Sternenhimmel über Dolphin Bay
Zwei Jahre meines Lebens waren eine einzige Lüge Die 29-jährige Brianna O'Leary trennt sich von ihrem langjährigen Freund, nachdem sie herausfindet, dass er sie von Anfang an belogen hat. Enttäuscht und ohne Job kehrt sie aus Dublin zurück in ihr Heimatdorf an der irischen Westküste. Dort hilft sie übergangsweise als Barkeeperin im Pub ihres Vaters aus. Der erfolgreiche Architekt Cameron McKay ist nach einer gescheiterten Beziehung desillusioniert. Er wirft kurz entschlossen sein altes Leben in Kanada über Bord und wandert nach Irland ins idyllische Dolphin Bay aus. Obwohl zwischen Brianna und Cameron von Anfang an eine starke Anziehung herrscht, stehen ihnen immer wieder Missverständnisse im Weg. Als die beiden endlich einen Weg zueinanderfinden und sich aufeinander einlassen, zerbricht die Harmonie zwischen ihnen bereits nach kurzer Zeit. Die Verletzungen aus der Vergangenheit haben bei Cameron tiefe Spuren hinterlassen. Er macht einen unüberlegten, fatalen Fehler, der die Beziehung auf eine harte Probe stellt. Cameron erkennt: Manchmal muss man sich seinen Dämonen stellen und um sein Glück kämpfen. Aber ist Brianna bereit, ihm zu verzeihen? Seine härteste Prüfung steht im noch bevor.
Zwei Jahre meines Lebens waren eine einzige Lüge
Die 29-jährige Brianna O'Leary trennt sich von ihrem langjährigen Freund, nachdem sie herausfindet, dass er sie von Anfang an belogen hat. Enttäuscht und ohne Job kehrt sie aus Dublin zurück in ihr Heimatdorf an der irischen Westküste. Dort hilft sie übergangsweise als Barkeeperin im Pub ihres Vaters aus.
Der erfolgreiche Architekt Cameron McKay ist nach einer gescheiterten Beziehung desillusioniert. Er wirft kurz entschlossen sein altes Leben in Kanada über Bord und wandert nach Irland ins idyllische Dolphin Bay aus.
Obwohl zwischen Brianna und Cameron von Anfang an eine starke Anziehung herrscht, stehen ihnen immer wieder Missverständnisse im Weg. Als die beiden endlich einen Weg zueinanderfinden und sich aufeinander einlassen, zerbricht die Harmonie zwischen ihnen bereits nach kurzer Zeit.
Die Verletzungen aus der Vergangenheit haben bei Cameron tiefe Spuren hinterlassen. Er macht einen unüberlegten, fatalen Fehler, der die Beziehung auf eine harte Probe stellt. Cameron erkennt: Manchmal muss man sich seinen Dämonen stellen und um sein Glück kämpfen. Aber ist Brianna bereit, ihm zu verzeihen? Seine härteste Prüfung steht im noch bevor.
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1. Strikte Bettruhe
Cameron McKay stand Schweiß auf der Stirn. Er fühlte
sich seit Tagen schlapp, heute war ihm außerdem
schwindelig, alle Knochen taten ihm weh und ein
rasselnder Laut entrang sich beim Luftholen seiner
Brust.
»Cam, du gehörst ins Bett. Geh nach Hause und kurier
dich endlich aus. Wenn du deine Bazillen weiterhin so
großzügig verteilst, liegt bald die ganze Mannschaft
flach.«
Declan Lynch blickte seinen Boss besorgt an, der sich an
einem Pfosten auf der Baustelle abstützte, während er
von einem nicht enden wollenden Hustenanfall
geschüttelt wurde.
»Ich kann mich jetzt nicht ins Bett legen. Der ...«
Weiter kam er nicht, da er wieder husten musste.
Declan streckte fordernd die Hand aus. »Gib mir
deinen Autoschlüssel, ich bringe dich sofort zum Arzt.
Widerrede zwecklos.« Er nahm Cameron den Schlüssel
aus den zitternden Fingern und bugsierte seinen Chef auf
den Beifahrersitz.
