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Leseprobe_Außergewöhnliche Komponistinnen

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Andrea Schwab<br />

<strong>Außergewöhnliche</strong><br />

<strong>Komponistinnen</strong><br />

Weibliches Komponieren im 18. und 19. Jahrhundert<br />

Von Maria Theresia Paradis über Josepha Barbara Auernhammer<br />

bis Julie von Baroni-Cavalcabò


<strong>Außergewöhnliche</strong> <strong>Komponistinnen</strong><br />

Weibliches Komponieren im 18. und 19. Jahrhundert<br />

Von Maria Theresia Paradis über Josepha Barbara<br />

Auernhammer bis Julie von Baroni-Cavalcabò


Andrea Schwab<br />

AUSSERGEWÖHNLICHE<br />

KOMPONISTINNEN<br />

Weibliches Komponieren im 18. und 19. Jahrhundert<br />

Von Maria Theresia Paradis über Josepha Barbara<br />

Auernhammer bis Julie von Baroni-Cavalcabò


Mit freundlicher Unterstützung der Magistratsabteilung 7 – Kultur<br />

Umschlagbild:<br />

Marianna Martines, Gemälde von Anton von Maron, Wien Museum<br />

Andrea Schwab: <strong>Außergewöhnliche</strong> <strong>Komponistinnen</strong>. Weibliches Komponieren<br />

im 18. und 19. Jahrhundert<br />

Von Maria Theresia Paradis über Josepha Barbara Auernhammer bis Julie von<br />

Baroni-Cacalcabò<br />

© HOLLITZER Verlag, Wien 2019<br />

Artwork und Satz: Tobias Hildebrandt<br />

Umschlag: Nikola Stevanović<br />

Hergestellt in der EU<br />

www.hollitzer.at<br />

HOLLITZER VERLAG<br />

der HOLLITZER Baustoffwerke Graz GmbH<br />

Alle Rechte vorbehalten.<br />

ISBN 978-3-99012-588-5


INHALT<br />

Zum Geleit – Professor Norman Shetler ................................. 9<br />

Einleitung ..................................................................................... 11<br />

Wilhelmine Friederike Sophie (1709–1758) ......................... 18<br />

Geb. Prinzessin von Preußen, Markgräfin von<br />

Bayreuth, Musikerin, Sängerin, Komponistin,<br />

Librettistin<br />

Maria Antonia Walpurgis (1724–1780) ................................. 24<br />

Kurfürstin von Sachsen, Prinzessin von Bayern,<br />

Komponistin, Sängerin, Mäzenin, Librettistin<br />

Marianna Martines (1744–1812) ............................................ 30<br />

Pianistin, Sängerin, Pädagogin, Komponistin<br />

Maria Theresia Paradis (1759–1824) .................................... 38<br />

Klaviervirtuosin, Sängerin, Komponistin,<br />

Pädagogin<br />

Marianna Auenbrugger (1759–1782) ..................................... 47<br />

Pianistin, Komponistin<br />

Karoline Bayer (1758–1803) .................................................... 51<br />

Geigerin, reisende Virtuosin, Komponistin<br />

Marie Antoinette (1755–1793) ................................................ 55<br />

(Maria Antonia) Erzherzogin von Österreich,<br />

Königin von Frankreich – Musikerin,<br />

Schau spielerin und Komponistin?<br />

Anna Amalia (1739–1807) ........................................................... 60<br />

Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach,<br />

geb. Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel –<br />

Fürstin, Komponistin, Musikerin, Schriftstellerin,<br />

Begründerin des Weimarer Musenhofes


Josepha Barbara Auernhammer (1758–1820) .................... 66<br />

Pianistin, Komponistin, Pädagogin<br />

Eleonore Sophia Maria Westenholtz (1759–1838) .............. 72<br />

Geb. Fritscher, Pianistin, Komponistin,<br />

Pädagogin<br />

Nannette Stein-Streicher (1769–1833) ................................... 78<br />

Geb. Stein, Pianistin, Sängerin, Komponistin,<br />

Klavierbauerin und Unternehmerin<br />

Josepha Müllner-Gollenhofer (1768–1843) ........................ 84<br />

Harfenvirtuosin, Pädagogin, Komponistin<br />

Katharina Cibbini-Koželuch (1785–1858) ........................... 90<br />

Pianistin, Komponistin, Klavierpädagogin,<br />

Förderin und Politikerin<br />

Marianna Czegka (1786–1849) .................................................97<br />

