1·2009 - Glashütte Original
1·2009 - Glashütte Original
1·2009 - Glashütte Original
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<strong>1·2009</strong><br />
Momentum<br />
F R Ü H J A H R<br />
MAGAZIN FÜR ZEITZEUGEN & MOMENTAUFNAHMEN<br />
Zeit für neue Ansichten<br />
Tapetenwechsel
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Die Mitarbeiter von <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong><br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
A<br />
us Erfahrungen lernen und weiterhin voller Zuversicht die Zukunft gestalten –<br />
so lautet eine Maxime unseres Zeitzeugen dieser Momentum-Ausgabe,<br />
Franz Josef Radermacher. Der Zukunftsforscher, zugleich Mitglied des Club<br />
of Rome und Mitbegründer der Global Marshall Plan Initiative, wagt eine<br />
verblüffende und aussichtsreiche Prognose, wie die Menschheit mit Lernen, aber auch<br />
Verlernen das Kommende aktiv kreieren kann. Den Beweis liefert gleich eine ganze<br />
Nation: Norwegen, das Land der glücklichen Menschen, lädt Sie daher ab Seite 18 zu<br />
einer erlebnisreichen Reise zwischen Tradition und Moderne ein.<br />
Für alle, die sich nicht nur für gestern, heute und morgen interessieren, sondern<br />
darüber hinaus für die Welt der feinen Uhrmacherkunst, ermöglichen wir ab Seite 28<br />
einen umfassenden Blick durch die Lupe: Saphirglas und Rubine. Ohne die stetige<br />
Weiterentwicklung dieser zwei Materialien wären die Uhren längst nicht so präzise,<br />
robust und vor allem anmutig.<br />
In diesem Sinne präsentieren wir Ihnen auch unsere neuen Zeitmesser, die wir auf der<br />
diesjährigen Baselworld, der weltgrößten Uhrenmesse und somit Impulsgeber für das<br />
Uhrenjahr 2009, vorstellen.<br />
Viel Freude wünscht Ihnen dabei<br />
Ihr Team von <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong><br />
Elfte Ausgabe Editorial<br />
Momentum 1· 2009 3
Titel: Deborah Bowness Wallpapers<br />
4<br />
Spektrum Inhalt<br />
Spektrum Momentum<br />
08<br />
INTERVIEW<br />
Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher hat nicht<br />
nur viele Titel, sondern auch viele Aufgaben –<br />
u.a. als Mitglied im Club of Rome, Mitbegründer<br />
der Global Marshall Plan Initiative und<br />
Zukunftsforscher. Gespräch mit einem Visionär<br />
NOVUM<br />
KULTURNEWS ................................................................................................06<br />
Sehens- und Erlebenswertes rund um den Globus<br />
ZEITZEUGE<br />
„ZEIT IST DIE FINALE RESSOURCE“ ...................................................08<br />
Ein Interview mit Zukunftsforscher Prof. Franz Josef Radermacher<br />
MOMENTE<br />
ZEITPLAN DER WELT ...................................................................................14<br />
Alle 15 Längengrade eine Zeitzone – so wurde die Weltzeit festgelegt<br />
ZEITZONEN<br />
IM LAND DER GLÜCKLICHEN MENSCHEN ..........................................18<br />
Wie Norwegen den Spagat zwischen Tradition und Moderne schafft<br />
KALENDARIUM<br />
NEUIGKEITEN VON GLASHÜTTE ORIGINAL ......................................24<br />
Sport Evolution Impact, Neuheiten Baselworld 2009, Kultur-News<br />
MANU FACTUM<br />
KRISTALLKLAR ..............................................................................................28<br />
Wunder aus Menschenhand: synthetische Rubine und Saphire<br />
Momentum 1· 2009<br />
<strong>1·2009</strong><br />
14<br />
WELTZEIT<br />
Vor 125 Jahren fand die Internationale<br />
Meridiankonferenz statt – auf ihr wurde<br />
Ordnung in das Chaos der verschiedenen<br />
Weltzeiten gebracht<br />
18<br />
NORWEGEN<br />
Landschaften von legendärer Schönheit,<br />
inspirierende Kultur, glückliche Menschen<br />
– Porträt über ein Land der positiven<br />
Schlagzeilen<br />
ZEITSTRÖMUNG<br />
TAPETENWECHSEL ......................................................................................34<br />
Trend: Künstler und Designer entdecken Tapeten als kreatives Spielfeld<br />
TENDENZ<br />
TRAUMZEIT ....................................................................................................40<br />
Was geschieht mit der Zeit, wenn wir träumen? Nächtliche Einblicke ...<br />
STIL DER ZEIT<br />
IMMER DER NASE NACH ..........................................................................44<br />
Wie exklusive Parfümeure die sinnliche Seite der Welt bereichern<br />
ZEITFENSTER<br />
ZAHLEN & FAKTEN ......................................................................................48<br />
Verblüffend, erschreckend, kurios ...<br />
MOMENTAUFNAHME<br />
LOCKVÖGEL ...................................................................................................49<br />
Clevere Jagd-Methode im Indus-Fluss
34<br />
TAPETEN<br />
Designer aus aller Welt werfen sie als<br />
wahre Kunstwerke an die Wand und läuten<br />
das Ende der tristen Raufaser-Ära ein.<br />
Originelle Tapeten erobern die Räume<br />
28<br />
SAPHIRE & RUBINE<br />
Synthetische Rubine und Saphire<br />
imitieren auf intelligente Weise<br />
die Natur und perfektionieren<br />
Uhrwerke und Zifferblätter<br />
24<br />
MEISTERWERKE<br />
Zuverlässig im sportlichen Einsatz: die<br />
beiden Modelle der Sport Evolution Impact<br />
von <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong>. Außerdem:<br />
Momentum präsentiert die Neuheiten der<br />
Baselworld 2009<br />
44<br />
PARFÜMEURE<br />
Als Meister der Düfte sind sie wahre Künstler –<br />
Parfümeure verbinden die Welt der Träume<br />
mit der Wirklichkeit und stillen das Bedürfnis<br />
ihrer Kundschaft nach Individualität
Novum Kultur<br />
Kunst-Städte der Niederlande<br />
Vier Städte, zehn Museen,<br />
zwanzig Ausstellungen – die<br />
Niederlande setzen aufs Ganze,<br />
wenn es um Kunst geht. Mit<br />
„Holland Art Cities“, einem<br />
Kunstspektakel der Superlative,<br />
wollen sie in den Jahren 2009<br />
und 2010 Besucher aus aller<br />
Welt in die Museen von Amsterdam,<br />
Rotterdam, Den Haag und<br />
Utrecht locken. Das ambitio -<br />
nierte Kunst-Event mit drei<br />
Themenkomplexen rühmt sich<br />
da bei der „weltweit höchsten<br />
Konzentration von Kunst-<br />
und Kulturaktivitäten pro Qua -<br />
drat kilometer“.<br />
Pablo Picasso, „Sibylle“, 1921,<br />
Gemeentemuseum, Den Haag<br />
„HOLLAND ART CITIES“, AUSSTELLUNGEN IN 10 NIEDERLÄNDISCHEN MUSEEN IN AMSTERDAM,<br />
ROTTERDAM, DEN HAAG, UTRECHT. 2009/2010. MEHR INFORMATIONEN UND PROGRAMM<br />
UNTER: WWW.HOLLAND.COM/HAC<br />
Ein Hoch<br />
auf Händel<br />
Zum 250. Todestag von Georg<br />
Friedrich Händel ehrt seine Ge burtsstadt<br />
Halle ihren berühmten Sohn<br />
das ganze Jahr über mit Konzerten und kultu<br />
rellen Veranstaltungen. Höhepunkt sind<br />
die Händel-Festspiele im Juni, u.a. mit<br />
Königin Elizabeth II. als Schirm herrin –<br />
denn auch die Briten erheben An -<br />
spruch auf den Barockkomponisten,<br />
schließlich verbrachte er den größten<br />
Teil seines Lebens in London. Im Mittelpunkt<br />
der Festspiele steht Händels Opernwerk<br />
mit Inszenierungen von „Floridante“,<br />
„Rodelinda“, „Alcina“, „Serse“, „Ariodante“ und<br />
„Belshazzar“.<br />
Einmal rund um die Welt<br />
Schwer ist dieser aufwendig gestaltete Bildband, doch das darf er<br />
auch sein. Schließlich vereint er in sich eine Auswahl von Kunstwerken<br />
der letzten 30.000 Jahre – quer durch die Völker und<br />
Kulturen. Von der Steinzeit über chinesische Tuschezeichnungen<br />
bis Jackson Pollock. So kompakt können 30 Jahrtausende sein ...<br />
„30.000 JAHRE KUNST“, PHAIDON VERLAG, 49,95 EURO<br />
K U L T U R +++ W E L T W E I T +++ K U L T U R +++ W E L T W E I T +++ K U L T U R +++ W E L T W E I T +++<br />
goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films, Wiesbaden, Festivalkino Caligari und Festivalzentrum Villa Clementine 22.–28.<br />
April 2009, www.filmfestival-goeast.de +++ Drachenboot-Festival, Hongkong, 28. Mai 2009, Infos: www.discoverhongkong.com +++<br />
Richard Wagners „Ring“, Metropolitan Opera, New York, 27. April bis 2. Mai, 4.–9. Mai 2009, Infos: www.metoperafamily.org +++<br />
HÄNDEL-FESTSPIELE, 4. BIS 14. JUNI 2009, HALLE AN DER<br />
SAALE, DIVERSE SPIELSTÄTTEN. INFOS, PROGRAMM UND<br />
TICKETS UNTER: WWW.HAENDEL2009.COM<br />
Acht Kilo<br />
Intelligenz<br />
Der Fotograf Peter<br />
Badge reiste acht Jahre<br />
lang allen noch lebenden<br />
Nobelpreis trägern<br />
hinterher. Daraus<br />
entstand der acht Kilo<br />
schwere Bildband<br />
„Nobels“ mit sehr<br />
persönlichen Porträts<br />
weltberühmter Wissenschaftler,<br />
Literaten und Staats männer, wie Kofi Annan,<br />
Nelson Mandela (s. Foto) oder John Nash, die er in manch<br />
unerwarteter Situation erlebte. Nämlich bodenständig und<br />
ganz unprätentiös, mal im Wohnzimmer auf dem Sofa, mal<br />
mit Taucherbrille am Pool. Das Resultat: ein StückWeltkultur -<br />
geschichte voller faszinierender Momentaufnahmen.<br />
„NOBELS –NOBEL LAUREATES PHOTOGRAPHED BY PETER BADGE“, 304 PORTRÄTS<br />
(AUF ENGLISCH) , 622 SEITEN, 139 EURO, WILEY-VCH VERLAG, WWW.WILEY-VCH.DE<br />
Fotos: Picture Alliance, Tilman Korn
Umfassendes Wissen<br />
braucht keinen Ledereinband.<br />
Mit einer „Expedition Wissen“ tauchen Sie tiefer in die Geschichte ein. Diese gedanklichen Entdeckungsreisen kombinieren fundierte<br />
Theorie mit praktischem Erleben. Ob versunkene Hochkulturen, seltene Naturschauspiele oder kulinarische Exotik – die BREMEN und<br />
die HANSEATIC führen Sie zu klassischen und neuen Zielen – von der Ostsee bis zur Karibik. Möchten Sie mehr über Kreuzfahrten aus<br />
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Fotos: Imago, Getty, Picture-Alliance (3)<br />
Zeitzeuge Franz Josef Radermacher<br />
„Zeit ist die<br />
finale Ressource“<br />
Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher ist Mitglied im Club of Rome<br />
und Mit-Initiator der Global Marshall Plan Initiative. Als Zukunftsforscher<br />
wagt er den Blick voraus – und erklärt, warum er an die<br />
Fähigkeit des Menschen glaubt, die Zukunft positiv zu gestalten<br />
Interview Maike Zürcher<br />
Herr Prof. Radermacher, würden Sie sagen, Sie sind ein Visionär?<br />
Ja, ich glaube, ich bin ein Visionär.<br />
Was zeichnet denn einen Visionär aus?<br />
Für einen Visionär ist typisch, dass er sich Dinge vorstellen kann,<br />
die es so noch nicht gibt, in meinem Fall insbesondere zukünftige<br />
Entwicklungen für die Menschheit. Ich bin von Neigung und<br />
Ausbildung her Mathematiker und Informatiker. Diese Disziplinen<br />
bewegen sich teilweise in hypothetischen Welten und Konstrukten.<br />
Das ist sicher eine gute methodische Basis, um Vorstellungen<br />
entwickeln zu können, wie man sie bei einem Visionär erwartet.<br />
Sie sind aktives Mitglied im Club of Rome, der 1968 gegründet<br />
wurde. Welche fundamentalen Unterschiede gab es damals in der<br />
Weltlage im Vergleich zu heute?<br />
Die Situation war damals schon nicht einfach, aber doch überschaubarer<br />
als heute. Die Zahl der Menschen lag unterhalb von<br />
65 Prozent der heutigen Größenordnung, der Zugriff auf<br />
Ressourcen war noch viel mäßiger als heute, es gab auch einen<br />
weitgehenden Konsens hinsichtlich einer notwendigen Zusam menarbeit<br />
zwischen Nord und Süd unter wesentlicher Beteiligung der<br />
Staaten. Wegen des Konflikts zwischen West und Ost konnte sich<br />
damals auch kein Marktfundamentalismus durchsetzen. Und die<br />
Hälfte der Welt nahm an Marktprozessen und Wachstum nicht teil.<br />
8 Momentum 1· 2009<br />
Die Situation war aus vielerlei Gründen stärker von einer ökosozialen<br />
Denkrichtung geprägt als heute. Dagegen stand natürlich<br />
die Gefahr eines Ost-West-Konflikts und das Risiko einer atomaren<br />
Vernichtung. Die Weltlage war damals also eine ganz andere als<br />
heute, und zwar in mehrfacher Hinsicht.<br />
Was ist das aktuelle Anliegen des Club of Rome?<br />
Der Club of Rome beschäftigt sich mit den aktuellen Zukunfts fragen<br />
der Menschheit in einer ganzheitlichen systemischen Sicht, so wie er<br />
das von Anfang an getan hat. Die aktuellen Probleme im Welt finanz -<br />
system sieht er als Bestätigung seiner Position. Sie sind Aus druck und<br />
Folge der inadäquaten weltweiten Governance, insbesondere des<br />
marktfundamentalistischen Zugangs zu Fragen der Ökonomie und<br />
auch zu den globalen Entwicklungsfragen. Wir brauchen stattdessen<br />
eine weltweite Ökosoziale Markt wirt schaft, inklusive einer engen<br />
Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Hierzu gehört das<br />
Setzen strikter Grenzen in der Nutzung von Natur und Rohstoffen,<br />
Querfinanzierung von Entwicklung, Kon zen tration auf die Millen -<br />
niumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen, Arbeiten an einem<br />
Balanceverständnis zwischen den großen Kulturen.<br />
Sie sind einer der Gründer der Global Marshall Plan Initiative. Wie<br />
kam es zu dieser Gründung – gab es einen Auslöser dafür?<br />
Die Gründung der Global Marshall Plan Initiative resultierte aus
