QUIMS-Nachrichten 2/2005 - Volksschulamt - Kanton Zürich
QUIMS-Nachrichten 2/2005 - Volksschulamt - Kanton Zürich
QUIMS-Nachrichten 2/2005 - Volksschulamt - Kanton Zürich
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2/<strong>2005</strong> Dezember<br />
<strong>QUIMS</strong> liest<br />
Barbara Sträuli<br />
Diese Nummer der <strong>QUIMS</strong>-<strong>Nachrichten</strong><br />
erscheint zur Netzwerktagung<br />
<strong>2005</strong> «Lesen!», einer Tagung, die sowohl<br />
Teilnehmende wie auch Organisierende<br />
als erfreulich und gelungen<br />
bezeichnen. Dies hat die Auswertung<br />
der zahlreichen positiven und differenzierten<br />
Rückmeldungen ergeben.<br />
Das <strong>QUIMS</strong>-Projektteam dankt herzlich<br />
dafür.<br />
Der grosse Andrang zum Anlass<br />
zeigte auch, dass die Tagungsinhalte<br />
«Lesen und Literalität» einem Bedürfnis<br />
entsprachen. Wer nun Lust hat, sie<br />
weiter zu vertiefen, der findet in dieser<br />
Nummer Lesestoff.<br />
Im ersten Artikel macht Markus<br />
Truniger eine Auslegeordnung zum<br />
Thema Qualität in multikulturellen<br />
Schulen. Er zeigt am Beispiel der Leseförderung<br />
in <strong>QUIMS</strong>-Schulen auf, was<br />
zur Qualitätssicherung gehört. Die Reflexionen<br />
zur Netzwerktagung von<br />
Marie-Theres Imhasly durchzieht wie<br />
ein roter Faden die Frage, wie Schulen<br />
Kinder und ihre Lektüren erfolgreich<br />
Bildungsdirektion des <strong>Kanton</strong>s <strong>Zürich</strong><br />
www.bildungsdirektion.ch | www.volksschulamt.zh.ch<br />
zusammenbringen können. Zwei Artikel<br />
von Leseexperten beschäftigen sich<br />
weiter damit, wie sich nachhaltige Programme<br />
zur Leseförderung gestalten<br />
lassen. Dieter Isler stellt seine Landkarte<br />
«Erweiterte literale Förderung» vor, die<br />
Schulteams hilft, ihre bisherige Praxis<br />
der Lese- und Schreibförderung zu reflektieren<br />
und Entwicklungsschwerpunkte<br />
festzulegen. Gerd Kruse sorgt<br />
für Orientierung in einer mittlerweile<br />
unüberblickbar gewordenen Lesedebatte.<br />
Er beschreibt die drei in der Praxis<br />
heute hauptsächlich eingesetzten, sich<br />
konkurrenzierenden Konzepte von Lese-<br />
Unser Thema:<br />
Leseförderung<br />
<strong>QUIMS</strong> liest<br />
Barbara Sträuli 1<br />
Was ist eigentlich <strong>QUIMS</strong>?<br />
Eine Antwort am Beispiel<br />
der Leseförderung<br />
Markus Truniger 2<br />
Wer lesen und schreiben<br />
kann, hat vier Augen<br />
Marie-Theres Imhasly 4<br />
Lesewelten vernetzen<br />
Dieter Isler 6<br />
Wenn der Vater mit dem<br />
Sohne ein Buch liest ...<br />
Lu Decurtins 10<br />
Gern Lesen UND gut Lesen<br />
Gerd Kruse 12<br />
Leseknick – Lesekick<br />
Barbara Sträuli 14<br />
Sprachenvielfalt in Schule<br />
und Bibliothek<br />
Ruth Fassbind 15<br />
<strong>Nachrichten</strong> aus dem<br />
<strong>QUIMS</strong>–Projekt<br />
Markus Truniger 16<br />
und Literaturunterricht und macht einen<br />
Vorschlag, wie sie zusammenzuführen<br />
sind. Und schliesslich greift Lu<br />
Decurtins in seinem Artikel zu Vätern,<br />
Söhnen und Leseförderung die Frage<br />
auf, was Jungen interessiert und was<br />
sich gegen den Mangel an männlichen<br />
Lesevorbildern tun lässt.<br />
Die Förderung des Lesens und<br />
Schreibens (Literalität) wird auch in<br />
den kommenden Jahren ein Schwerpunktthema<br />
von <strong>QUIMS</strong> sein. Dazu<br />
sind diesen Herbst gleich zwei Bücher<br />
erschienen, die hier besprochen<br />
werden. «Leseknick-Lesekick» ist ein<br />
reichhaltiges Praxis-Handbuch für<br />
ganze Schulen, aber auch<br />
für einzelne Lehrpersonen,<br />
die das Lesen in Klasse und<br />
Schuleinheit nachhaltig fördern<br />
wollen. «Sprachenvielfalt<br />
in Schule und Bibliothek»<br />
enthält ebenfalls<br />
zahlreiche Projektvorschläge<br />
und Praxisbeispiele,<br />
doch mit der besonderen<br />
Ausrichtung auf die Kooperation<br />
von Lehrpersonen<br />
und Bibliotheksmitarbeitenden.<br />
Die beiden<br />
Bücher ergänzen einander.<br />
Beide helfen, eine Brücke<br />
zwischen den wichtigen<br />
Forschungsergebnissen von<br />
PISA und der Lehrerpraxis<br />
zu schlagen.<br />
1
2<br />
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
Was ist<br />
eigentlich <strong>QUIMS</strong>?<br />
Am Beispiel<br />
der Leseförderung<br />
Markus Truniger, <strong>QUIMS</strong>-Projektleiter<br />
Seit einigen Jahren arbeiten wir – die<br />
beteiligten Schulen und ein kantonales<br />
Team – nun an der Qualität in multikulturellen<br />
Schulen. Trotzdem tauchen immer<br />
wieder grundsätzliche Fragen auf,<br />
sowohl intern als auch im Gespräch mit<br />
Aussenstehenden. Gegenwärtig sind es<br />
vor allem zwei, die uns beschäftigen:<br />
• Wie definieren wir <strong>QUIMS</strong> heute?<br />
Worin unterscheiden sich <strong>QUIMS</strong>-<br />
Schulen von anderen Schulen?<br />
• Wie erklären wir den rund 70 Schulen,<br />
die bald zu <strong>QUIMS</strong> stossen<br />
werden, was Arbeiten im <strong>QUIMS</strong>-<br />
Projekt heisst und was an Veränderungen<br />
auf sie zukommt?<br />
Ich beginne damit, was <strong>QUIMS</strong> nicht<br />
ist: <strong>QUIMS</strong> ist kein neues eigenes Schulmodell<br />
und <strong>QUIMS</strong>-Schulen sind keine<br />
völlig anderen Schulen als die übrigen<br />
Volksschulen. Für <strong>QUIMS</strong>-Schulen gelten<br />
dasselbe Gesetz und derselbe Lehrplan.<br />
Sie werden wie alle Schulen nach den<br />
Vorschriften des neuen Volksschulgesetzes<br />
funktionieren: mit Schulleitung und<br />
Schulprogramm sowie mit interner und<br />
externer Evaluation.<br />
Was also ist <strong>QUIMS</strong>? Meine Kurzdefinition<br />
lautet:<br />
«Das Programm <strong>QUIMS</strong> bündelt und<br />
verstärkt die Massnahmen der Schulentwicklung<br />
im Bereich der Sprach-<br />
und Chancenförderung. Das Programm<br />
<strong>QUIMS</strong> hat zum Ziel, für alle<br />
Schulkinder einen guten Schulerfolg<br />
und Chancengleichheit im Lernen zu<br />
erreichen.»<br />
Dabei fokussieren sowohl die einzelnen<br />
Schulen wie auch der <strong>Kanton</strong>, der<br />
fachliche und finanzielle Unterstützung<br />
leistet, auf die Sprach- und Chancenförderung.<br />
Dank dem neuen Volksschulgesetz<br />
ist gesichert, dass Schulen in diesen<br />
beiden Bereichen eine nachhaltige Förderung<br />
aufbauen können.<br />
Um diesen Prozess konkreter darzustellen,<br />
möchte ich sieben Merkmale<br />
beschreiben, die gute <strong>QUIMS</strong>-Projekte<br />
haben, und sie durch Beispiele aus der<br />
Leseförderung illustrieren.<br />
1. <strong>QUIMS</strong> baut auf eine Grundhaltung<br />
auf, welche die sozialen und<br />
sprachlichen Verschiedenheiten der<br />
Menschen wahrnimmt und anerkennt.<br />
Quims-Projekte schliessen alle Kinder<br />
und Eltern mit ihren Verschiedenheiten<br />
und Gemeinsamkeiten ein. Es handelt<br />
sich also bei der Leseförderung nicht<br />
um spezielle Leseprogramme für besondere<br />
Gruppen, etwa nur für Kinder, die<br />
Deutsch als Zweitsprache lernen, oder<br />
nur für schwache Leserinnen und Leser.<br />
Wenn <strong>QUIMS</strong>-Schulen Leseförderung<br />
betreiben, so haben sie alle Kinder und<br />
Jugendlichen im Blick, und zwar so, dass<br />
sie ihre Förderangebote wo nötig nach<br />
Interessen, nach Fähigkeiten, nach Geschlecht<br />
und Sprachen ausdifferenzieren.<br />
2. <strong>QUIMS</strong>-Arbeit wird schulweit, stufen-<br />
und klassenübergreifend geplant.<br />
<strong>QUIMS</strong>-Arbeitsgruppen schnüren gut<br />
koordinierte Massnahmenpakete. So<br />
betreiben <strong>QUIMS</strong>-Schulen ihre Leseför-<br />
derung möglichst vom Kindergarten an.<br />
Massnahmen wie z.B. freie Lesestunden<br />
werden für möglichst alle Klassen<br />
eingeführt. Fachlehrkräfte und Hort<br />
bekommen neue Aufgaben in der Leseförderung.<br />
Weiter entstehen Projekte,<br />
die auch das Schulumfeld einbeziehen,<br />
beispielsweise durch Leseanimation in<br />
der Gemeindebibliothek, Autorenlesungen,<br />
Lesenächte, Lesewettbewerbe oder<br />
Eltern-Veranstaltungen. Die Leseförderung<br />
wird also nicht mehr den Klassenlehrpersonen<br />
allein überantwortet.<br />
3. <strong>QUIMS</strong>-Projekte sind langfristig<br />
und nachhaltig angelegt. Ihren Anfang<br />
nehmen sie meist in einzelnen Arbeitsgruppen,<br />
die sich zum gewählten Thema<br />
kundig machen. Diese übernehmen<br />
einerseits bewährte Praktiken aus anderen<br />
Schulen, fügen aber auch eigene<br />
Elemente dazu. Dabei glänzen sie oft<br />
durch kreative Ideen. So liess eine Schule<br />
ihr Leseprojekt damit beginnen, dass<br />
ein Schauspieler als böser Ritter auftrat,<br />
der in der Schule das Lesen verbot und<br />
alle Bücher verbrennen wollte, was die<br />
Kinder wiederum durch grossen Leseeifer<br />
bekämpften. Die Arbeitsgruppen tra-
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
gen ihre neu entwickelten Projekte dann<br />
ins Gesamtkollegium, das sie modifiziert<br />
und erprobt. Die über mehrere Jahre erprobten<br />
Strategien des Lesens werden<br />
schliesslich fest in der Schule institutionalisiert<br />
und für den «Normalbetrieb»<br />