Sängerin, Komponistin, Gesangspädagogin,<br />

Tochter Josepha Auernhammers<br />

Jeannette Antonie Milder-Bürde (1799–?) .......................... 102<br />

Sängerin, Pädagogin, Komponistin<br />

Julie von Baroni-Cavalcabò (1813–1887) ........................... 108<br />

Pianistin, Komponistin, Schülerin Franz Xaver<br />

Mozarts<br />

Nachwort und Danksagung ................................................... 114<br />

Biographie Andrea Schwab .................................................... 115<br />

Bibliographie ............................................................................. 118<br />

Personenregister ....................................................................... 129<br />

Anmerkungen, Literaturverweise .........................................137<br />

Abbildungsverzeichnis ............................................................ 152


Meinem Lebenspartner und Lehrer Alfred, meinen Eltern,<br />

meinem Bruder und meiner Schwägerin gewidmet.


ZUM GELEIT –<br />

Professor Norman Shetler<br />

Andrea Schwab, Norman Shetler, Asako Hosoki<br />

Die Mezzosopranistin und Publizistin Andrea Schwab hat<br />

einen Schatz an Kompositionen von noch weitgehend unbekannten<br />

<strong>Komponistinnen</strong> ausgegraben. Dank ihrer Recherchen<br />

hat sie mit ihrer schönen Stimme vollkommen<br />

in Vergessenheit geratene komponierende Zeitgenossinnen<br />

Mozarts, Haydns, Beethovens u. a. m. gemeinsam mit der<br />

Pianistin und Liedbegleiterin Asako Hosoki einem breiteren<br />

Publikum in vielen Ländern vorgestellt. Ich wünsche ihr<br />

viel Kraft und Erfolg bei der Durchführung ihrer Ideen. Ihr<br />

Buch soll dazu beitragen, die Werke der Komponist innen<br />

zu neuem Leben zu erwecken.<br />

9


EINLEITUNG<br />

Bildnis Maria Anna Mozart (1751–1829) im Alter von 10 Jahren,<br />

im Galakleid am Klavier sitzend<br />

Die Idee, ein Buch zur Konzertreihe „Frauen komponieren“<br />

zu gestalten, hatte ich zu ihrem fünften Jahrestag im März<br />

2010. Obwohl die Forschung in den letzten 20 Jahren viel<br />

dazu beigetragen hat, Leben und Meisterwerke von <strong>Komponistinnen</strong><br />