Während der Fahrt hustete Cameron fast
ununterbrochen und bekam kaum Luft. Daher entschied
Declan, umgehend zur Notfallambulanz des
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Krankenhauses von Dolphin Bay zu fahren. Er stellte
den Wagen vor dem Eingang ab.
»Warte hier, ich hole einen Rollstuhl.«
Cameron war mittlerweile zu schlapp, um zu
protestieren. Er hustete sich erneut die Lunge aus dem
Leib und röchelte. Declan betrat das Gebäude, wo er
geradewegs Dr. Kennedy in die Arme lief.
»Hallo Margaret, ich habe Cameron im Wagen. Ihm
geht es seit Längerem nicht gut, aber heute macht er mir
richtig Sorgen. Was er sich da eingefangen hat, ist
definitiv keine normale Erkältung. Ihm fällt das Atmen
schwer und er hört gar nicht mehr auf zu husten.«
Die Ärztin ging mit schnellen Schritten zum Auto.
Declan folgte ihr und schob den Rollstuhl, der immer am
Eingang bereitstand, vor sich her. Margaret fühlte kurz
Camerons Stirn.
»Hast du Brustschmerzen beim Einatmen?«,
erkundige sie sich und erhielt ein Nicken als Antwort.
Zusammen mit den rasselnden Atemgeräuschen und dem
starken Husten war Margarets Diagnose rasch klar.
»Das klingt nach einer ordentlichen
Lungenentzündung. Wir bringen dich erst einmal rein,
dann mache ich ein paar Tests, um sicherzugehen.«
Declan half dabei, Cameron aus dem Auto in den
Rollstuhl zu befördern, und folgte Margaret in das
Behandlungszimmer.
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»Ich warte draußen, bis du mit der Untersuchung
fertig bist«, sagte Declan und setzte sich auf einen der
Besucherstühle im Gang. Eine knappe Viertelstunde
später kam Margaret zu ihm.
»Cameron hat mich von der Schweigepflicht
entbunden. Meine Vermutung hat sich bestätigt. Er hat
eine schwere Lungenentzündung, allem Anschein nach
von einer verschleppten Erkältung. Ich halte es für
notwendig, dass er einige Tage zur Beobachtung
hierbleibt. Er ist dehydriert, hat hohes Fieber und braucht
strikte Bettruhe. In den nächsten vier Wochen muss er
sich insgesamt schonen, aber er will nicht hören. Sagt,
ihr habt zu viel zu tun. Bringst du dem sturen Patienten
bitte Vernunft bei? Gegen seinen Willen kann ich ihn
nicht hierbehalten, aber wenn er das nicht richtig
auskuriert, droht im schlimmsten Fall akutes
Lungenversagen. Es ist kurz vor zwölf.«
Declan hatte die Hand bereits auf der Türklinke.
»Kann man sich eigentlich anstecken? Es wäre
ungünstig, wenn ich auch noch ausfalle.«
»Theoretisch ja, die Keime übertragen sich schnell,
aber die wenigsten Menschen infizieren sich am Ende
damit. Du bist nicht erkältet oder hattest kürzlich einen
Infekt?«
Declan schüttelte den Kopf.
»Dann besteht kein Grund zur Sorge.«
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»Gut, ich blase ihm jetzt derart den Marsch, dass er
einverstanden sein wird. Mach ein Bett für ihn fertig.«
Mit den Worten verschwand Declan im
Untersuchungszimmer.
»Ich habe gehört, du möchtest dir lieber die
Radieschen von unten ansehen, anstatt dich um deine
Gesundheit zu kümmern?«
Cameron warf Declan einen grimmigen Blick zu.
