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Bemessungsstromausfall - Basisszenario für die Risikoanalyse und die Katastrophenschutzplanung

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Bemessungsstromausfall

Basisszenario für die Risikoanalyse und die Katastrophenschutzplanung

Dr.-Ing. Thomas Münzberg | info@doktormuenzberg.de

28.04.2020 Vorstellungsgespräch Thomas Münzberg

28.04.2020 1

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Bemessungsstromausfall

Definition des auslegungsrelevanten „kritischen Stromausfalls“

Ausgangssituation

Bisher existiert in Deutschland kein bundesweit einheitliches und vorherrschend verwendetes

Referenzszenario eines „kritischen Stromausfalls“ zur ausreichenden Dimensionierung von

Katastrophenschutzmaßnahmen auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte.

Was ist ein Bemessungsstromausfall?

Ein Bemessungsstromausfall ist ein

auslegungsrelevantes Stromausfallszenario,

anhand dessen Schutzmaßnahmen mit

vordefinierten Schutzniveaus zu Grunde gelegt

werden. Die Festlegung eines

Bemessungsstromausfalls beruht auf der

Abschätzung eines ungünstigen Szenarios, das

für die wirkungsvolle Vorbereitung auf

Stromausfälle eine ausreichende Signifikanz,

Plausibilität und Repräsentativität aufweist.

Die Verwendung des am schwerwiegendsten

anzunehmenden Stromausfalls (Worst-Case-

Scenario), der aufgrund der weiträumigen

Vernetzung der Übertragungsnetze europaweite

Ausmaße annehmen und von unbestimmter Dauer

sein kann, übersteigt wesentlich die möglichen

Dimensionierungswerte einer zumutbaren

Stromausfallvorbereitung.

Ein solches Szenario erscheint daher zu pauschal,

übertrieben und daher ungeeignet.

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Auslegungsrelevanz durch Signifikanz, Plausibilität und Repräsentativität

Signifikanz

Ein signifikantes Stromausfallereignis ist

charakterisiert durch das überwiegend öffentliche

Interesse an den durch ihn zu befürchtenden

Konsequenzen. Ein öffentliches Interesse liegt dann

vor, wenn der Umfang und die Dauer des Ausfalls

außerhalb der herkömmlichen Maße liegen, so dass

übliche Selbsthilfemaßnahmen ausgereizt werden und

ein großes Schadenspotential zu unterstellen ist.

Plausibilität

Plausibel erscheint ein Bemessungsstromausfall

dann, wenn seine Extremwerte augenscheinlich

nachvollziehbar und anhand von objektiven

Gesichtspunkten hergeleitet werden.

Bei einem signifikanten Stromausfallereignis ist mit der

Entstehung von Gefahren für das Leben der

Bevölkerung durch die Unterversorgung mit

lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sowie

mit Schäden im außerordentlichen Maße zu

rechnen. Die Ausprägungen des Ausfalls müssen

daher hinreichend ungünstig sein, erheblich die

Schwelle der Alltäglichkeit überschreiten und einer

Katastrophe entsprechen, ohne unrealistisch zu sein.

Repräsentativität

Ein Bemessungsstromausfall ist repräsentativ, wenn

seine Extremwerte im Wesentlichen der

Grundgesamtheit aller Stromausfälle entsprechen.

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Herleitung anhand objektiven Gesichtspunkten

Herangehensweisen

Ein Bemessungsstromausfall kann mithilfe verschiedenster Herangehensweisen eingegrenzt und hergeleitet

werden:

- Eine Literaturrecherche bestehender Fachpublikationen der Gefahrenabwehr,

- Eine empirische Datenanalyse der während eines Jahres in Medienberichten thematisierten Stromausfälle,

und

- Eine empirische Datenanalyse stattgefundener Stromausfälle

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Literaturrecherche bestehender Fachpublikationen

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Literaturrecherche bestehender Fachpublikationen

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Empirische Datenanalyse von Medienberichten

