XtraBlatt Ausgabe 01-2020
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PRAXIS<br />
Macht Eindruck: Ein Rüde der Rasse<br />
Pyrenäenberghund.<br />
Herdenschutzhunde im Einsatz bei einem größeren Schafbestand in Koppelhaltung.<br />
Auch kleinere Herden pflegen die Landschaft. Der Herdenschutz bedeutet hier einen unverhältnismäßigen<br />
Aufwand.<br />
Alles im Blick: Herdenschutzhunde beobachten gerne<br />
von einem erhöhten Posten aus.<br />
Enorm wichtig ist nach seiner Aussage<br />
die Leitfähigkeit der Drähte, vor allem bei<br />
langen Zäunen. Das größte Problem in der<br />
Praxis stelle jedoch die richtige Erdung dar:<br />
„Klar müssen auch die Weidezaungeräte<br />
leistungsfähig sein. Ein bis zwei Joule und<br />
aufwärts sind das Mindeste. Denn der Wolf<br />
ist kein Haus-, sondern ein Wildtier. Noch<br />
mehr zählt bei ihm der Abschreckungseffekt<br />
des Elektrozaunes“, so Günter Herkert. Nicht<br />
unterschätzen sollte man außerdem den<br />
erhöhten Energiebedarf durch Bewuchs.<br />
Denn es macht einen großen Unterschied,<br />
ob der unterste Draht 20 cm oder wie<br />
im Normalfall bei Schafen knapp 30 cm<br />
hoch ist. „Schafsnetze sollten generell nur<br />
so kurz wie nötig stehen, damit sie nicht<br />
einwachsen. Mehr Leiter als vier machen<br />
meiner Ansicht nach wenig Sinn und sind<br />
unpraktikabel. Haspelsysteme sind dafür<br />
nicht ausgelegt. Außerdem ist der Aufwand<br />
erheblich höher.“<br />
Bei Schafen reichen seines Erachtens für den<br />
Schutz gegen das Ausbrechen meistens drei<br />
Leiter. Ein vierter braucht beim Auf- und Abbau<br />
etwa 30 % mehr Zeit. Werden bei einem<br />
Rinderzaun vier statt der üblichen zwei bis<br />
drei Leiter verwendet, verdoppelt sich der<br />
Aufwand sogar. Zu Elektrozaun-Netzen, die<br />
viele Schafhalter gerne als mobile Lösung<br />
benutzen, hat Günter Herkert ein zwiespältiges<br />
Verhältnis: „Auf meinem eigenen<br />
Betrieb setze ich sie überhaupt nicht ein. Ich<br />
finde einen Zaun mit Litze viel einfacher in<br />
der gesamten Handhabung und eine gute<br />
Stromführung lässt sich besser gewährleisten.<br />
Außerdem ist er lange nicht so anfällig<br />
gegen Wildschweine.“<br />
AUF DER HUT<br />
Für sehr wichtig hält Günter Herkert die<br />
permanente Kontrolle des Elektrozaunes.<br />
Dies könne manuell erfolgen, oder über<br />
entsprechende Systeme, die teilweise<br />
sogar Alarmmeldungen aufs Mobiltelefon<br />
senden. „Weidetiere akzeptieren den Zaun<br />
meist gut und testen das System nicht<br />
permanent“, sagt er. „Ein Wolf auf der Suche<br />
nach Beute dagegen entdeckt Schwächen<br />
am Elektrozaun sofort. Überwacht werden<br />
sollte übrigens immer am Ende eines Zaunes.<br />
Wenn hier alles passt, ist auch der Rest in<br />
Ordnung. Ergänzend zu den Elektrozäunen<br />
sind als Zubehör zum Beispiel noch Blitzer<br />
erhältlich. „Deren Wirkung sehe ich allerdings<br />
eher kurzfristig. Hier setzt schnell ein<br />
Gewöhnungseffekt bei den Wildtieren ein.“<br />
Diese Aussagen gelten für normale bis<br />
Mittelgebirgslagen. „Ganz anders sieht<br />
es im alpinen Bereich aus“, sagt Günter<br />