zu ergründen und der Öffentlichkeit zugänglich<br />

zu machen, sind die daraus resultierenden Erkenntnisse<br />

dem größten Teil des musikinteressierten Publikums unbekannt.<br />

Sehr oft kommen die Menschen nach unseren Liederabenden<br />

auf uns zu und meinen: „Schöne Musik! Schade,<br />

dass man so wenig zu hören bekommt. Wir hätten gerne<br />

mehr davon.“ So reifte in mir der Gedanke, ein Begleitbuch<br />

zur Konzertreihe herauszugeben und darin die Lebensgeschichten<br />

dieser hoch begabten Frauen zu erzählen. Das<br />

vorliegende Buch ist den komponierenden Zeitgenossinnen<br />

von Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), Joseph Haydn<br />

(1732–1809), Ludwig van Beethoven (1770–1827) und Franz<br />

Schubert (1797–1828) gewidmet. Um in die Musik dieser<br />

Virtuosinnen tiefer einzudringen, ist es wichtig, Lebensumstände<br />

und soziales Umfeld zu betrachten. Wie könnte das<br />

Lebensgefühl einer Frau, speziell einer Musikerin, zur Zeit<br />

des Aufgeklärten Absolutismus bzw. Biedermeier im österreichischen<br />

Kaiserreich gewesen sein? Begabte Studentin-<br />

11


nen und Studenten wurden durch Privatlehrer unterrichtet.<br />

Später entstanden Konservatorien bzw. Musikakademien.<br />

In der Regel war es nur wohlhabenden Familien möglich,<br />

ihren Kindern Unterricht durch Privatlehrer erteilen zu<br />

lassen. In Wien wurden erst ab 1813, nachdem die Gesellschaft<br />

der Musikfreunde des ös terreichischen Kaiserstaates<br />

gegründet wurde, Mädchen im neu ins Leben gerufenen<br />

Konservatorium zum Musikstudium zugelassen:<br />

„… daß eine ernstliche Förderung des öffentlichen Musiklebens<br />

nur durch Gründung eines Konservatoriums bewirkt<br />

werden kann. … Es sollen Zöglinge beiderlei Geschlechts<br />

auf vokalem, instrumentalem und kompositorischem Gebiet<br />

unentgeltlich ausgebildet, ein eigenes Gebäude soll<br />

erworben werden und gleichzeitig als Konzerthaus und<br />

Schulgebäude dienen. …“ 1<br />

Beschlossen wurde dies am 28. März 1813. Dazu wurde<br />

ein eigenes Komitee einberufen, dem auch Antonio Salieri<br />

(1750–1825) angehörte. Für ausländische Schülerinnen<br />

und Schüler wurden 10 Gulden Schulgeld festgelegt. Salieri<br />

übernahm die Oberaufsicht des Gesangsunterrichts in der<br />

Singschule, in der 12 Mädchen und 12 Knaben zugelassen<br />

waren. Erwähnenswert ist, dass bereits im Jahre 1818 die<br />

doppelte Anzahl beiderlei Geschlechts aufgenommen worden<br />

war und so eine Parallelklasse errichtet wurde, mit<br />

deren Leitung Anna Fröhlich (1793–1880) 2 betraut wurde.<br />

Sie war eine der berühmten Fröhlich-Schwestern im Kreise<br />

Franz Grillparzers (1791–1872) und wirkte von 1810–1854<br />

im Konservatorium. Josephine Fröhlich, ihre Schwester<br />

(1803–1878) war Sängerin und Komponistin. 3 Wien trug<br />

nicht von ungefähr den Beinamen „Hauptstadt der Musik“,<br />

hier, in diesem kunst- und musiksinnigen Umfeld, boten<br />

sich für Mu sikerinnen, Sängerinnen und komponierende<br />

Frauen günstigere Bedingungen als anderswo im Europa<br />

des 18. Jahrhunderts. Der Begriff Wiener Klassik entstand<br />

durch eine Jahrhunderte dauernde Musiktradition. Noch<br />

bevor die Gesellschaft der Musikfreunde und das Konservatorium<br />

entstanden, wirkten hier bedeutende Meister wie<br />

Johann Georg Albrechtsberger (1736–1809), Antonio Sa-<br />

12


lieri, Johann Baptist Schenk (1753–1836) oder Abbé Vogler<br />

(1749–1814) als Lehrer. 4<br />

Mozarts Lebensperiode (1756–1791) und die seiner komponierenden<br />

Zeitgenossinnen läuft annähernd parallel zur<br />

Regierungszeit Kaiserin Maria Theresias (1740–1780) und<br />

der ihres Sohnes Joseph II. (1780–1790). Historisch bezeichnen<br />

wir diese Epoche als Aufgeklärten Absolutismus, eine<br />

Periode, die politisch, gesellschaftlich und künstlerisch sowohl<br />

von reaktionären als auch von innovativen Tendenzen<br />

bestimmt war. Diese Widersprüchlichkeit war eine der<br />

Voraussetzungen dafür, dass dem damaligen Publikum die<br />

Musik einiger hoch begabter Frauen zugänglich gemacht<br />

wurde. Die Ideen und Ziele der Aufklärung waren in erster<br />

Linie von Männern für Männer erdacht. Ergo unterschieden<br />

sich die damaligen weiblichen Lebensentwürfe wesentlich<br />

von den männlichen. Es ist mir bewusst, dass die <strong>Komponistinnen</strong><br />

zur Zeit Mozarts Ausnahmeerscheinungen waren<br />

und durch ihre Herkunft und ihr soziales Umfeld besondere<br />

künstlerische Chancen erhielten. Was hat sie bewogen zu<br />

komponieren und zum Teil herausragende Werke zu schaffen?<br />

Welche Umstände haben sie abgehalten, noch mehr<br />

hervorzubringen? Wie waren ihre persönlichen Erfahrungen?<br />

Hatten sie Familie und Kinder? Wie brachten sie es<br />

zustande, ihre Konzerte in Form von Akademien selbst zu<br />

organisieren und dafür auch noch Werbung zu machen?<br />

Wie war ihre Beziehung zu den großen Meistern der damaligen<br />

Zeit? Wie war es möglich, dass in einer Zeit, in der<br />

Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) die Ansicht vertrat,<br />