»Du weißt genau, was im Moment los ist. Ich brauche
einfach nur etwas Schlaf und morgen bin ich wieder fit.«
»Ja klar, das ist genauso wahrscheinlich, als dass mir
gleich kleine Elfen aus dem Hintern fliegen. Du bleibst
so lange wie nötig hier und kurierst dich aus. Ich fahre
gleich ins Büro, rufe von dort deine Mutter an, damit sie
dir Sachen bringt, und dann sehe ich nach, was bei dir in
den nächsten Tagen ansteht.«
Er hob abwehrend die Hände und hinderte Cameron
mit dieser Geste daran, erneut zu protestieren. »Ich weiß,
dass du dir Sorgen machst, aber ich werde den Laden
schon irgendwie schmeißen. Lass das mein Problem
sein. Gib mir dein Passwort für den PC, damit ich vollen
Zugriff auf deinen Kalender habe.«
Die Antwort war Cameron erkennbar unangenehm.
»Brianna«, sagte er leise und sah seinen Bauingenieur
dabei nicht an.
Declan hob eine Augenbraue, verkniff sich jedoch die
Bemerkung, die ihm dazu auf der Zunge lag. Stattdessen
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sagte er: »Hör auf, dir Gedanken zu machen, wir kriegen
das hin. Ich melde mich morgen wieder bei dir. Gute
Besserung.« Er klopfte Cameron zum Abschied auf die
Schulter.
***
Declan parkte vor einem gelb gestrichenen,
zweistöckigen Haus, das direkt gegenüber des Fischereiund
Jachthafens von Dolphin Bay lag. Über dem
Eingang hing ein auffälliges Schild: Architekturbüro
Cameron McKay – Partner für energieeffizientes und
kostengünstiges Bauen.
Declan betrat das Büro, startete den PC, und drückte
eine Kurzwahltaste auf dem Telefon. Bereits nach dem
zweiten Klingeln wurde abgenommen.
»Welche Ausrede hast du heute, um wieder zu spät
zum Essen zu kommen?«, rief eine weibliche Stimme
lachend in den Hörer.
»Claire, hier ist Declan.«
»Oh, hallo. Mit dir hatte ich unter der Nummer nicht
gerechnet. Alles in Ordnung?«, fragte Camerons Mutter
alarmiert.
Declan räusperte sich und erklärte ihr in knappen
Worten, was passiert war.
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Claire sog scharf die Luft ein. »Danke, dass du dich
um meinen Sohn gekümmert hast. Wir kommen sofort
zu dir.«
Keine fünfzehn Minuten später betrat Claire
zusammen mit ihrem zweiten Ehemann, dem
Psychologen Dr. Alex Fraser, das Büro. Die beiden
machten besorgte Gesichter und ließen sich alles
nochmals genau von Declan erzählen.
»Ich gehe nach oben und suche zusammen, was Cam
braucht. Bin gleich zurück.«
Claire verschwand durch eine Tür und die Holzstufen
der Treppe knarzten bei jedem Schritt, als sie in den
ersten Stock zu Camerons Wohnung hochstieg. Declan
hatte in der Zwischenzeit am Schreibtisch Platz
genommen, fuhr sich immer wieder durch die Haare und
starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den
Bildschirm. Alex geschultem Blick entging nicht, dass
Declan außerordentlich gestresst war. Daher setzte er
sich zu ihm.
»Viel zu tun?«
»Das kannst du laut sagen. Ich werde übernehmen,
was geht und einiges lässt sich nach hinten verschieben,
aber sieh selbst.« Er drehte den Monitor in Alex'
Richtung, damit der einen besseren Blick auf den
Kalender hatte. »Alles was ich farbig markiert habe, ist
immens wichtig, aber ich kann diese Termine nicht
wahrnehmen, weil sie sich mit meinen überschneiden.
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Besonders der mit der Country House Gruppe hat
oberste Priorität. Da hängt viel dran.«
»Davon hat Cam erzählt. Das könnte eine Riesensache
werden, wenn die Präsentation erfolgreich ist.«
»Ja, aber da bin ich raus. An dem Tag ist Bauabnahme
für den Anbau des Blasket Islands Besucherzentrums,
und wenn wir den Termin nicht einhalten, zahlen wir
eine Vertragsstrafe im fünfstelligen Bereich. Die
Präsentation mit Country House lässt sich nicht
verschieben. Die haben mir soeben am Telefon klipp und
klar gesagt, entweder wir erscheinen zum bestätigten
Termin, oder das war es.«
Alex rieb sich nachdenklich übers Kinn.