verbindlich erklärt. <strong>QUIMS</strong> bedeutet<br />
also stetige Entwicklung und nachhaltige<br />
Verankerung – und nicht ein Hüpfen<br />
von Aktion zu Aktion.<br />
4. <strong>QUIMS</strong> ist immer verbunden mit<br />
Wissensvermittlung und -erwerb, mit<br />
dem Lernen auch von Lehrpersonen,<br />
Behörden und Eltern – nicht nur von<br />
Schülerinnen und Schülern. Verschiedene<br />
<strong>QUIMS</strong>-Schulen bilden sich in aktuellster<br />
Lesedidaktik weiter. Dabei geht es<br />
neben der Vermittlung von Erkenntnissen<br />
aus der Lese- und Sozialforschung immer<br />
um einen raschen Transfer in die<br />
Praxis. Lehrpersonen und Schulen öffnen<br />
sich dem gegenseitigen Besuch und der<br />
Diskussion. An den Netzwerktagungen<br />
des <strong>QUIMS</strong>-Projekts werden neue Erkenntnisse<br />
zur praktischen Nutzung<br />
präsentiert. <strong>QUIMS</strong> hat ausserdem die-<br />
sen Herbst zum Thema Lesen zwei neue<br />
Bücher (mit)veröffentlicht: «Leseknick-<br />
Lesekick» und «Sprachenvielfalt in Schule<br />
und Bibliothek».<br />
5. <strong>QUIMS</strong> heisst mit Partnern arbeiten<br />
und so an Stärke gewinnen. Besonders<br />
wichtig sind dabei die Eltern. Wie diese<br />
in die Leseförderung einbezogen werden<br />
können, haben <strong>QUIMS</strong>-Kindergärten<br />
beispielhaft gezeigt. Sie haben Eltern auf<br />
sorgfältige und sympathische Weise zum<br />
Vorlesen und zu Bibliotheksbesuchen<br />
mit ihren Kindern animiert. Auch setzten<br />
sie interkulturelle Vermittlerinnen<br />
und Vermittler ein, die die Eltern in ihren<br />
vielen verschiedenen Sprachen informieren<br />
konnten. Andere <strong>QUIMS</strong>-Schulen<br />
haben eine enge Zusammenarbeit mit<br />
der Gemeindebibliothek aufgebaut.<br />
Viele Schulen nutzen die Bibliotheks-<br />
und Bücherangebote der «Bibliomedia<br />
Schweiz» in Solothurn. Erprobt wurden<br />
auch Projekte, in denen Freiwillige in der<br />
Leseförderung mithelfen.<br />
6. <strong>QUIMS</strong> heisst weiter Unterstützung<br />
der Schulen durch Zeit und<br />
Geld, damit diese die festgelegten<br />
Entwicklungsschwerpunkte in ihre<br />
Schulprogramme aufnehmen können.<br />
So fliesst ein guter Teil der finanziellen<br />
<strong>QUIMS</strong>-Beiträge des <strong>Kanton</strong>s in<br />
die Weiterbildungen und Arbeitsgruppen<br />
zum Thema «Lesen», in erweiterte<br />
Bibliotheksangebote und -dienste,<br />
in die interkulturelle Vermittlung bei<br />
Elternveranstaltungen, ausserdem in die<br />
Beschaffung von Materialien zur Leseförderung,<br />
von mehr Büchern, Büchern<br />
in verschiedenen Sprachen, Hörkassetten<br />
und Computer-Software.<br />
7. <strong>QUIMS</strong> heisst regelmässiges<br />
Überprüfen und reflektiertes Handeln.<br />
Dabei geht es nicht um wissenschaftliche<br />
Evaluationen. In internen Auswertungen<br />
holen sich Schulen Feedbacks und<br />
reflektieren ihr Handeln, beispielsweise<br />
eben ihre Massnahmen zur<br />
Leseförderung. Manche <strong>QUIMS</strong>-Schulen<br />
haben bei den Kindern Umfragen<br />
über ihre Lesefreude und Lesemenge<br />
gemacht und ihre diesbezüglichen<br />
Entwicklungen verfolgt. Andere überprüfen<br />
anhand von Gesprächsrunden<br />
zusammen mit Kindern, Eltern und<br />
Lehrpersonen die Wirkungen der durchgeführten<br />
Projekte. Es gibt Schulen und<br />
Lehrpersonen, die regelmässig Lesetests<br />
mit den Schülerinnen und Schülern<br />
durchführen. Es ist natürlich schön,<br />
wenn solche interne Evaluationen positive<br />
Entwicklungen belegen. Ebenso<br />
nützlich sind sie aber, um aufzuzeigen,<br />
wo es keine oder wenig Fortschritte gibt<br />
und wo die getroffenen Massnahmen<br />
verändert, verbessert oder verstärkt<br />
werden können.<br />
Impressum<br />
<strong>QUIMS</strong>-NACHRICHTEN<br />
Nr. 2, Dezember <strong>2005</strong><br />
Herausgeberin:<br />
Bildungsdirektion<br />
des <strong>Kanton</strong>s <strong>Zürich</strong>, <strong>Volksschulamt</strong>,<br />
Projekt «Qualität in multikulturellen<br />
Schulen <strong>QUIMS</strong>», Walchestr. 21,<br />
8090 <strong>Zürich</strong><br />
E-mail: info@quims.ch<br />
Fax 043/259 51 31<br />
Internet: www.volksschulamt.zh.ch<br />
und www.<strong>QUIMS</strong>.ch<br />
Redaktion:<br />
Barbara Sträuli<br />
(Barbara.Straeuli@vsa.zh.ch)<br />
Gestaltung:<br />
Jürg Schoop, Frauenfeld<br />
Fotos:<br />
Jürg Schoop<br />
Druck:<br />
Genius Media AG, Frauenfeld<br />
Bezugsadresse:<br />
Sekretariat <strong>QUIMS</strong>, inkl. Nachbestellungen<br />
und Adressmutationen.<br />
E-mail: Julia.Koch@vsa.zh.ch<br />
Die <strong>QUIMS</strong>-<strong>Nachrichten</strong> orientieren<br />
ein- bis zweimal jährlich über das<br />
Projekt <strong>QUIMS</strong>.<br />
3
4<br />
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
Wer lesen und<br />
schreiben kann,<br />
hat vier Augen<br />
(aus Albanien)<br />
Marie-Theres Imhasly<br />
Wir lesen auch: Karten – Körpersprache<br />
– Fahrplan – Gesichter – Kaffeesatz<br />
– Hand – Lippen – Gesten<br />
– Spuren – Bilder – Skulpturen – Sterne<br />
– Wetterzeichen. Diese Liste lässt<br />
sich mühelos fortsetzen. Ein Hinweis<br />
darauf, wie zentral die Tätigkeit des<br />
Lesens ist<br />
An der diesjährigen Netzwerktagung<br />
der <strong>QUIMS</strong>-Schulen lautete eine meiner<br />
Aufgaben: «Reflexionen zur Tagung<br />
festhalten». Laut Duden bedeutet «Reflexion»:<br />
Betrachtung und Vertiefung in<br />
einen Gedankengang. Mit dieser Schützenhilfe<br />
fasse ich Gedankenfetzen in<br />
Worte. Einige kommen lose daher, die<br />
meisten aber fokussieren auf die Frage<br />
«Was heisst Leseförderung für die<br />
Schulentwicklung?»<br />
Chancenförderung geschieht, wenn<br />
eine Schule ihren Einfluss auf die Leistungsfähigkeit<br />
ihrer Schüler und Schülerinnen<br />
erhöht. Dann hat die soziale<br />
Herkunft der Kinder und Jugendlichen<br />
weniger Wirkung darauf, welche schulische<br />
Leistungen sie erbringen. Dies gilt<br />
auch für die literalen Fähigkeiten der<br />
Schulkinder, also fürs Lesen und Schrei-<br />
ben. Wie kann nun eine Schule ihren<br />
Einfluss erhöhen?<br />
Vielfältige Leseangebote verbessern<br />
die Chancen<br />
Die Tagung hat darauf verschiedene<br />
Antworten gegeben. Eine lautet, dass<br />
das Angebot an Lesegelegenheiten und<br />
Lesestoff möglichst vielseitig gestaltet<br />
wird, sowohl in Hinblick auf eine bessere<br />
Lesemotivation, als auch auf die Lesefähigkeit<br />
und -fertigkeit. Damit steigt<br />
die Chance, dass Teile aus diesem Angebot<br />
das Interesse eines Schulkindes treffen<br />
und auch zu seinen Lesekompetenzen<br />
passen. Erfolgt eine solche Passung,<br />
kann ein Kind seinen eigenen Leseweg<br />
finden und gehen. Darum geht es: eine<br />
Schule bietet Lesewege, Anschlussmöglichkeiten<br />
an. Da die Schulkinder sehr<br />
unterschiedlich unterwegs sind, kann<br />
es nicht ein einziges oder einige wenige<br />
Angebote geben, die für alle Kinder das<br />
richtige oder die richtigen sind. Auch<br />
ist nicht immer im Voraus zu erkennen,<br />
wo und wie die Passung erfolgt. Darum<br />
heisst es für eine Schule, in einem steten<br />
Prozess auszuprobieren, was funktioniert<br />
und was nicht, und wie etwas<br />
zur Passung kommt und wie nicht. Es ist<br />
gut vorstellbar, dass ein scheinbar banaler<br />
Punkt die Passung ermöglicht, ein<br />
Aspekt des Lesestoffs, den die Lehrperson<br />
für selbstverständlich hält und nicht<br />
speziell beachtet. Egal, ob nun diese Elemente<br />
neu und attraktiv oder wohlbekannt<br />
und unscheinbar sind, Hauptsache<br />
sie ermöglichen einen Treffer.<br />
Schulentwicklung hilft Lesewelten<br />
zu vernetzen<br />
Erfolgt die Leseförderung einer Schule<br />
auf vielfältige Art und Weise, erhöhen<br />
sich auch die Chancen, dass sich die verschiedenen<br />
Lebenswelten eines Kindes<br />
– diese sind immer auch Lernwelten –<br />
vernetzen. Je dichter die Vernetzung gelingt<br />
umso grösser ist die Anzahl Lernwege,<br />
die ein Kind gehen kann. Neben<br />
der Lebens- und Lernwelt «Schule» ist<br />
für ein Kind die Lebens- und Lernwelt<br />
«Familie» überaus wesentlich. Passen<br />
diese beiden gut zusammen, d.h. sind<br />
sie sich nahe, erfolgt die Vernetzung<br />
mühelos und dicht. <strong>QUIMS</strong>-Schulen sind<br />
Schulen, die nicht ignorieren können,<br />
dass die beiden Welten für manche Kinder<br />
weit auseinanderliegen. Darum gilt<br />
es, sich – auch kleine – Schritte einfallen<br />
zu lassen, die zu ihrer Annäherung<br />
führen.<br />
Darum heisst Schulentwicklung im<br />
Bereich Leseförderung auch, die Vernetzung<br />
der Lebens- und Lernwelten zu<br />
verdichten. Schulen suchen und schaffen<br />
hier Anschlussmöglichkeiten im<br />
Wissen, dass es nicht nur einen einzigen<br />
Weg gibt, der zum Erfolg führt. Sie finden<br />
beispielsweise heraus, welche Familien<br />
sie besser schriftlich und welche<br />
sie besser mündlich erreichen. Sie stellen<br />
sich die Frage, ob fremdsprachige El-<br />
tern besser einbezogen werden, wenn<br />
ein deutsch gesprochenes Referat wörtlich<br />
übersetzt wird oder wenn sie mit einer<br />
