von Ende der 80er Jahre.<br />
Weder die heutigen Verfahren (Thomson,<br />
Schöler) noch die absehbaren therapeutischen<br />
Potenziale waren damals erkennbar.<br />
Wir meinen deshalb, dass das Embryonenschutzgesetz<br />
nicht nur in einzelnen<br />
Paragraphen, sondern in seiner Systematik<br />
insgesamt geändert werden muss. Wir<br />
wollen, dass solche Embryonen, die für<br />
die Forschung verwendet werden dürfen,<br />
auch durch therapeutisches Klonen vermehrt<br />
werden dürfen. Würde man dies<br />
nicht zulassen, würde die Forschung nur<br />
sehr eingeschränkt möglich sein oder sie<br />
brauchen sehr viele einzelne Embryonen.<br />
Voraussetzung für das Forschungsklonen<br />
ist aber, dass ein hochrangiger Forschungszweck<br />
verfolgt wird und dass es<br />
keine alternativen Methoden zur Erreichung<br />
des Forschungszweckes gibt.<br />
Neben dem therapeutischen Klonen<br />
wollen wir aber auch andere Wege eröffnen,<br />
um die Forschung zu ermöglichen.<br />
Hier handelt es sich um Verfahren, die<br />
bei der Schaffung des Embryonenschutzgesetzes<br />
1990 noch gar nicht bekannt<br />
waren. Wir setzen auch auf ethisch unbedenkliche<br />
Forschungswege. Erlaubt werden<br />
soll die Herstellung von sog. »Umgehungsembryonen«.<br />
Dazu gehören<br />
„knock-out“-Embryonen oder parthogenetisch<br />
entstandene Embryonen, also aus<br />
einer unbefruchteten Eizelle stammend.<br />
Diese Embryonen sind nicht totipotent,<br />
können sich also nicht zu einem Menschen<br />
entwickeln und sind daher in ihrer<br />
Verwendung für die Forschung unbedenklich.<br />
Erlaubt werden soll auch das Herstellen<br />
oder Auftauen von Vorkernstadien,<br />
sofern diese allein zum Zwecke der Fortpflanzung<br />
erzeugt wurden und die aus<br />
ihnen entstehenden Embryonen ausschließlich<br />
der Forschung dienen.<br />
Nach unserem Gesetz ist auch die<br />
Eizell-Spende nicht mehr verboten. Der<br />
Handel mit Eizellen dagegen muss verboten<br />
bleiben. Für die Eizellspende eignen<br />
sich vor allem solche Eizellen, die ohnehin<br />
bei der künstl. Befruchtung anfallen. Und<br />
es sollen auch Eizellen verwendet werden<br />
Hatte vor der Bundestagswahl noch gut Lachen: Ulrike Flach, FDP<br />
dürfen, die die Spenderin für die eigennützige<br />
Therapie an sich selbst spendet.<br />
Würden wir dieses Gesetz durchsetzen,<br />
könnte das Stammzellimportgesetz aufgehoben<br />
werden. Der zukünftige Import<br />
embryonaler Stammzellen würde nach<br />
den gleichen Vorschriften wie die Verwendung<br />
von in Deutschland entstandener<br />
Stammzellen ablaufen. Es wäre unlogisch,<br />
für den Import schärfere oder<br />
schwächere Vorschriften zu haben als für<br />
die Forschung an einheimischen embryonalen<br />
Stammzellen.<br />
Die Durchsetzung dieser Vorstellungen<br />
wird mit der Union sehr schwer.<br />
Das hindert uns aber nicht, unsere<br />
Vorstellungen »FDP pur« zu formulieren.<br />
Unser Fahrplan ist also ganz klar:<br />
1. Änderung des Stammzellimportgesetzes<br />
mit Streichung des Stichtags und<br />
der Beendigung der Kriminalisierung von<br />
deutschen Wissenschaftlern, die im Ausland<br />
mit Stammzellen arbeiten.<br />
Diese Festlegung sollte entweder im<br />
Koalitionsvertrag verankert werden, oder<br />
<strong>–</strong> wenn das mit der Union nicht geht <strong>–</strong><br />
muss das Thema freigegeben werden, so<br />
dass jede Fraktion die Möglichkeit hat,<br />
sich eigene Mehrheiten im Parlament zu<br />
suchen. Hierfür sehe ich gute Chancen,<br />
eine Mehrheit zu erreichen, da sich sowohl<br />
der Bundeskanzler, als auch die<br />
Minister Clement und Bulmahn dafür<br />
ausgesprochen haben. Dazu kommt eine<br />
Gruppe von Unionsabgeordneten um<br />
Frau Reiche und Herrn Hinze, die gesamte<br />
FDP-Fraktion und <strong>–</strong> wenn sie wieder<br />
in den Bundestag einziehen sollte <strong>–</strong><br />
die Linkspartei, die als PDS bereits 2002<br />
für unseren Entwurf zum Stammzellimportgesetz<br />
gestimmt hat. Das könnte als<br />
Gruppenantrag eine Mehrheit zusammen<br />
bringen.<br />
2. Änderung des Embryonenschutzgesetzes<br />
nach den Vorstellungen unseres<br />
Gesetzesentwurfes. Hier sehe ich<br />
größere Probleme, eine Mehrheit<br />
zustande zu bringen, als bei Punkt<br />
1. Wer allerdings beim TV-Duell<br />
den Bundeskanzler und Frau<br />
Merkel zu diesem Thema gehört<br />
hat, der weiß, dass beide die<br />
Chancen der roten Gentechnik<br />
als Schlüsselthema für die Innovationsfähigkeit<br />
herausgestellt<br />
haben. Der Kanzler hat sich eindeutig<br />
für das therapeutische<br />
Klonen ausgesprochen.<br />
Um einen wirklichen Durchbruch<br />
zu erreichen, würde die<br />
Lockerung des Stammzellgesetzes<br />
nicht ausreichen, sondern<br />
Deutschland müsste auf das Niveau Großbritanniens<br />
oder Frankreichs kommen,<br />
die die Forschung freigegeben haben. Ich<br />
sehe hier mit der SPD bessere Möglichkeiten<br />
als mit der Union.<br />
Das entscheidende Argument ist hier,<br />
welche Entwicklungen es im Ausland<br />
geben wird. Wenn es gelingt, mittels<br />
therapeutischem Klonen und der Forschung<br />
an embryonalen Stammzellen<br />
Erfolge für Therapien gegen schwere,<br />
genetisch bedingte Krankheiten zu erzielen,<br />
so wird auch in Deutschland die Frage<br />
gestellt werden, ob man unseren Patienten<br />
diese Therapien vorenthalten will.<br />
Diese Position wird auf Dauer nicht<br />
zu halten sein, selbst mit einer Mehrheit<br />
in den großen Volksparteien. Der Druck<br />
der Patienten wird zunehmen. Wir meinen<br />
deshalb, mit unseren Vorstellungen<br />
innerhalb der nächsten Legislaturperiode<br />
einen Durchbruch erzielen zu können<br />
und werden entsprechend um Mehrheiten<br />
werben.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 25
GESELLSCHAFT<br />
Pädagogischer Schund<br />
an hessischen Schulen<br />
Keine Frage, Aufklärung muss sein. Eigentlich eine Aufgabe für die Eltern. Weil aber nicht alle Eltern<br />
dazu fähig und willens sind, kommen auch Schulen nicht um die Sexualerziehung herum. Wer diese<br />
Aufgabe jedoch der Organisation Pro familia anvertraut, macht, wie der Pädagoge Hubert Hecker<br />
zeigt, den Bock zum Gärtner.<br />
Von Hubert Hecker<br />
Im Schuljahr 2004/<strong>2005</strong> hat Pro<br />
familia Gießen an vier mittelhessischen<br />
Schulen ein so genanntes<br />
»Peer Education Projekt« zur Sexualberatung<br />
gestartet. Nach Aussage der Profamilia-Verantwortlichen<br />
bezieht sich<br />
dieses Modell, das im Saarland erfolgreich<br />
erprobt worden sei, auf das folgende<br />
Handbuch: »Peer Education <strong>–</strong> ein Handbuch<br />
für die Praxis. Ergebnisse des Modellprojektes<br />
im Auftrag der BZgA« in<br />
der Reihe »Forschung und Praxis der<br />
Sexualaufklärung und Familienplanung«.<br />
Die Herausgeberin weist ausdrücklich<br />
darauf hin, dass die »Beiträge der Fachheftreihe<br />
nur die Meinungen der Autorinnen<br />
und Autoren« wiedergäben und<br />
die »Fachheftreihe als Diskussionsforum«<br />
anzusehen wäre. Das Projekt »peer<br />
education« ist also im eigentlichen Sinne<br />
nicht von der Bundeszentrale für gesund-<br />
DANIEL RENNEN<br />
Jugendlichen für Jugendliche« zu sein,<br />
völlig überzogen ist bzw. nicht eingelöst<br />
wird.<br />
Das Hauptstück des Ordners ist eine<br />
Methodensammlung für Sozialpädagogen<br />
und Jugendleiter, auf 120 Seiten ausgebreitet.<br />
Die meisten dieser kurz beschriebenen<br />
Methoden für Gruppenarbeit mit<br />
»Petting als ›geheimes Lernziel‹<br />
für Jugendliche ab 14 Jahre.«<br />
Macht mittelhessische Schulen unsicher: Pro familia.<br />
