Im Blick Nr. 136
Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinden Lippstadt und Benninghausen
Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinden Lippstadt und Benninghausen
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… im Blick
175 Jahre Jakobikindergarten
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Gemeindebrief Nr. 136 Mai bis Juni 2020
4 12 14
3
Kind, du bist uns
anvertraut!
Andacht
4
Der erste Kindergarten in
Lippstadt
Rückblick
7
Es ist ein eigentümlich
Ding
Kleinkindbetreuung 1862
9
Der Beruf des Erziehers
im Wandel
Eine historische Betrachtung
12
Von Puppen ohne Kopf
Erinnerungen aus drei
Generationen
15
Meine Zeit im
Kindergarten 1971-73
18
Aus dem Presbyterium
19
Adressen
20
Interview
In eigener Sache
Liebe Leserin, lieber Leser!
Gerade als die nächste Ausgabe
des Gemeindebriefs Mitte
März in Druck gehen sollte,
legte die Corona-Krise das öffentliche
Leben lahm. Zum
Schutz der Verteiler und weil
der Inhalt der Ausgabe von
einem Moment auf den
anderen überholt war, haben
wir uns entschieden, die Ausgabe
zu verschieben.
Noch immer befinden wir uns
in einem Ausnahmezustand.
Daher lesen Sie heute „nur“
vom Jubiläum des Jakobikindergartens,
denn das möchten
wir Ihnen auf keinen Fall
vorenthalten.
Viel Vergnügen wünscht Ihnen
das Redaktionsteam!
2
Kind, du bist uns anvertraut!
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Andacht von Pfarrer Thomas Hartmann
"Wenn Du ein Kind siehst, begegnest Du Gott auf frischer Tat". Dieser Satz geht auf
Martin Luther zurück. Mit Humor, Liebe und Nervenstärke erzieht Luther gemeinsam
mit seiner Frau Katharina sechs eigene und zahlreiche andere Kinder von Verwandten
wie Freunden. Der große Reformator hält Kinder für die »größte und schönste Freude
im Leben«. Luther denkt dabei vermutlich an Psalm 127, Vers 3: „Siehe, Kinder sind
eine Gabe des Herrn.“
Heutzutage scheinen Gespräche über
Gott und den eigenen Glauben eher selten
geworden zu sein. Die religiöse Seite
der Erziehung, die bei Luther selbstverständlich
war, ist bei vielen in den Hintergrund
gerückt. Auf die Frage nach
Erziehung hätte Jesus vermutlich geantwortet:
„Du sollst den Herrn, deinen
Gott, lieben von ganzem Herzen, mit
ganzer Hingabe und mit deinem ganzen
Verstand. Das ist das erste und wichtigste
Gebot. Ebenso wichtig ist aber ein
zweites: ›Liebe deinen Mitmenschen wie
dich selbst.‹ Alle anderen Gebote und
alle Forderungen der Propheten sind in
diesen beiden Geboten enthalten“.
Zum Kindsein gehört: spontan sein, im
Augenblick leben, staunen können, verletzlich
sein. Dazu gehört auch bedingungslos
vertrauen und lieben zu können.
„Kind, du bist uns anvertraut,
wozu werden wir dich bringen?“, heißt
es in einem Lied zur Taufe. Kinder sind
eine uns anvertraute Gabe Gottes. Es
gibt kein größeres Geschenk und keine
herausforderndere Aufgabe. Wie werden
wir dieser Herausforderung gerecht?
Wir können unsere Kinder und
unsere Sorge um sie im Gebet vor Gott
bringen und ihn um Bewahrung und
Begleitung bitten. Wir können unseren
Kindern erzählen, was unser Leben hält
und trägt. Dabei helfen die Geschichten
aus der Bibel, mit denen wir selbst glauben
gelernt haben. Seit dem Jahr 1845
versteht sich der Jakobikindergarten als
Wegbegleiter und -bereiter für die ihm
anvertrauten Kinder. Hier hören sie,
dass bei Gott nicht nur die Erwachsenen
eine Rolle spielen. Beim Spielen, beim
gemeinsamen Essen und in Andachten
erleben sie, dass sie Gott besonders am
Herzen liegen. "Lasst die Kinder zu mir
kommen“, sagte Jesus. Und er warnt:
„Hindert sie doch nicht daran! Wer das
Reich Gottes nicht so annimmt wie ein
Kind, wird nicht hineinkommen!".
