Leseprobe_Fo_Christian VII.
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Meine Mutter war Louise von Hannover, die erste<br />
Ehefrau von Friedrich V., König von Dänemark, wie sich<br />
versteht. An sie habe ich so gut wie keine Erinnerung,<br />
weder an ihre Stimme noch an ihre Brüste, die mich gar<br />
nicht gesäugt haben. Ich wurde nämlich sogleich einer<br />
Amme anvertraut; ich erinnere mich an ihre weichen<br />
Brüste, aus denen die Milch quoll, und an ihre Stimme,<br />
mit der sie mich in den Schlaf sang. Meine Mutter starb,<br />
als ich zwei Jahre alt war, was ich erst viel später erfuhr,<br />
als sich mein Vater, der König, mit einer anderen Dame<br />
verheiratete, einer sehr schönen, aber habgierigen und<br />
herzlosen Frau, Juliane Marie von Braunschweig-Wolfenbüttel;<br />
von ihr werde ich, wenn auch höchst widerwillig,<br />
bald ausführlicher berichten. Fürs Erste sage ich<br />
nur, dass ich ein tiefes Unbehagen empfand, als ich diese<br />
Frau kennenlernte. Sie schien den Mythen und Legenden<br />
der alten skandinavischen Sänger zu entstammen<br />
und war wie die Stiefmütter in den grausamen Märchen,<br />
mit denen man den Kindern Angst einjagt.<br />
Ein Jahr später, als meine Stiefmutter ihren Erstgeborenen<br />
zur Welt brachte, bekam ich plötzlich hohes Fieber,<br />
aber bestimmt nicht wegen dieser Geburt. Eiligst<br />
wurde ein Arzt gerufen, der befand, dass es sich wahrscheinlich<br />
um nichts Ernstes handelte, vielmehr um eine<br />
normale Erscheinung der Entwicklungsjahre. Leider erwies<br />
sich seine Diagnose als vollkommen falsch, denn<br />
ich erholte mich erst nach Monaten, in denen ich halb<br />
bewusstlos dahindämmerte.<br />
Zunächst schien es, als wäre ich von dieser schrecklichen<br />
Krankheit gänzlich geheilt; ich durfte hinaus in<br />
den Park und mit den übrigen Kindern des Schlosses<br />
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