26<br />
heitliche Aufklärung (BZgA) entwickelt<br />
worden und erst recht hat die BZgA mit<br />
dem Projektordner nicht eine »positive<br />
Auswertung vorgelegt«, wie das Hessische<br />
Sozialministerium meinte. Selbst wenn<br />
man den Ordner nur oberflächlich durchblättert,<br />
wird man leicht zu dem Urteil<br />
und Ergebnis kommen, dass der Anspruch,<br />
ein »Projekt zur Beratung von<br />
Jugendlichen sind kleine Gruppenspiele<br />
und -arbeiten, wie sie in den diversen<br />
Handbüchern für Gruppenleiter immer<br />
schon auf dem Markt waren und auf<br />
Gruppenleiterschulungen praktiziert und<br />
eingeübt werden. (Beispiel: Zusammenfinden<br />
einer neuen Gruppe nach dem<br />
Prinzip »Orgelpfeifen«.) In dieser Hinsicht<br />
ist der Ordner eine fleißige Sammelarbeit,<br />
aber für 27 Euro viel zu teuer.<br />
Ein kleinerer Teil des Ordners ist den<br />
Berührungs- und Aufklärungsspielen gewidmet.<br />
Drei Beispiele möchte ich dazu<br />
vorstellen und bewerten.<br />
1. »Kondom am Körper verstecken«:<br />
Ein aus dem Raum geschickter Jugendlichen<br />
muss alle Jugendlichen eines Kreises<br />
an deren Körpern abtasten, um ein oder<br />
mehrere an den Körpern versteckte Kondome<br />
zu suchen und zu finden. Mit dieser<br />
Methode sollen die Ziele »Kennenlernen<br />
von Kondomen«, »Überwindung von<br />
Berührungsscheu« sowie Grenzen und<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
Gefühle »wahrzunehmen, zu erkennen<br />
und zu akzeptieren« erreicht werden.<br />
Entgegen dem Hinweis für die Gruppenleiter,<br />
»die Kondome nicht an zu intimen<br />
Körperstellen zu verbergen«, läuft die<br />
Logik des Spieles genau in diese Richtung,<br />
Schamgrenzen abzubauen und sich an<br />
den Intimbereich anderer Personen heranzufummeln.<br />
Insofern ist diese Methode<br />
nicht geeignet, ein »Bewusstsein für eine<br />
persönliche Intimsphäre« zu entwickeln<br />
(§ 7 des Hess. Schulgesetzes), als Methode<br />
in der Schule sowieso völlig deplaziert.<br />
»Bildliche Darstellungen laufen auf Zerstörung<br />
der natürlichen Schamgrenzen hinaus.«<br />
2. Mit der Methode »Sexualität und<br />
Körper« soll über den »Aufbau der männlichen<br />
und der weiblichen Geschlechtsorgane«<br />
informiert werden. Die Jugendlichen<br />
ab 14 Jahren sollen anhand von<br />
Abbildungen »aus Knetmasse gemeinsam<br />
die einzelnen Teile der männlichen und<br />
weiblichen Geschlechtsorgane« formen.<br />
An dem fertig gestellten Modell erklärt<br />
die Gruppenleitung anschließend »den<br />
Ablauf des weiblichen Zyklus und/oder<br />
das weibliche Lustempfinden«, analog<br />
die Funktion der männlichen<br />
Sexualorgane. Die<br />
Teilnehmer können Fragen<br />
stellen und ihr Wissen<br />
und ihre Erfahrungen einbringen.<br />
Diese Methode<br />
beinhaltet ein doppelbödiges<br />
Spiel: Hinter dem<br />
vordergründigen Lernziel,<br />
Kenntnisse zum Aufbau der Geschlechtsorgane<br />
zu vermitteln, wird in das »Handhaben«<br />
und Anfühlen von Geschlechtsorganen<br />
eingeführt und dazu angeleitet,<br />
etwa als Probespiel zum Petting. Die<br />
Methode ist also ein Falschspiel und mit<br />
diesem »geheimen Lernziel« in doppelter<br />
Weise ethisch problematisch.<br />
3. Bei der Methode »Sexualität und<br />
Sprache« soll für die sprachliche Gestaltung<br />
des Sexualbereichs und deren Wirkung<br />
sensibilisiert werden. Dabei sollen<br />
die Jugendlichen zu fünf vorgegebenen<br />
Abbildungen von Sexual- und Intimbereichen<br />
jeweils Begriffe aufschreiben, die<br />
sie mögen oder ablehnen. Anschließend<br />
lesen jeweils andere aus der Gruppe die<br />
Begriffe von den zusammen gefalteten<br />
Zetteln vor. Während das Lernziel der<br />
sprachlichen Sensibilisierung zum Sexualbereich<br />
ein wichtiges pädagogisches<br />
Anliegen ist, muss die vorgestellte Methode<br />
als völlig ungeeignet bewertet werden.<br />
Die bildlichen Darstellungen laufen<br />
auf eine Verletzung und Zerstörung der<br />
natürlichen Schamgrenzen und des Intimgefühls<br />
von Jugendlichen hinaus. Um<br />
die gefühlsmäßige Bedeutung und Wirkung<br />
von bekannten und unbekannten<br />
Begriffen des Sexuallebens zu erkennen,<br />
um das Kennenlernen und (persönliche)<br />
Bewerten von umgangssprachlichen und<br />
hochsprachlichen Bezeichnungen zu bewirken,<br />
sind diese schamlosen<br />
bildlichen Darstellungen<br />
völlig überflüssig.<br />
Jede Beschäftigung mit<br />
der Sexualsprache und<br />
Sexualbegriffen wird die<br />
Phantasie von Jugendlichen<br />
sowieso beeinflussen.<br />
Die sehr intimen bildlichen Darstellungen<br />
bringen einen zusätzlichen Sexualisierungsschub<br />
in das Geschehen. Insofern<br />
muss diese Methode als ein Beispiel für<br />
aufgeheizte Frühsexualisierung angesehen<br />
und abgelehnt werden.<br />
Die zuständige Referentin für Sexualberatung<br />
und Sexualerziehung im Hessischen<br />
Sozialministerium schrieb im Sommer<br />
<strong>2005</strong> zu diesem Handbuch: »Die<br />
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />
hat zwischen 1994 und 1997 das<br />
Projekt zur Beratung von Jugendlichen<br />
»Schüler sollen weibliche und männliche<br />
Geschlechtsorgane aus Knetmasse formen.«<br />
für Jugendliche entwickelt und 2002 eine<br />
positive Auswertung vorgelegt.« Es ist<br />
unfassbar, dass selbst ein CDU-Ministerium<br />
so einen pädagogischen und sexualerzieherischen<br />
Schund auch noch positiv<br />
bewertet.<br />
IM PORTRAIT<br />
Hubert Hecker<br />
Der Autor, Jahrgang 1947, ist Oberstudienrat<br />
in Hadamar<br />
/ Westerwald. Er<br />
unterrichtet katholische<br />
Religionslehre,<br />
Geschichte<br />
sowie Politik und<br />
Wirtschaft.<br />
KURZ & BÜNDIG<br />
Papst: Angriff auf die Gesellschaft<br />
»Kinder sind der größte Schatz und das wertvollste<br />
Gut der Familie.« Das hob Papst Benedikt<br />
XVI. auf der internationalen Konferenz über<br />
Leben und Familie Anfang Dezember in Rom<br />
hervor. »Deshalb<br />
muss man allen<br />
Menschen helfen,<br />
sich über das<br />
Übel bewusst zu<br />
werden, das dem<br />
Verbrechen der<br />
Abtreibung innewohnt.«,<br />
fuhr<br />
der Papst fort.<br />
»Indem sie das<br />
menschliche Leben<br />
in seinen<br />
WWW.VATICAN.VA<br />
Papst Benedikt XVI.<br />
Anfängen zerstört, ist Abtreibung zugleich ein<br />
Angriff gegen die ganze Gesellschaft«. In seiner<br />
Ansprache vor der Teilnehmern der Konferenz<br />
unterstrich das Oberhaupt der katholischen<br />
Kirche, das es Aufgabe der Politik sei, »das<br />
fundamentale Recht auf Leben zu verteidigen,<br />
das eine Frucht der Liebe Gottes ist«. Gerate<br />
diese Aufgabe in Vergessenheit, werde auch<br />
»die Zerstörung des Embryos oder seine willkürliche<br />
Verwendung im Interesse des Fortschritts<br />
der Wissenschaften« voranschreiten.<br />
Sollte es soweit kommen, »wird die Gesellschaft<br />
in ihren Grundfesten erschüttert werden«, so<br />
der Papst.<br />
reh<br />
Einspruch gegen Designer-Baby-Patent<br />
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace<br />
hat Ende November beim Europäischen Patentamt<br />
(EPA) in München Einspruch gegen<br />
ein Patent zur Auswahl menschlicher Keimzellen<br />
eingelegt. Anfang des Jahres hatte das<br />
Europäische Patentamt einen Antrag der Firma<br />
XY Inc. mit Sitz im US-Bundesstaat Colorado<br />
auf Erteilung eines Patents zur Tiefkühl-Konservierung<br />
von geschlechtssortierten Spermien<br />
bewilligt (EP 1257 168 B). Das patentierte<br />
Verfahren erlaubt es Eltern, bei einer künstlichen<br />
Befruchtung das Geschlecht des Kindes<br />
festzulegen. Greenpeace zufolge geht laut<br />
