XtraBlatt Ausgabe 01-2020
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TITELTHEMA<br />
Mittlere Nitratgehalte im Trinkwasser in den Regionen<br />
<strong>XtraBlatt</strong>: Herr Dr. Kowalewsky – Sie haben zusammen<br />
mit Dr. Steffens vorhandene Datengrundlagen für Niedersachsen<br />
ausgewertet. Warum nur für dieses Bundesland?<br />
Dr. Hans-Heinrich Kowalewsky: Erstens wussten wir aufgrund<br />
unserer früheren Tätigkeit, wo wir die für Niedersachsen<br />
benötigten Daten finden. Doch der zweite Grund ist<br />
der eindeutig wichtigere: Niedersachsen lässt sich wie kein<br />
anderes Bundesland anhand Flächennutzung, Veredelungsintensität<br />
und Topografie in gut abgrenzbare Regionen<br />
unterteilen. So ist die Situation in der Küstenregion mit<br />
hohem Grünlandanteil sehr viel anders als in den westlichen<br />
Regionen mit intensiver Schweinehaltung. Noch anders<br />
sieht es im östlichen Niedersachsen aus. Hier spielt die<br />
Tierhaltung insgesamt eine geringere Rolle. Der Nordosten<br />
ist geprägt durch sandigere Böden und Flachland, während<br />
im Südosten die lößreichen Böden in das mitteldeutsche<br />
Berg- und Hügelland übergehen.<br />
<strong>XtraBlatt</strong>: Haben Sie diese vier Regionen dann noch weiter<br />
unterteilt?<br />
Oldenburg<br />
Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
Osnabrück<br />
Bremen<br />
Hannover<br />
Göttingen<br />
Hamburg<br />
Lüneburg<br />
Dr. Kowalewsky: Insgesamt haben wir Niedersachsen für<br />
die Auswertung in 22 etwa gleichgroße Bezirke unterteilt,<br />
die allerdings nicht identisch mit den Landkreisen sind. Ausschlaggebend<br />
war die Verfügbarkeit von Daten über die<br />
Stickstoffdüngung, sowie über die Nitratgehalte im Sicker-,<br />
Grund- und Trinkwasser. Dazu haben wir z. B. auf Daten<br />
aus dem Nährstoffbericht Niedersachsen und des „Niedersächsischen<br />
Landesbetriebes für Wasserwirtschaft, Küsten-<br />
Braunschweig<br />
Thüringen<br />
Oldenburg<br />
und Naturschutz“ sowie auf die im Internet zugänglichen<br />
Angaben der Wasserwerke zurückgegriffen.<br />
<strong>XtraBlatt</strong>: Sind Grund- und Trinkwasser nicht dasselbe?<br />
Dr. Kowalewsky: Nein. Für die korrekte Betrachtung und<br />
Beurteilung der Nitratwerte ist es sinnvoll, zu unterscheiden<br />
zwischen Sickerwasser aus den obersten 2 m des Bodens, dem<br />
darunter befindlichen oberflächennahen Grundwasser und<br />
dem aus tieferen Schichten stammenden Trinkwasser. Für<br />
das Sickerwasser gibt es keine Messwerte, sondern gängige<br />
Berechnungen, basierend auf der Stickstoffzu- und -abfuhr<br />
sowie der jährlichen Niederschlagsmenge. Die Messergebnisse<br />
für das Grundwasser stammen aus Peilbrunnen mit Tiefen<br />
meist zwischen 5 m und 30 m, die auch für die Festlegung<br />
der roten Gebiete herangezogen wurden. Die Nitratwerte<br />
im Trinkwasser werden von den Wasserwerken ermittelt und<br />
veröffentlicht. Sie beziehen sich häufig auf Tiefen zwischen<br />
40 und 120 m.<br />
Osnabrück<br />
Nitratgehalt im Trinkwasser<br />
unter 25 mg/l (n= 430)<br />
25 – 37,5 mg/l (n= 35)<br />
37,5 – 50 mg/l (n= 13)<br />
über 50 mg/l (keine)<br />
<strong>XtraBlatt</strong>: Wie fallen die von Ihnen untersuchten Werte in<br />
den 22 Bezirken aus?<br />