Kulturvermittlerin oder einem -vermittler<br />
über dessen Inhalte diskutieren<br />
können. Eine Schule sucht und findet –<br />
vielleicht auch ungewohnte – Brückenangebote,<br />
um Väter oder Mütter, die<br />
sich in der schulischen Welt unsicher<br />
fühlen, direkt und entspannt zu begeg-
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
nen und ihnen zu zeigen, dass es auch<br />
auf sie ankommt. Es kann aber auch<br />
durchaus «passend» sein, als Kollegium<br />
vor allem Wert auf enge Vernetzungen<br />
in der Lebenswelt Schule selbst zu legen,<br />
wie beispielsweise auf die Zusammenarbeit<br />
mit dem Hort, der Bibliothek<br />
und den Lehrpersonen des Deutschen<br />
als Zweitsprache oder der Heimatlichen<br />
Spache und Kultur.<br />
Lesen ist auch Arbeit. Alltagstexte<br />
sind wichtige Lektüren<br />
Schulentwicklung im Bereich Leseförderung<br />
heisst auch, den Begriff «Lesen»<br />
von seiner bildungsbürgerlichen Vorstellung<br />
zu befreien. Lesen heisst nicht<br />
mehr nur, Bücher und Gedichte lesen,<br />
anerkannte Literatur lesen. Lesen wird<br />
nicht als schöngeistige Tätigkeit verstanden,<br />
die privilegierte Menschen in<br />
ihrer Freizeit betreiben. Begriffe wie<br />
Lesevirus, Lesebazillus, Lesen als Krankheit<br />
oder Lesefieber sind Spuren einer<br />
Zeit, als Lesen reines Freizeitvergnügen<br />
war, als es einen moralischen Konsens<br />
darüber gab, was gute und was falsche<br />
Lektüre ist und dass es auch ein «zu viel<br />
des Guten» an Lektüre geben kann.<br />
Dagegen steht die Erfahrung von heute,<br />
dass viele Erwachsene im Erwerbsle-<br />
ben lesen und schreiben «müssen», ob<br />
sie wollen oder nicht, beides ist aus ihrer<br />
Arbeit nicht wegzudenken. Zudem<br />
können sie nicht immer auswählen, was<br />
sie lesen. Auch haben sich die Lesemedien,<br />
die beherrscht werden müssen,<br />
vervielfältigt. Es gilt, die Formen dieses<br />
alltäglichen Lesens aufzugreifen und anzuerkennen.<br />
Denn hier lassen sich wiederum<br />
Anknüpfungspunkte finden für<br />
die Passung, die die Grundlage eines jeden<br />
individuellen Lesewegs ist – sei es<br />
nun der eines Mädchens oder der eines<br />
Knaben. Wenn das Lesen für die Erwachsenen<br />
auch Arbeit ist, heisst dies<br />
für unser «Geschäft» als Lehrpersonen:<br />
Lesezeit ist für die Schüler und Schülerinnen<br />
auch Schulzeit. Die individuelle<br />
Lektüre kann nicht nur der Freizeit überlassen<br />
bleiben.<br />
Jugendliche für Debatten über Literatur<br />
gewinnen<br />
Pädagogische Schulentwicklung<br />
heisst im Weiteren, Leseförderung während<br />
der ganzen obligatorischen Schulzeit<br />
zu betreiben. Für viele pubertierende<br />
junge Menschen sind Kontakte<br />
mit Gleichaltrigen sehr wichtig und ist<br />
die Identifikationsfähigkeit mit andern<br />
Menschen und ihren Schicksalen über-<br />
aus stark. An diesen beiden Tatsachen<br />
lässt sich auch bei der Leseförderung anknüpfen.<br />
Lesen als Tätigkeit ist eine einsame<br />
Sache. Es ermöglicht und braucht sozialen<br />
Austausch. Über Gelesenes lässt<br />
sich sprechen und diskutieren. Wer mitsprechen<br />
kann, gehört dazu. Durch die<br />
an der Tagung vorgestellten Leseförderungs-Projekte<br />
auf der Oberstufe zieht<br />
sich wie ein roter Faden der öffentliche<br />
Austausch über die Inhalte des Gelesenen.<br />
Eventartige Gespräche über Literatur<br />
werden so organisiert, dass auch leseschwache<br />
Jugendliche solches Reden<br />
über Gelesenes attraktiv finden und sich<br />
daran beteiligen können. Auch auf dieser<br />
Schulstufe gilt: Schulen bieten eine<br />
breite Palette von Anschlussmöglichkeiten<br />
an, so dass sowohl Leseratten als<br />
auch Leseschwache ihren persönlichen<br />
Leseweg gehen können. Ein solcher Weg<br />
muss nicht immer in der uns vertrauten<br />
Richtung verlaufen. So kommt es durchaus<br />
vor, dass Jugendliche eine populäre<br />
Figur aus einer Geschichte auswählen<br />
und sich auf diesem Weg für das zugehörige<br />
Buch entscheiden, ohne dass sie<br />
es vorher gesehen haben und oder wissen,<br />
wer es geschrieben hat.<br />
Fazit<br />
Als Fazit der <strong>QUIMS</strong>-Netzwerktagung<br />
bleibt mir: Schulentwicklung im Bereich<br />
der Leseförderung bedeutet, dass Schulen<br />
suchend unterwegs sind, um möglichst<br />
vielfältige Passungsmöglichkeiten<br />
zwischen Texten und Lesenden zu schaffen.<br />
Dieser Weg ist nie zu Ende. Dafür ist<br />
er reich an Etappen und Zwischenzielen.<br />
Wie bei jeder andern Ausdauerleistung<br />
sind auch hier Zwischenhalte nötig. Ein<br />
Fortschreiten ist nur möglich, wenn die<br />
Beteiligten sich ab und zu erholen und<br />
wieder neu orientieren können, wenn<br />
sie sich mit neuer Energie versorgen. Für<br />
viele war die <strong>QUIMS</strong>-Netzwerktagung<br />
zur Leseförderung ein solch nährender<br />
Zwischenhalt.<br />
5
6<br />
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
Dieter Isler<br />
Lesewelten<br />
vernetzen<br />
– was Kindern hilft,<br />
Leserinnen und Leser<br />
zu werden<br />
Die Schule kann allein nicht sicher<br />
stellen, dass sich alle Kinder zu Leserinnen<br />
und Lesern entwickeln. Das ist<br />
– nicht erst seit PISA – aus der Praxis und<br />
Forschung der Leseförderung bekannt<br />
und unbestritten. Lesen und Schreiben<br />
sind Grundfähigkeiten, die in allen Lebensbereichen<br />
wichtig sind. Schülerinnen<br />
und Schüler müssen die Möglichkeit<br />
haben, sie in Familie, Schule und Freizeit<br />
immer wieder zu gebrauchen, als persönlich<br />
bedeutsam zu erleben und weiter<br />
zu entwickeln. Weil Kinder je nach<br />
Herkunft mehr oder weniger Gelegenheit<br />
haben, in Familie und Freizeit schulnahe<br />
Schrifterfahrungen zu sammeln,<br />
haben sie sehr ungleiche Chancen, die<br />
für Schulerfolg erforderlichen Lese- und<br />
Schreibfähigkeiten aufzubauen.<br />
Als Bildungsinstitution ist die Schule<br />
aber dafür zuständig, alle Kinder<br />
unabhängig von ihrer Herkunft beim<br />
Aufbau schriftsprachlicher Fähigkeiten<br />
möglichst gut zu unterstützen. Dass<br />
dafür ein Handlungsspielraum besteht,<br />
zeigen Untersuchungen zu Schulen, die<br />
ihren Schülerinnen und Schülern trotz<br />
erschwerter Bedingungen gute Lernerfolge<br />
ermöglichen. Aus deutschdidaktischer<br />
Perspektive lassen sich folgende<br />
Ansätze unterscheiden:<br />
1. Leseförderung im Unterricht<br />
2. Aufbau einer Lese- und Schreibkultur<br />
im Schulalltag<br />
3. Vernetzung von schulischen und<br />
ausserschulischen Lernwelten<br />
Im Folgenden wird ein Handlungsmodell<br />
dargestellt, das diese Ansätze<br />
miteinander verbindet. Die Landkarte<br />
«Erweiterte literale Förderung» soll Lehrerinnen<br />
und Lehrern sowie Schulteams<br />
helfen, ihre bisherige Praxis der Lese-<br />
und Schreibförderung zu reflektieren,<br />
Entwicklungsschwerpunkte festzulegen,<br />
Kooperationen aufzubauen und auf<br />
dieser Grundlage Projekte zu planen,<br />
durchzuführen und auszuwerten. Das<br />
Modell besteht aus drei Elementen: den<br />
Handlungsfeldern, Qualitätsmerkmalen<br />
und Entwicklungsprinzipien der literalen<br />
Förderung.<br />
A. Handlungsfelder der literalen Förderung<br />
Die Handlungsfelder können helfen,<br />
einzelne Schwerpunkte zu setzen, ohne<br />
die Zusammenhänge aus den Augen zu<br />
verlieren. In den Feldern «Unterricht»<br />
und «Schule» lassen sich Projekte ohne<br />
externe Partner verwirklichen (s. oben,<br />
Ansätze 1 und 2). Die anderen Felder<br />
erfordern eine Zusammenarbeit und<br />
ermöglichen eine Vernetzung schulischer<br />
und ausserschulischer Lernwelten<br />
(Ansatz 3). Es empfiehlt sich, in jedem<br />
Projekt schulinterne und schulübergreifende<br />
Elemente zu kombinieren.<br />
Unterricht<br />
Das riesige Angebot an Fachliteratur<br />
und Unterrichtsmaterialien konfrontiert<br />
Lehrpersonen mit unzähligen Möglichkeiten,<br />
den Lese- und Schreibunterricht<br />
zu gestalten. Langfristig wirksame literale<br />
Förderung braucht aber klare Konzepte<br />
mit wenigen zentralen Schwerpunkten,<br />
die eine kontinuierliche Planung,<br />
Auswertung und Weiterentwicklung<br />
ermöglichen. Pankraz Blesi hat 1988 mit<br />
seinem Artikel «Ambiente und Animation»<br />
solche Schwerpunkte formuliert,<br />
die nach wie vor uneingeschränkt gültig<br />
sind: Zugang zu vielfältigen Texten und<br />
Medien, Zeiten und Orte für freies Lesen,<br />
Beratung bei der Textauswahl und<br />
bei Leseproblemen, Animation (z.B.<br />
durch Vorlesen oder Buchempfehlungen)<br />
und Gespräche über Texte und<br />
Lektüreerfahrungen sind die Zutaten<br />
dieses Grundrezepts. Auf der Grundlage<br />
des aktuellen Kenntnisstands sind hinzuzufügen:<br />
viel Lesen und Schreiben im<br />
Alltag der Klassengemeinschaft; Lesen<br />
und Schreiben auch in kleinen, geführten<br />
Gruppen; verstärkter Einbezug von<br />
Sachtexten und gezielter Aufbau von<br />
Informationskompetenz; situationsbezogene<br />
Vermittlung und Anwendung<br />
von Lesestrategien; Training von Lesegeläufigkeit<br />
nach Bedarf sowie Lesen und<br />
Schreiben auch in den Erstsprachen der<br />
Migrationskinder.