Für Gott sind Kinder keine Last. Er findet
sie nicht nervig oder störend. Gott
liebt Kinder und hat einen Plan für ihr
Leben. So heißt es in Psalm 8: „Aus dem
Lobpreis der Kinder und Säuglinge
baust du (Gott) eine Mauer, an der deine
Widersacher und Feinde zu Fall kommen.“
Ich wünsche uns, dass der Glaube
an Gott in der Begleitung der Kinder, sei
es in der Familie, in den Tageseinrichtungen
oder in Schule und Gemeinde
einen festen Platz findet.
3
Titelthema
Der erste Kindergarten
in Lippstadt
• • • • • • • • •
Dr. Eva-Maria Dahlkötter
Meine Nachforschungen in den Kirchenarchiven und im Stadtarchiv ergaben, dass die
Kleinkinder-Bewahranstalt schon im November 1845 eröffnet wurde. (…) Was war die
Veranlassung zu diesen bis heute uns so vertrauten Formen der Zuwendung und Fürsorge
für Kinder nicht nur im Raum der Familie und der Schule?
4
Die Anfänge liegen in den ersten Jahrzehnten
des 19. Jahrhunderts. Damals
erlebte Europa eine Epoche langer Kriege,
eine tiefe Erschütterung der alten
monarchischen Ordnung, schwere wirtschaftliche
Krisenzeiten und die Veränderungen,
die der Prozess der Industrialisierung
bewirkte und die zu tiefgreifenden
Veränderungen der Gesellschaft
führte. (…)
Teufelskreis der Armut
Die Nöte waren in Lippstadt sicher nicht
größer als anderswo. Sie zeigten sich in
Armut, schlechten Wohnverhältnissen,
Seuchengefahr und mangelnder Ausbildung,
später würden Ökonomen und
Soziologen von einem „Teufelskreis der
Armut“ reden. Es gab in Lippstadt Persönlichkeiten,
die diese Nöte nicht nur
wahrnahmen, sondern die Initiative
ergriffen und dabei tatkräftige Förderer
fanden. (…)
Im Mittelpunkt der Bemühungen um die
Betreuung der Kleinkinder der Unterschicht
steht Gangolf Dreieichmann, von
1840-1890 Pfarrer der Großen Mariengemeinde.
Als Mitglied der Schulkommission,
bei der Verwaltung des Armenfonds
und bei seinen Hausbesuchen
erlebte er, dass Armut und schlechte
Wohnverhältnisse zu einer Überforderung
der Familien führten. Die durch
die Not erzwungene Arbeit der Frauen
der Unterschicht (…) führte dazu, dass
ihre Kleinkinder nicht ausreichend versorgt
und gefördert wurden.
Mängel bei Pflege und Ernährung
Die erzieherischen Kräfte der Mutter
erlahmten oft, die Mängel zeigten sich
dann bei den Kindern bei der körperlichen
Pflege, der Ernährung, der geringen
Zuwendung und bei der sittlichen
Erziehung. (…) Nicht die Kommune
wurde (nun) aktiv, auch nicht die Presbyterien
der beiden evangelischen Kirchengemeinden.
Angeregt von Friedrich
Bertram, Bürgermeister von 1830-1848,
und Gangolf Dreieichmann wurde ein
privater Verein gegründet, ordnungsgemäß
mit Statuten, einer ehrenamtlichen
Geschäftsführung und Rechnungslegung.