der Patentschrift auch das selektierte und<br />
tiefgekühlte Sperma in den Besitz der Firma<br />
über. Zuvor hatte das Europäische Parlament<br />
in einer Resolution die Praxis des EPA beklagt<br />
und die Europäische Kommission aufgefordert,<br />
Einspruch gegen das Patent beim EPA einzureichen.<br />
Die Parlamentarier stellten in der<br />
Entschließung fest, dass Keimzellen Teile des<br />
menschlichen Körpers sind. Ihre Patentierung<br />
verstoße daher gegen die EU-Richtlinie »über<br />
den rechtlichen Schutz biotechnologischer<br />
Erfindungen« (98/44/EG), die 1998 nach rund<br />
zehnjährigen Verhandlungen beschlossen<br />
worden war.<br />
reh<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 27
MITTEILUNGEN DES BUNDESVORSTANDS<br />
und den Eltern auch mit Hilfe der Unterstützungszusagen<br />
der <strong>ALfA</strong> eine Perspektive<br />
für das Leben mit ihren Kind<br />
eröffnet. Da die <strong>ALfA</strong> in genau dieser<br />
Arbeit ihr Hauptanliegen verwirklicht<br />
sieht, übernimmt Frau Grundberger die<br />
ARCHIV<br />
ARCHIV<br />
Neues aus der <strong>ALfA</strong><br />
Vom 19. bis 21. Mai findet in Fulda der 2. Lebensrechtskongress<br />
statt. Thema: »Sag mir, wo die Kinder sind! <strong>–</strong> 10 Jahre § 218«. Auch<br />
sonst gibt es wieder jede Menge Berichtenswertes aus der <strong>ALfA</strong>.<br />
BDV 2006<br />
Von Cornelia Kaminski<br />
ARCHIV<br />
darf sie aber nicht in Vergessenheit geraten.<br />
Nach den guten Erfahrungen, die<br />
wir mit dem Tagungsort Fulda bei der<br />
BDV <strong>2005</strong> gemacht haben, wollen wir<br />
nun vom 19. bis 21.5.2006 abermals in<br />
Fulda tagen und gleichzeitig den zweiten<br />
Fuldaer Lebensrechtskongress ausrichten,<br />
der diesmal unter dem Thema stehen<br />
wird: »Sag mir, wo die Kinder sind! <strong>–</strong> 10<br />
Jahre § 218«. Bischof Algermissen von<br />
Fulda hat bereits zugesagt, die Schirmherrschaft<br />
über den Kongress übernehmen<br />
zu wollen und ein Grußwort zu<br />
sprechen. Über das genaue Programm<br />
des Kongresses informieren wir in der<br />
nächsten Ausgabe des Lebensforums.<br />
WWW.BISTUM-FULDA.DE<br />
Maria Grundberger<br />
bisher von Frau Kaiser geleistete Beratungsarbeit<br />
bei Schwangerschaftskonflikten.<br />
Das Notruftelefon wird auf Frau<br />
Grundbergers Nummer und die Nummer<br />
von vitaL weitergeschaltet. Zudem wird<br />
Frau Grundberger die <strong>ALfA</strong> bei der Spendenwerbung<br />
unterstützen und steht für<br />
Vorträge und Seminare, auch bei der<br />
Neugründung von Regionalverbänden,<br />
Schlossgarten in Fulda.<br />
Die traurige Bilanz nach zehn Jahren<br />
§ 218 in Deutschland war eines der Themen<br />
des letzten <strong>LebensForum</strong>s. Vermutlich<br />
ist auch von der neuen Regierung im<br />
Bezug auf die Abtreibungsfrage keine<br />
Bewegung zu erwarten - gerade deswegen<br />
28<br />
PERSONALIEN<br />
Wer Kinder schützen will, muss die<br />
Herzen ihrer Eltern gewinnen <strong>–</strong> das hat<br />
die Hebamme Maria Grundberger verinnerlicht.<br />
Beharrlich führt sie vor Abtreibungskliniken<br />
Gehsteigberatung durch.<br />
Durch ihre eindringliche Art und ihren<br />
entschlossenen Einsatz für das Leben hat<br />
sie binnen kurzer Zeit zahlreiche Kinder<br />
vor ihrer Abtreibung bewahren können<br />
Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen<br />
zur Verfügung. Wir freuen uns, eine so<br />
engagierte und kompetente Mitarbeiterin<br />
gewonnen zu haben. Die bisher von der<br />
Landesgeschäftsstelle Düsseldorf zudem<br />
geleistete Arbeit bei der Besetzung und<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
Betreuung von Ständen an Messen und<br />
Kirchentagen sowie die Beratung vor Ort<br />
wird weitergeführt, ein Personalwechsel<br />
steht jedoch auch hier ins Haus.<br />
Mit Herrn Hannes Ortmann begrüßen<br />
wir zudem einen neuen Mitarbeiter in<br />
der Bundesgeschäftsstelle der <strong>ALfA</strong> in<br />
Augsburg. Er löst zum Jahresende Herrn<br />
Seiler ab.<br />
WELTJUGENDTAG / KATHOLIKENTAG<br />
Die Resonanz auf die Materialien der<br />
<strong>ALfA</strong> beim Weltjugendtag <strong>–</strong> insbesondere<br />
das T-Shirt der Jugend für das Leben <strong>–</strong><br />
und auf ihr Anliegen war ausgesprochen<br />
positiv. Die <strong>ALfA</strong> wird daher auch beim<br />
ALFA E.V.<br />
ALFA E.V.<br />
Die Internetseite der <strong>ALfA</strong> ist nunmehr<br />
seit Anfang des Jahres in Bearbeitung.<br />
Die <strong>ALfA</strong> musste den hierfür erst<br />
vor einem Jahr geschlossenen Vertrag mit<br />
unserem Auftragnehmer kündigen, da<br />
dieser mehrfach gesetzte Fristen zur Vorlage<br />
von Entwürfen hat verstreichen lassen<br />
und eine Fertigstellung der Homepage<br />
innerhalb eines zumutbaren Zeitrahmens<br />
nicht erkennbar war.<br />
Mittlerweile wurde die Neugestaltung<br />
der Homepage daher erneut ausgeschrieben<br />
und an einen anderen Partner vergeben.<br />
Mit einem neuen Design der Homepage<br />
ist daher nun voraussichtlich Ende<br />
des Jahres zu rechnen.<br />
ADRESSAUFKLEBER<br />
Die Füßchenaufkleber der <strong>ALfA</strong> sind<br />
eine gute Möglichkeit, Menschen daran<br />
zu erinnern, wie schützenswert ein Menschenleben<br />
auch in einem solch frühen<br />
KURZ & BÜNDIG<br />
Richter verbieten Volksabstimmung<br />
Das portugiesische Verfassungsgericht hat<br />
ein Referendum über eine Lockerung der Abtreibungsgesetze<br />
abgelehnt. Ende Oktober<br />
entschieden die Richter in Lissabon, die vom<br />
Parlament beschlossene Volksabstimmung<br />
sei aus formalen Gründen mit der Verfassung<br />
unvereinbar. Bereits im Mai hatte Staatspräsident<br />
Sampaio einen Antrag des Parlaments<br />
zur Abhaltung eines Referendums abgelehnt.<br />
Sampaio begründete seine Ablehnung mit der<br />
niedrigen Beteilung, die bei einer während<br />
der Sommerferien geplanten Volksabstimmung<br />
zu erwarten sei. Daraufhin erneuerte das<br />
Parlament Ende September mit den Stimmen<br />
der Sozialisten und des Blocks der Linken<br />
seinen Antrag. Dieser Antrag ist nach Auffassung<br />
des Verfassungsgerichts jedoch ungültig,<br />
weil er innerhalb derselben Legislaturperiode<br />
gestellt wurde. Ministerpräsident Socrates<br />
kündigte nun an, das Referendum zum frühest<br />
möglichen Zeitpunkt abzuhalten, lehnte es<br />
jedoch ab, die geltenden Abtreibungsgesetze<br />
ohne Volksabstimmung durch einen Parlamentsbeschluss<br />
zu lockern.<br />
reh<br />
T-Shirt der Jugend für das Leben.<br />
Katholikentag in Saarbrücken präsent<br />
sein und bietet allen, die sich als Helfer<br />
für die Standbetreuung zur Verfügung<br />
stellen, eine Übernahme eines Teils der<br />
entstehenden Unkosten an. Bitte melden<br />
Sie Ihre Teilnahme daher rechtzeitig bei<br />
der Landesgeschäftsstelle in Düsseldorf<br />
an.<br />
INTERNETAUFTRITT<br />
Vorentwurf für die neue Homepage der <strong>ALfA</strong>.<br />
ARCHIV<br />
Die neuen Adressaufkleber der <strong>ALfA</strong>.<br />
Stadium ist. Sie werden daher ausgesprochen<br />
häufig in der Bundesgeschäftsstelle<br />
der <strong>ALfA</strong> in Augsburg angefragt. Die<br />
<strong>ALfA</strong> bietet nun<br />
die Möglichkeit,<br />
diese als Adressaufkleber,<br />
versehen<br />
mit der eigenen<br />
Anschrift, zu<br />
bestellen (siehe<br />
Abbildung). Die<br />
Kosten für 300<br />
Adressaufkleber<br />
belaufen sich auf<br />
ca. 60 Euro. Bestellungen<br />
hierfür<br />
nimmt die<br />
Bundesgschäftsstelle<br />
entgegen.<br />
Mietrecht<br />
Immobilienrecht<br />
Verkehrsrecht<br />
Bank- und Finanzrecht<br />
Versicherungsrecht<br />