»Ich habe vielleicht die Lösung für dein Dilemma.
Darum kümmere ich mich, sobald ich meine Frau an der
Klinik abgesetzt habe.«
Wie aufs Stichwort erschien Claire mit einer
gepackten Tasche.
»Können wir los?«
Alex stand sofort auf und wandte sich Declan
nochmals zu, während Claire bereits zum Auto ging.
»Ich melde mich später und sage dir, ob es mit meiner
Idee geklappt hat.«
»Super, ruf mich auf dem Handy an. Ich muss gleich
los zum nächsten Termin.«
Alex nickte und verließ das Büro. Auf dem kurzen
Weg zum Krankenhaus fragte er seine Frau: »Ist es in
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Ordnung, wenn ich dich absetze und noch etwas
erledige? Es sollte nicht allzu lange dauern. Ich komme
schnellstens nach.«
»Sicher, was hast du denn vor?«
»Declan ist besorgt, weil er die Arbeit nicht allein
schafft. Ich fahre rüber zu Brianna und frage, ob sie
aushilft, bis Cam wieder auf den Beinen ist.«
»Das ist eine brillante Idee. Was habe ich doch für
einen klugen Mann geheiratet.«
Alex lächelte und gab seiner Frau einen Kuss, bevor
sie aus dem Wagen stieg und er zurück ins Dorfzentrum
fuhr.
***
Brianna O‘Leary war Diplom-Ingenieurin und nach dem
Abschluss ihres Architekturstudiums am Dublin Institute
of Technology wieder zurück in ihr Heimatdorf Dolphin
Bay gezogen. Sie suchte händeringend nach einer Stelle
als Architektin, hatte sich auf offene Stellen im ganzen
Land beworben, aber bisher kein Glück gehabt. Daher
half sie momentan bei ihrem Vater aus, dem das "Old
Dublin", ein über die Halbinsel hinaus bekannter Pub,
gehörte. Alex betrat den Schankraum und sah Brianna
hinter der Theke Gläser polieren. Sie hatte immer ein
Auge auf die Tür und lächelte ihn sofort an.
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»Hallo schöner Mann, sind nach so kurzer Ehe bereits
Wolken am Horizont aufgetaucht oder brauchte Claire
einfach mal Zeit für sich?«
Entgegen seiner sonst üblichen Art blickte Alex ernst
drein und gab ihr keinen flotten Spruch zurück. Sie
runzelte die Stirn, unterbrach ihre Tätigkeit und kam um
die Theke herum auf ihn zu.
»Was ist los?«
»Kleines, ich könnte deine Hilfe gebrauchen.«
»Ist etwas mit Claire?«
Alex schüttelte den Kopf. »Nein, aber mit Cam.«
»Was ist mit ihm?« Brianna verkrampfte ihre Hände
ineinander.
»Er ist heute auf einer Baustelle zusammengeklappt
und liegt mit einer schweren Lungenentzündung im
Krankenhaus. Margaret meinte, es war kurz vor zwölf.
Gut das Declan dabei war und schnell reagiert hat.«
Briannas smaragdgrüne Augen weiteten sich besorgt,
obwohl das Verhältnis zwischen Cameron und ihr
momentan nicht das Beste war. Sie mochte ihn, sie
mochte ihn sogar mehr, als gut für sie war. Zwischen
ihnen hatte es über Wochen einen heißen Flirt gegeben,
von dem sie sich mehr erhofft hatte. Cameron war seit
langem der erste Mann, der sie ernsthaft interessierte.
Zufällig erfuhr sie, dass er eine Freundin hatte, die er ihr
gegenüber jedoch nie erwähnte. Schließlich war er dreist
genug gewesen, sie um ein Date zu bitten. In dieser
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Situation tat sie das einzig Richtige: Sie ließ ihn eiskalt
abblitzen und hielt ihn seitdem auf Abstand. Trotzdem
ging er ihr nicht aus dem Kopf.