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
Erweiterte literale Förderung<br />
Schule<br />
Die Schule als gemeinsamer Lebensraum<br />
vieler Kinder, Jugendlicher und<br />
Erwachsener bietet zusätzliche Möglichkeiten<br />
der literalen Förderung. Formen<br />
der schriftlichen Information wie Plakate,<br />
Pinwände oder einfache Schulzeitungen,<br />
Rituale (z.B. Montag-Morgen-Geschichten)<br />
oder öffentliche Textangebote<br />
(z.B. eine Zeitschriftenecke oder ein<br />
Büchertausch-Regal) verankern Literalität<br />
im Alltag der Schulgemeinschaft.<br />
Klassenübergreifende Projekte wie Lese-<br />
Tandems oder Schreibclubs ermöglichen<br />
Begegnungen mit jüngeren oder älteren<br />
Mitschülerinnen und -schülern. Gemeinsame<br />
Animationsprojekte (Märchenwochen,<br />
Schreib-Olympiaden oder Buch-<br />
Jurierungen) setzen Akzente für die Bedeutung<br />
des Lesens und Schreibens und<br />
vermitteln wichtige Gemeinschaftserlebnisse.<br />
Bei all diesen Vorhaben sollen die<br />
verschiedenen Sprachen einer Schule<br />
sichtbar gemacht und gefeiert werden.<br />
Schliesslich bieten Schulprojekte allen<br />
Kindern Gelegenheit, um den Lehrpersonen<br />
des Deutschen als Zweitsprache,<br />
der Heimatlichen Sprache und Kultur<br />
und der Integrativen Schulungsform zu<br />
begegnen und sie als gleichberechtigte<br />
Mitglieder der Schulgemeinschaft zu erleben.<br />
Schule und Familie (und Hort)<br />
Die allermeisten Eltern sind grundsätzlich<br />
interessiert daran, dass ihre Kinder<br />
gut lesen und schreiben lernen. Das<br />
Thema literale Förderung eignet sich<br />
deshalb hervorragend, um Brücken zwischen<br />
Schule und Familie zu schlagen.<br />
Dabei geht es nicht darum, den Eltern<br />
förderliche Verhaltensweisen beizubringen,<br />
sondern um den Aufbau einer echten<br />
Bildungspartnerschaft – und sei sie<br />
noch so bescheiden. Schritte auf diesem<br />
Weg könnten sein: regelmässige Information<br />
über Ziele und Aktivitäten der<br />
Lese- und Schreibförderung; Austausch<br />
über das Lesen und Schreiben zu Hause<br />
und in der Schule; Einladung, den Unterricht<br />
zu besuchen; Einladung zum gemeinsamen<br />
Bibliotheksbesuch; Einbezug<br />
der Eltern zu Hause (z. B. indem sie dem<br />
Kind beim Vorlesen zuhören); Einbezug<br />
Qualitätsmerkmale der<br />
literalen Förderung:<br />
Alle Kinder....<br />
- haben freien Zugang u vielfältigen<br />
Texten und Medien,<br />
- lesen und schreiben regelmässig<br />
und intensiv,<br />
- nutzen das Lesen und<br />
Schreiben im Alltag,<br />
- werden bedarfsgerecht<br />
angeregt und unterstützt,<br />
- reden mit LeserInnen über<br />
Lektüren und Texte,<br />
- kriegen viele Geschichten<br />
ge schenkt (z.B. vorgelesen),<br />
- nutzen Informationen und<br />
Medien selbstständig und<br />
kritisch,<br />
- Lesen und Schreiben (auch)<br />
in ihren Erstsprachen,<br />
- dürfen sich selber als LeserInnen<br />
erfinden.<br />
der Eltern in der Schule (z.B<br />
indem sie mit einer Gruppe<br />
von Kindern ein Bilderbuch<br />
lesen oder die Klasse zur<br />
Bibliothek begleiten) und<br />
gemeinsame Planung und<br />
Durchführung von Lese-<br />
oder Schreibprojekten.<br />
Schule und Bibliothek<br />
Die öffentliche Bibliothek<br />
spielt bei der Leseförderung<br />
eine Schlüsselrolle:<br />
Hier arbeiten Fachleute<br />
für Medien, die nicht nur<br />
Schülerinnen und Schüler,<br />
sondern auch Lehrpersonen<br />
bei der Arbeit mit Büchern<br />
und Medien aller Art<br />
kompetent unterstützen<br />
können. Öffentliche Bibliotheken sind<br />
Orte, die von allen Lebenswelten (Schule,<br />
Familie, Freizeit) her zugänglich sind.<br />
Sie haben deshalb alle Voraussetzungen<br />
dazu, zur langfristigen Leseheimat der<br />
Kinder und Jugendlichen zu werden.<br />
Aufgabe der Schule ist es, alle Kinder<br />
schon im Kindergarten und auf der Unterstufe<br />
mit der öffentlichen Bibliothek<br />
vertraut zu machen. Auf der Mittel- und<br />
Oberstufe kann die Bibliothek dann zunehmend<br />
als Ort des selbständigen Lernens<br />
und Geniessens genutzt werden.<br />
Die Formen der Zusammenarbeit sind<br />
vielfältig. Die Winterthurer Quartierbibliotheken<br />
z.B. decken gemeinsam folgende<br />
Dienstleistungen für Schulklassen<br />
ab: Bibliothekseinführungen, aufbauende<br />
Bibliothekslektionen, Schulstunden<br />
in der Bibliothek, freie Lesestunden in<br />
der Bibliothek, Vorstellung neuer Bücher<br />
und Medien, Vorlesen mit Kamishibai<br />
(Bilderbuch-Kino), Medienpakete zu Unterrichtsthemen,<br />
Beratung von Lehrpersonen<br />
zu speziellen Themen der Leseförderung<br />
und Zusammenarbeit bei der<br />
Durchführung von Lesenächten.<br />
7
8<br />
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2/ <strong>2005</strong> Dezember<br />
Schule und Freizeit, Gleichaltrige<br />
Im Laufe der Mittelstufe und dann<br />
verschärft auf der Oberstufe verlieren<br />
Schule und Familie an Bedeutung, und<br />
die Welt der Freizeit und der Gleichaltrigen<br />
rückt ins Zentrum des Interesses. In<br />
dieser Entwicklungsphase ist es wichtig,<br />
Bezüge zwischen der literalen Förderung<br />
in der Schule und den Lese- und<br />
Schreibgewohnheiten der Jugendlichen<br />
in der Freizeit herzustellen. Zugänge<br />
zu Trend-Medien, Besuche von beliebten<br />
Lese- und Medienorten, kleine<br />
Forschungsprojekte zu Medien und<br />
Mediennutzung, schriftliche Informationen<br />
und Kontakte zu attraktiven Freizeitangeboten,<br />
Formen der medialen<br />
Selbstdarstellung und Kommunikation,<br />
aber auch Schreibwettbewerbe oder<br />
Leseclubs in der Freizeit können solche<br />
Brücken schlagen.<br />
Schule und Öffentlichkeit<br />
Kontakte zur Dorf- oder Quartierbevölkerung<br />
(z.B. über Lesepatenschaften<br />
oder Begegnungen mit lokalen Medienprofis)<br />
und zur Internet-Community<br />
(über online-Klassenkontakte, Nutzung<br />
von online-Lernangeboten wie Web-<br />
Quest oder Antolin) bieten weitere<br />
Möglichkeiten, Literalität mit ausserschulischen<br />
Lebenswelten zu vernetzen.<br />
B. Qualitätsmerkmale der literalen<br />
Förderung<br />
Die Qualitätsmerkmale der literalen<br />
Förderung beschreiben Bedingungen,<br />
die Kinder und Jugendliche zur Entwicklung<br />
ihrer Lese- und Schreibfähigkeiten<br />
brauchen. Sie sind von den Handlungsfeldern<br />
unabhängig und sollen Schulen<br />
und Lehrpersonen helfen, die Qualität<br />
von Lernangeboten bei der Planung und<br />
Auswertung von Projekten zu beurteilen<br />
und je nachdem zu verbessern.<br />
B.1 Alle Schülerinnen und Schüler ha-<br />
ben freien Zugang zu vielfältigen Texten<br />
und Medien.<br />
Die Schule kann mithelfen, auch für<br />
Familie und Freizeit Zugänge zu schaffen.<br />
Die öffentliche Bibliothek spielt hier<br />
eine Schlüsselrolle.<br />
B.2 Alle Schülerinnen und Schüler lesen<br />
und schreiben regelmässig und intensiv.<br />
Eine Erhöhung der Lese- und Schreibzeit<br />
bedeutet mehr Eigenaktivität,<br />
Übung und Erfahrung. Schweizer Schülerinnen<br />
und Schüler lesen bisher weniger<br />
als Gleichaltrige in vielen anderen<br />
Ländern.<br />
B.3 Alle Kinder nutzen das Lesen und<br />
Schreiben im Alltag.<br />
Wenn das Lesen und Schreiben im<br />
alltäglichen Umgang mit anderen Menschen<br />
und mit der Umwelt gebraucht<br />
wird und Sinn macht, kann sich Literalität<br />
nachhaltig entwickeln.<br />
B.4 Alle Schülerinnen und Schüler werden<br />
bedarfsgerecht angeregt und unterstützt.<br />
Lese- und Schreibfähigkeiten entwickeln<br />
sich nicht beim Testen, sondern<br />
beim Lernen. Schülerinnen und Schüler<br />
brauchen Erwachsene, die individuelle<br />
Lernprozesse situationsgerecht wahrnehmen,<br />
verstehen, anregen und anleiten<br />
können.<br />
B.5 Alle Schülerinnen und Schüler reden<br />
mit kompetenten Leserinnen und Lesern<br />
über Texte und Lektüren.<br />
Das Gespräch über Gelesenes und<br />
Geschriebenes, über Lese- und Schreibverfahren<br />
ist das zentrale Lern- und<br />
Übungsfeld für viele komplexe Lese-<br />
und Schreibfähigkeiten. Es funktioniert<br />
am besten in (familienähnlichen) geleiteten<br />
Kleingruppen.<br />
B.6 Alle Schülerinnen und Schüler kriegen<br />
viele Geschichten geschenkt.<br />
Gedruckte Geschichten zu lesen ist<br />
für schwächere Leserinnen und Leser oft<br />
sehr anstrengend. Um ihr Interesse an<br />
Geschichten wach zu halten, brauchen<br />
sie viele «geschenkte» – vorgelesene<br />
oder abgespielte – Geschichten.<br />
B.7 Alle Schülerinnen und Schüler nutzen<br />
Informationen selbständig und kritisch.<br />
Sachtexte können die Jungs stärker<br />
fürs Lesen und Schreiben gewinnen.<br />
Der systematische Aufbau von Informationskompetenzen<br />
ist heute eine gesellschaftliche<br />
Notwendigkeit.<br />
B.8 Alle Schülerinnen und Schüler le-<br />
sen und schreiben (auch) in ihren Erstsprachen.<br />
Viele literale Fähigkeiten sind nicht<br />
sprachspezifisch und lassen sich von der<br />
Erst- auf die Zweitsprache übertragen,<br />
wenn sie in der Erstsprache gut entwickelt<br />
sind. Eine bilinguale Literalität ist<br />
ein wichtiger Baustein der bilingualen<br />
und bikulturellen Identität.<br />
B.9 Alle Schülerinnen und Schüler dürfen<br />
sich als Leserinnen und Leser selbst<br />
erfinden.<br />
Die literale Entwicklung ist ein Lernprozess,<br />
den die Schülerinnen und Schüler<br />
nur selber und auf eigenen Wegen<br />
durchlaufen können. Dazu brauchen sie<br />
immer wieder viel Entscheidungsspielraum<br />
und respektvolle Unterstützung.