Schweiz ringt um Verbot der PID<br />
Mit sieben zu fünf Stimmen hat sich die Wissenschaftskommission<br />
des Schweizer Ständerates<br />
für die Beibehaltung des im Fortpflanzungsmedizingesetz<br />
festgeschriebenen Verbots<br />
der Präimplantationsdiagnostik (PID) ausgesprochen<br />
und einen Antrag des Parlaments<br />
auf Zulassung der genetischen Untersuchung<br />
von im Reagenzglas erzeugten Embryonen abgelehnt.<br />
Bei der PID werden künstlich erzeugte<br />
Embryonen einem Gen-Check unterzogen. Ziel<br />
ist, nur genetisch unverdächtige Embryonen<br />
auf die Mutter zu übertragen. Embryonen, bei<br />
denen ein genetischer Defekt vermutet wird,<br />
werden ausgesondert und sofort vernichtet<br />
oder zunächst der Forschung zugeführt. Der<br />
Ständerat, in dem alle Kantone vertreten sind,<br />
entspricht dem deutschen Bundesrat. reh<br />
RA Stefan Brandmaier<br />
Straß 8<br />
83714 Miesbach<br />
Telefon 0 80 25 / 99 23 22<br />
Telefax 0 80 25 / 99 23 20<br />
www.RA-Brandmaier.de<br />
mail@RA-Brandmaier.de<br />
ANZEIGE<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 29
BÜCHERFORUM<br />
30<br />
Verleugneter<br />
Rechtsstaat<br />
Um ein Wort Robert Spaemanns<br />
aufzugreifen: Ist nicht »schon<br />
alles gesagt«, was zum grundgesetzlich<br />
verbrieften Lebensrechts jedes<br />
Menschen zu sagen<br />
ist, zu Abtreibung,<br />
Euthanasie<br />
und Verbrauch des<br />
Menschenembryos?<br />
»Anmerkungen«<br />
untertitelt<br />
Manfred Spieker, Professor für Christliche<br />
Sozialwissenschaft in Osnabrück und<br />
nicht nur <strong>LebensForum</strong>-Lesern als Autor<br />
bestens bekannt, sein neues Buch: »Anmerkungen<br />
zur Kultur<br />
des Todes in Europa«. In<br />
gewohnter Präzision<br />
wird die Hintergehung<br />
des Tötungsverbots<br />
durch Justiz, Gesetzgebung,<br />
Politik und Gesellschaft<br />
kommentiert.<br />
Indem gesellschaftliche<br />
Strukturen und Vereine<br />
das Töten als medizinische<br />
Dienstleistung oder<br />
Sozialhilfe und die beratene<br />
Fristenlösung von<br />
1992 im »Schwangerenund<br />
Familienhilfeänderungsgesetz«<br />
als »Verbesserung<br />
des Lebensschutzes«<br />
tarnen <strong>–</strong> korrumpiert<br />
der demokratische Staat das<br />
Lebensrecht seiner Bürger und somit die<br />
ihn legitimierenden Grundlagen. Seit<br />
1974 stellen die Abtreibungsregelungen<br />
im deutschen Strafrecht das ungeborene<br />
Kind im Schwangerschaftskonflikt rechtlos.<br />
Die Euthanasiegesetze in den Niederlanden<br />
und Belgien lassen aktive Sterbehilfe<br />
(obwohl de jure noch verboten)<br />
bei erfüllten Auflagen straffrei und überlassen<br />
das Weiter-Leben kranker Erwachsener<br />
oder schwer behinderter Neugeborener<br />
dem Ermessen ihrer medizinischen<br />
Umgebung. Bürgerinitiativen und parlamentarische<br />
Korrekturversuche im Fall<br />
der Spätabtreibungen, wo sich die Tötungsgewalt<br />
nicht mehr vertuschen lässt,<br />
sind in unserem Rechtsstaat bisher gescheitert.<br />
Verblüffend ähnlich sind sich<br />
auf allen bioethischen Feldern die tödlichen<br />
»Argumente«: »helfen statt strafen«<br />
beim § 218; über eine Patientenverfügung<br />
(oder auch ohne sie) rasch »abhelfen«<br />
statt dem Sterbenden beizustehen; ja:<br />
Dritten »helfen« mittels embryonaler<br />
Stammzellen statt den Menschenembryo<br />
als Unseresgleichen zu schützen oder ihn<br />
wenigstens sterben zu lassen. Embryonen<br />
sind kein Eigentum: PID, Klonen, Verbrauch<br />
und Vernutzung des Embryos<br />
auch zu einem »besten« Zweck bedeuten<br />
Rückkehr zur Sklaverei. Grundlage der<br />
bioethischen Einordnung von Forschung<br />
und Praxis ist die<br />
Menschenwürde,<br />
die der Philosoph<br />
Jürgen Habermas<br />
aus der »Symmetrie<br />
der Beziehungen«,<br />
also sozial,<br />
ableitet, die darüber hinaus aber ontologisch-essentiell<br />
ab der Zeugung zu respektieren<br />
ist und daher das Tabu der<br />
»Nichtinstrumentalisierbarkeit menschlichen<br />
Lebens« einfordert.<br />
Spiekers »Anmerkungen«<br />
dienen auch dem<br />
erfahrenen Lebensrechtler<br />
mit detaillierten Sachverhalten<br />
und wiederholten<br />
Zitaten und lassen<br />
neben gesellschaftlichen<br />
auch innerkirchliche Fehl-<br />
Entwicklungen verfolgen.<br />
Ist der eigentliche Dammbruch<br />
letztlich nicht in der<br />
rechtlichen Zulassung der<br />
In-vitro-Fertilisation auszumachen<br />
<strong>–</strong> und wie wäre<br />
sie zu beschränken? Das<br />
Buch bleibt indes nicht<br />
beim Bedauern, es ermutigt<br />
vielmehr, immer wieder<br />
neu das Lebensrecht für Alle mit Vernunftgründen<br />
einzufordern und auf notwendige<br />
biopolitische Veränderungen in<br />
Gesellschaft, Kirche und Politik zu drängen.<br />
»Habt keine Angst« steht über dem<br />
letzten Kapitel des Bandes; dort geht es<br />
um die Preisverleihung der »Stiftung Ja<br />
zum Leben« 2002. Ausgezeichnet wurde<br />
Frau Elke Feldmeier-Thiele für ihre Initiative<br />
zum Verein »Hilfe für Schwangere<br />
in Norddeutschland«: sie bietet Schwangeren<br />
keinen »Schein«, sondern das ermutigende<br />
Wort und praktische Hilfe.<br />
Unser Redaktionsleiter Stefan Rehder<br />
wurde aufgrund akribischer Recherchen<br />
und treffsicherer Beurteilungen bei biopolitischen<br />
Fragestellungen als »Anwalt<br />
der gesamten Lebensrechtsbewegung«<br />
und als Repräsentant »ihres intellektuellen<br />
und sittlichen Niveaus« geehrt. Dem lässt<br />
sich nur dankbar zustimmen.<br />
Dr. Maria Overdick-Gulden<br />
Manfred Spieker<br />
Der verleugnete Rechtsstaat. Anmerkungen zur<br />
Kultur des Todes in Europa.<br />
Verlag Schöningh, Paderborn <strong>2005</strong>. 216 Seiten. 19,90 EUR.<br />
Im Schaufenster<br />
Warum Frauen<br />
nicht schwach,<br />
Schwarze nicht<br />
dumm und Behinderte<br />
nicht arm sind<br />
In diesem Buch räumt<br />
der Humangenetiker<br />
und Ethiker Wolfram<br />
Henn mit dem<br />
Wunschdenken vieler<br />
Gen-Bastler auf. Gene verhalten sich unberechenbarer<br />
als viele glauben und erweisen<br />
sich als weniger manipulierbar als manche<br />
wünschen. Prädiktive Gentests sind vor allem<br />
eine lohnende Einnahmequelle für kommerzielle<br />
Labors und Patentinhaber. Tests auf Brustkrebs<br />
auslösende Genmutationen liefern weder<br />
sichere Prognosen für eine künftige<br />
Erkrankung noch erlaubt ein negativer Befund,<br />
sich in Sicherheit zu wiegen. Das geistige<br />
Entwicklungspotential eines Menschen mit<br />
Behinderung ist <strong>–</strong> wie bei nichtbehinderten<br />
Menschen auch <strong>–</strong> nicht vom Funktionszustand<br />
eines einzelnen Gens abhängig, sondern vom<br />
Zusammenwirken einer Vielzahl genetischer<br />
und sozialer Faktoren. Angesichts mehrerer<br />
tausend, überwiegend rezessiver Erbleiden<br />
ist ohnehin nahezu jeder Mensch Träger von<br />
mehreren Erbkrankheiten. Genetische Vielfalt<br />
ist eine Notwendigkeit, der Versuch sie durch<br />
Eugenik zu vereinheitlichen biologischer Unsinn.<br />
Solche und viele weitere Erkenntnisse<br />
stellt der Autor fachlich versiert und allgemeinverständlich<br />
dar. reh<br />
Wolfram Henn: Warum Frauen nicht schwach,<br />
Schwarze nicht dumm und Behinderte nicht arm<br />
sind. Der Mythos von den guten Genen. Verlag<br />
Herder, Reihe »Herder Spektrum«, Freiburg im Breisgau.<br />
190 Seiten. 8,90 EUR.<br />
»Lasst uns Menschen<br />
machen«<br />
Mit »Lasst uns Menschen<br />
machen« hat<br />
der evangelische<br />
Theologe Ulrich Körtner,<br />
Professor für Systematische<br />
Theologie,<br />
Vorstand des Instituts<br />
für Ethik und Recht in<br />
der Medizin der Universität Trier und Mitglied<br />