dass Frauen weder Genie noch künstlerische Sensibilität<br />

besitzen, es einzelnen Frauen mit ihren Kompositionen gelang,<br />

die Aufmerksamkeit und Zustimmung der damals fast<br />

ausschließlich männlichen Fachwelt zu erlangen? Die meisten,<br />

die zum Thema „Frau und Musik“ in der zweiten Hälfte<br />

des 18. Jahrhunderts Stellung bezogen, waren der Ansicht,<br />

dass man weibliches Musizieren oder den musikalischen<br />

Ausdruck von Frauen oder musizierende oder komponierende<br />

Frauen nur so weit fördern sollte, als dass sie diese<br />

nicht von ihrer Berufung als Hausfrau und Mutter und den<br />

damit verbundenen Pflichten ablenke.<br />

13


Für Mozart, Haydn, Salieri und andere Komponisten dieser<br />

Epoche war es eine Selbstverständlichkeit, dass sie mit<br />

ihrer Musik schlicht und einfach Geld verdienen mussten,<br />

um ihre Frauen und Kinder zu ernähren. Frauen hatten<br />

hingegen in der Regel keine sehr hohe Meinung von ihren<br />

eigenen Werken und erwarteten auch keine so große Zustimmung<br />

des Publikums. Meist gingen sie besonders di–<br />

plomatisch und zurückhaltend vor und entschuldigten sich<br />

sogar dafür, wenn sie ihre Musikstücke der Öffentlichkeit<br />

präsentierten. Als die schwer sehbehinderte Virtuosin und<br />

Komponistin Maria Theresia Paradis 1810 gefragt wurde,<br />

warum sie so lange nichts mehr komponiert habe, bat<br />

diese ihre männlichen Kollegen indirekt um Verzeihung:<br />

„Würden es mir die männlichen Kunstgenossen verzeihen,<br />

wenn ich als Frauenzimmer – und sogar als geschichtsloses<br />

Frauenzimmer es wagte, mich mit ihnen zu messen.“ 5 Diese<br />

Aussage illustriert das aus heutiger Sicht äußerst seltsame<br />

Selbstverständnis der Frauen dieser Zeit auf das Anschaulichste.<br />

Woher nahmen sie dennoch Motivation und Ansporn,<br />

bedeutende Werke zu schaffen, die auch schon vom<br />

damaligen Publikum äußerst positiv aufgenommen wurden?<br />

Die in dem Buch vorgestellten Künstlerinnen waren<br />

– mit wenigen Ausnahmen – professionelle und brillante<br />

Virtuosinnen, ihre Musikstücke wurden öffentlich meist in<br />

den so genannten Akademien vorgetragen. Eine Akademie<br />

musste selbst organisiert werden. Es gab noch kaum Agenten.<br />

Die Künstlerin war auch zugleich Veranstalterin.<br />

Viele <strong>Komponistinnen</strong> dieser Zeit hinterließen Meisterwerke<br />

wie Singspiele, Oratorien, Messen, Klavierkonzerte<br />

und Symphonien. Innerhalb der letzten Jahre erschienen<br />

exzellente und bemerkenswerte Publikationen zu diesem<br />

Thema. Sie erweckten die Musik und die Geschichte dieser<br />

erfolgreichen Frauen zu neuem Leben. An vorderster Stelle<br />

sind hier die Autorinnen Eva Marx, Gerlinde Haas und Elena<br />

Ostleitner zu nennen, deren Beiträge zur Erforschung österreichischer<br />

<strong>Komponistinnen</strong> große Aufmerksamkeit und<br />

besonderes Lob verdienen. Elena Ostleitners und Gabriele<br />

Dorffners Publikation zum Mozartjahr 2006 mit dem Titel<br />

„Ein unerschöpflicher Reichthum an Ideen …“ 6 vermittelt<br />

uns neue und tiefgreifende Einblicke in die Komponistin-<br />

14


nen-Forschung zur Zeit Mozarts. Eva Marx’ und Gerlinde<br />

Haas’ Lexikon mit 210 Biographien österreichischer <strong>Komponistinnen</strong><br />

ist zum Standardwerk geworden und bietet Informationen<br />

von unschätzbarem Wert. 7 Es ist zu wünschen,<br />

dass diese Werke den Weg in die Bibliotheken der österreichischen<br />

Schulen finden. Eine ausgezeichnete Lebensbeschreibung<br />

(mit Werkangaben) der österreichische Pianistin<br />

und Komponistin Paradis lieferte uns Marion Fürst. 8<br />

Es sei noch die Salzburgerin Regina Nopp erwähnt, deren<br />

Buch über <strong>Komponistinnen</strong> der Wiener Klassik bereits im<br />

Jahr 1996 erschienen ist. Darin werden zum ersten Mal die<br />

gemäß des damaligen Forschungsstands bekannten Namen,<br />

Biographien und Werke von <strong>Komponistinnen</strong> aufgezeichnet.<br />

Auch dies ist ein sehr grundlegendes und informatives<br />

Werk, das zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema motiviert.<br />