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2/ <strong>2005</strong> Dezember<br />
C. Entwicklungsprinzipien der literalen<br />
Förderung<br />
Die Landkarte «erweiterte literale<br />
Förderung» am Eingang dieses Artikels<br />
kann Lehrpersonen und Schulteams<br />
bei der Weiterentwicklung ihrer literalen<br />
Förderung unterstützen. Sie kann<br />
helfen, einzelne Handlungsfelder auszuwählen,<br />
konkrete Massnahmen festzulegen,<br />
die Planung und Auswertung<br />
mit Qualitätsmerkmalen zu steuern und<br />
dabei den langfristigen Schulentwicklungsprozess<br />
im Auge zu behalten. Für<br />
die konkrete Umsetzungsarbeit werden<br />
hier noch einige Entwicklungsprinzipien<br />
genannt, an denen Schulteams sich ori-<br />
entieren können. Sie können an dieser<br />
Stelle nur knapp skizziert werden. Es<br />
geht dabei um die Einrichtung einiger<br />
förderlicher Rahmenbedingungen, die<br />
sich – laut Forschung – günstig auf die<br />
Wirksamkeit der Reformen auswirken.<br />
Die Leseförderung wird in einer<br />
Schule dann gut verankert, wenn Lehrpersonen<br />
einer Schule die Massnahmen<br />
im Rahmen in einem kontinuierlichen<br />
Teamprozess selber entwickeln.<br />
Dafür ziehen sie punktuell Fachleute<br />
für die literale Förderung bei und machen<br />
sich in internen Weiterbildungen<br />
zu aktuellen Forschungsresultaten kundig.<br />
Die Leseförderung ist Teil des<br />
Schulprogramms und wird über längere<br />
Zeit (mindestens zwei Jahre) kontinuierlich<br />
geplant, umgesetzt, beobachtet,<br />
ausgewertet und weiter entwickelt.<br />
Lehrpersonen und Schulen, die sich<br />
solche Entwicklungsaufgaben vornehmen,<br />
brauchen aber nicht nur Modelle,<br />
sondern auch Arbeitszeit und handfeste<br />
Unterstützung z.B. in Form von Prozessbegleitung,<br />
Fachberatung, Fachliteratur<br />
und Materialien sowie Weiterbildung für<br />
zukünftige Expertinnen und Experten<br />
für Literalität.<br />
Unter diesen Bedingungen kann es<br />
gelingen, neue Bildungspartnerschaften<br />
zu bilden und Lernwelten stärker zu vernetzen,<br />
damit in Zukunft alle Kinder gute<br />
Chancen haben, sich selbst zu kompetenten<br />
und selbstbewussten Lesern und<br />
Schreiberinnen zu entwickeln.<br />
*Dieter Isler ist Dozent für Deutschdidaktik<br />
und Leiter des Fachbereichs<br />
Sprache an der Pädagogischen Hochschule<br />
<strong>Zürich</strong>. Er arbeitet in Forschung,<br />
Aus- und Weiterbildung zum Thema Literalität.<br />
Lesetipps für Lehrer,<br />
Lehrerinnen und Schulteams<br />
Leseförderung im Unterricht:<br />
• Bertschi-Kaufmann, Andrea<br />
(2003): Das Lesen anregen, fördern,<br />
begleiten. In: Kommentar zum Lesebuch<br />
4. Schuljahr «federleicht &<br />
vogelfrei». Buchs: Lehrmittelverlag<br />
des <strong>Kanton</strong>s Aargau und Aarau:<br />
sabe Verlag<br />
• Blesi, Pankraz (1988): Ambiente<br />
und Animation. Zu einem neuen<br />
Rollenverständnis des Lehrers in der<br />
Lese-Erziehung. In: Schweizer Schule<br />
11/88<br />
• International Reading Association<br />
u.a. (seit 2002): Read - Write<br />
- Think. Standards, Lektionspläne,<br />
Unterrichtsmaterialien und Links<br />
zum Sprachunterricht.<br />
www. readwritethink.org<br />
Zusammenarbeit von Schule und Bibliothek:<br />
• Bertelsmann Stiftung u.a. (Hrsg.<br />
<strong>2005</strong>): Kooperation macht stärker:<br />
Medienpartner Bibliothek und Schule.<br />
Gütersloh: Verlag Bertelsmann<br />
Stiftung<br />
• Winterthurer Bibliotheken: Dienstleistungen<br />
für Kindergarten- und<br />
Schulklassen. www.bibliotheken.<br />
winterthur.ch/Bibliotheken/Dienstleistungen<br />
Leseförderung in allen Feldern:<br />
• Sträuli, Barbara (<strong>2005</strong>): Leseknick<br />
- Lesekick. <strong>Zürich</strong>: Lehrmittelverlag<br />
des <strong>Kanton</strong>s <strong>Zürich</strong><br />
9
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
10<br />
Wenn der Vater<br />
mit dem Sohne<br />
ein Buch liest ...<br />
oder wann Lesen für Jungs<br />
attraktiv ist<br />
Lu Decurtins *<br />
Die Pisa-Studie hat es einmal mehr<br />
gezeigt! Jungs und Lesen – das ist eine<br />
Beziehung in der Krise!<br />
Jungen sind anders als Mädchen<br />
Jungen wachsen anders auf als Mädchen.<br />
Im Gegensatz zu Mädchen verbringen<br />
sie ihre ersten Lebensjahre in einer vom<br />
Gegengeschlecht geprägten Umwelt.<br />
Nahe, greifbare männliche Vorbilder<br />
sind rar. Die Väter sind oft abwesend,<br />
im Kleinkindbereich fehlen Männer, und<br />
es gibt auch immer weniger Lehrer in<br />
der Unter- und Mittelstufe. Jungen finden<br />
männliche Rollenbildern vor allem<br />
ausserhalb der Schule. So orientieren sie<br />
sich heute an virtuellen Vorbildern vom<br />
Bildschirm, aus Filmen, dem Sport oder<br />
der Game-Welt.<br />
Es kann deshalb nicht erstaunen, dass<br />
sich Jungen in anderen Bereichen des Lesens<br />
motiviert zeigen als Mädchen und<br />
daher auch andere Stärken und Schwächen<br />
entwickeln (vgl. Garbe 2003).<br />
Lesen ist nicht männlich!<br />
In diesen Jungen-Welten sieht man<br />
kaum Bücher lesende Männer. Wenn,<br />
dann sieht man mal einen Mann beiläufig<br />
in der Zeitung lesen. Auch in der<br />
Wirklichkeit lesen Männer anders als<br />
Frauen. Wenn überhaupt, dann lesen<br />
sie Sachbücher und Zeitungen. Romane<br />
und andere Erzählliteratur hingegen<br />
sind ebenso Frauensache wie Gespräche<br />
über innere Gefühle. Zudem gehört es<br />
zum gängigen Männerbild, sich immer<br />
wieder Herausforderungen von aussen<br />
zu stellen und aktiv zu sein. Unter Umständen<br />
braucht Mann Information oder<br />
eine kurze Anleitung, um selber weiter<br />
zu kommen. Für tiefere Auseinandersetzung<br />
und Phantasie bleibt in der vorherrschenden<br />
Vorstellung vom Mann<br />
kaum noch Raum.<br />
Bubenbücher<br />
Grundsätzlich gibt es natürlich keine<br />
«Bubenbücher» oder «Mädchenbücher»,<br />
doch ist es eine Tatsache, dass<br />
nicht alle Bücher und Textsorten Mädchen<br />
wie Jungen gleichermassen ansprechen.<br />
Wenn es das erklärte Ziel ist, Jungen<br />
zum Lesen zu bringen, so darf fast<br />
jedes Lesemittel recht sein. Versuche,<br />
Gleichstellungsarbeit bei leseschwachen<br />
Schülerinnen und Schülern über Leseinhalte<br />
zu leisten, die Kinder oder Jugendliche<br />
pädagogisch beeinflussen sollen,<br />
sind im Voraus zum Scheitern verurteilt.<br />
Wichtig ist für die Jungen, zuerst einmal<br />
Spass an der Sache zu bekommen! Dafür<br />
soll man leseungewohnten Jungen<br />
den Zugang zum Lesen grundsätzlich<br />
erleichtern und ihnen möglichst einladende,<br />
einfache und gut strukturierte<br />
Texte anbieten. Jungen interessieren<br />
sich eher für<br />
- erzählende Literatur, die fantastische<br />
Welten und Erfahrungen beschreibt,<br />
die im alltäglichen Leben nicht zu machen<br />
sind<br />
- Themen, die einen Bezug zu ihrer Le-<br />
bensrealität haben<br />
- Sachbücher und informative Texte<br />
- Erwachsenenliteratur.<br />
Tipps für Bubenbücher finden sich in:<br />
Müller-Walde, Katrin (2004): Warum Jungen<br />
nicht mehr lesen und wie wir das<br />
ändern können. Mit 50 Lesetipps von<br />
Jungs für Jungs. Frankfurt: Campus<br />
Und die Eltern?<br />
Die Eltern prägen das Leseverhalten<br />
von Kindern stark. Bei lesenden Kindern<br />
lesen meist auch Mutter (und etwas<br />
seltener) auch der Vater. Bücher stehen<br />
in diesen Familien zu Hause zur Verfügung.<br />
Jungen aus bildungsfernen Elternhäusern<br />
sind also bezüglich Leseschwäche<br />
doppelt gefährdet: durch den<br />
fehlenden Zugang zum Lesen in der<br />
Freizeit und durch ihr Geschlecht. Die<br />
fehlenden Lesechancen in der Freizeit<br />
suchen Schulen heute durch eine intensive<br />
Leseförderung allgemein zu kompensieren.<br />