der österreichischen Bioethikkommission, ein<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
interessantes Buch vorgelegt. Es zeigt, dass<br />
es offensichtlich nicht reicht, über eine umfassende<br />
Bildung und zahlreiche zutreffende<br />
Einsichten zu verfügen. Mann muss das, was<br />
aus dem richtig Erkanntem folgt, auch wollen.<br />
Körtner will nicht. So bleibt etwa der Befund,<br />
dass das Personsein des Menschen mit seiner<br />
leiblichen Existenz gegeben ist, folgenlos.<br />
Respektiert werden muss laut Körtner nicht<br />
das Leben des schutzlosen Embryos, sondern<br />
die Taten derer, die »im Geiste der Liebe«<br />
handeln.<br />
Dass gut Gemeintes aber oft das Gegenteil<br />
des Guten ist <strong>–</strong> diese Einsicht hätte man<br />
freilich gerade von einem Theologen erwartet;<br />
erst recht wenn er sich also so gebildet erweist,<br />
wie Körtner in diesem Buch. Wer ethische<br />
Orientierung sucht, kann dieses Buch<br />
daher ohne Sorge ignorieren. reh<br />
Ulrich H.J. Körtner: »Lasst uns Menschen machen«.<br />
Christliche Anthropologie im biotechnologischen<br />
Zeitalter. Verlag C.H. Beck, München <strong>2005</strong>. 240 Seiten.<br />
17,90 EUR.<br />
Das Ende des<br />
Alterns<br />
Wer immer noch<br />
meint, mahnende<br />
Stimmen als »bioethischen<br />
Alarmismus«<br />
diskreditieren zu müssen,<br />
dem kann die Lektüre<br />
des vorliegenden<br />
Buches ans Herz gelegt<br />
werden. Das Werk offeriert »Strategien<br />
zur Lebensverlängerung« für jedermann, vor<br />
allem mittels Stammzelltherapie und Organverjüngung.<br />
Die dazu notwendige Vernichtung<br />
menschlicher Embryonen wird dabei verschleiert:<br />
»Nach der Gewinnung solcher embryonalen<br />
Stammzellen sind die Embryonen nicht<br />
mehr lebensfähig.« Rücksicht und Respekt<br />
lassen die Autoren aber auch gegenüber Geborenen<br />
vermissen. An Alzheimer Erkrankte<br />
werden als »rüstige Idioten« tituliert, die<br />
Schwangerschaft als Strategie zur Selbstverjüngung<br />
gepriesen.<br />
Dem Tod entkommt trotz all solchen Mühen<br />
niemand. Das wissen auch die Autoren.<br />
Machttrunken fordern sie: »Wir sollten alles<br />
dafür tun, dass er erst kommt, wenn wir ihn<br />
rufen.« Merke: Es gibt zwar kein Gesetz, das<br />
Wissenschafts-Trash verbietet, allerdings<br />
auch keines, das seine Lektüre verordnet. reh<br />
Johannes Huber, Robert Buchacher: Das Ende des<br />
Alterns. Bahnbrechende medizinische Möglichkeiten<br />
der Verjüngung. Verlag Econ, Berlin <strong>2005</strong>. 285<br />
Seiten. 19,95 EUR.<br />
Thanatos, »der Tod ist groß«.<br />
Rilkes Diktum wird durch die<br />
breite gesellschaftliche Debatte<br />
um Sterbehilfe und Autonomie bestätigt.<br />
Seit der Popularität<br />
der Autorin<br />
Kübler-<br />
Ross hat sich<br />
auch die Soziologie<br />
der<br />
»death-awareness«<br />
angenommen und erörtert heute<br />
in phänomenologischen und systemtheoretischen<br />
Untersuchungen die ars moriendi.<br />
Dazu legt die Görresgesellschaft<br />
jetzt eine<br />
anspruchsvolle Sammlung<br />
von Vorträgen aus den<br />
Jahren 1999 bis 2002 zu<br />
»Tod, Hospiz und Institutionalisierung<br />
des Sterbens«<br />
vor. Der Tabuisierung<br />
des Todes in der<br />
Leistungsgesellschaft sei<br />
geradezu eine »Geschwätzigkeit<br />
des Todes« gefolgt.<br />
Kein Wunder, in einem<br />
vergreisenden Europa<br />
wird mehr gestorben als<br />
geboren! Überdies sind<br />
aus den unterschiedlichen<br />
sozialen Funktionssystemen<br />
inzwischen neue<br />
Todes-Perspektiven entstanden: seine<br />
»Verwissenschaftlichung« in der Hirntoddebatte,<br />
die »Politisierung, Ökonomisierung,<br />
Judifizierung, Medikalisierung«,<br />
die Rationalisierung und Säkularisierung.<br />
Die private Frage nach einem guten, weil<br />
persönlichen Sterben wandelt sich zum:<br />
»Wie sterbe ich richtig?« Und wie reden<br />
wir über das Sterben? Will die Patientenverfügung<br />
ein »formulargesichertes<br />
Sterben« erreichen und letzte Unsicherheiten<br />
autonom vertreiben? Oder gerät<br />
sie zum Ausdruck eines moralisierenden<br />
Zwangs, sich (gefälligst) um die Sozialverträglichkeit<br />
des eigenen Ablebens zu<br />
kümmern und niemandem zur Last zu<br />
fallen?<br />
Biografisch mag der Soziologe die so<br />
genannten »Unsterblichen« ausmachen,<br />
das sind Menschen, die auch in Alter und<br />
Krankheit so leben als lebten sie ewig,<br />
daneben die Gruppe der »Todesexperten«<br />
mit lässiger Aufgeklärtheit oder religiösem<br />
Fundament und weiter die »Todesforscher«,<br />
welchen die Vergänglichkeit<br />
(Kontingenz) Anlass zur Frage wird: Wer<br />
bin ich eigentlich? Inzwischen drängt die<br />
moderne Gesellschaft in Gesetzen, Administration,<br />
pflegerischer wie medizinischer<br />
Professionalisierung längst zu einer<br />
Was ist<br />
Thanatosoziologie?<br />
Vereinheitlichung des Sterbens. Wird<br />
nicht das Sterben schon professionell »gemacht«:<br />
»qualitätsorientiert« («in Würde<br />
sterben«), »medikalisiert«, am Ende auf<br />
europäischer<br />
Ebene einheitlich<br />
»bürokratisiert«?<br />
Und sind<br />
vielleicht auch<br />
Hospiz und<br />
Palliativmedizin<br />
gefährdet, der Ökonomisierung durch<br />
großflächige Organisationsgeflechte und<br />
Wohlfahrtskonzerne nachzugeben und<br />
zu »Entsorgungsstätten«<br />
zu mutieren?<br />
Der Band legt dazu<br />
interessante Alternativen<br />
vor: Gegenstrategien der<br />
kommunikativen Aufmerksamkeit<br />
und Interaktion,<br />
sorgende Krankenbegleitung<br />
und »Nähe«<br />
im Erfahrungsaustausch,<br />
im »Loslassen« und pflegerischer<br />
Kompetenz. Für<br />
die heute weitgehend privatisierte<br />
Religiosität liegen<br />
eine Menge »Ratgeber«<br />
in der Bücherecke<br />
bereit, die allerdings kaum<br />
mehr an die klassische<br />
Tradition der ars moriendi<br />
oder die christliche Erlösungs- und Auferstehungshoffnung<br />
anschließen. Sie stehen<br />
im Windschatten theologischer Auseinandersetzungen<br />
über Diesseits und<br />
Jenseits, bieten Mögliches anstatt Notwendiges<br />
und Bindendes an, tragen nicht<br />
selten Züge der Esoterik. Die säkulare<br />
Aufwertung des Sterbens wird mehr von<br />
der Mitteilung persönlicher Erfahrung<br />
und einem Ethos des guten mitmenschlichen<br />
Umgangs getragen: ein verständnisvoll-harmonisches<br />
Milieu schafft Vergewisserung<br />
über gutes Leben und<br />
Sterben. Die wieder erwachte Todesbewusstheit<br />
in der Gesellschaft ist Ausdruck<br />
einer Zeit, in der, nicht zuletzt medizinbedingt,<br />
sich dem »aktiven Alter« Jahre<br />
der »Abhängigkeit« anschließen können.<br />
Darauf müssen alle antworten, auch Pfleger<br />
und Arzt, indem sie dem Patienten<br />
seine je persönliche »Sterberolle« lassen<br />
und sie begleitend aushalten.<br />
Dr. Maria Overdick-Gulden<br />
Hubert Knoblauch, Arnold Zingerle (Hrsg.)<br />
Thanatosoziologie. Tod, Hospiz und die<br />
Institutionalisierung des Sterbens.<br />
Verlag Duncker & Humblot, Berlin <strong>2005</strong>. 220 Seiten.<br />
54,00 EUR.<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 31
KURZ VOR SCHLUSS<br />
Expressis verbis<br />
»<br />
Nicht durch die Hand eines anderen sollen<br />
die Menschen sterben, sondern an der Hand<br />
eines anderen.«<br />
Bundespräsident Horst Köhler auf einer<br />
Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Hospiz in Würzburg.<br />
»<br />
Eine Gesellschaft, die aus Heilern Henkern<br />
machen will, hat aufgehört eine humane zu<br />
sein.«<br />
Die Ärztin und Bundesvorsitzende der Aktion<br />
Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>), Claudia Kaminski.<br />