Herkert. „Hier gibt es Gebiete, wo es nicht<br />
praktikabel ist, einen Zaun aufzustellen.<br />
Und wo es keinen Zaun gibt, können auch<br />
keine anderen Herdenschutzmaßnahmen,<br />
wie Hunde angewendet werden. Da stoßen<br />
wir eindeutig an unsere Grenzen.“<br />
Aber noch ein anderes Thema liegt dem<br />
Experten auf dem Herzen. Kommt es doch<br />
einmal zu einem Riss und geht es um eine<br />
Entschädigung, gerät schnell der Tierhalter<br />
in die Kritik, er hätte Fehler beim Zaunbau<br />
gemacht. „Ich habe selbst schon Zäune<br />
gesehen, die meiner Ansicht nach vollkommen<br />
in Ordnung waren, von anderer Seite<br />
aus aber in vielen Punkten kritisiert wurden.<br />
Hier ist gesunder Menschenverstand<br />
gefragt. Denn unter Praxisbedingungen<br />
lassen sich die Vorgaben nicht immer auf<br />
den Zentimeter genau einhalten. Gerade<br />
die Höhe des unteren Leiters ist immer<br />
ein schwieriges Thema. 90 cm Höhe, vier<br />
Leiter und das alles elektrotechnisch gut<br />
ausgeführt – so sieht in meinen Augen<br />
ein funktioneller Schutz von Weidetieren<br />
gegen Wölfe aus. Wer speziell bei mobilen<br />
Zäunen mehr fordert, hat in der Regel<br />
noch nie selbst einen Zaun im Gelände<br />
aufgestellt.“<br />
MIT HUNDEN<br />
Während Elektrozäune für die Tierhalter<br />
kein neues Thema sind, haben die meisten<br />
noch keine Erfahrungen mit einem Herdenschutzhund<br />
gemacht. „Im Gegensatz<br />
zu einem Hütehund sind Herdenschutzhunde<br />
keine Befehlsempfänger“, erklärt<br />
René Gomringer. Er war jahrzehntelang<br />
Geschäftsführer des Landesverbandes<br />
Bayerischer Schafhalter. Nach seiner Pensionierung<br />
im letzten Jahr ist er als freier<br />
Berater mit seinem „Schafbüro“ tätig. Erfahrungen<br />
mit Herdenschutzhunden konnte<br />
er international sammeln. Außerdem ist<br />
René Gomringer selbst Schafhalter im<br />
Nebenerwerb.<br />
„Das ist für viele Tierhalter im Umgang<br />
zunächst eine große Umstellung. Aber der<br />
Herdenschutz mit Hunden kommt mehr<br />
und mehr. Geeignet sind vor allem Rassen<br />
aus Italien, Frankreich, Spanien oder aus<br />
Osteuropa. Die Ausbildung ist eigentlich<br />
weniger aufwändig als bei einem Hütehund,<br />
aber man braucht viel Gefühl. Besonders<br />
wichtig ist die Sozialisierung: Bereits als<br />
Welpe müssen die Hunde alles schon einmal<br />
mitbekommen haben, was künftig auf sie<br />
zukommen soll.“ In vielen Bundesländern<br />
wird nach René Gomringers Erfahrung<br />
in Wolfsgebieten die Anschaffung eines<br />
Herdenschutzhundes bezuschusst. Sie<br />
müssen dafür dann später aber eine Prüfung<br />
bestehen, für die es vielerorts noch überhaupt<br />
keine Formalien gibt. Sogenannte<br />
Listenhunde, also potenziell gefährliche<br />
Rassen, müssen zusätzlich einen Wesenstest<br />
bestehen, der aber eigentlich gar nicht auf<br />
die Eigenheiten von Arbeitshunden Rücksicht<br />
nimmt. „Ein gewisses Drohverhalten<br />
ist ganz einfach Teil ihres Jobs. Unerfreulicherweise<br />
ist auch der Mastín Espanol, mit<br />
dem einige Schäfer in Bayern hervorragende<br />
Erfahrungen gemacht haben, ein solcher<br />
Listenhund“, fügt er hinzu.<br />