Momentum 1· 2009<br />
9
Zeitzeuge Franz Josef Radermacher<br />
„Zukunft hat Herkunft – verstehen,<br />
was potenziell möglich ist, geht nur, wenn<br />
man aus der Geschichte lernt“<br />
Oben links: Dr. Aurelio Peccei – der italienische Wissenschaftler gründete 1968 zusammen mit Alexander King den Club of Rome.<br />
Oben rechts: Bundespräsident Horst Köhler (links) mit Eberhard von Koerber, Co-Präsident des Club of Rome, am 6.11.2007 bei einer<br />
Globalisierungskonferenz im Schloss Bellevue. Unten links: Ebenfalls Teilnehmer der Globalisierungskonferenz – Ashok Kosla,<br />
Co-Präsident des Club of Rome. Unten rechts: Jahrestagung des Club of Rome am 14.10.1974 in Berlin mit Prof. Eduard Prestel (links),<br />
Dr. Aurelio Peccei (Mitte) und Prof. Mihajlo Mesarovic (rechts)<br />
10 Momentum 1· 2009
Einsichten einer ganzen Reihe von Akteuren in unterschiedlichen<br />
Gruppierungen der Zivilgesellschaft, im Besonderen auch des<br />
Club of Rome. Man war sich einig, dass man im Sinne der<br />
beschriebenen Überlegungen einen praktisch ausgerichteten Plan<br />
vorlegen müsse, an dem sich viele engagierte Personen und<br />
Organisationen würden orientieren können. Es sollte dies ein Plan<br />
sein, der aufzeigt, wie ein vernünftiger Weg in die Zukunft gestaltet<br />
werden kann, ein Plan, der sich aus Bausteinen zusammensetzt,<br />
von denen viele bereits internationale Unterstützung genießen,<br />
wie zum Beispiel die Durchsetzung der Millenniums ent wick lungs -<br />
ziele der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2015. Diese Zielsetzung<br />
wurde im Jahr 2000 von 191 Staatschefs im Rahmen der Millenniums -<br />
erklärung der Vereinten Nationen unisono verabredet.<br />
Die Ziele sind ja allesamt sehr ehrgeizig. Sind Sie – auch im<br />
Alltagsumfeld – der Auffassung, man sollte sich lieber große Ziele<br />
vornehmen? Oder ist es für die Motivation nicht manchmal besser,<br />
sich leichter erreichbare Zielvorgaben zu setzen?<br />
Die Ziele sind ehrgeizig, ja. Und trotzdem müssten wir eigentlich<br />
viel mehr schaffen. Und natürlich ist es im Alltag einfacher, sich<br />
leichter erreichbare Zielvorgaben zu setzen. Man kann eine Schule<br />
bauen, man kann sich für Menschen in konkreten Notlagen einsetzen,<br />
man kann sich auf Fragen der Korruption konzentrieren<br />
usw. Das sind alles wichtige Themen, und wir bei der Global<br />
Marshall Plan Initiative unterstützen alle derartigen Aktivitäten,<br />
zum Beispiel auch bei den Rotariern. Wir meinen aber, dass sich<br />
die Probleme auf diesem Globus nicht durch Konzentration auf<br />
Einzelfragen lösen lassen. Und manchmal ist eine zu starke<br />
Konzentration auf Einzelfragen auch der Grund, warum man im<br />
Großen nicht weiterkommt. So wenig wie die Probleme dadurch<br />
zu lösen sind, dass man immer beim Individuum anfängt.<br />
Ist Idealismus eine wichtige Antriebskraft, um Dinge voranzutreiben<br />
– oder setzen Sie lieber auf Realitätssinn und Pragmatismus?<br />
Idealismus ist eine wichtige Antriebskraft, aber nicht die einzige.<br />
Manche Menschen werden eher von Idealismus und Altruismus,<br />
andere eher von Realitätssinn und Pragmatismus angetrieben.<br />
Eine gute Kombination von beidem ist einsichtsvoller Egoismus<br />
(insightful selfishness). Alle diese Motivationsstränge sehen wir positiv.<br />
Wir arbeiten aus guten Gründen mit der Weltethos bewe gung<br />
zusammen. Hier geht es um die gemeinsamen ethischen Prinzi -<br />
pien aller Religionen, aber zum Beispiel auch des Humanismus.<br />
Es gibt viele Motivationen, sich für das Richtige einzusetzen.<br />
Sind Sie ein Philanthrop, glauben Sie an das Gute im Menschen?<br />
Ich glaube, dass, über alles betrachtet, Menschen verträgliche und<br />
vor allem kooperative Wesen sind. Denn nur dank unserer Koo -<br />
pe rationsfähigkeit haben wir als Menschheit überlebt. Man kann<br />
den Menschen nicht ändern, aber man muss es auch nicht. Alles,<br />
was man braucht, sind geeignete Umgebungen, geeignete Rahmenbedingungen.<br />
In solchen ist das Verhalten der Menschen in der<br />
Regel in Ordnung.<br />
In welcher Epoche hätten Sie gerne gelebt – welche hätten Sie<br />
spannend gefunden?<br />
Die Menschheit hat in den letzen vier Millionen Jahren vieles erlebt<br />
und viele Situationen durchlebt. Ich beschäftige mich gerne mit den<br />
verschiedenen Bedingungen, unter denen der Mensch gelebt hat, um<br />
unsere Herkunft zu verstehen. Dies betrifft auch unsere eigene Entwicklung<br />
als Art, die Entwicklung des Gehirns, die Ent wicklung der<br />
Sprache, die Entwicklung der Intelligenz, des Bewusst seins und<br />
dann auch die Entwicklung unserer technischen Möglichkeiten.<br />
Ich bin neugierig, ich hätte am liebsten alle diese Perioden in der<br />
ein oder anderen Form durchlebt. Natürlich am liebsten aus der<br />
sicheren Perspektive von heute in einer Art von Zeitreise zu den<br />
wesentlichen Stationen, so wie man heute mit Annehmlichkeiten<br />
der modernen Welt und Technik den Globus bereisen kann.<br />
Mit welchen Gefühlen blicken Sie persönlich in die Zukunft?<br />
Die beschriebene aktuelle Situation für die Menschheit auf dem<br />
Globus, die Zukünfte, die sich hier abzeichnen, bedeuten für<br />
mich insbesondere die Herausforderung, unter schwierigen Gege -<br />
benheiten realistisch zu sein. Wenn man eine schwierige Situation<br />
bewältigen will, dann sollte man sie verstehen. Man sollte wissen,<br />
welche Optionen man hat und was potenziell auf uns zukommt.<br />
Das ist nicht die angenehmste Perspektive, obwohl meine individuelle<br />
Situation bisher völlig in Ordnung ist. Wesentliche Dinge<br />
werden sich über die nächsten 50 Jahre entscheiden. Es spricht<br />
viel dafür, dass ich einen Großteil der Zeit noch miterleben<br />
werde. Wenn es unangenehm wird, können wir nicht weglaufen.<br />
Das spricht dafür, sich einzubringen in den Versuch der Gestal tung<br />
einer vernünftigen Zukunft. Die Chancen dafür sind nicht oberhalb<br />
50 Prozent, aber sie sind substanziell. Ich sehe eine gute Moti vation,<br />
sich mit anderen darum zu bemühen, diese Situa tion positiv zu<br />
bewältigen. Auf jeden Fall ist damit viel Sinn stiftung verbunden.<br />
Man kann eine Menge für andere tun und dabei doch gleichzeitig<br />
auch für sich selber.<br />
Sie werden auch als „Zukunftsforscher“ bezeichnet. Lernt die<br />
Menschheit wirklich aus den Erfahrungen der Vergangenheit, um<br />
es in Zukunft „besser“ zu machen? Oder hat jede Zukunft wieder<br />
so neue Herausforderungen, dass Erfahrungen hinfällig werden?<br />
Als Zukunftsforscher und Systemtheoretiker blickt man in die<br />
Zukunft. Aber dabei gilt: Zukunft hat Herkunft. Verstehen, was<br />
Momentum 1· 2009<br />
11
Zeitzeuge Franz Josef Radermacher<br />
12 Momentum 1· 2009<br />
Informationen<br />
Franz Josef Radermacher Geboren am 20. März 1950 in<br />
Aachen. 1974 promovierte er an der RWTH Aachen in Mathematik,<br />
1976 in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Karlsruhe<br />
(TH). Seine Habilitation in Mathematik erfolgte 1982 an der RWTH<br />
Aachen. Heute ist er Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte<br />
Wissensverarbeitung in Ulm, gleichzeitig Professor<br />
für „Datenbanken und Künstliche Intelligenz“ an der Universität<br />
Ulm, außerdem Mitglied des Club of Rome und Präsident des<br />
Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft<br />
(BWA). 1993 war er einer der Mitgründer der Global Marshall Plan<br />
Initiative. Als jüngste seiner diversen Publikationen erschien<br />
2007 das Buch „Welt mit Zukunft – Überleben im 21. Jahrhundert“<br />
(Murmann Verlag). Franz Josef Radermacher ist verheiratet und<br />
hat einen erwachsenen Sohn.<br />
------------------<br />
Club of Rome Die Vereinigung von internationalen Vertretern<br />
aus den Bereichen Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik<br />
wurde 1968 von Aurelio Peccei und Alexander King in Rom gegründet<br />
mit dem Ziel, sich für eine lebenswerte und nachhaltige<br />
Zukunft der Menschheit einzusetzen. Die Leitidee ist heute eine<br />
nachhaltige Entwicklung, die erfordert, die Bedürfnisse der<br />
Menschen weltweit inklusive der nachfolgenden Generationen an<br />
den begrenzten Ressourcen zu orientieren. Der Club of Rome denkt<br />
und arbeitet in globalen Zusammenhängen und stellt sich gegen<br />
monokausales und kurzfristiges Denken und Handeln. Er möchte<br />
möglichst viele Menschen dazu bewegen, ihr Verhalten so zu<br />
ändern, dass sie im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung handeln.<br />
32 nationale Verbände, davon 22 in Europa, bemühen sich um die<br />
Verwirklichung dieser Ideen. 1972 gab der Club of Rome den<br />
Bericht „Limits to Growth“ („Die Grenzen des Wachstums“) heraus,<br />
der weltweit für Aufsehen und Diskussion sorgte. Seitdem erscheinen<br />
regelmäßig „Berichte an den Club of Rome“ zur Weltlage.<br />
------------------<br />
Global Marshall Plan Initiative Die Idee eines globalen<br />
Marshallplans benannte Al Gore 1990 in seinem Buch „Wege zum<br />
Gleichgewicht – Ein Marshallplan für die Erde“. 2003 gründeten 19<br />
zivilgesellschaftliche Organisationen in Frankfurt am Main die<br />
Global Marshall Plan Initiative. Ziele: ein Ende der Armut, effizient<br />
umgesetztes Umweltbewusstsein, Gesundheit, Gerechtigkeit und<br />
Gleichheit für alle Regionen der Welt – kurz: die Einführung einer<br />
weltweiten Ökosozialen Marktwirt schaft. Sitz der Global Marshall<br />
Plan Foundation ist Hamburg. Zurzeit werden vor allem vier Projekte<br />
koordiniert: global-contract.org – Die Stiftung Weltvertrag setzt<br />
sich für globale Rahmenbedingungen ein. globalmarshallplan.org<br />
– Initiative für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft. globalcommons.org<br />
– weltweiter Beteiligungspro zess für die globalen<br />
Gemeinschaftsgüter. plant-for-the-planet.org – Schüler fordern Klimagerechtigkeit<br />
und pflanzen gleichzeitig Millionen Bäume.<br />
potenziell möglich ist, geht nur, wenn man aus der Geschichte<br />
lernt. Und natürlich lernt die Menschheit aus der Vergangenheit,<br />
auch wenn der einzelne Mensch immer wieder neu anfängt. Die<br />
Menschheit hat ihre Erfahrungen vor allem in Governancesysteme<br />
übersetzt. Das heißt, in Strukturen, wie wir miteinander umgehen,<br />
wie wir uns organisieren, von Demokratie bis Gewaltenteilung,<br />
von Verfassungsgericht bis zu Bürgerbegehren, von Rechtsstaat -<br />
lichkeit bis zu Polizeirecht haben wir viel gelernt und machen es<br />
uns nutzbar. Schwierig bleibt natürlich die unglaubliche Dynamik,<br />
mit der sich die Menschheit bezüglich der Anzahl der Menschen<br />
und der technischen Möglichkeiten entwickelt. Insofern ist dann<br />
jede Zukunft auch wieder neu. Es hat die jeweilige Konstellation<br />
so noch nie gegeben. Deshalb werden Erfahrungen auch hinfällig.<br />
Deshalb müssen wir nicht nur lernen, sondern auch verlernen.<br />
Wir müssen suchen, gewappnet mit dem „Schatz“ unserer Erfah -<br />
rungen. Dabei müssten wir erfolgreich versuchen, das jeweils Neue<br />
zu verstehen. Das macht die Situation so schwierig.<br />
Glauben Sie, dass jede Epoche der Menschheitsgeschichte auf ihre<br />
Art besonderen Herausforderungen ausgesetzt war, die sich nicht<br />
vergleichen bzw. relativieren lassen – oder „trifft“ es manche<br />
objektiv gesehen besonders hart? Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang<br />
unsere Gegenwart?<br />
Ohne Zweifel ist jede Epoche der Menschheitsgeschichte besonderen<br />
Herausforderungen ausgesetzt, die sich nicht vergleichen<br />
oder relativieren lassen. Und manchmal sind die Verhältnisse<br />
objektiv einfacher als zu anderen Zeitpunkten. Im Besonderen ist<br />
es in jüngerer Zeit, das heißt über die letzten 10.000 Jahre, so,<br />
dass sich die Verhältnisse systematisch und schnell, teilweise<br />
extrem schnell, verändern in Bezug auf unsere technischen und<br />
organisatorischen Möglichkeiten und in Bezug auf die Anzahl der<br />
Menschen. Charakteristisch ist für diesen Zeitraum, dass wir<br />
immer zu viele sind, die zu viel wollen für das, was wir können.<br />
Aber die Anzahl von Menschen und das, was sie wollen und können,<br />
ist natürlich zu jedem Zeitpunkt sehr verschieden. Insofern sind<br />
wir mit immer neuen Fragen beschäftigt, ausgestattet mit einem<br />
immer besseren Wissen über Verhältnisse in der Vergangenheit.<br />
Haben Sie ein Motto zum Thema „Zeit“?<br />
Meine Lebenserfahrung ist im Wesentlichen bestimmt durch Zeit -<br />
knappheit und die Beschäftigung mit der Zukunft. Einstein hat einmal<br />
gesagt, er beschäftige sich viel mit der Zukunft, weil er dort<br />
noch viel Zeit verbringen wolle. Das sehe ich ebenso. Eine wichtige<br />
Lebenserfahrung ist darüber hinaus aus meiner Sicht, dass Zeit<br />
Wunden heilt, aber auch, dass das Heilen von Wunden Zeit<br />
braucht. Das vielleicht wichtigste Motto ist für mich: Zeit ist die<br />
finale Ressource.