Dieser Verein wandte sich an die
Öffentlichkeit und bat um Spenden und
um Mitarbeit von „achtbaren Personen“,
insbesondere Frauen und Jungfrauen,
die die Lehrerin, bald Kinderpflegerin
genannt, in der Kleinkinderschule mit
Rat und Tat begleiten sollten.
Verein betreibt erste
Kleinkinder-Bewahranstalt
Dieser private Verein, von dem zeitweilig
bis zu 120 Kleinkinder betreut wurden,
hat in dieser Form für mehr als 50
Jahre bestanden. (…) In den ersten Jahren
stellte die Stadt (Bürgermeister Bertram)
Räumlichkeiten in den heruntergekommenen
Klostergebäuden von St-
Annen-Rosengarten zur Verfügung. (…)
Dann fand sich Unterschlupf im neugebauten
evangelischen Hospital an der
alten Soeststraße, später im neugebauten
Gemeindehaus, dann in der Elementarschule.
Welch eine Verbesserung, als
Fräulein Marie Epping, Mitglied des
Vorstandes, aus eigenen Mitteln ein
Haus an der Wilhelmstraße (jetzt Woldemei
16) baute und es dem Verein zur
Verfügung stellte, das war 1877. Zwanzig
Jahre später würde sie es der evangelischen
Kirchengemeinde schenken.
Fräulein Epping spendet erstes Haus
Welches waren die Ziele der Kleinkin-
5
derarbeit? (…) Die ursprüngliche Bestimmung
war das Beaufsichtigen von
Kleinkindern, deren Eltern außer Haus
arbeiteten. Für sie brauchte kein Schulgeld
bezahlt zu werden. Als wegen der
erzieherischen Arbeit, die der Kindergarten
doch wohl leistete, auch Eltern
der Mittelschicht die Aufnahme ihrer
Kinder wünschten, mussten sie Schulgeld
bezahlen.
Damals schon ökumenisch
Es ist bemerkenswert, dass der Kindergarten
zeitweilig bis zu 40% katholische
Kinder aufgenommen hatte. (…) In den
„Statuten“ wird umrissen, was als wünschenswertes
Ergebnis der Förderung in
der Kleinkinderschule erachtet wird:
§ 3: „Die Aufsicht über die Anstalt, so
wie das Bewahren, Beschäftigen und
spielende Unterrichten der Kinder
wird einem geeigneten Frauenzimmer
von ernstem, sittlichen
Charakter und
christlicher Gesinnung
anvertraut,
welche
zugleich
die Gabe besitzt, die Kinder in
liebevoller Weise zum Gehorsam, zur
Ordnung und Reinlichkeit anzuleiten,
fröhlich zu unterhalten, zu beschäftigen,
und soviel passlich, nebenbei zu unterrichten.“
Die Ausbildung war von den
pädagogischen Vorstellungen von Friedrich
Fröbel beeinflusst. (…) Ferner ging
es ihm um die sozialpädagogische Unterstützung
der Familie. (…)
Kirche in Verantwortung für die
christliche Sozialisation der Kinder
Die Frauen, die sich über Jahrzehnte für
„ihre“ Kleinkinderschule engagierten,
waren Angehörige der bekannten Familien
der Lippstädter Ober- und Mittelschicht.
Bei näherer Betrachtung zeigt
sich, dass ihre Motivation u.a. gespeist
wurde aus dem Zusammengehörigkeitsgefühl
dieser (damals noch vorwiegend
evangelischen) Kreise, aus sozialem
Engagement und, wenn sie aus christlicher
Verantwortung wuchs, dann aus
der Überzeugung, dass die Kirche, die
die Säuglingstaufe vornahm, damit
auch die Aufgabe habe, die Sozialisation
dieser Kinder durch Hilfe
und Erziehung zu fördern. Dies
fasste man damals unter dem
Begriff „Innere Mission“
zusammen.