Hier gibt es auch immer mehr<br />
Material. Die Benachteiligung durch das<br />
Geschlecht jedoch verlangt eigene, geschlechtsbezogene<br />
Interventionen. In<br />
diesem Bereich wurde bislang noch wenig<br />
geleistet. Viele Lehrpersonen haben<br />
zudem eine Abneigung dagegen, dem<br />
einen Geschlecht eine Spezialbehand-
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
lung angedeihen zu lassen. Grundsätzlich<br />
geht es jedoch ganz einfach um<br />
eine Erweiterung der Kategorien beim<br />
individualisierenden Unterricht. Defizite<br />
werden bei einer bestimmten Gruppe<br />
(Jungen) geortet, Ressourcen gesichtet<br />
und schliesslich wird entsprechend interveniert.<br />
Dies hat nichts mit veralteten<br />
Formen der Festschreibung von Geschlechterrollen<br />
zu tun.<br />
Fremde Väter<br />
Etwas ausführlicher möchte ich hier<br />
noch auf das Thema «Väter und andere<br />
Vorbilder» eingehen. Väter sind<br />
als männliche Bezugsperson insofern<br />
wichtig, als Lesen von Jungen oft als<br />
«weibliche» Tätigkeit betrachtet wird.<br />
Jungen begegnen in ihrer Lebenswelt<br />
(Peer-Group, Stars etc.) kaum lesenden<br />
Männern. An sich wären Väter die idealen<br />
Bündnispartner für die Schule. Sie<br />
wären die wichtigen Vorbilder, die es<br />
einzubeziehen gilt. Jedoch: Lehrerinnen<br />
sind von der Lebenswelt von Vätern<br />
teils meilenweit entfernt. Im Kontakt<br />
zwischen einem Vater, der ungelernter<br />
Arbeiter ist, und einer Lehrerin können<br />
nicht nur der Bildungs- und Kulturunterschied<br />
eine hinderliche Rolle spielen,<br />
sondern auch der Geschlechtsunterschied.<br />
Die Situation erfordert, dass die<br />
beiden nicht nur einen, sondern drei<br />
Schritte aufeinander zu machen müssen.<br />
Wo männliche Lehrpersonen noch<br />
auf der Ebene gemeinsamer, durchs<br />
Geschlecht bestimmter Interessen (wie<br />
Fussball) Zugang finden können, bleibt<br />
dies Lehrerinnen oft verwehrt. Reagiert<br />
dann eine Lehrperson – Mann oder Frau<br />
– auf die überspielte Unsicherheit des<br />
Vaters mit direktiven Anweisungen und<br />
Machtausübung, so hat dies nicht selten<br />
Widerstand und Trotz zur Folge – mit fatalen<br />
Folgen für das Kind.<br />
Brücken über Gräben<br />
Wie können nun aber diese Gräben<br />
überwunden und Schritte aufeinander<br />
zu gemacht werden?<br />
Lehrpersonen können versuchen,<br />
sich unvoreingenommen für die Lesewelt<br />
der Familien ihrer Schülerinnen<br />
und Schüler zu interessieren. Sie könnten<br />
dem Kind eine Forschungsaufgabe<br />
zum Lesen in der Familie geben, die von<br />
der Wertschätzung der Texte ausgeht,<br />
die tatsächlich gelesen werden. Es gibt<br />
sie nämlich kaum, die «Gar-Nicht-Leser».<br />
Der Lesestoff ist ganz einfach oft<br />
nicht das, was sich Lehrpersonen darunter<br />
vorstellen. So sind SMS, Mails,<br />
Gebrauchsanweisungen, Prospekte und<br />
Werbung durchaus und ganz im Sinne<br />
des Wortes auch lesenswert. So könnte<br />
der Auftrag lauten, dass die Kinder Alltagstexte<br />
sammeln, die zu Hause liegen<br />
und gebraucht werden. Eine (natürlich<br />
immer positiv kommentierte) Auslegeordnung<br />
im Klassenzimmer, mit der die<br />
gesammelten Stücke ausgestellt werden,<br />
könnte so zum gemeinsamen Lese-<br />
und Lernerlebnis werden. Sie ermöglicht<br />
gleichzeitig auch ein Gespräch über verschiedene<br />
Textsorten.<br />
Grundsätzlich<br />
• Informieren Sie Eltern zum Thema<br />
Lesen. Eltern wissen oft nicht, welch<br />
wichtige Rolle sie in der Lesesozialisation<br />
spielen. Es ist Aufgabe der Lehrperson,<br />
die Eltern aus fachlicher Sicht aufzuklären.<br />
• Kaufen Sie Jungenbücher und machen<br />
sie diese den Eltern zugänglich.<br />
Es gibt eine Menge Bücher, die Jungen<br />
ansprechen! Halten Sie an Elternabenden<br />
Listen mit nicht zu vielen Titeln bereit.<br />
Machen sie auch auf das Lesen in<br />
der Erstsprache aufmerksam (Bücher in<br />
verschiedenen Migrantensprachen sind<br />
erhältlich bei Bibliomedia Schweiz).<br />
• Planen Sie Veranstaltungen zu Bubenthemen.<br />
Es muss ja nicht immer gleich<br />
eine Leseveranstaltung sein. Integrieren<br />
Sie dabei das Lesen. Lesen kann Teil vom<br />
Sporttag wie auch von Projektwochen<br />
sein. Lese- und Vorlesesequenzen lassen<br />
sich im Lager auf Schulreisen und an vielen<br />
anderen Orten sinnvoll integrieren.<br />
• Werben Sie um die Väter. Bieten Sie<br />
etwas attraktiv an! Väter sind oft in anderen<br />
Welten zuhause als in der Schulwelt.<br />
Oft sind Einladungen zuwenig<br />
väterorientiert geschrieben. Jede Lehrperson<br />
hat Männer im Umfeld, die eine<br />
Einladung noch auf «Vätertauglichkeit»<br />
überprüfen können! Sorgen Sie dafür,<br />
dass sich Väter an schulischen Veranstaltungen,<br />
wo sie als Männer oft in<br />
der Minderheit sind, auch wohl fühlen.<br />
Beziehen sie sie mit ein, wenn es etwas<br />
Praktisches zu tun gibt. Stellen sie ihnen<br />
eine konkrete Aufgabe, durch die sie zur<br />
Veranstaltung beitragen können.<br />
• Zeigen Sie Bilder lesender Männer.<br />
Dies kann mittels persönlicher Einladung<br />
an Autoren oder Väter geschehen, in<br />
der Klasse vorzulesen, oder auch nur auf<br />
Posters. Das (Gegen-) Bild vom lesenden<br />
Mann sollte von Jungen aufgenommen<br />
werden. Gehen Sie mit ihnen auf die<br />
Suche nach Vorbildern und Bildern von<br />
lesenden Männern und Jungen!<br />
• Nicht nur Bücher sind Lesestoff.<br />
Auch Hörbücher und CD-Rom, freies<br />
* Lu Decurtins ist freischaffender Sozialpädagoge<br />
und Supervisor. Er ist<br />
u.a Bubenarbeiter, Mitbegründer des<br />
mannebüro züri, Vorstandsmitglied des<br />
Netzwerks Schulische Bubenarbeit und<br />
Mitglied einer Kreisschulpflege.<br />
11
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
Lesen, Bibliotheksbesuch, Bücherkisten,<br />
Vorlesestunden, Hörbuch, Fernsehen,<br />
Computerspiele und Bedienungsanleitungen<br />
können zum Lesen animieren.<br />
Wichtig ist, den Zugang zu den Jungen<br />
und ihrer Leseweise zu finden. Öffentliche<br />
Bibliotheken bieten eine Menge solcher<br />
Medien an – der Alltag der Jungen<br />
ist voll davon!<br />
• Verknüpfen Sie Lesen mit Technik (Informatik).<br />
Jungen sprechen stark an auf Informatik<br />
und technische Aspekte. Das Lesen<br />
wird in ihren Augen aufgewertet,<br />
wenn es in Zusammenhag mit Technik<br />
steht. Also darf durchaus mal am Bildschirm<br />
gelesen werden – wenn nur gelesen<br />
wird!<br />
12<br />
Literatur<br />
Bischof, Ulrike; Heidtmann, Horst<br />
(2002): Lesen Jungen ander(e)s als<br />
Mädchen? Untersuchungen zu Leseinteressen<br />
und Lektüregratifikationen.<br />
In: Medien Praktisch, Heft<br />
3/2002 («Gender, Sex & Medien»),<br />
S. 27-31.<br />
Garbe, Christine (2003): Mädchen lesen<br />
ander(e)s. Für eine geschlechterdifferenzierende<br />
Leseförderung. In:<br />
JuLit. Informationen des Arbeitskreises<br />
für Jugendliteratur, Heft 2/2003,<br />
S. 14-29.<br />
Gern Lesen<br />
UND gut Lesen<br />
Gerd Kruse *<br />
Gedanken zur Weiterentwicklung<br />
des Lese- und<br />
Literaturunterrichts<br />
In der Lese- und Literaturdidaktik<br />
ist einiges in Bewegung, insbesondere<br />
seit PISA (2000) ist das Gemenge aus<br />
konkurrierenden Konzepten und lesedidaktischen<br />
Unterrichtsempfehlungen<br />
grösser geworden – die Situation ist also<br />
nicht mehr leicht durchschau- und überblickbar.<br />
Orientierung im lesedidaktischen<br />
Raum<br />
Soweit ich sehe, sind in der lesedidaktischen<br />
Debatte der Gegenwart drei<br />
dominierende Konzepte von Lese- und<br />
Literaturunterricht mit je besonderer<br />
Ausrichtung («Ziele») und spezifischen<br />
Schwerpunktsetzungen («Gegenstände<br />