Fotos: G.Giesler, Ch.Schwalbach, T.Schuhmacher, A.Achmann, M.Kreuzer alle PMI, Fotolia (6), Imago (3), iStockphoto, Getty<br />
14 Momentum 1· 2009<br />
Momente Weltzeit<br />
Im Zeitplan<br />
der Welt<br />
Stunde für Stunde gliedert sich die Zeit der Welt:<br />
24 Zonen, je 15 Längengrade, immer der Sonne nach. Und all das,<br />
weil ein Schotte wollte, dass seine Züge pünktlich sind<br />
Text Norbert Misch-Kunert<br />
Im Oktober 2009 feiert die Internationale Meridiankonferenz ihr 125-jähriges Jubiläum: 1884 wurde die Aufteilung der Welt in 24 Zeitzonen beschlossen
UTC + 12 | Neuseeland<br />
Von Greenwich aus das andere<br />
Ende der Welt: Wenn es hier Mittag<br />
ist, liegt Europa im Schlaf<br />
Das muss ein superschneller Flieger gewesen sein“,<br />
staunte der Filius meines Freundes aus Boston,<br />
als wir vom Logan International auf die Interstate<br />
90 bogen. „Schön wär’s!“, lachte ich. Nur zu gern<br />
hätte ich den Acht-Stunden-Flug von Deutschland<br />
nach Neueng land mit einem X-15-Jet verkürzt,<br />
doch auch diesmal war es nur ein ganz normaler Airbus. Und der<br />
düst leider nicht mit Hyperschall über den Atlantik, sondern mit<br />
eher gemächlichen 880 km/h. „Aber du hast nur zwei Stunden<br />
gebraucht“, bohrte der kleine Schlau meier weiter, der wohl mitbekommen<br />
hatte, dass mein Flieger um 12 Uhr in Frankfurt abhebt<br />
und um 14 Uhr in Boston landet. Wir wissen natürlich: 14 Uhr<br />
Ortszeit. Doch wie erklärt man dem Nachwuchs, der in der Grammar<br />
School gerade die Uhrzeiten durchnimmt, die Sache mit den Zeit -<br />
zonen – ein Thema, bei dem so sperrige Begriffe wie Null meridian,<br />
geografische Länge und koordinierte Weltzeit UTC vorkommen?<br />
Nun, vielleicht am besten mit dem guten alten „Es war einmal ...“<br />
Es war einmal ein kluger Mann names Sandford<br />
Fleming; er stammte aus Kirkcaldy an der Ostküste Schottlands. Im<br />
Alter von 18 Jahren wanderte Sandford Fleming nach Kanada aus,<br />
arbeitete als Land vermesser und wurde später zu einem bedeutenden<br />
Eisenbahn-Ingenieur und Gründungsmitglied der Royal<br />
Society of Canada, der kanadischen Akademie der Wissen schaften.<br />
UTC + 8 | Lombok<br />
Indonesien hat drei Zeitzonen.<br />
Lombok liegt genau in der Mitte:<br />
Weltzeit plus 8 Stunden<br />
UTC + 11 | Neukaledonien<br />
Gehört zu Frankreich, doch die<br />
Uhren ticken deutlich anders: plus<br />
elf Stunden zur Weltzeit<br />
UTC + 7 | Bangkok<br />
In Thailand, dem „Land der Freien“,<br />
gehen die Uhren sieben Stunden vor<br />
UTC + 10 | Sydney<br />
Erst auf die Uhr schauen, dann in<br />
die Oper: In Sydney gelten zehn<br />
Stunden plus<br />
UTC + 9 | Japan<br />
Im Land der aufgehenden Sonne<br />
gilt die Japan Standard Time: neun<br />
Stunden plus<br />
Dieser kluge Mann aus Schottland also war es, der im Jahre 1879<br />
als Erster ein weltumspannendes, einheitliches System von<br />
Zeitzonen vorschlug. Er nannte es die „Eisenbahnzeit“. Als<br />
Eisenbahn-Ingenieur hatte Sandford Fleming nämlich schon lange<br />
mit einem Problem zu kämpfen, das mit den vielen verschiedenen<br />
Zeiten entlang seiner Bahnlinien zu tun hatte.<br />
Dazu muss man wissen, dass ursprünglich jeder Ort seine eigene<br />
Uhrzeit hatte. Die Zeiger wurden einfach nach der Sonne gestellt:<br />
Wenn die Sonne ihren höchsten Punkt über dem Horizont erreichte,<br />
war es (mehr oder weniger genau) zwölf Uhr mittags. Mit dem<br />
Einzug der Telegrafie zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden<br />
zwar die ersten Zeitsignale gesendet, nach denen man im ganzen<br />
Land die Uhren stellen konnte. Doch dabei handelte es sich meist<br />
um die örtliche Zeit der Hauptstadt. Gleich hinterm Grenzstein<br />
galt schon wieder eine andere Zeit. Das wirkte sich vor allem auf<br />
die Bahn gesellschaften aus, die ihre Züge über weite Strecken<br />
fahren ließen und verschiedene regionale Zeiten mit ihrem eigenen<br />
Zeitplan in Einklang bringen mussten. Dabei ging es zwar<br />
meist nur um Minuten, aber schon diese kleinen Abweichungen<br />
erschwerten die Gestaltung des Fahrplans enorm.<br />
Wie verzwickt die Lage war, zeigt das Beispiel des<br />
Genfer Inselturms. Er hatte um 1880 gleich drei Uhren: Die rechte<br />
Uhr zeigte die landesweit gültige Berner Zeit, die mittlere die<br />
UTC + 6 | Bangladesch<br />
Im „Land der Bengalen“ rücken die<br />
Zeiger im Vergleich zur Weltzeit um<br />
sechs Stunden nach vorne<br />
UTC + 5 | Pakistan<br />
Die Islamische Republik geht der<br />
Weltzeit um fünf Stunden voraus<br />
Momentum 1· 2009<br />
15
16 Momentum 1· 2009<br />
Momente Weltzeit<br />
UTC + 4 | Georgien<br />
Südlich des Großen Kaukasus muss<br />
man die Uhren um vier Stunden<br />
vorstellen<br />
Ortszeit in Genf (Bern minus fünf Minuten), und die linke zeigte<br />
die Zeit von Paris bzw. der Bahnlinie dorthin (Bern minus 20<br />
Minuten). Die Eisenbahn gesell schaften – und allen voran Sir<br />
Fleming – hatten also großes Interesse, die Zeiten zu vereinheitlichen<br />
und zu systematisieren: Die ganze Welt – so die Überlegung<br />
– solle sich in gleich große Abschnitte gliedern, in denen zu<br />
einem gegebenen Zeitpunkt verbindlich dieselbe Uhrzeit und dasselbe<br />
Datum gelten.<br />
Fünf Jahre später, im Oktober 1884, ging Sir<br />
Flemings Wunsch in Erfüllung: In Washington D. C. trafen sich die<br />
Vertreter von 25 Nationen auf der Internationalen Meridian konfe -<br />
renz, um eine künstliche Nord-Süd-Linie – den sogenannten Null -<br />
meridian – als Basis für ein weltweites Koordinatensystem festzulegen.<br />
Vom Nullmeridian aus wird die geografische Länge (auch<br />
als Längengrad bezeichnet) nach Osten und Westen bestimmt. Im<br />
Laufe der Konferenz setzte sich als einer von fünf „Kandidaten“<br />
der Greenwich-Meridian durch, benannt nach dem Royal<br />
Greenwich Observatory in der Nähe von London. Die Wahl lag<br />
nahe, denn Greenwich war schon lange Bezugspunkt für die<br />
astronomische Navigation, außerdem Standardmeridian für viele<br />
Seekarten und Namensgeber für die seit 1880 geltende gesetzliche<br />
Standardzeit im Vereinigten Königreich: die „Greenwich Mean<br />
Time“, die fortan auch als „Weltzeit“ dienen sollte. Nach der<br />
UTC -4 | Barbados<br />
Auf den Kleinen Antillen schlägt ein<br />
anderer Puls der Zeit: minus vier zur<br />
Weltzeit<br />
UTC + 3 | Moskau<br />
In Russland gehen die Uhren anders:<br />
nämlich drei Stunden vor der<br />
Weltzeit<br />
UTC -5 | Toronto<br />
Mittagszeit in Europa, Zeit zum<br />
Frühstücken in Kanadas größter<br />
Stadt. Weltzeit minus fünf<br />
UTC + 2 | Ägypten<br />
Die Pyramiden überdauern alle<br />
Zeiten – was sind da schon zwei<br />
Stunden mehr?<br />
UTC + 1 | Berlin<br />
Ist das Berlin von heute der Zeit<br />
voraus? Zumindest der Weltzeit –<br />
plus eine Stunde<br />
Einigung auf einen Nullmeridian konnte man die Erde in 24<br />
Stundenzonen aufteilen, die der Erdrotation und dem Gang der<br />
Sonne folgen. Jede Zeitzone war als Gebiet zwischen zwei geografischen<br />
Längen mit einem Abstand von 15 Grad definiert. Der<br />
Zeitversatz zwischen benachbarten Zonen betrug exakt eine Stunde<br />
– was nicht nur für Eisenbahn-Planer eine leicht zu berechnende<br />
Größe war.<br />
Exakt den geografischen Längen folgen die Zeit zonen<br />
jedoch nur in der Grundidee. In der praktischen Umsetzung musste<br />
man auch der kulturellen und adminis trativen Zusammengehörig -<br />
keit der Regionen Rechnung tragen. Die Zeitzonen weichen deshalb<br />
oft vom Längen grad ab, um einer Landesgrenze zu folgen. Im<br />
Prinzip ist jedes Land einer Zeitzone zugeordnet. Länder mit be -<br />
sonders großer Ost-West-Ausdehnung erstrecken sich sogar über<br />
mehrere Zeitzonen. In Russland, dem flächenmäßig größten Staat<br />
der Erde, gibt es elf Zeitzonen, in den USA sechs, in Kanada fünf,<br />
in Australien vier. Der Inselstaat Indonesien teilt sich in drei<br />
Zeitzonen auf. Ein Sonderfall ist China: Mit ihrer 4.200 Kilometer<br />
langen Ost-West-Ausdehnung würde die Volksrepublik die geografische<br />
Länge von fünf Zeitzonen umspannen. Offiziell hingegen<br />
ist die gesamte Region einschließlich des chinesischen Festlands,<br />
Hongkong, Macau und der Republik China (Taiwan) der gleichen<br />
Zeitzone zugeordnet. Sie ist der Weltzeit um acht Stunden voraus<br />
UTC -6 | Costa Rica<br />
Die „reiche Küste“ zwischen Karibik<br />
und Pazifik liegt sechs Stunden hinter<br />
der Weltzeit<br />
UTC -7 | Mexiko<br />
Der südliche Nachbar der USA ist<br />
drei Zeitzonen groß. Minus sieben<br />
am Golf von Mexiko
UTC 0 | Greenwich<br />
Die Mutter aller Uhrzeiten: Greenwich<br />
Mean Time, später von der<br />
Weltzeit UTC abgelöst<br />
und orientiert sich an der geografischen Lage der Städte Shanghai<br />
und Peking. Diese Festlegung hat zur Folge, dass der astronomische<br />
Mittag im Osten Chinas schon um 11 Uhr eintritt, im westlichsten<br />
Zipfel des Landes jedoch erst um 15 Uhr.<br />
Das Beispiel der Volksrepublik China zeigt, dass die<br />
Zeitzonen neben dem Sinn, eine für die Region einheitliche<br />
Tageszeit anzugeben, oft auch eine politische, ökologische oder<br />
wirtschaftliche Bedeutung haben. In Nepal zum Beispiel werden<br />
die Uhren 15 Minuten weiter vorgestellt, um sich vom großen<br />
Nachbarn Indien abzugrenzen. In Venezuela ließ Staatspräsident<br />
Chavez 2007 die Zeit um eine halbe Stunde zurückstellen, um der<br />
geografischen Lage des Landes Rechnung zu tragen – und weil er<br />
die Zeitvereinheitlichung mit dem Kontinent ablehnt.<br />
Auch Zeit zonen-Hopping ist populär geworden: Um Energie einzusparen,<br />
stellen viele Länder in der Frühlingsmitte die Uhren<br />
eine Stunde vor und im Herbst wieder zurück. So gilt in den meisten<br />
Staaten der Europäischen Union im Winter die<br />
Mitteleuropäische Zeit (MEZ) und in den Sommermonaten die<br />
Mitteleuropäische Som mer zeit (MESZ).<br />
Die zeitliche Verein heitlichung in weiten Teilen Europas führt<br />
dazu, dass im Nordosten, auf den norwegischen Vardø-Inseln, die<br />
„mittlere Sonne“ bereits um 10:53 Uhr MEZ am höchsten Punkt<br />
steht, am Kap Finisterre, im Nordwesten Spaniens, dagegen erst<br />
UTC -8 | Los Angeles<br />
Der Terminator musste die Uhr acht<br />
Stunden zurückdrehen, als er in<br />
Kalifornien landete<br />
UTC -1 | Grönland<br />
Im Osten Grönlands immer schön<br />
die Uhr warm halten. Und eine<br />
Stunde zurückdrehen<br />
UTC -9 | Alaska<br />
Nein, die Uhr ist nicht festgefroren.<br />
Sie geht nur neun Stunden nach<br />
UTC -2 | Auf dem Atlantik<br />
Mit der Yacht auf großer Fahrt?<br />
Justieren Sie den Chronometer!<br />
UTC -3 | Rio de Janeiro<br />
Brasilien erstreckt sich über drei<br />
Zeitzonen. In Rio stellt man die Uhr<br />
drei Stunden früher<br />
um 13:37 Uhr MEZ. Das weit im Westen liegende Portugal hat die<br />
Uhren wieder zurückgestellt, weil die Kinder selbst im Sommer<br />
noch morgens bei Dunkelheit zur Schule gehen mussten, und<br />
liegt nun in einer Zeitzone mit Irland und dem Vereinigten<br />
Königreich.<br />
In Kuba hingegen wurden die Uhren vorgestellt – und<br />
blieben auch dort: Eine Energiekrise führte dazu, dass die Sommer -<br />
zeit 2004 bis zum Herbst 2006 andauerte. Handfeste wirtschaftliche<br />
Gründe sind es auch, warum in Singapur dieselbe Zeit gilt wie in<br />
Hongkong: So können die Börsen der beiden Städte zur selben<br />
Zeit öffnen und schließen. Eine besondere Lösung musste man für<br />
die Antarktis finden, denn der Kontinent am Südpol erstreckt sich<br />