(Auszüge des Artikels in
den Heimatblättern, Band
80, aus dem Jahr 2000)
6
Haus des Fräulein Epping, Woldemei 16
Pro und contra Kleinkinderbetreuung außer Haus (Lippstadt, 1862)
Es ist ein eigentümlich Ding
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Dr. Claudia Becker, Leiterin des Stadtarchivs
In einer Serie über Lippstädter Zustände befasst sich ein nicht namentlich genannter
Autor in „Der Patriot“ vom 1. November 1862 ausführlich mit der „Kleinkinderschule“,
die er auch schon als „Kindergarten“ bezeichnet. Das Eigenthümliche daran besteht in
einem durchaus zwiespältigen Urteil über diese neuen Einrichtungen:
Von unbestreitbarem Nutzen, ja, unentbehrlich
sind sie bei Familien, in welchen
vielleicht die Mutter fehlt oder
beide Eltern angewiesen sind, außerhalb
des Hauses ihr Brod verdienen zu müssen,
in diesem Falle bewahren solche
Institute die Kinder vor dem gefährlichen
Alleinsein zu Hause und vor dem
Verkommen, sie bieten eben einen Ersatz
für mangelndes Familienleben.
Die Hauptlast anderen aufbürden
Ganz anders sieht das aus bei Wohlhabenderen,
die ihre Sprösslinge nun nicht
aus einer Notlage heraus in die Kleinkinderschule
schickten. Diesen Eltern
macht der Autor zum Vorwurf, dass sie
schon so früh darauf ausgehen, sich die
Erziehungspflicht bequem zu machen
und deßhalb die Hauptlast lieber Andern
aufzubürden. Von diesem Gesichtspunkte
aus sind jene Schulen in
mancher Hinsicht ein Verderb, sie entfremden
dem wahren Familienleben,
tragen dazu bei, Eltern und Kinder
schon früh gegen einander gleichgültig
zu machen. Hier geht es nicht um professionelle
pädagogische Konzepte für
frühkindliche Förderung – das einzig
Wahre ist das biedermeierlichbehütende
Elternhaus. Entsprechend
kritisch fällt das Urteil über solche
Herren Eltern [!] aus, welche sich entweder
selbst nicht genug Erziehungstalent
zutrauen oder zu bequem sind, die al-
Warum gehst du gerne in den Kindergarten?
Was ist schön?
Im Kindergarten spiele ich
gerne mit Elisabeta,. Wir bauen
immer mit Magneten.
Das gemeinsame Singen mag ich
sehr gerne.
Hauen mag ich nicht.
Ugur, 5 Jahre
7
lerdings schwere Erziehungskunst zu
üben.
Die befürchtete Entfremdung war für
den Schreiber vor allem eine Folge der
vielen Stunden, die die Kinder nicht bei
ihren Familien verbrachten. Es klingt
fast nach Ganztagsbetreuung, werden
doch die kleinen Würmer von 9 – 12 Uhr
des Morgens und
von 1 – 5 Uhr […]
des Nachmittags
dorthin geschickt.
(Nach der Instruction
für die Lehrerin
von 1846 ging
es morgens sogar
schon um 7 Uhr
los!) Die Kinder
kommen daher beinahe nur zum Essen
und Schlafen nach Hause. Oder nicht
einmal das: Bei schlechtem Wetter lassen
manche Eltern ihren Kindern das Essen
hinbringen, so daß sie vom Morgen bis
zum Abend außerhalb des elterlichen
Hauses sind.
Immerhin scheint die Betreuung passenden
Händen anvertraut gewesen zu
sein: Mit Spiel, Gesang und spielendem
Unterricht wird den Kleinen nicht nur
die Zeit passend vertrieben, sondern sie
lernen auch mancherlei. Letzteres bestand
nach einem Artikel im Wochenblatt
für den Kreis Lippstadt (5.7.1846)
in Singen, Buchstabiren, Zählen, bibl.
Geschichte etc. auf eine ihrem Alter angemessene
Art und Weise.