»Was kann ich tun?«, erkundigte sich Brianna.
»Declan schafft es nicht, alle Termine von Cam zu
übernehmen, und es stehen ein paar extrem wichtige
Dinge an. Ich hatte gehofft, dass du einspringen kannst,
damit Cams Arbeit nicht den Bach runter geht. Er wird
garantiert vier Wochen ausfallen.«
Brianna musste nicht lange überlegen. Natürlich
würde sie aushelfen, egal wie die Dinge augenblicklich
zwischen Cameron und ihr standen. In Dolphin Bay war
man immer füreinander da.
»Ihr könnt auf mich zählen. Hoffentlich kriege ich das
auf die Reihe. Immerhin habe ich bisher nicht
selbstständig als Architektin gearbeitet«, gab sie zu
bedenken.
»Kleines, zerbrich dir darüber bitte nicht deinen Kopf.
Schlimmstenfalls müsste ich einspringen. Da bliebe mir
vermutlich nur, die Gesprächspartner zu hypnotisieren
und erst nach Camerons Genesung wieder ins Hier und
Jetzt zurückzuholen, denn ich tauge schon nichts als
Heimwerker. Einen Auftritt als Architekt würde man mir
eindeutig nicht abkaufen, da helfen nur unlautere
Mittel.«
Er grinste Brianna mit seinem jungenhaften Lächeln
an und zwinkerte ihr zu.
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»Wir wollen doch nicht, dass du deine ethischen
Grundsätze über Bord wirfst, Herr Doktor«, lachte sie.
»Ich habe in zehn Minuten Feierabend und kann mir
gerne heute schon einen Überblick verschaffen.«
***
Im Büro angekommen löste Alex den Hausschlüssel von
seinem Schlüsselbund und reichte ihn Brianna.
»Damit kommst du jederzeit rein. Declan hat alle
Termine, die er nicht wahrnehmen kann, im Kalender
gekennzeichnet. Am besten sprichst du dich mit ihm ab.
Die Handynummer liegt auf dem Schreibtisch.«
»Das mache ich.«
»Sag bitte ehrlich, wenn du feststellst, dass du die
Arbeit zusätzlich zu deinen Schichten im Pub nicht
schaffst. Dann sehe ich mich nach einer anderen Lösung
um.«
Brianna winkte mit einer Handbewegung ab. »Ach, da
mache ich mir keine Sorgen. Wir haben im Moment
genügend zuverlässige Aushilfen, außerdem möchte Lyle
mehr arbeiten. Seit Baby Nummer zwei da ist, freut er
sich über jeden zusätzlichen Euro. Er wird sicher gerne
weitere Dienste übernehmen.«
»Du wirst natürlich für deinen Einsatz bezahlt. Darum
kümmere ich mich.«
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»Alex, das ist nicht nötig. Ich helfe gerne und ich
freue mich ehrlich gesagt auf die Abwechselung. So
langsam habe ich das Bierzapfen satt. Wenn Cameron
zufrieden mit meiner Arbeit ist, kann er mir die Zeit
vielleicht als Praktikum bescheinigen. Das wäre prima
für meine weiteren Bewerbungen.«
Ȇber die Bezahlung wird nicht diskutiert, du rettest
uns hier schließlich den Allerwertesten. Und das mit
dem Praktikum ist sicher kein Problem.« Alex gab
Brianna eine freundschaftliche Umarmung. »Danke
Kleines, du bist fantastisch. Ich mache mich auf ins
Krankenhaus und melde mich morgen bei dir.«
Nachdem Alex gegangen war, sah sich Brianna
neugierig in Camerons penibel aufgeräumten Büro um.
Sie fand neben der Kaffeeküche einen Raum mit
Büromaterial, in dem es ebenfalls kein Durcheinander
gab. Die Schränke waren akkurat mit Informationen zum
Inhalt beschriftet. Brianna hatte ebenfalls einen
ausgeprägten Ordnungssinn, der ihr Umfeld
üblicherweise in den Wahnsinn trieb. Dass Cameron
offenbar genau wie sie tickte, brachte sie zum
Schmunzeln.