ja über alle 24 Zeitzonen. Also wurde festgelegt, dass für die<br />
ganze Antarktis die „koordinierte Weltzeit“ UTC (Universal Time<br />
Coordinated) gilt. Sie ist die moderne Variante der Greenwich Mean<br />
Time und wird heute nicht mehr astronomisch, sondern mit Hilfe<br />
von Atomuhren ermittelt. Die Weltzeit UTC gilt auch als Referenz zeit<br />
in der Luft- und Seefahrt, in der Wissenschaft, beim Amateurfunk,<br />
auf vielen Internet-Portalen und in E-Mails. Selbst im Weltall, auf<br />
der Raumstation ISS, werden die Uhren nach der UTC gestellt. Die<br />
ISS kreist in 91 Minuten einmal um die Erde, im rasenden Tempo<br />
von 28.000 km/h. Und da, mein kleiner Flugplanforscher aus<br />
Boston, kann selbst der schnellste Jet nicht mithalten. ✺<br />
UTC -10 | Hawaii<br />
Willkommen im Aloha-Staat. Bitte<br />
stellen Sie Ihre Uhren zehn Stunden<br />
zurück!<br />
UTC -11 | Samoa<br />
Die Idylle täuscht. Auf Samoa spielt<br />
man am liebsten Rugby. Anpfiff: elf<br />
Stunden früher<br />
Momentum 1· 2009<br />
17
18 Momentum 1· 2009<br />
Zeitzonen Norwegen<br />
Gar nicht so eisig – dank Golfstrom
lässt es sich auch im Meer baden und Wassersport treiben<br />
Im Land der glücklichen<br />
Menschen<br />
Text Ebba D. Drolshagen<br />
Norwegen hat Landschaften von legendärer Schönheit,<br />
es ist demokratisch, sicher, friedlich – und schafft<br />
den Spagat zwischen Tradition und Moderne. Ein<br />
Porträt über das Land der positiven Schlagzeilen<br />
Momentum 1· 2009<br />
19<br />
Fotos: Nancy Bundt, Per Eide, Johan Wildhagen für Innovation Norway, Getty, Roland Halbe/Arthur, Juvet
Zeitzonen Norwegen<br />
Oben: Faszinierendes Naturschauspiel<br />
der nördlichen Breiten – Polarlichter<br />
tauchen die Welt in magisch-leuchtende Farben<br />
Unten: Sie lieben ihr Land, die Norweger –<br />
das beweisen sie jedes Jahr am 17. Mai,<br />
dem Nationalfeiertag. 111 Schulklassen<br />
ziehen mit Fahnen am Schloss und der<br />
winkenden Königsfamilie vorbei<br />
20 Momentum 1· 2009<br />
Norwegen ist reich. Sehr reich. Dieser Reichtum verdankt sich nicht nur<br />
dem Nordsee-Öl, sondern auch Politikern in den Sechziger jahren, die<br />
Ölkonsortien zu restriktiven Ver trä gen zwangen. Darum hatte das Land<br />
Ende 2008 310 Milliarden US-Dollar im Sparstrumpf. Sie werden für<br />
künftige Generationen investiert, der Staat gibt ungern Geld für Waffen<br />
und Prestige-Objekte aus. Angesichts der weltweiten Not bedauerte Finanz minis terin<br />
Halvorsen unlängst öffentlich die Notwendigkeit, Geld für Kampfjets ausgeben zu müssen.<br />
Das ist kein leeres Gerede. Norwegen wurde unlängst zum friedlichsten Land der Welt<br />
gekürt. Seit 1901 verleiht es den Friedensnobelpreis, den politischs ten aller Nobelpreise,<br />
deren Träger sich – oft gegen die Mächtigsten – mit den Schwachen solidarisieren. Das<br />
tut Norwegen auch im Alltag. Knapp ein Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts<br />
fließt in die Entwicklungshilfe, in Deutschland sind es 0,37 Prozent, in den USA 0,16<br />
Prozent. Verständlich, warum Norwegen ein so hervorragendes Image hat.<br />
Lage und Geografie des Landes sind in vielem extrem. Extrem sind der 24-<br />
Stunden-Tag des Polarsommers und die wochenlange Finsternis der Polarnacht mit ihrem<br />
magischen Nordlicht. Extrem ist auch seine Form: Der westlichste Punkt liegt auf der<br />
Höhe von Amsterdam, der östlichste auf der von Kairo. Festlandnorwegen ist 1.752<br />
Kilometer lang, aber an der schmalsten Stelle absurde 1,6 Kilometer breit. An drei Seiten<br />
gibt es nur einen Nachbarn, das Meer, und wie sehr es die Norweger respektieren,<br />
beweist beispielsweise die Kirche der Westküstenstadt Ålesund. Deren Altar<br />
steht nicht im Osten, sondern im Westen; sie wurde also „verkehrt herum“<br />
gebaut. Sonst könnten die Stürme vom Meer im Westen ungehindert durch das<br />
offene Portal bis zum Altar brausen.<br />
Das lang gestreckte Land besteht vor allem aus Granit. Daher kennen sich die<br />
Norweger mit Meer und Fels aus, und wie sie beides nutzen und bezwingen,<br />
ist oft atemberaubend. Sie sind Experten im Bereich Öl- und Gasförderung,<br />
entwickeln neue Gezeitenkraftwerke und das erste Salzkraftwerk der Welt, finden<br />
neue Methoden der Fischzucht, bauen rekordverdächtige Tunnel und<br />
Brücken. Die innovativsten (und womöglich kühnsten) Bauwerke Norwegens<br />
bekommt allerdings kaum jemand zu Gesicht, obwohl das höchste mit 172<br />
Metern höher ist als der Eiffelturm. Nur wer von der Küste aus in Richtung<br />
Westen fliegt, sieht sie, die Förderplattformen in der Nordsee. Betreten darf sie<br />
kaum einer, ausgenommen jene, die da arbeiten.<br />
Auch auf anderen begehrenswerten Listen steht Norwegen weit<br />
oben. So hat es den höchsten Lebensstandard der Welt und ein hohes Maß an<br />
Gleich berechtigung. Nahezu alle Norwegerinnen sind erwerbstätig, viele erreichen<br />
einflussreiche Positionen. Mindestens 40 Prozent aller Aufsichtsräte und<br />
40 Prozent der Minister sind Frauen. Zugleich hat Norwegen eine der höchsten<br />
Geburtenraten Europas. Das ist nur möglich, weil Kinderbetreuung nicht (nur)<br />
als Problem der Eltern, sondern als gesellschaftliche Aufgabe definiert wird und<br />
weil die Männer ihre Hälfte der Hausarbeit und der Kindererziehung erledigen.<br />
So findet es niemand eigenartig, wenn der Außenminister in seinem<br />
Amtszimmer ein Interview gibt und sein Sohn daneben Hausaufgaben macht,<br />
weil Papa mit der Kinderbetreuung dran ist.<br />
Die 500 Kilometer lange Küste zwischen Stavanger und Molde ist<br />
das berühmte Fjordland, Geirangerfjord und Nærøyfjord stehen seit 2005 sogar<br />
auf der Welt naturerbe-Liste der UNESCO. Aber es gibt zahllose weitere und weni-
4,7 Millionen Norweger gibt es –<br />
und sie genießen den höchsten<br />
Lebensstandard der Welt in einem<br />
Land, das zum friedlichsten der<br />
Welt gekürt wurde<br />
Oben: Der Stadtkern von Ålesund<br />
an der Westküste wurde 1904 komplett<br />
im Jugendstil wiederaufgebaut<br />
Unten: Regenbogen über dem Flø<br />
Feriesenter in der Nähe von Ålesund<br />
Momentum 1· 2009<br />
21
22 Momentum 1· 2009<br />
Zeitzonen Norwegen<br />
Spiel mit Assoziationen von Schnee-<br />
und Eisbergen – die Architektur der<br />
Oper von Oslo ist eine der großen<br />
Attraktionen der Hauptstadt<br />
Oben: 2007 erbaut –<br />
die Oper von Oslo<br />
Unten: Der norwegische<br />
Sommer ist kurz,<br />
aber intensiv –<br />
und wird entsprechend<br />
ausgekostet
ger bereiste Gegenden, die Ruhe und Entschleunigung bieten. Schließlich ist kein Ort in<br />
Norwegen weiter als 30 Minuten Fahrzeit von einer unberührten Natur entfernt. Man kann<br />
magische Landschaften wie die Hochebene Hardangervidda in Mittelnorwegen oder die<br />
Finnmarksvidda im äußersten Norden mit dem Auto durchqueren oder – im Winter auf<br />
Skiern – durchwandern. Man kann an einem der 450 Lachsgewässer angeln. Man kann<br />
mit den Postschiffen von Bergen bis in den äußersten Norden nach Kirkenes reisen. Der<br />
Zauber des kurzen, intensiven Sommers an Norwegens Küsten aber ist immer noch ein<br />
echter Geheimtipp. Denn auch wenn die Südspitzen Norwegens und Grönlands gleichauf<br />
liegen, muss dank des Golfstroms bei Wassertemperaturen von 18 Grad Celsius und<br />
mehr niemand ein Held sein, um im Meer zu baden. Dennoch bleiben die Norweger dort<br />
in den hellen Nächten weitgehend unter sich.<br />
Fast alle wichtigen Städte liegen an der Westküste, dem Meer zugewandt, jede hat einen<br />
ganz eigenen Charakter: Stavanger ist das Zentrum der Ölindustrie und hat sich doch sein<br />
behagliches Stadtbild erhalten. Norwegens zweitgrößte Stadt, das pittoreske Bergen, war<br />
mehrere Jahrhunderte lang eine Niederlassung der deutschen Hanse und lebt seit jeher<br />
vom Handel. Der Fischereihafen Ålesund nördlich davon ist die ungewöhnlichste Stadt<br />
des Landes, ihr Kern wurde 1904 nach einem Stadtbrand vollständig im Jugendstil wiederaufgebaut.<br />
In Trondheim schließlich steht der Nidarosdom, die einzige wirkliche Kathe drale<br />
im Land der Stabkirchen. Diese sind, wie Wikingerschiffe, vollständig aus Holz und ohne<br />
einen Nagel erbaut und Norwegens originärer Beitrag zur Architektur geschichte der Welt.<br />
Das finanzielle und kulturelle Zentrum des Landes ist Oslo. Zugleich dürfte<br />
es kaum eine zweite Hauptstadt geben, die so urban und so naturnah zugleich ist. Unglaubliche<br />
454 Quadratkilometer ist Oslo groß, drei Viertel davon sind Wald. Nur zwanzig S-Bahn-<br />
Minuten vom Zentrum entfernt gibt es 2.600 Kilometer Loipen, einige bis 23 Uhr beleuchtet;<br />
ebenso lang dauert im Sommer die Fährfahrt zu einer der vielen Inseln im Oslofjord.<br />
Wer sich an deren Badestränden sonnt, kann sich nur schwer vorstellen, dass die<br />
Hauptstadt nur wenige Bootsminuten und eine halbe Körperdrehung entfernt ist.<br />
Das neue Wahrzeichen Oslos ist die 2007 eröffnete Nationaloper. Das Gebäude aus blendend<br />
weißem Marmor ist ebenso kompromisslos modern wie typisch norwegisch. Es zitiert Eis -<br />
berge und Schneegipfel, und es dürfte das einzige Opernhaus der Welt sein, dessen Dach<br />
jedermann von außen besteigen kann – wie einen echten Berggipfel. Die Attraktion im<br />
Inneren ist der Große Saal, dessen Maße der Dresdner Semperoper nachgebildet wurden.<br />
In unmittelbarer Nähe liegt die Karl Johans gate. Sie führt auf das Schloss zu und ist die<br />
schönste Straße der Stadt. Die eleganten Geschäfte befinden sich allerdings in den Parallelund<br />
Seitenstraßen. Die Akersgate beispielsweise sei dabei, „Oslos New Bond Street“ zu<br />
werden, sagt Uhrmacher Tidemann lächelnd, der als einziger Uhrmacher des Landes<br />
<strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong> führt. Das exklusivste Festgewand der modernen Norwegerin stammt<br />
allerdings nicht aus einer Boutique, sondern von Norwegens Küsten und Fjorden, Hoch -<br />
ebenen und Tälern: Viele Frauen besitzen die bestickte Tracht ihrer Heimatregion – auch<br />
immer mehr Männer. Kronprinz Haakon erschien schon zu offiziellen Anlässen in Tracht.<br />
Wer die etwa vierhundert norwegischen Trachtenvarianten sehen möchte,<br />
muss am 17. Mai, dem norwegischen Nationalfeiertag, in Oslo sein. Wie überall im Land<br />
gibt es auch hier einen Umzug der Kinder, 111 Schulklassen ziehen singend und fähnchenschwenkend<br />
am Schloss vorbei, wo die Königsfamilie auf einem Balkon steht und<br />
ihren Untertanen begeistert zuwinkt. Und alle singen sie die Nationalhymne, die mit den<br />
bewegend einfachen Worten „Ja, wir lieben dieses Land“ beginnt. Das tun sie wirklich,<br />
die Norweger. Sie leben in der Tradition wie in der Gegenwart, ohne sich gespalten zu<br />
fühlen. Sie sind binnen einer Generation von einem armen zu einem reichen Land<br />
geworden, ohne ihre moralischen Grundsätze verraten zu haben. Kein Wunder, dass sie<br />
stolz sind auf ihr Land. Ganz besonders stolz aber macht sie etwas anderes: Nach<br />
Russland und Deutschland steht das winzige Land mit seinen 4,7 Millionen Einwohnern<br />
auf dem dritten Medaillenplatz der Olympischen Winterspiele. ✺<br />
Architektonisches Highlight mitten in der Natur:<br />
das Landschaftshotel Juvet am Geirangerfjord<br />
Norwegen Informationen<br />
Reisen: Norwegen en miniature (Norway in a nutshell).<br />
Rundreise Bergen/Oslo per Zug und Schiff durch Fjordnor we -<br />
gen. Unbedingt empfehlenswert! www.norwaynutshell.com ·<br />
Schiffsreise entlang der Küste mit der Hurtigrute. Eine der<br />