Bremen<br />
Hannover<br />
Göttingen<br />
Hamburg<br />
Braunschweig 3<br />
Thüringen<br />
Der Vergleich der beiden Karten zeigt, dass die bisher in Niedersachsen festgelegten roten Gebiete (l.) nicht identisch sind mit den Regionen, die etwas erhöhte Nitratwerte<br />
im Trinkwasser (r.) haben.<br />
Dr. H. H. Kowalewsky und Dr. G. Steffens<br />
Dr. Kowalewsky: Nehmen wir zuerst den mittleren<br />
Stickstoffanfall aus organischen Düngern wie Gülle und<br />
Gärrest. Er liegt in den Veredelungsbezirken im westlichen<br />
Niedersachsen mit 160–190 kg N/ha erwartungsgemäß<br />
am Höchsten, während er im südöstlichen Niedersachsen mit<br />
durchschnittlich etwa 55 kg N/ha nur etwa ein Drittel davon<br />
erreicht. Gedüngt wird aber nicht nur organisch, sondern<br />
Mittlere Nitratgehalte im Trinkwasser in den Regionen<br />
Lüneburg<br />
3<br />
1<br />
3<br />
8<br />
13<br />
3<br />
23<br />
13<br />
2<br />
4<br />
10<br />
20<br />
Dr. H. H. Kowalewsky und Dr. G. Steffens<br />
19<br />
1<br />
2<br />
1<br />
7<br />
17<br />
1<br />
1<br />
3<br />
3<br />
8<br />
13<br />
Angaben 3 in mg/l<br />
• = relativ hohe<br />
Werte<br />
(über 15 mg/l)<br />
• = mittlere Werte<br />
(5–15 mg/l)<br />
• = relativ niedrige<br />
Werte<br />
(unter 5 mg/l)<br />
ebenso mineralisch, und es findet zudem eine Nährstoffabfuhr<br />
mit den Ernteprodukten statt. Daraus ergibt sich im Westen<br />
Niedersachsens, also in z. B. im Bereich Vechta/Cloppenburg,<br />
ein rechnerischer Stickstoffüberschuss von 60–80 kg/<br />
ha, während er zum Beispiel in Northeim/Göttingen bei<br />
0–5 kg N/ha liegt. Unter Berücksichtigung des Niederschlages<br />
und nach Umrechnung vom Stickstoffüberschuss (kg/ha)<br />
in Nitratgehalte (mg/l) ergibt sich für das Sickerwasser in<br />
Vechta/Cloppenburg ein durchschnittlicher Nitratgehalt von<br />
etwa 100 mg/l. In Northeim/Göttingen sind es dagegen nur<br />
um die 40 mg/l.<br />
<strong>XtraBlatt</strong>: Inwieweit betrifft dies dann das Grund- bzw.<br />
Trinkwasser?<br />
Dr. Kowalewsky: Natürlich gibt es da eine Verbindung. Wenn<br />
im Sickerwasser kein Nitrat vorhanden ist, kann auch nichts<br />
ins Grund- und Trinkwasser gelangen. Andersherum bedeuten<br />
aber hohe Gehalte im Sickerwasser nicht automatisch, dass<br />
im Grundwasser immer hohe Nitratgehalte gefunden werden.<br />
Gemessen werden die Nitratgehalte im oberflächennahen<br />
Grundwasser in den viel zitierten Peilbrunnen. Davon gibt es<br />
rund 1.300 in Niedersachsen. Bei 68 % dieser Brunnen liegt<br />
der Nitratgehalt im Bereich unterhalb von 25 mg/l, also bei<br />
weniger als der Hälfte des zulässigen Höchstwertes. Weitere<br />
11 % bewegen sich im Bereich zwischen 25 und 50 mg Nitrat/l,<br />
also immer noch unter dem zulässigen Höchstwert. Nicht zu<br />
verhehlen ist allerdings, dass in 13 % der Peilbrunnen der<br />
Wert zwischen 50 und 100 mg/l liegt, in 8 % sogar oberhalb<br />
der Marke von 100 mg/l. Regional betrachtet fällt auf, dass<br />
13<br />
1 Angaben in mg/l 2<br />
3<br />
3<br />
23<br />
= relativ hohe Werte<br />
(über 15 mg/l) 4<br />
= mittlere Werte<br />
(5 – 15 mg/l)<br />
je Region Werte von<br />
5 bis 11 Wasserwerken<br />
gesamt n = 196<br />
Grenzwert = 50 mg/l<br />
10<br />
= relativ niedrige Werte<br />
