LESEFOERDERUNG DURCH VORLESEN-Skizze-10-02-01
LESEFOERDERUNG DURCH VORLESEN-Skizze-10-02-01
LESEFOERDERUNG DURCH VORLESEN-Skizze-10-02-01
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Pädagogische Hochschule Weingarten / Kirchplatz 2 / 88250 Weingarten<br />
Prof. Dr. Jürgen Belgrad (Literaturwissenschaft und<br />
Literaturdidaktik)<br />
Dr. Volker Druba (akad. Mitarbeiter/abg. Realschullehrer)<br />
Ralf Schünemann (Dipl. Sprechwissenschaftler)<br />
Barbara Schupp (akad. Rätin/ abg. GHS-Lehrerin/<br />
Geschäftsführerin des Zentrums für Sekundarbildung<br />
und Ausbildungsförderung)<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 1<br />
Fakultät II Prof. Dr. Jürgen Belgrad<br />
Projektleiter LESEFÖRDERUNG<br />
<strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong><br />
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+49 751 5<strong>01</strong>-8211<br />
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Weingarten 1.<strong>02</strong>.20<strong>10</strong><br />
LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> (Stand: 2. Februar 20<strong>10</strong>)<br />
belgrad@ph-weingarten.de<br />
1. Studien zum Vorlesen<br />
In einer Reihe von Studien wird dokumentiert, wie bedeutsam das Vorlesen für den Alltag von Kindern<br />
ist (Bahn-Vorlesestudien 2007 & 2008; PWC 2007, Stiftung Lesen 2008; Morgan & Goldstein 2004).<br />
In der jüngsten Bahn-Vorlesestudie (2008), die u. a. auf einer repräsentativen Befragung Vier- bis 11-<br />
Jähriger Kinder beruht, konnte Folgendes nachgewiesen werden: 37% der Kinder werden niemals vorgelesen;<br />
22 % der Kinder, denen nicht vorgelesen wird, fordern: „Lest uns vor!“ Als Begründung für<br />
diesen Wunsch nach Vorlesesituationen wird erwähnt, dass die Kinder ein Gespür für das besondere<br />
Vorleseerlebnis in der Familie hätten und es demnach einforderten.<br />
Diese Ergebnisse erfahren in wissenschaftlichen Untersuchungen eine vertiefende und systematische<br />
Analyse. Bezogen auf den Elementarbereich geht Wieler (1997) in ihrer Studie detailliert auf die<br />
Qualität des Vorlesens ein. Dabei konnte sie am Beispiel von Vorlesesituationen von vierjährigen<br />
Kindern und ihren Müttern zeigen, dass eine spezifische Form des Vorlesens in einen intensiven<br />
dialogischen Austausch über literarische und alltägliche Erfahrungen der Kinder münden kann; solche<br />
Gesprächssituationen kennzeichnen v. a. Vorlese-Interaktionen in Familien aus der (oberen) Mittelschicht;<br />
diese Vorlesesituation wird als ‚offen‘ bezeichnet und von einer ‚geschlossenen‘ Vorlesesituation<br />
unterschieden, wie sie Wieler in schriftfernen Milieus festmachen kann; diese sind gekennzeichnet<br />
durch ein monologisches Vorlesen, wobei dem Kind die Rolle des Zuhörers zugewiesen wird.<br />
Sie plädiert dafür, „die gemeinschaftliche Bilderbuch-Rezeption in der Familie verstärkt auch als<br />
Anlaß für den kommunikativen Austausch mit dem Kind wahrzunehmen. Wie die Untersuchung zeigt,<br />
entscheidet die dialogische Struktur des Vorlesens darüber, inwieweit es den Vierjährigen gelingt, ihre<br />
Verstehensfragen und Verstehensprobleme bei der Bilderbuch-Rezeption zur Sprache zu bringen und<br />
einer Lösung zu zuführen.“ (Wieler 1997, S. 319)<br />
Neue Untersuchungen knüpfen an Wielers Ergebnissen an und zielen auf die Förderung der familiären<br />
Lesekultur ab, um diese im Hinblick auf die Lesekompetenz nachhaltig zu beeinflussen. Zu nennen ist<br />