beliebtesten Arten, Norwegen zu bereisen. www.hurtigruten.de<br />
Oslo<br />
Kultur: Norwegische Oper, Kirsten Flagstads plass 1. Die<br />
Besichtigung ist absolute Pflicht! www.operaen.no · Vigeland<br />
Park mit 212 Skulpturen. Lieblingspark der Osloer wie der<br />
Besucher. www.vigeland.museum.no · Munch-Museum,<br />
Tøyengata 53. www.munch.museum.no · Museumsinsel<br />
Bygdøy, mit großem Freilichtmuseum u.a. und dem Kon-Tiki-<br />
Museum. Der Ort für Kinder!<br />
Essen: Theatercaféen, Stortingsgaten 24/26. Jugendstil-<br />
Restaurant, Treffpunkt für Geschäftsleute, Intellektuelle und<br />
Künstler. www.hotel-continental.com · Ekeberg Restaurant,<br />
Kongsveien 15. Aufwendig restauriertes Gebäude des skandinavischen<br />
Funktionalismus mit grandioser Aussicht. www.ekebergrestauranten.com<br />
· Olympen Mat & Vinhus, Grønlandsleiret<br />
15. Arbeiterkneipe seit 1892. Heute ein angenehm unprätentiöses<br />
Restaurant in einem multikulturellen Stadtteil.<br />
www.olympen.no<br />
Übernachten: Grand Hotel, Karl Johans gate 31. Zentral<br />
und traditionsverbunden. Hier wohnen die Nobelpreisträger.<br />
www.grand.no · Hotel Bristol, Kristian IV's gate 7. Zentral<br />
gelegen. Die Bibliothekbar ist ein eleganter und intimer Ort für<br />
kleine Pausen. www.bristol.no · Grims Grenka, Kongens gate<br />
5. Neues Design-Hotel. Von Wallpaper zu einem der 50 besten<br />
Geschäftshotels der Welt gekürt. www.grimsgrenka.no<br />
Shopping: GlasMagasinet, Stortorvet 9, und Steen og<br />
Strøm, Nedre Slottsgate 8. Die besten Warenhäuser der Stadt.<br />
www.glasmagasinet.no und www.steenogstrom.no · Norway<br />
Designs, Stortingsgata 28, direkt am Nationaltheater. Souvenirs<br />
in klassischem norwegischen Design. · Tidemann Urmakermester,<br />
Akersgata 18. Kleines, exklusives Uhrengeschäft.<br />
Norwegischer Vertragshändler von <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong>.<br />
Andernorts<br />
Ålesund: Hotel Brosundet, Altes Lagerhaus, minimalistisch<br />
eingerichtet vom Architekturbüro Snøhetta, das die norwegische<br />
Oper gebaut hat. www.brosundet.no<br />
Am Geirangerfjord: Landschaftshotel Juvet,<br />
Architektonisch radikal neues Hotel. Die Gäste können<br />
in mehrtägigen Programmen die norwegische Natur<br />
kennenlernen. www.juvet.com<br />
Informationen zu historischen Hotels in Norwegen:<br />
www.dehistoriske.com<br />
Momentum 1· 2009<br />
23
Kalendarium Neuigkeiten<br />
Sportskameraden<br />
für alle Fälle<br />
Mit dem Mountainbike im Rücksturz zum Tal, eine Adrenalinrallye offroad, Wild -<br />
wasser rafting in den Rockys – es gibt so einige Dinge im Leben, da kommt es nicht<br />
nur auf Präzision und Genauigkeit an, sondern auf die Robustheit von Mensch und<br />
Gerät. <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong> stellt zwei Uhren vor, die auch bei extremer sportlicher<br />
Belastung nicht schlappmachen. Sport Evolution Impact Chronograph und Sport<br />
Evolution Impact Tourbillon, zwei starke Typen, deren Stoßdämpfungssystem optimale<br />
Zuverlässigkeit und Ganggenauigkeit auch unter großer Belastung garantiert.<br />
Das wird möglich durch ein fortschrittliches und flexibles Material, das in<br />
Kooperation mit der Technologie-Entwickung des Fraunhofer Instituts<br />
entdeckt wurde. Vier Elemente aus Elastomer, so der Name des<br />
dämpfenden Stoffes, werden zur Aufhängung von Uhrwerk und<br />
Zifferblatt eingesetzt und stellen die Verbindung zum<br />
Gehäuse her.<br />
Beide Modelle machen sich in einem 46 mm<br />
großen Edelstahlgehäuse stark. Der Chronograph mit<br />
Stopp sekunde verfügt über eine Tachymeter lünette zur<br />
Geschwindigkeitsmessung. Das limitierte Sport Evolution<br />
Impact Tourbillon vereint die traditionsreiche faszinierende<br />
Tourbillon technik mit moderner Innovation und<br />
Design. Das Automatikwerk Kaliber 94 verkörpert, zu sammen<br />
mit dem Fliegenden Tourbillon zur Ausschaltung der<br />
Gravitation, höchste Ansprüche der Uhrmacherkunst.<br />
24 Momentum 1· 2009<br />
Diese Uhren sind nicht so leicht zu erschüttern!<br />
Die Sport Evolution Impact Modelle absorbieren<br />
60 Prozent der Aufprallkraft von Stößen – und<br />
sehen gut dabei aus<br />
Text Petra Bäuerle<br />
Ein multimediales Erlebnis zur Sport Evolution Impact<br />
erwartet Sie unter www.glashuette-original.com/neuigkeiten
Oben links: Sport Evolution Impact Chronograph mit automatischem Manufaktur kaliber 39-31<br />
Unten und rechts : Sport Evolution Impact Tourbillon, auf 100 Stück limitiert, Auto ma tikwerk Kaliber 94<br />
Momentum 1· 2009<br />
25
Kalendarium Neuigkeiten<br />
Das Besondere finden<br />
Stilvolle Klassik und perfekte Verarbeitung bis<br />
ins letzte Detail: Die neuen Zeitmesser von<br />
<strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong> erfüllen höchste Ansprüche<br />
Senator Meissen Tourbillon: Vereint zwei Erfindungen aus Sachsen! Das<br />
hauchdünne weiße Meissener Porzellan verleiht dem Zifferblatt sein besonde -<br />
res Gesicht und schafft den edlen Rahmen für das Fliegende Tourbillon,<br />
dessen Technik 1920 von Alfred Helwig an der Uhrmacherschule in<br />
<strong>Glashütte</strong> entwickelt wurde. Den Takt der Stunden geben handgemalte<br />
römische Ziffern an. Das Auto matik manufaktur kaliber 94-11<br />
lässt sich durch den entspiegelten Saphir glas boden des massiven<br />
Rosé gold ge häu ses bewundern.<br />
Lady Serenade Chronograph: Demonstriert die elegante<br />
Symbiose von kühl glänzendem Edelstahl mit funkelnden<br />
Diamanten. Ein luxuriöser Chronograph, der sich durch die femininen<br />
Kurven des Gehäuses formvollendet ans Handgelenk der<br />
Dame schmiegt und durch die Stoppfunktion sportliche<br />
Kompetenz beweist. Der Sonnenschliff auf dem schwarz galvanisierten<br />
Zifferblatt zaubert glänzende Lichtreflexe und verstärkt die<br />
attraktive Ausstrahlung des 38 mm großen Zeitmessers mit<br />
Saphirglasboden, der sich als ständiger Begleiter für alle<br />
Gelegenheiten – von Freizeit über Business bis Dinner – empfiehlt.<br />
26 Momentum 1· 2009
Wer gewinnt den SAECULUM?<br />
Der international ausgezeichnete Cellist<br />
Jan Vogler (Foto) hat zur Premiere seiner<br />
Intendanz bei den Dresdner Musikfestspielen<br />
das Motto »Neue Welt« gewählt.<br />
Zu den Höhepunkten des Programms<br />
zählen die Konzerte der Wiener Philharmoniker<br />
unter Valery Gergiev, des<br />
Königlichen Concertgebouwor -<br />
chesters unter Gustavo Dudamel, der<br />
Sächsischen Staatskapelle Dresden<br />
unter Reinhard Goebel u.a.Auch in diesem Jahr findet<br />
wieder die Verleihung des von <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong> gestif teten<br />
SAECULUM-<strong>Glashütte</strong>-<strong>Original</strong>-Musikfestspiel-Preises im<br />
glanzvollen Ambiente der Semperoper statt. Während des<br />
Konzerts mit dem Königlichen Concertgebouworchester<br />
wird eine Persönlichkeit des öffentlichen Musiklebens<br />
geehrt, die sich um die Förderung junger Nachwuchskünst -<br />
ler verdient gemacht und der Musikwelt neue Impulse<br />
gegeben hat. Das Publikum darf gespannt sein auf den<br />
SAECULUM-Preisträger des Jahres 2009.<br />
DRESDNER MUSIKFESTSPIELE 20. MAI BIS 7. JUNI 2009<br />
TICKETS UNTER: WWW.MUSIKFESTSPIELE.COM<br />
TEL. +49 351 486 6666, BESUCHERSERVICE@MUSIKFESTSPIELE.COM<br />
Getanzte Verantwortung<br />
Internationaler Tanz, Konzerte von Klassik über Jazz bis Pop,<br />
szenische Lesungen, Gespräche und Workshops: Vom 14. April<br />
bis zum 31. Mai 2009 bringen die Movimentos Festwochen der<br />
Autostadt zum siebten Mal hochkarätige Künstler und Ensembles<br />
aus aller Welt nach Wolfsburg. Zentrales Thema des Festivals<br />
ist „Verantwortung“ – eine Haltung, die gekennzeichnet ist durch<br />
vorausschauendes Abwägen von Konsequenzen und sorgfälti -<br />
ges Handeln im Interesse möglichst vieler. Zu Gast sind unter<br />
anderem die Companhia de Dança Deborah Colker aus<br />
Brasilien, das australische Bangarra Dance Theatre, namhafte<br />
Schauspieler wie Corinna Harfouch, Sophie Rois oder Thomas<br />
Thieme, die Jazzgrößen Maceo Parker und Klaus Doldinger<br />
sowie die italienische Autorin Donna Leon und die Kultband<br />
Kraftwerk. Als einer der Höhepunkte verleiht die Autostadt am<br />
12. Mai zusammen mit dem ZDF und Arte den Internationalen<br />
Movimentos Tanzpreis in fünf Kategorien. Die Sendung wird am<br />
14. Mai um 22.30 Uhr auf Arte ausgestrahlt.<br />
MOVIMENTOS FESTWOCHEN DER AUTOSTADT IN WOLFSBURG, 14. APRIL BIS 31. MAI<br />
2009. INFORMATIONEN UND TICKETS UNTER DER KOSTENFREIEN SERVICELINE 0800<br />
288 678 238 ODER IM INTERNET UNTER: WWW.MOVIMENTOS.DE<br />
Neuigkeiten Kalendarium<br />
Neues Design in Dubai<br />
Die Dubai Mall ist zurzeit<br />
mit einer Million Quadratmetern<br />
das größte Einkaufszentrum<br />
der Welt und<br />
liegt im Burj-Dubai-Viertel<br />
(zu Deutsch „Turm von<br />
Dubai“).Vergangenen<br />
Dezember eröffnete dort<br />
die sächsische Manufaktur <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong> gemeinsam<br />
mit ihrem Handelspartner, der Rivoli Gruppe, die erste<br />
Boutique im neuen Shop-in-Shop-Design. Die Kombination<br />
klarer Linien des Interieurs und der Einsatz von verschie -<br />
denen Materialien kennzeichnen den neuen Auftritt der<br />
sächsischen Luxusmarke.Auf 125 Quadratmetern Verkaufsfläche<br />
präsentieren sich Uhrenfreunden die Historie und<br />
technische Innovationen von <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong>. Die exquisite<br />
und freundliche Atmosphäre lädt zum Verweilen und<br />
näheren Kennenlernen der deutschen Uhrmacherkunst ein,<br />
während ein Team der Rivoli Gruppe für alle Fragen gerne<br />
bereit steht.<br />
DUBAI MALL, GROUND FLOOR/WATCHES AND JEWELLERY SECTION,<br />
TEL. +971-4-339 8762, FAX +971-4-339 8305, GLASHUTTEDM@RIVOLI.AE,<br />
BURJ DUBAI DISTRICT, DUBAI, VEREINIGTE ARABISCHE EMIRATE<br />
Momentum 1· 2009 27
Manu Factum Saphire & Rubine<br />
28 Momentum 1· 2009<br />
Der Saphirglasboden der Senator Sixties
Kristallklar<br />
Synthetischer Korund findet sich nicht nur in<br />
den Rubinlagern des Uhrwerks, sondern schützt<br />
auch als Saphirglas das Zifferblatt – ein<br />
Wunderwerk aus Menschenhand, das auf intelligente<br />
Weise das Können der Natur imitiert<br />
Text Elizabeth Doerr<br />
Korund ist ein natürliches Mineral, das in einer Armbanduhr unersetzlich ist. Auch<br />
wenn wohl mancher Uhrenliebhaber mit diesem Begriff wenig anzufangen weiß:<br />
Wer hört, dass Rubin und Saphir, in Naturform zwei der weltweit begehrtesten<br />
Edelsteine in der Schmuckherstellung, zu den Varietäten dieses Minerals zählen,<br />
kann sich eine Vorstellung von seiner Bedeutung machen. Korund verfügt aber<br />
neben seiner Schönheit noch über andere Eigenschaften, die ihn für die<br />
Verarbeitung in einer Armbanduhr zum perfekten Ausgangsmaterial machen, als Lager zum Beispiel<br />
mit geringer Reibung. Lager sind überall dort im Uhrwerk erforderlich, wo die Reibung beweglicher<br />
Teile auf ein Minimum reduziert werden muss.<br />
Schon im 18. Jahrhundert stellten englische Uhrmacher Lager für Unruhdrehzapfen aus echtem Rubin<br />
her. Sie schmierten sie mit Öl und konnten auf diese Weise die auftretende Reibung wirkungsvoll<br />
minimieren. Der Schweizer Optiker und Astronom Nicolas Fatio de Duillier entwickelte 1704 Bohrund<br />
Schleiftechniken zur Anwendung bei Rubinen, eine davon ist heute als Olivenschliff bekannt.<br />
Diese Verfahren wurden von fähigen Meistern des Fachs weiterentwickelt, so von Peter<br />