und Methoden») auszumachen (vgl.<br />
Grafik rechts):<br />
Auf die Zielebene des Gern Lesens gehört<br />
natürlich das Konzept Leseförde-<br />
rung, das in der Regel mit erlebnisorientierten<br />
Leseprojekten bzw. Leseanimation<br />
operiert und auf die Begründung<br />
einer positiven und stabilen Lesehaltung<br />
(«Leselust») abzielt.<br />
Denn: «Nur wer gern liest, liest auch<br />
viel. Und nur wer viel liest, entwickelt<br />
seine Lesekompetenz» (Horst Bartnitzky).<br />
Auf der Ziel-Ebene des Gut Lesens<br />
müssen zwei Konzepte unterscheiden<br />
werden, nämlich:<br />
Das Konzept Leseerziehung, das die<br />
Lektüre anspruchsvoller Bücher aus einem<br />
bestimmten Kanon favorisiert, und<br />
sowohl auf literarische Bildung wie auf<br />
Persönlichkeitsentwicklung und Werteorientierung<br />
im Literaturgespräch setzt.<br />
Das Konzept Lesetraining, das – insbesondere<br />
in der Folge von PISA – zum<br />
einen die Lesegeläufigkeit durch regelmässiges<br />
und wiederholtes Lesen und<br />
Vorlesen entwickeln will, zum anderen<br />
den Aufbau und Ausbau von (eher)<br />
technischen Lesefertigkeiten und von<br />
(eher) strategischen Leseverstehensfähigkeiten<br />
ins Zentrum rückt. Hier wird<br />
mit direkter Instruktion der Lehrperson<br />
und mit einem erweiterten Textbegriff<br />
gearbeitet. Geübt wird nicht nur das<br />
Lesen von kontinuierlichen Texten, sondern<br />
auch das Lesen und Entschlüsseln<br />
von nicht durchlaufenden und bildgestützten<br />
Formaten wie Diagrammen, Tabellen,<br />
Plänen, Modellen, Schaubildern,<br />
Statistiken, Karten usw.<br />
Denn: «Leseförderprojekte zielen<br />
sämtlich auf die Steigerung der Motivation<br />
– ausreichende Lesekompetenz ist<br />
stillschweigend vorausgesetzt» (Cornelia<br />
Rosebrock).<br />
Wie gesagt: Diese drei Konzepte von<br />
Lese- und Literaturunterricht konkurrieren<br />
miteinander, die Gunst der Unterrichtenden<br />
ist also begehrt!<br />
Lernziel Lesekompetenz<br />
Ich plädiere für eine Zusammenführung<br />
der drei Konzepte, für die Integration<br />
der Teilziele «Leseförderung»
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
– «Leseerziehung» – «Lesetraining»<br />
in einem Gesamtmodell<br />
von Lesekompetenz.<br />
Mit diesem zunächst<br />
wohl eher banal klingendem<br />
Integrationsvorschlag<br />
möchte ich ausdrücklich<br />
an der Gleichwertigkeit<br />
und Gleichzeitigkeit der<br />
einzelnen Teilzielsetzungen<br />
des Lese- und Literaturunterrichts<br />
festhalten.<br />
Es wäre meines Erachtens<br />
nämlich falsch, wenn man<br />
auf den Zielkonflikt «Leseförderung<br />
oder Leseerziehung<br />
oder Lesetraining?»<br />
so reagieren würde, dass<br />
man<br />
- die Leseförderung und<br />
elementare Lesefertig-<br />
keitsschulung der Pri-<br />
marstufe<br />
- die Leseerziehung und das systematische<br />
Leseverstehens-Training der Sekundarstufe<br />
und<br />
- die literarische Bildung der Sekundarstufe<br />
II<br />
zuteilte. Dieser wohlfeile Vorschlag war<br />
hier und da schon zu hören oder zu<br />
lesen, doch führt er meines Erachtens<br />
eben nicht zum Ziel. Denn eine Auflösung<br />
des Zielkonflikts durch zeitliche<br />
Staffelung und Verlagerung der drei verschiedenen<br />
Konzepte auf drei verschiedene<br />
Schulstufen würde die Attraktivität<br />
des Lesens auf allen Stufen mindern.<br />
Und es würde Bildungspotenziale des<br />
Leseunterrichts verschütten. Wir sollten<br />
den anderen Weg wählen und auch im<br />
Lese- und Literaturunterricht ein Integrationskonzept<br />
verfolgen, das die Teilziele<br />
«Leseförderung – Leseerziehung<br />
– Lesetraining» unter dem Schlagwort<br />
«Lesekompetenz» zusammenführt.<br />
Die lesefreundliche Schule<br />
Gern Lesen<br />
Gut Lesen<br />
Dieses Integrationskonzept kann vor<br />
Ort umgesetzt werden mit Hilfe einer<br />
Konzept «Lesetraining»<br />
Aufbau und Ausbau von elementaren Le-<br />
sefertigkeiten und von ausdifferenzierten<br />
Lesefähigkeiten; Förderung der Lesegeläufigkeit<br />
Lesedidaktische Landkarte<br />
Konzept «Leseförderung»<br />
Bildung einer stabilen (Buch-)Lesehaltung;<br />
Entwicklung der motivationalen Basis des Lesens<br />
durch erlebnisorientierte Leseanimation<br />
die<br />
Lesekompetenz<br />
Schule<br />
Leitbildidee, die das Schulprogramm<br />
prägen und zieren soll. Im Slogan: «Wir<br />
sind eine lesefreundliche Schule!» käme<br />
die Leitbildidee wirkungsvoll zum Ausdruck.<br />
Wann ist eine Schule «lesefreundlich»?<br />
Wenn sie sich als Schule zu einer konsequenten<br />
Leseförderung verpflichtet und<br />
diese Leseförderung auf verschiedenen<br />
Ebenen betreibt!<br />
Im strukturellen Bereich, indem sie zum<br />
Beispiel:<br />
- Schulbibliotheken und Leseecken<br />
ausbaut<br />
- freie Lesestunden im Stundenplan<br />
verankert<br />
- (Vor)Lese-Projekte und Aktionen rund<br />
ums Buch wie Lesenächte, Autorenlesungen<br />
oder Bibliothekswettbewerbe<br />
durchführt.<br />
Im methodisch-didaktischen Feld, indem<br />
sie<br />
- literarisches (Vor)lesen / Hören vom<br />
Kindergarten an pflegt<br />
- individualisiertes Lesen durch ein breites<br />
Lektüreangebot fördert<br />
- mindestens eine grosse Klassenlektü-<br />
lesefreundliche<br />
Konzept «Leseerziehung»<br />
Literarisches Lesen und Lernen; Wertorientierung<br />
und Persönlichkeitsentwicklung im<br />
literarischen Gespräch<br />
re pro Halbjahr einplant<br />
- die Schülerinnen und Schüler auf<br />
allen Stufen und in allen Fächern<br />
durch einen vielfältigen und motivierenden<br />
(handlungs- und produktionsorientierten)<br />
Umgang mit Texten<br />
fördert<br />
- auf allen Stufen und in allen Fächern<br />
die Lesegeläufigkeit durch ein geziel-<br />
tes systematisches Training von Lesefertigkeiten<br />
und Lesefähigkeiten<br />
steigert.<br />
Denn: «Lesen geht alle an!»<br />
© Gerd Kruse<br />
* Gerd Kruse ist Deutschdidaktiker und<br />
Professor an der PH Solothurn. Er arbeitet<br />
u. a. im Zentrum Lesen der Pädagogischen<br />
Hochschule Aargau mit am<br />
Forschungsprojekt «Lese- und Schreibkompetenzen<br />
fördern».<br />
(www.zentrumlesen.ch)<br />
13
14<br />
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
Neuerscheinung:<br />
Leseknick<br />
–Lesekick<br />
Leseförderung in vielsprachigen<br />
Schulen<br />
Barbara Sträuli<br />
Das Buch «Leseknick-Lesekick. Leseförderung<br />
in vielsprachigen Schulen»<br />
ist ein praxisorientiertes Handbuch aus<br />
dem <strong>QUIMS</strong>-Projekt. Es ist für Schulleitungen,<br />
Kollegien und Arbeitsgruppen,<br />
sowie einzelne Lehrpersonen gedacht,<br />
die ihre Leseförderung auf- und ausbauen<br />
wollen. «Leseknick-Lesekick» lässt<br />
sich auf verschiedene Arten nutzen:<br />
Neuerscheinung:<br />
Sprachenvielfalt in<br />
Schule<br />
und Bibliothek<br />
Anregungen zu einer erfolgreichen<br />
Zusammenarbeit von Schule und Bibliothek<br />
im multikulturellen Umfeld<br />
Ruth Fassbind<br />
Eine frühe und geglückte Begegnung<br />
mit dem Buch als Träger von Sprache und<br />
Schrift ist für die Leseentwicklung eines<br />
Kindes von zentraler Bedeutung. Die Publikation<br />
«Sprachenvielfalt in Schule und<br />
Bibliothek» will zeigen, wie Lehrperso-<br />
Wer einen informativen und unterhaltenden<br />
Überblick über aktuelle Gebiete<br />
der Leseförderung gewinnen will,<br />
dem sind die zehn Interviews mit Lesefachleuten<br />
empfohlen, die am Anfang<br />
der zehn Kapitel stehen.<br />
nen und Bibliothekarinnen gemeinsam<br />
Wege finden, um gerade auch Kinder,<br />
die in ihrer familiären Umwelt nicht in<br />
Kontakt mit Buchwelten kommen, zum<br />
Lesen zu motivieren. Sprechen über Bücher,<br />
Vorlesen und Geschichtenerzählen<br />
sind dabei wichtige Mittel zum Steigern<br />
der Motivation.