»<br />
Die Vertreter der Euthanasieforderung legen<br />
in der Regel großen Wert darauf, nicht mit<br />
der kriminellen Praxis der Nationalsozialisten<br />
in Zusammenhang gebracht zu werden.<br />
Dieser Zusammenhang aber ist nicht zu<br />
leugnen.«<br />
Der Philosoph Robert Spaemann in einem<br />
Zeitungsbeitrag für die »Stuttgarter Zeitung«.<br />
»<br />
Wenn wir sagen, dass menschliches Leben<br />
Würde hat, dann meinen wir doch, dass es<br />
keinen Zustand dieses menschlichen Lebens<br />
gibt, den wir als lebensunwert bezeichnen<br />
dürfen.«<br />
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende<br />
Christoph Böhr in einem Gastbeitrag für die<br />
katholische Zeitung »Die Tagespost«.<br />
Tops & Flops<br />
Zwei Weltkriege hätten demografisch<br />
nicht so verheerend<br />
gewirkt, wie der nach<br />
dem Wirtschaftswunder einsetzende<br />
dauerhafte Geburtenrückgang.<br />
Jahr für Jahr weise Deutschland mehr<br />
Sterbefälle als Geburten aus. »Daran lässt<br />
sich nun auf Jahrzehnte hinaus nichts<br />
mehr ändern, denn<br />
die Eltern, die das<br />
ändern könnten<br />
sind nie geboren<br />
worden.« Der Bevölkerungswissenschaftler<br />
Herwig<br />
Birg redet nicht<br />
lange um den heißen<br />
Brei herum. Im<br />
Interview mit der<br />
Herwig Birg<br />
Zeitung »Die Welt«, beklagt der Autor<br />
des Buches »Die ausgefallene Generation«<br />
auch den Umgang der Politik mit<br />
dem Thema Demografie: »Im zurückliegenden<br />
Wahlkampf haben wir erneut ein<br />
Allparteien-Schweigekartell gegen die<br />
existenzbedrohende demografische Fehlentwicklung<br />
erleben können. Die Parteien<br />
täuschen sich über die Zukunft unseres<br />
Landes und so wird zugleich der Rest der<br />
Gesellschaft mitgetäuscht.« Dass die Abtreibung<br />
von acht Millionen Kindern in<br />
den letzten drei Jahrzehnten eine beträchtliche<br />
Teilschuld an dieser Entwicklung<br />
besitzt, sagt Birg in dem Interview<br />
nicht. Wo kämen wir denn hin, wenn<br />
Journalisten danach fragten? reh<br />
WWW.OEDP.DE<br />
Ursula von der Leyen<br />
Niemand hatte erwartet, dass<br />
eine Änderung des § 218 auf<br />
der Agenda der neuen Regierung<br />
ganz oben stehen<br />
würde. Aber dass ausgerechnet die CDU-<br />
Politikerin Ursula von der Leyen kurz<br />
vor ihrer Vereidigung als Familienministerin<br />
allen Hoffnungen auf eine Reform<br />
des § 218 eine Absage erteilen würde, hat<br />
auch keiner erwartet. Im Interview mit<br />
dem »Rheinischen<br />
Merkur« sagte die<br />
Politikerin: »Das<br />
grundsätzliche Prinzip<br />
des Paragrafen<br />
218 werden wir<br />
nicht mehr antasten.<br />
Da ist nach vielen<br />
gesellschaftlichen<br />
Diskussionen<br />
ein Konsens gefunden<br />
worden, der jetzt von allen Seiten<br />
getragen wird.«<br />
Das ist starker Tobak. Denn dass Abtreibung<br />
gegen das Menschenrecht auf<br />
Leben und die Verfassung verstößt, ist<br />
evident. Wie soll ein angeblicher gesellschaftlicher<br />
Konsens, das »heilen« können?<br />
Vorausgesetzt von der Leyen weiß,<br />
was sie sagt, müsste sie, wenn das Parlament<br />
auf die Idee käme, die Sklaverei<br />
straffrei zu stellen, dann nicht dasselbe<br />
sagen: »Da ist nach vielen gesellschaftlichen<br />
Diskussionen ein Konsens gefunden<br />
worden, der jetzt von allen Seiten getragen<br />
wird«?<br />
reh<br />
CDL.NIEDERSACHSEN.DE<br />
»<br />
Vordergründig geht es um das Mitleid, um<br />
die Forderung nach dem so genannten<br />
selbst bestimmten Tod. Tatsächlich aber<br />
geht es um die Frage, wie wir Gesundheit<br />
und Pflege in Zukunft noch finanzieren<br />
können.«<br />
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe<br />
im »Rheinischen Merkur« über die Hintergründe<br />
der Debatte um die »Tötung auf Verlangen«.<br />
»<br />
Menschlichem Leid darf nicht durch Tötung,<br />
sondern muss durch Zuwendung begegnet<br />
werden.«<br />
Der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang<br />
Huber in einem Statement für die Zeitung »Die<br />
Welt«.<br />
32<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
Aus dem Netz gefischt<br />
»Schuleinsätze zum Thema<br />
Abtreibung online bestellbar.«<br />
Ihr erklärtes Ziel besteht in der Förderung<br />
der »Kultur des Lebens«. Seit<br />
ihrer Gründung im Jahr 1997 sorgt die<br />
»Jugend für das Leben«, die als eigenständiger<br />
Verein organisiert wurde und<br />
die Anerkennung der Österreichischen<br />
Bischofskonferenz genießt, immer wieder<br />
mit spektakulären Aktionen dafür, dass<br />
der mangelnde Schutz menschlichen Lebens<br />
in Österreich öffentlich debattiert<br />
wird. Doch handelt es sich bei den öffentlichkeitswirksamen<br />
Kundgebungen und<br />
Demonstrationen, nur um die Spitze eines<br />
Eisberges.<br />
Zum Alltag der »Jugend für Leben«<br />
zählen vielmehr Einsätze in Schulen und<br />
Pfarreien. Auf Einladung informieren die<br />
jugendlichen Lebensrechtler dabei zum<br />
Beispiel Schüler ab 13 Jahren über Fakten,<br />
Ursachen und Auswirkungen der Abtreibung.<br />
Die Nachfrage nach diesem Angebot<br />
ist mittlerweile so hoch, dass auf der<br />
Internetseite der »Jugend für das Leben«<br />
(www.youthforlife.net) zu diesem Zweck<br />
sogar ein Anforderungs-Formular bereitgehalten<br />
wird, das online ausgefüllt und<br />
abgeschickt werden kann.<br />
www.youthforlife.net<br />
Wissenswertes findet sich aber auch<br />
auf der Homepage selbst. Allgemeinverständlich<br />
und seriös werden in deutscher<br />
und englischer Sprache dort Fragen wie<br />
»Wann beginnt das menschliche Leben?«<br />
oder »Wie entwickelt sich das menschliche<br />
Leben?« beantwortet und Fakten zu<br />
den Abtreibungsmethoden und ihren<br />
Folgen geboten. Unter den Buttons<br />
»Aktuelles« und »Internationales« finden<br />
sich auf der übersichtlich gestalteten Homepage<br />
Nachrichten zu verschiedenen<br />
Lebensrechtsthemen, österreich- und<br />
weltweit. Ein aktuell gehaltener Veranstaltungskalender<br />
und ein kostenlos abonnierbarer<br />
Newsletter runden das nutzerfreundliche<br />
und solide Webangebot der<br />
jungen Lebensrechtler ab. Fazit: Ein<br />
Bookmark lohnt.<br />
reh<br />
KURZ & BÜNDIG<br />
<strong>ALfA</strong>: Koalitionsvertrag enttäuscht<br />
»Der Koalitionsvertrag von Union und SPD<br />
zeigt bedauerlicherweise wenig Licht und viel<br />
Schatten in aktuellen Lebensrechtsfragen.«<br />
Das erklärte die Vorsitzende der Aktion Lebensrecht<br />
für Alle (<strong>ALfA</strong>), Claudia Kaminski,<br />
nach Durchsicht des beinah 200 Seiten umfassenden<br />
Vertrags. Als »positiv« wertete<br />
Kaminski, dass die neue Bundesregierung der<br />
Förderung der adulten Stammzellforschung<br />
»besondere Bedeutung« zumesse und »ethische<br />
Grenzen« auf dem Feld der regenerativen<br />
Medizin beachten wolle. Allerdings sei der<br />
Begriff ›ethische Grenzen‹ »ziemlich dehnbar«.<br />
»Da zudem ein explizites Bekenntnis zur geltenden<br />
Stichtagsregelung keinen Eingang in<br />
den Vertrag gefunden hat, wird die <strong>ALfA</strong> die<br />
Entwicklung auf diesem Gebiet auch in Zukunft<br />
genau beobachten müssen. Anlass zur Entwarnung<br />
geben die gefundenen Formulierungen<br />
leider nicht«, so Kaminski weiter.<br />
Als »echten Skandal« wertete Kaminski den<br />
Umgang der Koalitionspartner mit dem Thema<br />
Abtreibung. Zwar heiße es in dem Koalitionsvertrag<br />
zutreffend: »Das Bundesverfassungsgericht<br />
hat dem Gesetzgeber (...) in seinem<br />
»Deutschland. Das von morgen« (4)<br />
»Du bist Deutschland«. So lautet<br />
eine Kampagne, die eigenen Angaben<br />