in diesem Zusammenhang die Studie von McElvany (2008), die ein Modell zur Förderung des Lesens<br />
– „Berliner-Eltern-Kind-Programm“ – für Familien mit Grundschulkindern entwickelt hat, das in<br />
weiten Teilen auf dem gemeinschaftlichen Lesen von Texten und dem Vorlesen beruht. Ihre Interventionsstudie<br />
zur Förderung der Lesekompetenz im Rahmen von ‚familiy literacy‘ ist grundsätzlich<br />
effektiv, bedarf aber eines großen Aufwands, um die Eltern zu erreichen (McElvany 2008).<br />
Können diese Studien in Zusammenhang mit dem Vorlesen in familiären Kontexten und in der vorschulischen<br />
Phase der Lesesozialisation genannt werden, so zeigt sich, dass die Rolle des Vorlesens in
schulischen Kontexten kaum Berücksichtigung findet. Zwar wenden sich zahlreiche Studien der<br />
Förderung des Lesens zu (Eggert & Garbe ²2003), jedoch wird dabei der Aspekt des Vorlesens nur<br />
selten gestreift. Das von Rosebrock und Nix favorisierte ‚Lautlese-Verfahren‘ versteht sich als eine<br />
explizite Trainingsform und -routine, bei dem die Schüler(innen) durch das laute Lesen und Vorlesen<br />
von kurzen Texten oder Textabschnitten vor allem ihre Lesefähigkeit bei der Worterkennung, der Verbindung<br />
von Wortfolgen in Satzzusammenhängen und bei der der Herstellung von Relationen<br />
zwischen den einzelnen Sätzen verbessern können. Auf diese Weise soll die Leseflüssigkeit<br />
(‚Fluency‘) der Schüler(innen) gesteigert und damit eine Verbesserung hierarchieniedriger Leseprozesse<br />
erzielt werden (Rosebrock & Nix 2008, S. 31). Die Auseinandersetzung mit literarischen<br />
Texten steht im Zentrum der Untersuchung von Gailberger (2008), der untersucht, inwiefern die Lesekompetenz<br />
und das literarische Verstehen von Hauptschüler(innen) durch das Anhören von Hörbüchern<br />
befördert werden kann.<br />
2. Lesekompetenz – ein Modell nach Hurrelmann (20<strong>02</strong>)<br />
In verschiedenen Leistungsvergleichsstudien (PISA, DESI, IGLU) wird ein stark kognitiv geprägter<br />
Lesekompetenzbegriff favorisiert. Die Kritik an einem solchen Kompetenzbegriff ist wiederholt geäußert<br />
worden. So plädiert Hurrelmann (20<strong>02</strong>) für ein „didaktisches Konzept des Lesens als kultureller<br />
Praxis“, worunter auch die Beweggründe des Lesens, die Gefühle beim Lesen sowie die Gespräche<br />
über Gelesenes als Bestandteil von Lesekompetenz subsumiert werden. Diese Dimensionen sind v. a.<br />
im Hinblick auf die Sozialisation zentral, da Hurrelmann aus der Perspektive eines gesellschaftlich<br />
handlungsfähigen Subjekts argumentiert und somit ein ganzheitliches Modell von Lesekompetenz entwickelt.<br />
In ihrem Modell der Lesekompetenz (vgl. Abbildung 1) betont Hurrelmann die normativen Dimensionen<br />
von Lesekompetenz. Als Leitvorstellung dient ihr dabei das „gesellschaftlich handlungsfähige<br />
Subjekt“, das sich den Anforderungen einer schriftbasierten Mediengesellschaft gewachsen sieht und<br />
im Sinne einer humanistischen Bildungstradition Einfluss auf die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse<br />
nehmen kann: „Im Hinblick auf das Lesen ist damit eine Person gemeint, die das Lesen nicht<br />
nur als instrumentelles Handeln in verschiedenster Hinsicht erfolgreich einsetzen kann […], sondern<br />
für die es darüber hinaus als Medium der Persönlichkeitsbildung wichtige Folgewirkungen hat […]“<br />
(Hurrelmann 20<strong>02</strong>, S. 22). Folglich akzentuiert der von ihr modellierte Lesekompetenzbegriff die Dimensionen<br />