(unter 5 mg/l)<br />
Mittlere Nitratgehalte im Trinkwasser in den Regionen<br />
20<br />
1<br />
2<br />
1<br />
7<br />
17<br />
19<br />
7.<br />
1<br />
1<br />
3<br />
in der Küstenregion und im südlichen Teil Niedersachsens die<br />
Peilbrunnen niedrigere und im mittleren Teil Niedersachsens<br />
Angaben in mg/l<br />
Grenzwert = 50 mg/l<br />
höhere Nitratgehalte aufweisen. Aber das allein ist nicht<br />
= relativ hohe Werte<br />
aussagekräftig.<br />
(über 15 mg/l)<br />
= mittlere Werte<br />
(5 – 15 mg/l)<br />
je Region Werte von<br />
5 bis 11 Wasserwerken<br />
gesamt n = 196<br />
<strong>XtraBlatt</strong>: Warum nicht?<br />
= relativ niedrige Werte<br />
(unter 5 mg/l)<br />
Dr. Kowalewsky: Einige Peilbrunnen reichen nur bis wenige<br />
Meter Tiefe und liegen somit sehr dicht an der Grenze zur<br />
Sickerwasserzone. Andere Peilbrunnen sind um ein Vielfaches<br />
tiefer. Da der Nitratgehalt im Grundwasser mit zunehmender<br />
Tiefe geringer wird, ist hier keine Vergleichbarkeit der Werte<br />
gegeben. Außerdem befinden sie sich teilweise in Siedlungen<br />
oder in der Nähe von Wegen, Gräben oder ehemaligen Silage-<br />
und Mistlagerstätten. Auch auf einem ehemaligen Friedhof<br />
und auf einer ehemaligen Kleindeponie sollen Peilbrunnen<br />
errichtet worden sein. 7. Kritisiert wird außerdem, dass viele<br />
dieser Brunnen bautechnisch nicht so ausgeführt sind, wie<br />
dies den jeweiligen Richtlinien entsprochen hätte. Das alles<br />
lässt die genannten Nitratmesswerte zweifelhaft erscheinen.<br />
Wie entsprechende Auswertungen gezeigt haben, ist es nicht<br />
möglich, von der Stickstoffdüngung auf die Nitratgehalte<br />
in den Peilbrunnen zu schließen. Umgekehrt bedeutet das<br />
aber auch, dass von den Nitratgehalten der Peilbrunnen<br />
nicht auf die Stickstoffdüngung geschlossen werden kann.<br />
Deshalb ist nach unserer Einschätzung die Ableitung von<br />
Bewirtschaftungsauflagen auf Basis von Nitratgehalten in<br />
Peilbrunnen nicht sachgerecht.<br />
<strong>XtraBlatt</strong>: Sind die Nitratwerte im Trinkwasser denn signifikant<br />
anders als im oberflächennahen Grundwasser?<br />
Dr. Kowalewsky: So ist es. Wir waren selbst überrascht, dass<br />
die Nitratgehalte im Trinkwasser in den Regionen mit hohem<br />
Veredelungsanteil – und damit starker organischer Düngung<br />
– besonders niedrig waren. So lagen die von den jeweiligen<br />
Wasserwerken veröffentlichten Werte im Küstenbereich und<br />
in der Mitte Niedersachsens, also dort, wo relativ viele Tiere<br />
gehalten werden, häufig zwischen 1 mg/l und 5 mg/l. In<br />
den südlicheren Landesteilen bewegten sich diese Werte<br />
häufig zwischen 20 und 30 mg/l. Die südlichen Landesteile in<br />
Niedersachsen sind geprägt durch bergigere Bereiche, wie z. B.<br />
den Teutoburger Wald, den Deister und den Solling, und sie<br />
sind auch geprägt durch eine Landwirtschaft, in der nur wenig<br />
Tierhaltung stattfindet. Diese Daten belegen nach unserer<br />
Einschätzung, dass die Düngung mit Gülle und Gärresten<br />
nicht die Ursache für höhere Nitratgehalte im Trinkwasser<br />
sein kann. Oder, um es etwas salopper zu formulieren: Gülle<br />
ist nicht das Problem.<br />
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