und Jacob Debaufre in England, die als Erste gebohrte „Pellets“ aus Rubin für den Uhrmacherhandel<br />
herstellten. Damals wurde zu diesem Zweck Ware zweiter Wahl aus dem Edelsteinhandel verwendet.<br />
Hochwertigere Qualität war zu dieser Zeit nicht verfügbar, und der größte Nachteil bei der Ver ar beitung<br />
von Rubinen lag in den hohen Kosten, die durch die arbeitsintensiven Techniken bei der Her stel lung<br />
entstanden. Daher wurden Edelsteine nur für Uhren höchster Qualität verwendet. Nach und nach<br />
wurde die Verarbeitung von Edelsteinen, wie das Schneiden, Polieren, Schleifen und Bohren, industria<br />
lisiert. Einschlüsse jedoch, die naturgemäß in jedem Edelstein auftreten, ließ diesen im Zuge des<br />
technologischen Fortschritts als Lagerstein immer weniger geeignet erscheinen.<br />
1902 fand Auguste Victor Louis Verneuil einen Weg, die chemische Zusammensetzung und Kristall -<br />
struktur eines Rubins zu duplizieren. Zwei Jahre später veröffentlichte er eine Abhandlung über den<br />
Herstellungsprozess von synthetischem Korund. Im Jahr 1907 produzierten bereits eine Reihe von<br />
Herstellern synthetische Rubine in einem Gesamtwert von fünf Millionen Karat jährlich. Ein Teil der<br />
Edelsteine war für die Verarbeitung in den Werken exklusiver Uhren bestimmt. Das von Verneuil<br />
entwickelte Verfahren ist bis heute im Wesentlichen unverändert geblieben und wird zur Herstellung<br />
Momentum 1· 2009<br />
Fotos: Getty, Fotolia<br />
29
Manu Factum Saphire & Rubine<br />
von Korund in all seinen Formen verwendet: für den Saphir (blauer<br />
Korund), den Rubin (roter Korund) und den Leukosaphir (von<br />
dem griechischen Word leykos, weiß), einen farblosen Korund,<br />
der heute anstelle von Mineral- oder Plexiglas als Abdeckung und<br />
Schutz für das Zifferblatt Verwendung findet.<br />
Das Verneuil-Verfahren beginnt mit dem Schmelzen von Aluminiumoxidpulver.<br />
Das Pulver wird in ein eigens entwickeltes Brenner rohr<br />
gefüllt, das durch die Beimischung von Wasserstoff und Sauerstoff<br />
auf eine Temperatur von 2.050 °C erhitzt wird. Ein mechanisch<br />
30 Momentum 1· 2009<br />
werden große Blöcke aus Korund erzeugt. Beim Czochralski-<br />
Verfahren hingegen werden die Kristalle in einem Bad bei<br />
Schmelztemperatur gezogen. Beide Methoden sind in der Industrie<br />
erprobt. Der Grund für die Suche nach neuen Fertigungsverfahren<br />
liegt darin, dass Fehlerstellen im Verneuil-Korund erst nach Ab schluss<br />
des gesamten Herstellungsprozesses sichtbar werden. Der Produk -<br />
tionsausschuss bewegt sich dabei in einer Größenordnung von<br />
circa 10 bis 15 Prozent. Dies stellt natürlich einen bedeutenden<br />
Kostenfaktor dar. Heute werden jährlich circa 400 bis 500 Tonnen<br />
Synthetischer Saphir ist die zweithärteste<br />
Substanz auf der Mohs-Skala und kann<br />
nur mit Diamant geschnitten werden<br />
betriebener Hammer am oberen Ende des Brennerrohrs löst durch<br />
jeden Schlag auf den mit dem Aluminiumoxidpulver befüllten<br />
Vorratsbehälter ein stetiges Tropfen auf einen vorbereiteten<br />
„Kristall keim“ aus. So entsteht innerhalb von 15 Stunden etwas,<br />
wofür die Natur nicht weniger als hunderttausend Jahre braucht:<br />
Korund – oder auch kristallisiertes Aluminiumoxid – hat sich auf<br />
dem Keim gebildet und ähnelt in seinem Aussehen einem Stalag -<br />
miten. In der Industrie wird er als Boule bezeichnet. Die Boule<br />
wird anschließend zur Stabilisierung des Kristalls erneut auf<br />
eine Temperatur von 1.800 °C erhitzt. Hier nun ist die<br />
Aufgabe eines Kristallzüchters beendet, und die<br />
Boules aus Korund werden in ihrem Rohzustand<br />
an Uhrenglashersteller verkauft. Ihr Preis richtet<br />
sich nach dem benötigten Karat und dem<br />
Durchmesser. Da heute immer größere<br />
Uhren im Trend liegen, wachsen auch die<br />
Anforderungen an die Größe der verwendeten<br />
Kristalle.<br />
Obwohl zur Herstellung<br />
von synthetischen Edelsteinen für den<br />
Gebrauch in der Uhrmanufaktur bisher<br />
nur das Verneuil-Verfahren verwendet<br />
wurde, existieren noch weitere Methoden<br />
zur Produktion von synthetischem Korund.<br />
Beim Bagdasarow-Verfahren, das vom russi -<br />
schen Militär unter Leitung des armenischen<br />
Wissenschaftlers Bagdasarow entwickelt wurde,<br />
Korund im Verneuil-Verfahren produziert. Neben der Schmuckund<br />
Uhrenherstellung findet er auch in der Optik und der<br />
Präzisionsmechanik Verwendung.<br />
Zur Herstellung von Saphirgläsern wird die Boule<br />
als Erstes in Scheiben der erforderlichen Größe geschnitten. Dies<br />
geschieht in einer Schneidemaschine mit Diamantsägeblättern –<br />
denn Diamanten haben eine Mohshärte von 10 und sind damit das<br />
einzige Material, das härter ist als der auf der Mohs-Skala mit<br />
einem Härtegrad 9 verzeichnete Korund. Die Boules<br />
werden mit einem wachsartigen braunen Harz versehen,<br />
damit sie während des fünf- bis achtstün -<br />
digen Schneidevorgangs fixiert werden können.<br />
Nach dem Schneidevorgang werden die nun<br />
opakfarbenen Stücke von allen Harzrück -<br />
ständen gereinigt. Dann werden die wie<br />
die Korundrohteile mit einer Toleranz von<br />
2/100 Millimeter in die jeweils gewünschte<br />
Form geschliffen (rund, quadratisch,<br />
rechteckig). Dabei löst sich etwa die<br />
Hälfte des kostbaren Mate rials in Staub<br />
auf. Im Anschluss durchlau fen die Roh -<br />
teile eine ganze Reihe von Verar bei tungsschritten,<br />
die von qualifiziertem Personal<br />
durchgeführt werden: Aus glei chen der<br />
Natürlicher Rubin ist eine der begehrtesten<br />
und kostspieligsten Ausprägungen von Korund
Einige der Lagersteine aus Rubin in der<br />
Pano Inverse XL sind in der Vorderansicht<br />
gut sichtbar, da die Grundplatine der Uhr<br />
auch als Zifferblatt fungiert<br />
Momentum 1· 2009<br />
31
Manu Factum Saphire & Rubine<br />
Material stärke, Ausformen der Oberfläche, Anschleifen, Facet tie -<br />
ren, kugelförmiges oder zylindrisches Aushöhlen und Wölben,<br />
Polieren, Reinigen und anschließende Qualitätskontrolle. Erst nach<br />
Abschluss dieser rund 20 Herstellungsschritte werden eventuelle<br />
Fehlerstellen im Kristall sichtbar, und erst dann kann beurteilt werden,<br />
ob ein Glas verwendbar ist oder nicht. Die Rohteile werden<br />
zwischen jeder Verarbeitungsstation gereinigt, um sicherzustellen,<br />
dass alle Rückstände der Saphirpartikel von den Diamant schnei -<br />
deblättern, jeglicher Diamantstaub und alle Bindeharze vollständig<br />
entfernt sind. Geringste Rückstände auf den Blanks wirken sich<br />
negativ auf die Qualität der maschinellen Bearbeitung aus. Nach<br />
dem letzten Verfahrensschritt steht die wichtigste Reinigung an.<br />
Dabei erfolgt eine gründliche optische Kontrolle der Licht durch -<br />
lässigkeit des Werkstücks, eine Garantie dafür, dass nur perfekte<br />
Kristalle an den Kunden geliefert werden.<br />
32 Momentum 1· 2009<br />
Senator Sixties Technische Daten<br />
Die Designer von <strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong> haben mit<br />
der Senator Sixties die Lebensfreude der 60er-<br />
Jahre eingefangen, mit ihrem typischen gewölbten<br />
Zifferblatt und ihrem Uhrenglas (nicht ganz<br />
zeittypisch aus Saphir, aber resistent gegen<br />
Kratzer – damals wäre eher ein Glas aus Hesalit<br />
zum Einsatz gekommen), das den hoch wertigen<br />
Eindruck des extrem flachen Gehäuses unterstreicht<br />
und im Einklang mit den gebogenen<br />
Skelettzeigern mit Leuchtmasse steht. Diese<br />
gleiten harmonisch über das sati nierte Ziffer -<br />
blatt mit ihren Diamant-gravierten Stundenindizes<br />
und extravaganten Ziffern. Der Form-<br />
Saphirglasboden erlaubt direkte Einblicke in<br />
das Auto matik werk Kaliber 39-52, das an seinen<br />
Details als Produkt aus dem Hause <strong>Glashütte</strong><br />
<strong>Original</strong> zu erkennen ist, etwa der Dreivier tel -<br />
platine und der Schwanenhals-Fein regulie rung.<br />
Dieses Stück Zeitgeschichte ist mit silberfarbe -<br />
nem oder schwarzem Zifferblatt in einem Ge -<br />
häuse aus Roségold oder Edelstahl erhältlich.<br />
www.glashuette-original.com<br />
Die Schönheit des<br />
blauen Saphirs liegt<br />
in der farblichen<br />
Intensität dieser<br />
Korund-Varietät<br />
Auf Saphirglas kann eine Antireflexbeschichtung aufgetragen<br />
werden, die Spiegelungen bricht und das Objekt für den<br />
Betrachter reflektionsfrei erscheinen lässt. Die Beschichtung<br />
besteht aus einer drei bis fünf Mikrometer starken Oxidschicht, die<br />
mittels einer Evaporationsanlage in einer sterilen Laborumgebung<br />
bei Temperaturen von circa 280 °C auf das Glas aufgedampft wird.<br />
Die Saphirgläser können entweder auf der Unterseite oder auf beiden<br />
Seiten antireflexbeschichtet werden. Der Unterschied bei einem<br />
Vergleich beider Seiten ist erstaunlich: Verfügt die Uhr über ein<br />
blaues oder schwarzes Zifferblatt, erweckt eine beidseitige Anti -<br />
reflex beschichtung den Eindruck, als ob die Uhr gar kein Uhrglas<br />
hätte. Ein unbeschichtetes Saphirglas dagegen kann dazu führen,<br />
dass ein blaues oder schwarzes Ziffernblatt kaum mehr zu lesen<br />
ist. Ein Nachteil der Antireflexbeschichtung besteht darin, dass ihre<br />
Härte sehr viel geringer ist als die des Saphirs selbst. Während das<br />
Zerkratzen des Saphirglases so gut wie unmöglich ist, es sei denn<br />
mit einem Diamanten, ist die Beschichtung leicht zu beschädigen.<br />
Einseitig beschichtete Kristalle sind zu 92 Prozent antireflektierend,<br />
beidseitig beschichtete Kristalle zu 96 Prozent.<br />
Synthetisch hergestellte Rubine, die standardmäßig<br />
als Lager Verwendung finden, werden übrigens auf die gleiche Weise<br />
produziert. Die roten Boules werden mittels eines Trenngeräts mit<br />
Kupfer- und Diamantschneidewerkzeug in Scheiben geschnitten.<br />
Die Scheiben werden halbiert, rechtwinklig geschnitten und schließlich<br />
in runde Formen mit einer Stärke von 0,3 bis 0,5 Millimetern und<br />
einem Durchmesser von 1,15 bis 2,55 Millimetern geschnitten.<br />
Die Ver wendung von synthetischen Saphiren als Uhrengläser wurde<br />
in den späten 1960er-Jahren populär, da diese gegenüber den bis<br />
dahin gebräuchlichen Acryl- und Mineralgläsern drei entscheidende<br />
Vorteile hatten: Zunächst einmal ist synthetischer Saphir extrem<br />
hart – das zweithärteste Material der Welt – und kann deshalb nur<br />
mit einem Diamanten bearbeitet werden. Synthetischer Saphir ist<br />
zweitens schwer und vermittelt beim Tragen der Uhr ein exklusives<br />
Gefühl. Und nicht zuletzt ist ein synthetischer Saphir trotz der<br />
Herstellung von Menschenhand ein Edelstein und steigert insgesamt<br />
den Wert einer Uhr – ganz abgesehen von dem erhebenden<br />
Gefühl, eine Uhr zu tragen, deren Lager aus Rubin bestehen. ✺
Handwerkskunst.<br />
Kunsthandwerk.<br />
<strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong>.<br />
Stifter des Deutschen Uhrenmuseums <strong>Glashütte</strong>.<br />
Handgravur der Schmetterlingsbrücke für das Kaliber 66<br />
Die PanoInverse XL.<br />
Kleine filigrane Details, mit größtem<br />
Fingerspitzengefühl kunstvoll graviert, machen<br />
diese Uhr zu einem unverwechselbaren<br />
Unikat. Ihr Handaufzugwerk Kaliber 66 ist<br />
feinste Mechanik, von Hand gefertigt in der<br />
großen Tradition der Uhrenmanufaktur<br />
<strong>Glashütte</strong> <strong>Original</strong>. Erfahren Sie mehr über<br />
uns unter www.glashuette-original.com<br />
oder Telefon +49 35053 46 0.