Kognition, Motivation, Emotionen, Reflexionen und Anschlusskommunikation.<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 2
Abbildung 1: Modell der Lesekompetenz (Hurrelmann 20<strong>02</strong>)<br />
In unserer Untersuchung zum Vorlesen knüpfen wir an den Hurrelmannschen Wertehorizont und die<br />
von ihr formulierten Dimensionen der Lesekompetenz an: Welche Effekte lassen sich bezüglich der<br />
Kognitionen feststellen? Welchen Einfluss zeitigt das Vorlesen auf Emotionen und Motivationen?<br />
Auch in den großen Vergleichsstudien wird wiederholt angeführt, wie bedeutsam Lesemotivation für<br />
den Prozess des Lesens ist. Welche Effekte lassen sich bezüglich der Emotionen erfassen? Inwiefern<br />
zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Reflexion und Anschlusskommunikation in Bezug auf das<br />
Vorlesen? Führt eine bestimmte Art des Vorlesens (monologisch vs. dialogisch) zu einer bestimmten<br />
Form der Anschlusskommunikation? Besteht zwischen dem schulischen Vorlesen und dem Lesen in<br />
der Freizeit ein Zusammenhang?<br />
3. Pilotstudien zu „Leseförderung durch Vorlesen“<br />
Es wurden bereits zwei Pilotstudien zu „Leseförderung durch Vorlesen“ durchgeführt: 1994 mit Studierenden<br />
der PH Ludwigsburg und 1996 mit Schüler(inne)n eines vierten Schuljahrs in Stuttgart (vgl.<br />
Belgrad & Schau 1994). Dabei zeigten sich signifikante Hinweise für den Zusammenhang von Vorlesen<br />
im Unterricht und Leseförderung, die bei den Lernenden gemessen werden konnten. Dieser Zusammenhang<br />
soll nun auf einer breiteren empirischen Grundlage eine Bestätigung finden.<br />
Die zwei Pilotstudien folgen dem Konzept der Kölner Untersuchung von Bettina Hurrelmann von<br />
1993, die einen Zusammenhang zwischen der früheren Vorlesepraxis der Eltern und dem Leseverhalten<br />
des Kindes nachweisen konnte (vgl. Hurrelmann 1993). Versucht man diese Ergebnisse auf die<br />
Schule zu übertragen, hieße das, dass zwischen der Vorlesepraxis der Schule und dem späteren Leseverhalten<br />
der Kinder ein positiver Zusammenhang besteht, der als Leseförderung begriffen werden<br />
könnte.<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 3
4. Übertragung auf die Sekundarbildung<br />
Diese Ergebnisse und Möglichkeiten sollen nun für die Sekundarbildung konkretisiert werden, da auch<br />
hier ein positiver Effekt vermutet wird. Im Fokus des Interesses stehen die Hauptschüler(innen), da<br />
gerade diese Schulart einer intensiven Untersuchung bedarf, nicht zuletzt aufgrund ihres fortschreitenden<br />
Bedeutungsverlusts und der damit einhergehenden Auswirkungen auf den Unterricht<br />
(Leschinsky 2008, S. 387).<br />
Im Blick haben wir Hauptschüler(innen) der 8. Jahrgangsstufe. Im Gegensatz zu den PISA-Studien, die<br />
die Schüler(innen) der 9. Jahrgangsstufe zum Gegenstand ihrer Analyse gemacht haben, ist unsere<br />
Studie als Interventionsstudie angelegt. Die Schüler(innen) der 8. Jahrgangsstufe sollen von diesem<br />
Programm profitieren, nicht zuletzt da ihnen häufig Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Auseinandersetzung<br />
mit (literarischen) Texten nahezu abgesprochen werden (Pieper et al 2004). Außerdem erhoffen<br />
wir uns langfristig positive Effekte, da wir die Lesekompetenz als eine Schlüsselkompetenz<br />
erachten. Wie im nationalen Bildungsbericht 2008 gefordert soll den Schüler(inne)n, v. a. mit<br />
Migrationshintergrund, der Übergang von der schulischen in die berufliche Bildung geebnet werden. 1<br />