Von Bedeutung ist, dass es im 18. Jahrhundert einige Musikerinnen<br />

zustande brachten, ein Tabu zu brechen und in<br />

ein neues Terrain vorzudringen. Das Leben zur Zeit Mozarts<br />

war rastlos und mühsam. Die Rechtsvorschriften in den einzelnen<br />

Ländern der Monarchie waren unterschiedlich. Todesstrafe,<br />

Folter und Zwangsarbeit waren an der Tagesordnung.<br />

Hungersnöte gehörten zu den Begleiterscheinungen<br />

des Siebenjährigen Krieges (1756–1763).<br />

Aus historischer Sicht war das Zeitalter des Aufgeklärten<br />

Absolutismus eines voller Widersprüche. In ihrer Biographie<br />

über Mozarts Schwester, Maria Anna, schreibt die<br />

Musikwissenschafterin Eva Rieger über die Tatsache, dass<br />

in Salzburg, im Jahre 1750 – einem Jahr vor der Geburt<br />

Maria Annas – die letzte als Hexe bezeichnete Frau auf einem<br />

öffentlichen Platz mit dem Schwert geköpft wurde. 9<br />

Das Mädchen, das Opfer dieses Verbrechens wurde, war<br />

die 17-jährige Maria Pauer, die vor ihrer Verurteilung als<br />

Magd in Mühldorf am Inn gearbeitet hatte (1734–1750). 10<br />

Zudem wurden sieben junge Mädchen beschuldigt, einen<br />

unmoralischen Lebensstil geführt zu haben und daher vor<br />

aller Augen verprügelt. Nannerl bzw. Maria Anna Mozart,<br />

war damals 20 Jahre alt. Was für einen Eindruck muss<br />

das auf sie gehabt haben? Welche Art von Selbstbewusstsein,<br />

Identität und künstlerischer Ausdruckskraft konnte<br />

15


man als Frau in einer Zeit mit einer derartigen Moralpolitik<br />

entwickeln? 1740 wurde Maria Theresia, Tochter von<br />

Kaiser Karl VI. (1685–1740) auf Grund der Pragmatischen<br />

Sanktion Kaiserin von Österreich. Karl VI. veröffentlichte<br />

1713 diese Urkunde, die künftig rechtlich die weibliche Erbfolge<br />

sichern sollte. 11 Maria Theresia war 23, als ihr Vater<br />

starb und sie die Regierungsgeschäfte übernahm. Obwohl<br />

ihr Vater ihr ein hoch verschuldetes Land übergab, gelang<br />

es der jungen Kaiserin, durch bemerkenswerte Reformen<br />

aufklärerische Ideen realpolitisch umzusetzen. Sie modernisierte<br />

die Rechtssprechung und die Verwaltung und führte<br />

die allgemeine Schulpflicht ein. Maria Theresia liebte das<br />

Theater und die Musik und förderte beides entsprechend,<br />

wodurch in Österreich ein besonderes Klima zur Entfaltung<br />

außergewöhnlicher Talente gegeben war und sich für komponierende<br />

Frauen Möglichkeiten boten, mit ihren Werken<br />

öffentlich in Erscheinung zu treten. Die persönliche Einstellung<br />

dieser Frauen zum eigenen Schaffen und ihr Selbstbewusstsein<br />

lassen sich am Lebensgefühl der Zeit messen.<br />

Meist führten sie ein Leben, das einer aufgeklärten Frau des<br />

20. oder 21. Jahrhunderts fremd und unterwürfig erscheinen<br />

muss. Ihre Biographien können heute nur im Kontext<br />

des weiblichen Selbstverständnis im 18. bzw. beginnenden<br />

19. Jahrhunderts verstanden werden. In den folgenden Porträts<br />

stelle ich 16 Frauen vor, die zu ihrer Zeit etwas völlig<br />

Neues und Risikoreiches gewagt und damit im positiven<br />

Sinne Grenzen überschritten haben. Es sei erwähnt, dass<br />

es sich nicht um ein wissenschaftliches Werk handelt – es<br />

gibt schon eine Fülle hervorragender entsprechender Literatur,<br />

sondern dass ich vor allem das Ziel habe, anzuregen,<br />

sich mit diesen Frauen näher zu beschäftigen, ihre Musik zu<br />

spielen, aufzuführen und ihre Namen weiter zu verbreiten.<br />

16


WILHELMINE FRIEDERIKE<br />

SOPHIE (1709–1758)<br />

Geb. Prinzessin von Preußen, Markgräfin von<br />

Bayreuth, Musikerin, Sängerin, Komponistin,<br />

Librettistin<br />

Wilhelmine Friederike Sophie, geb. Prinzessin<br />