„Daß in die zarten Kinderseelen
der religiöse Sinn gepflanzt
wird, ist gewiß nur zu billigen,
aber es bedünkt uns doch übertrieben
…“
Allerdings wurde
1862 für den Geschmack
des Verfassers
– was heute
überraschen
mag – im Kindergarten
entschieden
zu viel gebetet,
nämlich viermal
am Vor- und vielleicht entsprechend
nochmal am Nachmittag. Es werde
in der sogenannten frommen Richtung
kein Maß gehalten. Daß in die zarten
Kinderseelen der religiöse Sinn gepflanzt
wird, ist gewiß nur zu billigen,
aber es bedünkt uns doch übertrieben …
Gebetet wurde demnach morgens zur
Eröffnung, dann vor und nach dem Ver-
Was hat dir am Jakobikindergarten gefallen?
Am besten gefallen hat mir die
Bio-AG, weil wir da immer so
viel bei der Stiftsruine waren
und draußen Sachen gesucht
haben. Ich hab sogar ein vierblättriges
Kleeblatt gefunden.
Bei den Kleinen mitessen war
toll, weil ich da helfen konnte
und den Kleinen auch ein paar
Tisch-manieren beibringen
konnte.
Julian, 7 Jahre
8
zehr der (mitgebrachten) Butterbrote
sowie am Ende des Schultags. Das Urteil
von 1862 dazu: Solche Übertreibungen
müssen schädlich wirken sie haben zur
Folge vor Allem die Gewöhnung an ein
gedankenloses Geplärre.
Doch damit ist die Liste der Kritikpunkte
noch nicht am Ende. Als völlig unzureichend
bewertet der Artikelschreiber
die räumliche Unterbringung, die Localität
[…], in welche man diesen sogenannten
Kindergarten hineingestopft
hat! Man verlangt doch von einem
Raum, in welchem wohl 50 Kinder zu
langem, oft tagelangem Aufenthalt versammelt
werden, daß er geräumig, luftig
und mit hinreichendem Lichte versehen
sei, speziell für diesen Zweck will
man einen großen Spiel- und Turnplatz.
Doch weder der Innen- noch der Außenbereich
genügte diesen Anforderungen:
Das Zimmer ist ein niedriger Raum von
nur mäßiger Größe […]. Auch der Spielplatz
sei viel zu klein und durch einen
Bretterverschlag vom anstoßenden Garten
getrennt, so daß im eigentlichen Sinne
des Wortes den kleinen Würmern die
Welt mit Brettern zugenagelt ist. Dieser
Platz ist noch geziert mit einem unsagbaren
Orte [das „stille Örtchen“] und
durch eine Pumpe beengt, bestreut ist er
allerdings in passender Weise mit Sand.
Da wimmelt es denn, wenn es zum Spiel
und Butterbrodverzehren geht, wie in
einem Ameisenhaufen.
Angesichts der unhaltbaren Zustände
fordert der Autor ein stärkeres finanzielles
Engagement zahlungskräftiger Eltern:
Sie, denen durch diese Einrichtung
eine so wesentliche Erleichterung zu
Theil wird, könnten diesen Vortheil etwas
theurer bezahlen.
Der gesamte Zeitungsartikel von 1862,
der hier nur in Auszügen wiedergegeben
werden konnte, ist ein überaus lesenswertes
Zeugnis für eine frühe Auseinandersetzung
mit der neuen Form
der Kleinkinderbetreuung außerhalb des
Elternhauses in Lippstadt.
Der Beruf des Erziehers im Wandel
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Prof. Dr. Jürgen Overhoff, Historiker
Wer sich heute entscheidet, als Erzieherin oder Erzieher pädagogisch tätig zu sein, bekennt
sich zu einem Berufsbild, das außerordentlich vielfältige Arbeitsmöglichkeiten
bietet. Weibliche oder männliche Erzieher können beispielsweise in Kindergärten oder
Kitas wirken, auch in Erholungs- und Ferieneinrichtungen, in Jugendverbänden, in Freizeitheimen,
in sozialpädagogischen Wohngemeinschaften sowie in Kinderkliniken. Diese
Vielfalt war bei weitem nicht gegeben, als sich die Tätigkeit der Erzieherin erstmals
als selbständiger Beruf mit zugehörigem Ausbildungsgang etablierte.