Die Bedeutung des Vorlesens für die Sekundarbildung lässt sich auch anhand der Bildungsstandards<br />
Hauptschule bestimmen. Gemäß dieser (vgl. Bildungsstandards Hauptschule 2004) sollen Schülerinnen<br />
und Schüler in der Lage sein, bekannte Texte flüssig vorzulesen (Bildungsstandards 2004, S. 59 bzw.<br />
S. 61). Darüber hinaus wird in den Leitgedanken zum Deutschunterricht darauf hingewiesen, dass<br />
Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit geboten werden soll, „Literatur als etwas zu erleben, mit<br />
dem man in einen Dialog eintritt, das unterhält und die Weltsicht erweitert“ (ebd., S. 56). Zu dieser Art<br />
des literarischen Lebens gehören auch feste „Vorlesezeiten“ (ebd.).<br />
Auch in internationalen Handbüchern wird werden Beispiele angeführt, die dokumentieren, dass auch<br />
ältere Kinder und Jugendliche Freude am Vorlesen haben bzw. das Vorlesen im Unterricht als etwas<br />
Besonderes empfinden (Trelease 2006).<br />
Positiv zum Vorlesen äußern sich auch Lehrkräfte in ersten Befragungen: Sie geben an, regelmäßig –<br />
auch in der Sekundarstufe – vorzulesen. Allerdings fügen sie einschränkend hinzu, dies mit schlechtem<br />
Gewissen zu tun, da sie die Effekte des Vorlesens in der Sekundarstufe im Verhalten der<br />
Schüler(innen) merken, das Vorlesen von den Schülern begeistert aufgenommen und immer wieder<br />
nachgefragt werde, aber diese Effekte so wenig konkret formulierbar seien.<br />
5. Hypothesentransfer<br />
Es dürfte deutlich geworden sein, dass Vorlesen in vielfältiger Weise die Dimensionen von Lesekompetenz<br />
berührt. Zwar gibt es über die Zusammenhänge nach wie vor eine Reihe ungeklärter Fragen<br />
(vgl. Nieuwenboom 2008, S. 81), dennoch darf eine gezielte Förderung die motivationalen Aspekte der<br />
Lesekompetenz nicht ausblenden (vgl. Bertschi-Kaufmann 2000, Fingerhut 2008, Garbe, Jesch & Holle<br />
2009).<br />
Die Haupthypothese der Studie lautet:<br />
Regelmäßiges Vorlesen bei Schüler(inne)n der Hauptschule führt zu einer Erhöhung der Leseaktivität<br />
sowie zu einer Verbesserung der Lesefertigkeit (Operationalisierung der Regelmäßigkeit: 3-4 Mal pro<br />
Woche <strong>10</strong>-15 min Vorlesen).<br />
1 Vgl. http://www.bildungsbericht.de/daten2008/bb_2008.pdf, aufgerufen am <strong>01</strong>.<strong>02</strong>.2009. Überdies<br />
besteht in der 9. Klasse aufgrund von Abschlussprüfungen, Praktika und Beratungsgesprächen nicht<br />
mehr die Zeit für langfristige Fördermaßnahmen.<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 4
Der Interventionszeitraum ist auf ein halbes Schuljahr angelegt, wobei die Untersuchung zunächst in<br />
der 8. Klasse Hauptschule durchgeführt wird.<br />
Darüber hinaus werden folgende Subhypothesen untersucht:<br />
1. Führt eine bestimmte kommunikative Form des Vorlesens (monologisch vs. dialogisch) zu<br />
einer Erhöhung der Leseaktivität sowie zu einer Verbesserung der Lesefertigkeit?<br />
2. Führt eine bestimmte Gestaltung des Vorlesens (neutral vs. theatral) zu einer Erhöhung der<br />
Leseaktivität sowie zu einer Verbesserung der Lesefertigkeit?<br />
3. Führt eine bestimmte Textsorte (Jugendbuch vs. Kurzgeschichte) zu einer Erhöhung der Leseaktivität<br />
sowie zu einer Verbesserung der Lesefertigkeit?<br />
4. Führt ein bestimmter Vorlesertyp (geschult vs. ungeschult) zu einer Erhöhung der Leseaktivität<br />
sowie zu einer Verbesserung der Lesefertigkeit?<br />
5. Führt eine bestimmte Aktivitätsform (bloßes Zuhören vs. Zuhören und Mitlesen) zu einer Erhöhung<br />