Herdenschutzhunde agieren größtenteils<br />
selbständig. Da meist mit mindestens zwei<br />
Hunden, besser wären drei, gearbeitet<br />
wird, ist Teamfähigkeit untereinander eine<br />
wichtige Eigenschaft. Ebenso die Zauntreue.<br />
Ein Herdenschutzhund, der den Elektrozaun<br />
nicht akzeptiert, ist unter deutschen Verhältnissen<br />
untragbar.<br />
MEHR AUFWAND<br />
„Für die Tierhalter ist der Herdenschutz mit<br />
Hunden immer ein Mehraufwand“, so René<br />
Gomringer. „Wer es auf einem größeren<br />
Betrieb ernsthaft betreibt, braucht durchaus<br />
etwa 20 Hunde. Die Teams müssen<br />
dabei laufend umgestellt werden, wenn<br />
es etwa bei Hündinnen zu Läufigkeiten<br />
kommt. Und zwischen den Hunden kann<br />
es durchaus auch einmal so richtig fetzen.<br />
Die sind untereinander nicht zimperlich.<br />
Das ist eben Natur…“<br />
Die Betreuung an sich sei dagegen nicht<br />
so anspruchsvoll. Relativ einfach ist seines<br />
Erachtens der Herdenschutz in Koppelhaltungen.<br />
In weiten Teilen Deutschlands<br />
findet die Erwerbsschäferei jedoch in der<br />
Hütehaltung statt. „Das Miteinander<br />
zwischen Hütehunden und Herdenschutzhunden<br />
kann – muss aber nicht – ganz gut<br />
funktionieren. Zu den Eigenschaften eines<br />
Herdenschutzhundes gehört aber, dass<br />
er ständig die Lage vor der Herde oder im<br />
Umfeld sondiert. Eine Straße stört ihn dabei<br />
nicht, stellt für den Hund aber eine große<br />
Gefahr dar. Manche Herdenschutzhunde<br />
lassen sich während des Hütens anhängen<br />
oder bleiben mit einigen Schafen am<br />
Pferch. Vieles kann man mit ihnen einüben.<br />
Manchmal werden sie auch tagsüber heimgefahren,<br />
allgemeingültige Rezepte gibt es<br />
dafür aber nicht.<br />
Die meisten Probleme mit Herdenschutzhunden<br />
gehen von der Bevölkerung aus. Viel<br />
Erfahrung mit dem Herdenschutz hat man<br />
in der Schweiz, sogar in der Alpwirtschaft.<br />
Doch sind die Touristen und die Bevölkerung<br />
oft nicht bereit, gewisse Einschränkungen<br />
bei den Wegen hinzunehmen. Und ein<br />
imposanter Hund auf der anderen Seite<br />
des Zauns ist auch nicht jedermanns Sache.<br />
Arbeiten Herdenschutzhunde in der<br />
Nähe von Siedlungen, kann das Bellen eine<br />
Schwierigkeit darstellen. Jeder Fuchs, jedes<br />
Wildschwein ist eine potenzielle Gefahr<br />
für die Herde, vor der die Hunde lautstark<br />
warnen. Das kann durchaus die ganze Nacht<br />
so gehen.“<br />
Herdenschutz ist machbar, aber trotz aller<br />
Entschädigungs- und Fördermaßnahmen<br />
ein schwieriges Thema. Vor allem beim Einsatz<br />
von Herdenschutzhunden können nicht<br />
die Erfahrungen aus anderen europäischen<br />
Ländern auf Deutschland übertragen werden.<br />
Vieles muss hier noch selbst erarbeitet<br />
werden. Auch wenn Herdenschutz einiges<br />
bewirken kann: 100-prozentige Wirksamkeit<br />
gibt es nicht. Und egal, ob Herdenschutzhund<br />
oder aufgerüsteter Elektrozaun<br />
– es ist immer ein hoher Aufwand für die<br />
Tierhalter nötig – finanziell und zeitlich.<br />
Beides sind in der Weidetierhaltung knappe<br />
Faktoren. «<br />
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