von Preußen, Markgräfin von Bayreuth<br />

Wenn wir den Namen Bayreuth hören, assoziieren wir sofort<br />

Richard Wagner (1813–1883) und damit die dort auf<br />

dem Grünen Hügel jährlich im Sommer stattfindenden<br />

Opernfestspiele. Diesem Umstand ist es zuzuschreiben,<br />

dass der Name der komponierenden und musikbegeisterten<br />

Markgräfin über mehr als zwei Jahrhunderte in den Hintergrund<br />

gedrängt wurde. Weiters wurde Wilhelmine auch<br />

hauptsächlich als Schwester des bedeutenden Preußenkönigs<br />

Friedrich II. (1712–1786), der den Beinamen „Der alte<br />

Fritz“ trug, in Erinnerung behalten. Aus dem Geschichtsunterricht<br />

fällt dazu der Siebenjährige Krieg (1756–1763) ein,<br />

den Friedrich der Große unter anderem gegen Österreich<br />

geführt hatte. Beide Geschwister – Friedrich und Wilhelmine<br />

– hatten eines gemeinsam: Die Liebe zur Musik und<br />

Kunst, wodurch sie trotz immer wieder aufkommender<br />

Konflikte eng miteinander verbunden blieben. Wie bei an-<br />

18


deren adeligen Musikerinnen dieser Zeit, haben wir auch<br />

in diesem höfischen Umfeld die Voraussetzungen, die eine<br />

fundierte musikalische Ausbildung sowie das Erlernen<br />

mehrerer Instrumente ermöglichen. Überliefert ist, dass die<br />

preußische Prinzessin neben der Unterweisung in höfischer<br />

Disziplin intensiven Musikunterricht erhielt. 12<br />

Wilhelmine Friederike Sophie, Prinzessin von Preußen,<br />

wurde am 3. Juli 1709 in Berlin als Tochter von Friedrich<br />

Wilhelm I., des sogenannten Soldatenkönigs (1688–1740)<br />

geboren. Diesem Beinamen machte er tatsächlich Ehre,<br />

indem er das preußische Heer straff organisierte und sein<br />

Land dadurch zur viertstärksten Militärmacht Europas<br />

wurde. Er galt als fleißig, zielstrebig und sparsam und erledigte<br />

seine Staatsgeschäfte am liebsten selbst. Wilhelmines<br />

Mutter war Königin Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg<br />

(1727–1783). Dokumentiert ist, dass die Kindheit<br />

von Prinzessin Wilhelmine alles andere als glücklich und<br />

harmonisch verlief. So wurden auch hier die Konflikte der<br />

Eltern auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. 13 Wenn<br />

man sich dazu noch das höfische Leben mit all den Intrigen<br />

zur Zeit des auslaufenden Absolutismus vorstellt, muss<br />

das für ein sensibles heranwachsendes Mädchen der reine<br />

Albtraum gewesen sein. Als besonders düsteres Kapitel ihrer<br />

Kindheit beschrieb sie in ihren Memoiren 14 die Periode<br />

mit einer italienischen Erzieherin namens Leti, die ihr 1712<br />

bereits im Alter von dreieinhalb Jahren zugeteilt wurde. Die<br />

Biographin Ruth Müller-Lindenberg weist darauf hin, dass<br />

bisher in keiner Quelle der Vorname sowie genaue Daten<br />

über jene italienische Erzieherin zu finden seien, die das<br />

Kind immer wieder schwer misshandelte. Auch durch den<br />

Vater erlittene Züchtigungen und drakonische Strafen waren<br />

an der Tagesordnung. 15 Unpässlichkeiten und psychosomatische<br />

Erkrankungen dominierten Wilhelmines Alltag.<br />

Als sie schließlich mit einer Gallenkollik zusammenbrach,<br />

hatte das Martyrium ein Ende. Eine neue Erzieherin, Dorothea<br />

von Wittenhorst-Sonsfeld (1681–1746), Sonsine genannt,<br />

trat 1721 in Wilhelmines Leben. Sonsine war vorerst<br />

Hofdame von Wilhelmines Mutter, Königin Sophie Charlotte.<br />

Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin zeigte diese sich<br />

liebevoll, indem sie versuchte, dem Mädchen aus den ver-<br />

19


gangenen Demütigungen heraus Selbstvertrauen und Stärke<br />

zu vermitteln. Durch sie erhielt Wilhelmine Unterricht in<br />