Sie ließ sich nach der Erkundungstour an dem
Schreibtisch nieder, den Alex ihr als Camerons
Arbeitsplatz gezeigt hatte. Sie startete den PC und
bemerkte eine Haftnotiz am Monitor, auf der ihr Name
stand. Verwundert legte sie die Stirn in Falten. Dann
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begriff sie, dass es sich um das Passwort handelte. Nicht
besonders sicher, dachte sie, während sie es eintippte.
Warum er wohl ihren Namen verwendet hatte? Brianna
war kein unüblicher Name, vielleicht hieß seine
Freundin genau wie sie. Das musste gar nichts mit ihr zu
tun haben. Bevor sie sich Tagträumen über Cameron
hingeben konnte, riss sie sich zusammen und öffnete den
Kalender.
Staunend überflog Brianna die Einträge. Sie hatte
einen derart vollen Terminplan nicht erwartet. Sie hatte
vermutet, dass Cameron als einziger Architekt auf der
Halbinsel gut überleben konnte, aber diese Auftragslage
war für sie überraschend. Wie schaffte er das bloß alles?
Brianna wurde von Sekunde zu Sekunde klarer, dass sie
mit ein paar Stunden zusätzlicher Arbeit in der Woche,
wovon sie eigentlich ausgegangen war, nicht
auskommen würde. Brianna erreichte Declan zwischen
zwei Terminen auf dem Handy und sie gingen im
Schnellverfahren die Termine durch. Er nannte ihr den
wichtigsten Punkt auf der Agenda und Brianna
versprach, sich als Erstes darum zu kümmern.
Sie fand schließlich den Eintrag: "Country House
Gruppe, Präsentation, River Lee Hotel, Cork". Sie hatte
von der Ausschreibung gehört, die dem Gewinner ein
hohes Ansehen in der Branche bescheren würde. Die
Country House Gruppe beschritt mit diesem Projekt
außergewöhnliche Wege. Statt neue Hotels und
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Ferienhäuser zu bauen, sollten seit langem leer stehende
Gebäude instand gesetzt werden. Ökologischer,
nachhaltiger Tourismus war der Gedanke dahinter.
Zunächst würde das Vorhaben in Irland und Schottland
umgesetzt und sollte bei Erfolg europaweit ausgebaut
werden. Brianna wusste auch, dass sich die
Ausschreibung eher an größere Architekturbüros
richtete, die sich hauptsächlich mit Projekten im
Tourismussektor beschäftigten. Sie war ehrlich erstaunt,
dass Cameron es überhaupt in die Präsentationsrunde
geschafft hatte.
Sie stand auf und ging hinüber zur Wand, um sich die
ausgedruckten Zeichnungen für das Projekt anzusehen,
die dort hingen. Interessiert studierte Brianna die
konzeptionellen Ideen. Cameron war gut. Er war sogar
besser als gut. Seine Entwürfe erzählten eine Geschichte,
sie sprachen die Sinne an und damit würde er garantiert
Eindruck machen. Im PC fand sie schließlich die bereits
vorbereitete Präsentationsmappe mit sämtlichen Folien,
3D-Modellen und die eingereichten
Bewerbungsunterlagen. Sie ging Seite für Seite durch,
bis sie bei den Referenzen auf einen Namen stieß, bei
dem ihr die Kinnlade herunterfiel. Cameron hatte für
Robert L. Henderson gearbeitet. Den Robert L.
Henderson, einen der zehn bedeutendsten Architekten
der heutigen Zeit. Für diesen Mann arbeiten zu dürfen,
kam einem Ritterschlag gleich.
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Brianna entdeckte, dass Cameron
alleinverantwortlicher Architekt für das Flaggschiff der
FullTide 5-Sterne-Hotels in Vancouver gewesen war.