Herangehensweisen

- Systematische Auswertung von

Medienartikel über stattgefundene

Stromausfälle in Deutschland

- Datensatz für das Jahr 2014

- Basis der Auswertung: Mediendaten

demonstrieren das gesellschaftliche

Interesse an aktuell stattgefundenen

Stromausfallereignissen

- Verwendung eines News-Crawlers

Ergebnisse

- Identifikation von weit über 1.000

relevanter Medienartikel

- 941 Artikel auswertbar

- Feststellung von 845 Stromausfallereignissen

in Deutschland

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Empirische Datenanalyse von Medienberichten

Auswertung

- Dokumentation von Ausfallbeginn,

-ende, und -dauer sowie die Anzahl der

vom Stromausfall Betroffenen

- Klassifizierung nach

(i) Einsätze der Feuerwehr bzw. des

Katastrophenschutzes (n=66),

(ii) Umschaltungen bzw.

Aktivierungen des (n-1)-Prinzips

(n=121) oder

(iii) keine Einsätzen und keine

Umschaltungen (n=462)

berichtet.

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Empirische Datenanalyse von Medienberichten

Erkenntnisse

Erste Rückschlüsse

- Umschaltungen sind häufig nur bei

kurzfristigen Ausfällen erfolgreich:

Die meisten Stromausfälle, bei denen

Umschaltungen angewendet wurden,

dauerten unter 120 Minuten.

- Schon nach kurzer Ausfalldauer wird

der Einsatz der Gefahrenabwehr

notwendig: ab der Dauer eines

Stromausfalls von mehr als

330 Minuten wird die

Selbsthilfefähigkeit bei einigen

Betroffenen bereits derart ausgereizt,

dass es in der Regel den Einsatz der

Gefahrenabwehr bedarf.

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Empirische Datenanalyse stattgefundener Stromausfälle

Herangehensweise

- Stromnetzbetreiber sind nach § 52 EnWG verpflichtet,

Unterbrechungen der Stromversorgung der Bundesnetzagentur zu

melden.

- Es wurden 544.617 ungeplante Stromausfälle aus 2008 bis 2013

hinsichtlich der empirischen Unterschreitenswahrscheinlichkeit

ausgewertet .

Ergebnis Erkenntnisse

- Herkömmliche Stromausfälle dauern bis unter 225 Minuten

(P<0,8) an

- Außerordentliche Stromausfälle dauern zwischen 225 und

1030 Minuten (0,8<P<0,99) an und

- Extreme Stromausfälle dauern über 1030 Minuten (P>0,99) an

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Kategorisierung von Stromausfalldauern

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Empirische Auswertung der Daten der Bundenetzagentur

Herleitung eines Bemessungsstromausfalls

Basis ist die kumulierte relative Häufigkeit

stattgefundener Stromausfälle (empirische

Verteilfunktion).

Die empirische Unterschreitenswahrscheinlichkeit

für extreme

Stromausfälle beträgt 0,99. Dies entspricht

einem Stromausfall mit einer Dauer von 1030

Minuten (17 Stunden und 10 Minuten).

Zu dieser Ausfalldauer ist pessimistischer

Weise ein zusätzlicher Sicherheitszuschlag

zu berücksichtigen, der mindestens zu einer

Verdoppelung des Wertes führen sollte.

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Zeitliche und Räumliche Dimension eines Bemessungsstromausfalls

Dauer Zeitliche eines Dimension Bemessungsstromausfalls

Über 17-stündige Stromausfälle treten entsprechend

empirischer Auswertungen nicht regelmäßig auf und gelten als

außergewöhnlich. Die dabei zu erwartenden Gefahren

erscheinen ausreichend signifikant für die Zwecke der

Dimensionierung der Gefahrenabwehr. Es ist davon auszugehen,

dass bei dieser Ausfalldauer bereits die Schwelle zu einer

Katastrophe überschritten ist.