der Leseaktivität sowie zu einer Verbesserung der Lesefertigkeit?<br />
Zu 1) Im einen Fall liest die Lehrperson den Text vor, ohne ihn zu kommentieren und ohne mit den<br />
Schüler(innen) über den Text zu sprechen (monologisch). Im anderen Fall spricht die Lehrperson<br />
während und nach dem Vorlesen mit den Schüler(innen) über den Text (dialogisch). 2<br />
Zu 2) Die Gestaltung des Vorlesens kann einmal sehr neutral erfolgen: Die Lehrperson liest den Text<br />
zwar engagiert, aber wie ein Erzähler vor, setzt zwar Mimik und Gestik ein, aber eher zurückhaltend.<br />
Beim theatralen Vorlesen inszeniert die Lehrperson den Text wie auf einer Bühne und setzt dabei<br />
Sprache, Mimik, Gestik und seinen Körper stark ausdrucksbetont ein.3 Da die Art des Vorlesens Auswirkungen<br />
auf die Lesekompetenz (Begriff nach Hurrelmann 20<strong>02</strong>) haben kann, soll dieser Bereich<br />
näher beleuchtet werden.<br />
Zu 3) Nicht nur die kommunikative Form und die Gestaltung des Vorlesens, sondern auch der Umfang<br />
des Mediums kann Einfluss auf die Lesekompetenz haben. Daher soll auch untersucht werden, inwieweit<br />
hiervon Effekte ausgehen. Dabei interessiert die Frage, ob sich durch das Vorlesen einer<br />
längeren Geschichte (Ganzschrift) über einen größeren Zeitraum hinweg höhere Effekte ergeben oder<br />
eher bei kürzeren Geschichten, die den „Leseatem“ (Eggert/ Garbe, (²2003) der Schüler nicht überfordern.<br />
Zu 4) Hier interessiert uns die Frage, ob ungeschulte, aber engagierte Vorleser einen geringeren<br />
Leseaktivitäts- und –kompetenzeffekt bewirken als geschulte Vorleser. Unter normativen Gesichtspunkten<br />
gelten für das Vorlesen eine Reihe von Standards. Im Rahmen der Leselehre beschäftigt sich<br />
insbesonders die Sprechwissenschaft mit solchen (Bose 2004).<br />
Zu 5) Hier interessiert uns die Frage, ob die Kombination von Zuhören und Vorlesen die Leseaktivität<br />
erhöht, weil eine doppelkanalige Verarbeitung erfolgt (eigene Pilotstudie und die Ergebnisse von<br />
GAILBERGER 2008 legen dies nahe).<br />
2 Vgl. dazu auch den Begriff der „Anschlusskommunikation“ z. B. in Groeben/ Hurrelmann, 2006a.<br />
3 Baurmann & Menzel 2006 nennen diese Form „szenisch“.<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 5
Für einzelne Fragestellungen im Bereich des Vorlesens ist innerhalb des Gesamtprojekts eine Teilstudie<br />
in Form einer Dissertation vorgesehen. Obwohl sich diese insbesondere mit dem Vorlesen unter<br />
sprechwissenschaftlichen Gesichtspunkten beschäftigen wird, werden auch mögliche Zusammenhänge<br />
zwischen Leseaktivität und sprecherischer Gestaltung des Vorlesens überprüft. Eine Promotionsaufbauarbeit<br />
widmet sich dem Vorleseprojekt „im Kleinen“, da hier die Instrumente des Projektes in einer<br />
Klasse (Mali-Hauptschule Biberach) getestet werden.<br />
Zudem ist eine Ausdehnung des Konzeptes auf die Primarstufe, Realschule und das Gymnasium geplant.<br />
Auch hier sollen Qualifizierungsarbeiten entstehen.<br />
6. Untersuchungsdesign<br />
Mit dem beschriebenen Projekt der Leseförderung verfolgen die Projektteilnehmer einen integrierten<br />
Forschungsansatz, der innerhalb der Interventionsstudie unterschiedliche Methoden und<br />
Messinstrumente kombiniert (Fragebogen, Leitfadeninterviews und teilnehmende Beobachtung). Die<br />
Kombination von quantitativer (Fragebogen) und qualitativen Methoden (Leitfadeninterviews und<br />