zufolge Mut machen will. Und Mut ist<br />
etwas, das Deutschland wirklich brauchen<br />
kann. Schließlich wird es ja nun<br />
gleich von zwei Volksparteien regiert.<br />
Die, so heißt es, könnten, wenn sie<br />
wollten, den Reformstau auflösen. Ob<br />
sie wollen, wird sich noch zeigen müssen.<br />
Fest steht dagegen: Union und<br />
SPD müssten erheblich weniger wollen,<br />
wenn sie mit der Reform des § 218 vor<br />
zehn Jahren nicht der Selbstdezimierung<br />
Deutschlands den Weg geebnet<br />
hätten. 130.000 zusätzliche Bürger pro<br />
Jahr, sind auch 130.000 zusätzliche<br />
Konsumenten. Denn von Luft und<br />
Liebe allein können auch Kinder nicht<br />
leben. In zwei Jahren macht das<br />
260.000, in fünf 650.000 und in zehn<br />
1,3 Millionen. Wer weiß, dass die Abtreibungszahlen<br />
in Wirklichkeit rund<br />
doppelt so hoch sind wie die gemeldeten,<br />
kommt auf 2,6 Millionen pro Dekade.<br />
Menschen, die unser Leben nicht<br />
nur als Personen bereichert hätten,<br />
sondern als Nebenwirkung auch für<br />
eine gewaltige Binnennachfrage gesorgt<br />
hätten, die nicht ohne Folgen für Arbeitsplätze<br />
und die sozialen Sicherungssysteme<br />
geblieben wäre. Davon abgesehen,<br />
kostet die gesetzlich geregelte<br />
Selbstvernichtung die verbleibende<br />
Solidargemeinschaft auch noch zusätzliche<br />
Millionen. Denn wie <strong>LebensForum</strong>-Leser<br />
längst wissen, werden Abtreibungen<br />
mit Steuergeldern in Höhe<br />
von rund 40 Millionen Euro pro Jahr<br />
subventioniert.<br />
Stefan Rehder<br />
ARCHIV<br />
Dr. med. Claudia Kaminski<br />
Urteil bezüglich der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch<br />
eine Beobachtungs- und eventuelle<br />
Nachbesserungspflicht auferlegt.« »Es<br />
demonstriert aber die unglaubliche Wirklichkeitsferne<br />
der Koalitionäre, wenn es weiter<br />
heißt: ›Wir werden dieser Verpflichtung auch<br />
in der 16. Legislaturperiode nachkommen‹«,<br />
so Kaminski. In »Wahrheit hat die Politik unter<br />
Missachtung der Verfassung und des Karlsruher<br />
Urteils bei der Abtreibung zehn Jahre lang<br />
die Hände in den Schoß gelegt. Die Formulierung<br />
des Koalitionsvertrages lässt darauf<br />
schließen, dass sich daran auch in Zukunft<br />
nichts ändern soll«, so die <strong>ALfA</strong>-Vorsitzende<br />
weiter. Vor diesem Hintergrund könne auch<br />
der Beteuerung der Regierung prüfen zu wollen,<br />
»›ob und gegebenenfalls wie die Situation<br />
bei Spätabtreibungen verbessert werden<br />
kann‹, keine besonders hohe Bedeutung zugemessen<br />
werden.« reh<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong> 33
LESERFORUM<br />
Ausgezeichneter Überblick<br />
Herzlichen Dank Herrn Matthias<br />
Lochner für seinen hervorragenden Artikel<br />
»Die Zukunft gehört adulten Stammzellen«.<br />
Die ausführliche Recherche der<br />
Zitate bedeutender Persönlichkeiten aus<br />
Politik und Wissenschaft gibt einen ausgezeichneten<br />
Überblick über die derzeit<br />
in unserem Land an wichtigen Schaltstellen<br />
herrschenden Meinungen. Die geradezu<br />
spannende Darstellung der neuesten<br />
Forschungsergebnisse zum Thema<br />
Stammzellenforschung bringt höchst aufschlussreiche<br />
Informationen, die eine<br />
große Hilfe darstellen für alle, die in der<br />
heutigen oft verworrenen Zeit auf der<br />
Suche nach einem ethisch vertretbaren<br />
eigenen Standpunkt sind.<br />
Antonia Egger, München<br />
Befruchtete Eizelle im Acht-Zellen-Stadium.<br />
34<br />
ARCHIV<br />
»In den letzten 50 Jahren haben<br />
wir Kinder um etwa 3.000 Mrd.<br />
Euro benachteiligt, gleichzeitig<br />
einen staatlichen Schuldenberg von<br />
etwa 1.500 Mrd. Euro angehäuft,<br />
den die besonders durch<br />
Abtreibungen verminderten Kinder<br />
abarbeiten sollen, wobei unser<br />
Geburtenschwund zunimmt.«<br />
Dipl.-Volkswirt Ludwig Bergmann, Vechta<br />
zum Interview mit Harry Walter<br />
(«Befruchtung ist Zufall«)<br />
Gesundheitsrisiko beleuchten<br />
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass<br />
derjenige, der das »Recht auf Leben«<br />
verteidigt, sich zugleich aber eine kritische<br />
Haltung gegenüber künstlichen Befruchtungen<br />
bewahrt hat, heute bei nicht wenigen<br />
Mitmenschen auf Unverständnis<br />
stößt. »Was willst Du denn, hier wird<br />
doch Leben gezeugt ?«, bekomme ich<br />
(sinngemäß) oft zu hören. Daher bin ich<br />
Ihnen für den Beitrag »Vorsicht Falle«<br />
in der letzten Ausgabe von <strong>LebensForum</strong><br />
ausgesprochen dankbar. Er deckt auf, wie<br />
viele (Menschen-)Opfer für die künstliche<br />
Zeugung erbracht werden müssen. Da<br />
dieses Unrecht noch viel zu selten erkannt<br />
wird, ist hier meines Erachtens noch viel<br />
Aufklärungsarbeit nötig. Und als kleine<br />
Anregung: Vielleicht können Sie ja auch<br />
einmal ausführlich die gesundheitlichen<br />
Risiken beleuchten, die mit den unnatürlich<br />
hohen Hormongaben für die Frauen<br />
verbunden sein sollen.<br />
Andreas Maiworm, Fröndenberg<br />
Hans Jonas hatte Recht<br />
Der jüdische Philosoph Hans Jonas<br />
(1903 - 1993) hat einmal geäußert: Von<br />
zwei Kernen hätten die Menschen besser<br />
die Finger gelassen: Vom Atomkern und<br />
vom Zellkern. Die Lektüre von Lebens-<br />
Forum macht zumindest für einen dieser<br />
Kerne deutlich, wie Recht dieser <strong>–</strong> übrigens<br />
nicht christlich argumentierende <strong>–</strong><br />
Philosoph hatte.<br />
Roman Schneider, Düsseldorf<br />
PRESSESERVICE STADT MÖNCHENGLADBACH<br />
REHDER-MEDIENAGENTUR<br />
Hans Jonas (1903 - 1993)<br />
Zumutungen für Frauen<br />
Ich mag ihre Zeitschrift. Auch dass Sie<br />
außer dem Lebensrecht des Kindes auch<br />
die Risiken beleuchten, die für Frauen<br />
mit der Abtreibung verbunden sind, finde<br />
ich gut. Aber genau da müssten Sie mehr<br />
tun. Schließlich sind wir Frauen die Leidtragenden.<br />
Unsere Eizellen werden »heiß<br />
begehrt« (<strong>LebensForum</strong> Nr. 75, S. 13).<br />
Wir sind die »Opfer einer biotechnologischen<br />
Sklaverei« (<strong>LebensForum</strong><br />
Nr. 75, S. 3). Wir sollen die »Pille<br />
danach« und regelmäßig die »davor«<br />
schlucken. Wir sollen eine Hormonstimulation<br />
über uns ergehen lassen, wenn<br />
Sind noch Mangelware: weibliche Eizellen.<br />
»Mann« auf einmal doch Kinder haben<br />
will und die Zeit davonläuft. Viele, auch<br />
Frauen meinen, wir hätten an Freiheit<br />
gewonnen. Ich stehe vielleicht allein mit<br />
der Ansicht, dass man Vergleiche nur zu<br />
solchen Zeiten ziehen sollte, die man<br />
auch selbst erlebt hat. Aber was heute<br />
von uns Frauen alles erwartet wird, empfinde<br />
ich als Zumutung. Und da bin ich<br />
sicher kein Einzelfall.<br />
Alexandra Baumann, Berlin<br />
<strong>LebensForum</strong> <strong>76</strong>
IMPRESSUM<br />
IMPRESSUM<br />
LEBENSFORUM<br />
Ausgabe Nr. <strong>76</strong>, 4. Quartal <strong>2005</strong><br />
ISSN 0945-4586<br />
Verlag<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />
www.alfa-ev.de, Email: info@alfa-ev.de<br />
Herausgeber<br />
Aktion Lebensrecht für Alle e.V.<br />
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminski (V.i.S.d.P.)<br />
Kooperation<br />
Ärzte für das Leben e.V. <strong>–</strong> Geschäftsstelle<br />
z.H. Frau Dr. Bärbel Dirksen<br />
Ludwig-Schüsselerstr. 29, 64678 Lindenfels<br />
Tel.: 0 62 54 / 4 30, E-Mail: dr.b.dirksen@gmx.de<br />
www.aerzte-fuer-das-leben.de<br />
Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen<br />
Stitzenburgstraße 7, 70182 Stuttgart<br />
Tel.: 0711 - 232232, Fax: 0711 - 2364600<br />
E-Mail: info@tclrg.de, Internet: www.tclrg.de<br />