Zur Festlegung des Bemessungsstromausfalls kann

pessimistischer Weise zu dieser Ausfalldauer ein zusätzlicher

Sicherheitszuschlag gewährt werden, indem diese beispielsweise

verdoppelt wird. Nach Rundung erscheint eine Ausfalldauer

von 2160 Minuten (bzw. 36 Stunden) als geeignet für die

Dauer eines Bemessungsstromausfall. Dessen empirische

Unterschreitenswahrscheinlichkeit liegt bei 0,9971.

Räumliche Betroffenheit

Dimension

eines Bemessungsstromausfalls

Da die Zuständigkeit der operativen

Bewältigung der Stromausfallfolgen bei

den kommunalen Gebietskörperschaften

liegt, erscheint es als Extremwert für den

Bemessungsstromausfall zweckmäßig,

von einer Betroffenheit der gesamten

betrachteten Gebietskörperschaft

auszugehen.

Das ganze Landkreise oder kreisfreie

Städte von einem Stromausfall betroffen

sind, trat in Deutschland wiederkehrend

auf, weshalb ein solches Ereignis als

plausibel, relevant und repräsentativ

betrachtet werden kann.

Dr. Münzberg


Bemessungsstromausfall

Empfehlung zur Festlegung eines Bemessungsstromausfalls

Im Hinblick auf Signifikanz, Plausibilität und Repräsentativität wird folgende Festlegung eines

Bemessungsstromausfalls für die kommunale Gefahrenabwehr- und Katastrophenschutzplanung

als sinnvoll erachtet:

Dauer eines Bemessungsstromausfalls

Zeitliche Dimension

Ein Bemessungsstromausfall mit einer Dauer von

36 Stunden (bzw. 2160 Minuten) erscheint für die

Dimensionierung wirksamer Maßnahmen zur Abwehr von

Katastrophengefahren als geeignet.

Räumliche Betroffenheit

Räumliche

eines Bemessungsstromausfalls

Dimension

Ein Bemessungsstromausfall, bei dem

von einer Betroffenheit einer

gesamten Gebietskörperschaft

ausgegangen wird, erscheint für die

Dimensionierung wirksamer Maßnahme

zur Abwehr von Katastrophengefahren

als geeignet.

Dr. Münzberg


Weiterführende Literatur

Münzberg, Thomas (2019) Entwicklung einer spatial-temporalen Vulnerabilitätsanalyse für die

initiale Krisenbewältigung von Stromausfällen, Dissertation, Karlsruher Institut für

Technologie

Ottenburger, S., Münzberg, T., and Strittmatter, M. (2018) Smart Grid Topologies Paving the

Way for an Urban Resilient Continuity Management, International Journal of Information

Systems for Crisis Response and Management, 9, 4, 1-22.

Münzberg, T., Wiens, M. and Schultmann, F. (2017) A Spatial-temporal Vulnerability

Assessment to Support the Building of Community Resilience against Power Outage

Impacts, International Journal for Technological Forecasting and Social Change, 121, 99-

118.

Münzberg, T. und Ottenburger, S. (2018) Schutz Kritischer Infrastrukturen: Kritikalität als

Entscheidungsmaß zur Abwehr von Gefahr am Beispiel Stromausfall, Was heißt

Kritikalität? Zu einem Schlüsselbegriff der Debatte um Kritische Infrastrukturen, Jens Ivo

Engels / Alfred Nordmann (Hrg.), 156-179.

Adrot, A., Fiedrich, F., Lotter, A., Münzberg, T., Rigaud, E., Wiens, M., Raskob, W., and

Schultmann, F. (2017) Challenges in Establishing Cross-Border Resilience, Urban Disaster

Resilience and Security - Novel Approaches for Dealing with Risks in Societies, The Urban

Book Series, Fiedrich, F., Fekete, A. (Eds.), Springer.