teilnehmende Beobachtung) bietet sich vor allem für Untersuchungen an, die an einer Evaluation von<br />
Maßnahmen (hier: das Vorlesen) interessiert sind (vgl. Flick 2006).<br />
6.1 Quantitative Verfahren<br />
6.1.1 standardisierter Fragebogen vor und nach der Intervention 4<br />
Befragt werden 1300 Schülerinnen und Schüler in ca. 60 Klassen in der Jahrgangsstufe 8. Als Kontrollgruppe<br />
dienen 400 Schülerinnen und Schüler. Das Design der Interventionsstudie orientiert sich an<br />
Projekten der Stiftung Lesen. 5 Die Dauer der Intervention beträgt 15 Wochen. Es wird nicht die Höhe<br />
der Leseaktivität interpretiert, sondern die nach den Angaben der Schüler erhobenen Veränderungen<br />
(beispielsweise werden Fragen zum Freizeitverhalten, zu Leseaktivitäten und Lesesituationen, zu<br />
Klassenklima und Deutschunterricht gestellt).<br />
6.1.2 Salzburger Lese-Screening für die Klassenstufen 5-8<br />
Das Verfahren dient zur Beurteilung der basalen Lesefertigkeit, d. h. fehlerfreies Lesen. Wichtigster<br />
Indikator ist die Lesegeschwindigkeit. Erhoben wird nicht Text-, sondern Satzverständnis. Der Test ist<br />
seit 2005 im Einsatz und hat eine Bearbeitungszeit von ca. <strong>10</strong> Minuten.<br />
Dieser Test ist in der Leseforschung hoch akzeptiert und wird vielfach eingesetzt. Wir erhoffen uns<br />
zum einen zur „Innensicht“, die wir durch den standardisierten Fragebogen gewinnen, eine ähnlich<br />
standardisierte „Außensicht“ unseres Untersuchungsgegenstandes. Zum anderen wollen wir herausfinden,<br />
ob das Vorlesen eher den besseren oder eher den schlechteren Lesern zugute kommt.<br />
6.2 Qualitative Verfahren<br />
6.2.1 Leitfadeninterviews<br />
Die qualitative Fallstudien (Leitfadeninterviews) werden, ähnlich wie bei Hurrelmann, dazu dienen, die<br />
„standardisierten Erhebungsverfahren und quantitativen Untersuchungsergebnisse durch differenzierte<br />
4 Der Fragebogen stammt aus dem Pre-Test des Forschungsprojektes und wird weiter entwickelt.<br />
5 Diese sind nur zum Teil dokumentiert. So macht Erich Schön in einem Diskussionsbeitrag auf dem Symposion<br />
Deutschdidaktik 2000 darauf aufmerksam, dass Interventionsstudien – so die Erfahrungen der Stiftung Lesen –<br />
eine Eigenlogik entwickeln.<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 6
Betrachtung von Einzelfällen zu bereichern.“ (vgl. Hurrelmann, 1993, S. 25). Die Kontrolle und Ergänzung<br />
der quantitativen Ergebnisse wird durch die qualitativen Verfahren, z. B. Leitfadeninterviews<br />
mit Schülern und der Beobachtung während einzelner Interventionen und während des Ausfüllens der<br />
Fragebogen vorgenommen. Ergänzend können dadurch SchülerInnen für Fallstudien gezielt ausgesucht<br />
und befragt werden.<br />
1. Leitfadeninterviews der Lehrer (z. B. zu den Wirkungen des Vorlesens, zur Textauswahl, zur<br />
Vorlesetechnik, zur Lesemotivation etc.)<br />
2. Leitfadeninterviews der Schüler (z. B. zu den Rahmenbedingungen des Vorlesens; zur Vorlesetechnik;<br />
zu eigenen Erfahrungen mit dem Vorlesen etc.)<br />
6.2.2 Teilnehmende Beobachtung<br />
Das Instrument der teilnehmenden Beobachtung kommt in Form einer „kontrollierten teilnehmenden<br />
Beobachtung“ zur Anwendung, da Hypothesen des Forschungsprojektes zugrunde liegen und Beobachtungskategorien<br />
operationalisiert werden (Lamnek 4 2005). Es soll der Prozess während des Vorlesens<br />
und die sich anschließende Kommunikation näher erfasst werden, um die daraus resultierenden<br />
Möglichkeiten der Interaktion zu verstehen.<br />