Redaktionsleitung<br />
Stefan Rehder, M.A., Dr. phil. nat. Andreas Reimann<br />
Redaktion<br />
Veronika Blasel, M.A.,Alexandra Linder, M.A.,<br />
Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Ingolf Schmid-<br />
Tannwald (Ärzte für das Leben e.V.)<br />
Anzeigenverwaltung<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />
Tel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07<br />
www.alfa-ev.de, E-Mail: info@alfa-ev.de<br />
Satz / Layout<br />
Rehder Medienagentur, Aachen<br />
www.rehder-agentur.de<br />
Auflage<br />
7.500 Exemplare<br />
Anzeigen<br />
Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 5 vom 01.01.2003<br />
Erscheinungweise<br />
Vierteljährlich, Lebensforum Nr. 77 erscheint am 31.03.2006,<br />
Redaktionsschluss ist der 10.03.2006<br />
Jahresbezugspreis<br />
12,- EUR (für ordentliche Mitglieder der <strong>ALfA</strong> und der Ärzte für<br />
das Leben im Beitrag enthalten)<br />
Bankverbindung<br />
Augusta-Bank<br />
Konto Nr. 50 40 990 - BLZ 720 900 00<br />
Spenden erwünscht<br />
Druck<br />
Reiner Winters GmbH<br />
Wiesenstraße 11, 57537 Wissen<br />
www.rewi.de<br />
Titelbild<br />
Rehder Medienagentur<br />
www.rehder-agentur.de<br />
Das Lebensforum ist auf umweltfreundlichem chlorfrei gebleichtem<br />
Papier gedruckt.<br />
Mit vollem Namen gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt<br />
die Meinung der Redaktion oder der <strong>ALfA</strong> wieder und stehen in<br />
der Verantwortung des jeweiligen Autors.<br />
Fotomechanische Wiedergabe und Nachdruck <strong>–</strong> auch auszugsweise<br />
<strong>–</strong> nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Für<br />
unverlangt eingesandte Beiträge können wir keine Haftung<br />
übernehmen. Unverlangt eingesandte Rezensionsexemplare<br />
werden nicht zurückgesandt. Die Redaktion behält sich vor,<br />
Leserbriefe zu kürzen.<br />
Helfen Sie Leben retten!<br />
Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V.<br />
Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg<br />
Telefon (08 21) 51 20 31,Fax (08 21) 156407, http://www.alfa-ev.de<br />
Spendenkonto: Augusta-Bank eG (BLZ 720 900 00), Konto Nr. 50 40 990<br />
Ja, ich abonniere die Zeitschrift Lebensforum für 12,<strong>–</strong> € pro Jahr.<br />
Herzlich laden wir Sie ein, unsere <strong>ALfA</strong>-Arbeit durch Ihre Mitgliedschaft zu unterstützen.<br />
Ja, ich unterstütze die Aktion Lebensrecht für Alle (<strong>ALfA</strong>) e.V. als ordentliches Mitglied mit einem festen Monatsbeitrag. Der Bezug<br />
des Lebensforums ist im Beitrag schon enthalten. Die Höhe des Beitrages, die ich leisten möchte, habe ich angekreuzt:<br />
12,<strong>–</strong> € jährlich für Schüler, Studenten und Arbeitslose<br />
20,<strong>–</strong> € jährlich Mindestbeitrag<br />
_________ € jährlich freiwilliger Beitrag.<br />
Mitgliedsbeiträge und Spenden sind steuerlich abzugsfähig!<br />
Meine Adresse<br />
Freiwillige Angaben<br />
Name<br />
Geboren am<br />
Straße, Nr.<br />
Telefon<br />
PLZ, Ort<br />
Religion<br />
Beruf<br />
Um Verwaltungskosten zu sparen und weil es für mich bequemer ist, bitte ich Sie, meine Beiträge jährlich von meinem Konto<br />
einzuziehen:<br />
Institut Konto.-Nr. BLZ<br />
Datum, Unterschrift
LETZTE SEITE<br />
Frozen Angels<br />
Der Dokumentarfilm Frozen Angels<br />
beleuchtet eindrucksvoll die Geschäfte, die<br />
sich mit dem Wunsch nach Kindern<br />
machen lassen.<br />
Von Dr. José García<br />
Postvertriebsstück B 42890 Entgelt bezahlt<br />
Deutsche Post AG (DPAG)<br />
Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (<strong>ALfA</strong>)<br />
Ottmarsgässchen 8, 86152 Ausgburg<br />
Erst langsam wird das weite Feld<br />
genetischer Eingriffe bei Menschen<br />
<strong>–</strong> etwa durch künstliche<br />
Befruchtung oder Klonen <strong>–</strong> zum Gegenstand<br />
von Science-Fiction-Filmen,<br />
obwohl bereits im Jahre 1997 Andrew<br />
Niccol in »Gattaca« die unheimlichen<br />
Filmausschnitt aus »Frozen Angels«<br />
Seiten einer Welt aufzeigte, in der sich<br />
Eltern ihre Wunschkinder »maßschneidern«<br />
lassen können. Dass sich Spielfilmregisseure<br />
mit solchen Fragen schwer<br />
tun, wurde allzu deutlich in den zwei<br />
Spielfilmen, die sich in letzter Zeit an<br />
dieses Thema heranwagten: »Godsend«<br />
behandelt zwar das Klonen von Menschen,<br />
nimmt jedoch ab etwa seiner Mitte<br />
eine ganz neue Wendung an: Die ethische<br />
Seite einer Gott spielenden Reproduktionsmedizin<br />
steht nun nicht länger im<br />
Vordergrund. Ähnlich erging es auch<br />
Michael Bays »Die Insel«, der zwar Klone<br />
in den Mittelpunkt seiner Handlung stellt,<br />
die als Ersatzteillager oder auch als »Leihmütter«<br />
bestellt werden, der jedoch durch<br />
die Elemente des Action-Filmes die eigentlichen<br />
Fragen in den Hintergrund<br />
drängt.<br />
Der zurzeit im deutschen Kino laufende<br />
Dokumentarfilm »Frozen Angels« von<br />
FILMINFO<br />
Frozen Angels<br />
Regie: Frauke Sandig, Eric Black<br />
Mit: Bill Handel, Lori Andrews, Cappy<br />
Rothman, Kari Ciechoski, Kim Brewer,<br />
Amy und Steve Jurewicz, Gregory Stock,<br />
Shelley Smith, Doron Blake<br />
Land, Jahr: Deutschland / USA <strong>2005</strong><br />
Laufzeit: 90 Minuten<br />
Frauke Sandig und Eric Black beleuchtet<br />
eindrücklicher als die zuletzt genannten<br />
Spielfilme die Geschäfte der »Reproduktionsindustrie«;<br />
zugleich weist er deutlich<br />
auf die Gefahren der Gentechnik hin.<br />
Der Titel »Frozen Angels« («gefrorene<br />
PIFFL MEDIEN<br />
Engel«) spielt auf die in den Reproduktionslabors<br />
eingefroren lagernden Embryonen<br />
an. »Reproduktionsmedizin« nennt<br />
sich ein höchst profitabler Industriezweig,<br />
der sich mit der künstlichen Erzeugung<br />
von Menschen beschäftigt. Nirgendwo<br />
auf der Welt ist die Gesetzgebung für die<br />
Reproduktionsmedizin laxer als in Kalifornien:<br />
»In Kalifornien ist es leichter,<br />
eine Samenbank zu eröffnen, als eine<br />
Pizzeria«, stellt Bill Handel fest, der<br />
Radiomoderator und zugleich Besitzer<br />
der weltweit größten Agentur für Ei-<br />
Spenderinnen und Leihmütter ist.<br />
Bill Handels Sendung, insbesondere<br />
Handels Interview mit der international<br />
renommierten Biotechnologie-Expertin<br />
Lori Andrews (Autorin von »The Clone<br />
Age«), stellt eine Art Rahmenhandlung<br />
in einem Dokumentarfilm dar, der die<br />
vielschichtige Welt der künstlichen Fortpflanzung<br />
beleuchtet. »Frozen Engels«<br />
begleitet in mosaikartiger Form eine Leihmutter<br />
bis in den Kreissaal, Ei-Spenderinnen,<br />
die wegen ihrer blauen Augen und<br />
ihres blonden Haars ganz oben auf der<br />
Beliebtheitsskala der Kunden stehen, den<br />
Wissenschaftler, der für die künstliche<br />
als ausschließliche Form der menschlichen<br />
Fortpflanzung plädiert, den Samenbankdirektor<br />
Cappy Rothman, der stolz auf<br />
seinen »Rassen«-Farbcode für die Samenaufbewahrung<br />
ist, sowie Doron Blake,<br />
der mithilfe der vom Millionär und Erfinder<br />
Robert Graham gegründeten Nobelpreisträger-Samenbank<br />
erzeugt wurde.<br />
Lori Andrews warnt eindringlich vor<br />
den Gefahren der neuen Technologien.<br />
Denn neben den unüberschaubaren medizinischen<br />
und juristischen Folgen rufen<br />
die Anwendungen der Genmanipulation<br />
die Absicht hervor, den Menschen nicht<br />
nur »aufzuwerten«, sondern ihn gar neu<br />
zu entwerfen, eine neue Spezies zu »kreieren«.<br />
»Frozen Angels« ist jedoch ein<br />
Film, der aufrüttelt, gerade weil die Bilder<br />
selbst die dunklen Seiten der Reproduktionsmedizin<br />
deutlich zeigen.