9
Zwischen 1840 und 1850 wurde zuerst
in Deutschland die Notwendigkeit einer
institutionalisierten frühkindlichen Erziehung
erkannt. In diesem Jahrzehnt
finden sich plötzlich an ganz verschiedenen
Orten neue „Kinderschulen“. So in
Lippstadt – und auch in Darmstadt. Es
war der Darmstädter Lehrer Julius Fölsing,
der an die von ihm betriebene
Kleinkinderschule gleichzeitig eine Ausbildungsstätte
für Erzieherinnen anschloss:
„Wollen wir tüchtige Kinderschulen
haben“, betonte er im Jahr 1843,
„dann müssen wir erst besser, tiefer
ausgebildete Erzieherinnen haben, und
nicht jede Person, die sich als Erzieherin
anmeldet, sogleich als solche annehmen“.
Ähnliches forderte zur selben Zeit
ein Pädagoge in Thüringen, der für die
Herausbildung eines klar konturierten
Berufsbildes der Erzieherin von noch
größerer Bedeutung war. Die Rede ist
von dem Pestalozzi-Schüler Friedrich
Fröbel.
Fröbel wollte die in seiner „Kinderpflege
- und Beschäftigungsanstalt“ arbeitenden
jungen Frauen so ausbilden, dass sie
bestimmte Bedingungen erfüllten: Sie
sollten mit den Gesetzen der Natur vertraut
sein, pädagogische und psychologische
Grundkenntnisse erwerben, sie
reflektieren und in praktisches, meist
spielendes Tun übertragen. Zudem sollten
sie in der Beobachtung der kindlichen
Entwicklung geschult werden sowie
methodisch und musisch gewandt
und einfühlsam sein. Und Fröbel schuf
eigens für diese jungen Frauen eine neue
Berufsbezeichnung. Er nannte sie
„Kindergärtnerinnen“. Schon seiner
Anstalt hatte er 1840 den Namen
„Kindergarten“ gegeben, mit folgender
Begründung: „Wie in einem Garten unter
Gottes Schutz und unter der Sorgfalt
erfahrener, einsichtiger Gärtner im Einklang
mit der Natur, so sollen hier die
edelsten Gewächse, Menschen, Kinder
als Keime und Glieder der Menschheit,
in Übereinstimmung mit sich, mit Gott
und der Natur erzogen werden“.
Wie alle anderen Pioniere auf dem Gebiet
der Erzieherinnenausbildung zeichnete
auch Fröbel, der Erfinder des Kindergartens,
als Berufsbild des Erziehers
die Tätigkeit der liebevoll-mütterlich
wirkenden Frau. Er schrieb: „Je ungeteilter
ich mich der ersten Kinderpflege
hingebe, desto mehr sehe ich ein, daß
dasjenige, was notwendig für die erste
10
Erziehung des Menschgeschlechtes, für
die Kindheit geschehen muß, am wenigsten
durch den Mann und besonders
nicht durch ihn vereinzelt geschehen
kann, sondern daß
ihm vor allem der
weibliche mütterliche
Sinn der Frauen, die
weiblich mütterliche
Liebe zur Seite stehen
muß“. Die professionelle
Erziehung von Kleinkindern war
demnach Sache der Frau. Diese Vorstellung
vom Berufsbild der Kindergärtnerin
hielt sich hartnäckig. Der entscheidende
Sinneswandel erfolgte im Grunde
erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts,
im zeitlichen Umfeld des Epochenjahres
1968.