Münzberg, T., Wiens, M., and Schultmann, F. (2016) Understanding Resilience: A Spatiotemporal

Vulnerability Assessment of a Population affected by Sudden Lack of Food,

Springer International Series in Operations Research & Management Science: Advances in

Managing Humanitarian Operations, 2014, Altay, N., Haselkorn, M., and Zobel, C (Eds).

Ottenburger, S., Münzberg, T., Strittmatter, M., and Müller, T. (2017) Smart Grids enhancing

Urban Resilience: A further Control Mechanism applying Criticality, IEEE International

Conference on Smart Grid Communications, 23-26 October 2017, Dresden, Germany.

Ottenburger, S. and Münzberg, T. (2017) Smart Grid Topologies for Enhanced Resilience

against Critical Infrastructure Disruptions, In: Proceedings of the 14th International

Conference on Information Systems for Crisis Response and Management, Comes, T.

Benaben, F., eds., Albi, France.

Rigaud, E., Adrot, A., Fiedrich, F., Münzberg, T., Raskob, W., Wiens, M. and Schultmann, F.

(2015) Engineering Resilience to Power Outages, 6th Resilience Engineering International

Symposium Lisbon, 22 – 25 June 2015, Lisbon, Portugal.

Münzberg, T., Wiens, M., Raskob, W., and Schultmann, F.(2015) Measuring Resilience - The

Benefits Of An Empirical Study Of Power Outages By Media Data, Future Security

Conference 2015, Fraunhofer Verlag, Security Research Conference, pp. 393 – 400, Berlin,

Germany,.

Münzberg, T., Wiens, M., and Schultmann, F. (2015) The Effect of Coping Capacity Depletion on

Critical Infrastructure Resilience. Proceedings of the 12th International Conference on

Information Systems for Crisis Response and Management, L. Palen, M. Buscher, T.

Comes, and A. Hughes (Eds.).

Münzberg, T., Wiens, M., and Schultmann, F. (2014) Dynamic-Spatial Vulnerability

Assessments: A Methodical Review for Decision Support in Emergency Planning For

Power Outages. Proceedings of HumTech2014, Harvard University and Massachusetts

Institute of Technology, Andy Vidan and Daniel Shoag (Eds.), Procedia Engineering,

Volume 78, pp. 78–87, Boston, USA.

Münzberg, T, Wiens, M. und Schultmann, F. (2014) Ausfall Kritischer Infrastrukturen:

Gefahrenabwehrpläne und Notfallkonzepte auf kommunaler Ebene. In: Tagungsband der

62. Jahresfachtagung der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e.V.

mit Zusatzveranstaltung Critical Infrastructure Event, 16.-18. Juni 2014, Dortmund, S. 673-

687.

Münzberg, T., Ludäscher, S. und Bach, C. (2013) Stromausfall gegen Stromausfälle: wie

Lastreduzierungen Netzzusammenbrüche verhindern können und welches Dilemma daraus

für den Bevölkerungsschutz und die Gefahrenabwehrplanung resultiert. In:

Bevölkerungsschutz Magazin, 01/2013, S. 36-39.

Münzberg, Th., Käser, B., Bach, C. und Schultmann, F. (2013) Beherrschung und Bewältigung

von Stromausfällen, Vorbereitung der Kommunalen Gefahrenabwehr. In: Zeitschrift für

Forschung und Technik im Brandschutz vfdb, Vereinigung zur Förderung des Deutschen

Brandschutzes e.V., 4/2013, S. 205-211.

Eine vollständige Publikationsliste findet sich unter https://www.iip.kit.edu/2183_2227.php

Dr. Münzberg


Die Inhalte dieser Präsentation sind Teil nachfolgender Veröffentlichung:

Empfohlene Zitierweise:

Münzberg, Thomas (2019) Entwicklung

einer spatial-temporalen

Vulnerabilitätsanalyse für die initiale

Krisenbewältigung von Stromausfällen,

Dissertation, Karlsruher Institut für

Technologie.

Kontakt:

info@doktormuenzberg.de

https://publikationen.bibliothek.kit.edu/1000096412

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