[ke:onda] Was uns verbindet
In letzter Zeit wurde oft vom Generationenkonflikt gesprochen. Doch die Spaltung in egoistische Jugendliche hier und klimaschutzfeindliche Senior*innen da ist konstruiert. Gerade in der aktuellen Krise haben viele junge Naturfreund*innen solidarisch mit angepackt.
In letzter Zeit wurde oft vom Generationenkonflikt gesprochen. Doch die Spaltung
in egoistische Jugendliche hier und klimaschutzfeindliche Senior*innen da ist
konstruiert. Gerade in der aktuellen Krise haben viele junge Naturfreund*innen solidarisch mit angepackt.
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Seite 18<br />
Feuilleton<br />
Juni 2020<br />
HeldIN der Arbeit – Svenja<br />
Die Naturfreundejugend begleitet Svenja<br />
schon ziemlich lange. Zunächst war<br />
sie in der Kinderklettergruppe und<br />
nahm an Freizeiten teil, dann gehörte<br />
sie zum Kinderrat beim Kindergipfel,<br />
besuchte verschiedene Konferenzen<br />
und Bundestreffen. Schließlich wurde sie<br />
Landesleitungsmitglied und dann Bundesfreiwillige<br />
bei der Naturfreundejugend<br />
Hessen. Außerdem teamt sie Freizeiten und<br />
schreibt für die HessenInfo, ein Infoblatt<br />
der NaturFreunde Hessen.<br />
Wer bist du?<br />
Moin! Ich bin Svenja, 21 Jahre alt und<br />
komme ursprünglich aus der Nähe von<br />
Frankfurt. Vor circa zwei Jahren bin ich ins<br />
schöne Lübeck gezogen und studiere hier<br />
Humanmedizin. Ich mache gerne Musik,<br />
bin dem Urban Jungleing absolut verfallen<br />
und versuche mich auf Demos oder in<br />
Diskussionen für naturfreundliche Themen<br />
stark zu machen.<br />
Mit wem würdest du gerne einmal frühstüc<strong>ke</strong>n<br />
und warum?<br />
Mir fällt leider gerade <strong>ke</strong>ine prominente<br />
Person ein. Allerdings gibt es einige Freund-<br />
*innen und auch Familienmitglieder, die<br />
ich schon viel zu lange nicht mehr gesehen<br />
habe…<br />
Dein Rezept gegen Stress und zu viel<br />
Arbeit?<br />
Ausflüge ans Meer mit Freund*innen, Radtouren<br />
zu den Fairteilern der Stadt und vor<br />
allem Musik! Egal ob Konzertbesuche,<br />
Chorproben oder auch alleine mit der Ukulele<br />
rumklimpern. „In this world of troubles<br />
my music pulls me through”, um es<br />
mit den Worten von John Miles zu sagen.<br />
Ohne was kannst du nicht leben?<br />
In der momentanen Lage nicht ohne Tablet<br />
und WLAN! Zum einen, um mit Freund-<br />
*innen und Familie vernetzt zu bleiben und<br />
studieren zu können. Aber auch, um weiterhin<br />
laut zu bleiben und mich nun eben online<br />
politisch zu engagieren.<br />
<strong>Was</strong> willst du der Welt mit auf den Weg<br />
geben?<br />
Basilikumblätter nicht einzeln abzupfen,<br />
sondern ganze Spitzen knapp über einem<br />
Blattpaar abschneiden, sodass mindestens<br />
eine Verzweigung übrigbleibt. Dann kann<br />
die Pflanze weiterwachsen und man hat<br />
länger Freude daran.<br />
Für mich ist die Naturfreundejugend?<br />
Ein sehr prägender Teil meines Lebens. Ich<br />
verbinde mit der Naturfreundejugend viele<br />
schöne Erinnerungen, tolle Menschen und<br />
Freund*innen, die sich für wichtige Dinge<br />
einsetzen, von denen man viel lernen kann<br />
und die einen motivieren sich weiter zu engagieren.<br />
Auch wenn immer unterschiedliche<br />
Naturfreund*innen aufeinandertreffen,<br />
wird jede*r akzeptiert, so wie sie*er<br />
ist. Ich bin sehr dankbar, Teil dieser großen<br />
Naturfreundejugendfamilie sein zu können.<br />
Das Interview führte Frank Hoppe<br />
Da werd‘ ich manchmal zur Nostalgiesela<br />
Meine Oma Clara hat gleich zwei Fluchtgeschichten<br />
durchlebt. Diese sind auch<br />
nach all den Jahren noch sehr präsent.<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg musste sie<br />
ihre Heimat im heutigen Polen verlassen<br />
und zur Zeit der deutschen Teilung ist sie<br />
aus der DDR „abgehauen“.<br />
Heute erzählt sie mir von der zweiten:<br />
1964, also drei Jahre nach dem Mauerbau,<br />
wagte meine Oma die riskante Flucht nach<br />
Westberlin zu ihrem Verlobten, meinem<br />
Opa. Dieser wartete schon sehnsüchtig<br />
auf sie und schrieb jeden Sonntag einen<br />
Brief. Wenn sie damals jemand nach ihrer<br />
Flucht fragte – ob Bekannte oder Familie<br />
– antwortete Oma Clara stets „Ich bin<br />
ein Englein geworden, mir sind Flügel gewachsen.“<br />
Nur eine einzige Freundin zuhause<br />
in Ostdeutschland wusste von ihrem<br />
Vorhaben. Mit ihr steht Oma Clara bis heute<br />
in Kontakt.<br />
In der Nacht vor dem Tag der Tage verbrannte<br />
Clara alle Briefe ihres Verlobten, um<br />
sie nicht der Stasi zu überlassen. Außerdem<br />
schickte sie ein Pa<strong>ke</strong>t mit allem, was<br />
nicht niet- und nagelfest war, zur Familie<br />
nach Sachsen-Anhalt. Denn wäre sie bei<br />
der Flucht erwischt worden, hätte Clara<br />
nicht nur um ihre Freiheit gebangt, sondern<br />
auch um die meines Opas, der Clara<br />
im Osten suchen gegangen wäre. Claras<br />
„Flügel“ wuchsen ihr am Tag darauf in der<br />
Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße.<br />
Dieser Ort wurde vom Volk „Tränenpalast“<br />
genannt, weil die DDR-Bürger*innen<br />
hier ihren West-Besuch verabschieden<br />
mussten. Auch für Oma Clara ist der Ort<br />
seitdem mit vielen gemischten Gefühlen<br />
verbunden.<br />
Wie das damals mit ihrem Fluchthelfer aus<br />
dem Westen genau ablief, möchte sie auch<br />
heute noch nicht erzählen. „Aber der liebe<br />
Gott hat’s schon gut gemeint, es hat alles<br />
geklappt“, sagt sie stattdessen. „So viel, wie<br />
ich in den Tagen geschwindelt hab’, habe<br />
ich in meinem ganzen Leben nicht mehr<br />
gelogen.“ Erst 1972 durfte Oma Clara wieder<br />
die Familie im Osten besuchen, in dem<br />
Jahr wurde auch meine Mama geboren.<br />
Ein Glück, dass meiner Oma „Flügel“ gewachsen<br />
sind.<br />
von Michèle Guyot