Im März 1967 beschlossen die Kultusminister
der Länder die Ausbildung für
sogenannte sozialpädagogische Berufe
neu zu ordnen. Betont wurden die großen
Gemeinsamkeiten und Parallelen
der pädagogischen Tätigkeiten im Kindergarten
und in der Jugendhilfe, so
Schon seiner Anstalt
hatte er 1840 den Namen
„Kindergarten“ gegeben.
dass die Kultusministerkonferenz die
Vereinigung beider Ausbildungsgänge
beschloss. Zukünftig sollten deren Absolventen
in den ganz verschiedenen
pädagogischen Bereichen
tätig werden –
und es wurde einheitlich
die Berufsbezeichnung
„Erzieher“ eingeführt.
Seither können
auch Männer als
Erzieher im Kindergarten arbeiten. Das
heute gültige Berufsbild des Erziehers
wurde also vor etwa 50 Jahren geprägt.
Doch männliche Erzieher sind in den
Kitas noch immer unterrepräsentiert. In
Hamburg und Bremen sind zwar immerhin
fast zehn Prozent der Erzieher in
den Kitas männlich, in Bayern sind es
jedoch nur zwei Prozent. Doch selbst
über solche Zahlen hätte sich Fröbel vor
175 Jahren doch sehr gewundert.
Was gefällt dir am Jakobikindergarten?
Wenn im Sommer mit dem
Gartenschlauch gespritzt wird
und ein Regenbogen kommt.
Dass ich mit meinen
Freunden spielen kann.
Ich feiere gerne Weihnachten
im Kindergarten.
Ich bin gerne in der Turnhalle.
Elisabeta, 6 Jahre
11
Von Puppen ohne Kopf
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Lilo Peters und Martina Finkeldei
Alte Zeiten werden dann besonders lebendig, wenn es gelingt, mit Zeitzeugen hautnah
ins Gespräch zu kommen. Wir, Martina Finkeldei und Lilo Peters, hatten das Glück, mit
drei Frauen über ihre Erinnerungen an den Jakobikindergarten zu sprechen und erfuhren
dabei manches, was wir so nicht wussten.
Dr. Eva Dahlkötter hat 1995 zum
150-jährigen Jubiläum den Artikel „Wie
kam es zum ersten Kindergarten in
Lippstadt“ geschrieben. Sie selbst besuchte
den Kindergarten nicht. Da ihre
jüngeren Geschwister aber dort betreut
wurden, kennt sie den Kindergarten aus
den 30er Jahren. Charlotte Jungeblodt ist
als kleines Mädchen Anfang der 40er
Jahre zum Jakobikindergarten gegangen.
Sigrid Moersener hat Anfang der
60er Jahre dort als Kindergärtnerin gearbeitet.
Frau Dr. Dahlkötter erzählt, wie anfangs
hauptsächlich Kinder „arbeitender“
Frauen zum Kindergarten gingen. Wir
sprechen dann über die 1930er, 40er
Jahre. In dieser Zeit schickte das evangelische
Bürgertum in der Stadtmitte seine
Kinder selbstverständlich in den nahegelegenen
Jakobikindergarten. Sie sollten
frühzeitig lernen, sich in einer Gruppe
einzufinden. Charlotte Jungeblodt,
geb. Langeneke, bestätigt das. Ihre Eltern
hatten eine Landwirtschaft, es gab
ein Kindermädchen und dennoch besuchten
die Kinder den Kindergarten.
Wir fragen, mit was die Kinder damals
spielten. Frau Dr. Dahlkötter ist 1923
geboren. In dieser Zeit spielten die Kinder
selbstverständlich auf der Straße.
Noch bevor sie richtig sprechen konnte,
lief die kleine Eva alleine vom Elternhaus
in der Spielplatzstraße zur Großmutter
in die Poststraße. Charlotte Jungeblodt
erinnert sich besonders an ihre
Puppen: „Die konnte man waschen,
dazu wurde der Kopf vom Körper abgetrennt.“
Im Kindergarten wurde allerdings
weniger mit Puppen gespielt als
vielmehr draußen Zeit verbracht. Vor
allem im Sommer war man viel im Innenhof,
dort fand praktisch der ganze
12
Kindergartentag statt. Ansonsten
wurde viel gesungen
und gemalt. Die früh gelernten
Lieder und Gedichte sind
ihr bis heute im Gedächtnis.