Zeitströmung Tapeten<br />
Tapetenwechsel<br />
Nach Jahren des Purismus und der Raufaserübermacht<br />
erlebt die Tapete ein grandioses Comeback: Künstler und<br />
Designer entdecken die Wandflächen als das neue Spielfeld<br />
und begeistern mit kreativen und luxuriösen Entwürfen<br />
Text Nicole Knaupp<br />
34 Momentum 1· 2009
Deborah Bowness entwirft seit 1999 Tapeten, die ebenso<br />
unkonventionell wie unterhaltsam sind (Bild linke Seite). Ihr Konzept: Die<br />
Tapeten werden mit Alltagsgegenständen bedruckt und anschließend per<br />
Hand mit Wasserfarben nachkoloriert. Mal lässt die englische Designerin<br />
dabei Kleiderhaken aus 3-D-Tapeten ragen, mal bedruckt sie ihre illusionis -<br />
tischen Wandbilder mit überquellenden Bücherregalen oder wie hier mit<br />
Vintage-Lampen. Der britische Observer schwärmte bereits von „neuen Sphären<br />
der Tapeten gestaltung“. Auch zahlreiche Design-Museen zeigen die Arbeiten<br />
der kreativen Engländerin. Mit Deborah Bowness’ Arbeiten lassen sich ganze<br />
Zimmer ausstatten. Manchmal genügt aber auch schon ein einzelnes Paneel,<br />
um eine großartige Wirkung zu erzielen. www.deborahbowness.com<br />
Weit mehr als nur schmückendes Beiwerk: Die Tapeten von<br />
Elitis werden zur Kunst im Raum und sind ein optisches Statement, das von<br />
Stilbewusstsein, Mut und Individualität zeugt. Der jüngste Coup der französischen<br />
Manufaktur, die auch zauberhafte Textilien kreiert, sind die in<br />
vielen Farben erhältlichen „Big Croco“-Tapeten im Kroko-Design sowie die<br />
hier gezeigte Kollektion „Native“ mit künstlich aufgedruckten Fellstrukturen.<br />
Die geprägten Vinyltapeten sind dabei nicht nur optisch ein Hochgenuss,<br />
sondern auch ein Erlebnis für die Fingerspitzen. Die sinnliche Fell-Optik<br />
schlägt eine Brücke von einem klassisch-eleganten Wohnstil zu dem coolen<br />
Wohn gefühl von heute. Zudem gilt auch hier: Je sparsamer die Tapeten eingesetzt<br />
werden, desto glamouröser wirken sie. www.elitis.fr<br />
Momentum 1· 2009<br />
35
Zeitströmung Tapeten<br />
36 Momentum 1· 2009
Das Londoner Tapetenlabel Fromental, 2005 von<br />
Lizzie Deshayes und Tim Butcher gegründet, setzt ausschließlich<br />
auf das Luxussegment und entwirft handbemalte und kostbar<br />
bestickte Seidentapeten. Einige der Dessins greifen auf historische<br />
Chinoiserien zurück, wie das Lotusblüten- und Karpfen-Motiv<br />
(links), andere sind schlicht gestreift. Die Muster werden alle in<br />
England entworfen, produziert wird ausschließlich in China, wo<br />
das Weben eine jahrhundertelange Tradition hat. Eine einzige Bahn<br />
von 91 mal 200 Zentimetern erfordert bis zu 600 Arbeitsstunden.<br />
Der Durchbruch gelang Fromental 2006, als das Designer-Duo<br />
einen Großauftrag von Casino-Mogul Steve Wynn erhielt, der<br />
1.400 Meter für das „Wynn Las Vegas“ und über 900 Meter für<br />
eine Hotelanlage in Macao orderte. www.fromental.co.uk<br />
Lisa Bengtssons Tapeten erzählen Geschichten. Die<br />
27-Jährige gehört zu Schwedens junger Designer-Elite. Bereits nach<br />
dem Studium machte sich die junge Grafikerin selbstständig und<br />
entwarf unter ihrem Namen mit großem Erfolg Geschirr, Stoffe und<br />
Tapeten. Schon das erste Dessin war ein Verkaufsschlager. „Family“<br />
zeigt verschieden große Bilderrahmen. „Sie können Fotos oder<br />
Schmuck in die Rahmen hängen oder die Tapete einfach so lassen,<br />
wie sie ist“, erklärt Lisa. „Ich will damit zeigen, dass jedes Leben<br />
ganz individuell verläuft.“ Auch Lisas zweiter Entwurf, der über<br />
und über mit Schuhen bedruckt ist, schickt uns auf eine Reise in<br />
die Vergangenheit: „Die unterschiedlichen Schuhe stellen<br />
bestimmte Lebensepochen dar.“ Vollkommen freie Interpretationsmöglichkeiten<br />
gewährt dagegen die hier dargestellte Tapete<br />
„Edith“, die mit Blumen, Vögeln und Porträts von Edith<br />
Piaf bedruckt ist. Besonders reizvoll wirkt das Muster<br />
an der Decke. So kann es von einer liegenden Position aus<br />
bequem betrachtet werden. www.lisabengtsson.se
Zeitströmung Tapeten<br />
38 Momentum 1· 2009<br />
Ulf Moritz entwirft Haute Couture für die Wand. Der extravagante<br />
deutsche Textildesigner begeistert seit 47 Jahren international mit<br />
ausgefallenen Entwürfen. Seine ungewöhnlichen Kollektionen werden jedes<br />
Jahr mit großer Spannung von der gesamten Stoffbranche erwartet. Seit<br />
dem Jahr 2000 kreiert Moritz für die Firma Marburg auch Tapeten, die<br />
ebenso wie seine Textilien mit spannenden Materialexperimenten beeindrucken.<br />
Der kreative Magier arbeitet mit raffinierten Matt-Glanz-Effekten<br />
und Materialien, die je nach Lichteinfall ihre Optik verändern und anfangen<br />
zu leben. Die Tapeten aus der Kollektion „Pearl“ sind beispielsweise mit<br />
Glasperlen bestückt. Die Motive sind von der Formensprache der Gotik, des<br />
Barock und des Jugendstils inspiriert. Der Meister selbst sagt zu seinen<br />
Tapeten-Kollektionen: „Ich will Kreationen auf den Markt bringen, die<br />
berühren, die anmachen, attraktiv und sexy sind. “ www.marburg.com
Mit Iris Maschek geht der Traditionshersteller Rasch<br />
neue Wege. Die anerkannte Textil- und Tapetendesignerin entwarf für das ansonsten eher für<br />
seine konventionellen Produkte bekannte Haus vierzehn digital gedruckte Wandbilder. Die<br />
Schwarz-Weiß-Muster wirken wie überdimensionale Gemälde, die die Wände erobern. Der Mix<br />
von Positiv- und Negativ-Optiken ist dabei das elementare Stilmittel, das dem Betrachter wie<br />
ein transparent und opulent gewebter Vorhang erscheint. Wie bei vielen ihrer Entwürfe ließ sich<br />
Iris Maschek von der Schönheit der Natur sowie von pflanzlichen Formen und Strukturen<br />
inspirieren, die die Designerin in abstrakte, zeichenhafte Details übersetzt, die Spielraum für<br />
eigene Interpretationen erlauben. So hat die Kölnerin, die zugleich auch in angesagten Clubs<br />
und Bars als DJane arbeitet, eine ganz eigene Designsprache jenseits modischer Trends<br />
ent wickelt. Diese stößt nicht nur bei vielen Firmen auf Begeisterung, sondern selbst bei der<br />
Konkurrenz. Textil-Design-Star Ulf Moritz bezeichnete die junge Designerin auf der letzten<br />
Heimtextil-Messe als „die Entdeckung des Jahres“. www.rasch.de<br />
Momentum 1· 2009<br />
39
Fotos: Getty (2)<br />
40 Momentum 1· 2009<br />
Tendenz Zeit im Traum<br />
Traumzeit<br />
Wie erleben wir die Zeit im Traum? Vergeht sie schneller<br />
oder langsamer – existiert sie überhaupt? Und wie oft reisen<br />
wir des Nachts in Vergangenheit oder Zukunft?<br />
Einige Antworten auf traumhafte Fragen
FText Maike Zürcher<br />
ünf Stunden in zehn Sekunden, ein Tag in zwölf<br />
Minuten, ein Jahrhundert in einem Augenblick ...<br />
manchmal scheint es uns, als träumten wir uns<br />
durch ein halbes Leben, doch beim Aufwachen zeigt<br />
der Blick auf die Uhr, dass nur wenige Minuten vergangen<br />
sind. Diese „traumhafte“ Zeitwahr neh mung hatte auch der<br />
französische Schlafforscher Alfred Maury, als er sich im Jahr 1861<br />
des Nachts durch die Wirren der Französischen Revolution träumte.<br />
Am Ende des Traums sollte er hingerichtet werden – doch just<br />
bevor die Guillotine heruntersauste, wachte er unsanft davon auf,<br />
dass ein Teil des Bettaufsatzes auf seinen Nacken gefallen war.<br />
Maury schlussfolgerte daraus, sein Gehirn müsse sich im Moment<br />
des realen Aufpralls – sozusagen als Flashback – eine passende<br />
Geschichte konstruiert haben: den Traum von der Französischen<br />
Revolution. Traumzeit und reale Zeit stimmten also nicht überein,<br />
da sich das Traumerleben demnach in Sekundenschnelle abgespielt<br />
haben musste. Diese subjektive Beobachtung hat die Traum for -<br />
schung mittlerweile widerlegt.<br />
Knapp 100 Jahre später, 1951, entdeckten Forscher an<br />
der University of Chicago den sogenannten REM-Schlaf (REM<br />
steht für Rapid Eye Movement, also schnelle Augenbewegungen).<br />
Im Unterschied zu den Tiefschlafphasen ist das Gehirn in den<br />
REM-Phasen aktiver, die Augen bewegen sich erkennbar hinter<br />
den geschlossenen Lidern – jetzt träumt der Schlafende. Obwohl<br />
das Gehirn ähnlich aktiv wie im Wachzustand ist, bleibt der Körper<br />
ruhig, Muskelimpulse werden unterdrückt, glücklicherweise. Denn<br />
so besitzen wir die Fähigkeit, uns im Traum zu bewegen, ohne<br />
gleich gegen die Wand des Schlaf zimmers zu rennen. Mittlerweile<br />
unterscheidet die Wissen schaft fünf unterschiedliche Schlafphasen-<br />
typen, die sich mehrmals im Lauf einer Nacht wiederholen; der<br />
REM-Schlaf ist eine von ihnen.<br />
Kurz nach der bahnbrechenden Entdeckung des REM-Schlafs nahmen<br />
sich die US-amerikanischen Schlafforscher William Dement<br />
und Nathaniel Kleitman von der University of Chicago des Zeitim-Traum-Themas<br />
an und bewiesen durch Experimente in ihrem<br />
Schlaflabor, dass geträumte und real vergangene Zeit durchaus<br />
übereinstimmen. Das heißt: Die Probanden schätzten, nachdem<br />
sie in der REM-Phase geweckt worden waren, die geträumte Zeit<br />
annähernd korrekt ein. Wurden sie zum Beispiel nach fünf oder<br />
15 Minuten REM-Schlaf geweckt und nach der Länge ihres Traums<br />
befragt, konnten sie mit wenigen Abweichungen die Zeit von fünf<br />
beziehungsweise 15 Minuten richtig wiedergeben – und auch das<br />
geträumte Erlebnis passte in diese Zeitspanne.<br />
Der Traum als Forschungsgegenstand für die<br />
Wissen schaft? Eine Herausforderung. Denn: Was fehlt, ist die<br />
Unmittelbarkeit, die Gleichzeitigkeit. „Erinnerungen an Träume<br />
sind immer Rekonstruktionen, die der Mensch macht, wenn sein<br />
Gehirn in einem anderen Zustand ist als zu dem Zeitpunkt, zu<br />
dem er träumt. Das Gehirn ist beim Träumen in einem dritten<br />
Aggregatzustand neben dem Wachsein und dem Tiefschlaf“,<br />
erklärt Michael Wiegand, Professor für Psychiatrie in München.<br />
Frauen erinnern sich im Allgemeinen besser an ihre Träume als<br />
Männer – vermutlich, weil sie sich aufgrund ihrer Sozialisation<br />
eher mit ihren Gefühlen beschäftigen.<br />
Traumforscher sind also darauf angewiesen, was ihnen ihre<br />
Versuchspersonen nach dem Aufwachen aus der Erinnerung heraus<br />
erzählen, sozusagen von einer anderen Bewusstseinsebene<br />
aus. Kein Apparat der Welt vermag bisher, Träume aufzuzeichnen;<br />
„Das Leben besteht aus zwei Teilen:<br />
die Vergangenheit – ein Traum;<br />
die Zukunft – ein Wunsch“ Aus Arabien<br />
Momentum 1· 2009<br />
41
42 Momentum 1· 2009<br />
Tendenz Zeit im Traum<br />
die Subjektivität des Traumerlebnisses entzieht sich noch jeglicher<br />
Messbarkeit. Und wer sagt uns, dass die Worte, die wir im<br />
Wachzustand benutzen, das geträumte Erleben überhaupt adäquat<br />
erfassen und beschreiben können? Das Thema Traum scheint sich<br />
der Wissenschaft immer wieder zu entziehen, stellt Petra Gehring,<br />
Professorin für Theoretische Philosophie, fest: „Der Traum ist ein<br />
unmöglicher Gegenstand. Er fasziniert das Denken, erscheint zu -<br />
gleich aber als zutiefst wissenschaftsfremd, als etwas Anders arti ges,<br />
eine verworrene Form.“<br />
Der Stoff, aus dem die Träume sind, bedient sich meist<br />
aus dem persönlichen Gedächtnis des Schlafenden. „Die Einflüsse<br />
auf das Gedächtnis sind mannigfaltig; von der Erziehung bis zu den<br />
Massenmedien wird alles eingespeichert, sodass der Traum zum<br />
Teil auch eine sehr starke kulturelle Prägung hat“, sagt Dr. Michael<br />
Schredl, Traumforscher und Leiter des Schlaflabors am Zentral ins -<br />
ti tut für Seelische Gesundheit der Universität Mannheim.<br />
Nächtliche Zeitreisen, wie sie der eingangs erwähnte Alfred Maury<br />
erträumte, sind eher selten – auch solche, die in die eigene<br />
Vergangenheit führen. So träumen ältere Menschen entgegen<br />
landläufigen Annahmen nicht häufiger von ihrer Kindheit oder<br />
Jugend als junge Menschen, wie Studien ergeben haben. Häufiger<br />
kommt es allerdings vor, dass einzelne Elemente wie die frühere<br />
Schule, das Haus der Kindheit oder Menschen von früher auftauchen.<br />
„Das subjektive Gefühl, im Traum jünger zu sein, ist jedoch<br />
selten“, so Schredl. „Am häufigsten spielen Träume in der Gegen wart.<br />
Das Traum-Ich erlebt sich so, wie es sich zurzeit im Wachzustand<br />
fühlt. Auch Träume, die in der Zukunft spielen, sind selten. Am<br />
häufigsten greifen Träume aktuelle Themen auf – nicht immer<br />
direkt bildlich, sondern sie verarbeiten die emotionale Qualität der<br />
Tageserlebnisse.“ Nebenbei bemerkt beschäftigen sich diese Träume<br />
aktuellen Inhalts häufig mit durchaus banalen Alltagserlebnissen<br />
und -tätigkeiten – und widerlegen somit Nietzsches Aussage, die<br />
lautet: „Man träumt gar nicht oder interessant.“<br />
Während also der Durchschnittsträumer vornehmlich die Gegen -<br />
wart im Traum verarbeitet, berichten sogenannte Vielträumer von<br />
einer interessanten Verflechtung der Traumebenen: Ihren Erinne -<br />
run gen zufolge besitzt die Traumwelt selbst eine immanente Ver -<br />
gan genheit. „Diese Menschen träumen von Dingen, die sie aus<br />
früheren Träumen kennen, nicht jedoch aus ihrem Wachleben“,<br />