Dabei werden sowohl die Lehrkräfte als auch die Schüler(innen) bzw. die Interaktion zwischen ihnen<br />
beobachtet. Ausgehend davon, welche Möglichkeit der Reaktion die Schüler(innen) haben (‚Logik der<br />
Situation‘), sollen Kategorien Berücksichtigung finden, die einen Anhaltspunkt für den Beobachter<br />
sind, jedoch durch weitere Kategorien aus dem Beobachtungsprozess angereichert werden können.<br />
Als Kategorien während des Vorleseprozesses sind zu nennen: Reaktionen, die auf eine emotionale<br />
Beteiligung der Schüler(innen) schließen lassen; positive Aktivitäten in Auseinandersetzung mit dem<br />
Buch bzw. der Handlung; Interesse an den Vorleseprozessen und den Inhalten des Buches; Charakterisieren<br />
der Atmosphäre, Vorlesesetting.<br />
Für die Phase der Anschlusskommunikation werden folgenden Kategorien zugrunde gelegt: Mitteilungsbedürfnis<br />
der Schüler(innen), inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Text; Artikulation des<br />
Wunsches nach Fortsetzung der Lektüre; Charakterisieren der Atmosphäre.<br />
Ansprechpartner und Koordinator:<br />
Prof. Dr. Jürgen Belgrad, PH Weingarten<br />
Am Kirchplatz 2 , 88250 Weingarten<br />
Tel. 0751/5<strong>01</strong>-83<strong>02</strong>; privat: 07527-954353<br />
Tel. Sekr. 0751-5<strong>01</strong>-8211<br />
E-Mail: belgrad@ph-weingarten.de<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 7
6. Literaturliste<br />
Bahnvorlesestudie (2007); Bahnvorlesestudie (2008). Die Ergebnisse sind veröffentlicht unter<br />
www.stiftunglesen.de, aufgerufen am <strong>01</strong>.<strong>02</strong>.2009.<br />
Baurmann, Jürgen und Menzel, Wolfgang (2006): Vorlesen – Vortragen, in: Praxis Deutsch, 33. 199,<br />
S. 6-13.<br />
Belgrad, Jürgen und Schau, Albrecht (1994): Leseförderung durch Vorlesen? In: JuLit 4, S.53-55.<br />
Bertschi-Kaufmann, Andrea (Hg.) (2007): Lesekompetenz, Leseleistung, Leseförderung. Grundlagen,<br />
Modelle und Materialien, Klett: Kallmeyer.<br />
Bildungspläne des Landes Baden-Württemberg (2004): Bildungsplan für die Haupt- und Werkrealschule,<br />
Ditzingen: Reclam.<br />
Bose, Ines (2004): Sprechwissenschaftliche Leselehre und Schule, in: Gutenberg, Norbert (Hg.):<br />
Sprechwissenschaft und Schule, München: Reinhard.<br />
Eggert, Hartmut und Garbe, Christine (²2003): Literarische Sozialisation, Stuttgart: Metzler.<br />
Fingerhut, Karlheinz (2008): Lesemotivation und Lesekompetenz unter den Bindungen der Qualitätssicherung<br />
– ein literaturdidaktisches Double-bind, in: Thielking, Sigrid (Hg.): Lesevermögen –<br />
Lesen in allen Lebenslagen, Frankfurt a.M.: Lang (Siegener Schriften zur Kanonforschung 5),<br />
S. 13-34.<br />
Flick, Uwe (Hg.) (2006): Qualitative Evaluationsforschung: Konzepte – Methoden – Umsetzungen,<br />
Hamburg: Rowohlt.<br />
Franzmann, Bodo, Hasemann, Klaus, Löffler, Dietrich (Hg.) (20<strong>01</strong>): Handbuch Lesen. Hohengehren:<br />
Schneider.<br />
Gailberger, Steffen (2008): Leseförderung durch Hörbücher. Eine verbal-auditive Leseförderungstheorie<br />
für den Deutschunterricht. In: Lecke, Bodo (Hg.): Mediengeschichte, Intermedialität<br />
und Literaturdidaktik, Frankfurt a.M.: Lang, S.395-446.<br />
Garbe, Christine, Holle, Karl und Jesch, Tatjana (2009): Texte lesen. Textverstehen, Lesedidaktik und<br />
Lesesozialisation, Schöningh: UTB.<br />
Graf, Werner (2007): Lesegenese in Kindheit und Jugend. Einführung in die literarische Sozialisation,<br />
Hohengehren: Schneider.<br />
