<strong>architektur</strong> FACHMAGAZIN 8 <strong>architektur</strong>szene Balkrishna Doshi, Indian Institute of Management, Bangalore, 1977, 1992 © Vinay Panjwani India Aus experimentellen Ansätzen lernen Vor allem in Großstädten besteht heute ein Mangel an leistbarem Wohnraum. Daneben stellt die zunehmende Fragmentierung der Gesellschaft die Architektur vor neue Herausforderungen. Ebendiesen begegnete Balkrishna Doshi während seiner Laufbahn gerne mit experimentellen Ansätzen. Er gab sich nicht nur mit dem Entwurf von leistbarem Wohnraum zufrieden. Seine Konzepte mussten gleichermaßen sozial integrativ und klimagerecht sein. Dafür kombinierte der Architekt Fertigbauweisen mit regionalen Handwerkstechniken und modularen Erweiterungen. Letztgenannter Aspekt ermöglicht es den Bewohnern, den Wohnraum gemäß ihren Bedürfnissen und wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen oder ihn auszubauen. Über bereits etablierte Konzepte hinauszugehen, war stets ein Bestreben des Planers. Er wollte aber nicht einfach „Neues“ schaffen, sondern mit seinen Ideen auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen. Zentrales Thema seiner Arbeiten ist daher der Umgang mit der Knappheit der Ressourcen. Installationen wie Klimaanlagen sind in den Projekten der Architekturgröße nicht zu finden. Vielmehr arbeitete er mit natürlichem Licht und naturbelassenen Ventilationen, um Wohnqualität zu gewährleisten. Zusätzlich leben die Ideen des Architekten von ihrer klassenübergreifenden Baukunst. Vor der Realisierung großer Wohnprojekte in Indien stellte er sich die Frage, wie Besitzlose durch sie zu Eigentümern werden können. Mit Unterstützung der Regierung, die die Fläche zur Verfügung stellte, errichtete er einen Wohnbau samt Grundausstattung. Die Bewohner hatten dann die Möglichkeit, ihre Behausung zu erweitern, was letzten Endes die örtliche Wirtschaft ankurbelte – so entstanden in der Nachbarschaft kleine Betriebe, die Bauelemente an die Bewohner verkauften. Ein Architekt der Bildung Nicht nur die Architektur, sondern auch die Bildung veränderte Balkrishna Doshi in Indien nachhaltig. Immerhin ist das Centre of Environmental Planning and Technology (CEPT) in Ahmedabad eines der Schlüsselprojekte des visionären Denkers. Zwischen 1962 und 2012 entstand rund um die Bildungseinrichtung ein vielseitiger Bildungscampus mit unterschiedlichen Disziplinen. Das Gelände ist als frei fließender Raum angelegt, der die Kommunikation zwischen Studenten und Lehrenden fördert. Puristische Elemente und klare Linien kennzeichnen die Gebäude, die mit ihrer zurückhaltenden Gestaltung der persönlichen Entfaltung der Studierenden Raum lassen. Auch bei diesen Bauten ist der Einfluss Le Corbusiers spürbar. Ideen für die heutige Planung Für die zeitgemäße Architektur sind vor allem die institutionellen Bauwerke und die städtebaulichen Konzepte des Architekten und Urbanisten von Interesse. Im Zentrum seiner Projekte steht stets der zwanglose Austausch, der durch verbindende Treppen, Flure, Wege und begrünte Innenhöfe gefördert wird. Sie bilden einen übergreifenden Zusammenhang, der eine Flexibilität in der Nutzung ermöglicht. In seiner Tätigkeit als Stadtplaner stellte Doshi stets die alltäglichen Wege der Bevölkerung in den Vordergrund. Straßen, Balkrishna Doshi in Zusammenarbeit mit M. F. Husain, Amdavad Ni Gufa Kunstraum, Ahmedabad, 1994 © Iwan Baan 2018 öffentliche Plätze und Gebäude passte er diesen an und verband sie zu einem funktionierenden „Ganzen“. Eine Kombination aus Tradition und Moderne prägen das Denken des Urbanisten. Die Lebensqualität in Großstädten verbesserte der Planer, indem er traditionelle Planungskonzepte wie die dichte Bauweise, kurze Wege und die Multifunktionalität baulicher Einrichtung auf die heutige Zeit übertrug. Durchaus also war Balkrishna Doshi seiner Zeit voraus, indem er die Architektur und Stadtplanung dem Menschen unterordnete – eine Vorgehensweise, die mancherorts auch heute nicht selbstverständlich ist. Ein für die heutige Zeit ebenso wichtiger Ansatz ist das Konzept des „Regionalismus“. Diese Herangehensweise lebt vom Einsatz lokaler Handwerkskunst, womit sie Architektur mit Tradition verknüpft. Das Ergebnis sind Bauwerke, welche die regionalen Eigenschaften bewahren und die Autonomie der dortigen Bewohner fördern. Daneben ermöglicht dieser Ansatz eine verstärkte Identifikation der Menschen mit der Baukunst. Obwohl der Urbanist seine Ideen vordergründig in Indien umsetzte, so lassen sich die Konzepte auch auf andere Kulturen anwenden. Doshi setzt in all seinen Projekten auf Universalität, wobei es ihm ein Bestreben ist, Menschen aus der Komfortzone ausbrechen zu lassen. Die Architektur darf dabei Gebäude nicht als Produkt der Ökonomie ansehen, sondern als ein sich veränderndes, wachsendes Gebilde, das sich mit den Bedürfnissen dessen Bewohnern weiterentwickelt. So wird die Baukunst wieder zum Werkzeug, das im Dienst der Menschen steht. •
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