beschreibt Schredl das Phänomen der Zeitebenen.<br />
Zeitliche Sprünge oder auch scheinbar unlogische<br />
Erlebnisse nehmen wir im Traum nicht als solche wahr. Der gegenwärtige<br />
Lebenspartner wandelt sich plötzlich in einen früheren<br />
Weggefährten, das eigene Haus steht in unbekannter Umgebung,<br />
der vor Jahren verstorbene Freund verwickelt einen in ein angeregtes<br />
Gespräch – dass wir solche Ereignisse im Traum als normal<br />
hinnehmen, hat laut dem französischen Neurologen Michel Jouvet<br />
wissenschaftliche Gründe: Bestimmte Neuronen im Gehirn bräuchten,<br />
im Gegensatz zu anderen Nervenzellen, zeitweilig Ruhe. Zur<br />
Regeneration würden sie im Traum ausgeschaltet und verhinderten<br />
kritisches Hinterfragen.<br />
Während vieles in der Traumforschung nach wie vor rätselhaft<br />
bleibt, ist eines unbestritten: Träume sind bedeutsam und sogar<br />
lebenswichtig; das zeigten Experimente, in denen die<br />
Traumphasen der Probanden bewusst unterdrückt worden waren.<br />
Schwere seelische und körperliche Gesundheitsstörungen waren<br />
die Folge – Fazit: Träumen darf man nicht verbieten.<br />
Welche Funktion das Träumen selbst nun erfüllt, darüber wird in<br />
den verschiedensten Wissenschaften, Religionen und Weltan schauungen<br />
spekuliert. Wer sich mit den eigenen Träumen beschäftigt,<br />
sie auslegt, ihnen nachspürt, erweitert seinen Erfahrungsschatz<br />
hingegen auf einer weiteren Bewusstseinsebene des eigenen Ich.<br />
Durch die Erlebnisse im Traum, die Bewältigung von Vergan ge -<br />
nem profitiert der wachsame Träumer – auch für das, was die<br />
Zukunft bereithält. ✺
„Träume können Empfindungen, Szenen<br />
und Bilder so eindringlich und schön<br />
gestalten, wie der wache Künstler es<br />
nicht kann“ Emil Nolde (deutscher Maler, 1867–1956)<br />
Momentum 1· 2009<br />
43
Foto: Getty<br />
Stil der Zeit Parfümeure<br />
44 Momentum 1· 2009<br />
Immer der Nase nach<br />
Sie sind Künstler, deren Werke man riechen kann:<br />
Parfümeure verbinden die Welt der Träume mit der Wirklichkeit.<br />
Die besten unter ihnen schenken den Menschen das, was sie in<br />
unserer Zeit am meisten schätzen und brauchen: Individualität<br />
Text Petra Bäuerle<br />
Der Duft, kaum dass er von der Nase wahrgenommen<br />
wird, sendet sofort seine Bot schaft ins<br />
Gehirn. Angenehm, interessant, verführerisch?<br />
Oder eher langweilig, disharmonisch, aufdringlich<br />
– das entscheidet sich in einem Moment.<br />
Kein Sinn beeinflusst unser Unterbewusstsein so<br />
unmittelbar wie der Geruchssinn, deshalb vermag auch der persönliche<br />
Duft eines jeden seine Individualität entscheidend zu<br />
prägen. Wer das erkannt hat, möchte sein Parfüm nicht länger<br />
„von der Stange“ kaufen, sondern sucht nach Düften, die so perfekt<br />
passen wie ein Maßanzug – jenseits des Mainstreams.<br />
Lyn Harris gehört zu diesen Ausnahme-Kreateuren<br />
der Parfüm-Branche. „Ich wollte wirklich Düfte schaffen, die die<br />
Individualität rein und echt ausdrücken und die nicht einfach nur<br />
Parfüms sind. Ich habe nach Aromen gesucht, die tiefer gehen.“<br />
Lyn Harris schnupperte die ersten Düfte im elterlichen Garten in<br />
Schottland, absolvierte ihre Ausbildung in Paris, verfeinerte ihre<br />
Kenntnisse in Grasse, der „Welthauptstadt“ des Parfüms in der<br />
Pro vence. Als perfekt ausgebildete „Nase“ kehrte sie nach Groß -<br />
bri tan nien zurück, um zuerst ein Duftlabor in London und<br />
schließ lich im Jahr 2000 ihre Marke „Miller Harris“ zu gründen<br />
(Miller nach dem mittleren Namen ihres Vaters). Heute werden<br />
die originären, frischen, von schwebender Leichtigkeit durchdrungenen<br />
Düfte in Lyns Labor in London und Grasse kreiert.<br />
Oder aber Lyn „schneidert“ ihren Kunden ein Parfüm persönlich<br />
auf den Leib. Schließlich gilt sie als Pionierin im Bereich der<br />
„Bespoke“-Parfüms, wie die personalisierten Düfte genannt werden.<br />
Das beginnt mit einem Kennenlern-Tag, den Lyn komplett mit dem<br />
Kunden im Duftlabor verbringt, und endet, etwa sechs Monate<br />
Lyn Harris gilt als Pionierin in der Welt der „Bespoke“-Parfüms,<br />
der personalisierten Düfte also. Sie arbeitet in London und Grasse<br />
und einige intensive Dufttests später, mit einem in Grasse regis -<br />
trierten persönlichen Duft.<br />
Noch näher kommt Yogesh Kumar seinen Klienten,<br />
Frauen wie Männern. Er erschnuppert zunächst Stärken und<br />
Schwächen, Träume und Ängste, Liebe und Lüge – und zwar im<br />
Nacken, gleich unter dem Haaransatz der jeweiligen Person.<br />
Ausgestattet mit diesen intimsten Informationen legt er ein<br />
Persönlichkeits-Profil an, um das herum der individuelle Duft
„Ein richtiges Parfüm spricht und regt die<br />
Fantasie an. Das Rascheln eines Stoffes,<br />
die fast unmerkliche Ausstrahlung<br />
(Serge Lutens)<br />
einer Blüte, der mit Gold durchsetzte Staub Kairos“<br />
Momentum 1· 2009<br />
45
Stil der Zeit Parfümeure<br />
46 Momentum 1· 2009<br />
Oben links: Der Poet unter den Parfümeuren – Serge Lutens träumt sich in<br />
olfaktorische Wunschwelten. Seine Düfte polarisieren: Man liebt sie oder<br />
eben nicht! Oben rechts: Die Power-Frau aus Paris hat New York mit einer<br />
Duft-Landkarte überzogen. Laurice Rahmé kreiert unter ihrem Label Bond<br />
No.9 Parfüms wie Central Park oder Wall Street. Unten links: Der Inder<br />
Yogesh Kumar komponiert in Wien Parfüm-Sinfonien für Individualisten<br />
auf Basis des persönlichen Duftes. Unten rechts: Dieser Parfümeur sprengt<br />
den Rahmen des Gewöhnlichen: Alessandro Gualtieri revolutioniert als<br />
Nasomatto von Amsterdam aus die Welt der Düfte
komponiert wird. Klingt verwegen, ist aber die probate Methode<br />
des indischen Parfümeurs, der „mit der Nase hören“ kann. Wie<br />
professionell er arbeitet, bestätigen seine Aufträge aus Industrie<br />
und Hotellerie, für die er unter dem Motto „Corporate Scent:<br />
Messages in a bottle“ Raumduftkonzepte kreiert und realisiert.<br />
„Jeder Mensch und jedes Unternehmen haben ihren eigenen<br />
Geruch“, so Yogesh Kumar, der schon als 13-Jähriger in seiner<br />
Heimat stadt Neu-Delhi am Esstisch mit aromatischen Essenzen<br />
experimentierte. Der Liebe wegen kam der Duft-Guru nach Wien,<br />
wo er in seinem Geschäft in der Kirchengasse individuelle Düfte<br />
für individuelle Menschen komponiert. Wer seinen Nacken nicht<br />
zum Schnuppertest senken möchte, kann auch einen getragenen<br />
Schal schicken, der dem Duftberater als Basis für einen ersten<br />
Duftreport dient.<br />
„It’s true, I’m tough“, so wird Laurice Rahmé in der<br />
New York Times zitiert. Die gebürtige Pariserin hat in „Big Apple“<br />
ihr Ding gemacht: eine eigene Parfümmarke gegründet und zum<br />
Erfolg geführt. Als langjährige Kennerin der Branche befriedigt sie<br />
die Eitelkeit der Stadt und deren zahllose Anhänger mit echten<br />
New-York-Düften. „Park Avenue“ zum Beispiel verströmt das luxuriöse<br />
Flair der dort ansässigen Designerläden, „Wall Street“ riecht<br />
ein wenig herb, mit einem salzigen Hauch vom Atlantik. Mit über<br />
25 Parfüms hat die temperamentvolle Französin in der Stadt<br />
bereits ihre Duftmarken gesetzt – alle unter dem Namen der<br />
Adresse ihrer zentralen Boutique: Bond No. 9. Mit ihren Düften<br />
versucht sie das jeweilige Flair eines Stadtteils, einer Gegend einzufangen.<br />
Wer sich nicht entscheiden kann (und ein wirklich<br />
guter Kunde ist), wird im Bond-Mobil zu den Plätzen gefahren,<br />
die als Inspiration dienten. Nicht nur das Marketing ist extravagant,<br />
auch die Düfte selbst: Es handelt sich ausnahmslos um Eaux<br />
de Parfums mit hoher Duftkonzentration (18–20 %), ganz im Stil<br />
der traditionsreichen französischen Parfümkunst.<br />
Diese beherrscht auch Serge Lutens wie kaum ein<br />
anderer. Der irritierend sanft und melancholisch wirkende Parfü -<br />
meur, der sich aus dem lauten Paris immer wieder in die Stille<br />
seines Domizils nach Marrakesch zurückzieht, macht keine Remi -<br />
niszenzen an Trend oder Mode. „Freiheit muss man sich nehmen.<br />
Eine geschenkte Freiheit ist keine Freiheit.“ Serge Lutens gestaltet<br />
sein Leben nach eigenen Regeln und lässt sich nicht gängeln –<br />
schon gar nicht bei der Kreation seiner Düfte, die durch Indi vi -<br />
dualität verzaubern. Sie sind geheimnisvoll, reich, wahrhaftig, entstanden<br />
aus Erinnerungen und Gefühlen. Ihre Namen ergeben<br />
sich wie von selbst: Arabie, sinnlich und voller Sonne; Fleurs de<br />
Citronnier, klare, kühle Transparenz mit orientalischen Akzenten,<br />
oder ganz neu: Serge Noir, inspiriert von Phönix, dem Vogel der<br />
„Düfte müssen vor allem eines: positive<br />
Erinnerungen und angenehme Emotionen<br />
wecken. Die Kunden, die zu mir<br />
kommen, wollen nicht einer unter Tausend sein“<br />
(Yogesh Kumar)<br />
griechischen Mythologe, der aus seiner Asche neu ersteht. Auch<br />
Serge Lutens stieg wie ein Phönix auf. Geboren in Lille, entwickelt<br />
der Autodidakt schon in jungen Jahren in Paris für Christian Dior<br />
die erste Kosmetiklinie, bestimmt als Art-Direktor das Gesicht der<br />
französische Vogue und wirkt 15 Jahre lang als Kreativ-Direktor<br />
beim Kosmetikkonzern Shiseido. Im Jahr 2000 entstand das Label<br />
„Parfums Serge Lutens“, das dem Meister die Beschränkung auf<br />
das Wesentliche erlaubt: die Kreation von Düften, mit denen er<br />
sich gegen eine Welt auflehnt, „in der das Riechen nicht mehr notwendig<br />
zu sein scheint“. Mitten in Paris wurde ein passender<br />
Rahmen, eine Art Bühne für seine Parfüms geschaffen: „Les Salons<br />
du Palais Royal“, entstanden 1992, präsentieren das olfaktorische<br />
Werk des Ausnahme-Künstlers.<br />
Kreativität als Gratwanderung: Nasomatto steht<br />
dem Franzosen darin nicht nach. Hinter dem Namen (Italienisch<br />
für „verrückte Nase“) steckt der Italiener Alessandro Gualtieri,<br />
dessen subversive Genialität zu innovativen Parfüms jenseits der<br />
Konventionen führt. In seiner Wahlheimat Amsterdam realisiert er<br />
eine Parfümkollektion, deren Namen direkt den Weg zum Duft<br />
zeigen: Absinth, Silber Musk, Hindu Grass ... sollen Emotionen<br />
erlebbar machen. Nasomatto, der schon für Designer wie Versace<br />
und Helmut Lang kreative Duftprojekte verwirklichte, will die<br />
Duftwahrnehmung revolutionieren – wobei er auf hochwertigste<br />
Rohstoffe und viel Sinnlichkeit, gemixt mit einer guten Prise<br />
Verrückheit, setzt. ✺<br />
Parfümeure Internetadressen<br />
www.millerharris.com<br />
www.dasparfum.com (für Yogesh Kumar)<br />
www.bondno9.com<br />
www.nasomatto.com<br />
www.sergelutens.com<br />
Momentum 1· 2009<br />
47
Quellen: brand eins, extrawissen.de, faz.net, interessante-fakten.de, René Ammann<br />
Zeitfenster Zahlen & Fakten<br />
48 Momentum 1· 2009<br />
Wussten Sie, dass eine Maus einen Puls von etwa 700 Schlägen pro Minute hat?<br />
Mit mehr als 1.000 Billionen Rechenschritten pro Sekunde ist der amerikanische Supercomputer „Roadrunner“<br />
der schnellste Rechner der Welt. Geschätze 120.000 handelsübliche Notebooks wären nötig, um die gleiche<br />
Rechenleistung zu erreichen.<br />
Ein Bewohner von Mexiko-Stadt pendelt pro Tag durchschnittlich 150 Minuten zwischen Haus und Arbeitsplatz.<br />
Altweltkamele können in ihren Höckern so viel Fett einlagern, dass sie bis zu 30 Tage keine Nahrung<br />
aufnehmen müssen. In ihrem Magensystem speichern sie bis zu 150 Liter Wasser.<br />
In einer Minute können sie etwa 10 Liter Wasser trinken.<br />
Im Jahr 1800 betrug der Anteil der Bewohner von Städten an der weltweiten<br />
Gesamtbevölkerung zwei Prozent – im Jahr 2007 waren es 51 Prozent.<br />
Ein menschlicher Wimpernschlag dauert<br />
etwa 100 Millisekunden.<br />
Von den heute existierenden rund<br />
6.000 Sprachen auf der Welt werden in 100 Jahren<br />
90 Prozent erloschen sein.<br />
Bei der australischen Volkszählung 2002 haben 70.000 Menschen in der Rubrik „Religion“<br />
als Glaube „Jedi“ eingetragen.<br />
Es würde ungefähr 29 Millionen Jahre dauern, bis ein Auto mit einer Geschwindigkeit von 160 km/h<br />
den dichtesten Stern erreicht.<br />
Der Nachbau der Cheops-Pyramide würde heute unter Zuhilfenahme modernster Technik immer noch<br />
mindestens acht Jahre dauern, aber auf der Baustelle müssten nur noch 68 Arbeiter eingesetzt werden.<br />
Seinerzeit waren es noch geschätzte 6.700.<br />
Indem sie sämtliche Flüge durch Tempodrosselung um wenige Minuten verlängert, will die US-Fluglinie Southwest<br />
Airlines in diesem Jahr 42 Millionen Dollar sparen.
Gut getarnt Momentaufnahme<br />
Lockvögel<br />
Geschickt tarnen sich diese Männer im Indus-Fluss mit ungewöhnlichem Kopfschmuck:<br />
Auf der Jagd nach Fischreihern setzen sie sich tote Vögel aufs Haupt, um die Artgenossen in Sicherheit<br />
zu wiegen und anzulocken<br />
Momentum 1· 2009<br />
Foto: Randy Olson / National Geographic / Getty<br />
49
Zukunftsmomente Abonnement & Impressum<br />
✄<br />
Impressum<br />
50 26 Momentum 1· 3· 2009 2006<br />
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Objektverantwortung: Christina Murczek<br />
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