Englisch, Italienisch, Geschichte, Geographie, Philosophie<br />

und Musik. Darüber hinaus wurde sie motiviert, das Spiel<br />

mehrerer Instrumente zu erlernen. Bereits im Alter von<br />

sechs Jahren trat sie gemeinsam mit ihrer Mutter in Cembalo-Konzerten<br />

im Schloss Monbijou auf. Auch bekam sie<br />

Lautenunterricht bei dem Lautenisten und Komponisten<br />

Silvius Leopold Weiss (1687–1750), der als einer der größten<br />

Lautenvirtuosen seiner Zeit galt. Zusätzlich erlernte sie<br />

noch das Violinspiel.<br />

Sie spielte demnach drei Instrumente und widmete sich<br />

später auch dem Gesang. Wenn man noch den Sprachunterricht,<br />

die Unterweisung in höfischer Disziplin, höchstwahrscheinlich<br />

noch Tanz und dilettierende Beschäftigung mit<br />

Malerei hinzuzählt, ergab das ein beachtliches Arbeitspensum.<br />

Das Erfassen der Musik und das Vom-Blatt-Lesen<br />

muss für die junge Adelige ein Leichtes gewesen sein. Jedoch<br />

wissen wir nicht, wie die Musik damals wirklich geklungen<br />

hat, wir können es nur erahnen, bzw. vermuten.<br />

Den Memoiren zufolge, die Wilhelmine erst viel später – als<br />

reife Frau – geschrieben hatte, könnte die Beschäftigung mit<br />

Musik eine Art Kompensation für die erlittenen Misshandlungen<br />

gewesen sein. Auch noch als junge Erwachsene<br />

wurde sie von ihrem Vater beschimpft und mit dem Stock<br />

ins Gesicht geschlagen. Sadistisch mutet das Verhalten ihrer<br />

Mutter Sophie Dorothea an, die ihr einmal befahl, an der<br />

Abendtafel teilzunehmen, obwohl sie hohes Fieber hatte.<br />

Hinzu kam, dass das junge Mädchen im heiratsfähigen<br />

Alter an Pocken erkrankte, eine Krankheit, die damals auch<br />

zum Tode führen konnte oder zumindest für entstellende<br />

Narben verantwortlich war. Wilhelmine hatte Glück, dass<br />

diese lebensgefährliche Infektion, die damals nur wenige<br />

überlebten, bei ihr selbst milde verlief.<br />

Die Quälereien endeten, als Wilhelmine das elterliche<br />

Schloss verlassen und auf Befehl ihres Vaters, König Friedrich<br />

Wilhelm I., den Markgrafen Friedrich von Brandenburg-Kulmbach-Bayreuth<br />

(1711–1763) am 20. November<br />

1731 in Berlin heiraten musste. 16<br />

20


Am 22. Jänner 1732 trafen die frisch vermählten Eheleute<br />

in der winterlichen Residenzstadt Bayreuth ein. Nach einer<br />

beschwerlichen Schwangerschaft schenkte Wilhelmine am<br />

30. August 1732 einer Tochter mit dem Namen Elisabeth<br />

Friederike Sophie das Leben. Die Ehe mit dem Erbprinzen<br />

schien sich harmonisch zu gestalten. Beide teilten das Interesse<br />

für Musik. Auch ihr Mann spielte, wie ihr Bruder, Flöte.<br />

Wilhelmine kümmerte sich bald nach ihrer Niederkunft<br />

um den Aufbau eines musikalischen Lebens, indem sie die<br />

Hofkapellinstrumentalisten zur Kammermusik verpflichtete.<br />

Auch blieb sie während ihrer Heirat mit ihrem Bruder<br />

Friedrich in brieflicher Verbindung. In der regen Korrespondenz<br />

ging es hauptsächlich um künstlerische Themen.<br />

Wilhelmine selbst begann sich musikalisch fortzubilden,<br />

indem sie bei dem Hofkapellmeister Johann Pfeffer (1697–<br />

1761) Unterricht in Tonsatz, Generalbass und Komposition<br />

nahm. So entstand durch ihre Führung eine rege Konzerttätigkeit<br />

in Bayreuth.<br />

Sie leitete das Hoftheater und begann, Sängerinnen und<br />

Sänger aus Italien zu engagieren. Ihre Pläne waren sehr<br />

ehrgeizig, ließen sich aber auf Grund der finanziellen Lage<br />

nicht immer realisieren. In ihrer Residenz empfing sie bedeutende<br />

Musiker und Komponisten ihrer Zeit wie Johann<br />

Adolph Hasse (1699–1783), Franz Benda (1709–1786) und Johann<br />

Joachim Quantz (1697–1773), der als Flötenlehrer ihres<br />