Dafür hatte man ihn sogar für den internationalen
Innovationspreis nominiert. Kein Wunder, dass sein
Konzept großartig war. Was zur Hölle machte Cameron
hier, auf einer Halbinsel am westlichsten Ende von
Irland in einem Fischerdorf mit knapp fünfhundert
Einwohnern, statt in der großen weiten Welt bedeutende
Bauwerke zu erschaffen? Sie würde alles geben, für ein
derart renommiertes Architekturbüro arbeiten zu dürfen.
Selbst ein Praktikum wäre ein Traum. Brianna lenkte
ihre Gedanken zurück auf die Arbeit. Sie musste sich
schnellstmöglich in die Präsentation einarbeiten, da der
Termin bereits in vier Tagen anstand. Das würde eine
lange Nacht werden.
***
Alex betrat leise das Krankenzimmer. Claire saß am Bett
ihres Sohnes und hielt seine Hand. Mit einem Lächeln
blickte sie zu ihrem Mann hoch. »Er schläft.«
»Hast du mit einem Arzt sprechen können?«, fragte
Alex und küsste seine Frau auf den Scheitel.
»Ja, Margaret war hier. Sie meinte, in zwei bis drei
Tagen sollte sich erkennbarer Erfolg einstellen. Cam
bekommt Antibiotika und fiebersenkende Medikamente.
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Wie du siehst, haben sie ihn außerdem an den Tropf
gehängt, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.«
»Margaret wird alles Menschenmögliche für ihn tun.
Mach dir nicht zu viele Sorgen.«
»Hattest du bei Brianna Erfolg?«
»Ja, sie springt ein und ist sofort mit ins Büro
gekommen. Ich bin mir sicher, dass Camerons Arbeit bei
ihr in den besten Händen ist.«
»Wunderbar, Brianna ist ein echter Schatz. Jetzt kann
Cam in Ruhe gesund werden, ohne sich ständig Sorgen
zu machen.«
»Hast du Nic informiert?«, erkundigte sich Alex.
Nicholas McKay war Camerons Vater und Claires
Ex-Mann, der mit seiner zweiten Frau ebenfalls in
Dolphin Bay lebte. Claire und Nicholas hatten trotz der
Scheidung ein freundschaftliches, harmonisches
Verhältnis.
»Nein, er und Sarah sind doch seit vorgestern mit dem
Expeditionsschiff in der Arktis unterwegs. Ich möchte
den beiden nicht ihren Urlaub verderben und rufe an,
sobald sie in Neufundland ankommen. Nic kann im
Moment hier ohnehin nichts tun.«
»Du hast vermutlich recht, allerdings kann ich mir
vorstellen, dass Nic das anders sieht.«
»Oh, er wird sauer sein. Aber das ist nicht das erste
Mal, dass er auf mich böse ist. Wird sicher auch nicht
das letzte Mal sein. Ich würde ihn sofort informieren,
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wenn Margaret mich nicht beruhigt hätte. Cams Fieber
ist sogar schon etwas gesunken. Ich mache mir trotzdem
Sorgen, dass er nicht richtig atmen kann. Er klingt
furchtbar.«
»Möchtest du heute Nacht bei ihm in der Klinik
bleiben?«
Claire war wieder einmal verblüfft, wie treffsicher
Alex ihre Gefühlslage einschätzte und genau das
Richtige vorschlug.
»Würde das gehen? Es ist vermutlich albern,
schließlich ist Cam mittlerweile zweiunddreißig Jahre
alt.«
»Das ist gar nicht albern. Ich kümmere mich darum,
dass du ein Bett bekommst. Wenn du möchtest, bleibe
ich auch hier.«
»Das ist nicht nötig, fahr ruhig heim. Wenn etwas sein
sollte, rufe ich dich an.« Claire stand auf, legte die Arme
um Alex und kuschelte sich für einen Moment fest an
seine Brust. »Habe ich heute schon erwähnt, wie
wunderbar du bist?«, sagte sie leise und hob ihren Kopf,
um ihm einen Kuss auf die Lippen zu hauchen.
»Mhm, aber es schadet nicht, die Worte noch einmal
zu hören«, lächelte Alex und vertiefte den Kuss, bevor er
sich von seiner Frau löste.
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