4 Aufbruch Lernen und ArbeitenPer Videokonferenzzum AbiturTEXT: CHRISTOPH HENNFOTOS: MAX BRUNNERTSchulschließungen haben das deutsche Bildungssystem vor völligneue Herausforderungen gestellt, über Nacht gewannen digitaleUnterrichtsmethoden an Bedeutung. Ein Erfahrungsbericht von derAugust-Dicke-Schule, einem Gymnasium in Solingen
Schule5Tom* wirkt ein bisschen nervös, vor allem aber konzentriert. »Amerika wareinmal eine britische Kolonie«, sagt seine Lehrerin auf Englisch und fragtdann: »Auf welche Länder trifft das noch zu?« Tom überlegt kurz, ehe erauf Englisch über Indien zu sprechen beginnt. Er ist gut vorbereitet, auchdie Nachfragen beantwortet er ausführlich. Tom ist hörbar erleichtert, alsdie Befragung vorüber ist und die Lehrerin seine Leistung lobt. Immerhinwar das gerade kein einfaches Ausfragen, es war eine realitätsnahe Simulationder mündlichen Abiturprüfung in Englisch. Und auch die Umständesind alles andere als gewöhnlich: Statt im Klassenzimmer sitzt Tom zuHause vor seinem Computer. Die Lehrerin und die Mitschülerinnen undMitschüler seines Kurses hören und sehen ihn per Videokonferenz über dieBildschirme ihrer Laptops und PCs.Die virtuelle Schule ähnelt inmancherlei Hinsicht der echtenKopfhörer auf, Computer und Tablethochfahren, ab ins virtuelle Klassenzimmer:Lehrerin Petra Hobrecht beim Unterrichten.»Ich habe meine Klassen online zum Abitur geführt«, sagt Petra Hobrechtmit gelassener Stimme, als sei das eine Selbstverständlichkeit. Dabei giltgerade Deutschland nicht als Vorbild für digitale Bildung. Im Gegenteil:Als Ende 2019 die zweite Auflage der internationalen Vergleichsstudie»International Computer and Information Literacy Study« (ICILS) erschien,welche die Digitalkompetenz von Achtklässlern untersucht, waren hierzulandekaum Fortschritte zu erkennen. Wie schon 2013 schnitten deutscheSchüler im 14-Länder-Vergleich nur mittelmäßig ab. Noch schlechter sahdas Zeugnis für die Schulen aus: Nur gut drei Prozent der Lehrer bekommeneinen Computer gestellt, so wenige wie in keinem anderen deruntersuchten Länder. Während sich in Dänemark 97 Prozent der Schülerund Lehrer über digitale Lernplattformen austauschen, lag die Quote inDeutschland im Untersuchungszeitraum 2018 nur bei 17 Prozent.Petra Hobrecht und ihre Klassen gehörten schon vor der Corona-Zeitzur fortschrittlichen Minderheit. Die Gymnasiallehrerin für Englisch undMathematik befasst sich seit Jahren mit digitalen Medien in der Schulbildung.Unter anderem organisierte sie an ihrem Gymnasium, derAugust-Dicke-Schule (ADS) im nordrhein-westfälischen Solingen, dieAnschaffung von elektro nischen Tafeln und Tablet-Computern für dieOberstufe. Mithilfe der Tablets können die Schüler auch auf die elektronischeTafel zugreifen und gemeinsam Aufgaben lösen. Die zu bearbeitendenDateien werden über »Google Classroom« ausgetauscht, einerAnwendung innerhalb von G Suite for Education, in der Lehrkräfte ihrenSchülern Aufgaben zuweisen können.Als im Zuge der Corona-Krise die Schulen in Nordrhein-Westfalen schlossen,erkannte Petra Hobrecht schnell: Was sie in ihren Kursen bereits gelebthatte, könnte die gesamte Schule durch die Schließzeit tragen. Gleich amersten Tag des Lockdowns überzeugte sie einen Großteil der Kollegen vonGoogle Classroom. Dabei wurde auch über Datenschutz diskutiert. Demträgt die Schule Rechnung, indem sie ein zentrales Konto für die Plattformanlegt und die Schülerinnen und Schüler sich dort pseudonymisiert und nurfür schulische Zwecke bewegen. Zwei Tage später waren 700 Schüler abder siebten Jahrgangsstufe über individuelle E-Mail-Adressen, die wederVor- noch Nachnamen enthalten, mit der Plattform verbunden. »Wir habensogar noch Anleitungen für die Lehrer und die Schüler verfasst«, erinnertsich Hobrecht. »Dann konnte es losgehen.«Auf der Classroom-Plattformregulieren Lehrkräfte den ZutrittDie virtuelle Schule, die an der ADS in kürzester Zeit ihre Pforten öffnete,ähnelt in mancherlei Hinsicht der echten. Auf der Classroom-Plattformrichten Lehrkräfte ihre Kurse ein, aber auch Bereiche, zu denen die Kinderkeinen Zutritt haben – zum Beispiel ein Lehrerzimmer, in dem sich dasKollegium über die Erfahrungen mit dem digitalen Unterricht austauscht.Die Schüler wiederum nutzen für jedes Fach einen eigenen Bereich, indem die jeweilige Lehrkraft Aufgaben einstellt und korrigiert, aber auchErklärungen postet und Fragen beantwortet.Neben dem schriftlichen Austausch binden Hobrecht und ihre Kolleginnenund Kollegen immer wieder Unterrichtsstunden mit Videoübertragungein, in denen sich Lernende und Lehrende zumindest ähnlich wie* Name geändert