Bruders Friedrich II. in die Musikgeschichte eingegangen ist.<br />

Den Höhepunkt ihres kulturellen Schaffens bildete der Bau<br />

des markgräflichen Opernhauses nach den Plänen Guiseppe<br />

Galli-Bibienas (1696–1757). Guiseppe Galli-Bibiena stammte<br />

aus der bedeutenden Künstler-, Zeichner- und Theateringeneurfamilie<br />

des Barock. G. Galli-Bibiena kam 1712 nach<br />

Wien, wo er am Hofe Karls VI. (1685–1740) wirkte . 17 Wilhelmine<br />

betätigte sich auch als Opernkomponistin, und schrieb<br />

die Oper Argenore, die als ihr bedeutendstes Werk gilt. Weiters<br />

sind Kavatinen sowie eine Sonate für Flöte und Generalbass<br />

erhalten. Bereits 2008 ergaben allerdings neue Forschungen<br />

von Sabine Henze-Döhring, dass das Wilhelmine<br />

zugeschriebene Cembalokonzert von dem Komponisten<br />

Johann Gotthilf Jänichen stammt (geb. 1701, Todesdatum<br />

unbekannt), der im Umfeld des preußischen Hofs wirkte. 18<br />

21


Zu erwähnen ist die herausragende Begabung der Markgräfin<br />

von Bayreuth als Librettistin, die 1751 durch ihre Aufnahme<br />

in die Arkadische Gesellschaft in Rom bestätigt wird.<br />

Jedes Jahr, am 10. Mai, anlässlich des Geburtstags ihres<br />

Gatten, Markgraf Friedrich, entwarf sie für das Hoftheater<br />

Texte zu den feierlichen Aufführungen. Auch gegen Ende<br />

ihres Lebens, als ihre Gesundheit durch Gelenksrheumatismus<br />

und andere Unpässlichkeiten immer angegriffener<br />

wurde, widmete sie sich der Musik. Eine gemeinsame zehnmonatige<br />

Reise mit ihrem Gemahl nach Südfrankreich und<br />

Italien in den Jahren 1754/55 schuf vorübergehend Linderung.<br />

Sie starb am 14. Oktober 1758. Keine Worte charakterisieren<br />

ihre Begeisterung und Hingabe besser als jene, mit<br />

denen sie selbst ihre Leidenschaft für die Oper ausdrückte:<br />

„Nichts bereitet mir mehr Vergnügen als eine schöne Oper.<br />

Die lieblichen Klänge der menschlichen Stimme dringen<br />

mir mitten ins Herz.“ 19<br />

SOPHIE FRIEDERIKE<br />

WILHELMINA (1709–1758)<br />

Princess of Prussia, later Markgraefin of Bayreuth<br />

Frederick William I. was her father and Frederick the Great<br />

her brother with whom she shared a great interest in music.<br />

Although she was born in Berlin her name is connected to<br />

Bayreuth through her 30 years of marriage to Prince Frederick<br />

of Bayreuth as she was a musical and cultural personality<br />

in this period. The royal couple is known for its commission<br />

to the baroque opera house which drew Ri chard<br />

Wagner to the town 100 years later. Her works include an<br />

opera and a concert for harpsichord and orchestra.<br />

SOPHIE FRIEDERIKE<br />

WILHELMINA (1709–1758)<br />

D’abord Princesse de Prusse puis Margravine de<br />

Bayreuth<br />

22


La seule fille du roi Frédéric-Guillaume I er de Prusse et sœur<br />

préférée de Frédéric II de Prusse, à savoir Frédéric le Grand,<br />

avec lequel elle partageait une passion pour la musique.<br />

Bien qu’elle ait vu le jour à Berlin, son nom est surtout associé<br />

à Bayreuth où elle vit trente ans après son mariage au<br />

prince Frédéric de Bayreuth; elle y fait autorité pendant tout<br />

ce temps dans le domaine de la musique et de la culture. Le<br />

couple royal est célèbre pour avoir commandité la construction<br />

de la maison d’opéra de Bayreuth, de style baroque, qui,<br />

quelque cent ans plus tard, devait attirer Richard Wagner<br />

à créer dans la ville. Son œuvre comprend un opéra et un<br />

concerto pour clavecin et orchestre.<br />

SOPHIE FRIEDERIKE<br />

WILHELMINA (1709–1758)<br />

SOPHIE FRIEDERIKE WILHELMINA (1709–1758)<br />

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