Groeben, Norbert und Hurrelmann, Bettina (Hg.) (2004): Lesesozialisation in der Mediengesellschaft.<br />
Ein Forschungsüberblick. Weinheim: Juventa.<br />
Groeben, Norbert und Hurrelmann, Bettina (Hg.) (2006a): Lesekompetenz: Bedingungen, Dimensionen.<br />
Weinheim: Juventa.<br />
Groeben, Norbert und Hurrelmann, Bettina (Hg.) (2006b): Empirische Unterrichtsforschung in der<br />
Literatur- und Lesedidaktik. Ein Weiterbildungsprogramm. Weinheim: Juventa.<br />
Hurrelmann, Bettina (20<strong>02</strong>): Leseleistung – Lesekompetenz. Folgerungen aus PISA, mit einem Plädoyer<br />
für ein didaktisches Konzept des Lesens als kultureller Praxis, in: Praxis Deutsch 29<br />
(176), 6-18.<br />
Hurrelmann, Bettina u.a. (1993). Leseklima in der Familie. Lesesozialisation Bd.1. Eine Studie der<br />
Bertelsmann Stiftung, Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung.<br />
Lamnek, Siegfried ( 4 2005): Qualitative Sozialforschung. Lehrbuch, Weinheim u. a.: Beltz.<br />
<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 8
Leschinsky, Horst (2008): Die Hauptschule – von der Be- zur Enthauptung. In: Cortina, Kai S.,<br />
Baumert, Jürgen, Ders. u. a. (Hgg.): Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland,<br />
Hamburg: Rowohlt, S. 377-406.<br />
McElvany, Nele (2008): Förderung von Lesekompetenz im Kontext der Familie, Münster u. a.: Waxmann<br />
(Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie 64).<br />
Morgan, Lindee und Goldstein, Howard (2004): Teaching mothers of low socioeconomic status to use<br />
decontextualized language during storybook reading. In: Journal of Early Intervention 26 (4),<br />
S. 235-252.<br />
Nieuwenboom, Wim (2008): Wie viel lesen Kinder? Die Erfassung von Leseaktivitäten mit Hilfe von<br />
strukturierten Tagebüchern. Eine methodologische Studie, Tectum: Marburg.<br />
Philipp, Maik (2008): Lesen, wenn anderes und andere wichtiger werden. Empirische Erkundungen zur<br />
Leseorientierung in der peer group bei Kindern aus fünften Klassen, Hamburg: LIT (Literatur –<br />
Medien – Rezeption 2).<br />
Pieper, Irene, Rosebrock, Cornelia, Volz, Steffen u. a. (2004): Lesesozialisation in schriftfernen Lebenswelten:<br />
Lektüre und Mediengebrauch von HauptschülerInnen. Unter Mitarbeit von Katrin<br />
Kollmeyer, Daniel Scherf und Olga Zitzelsberger, Weinheim: Juventa.<br />
PWC (PriceWaterhouseCoopers) (Hg.) (2007): Haben Bücher eine Zukunft? Repräsentativstudie zum<br />
Leseverhalten der Deutschen. Untersuchungsbericht über die Ergebnisse aus 1.224 Interviews.<br />
Rosebrock, Cornelia und Nix, Daniel (2006): Forschungsüberblick - Leseflüssigkeit (Fluency) in der<br />
amerikanischen Leseforschung und -didaktik, in: Didaktik Deutsch 20, S. 90-113.<br />
Rosebrock, Cornelia und Nix, Daniel (2008): Grundlagen der Lesedidaktik und der systematischen<br />
schulischen Förderung, Baltmannsweiler: Schneider.<br />
Sigel, Richard und Feneberg, Sabine (2007): Leseförderung und Entwicklung von Lesefreude. Leitfaden<br />
für die lesekompetente Hauptschule, München: Maiß.<br />
Stiftung Lesen (Hg.) (2008): Lesen in Deutschland 2008. Die Ergebnisse der Studien sind auf der<br />
Homepage der Stiftung Lesen veröffentlicht. www.stiftunglesen.de, aufgerufen am <strong>01</strong>.<strong>02</strong>.2009.<br />
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Online-Dokument<br />
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<strong>Skizze</strong> des Forschungsprojekts LESEFÖRDERUNG <strong>DURCH</strong> <strong>VORLESEN</strong> Seite 9