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2 / <strong>2005</strong> Dezember<br />
Wer aber in Zeitnöten ist, weil er<br />
oder sie gerade eine schulische Arbeitsgruppe<br />
zu Fragen des Lesens leiten soll,<br />
der findet hier zahlreiche Tipps für den<br />
Einstieg in die Diskussion. Das Buch enthält<br />
Checklisten für Gruppen, die eine<br />
Bibliothek aufbauen, den Einsatz von<br />
Lernsoftware koordinieren, Lesestoff<br />
für schwache Leserinnen und Leser finden,<br />
ihre Beurteilungspraxis verbessern<br />
möchten und viele andere mehr.<br />
Schulleitungen und Beauftragte für<br />
Schulentwicklung schliesslich können<br />
sich die Liste der Qualitätsmerkmale vornehmen,<br />
die jedes Kapitel abschliesst.<br />
Sie zeigt, wo Schulen und Klassen die<br />
fürs Lesen förderlichen Bedingungen<br />
mehr als erfüllen und wo es noch Löcher<br />
zu stopfen gilt.<br />
Barbara Sträuli, unter Mitarbeit von Stefan<br />
Mächler und Claudia Neugebauer:<br />
Leseknick-Lesekick. Leseförderung in<br />
Kindern nichtdeutscher Muttersprache<br />
soll die positive Begegnung mit der<br />
Erstsprache – und mit Büchern in dieser<br />
Sprache – eine Brücke schlagen helfen.<br />
Die Broschüre gibt u. a. Antwort auf<br />
folgende Fragen: Wie kann man mit<br />
Kindern in Kindergarten und Bibliothek<br />
Sprachwelten in Bilderbüchern entdecken?<br />
Wie gestaltet man Bibliotheksbesuche,<br />
so dass sie zur Entdeckung von<br />
Erlebnisräumen führen und Entfaltungsmöglichkeiten<br />
bieten? Wie kann die Bibliothek<br />
Lernhilfe betreiben? Wie können<br />
Schule und Bibliothek Kinder und<br />
Jugendliche beim Aufbau von Lesekompetenz<br />
mit geeigneten Materialien unterstützen?<br />
Wie können Bibliotheken<br />
gemeinsam mit Schulen Leseanimation<br />
in der Freizeit betreiben?<br />
Da für die Arbeit in multikulturellem<br />
Umfeld spezielle Materialien und Buch-<br />
bestände nötig sind, bietet die Publikati-<br />
vielsprachigen Schulen. Herausgegeben<br />
vom Lehrmittelverlag des <strong>Kanton</strong>s <strong>Zürich</strong><br />
<strong>2005</strong>.<br />
Bestelladresse:<br />
www.lehrmittelverlag.com<br />
on «Sprachenvielfalt in Schule und Bibliothek»<br />
einen Überblick über die in der<br />
Schweiz vorhandenen Angebote. Anregungen<br />
und Tipps für erfolgreiches<br />
Vorlesen, ein Verzeichnis mit wichtigen<br />
Adressen sowie eine Liste mit weiterführender<br />
Literatur runden die Publikation<br />
ab.<br />
Sprachenvielfalt in Schule und Bibliothek.<br />
Herausgegeben von Bibliomedia<br />
Schweiz, in Zusammenarbeit mit dem<br />
Projekt <strong>QUIMS</strong> der Bildungsdirektion<br />
des <strong>Kanton</strong>s <strong>Zürich</strong>, November <strong>2005</strong>.<br />
Bestelladresse:<br />
Bibliomedia Schweiz,<br />
Rosenweg 2, 4500 Solothurn,<br />
Tel. 032 624 90 20,<br />
E-Mail: solothurn@bibliomedia.ch<br />
15
16<br />
<strong>QUIMS</strong> NACHRICHTEN 2/ <strong>2005</strong> Dezember<br />
<strong>Nachrichten</strong><br />
aus dem<br />
<strong>QUIMS</strong>-Projekt<br />
Markus Truniger<br />
Aus den Schulen:<br />
Projekte in <strong>QUIMS</strong>-Schulen.<br />
Eine Sammlung der Teilprojekte / Sommer<br />
<strong>2005</strong>:<br />
Diese Broschüre enthält Kurzbeschreibungen<br />
von circa 100 Teilprojekten,<br />
die in den 21 <strong>QUIMS</strong>-Schulen am<br />
Laufen sind – von Leseförderung über<br />
Teamteaching bis zu Aufgabenhilfen. Sie<br />
dient dem Austausch unter den Schulen.<br />
Bezug: www.quims.ch/Schulen/Praxisprojekte<br />
oder <strong>QUIMS</strong>-Sekretariat.<br />
Neue DVD für die Kindergarten-Arbeit:<br />
- «Hochdeutsch Lernen im Kindergarten»<br />
(aufgenommen in der <strong>QUIMS</strong>-<br />
Schule Zelgli-Schlieren). 36 Min. Bezug:<br />
Lehrmittelverlag <strong>Zürich</strong>.<br />
- «Kindergärten Winterthur-Töss». DVD<br />
zur Elterninformation. 25 Min. Bezug:<br />
<strong>QUIMS</strong>-Sekretariat.— Julia.Koch@vsa.<br />
zh.ch<br />
Aus dem Gesamtprojekt<br />
<strong>QUIMS</strong> im neuen Volksschulgesetz verankert:<br />
Bekanntlich hat das Zürcher Volk<br />
am 5. Juni <strong>2005</strong> das neue Volksschulgesetz<br />
zu 70% befürwortet. <strong>QUIMS</strong> kann<br />
damit einen grossen Erfolg verzeichnen.<br />
In der <strong>Kanton</strong>sratsdebatte erhielt es<br />
grossmehrheitlich Anerkennung. Bildungsdirektorin<br />
Aeppli und viele andere<br />
betonten die guten Leistungen des Projekts.<br />
Im Abstimmungskampf zum Gesetz<br />
schliesslich gehörte <strong>QUIMS</strong> zu den<br />
breit als positiv beurteilten Punkten.<br />
Verordnung: Der Regierungsrat hat die<br />
Verordnungsentwürfe zum Volksschulgesetz<br />
in eine Vernehmlassung gegeben.<br />
Zu lesen ist darin, wie <strong>QUIMS</strong> zukünftig<br />
definiert ist, welche Schulen einbezogen<br />
werden (solche mit mindestens 40%<br />
Fremdsprachigen) und wie die Beiträge<br />
berechnet werden (Sockelbeitrag plus<br />
Beitrag pro Klasse, differenziert nach<br />
der Höhe des Fremdsprachigenanteils).<br />
Interessierte sind eingeladen, der Bildungsdirektion<br />
Änderungsvorschläge,<br />
u.a. auch zu <strong>QUIMS</strong>, bis Ende November<br />
<strong>2005</strong> schriftlich zu unterbreiten. Die<br />
Regierung will im ersten Quartal 2006<br />
definitiv darüber beschliessen.<br />
Wie weiter in den bisherigen <strong>QUIMS</strong>-<br />
Schulen?: Der Schulversuch <strong>QUIMS</strong> läuft<br />
auf Sommer 2006 aus. Danach gilt das<br />
neue Gesetz. Die bisherigen <strong>QUIMS</strong>-<br />
Schulen werden ab Schuljahr 06/07 ihre<br />
Arbeit ähnlich wie heute fortsetzen. Sie<br />
können ihre Teilprojekte weiterführen<br />
oder aber anhand neuer Schwerpunkte<br />
neue Teilprojekte entwickeln. Als dauerhafte<br />
Unterstützung sind je nach Schulgrösse<br />
zwischen rund 30 bis 50 Tau-<br />
send Fr. pro Schule und Jahr vorgesehen.<br />
Neue <strong>QUIMS</strong>-Schulen: Nach einer noch<br />
provisorische Planung sollen die rund<br />
70 neuen <strong>QUIMS</strong>-Schulen ab Schuljahr<br />
2006 bis 2011 gestaffelt und regional<br />
gebündelt ins <strong>QUIMS</strong>-Projekt aufgenommen<br />
werden werden.<br />
Wechsel im kantonalen <strong>QUIMS</strong>-Team:<br />
Christine Schuppli hat an die Hochschule<br />
für Soziale Arbeit Luzern gewechselt.<br />
Für ihren kompetenten Einsatz danken<br />
wir ihr. Neue Mitarbeiterin ab Januar<br />
2006 ist Cornelia Möhlen, bisher Lehrerin<br />
und Projektleiterin in der <strong>QUIMS</strong>-<br />
Schule Bühl in <strong>Zürich</strong>.<br />
<strong>QUIMS</strong> in einem internationalen Vergleich:<br />
Eine vergleichende Studie untersucht,<br />
wie Schulen in England, Nordrhein-Westfalen<br />
und <strong>Zürich</strong> (<strong>QUIMS</strong>)<br />
Programme zum Umgang mit Ein-<br />
Wir wünschen<br />
allen Leserinnen<br />
und Lesern<br />
frohe und besinnliche<br />
Festtage!<br />
wanderung und Vielfalt handhaben.<br />
<strong>QUIMS</strong> wird eine ausgebaute pädagogische<br />
Konzeption bescheinigt; kritisch<br />
wird die geringe Kontrolle der erreichten<br />
Chancengleichheit beurteilt. Siehe:<br />
Mechtild Gomolla (<strong>2005</strong>): Schulentwicklung<br />
in der Einwanderungsgesellschaft;<br />
im Buchhandel erhältlich.<br />
Weitere Informationsquellen:<br />
www.quims.ch (Projekt <strong>QUIMS</strong>)<br />
www.volksschulamt.zh.ch/Projekte/<br />
<strong>QUIMS</strong><br />
Herzliche Gratulation!<br />
Nationale Auszeichnung für <strong>QUIMS</strong>:<br />
Kurz vor Redaktionsschluss erhielt<br />
<strong>QUIMS</strong> in Solothurn den «Schweizer<br />
Integrationspreis <strong>2005</strong>» für «herausragende<br />
Leistungen für die Integration<br />
von Migrantinnen und Migranten», den<br />
die Eidgenössische Ausländerkommission<br />
(EKA) erstmals verliehen hat. <strong>QUIMS</strong><br />
erhielt den ersten Preis zusammen mit<br />
den beiden Projekten «Mentoring für<br />
Jugendliche» aus Baden und «Il Ponte»<br />
aus dem Tessin. Wir gratulieren allen<br />
Preisträgern! Besondere Glückwünsche<br />
richten wir an alle Beteiligten von<br />
<strong>QUIMS</strong>, die in den Schulen, im kantonalen<br />
Projektteam oder als externe Fachleute<br />
das Projekt tragen! Unser Dank<br />
gilt auch den Behörden und dem Zürcher<br />
Stimmvolk, die die unentbehrlichen<br />
politischen und materiellen Voraussetzungen<br />
schufen! Weitere Informationen<br />
finden Sie auf<br />
http:// www.eka-cfe.ch/prix-integration/<br />
index.asp