Dazu gehören christliche Kinderlieder
wie „Weil ich Jesu
Schäflein bin“, aber eben
auch für die Nazizeit typische
Hymnen auf Hitler. So lernten
im evangelischen Jakobikindergarten
in unserer Stadt
in den 40er Jahren kleine Kinder
folgenden Vers: „Hände
falten, Köpfchen senken und
an Adolf Hitler denken, der
uns schenkt das täglich‘ Brot
und uns hilft aus aller Not.“ „Das war
damals so, wir feierten auch Hitlers Geburtstag,
stellten uns dazu unter sein
Bild im großen Raum und sangen
‚Grüßt die Fahnen‘“. „Die bürgerliche
Elite nahm das hin. Das waren keine
bekennenden Nazis, alle Bereiche der
Gesellschaft waren gleichgeschaltet“,
bestätigt auch Dr. Eva Dahlkötter. Einmal
die Woche gab es aber auch eine
biblische Geschichte.
Und wie sah es im Kindergarten aus?
Alle Frauen erinnern sich an die kleinen
Kindermöbel und die Bilder an den
Wänden. Es waren Drucke mit Märchenmotiven,
insbesondere ein Rotkäppchenfries
ist im Gedächtnis geblieben.
Kreuze an der Wand gab es wohl
nicht, aber Christusbilder, z.B. mit Jesus,
dem Kinderfreund. Der Tagesablauf
Warum bist du als Kind gerne in den Ev. Jakobikindergarten
gegangen?
Mir hat es Spaß gemacht, mit
meinen Freunden zu frühstücken
und mich dann in der Kinderwohnung
zu verkleiden.
Am besten fand ich die Experimente,
genauso wie die Holzwerkstatt
und die Geschichten
aus der Bibel
zu hören.
Sally-Ann, 14 Jahre
13
begann wie heute mit dem Morgenkreis.
Die Kinder brachten ihr Frühstück selber
mit. Es gab auch eine Nachmittagsbetreuung.
Mittags wurde allerdings
zuhause gegessen.
Wie in vielen Erinnerungen
an die Zeit
damals im Jakobikindergarten
kommt
auch in unserem Gespräch
die Rede auf
Schwester Else. Für den Kindergarten
als Institution wie auch für die Kinder
selbst muss sie eine sehr prägende Persönlichkeit
gewesen sein. Wir wollen
wissen, warum. „Sie war so mütterlich.
Ich habe immer ihre Kleidung bewundert.
Als Diakonisse hatte sie dieses
blaue Kleid mit kleinen, weißen Pünktchen
an. Der Rock war ausladend wie
ein Kaffeekannenwärmer“ erzählt Charlotte
Jungeblodt.
1962/63 arbeitet Sigrid Moersener als
Kindergärtnerin und Hortnerin im
Jakobikindergarten. Das Berufsbild
Evangelisch sein heißt:
Ich kann frei denken!
„Hortnerin“ bezieht
sich auf die Betreuung
der Schulkinder nachmittags
im Hort. Einmal
in der Woche stand
eine biblische Geschichte
auf dem Programm.
Die legendäre Schwester
Else übernahm dabei
die Gruppe der großen,
bald einzuschulenden
Kinder. Sigrid Moersener
war für die Drei
- bis Fünfjährigen zuständig:
„Ich kann mir
heute gar nicht mehr vorstellen,
wie wir das damals
mit 38 Kindern in einer Gruppe
geschafft haben!“
Gab es auch katholische Kinder in den
Gruppen? „Zu unseren Zeiten nicht“, ist
die einhellige Antwort. „Es war damals
klar, dass die katholischen
Kinder zum St.
Nicolai-Kindergarten
gingen und wir Evangelischen
zu unserem
Kindergarten.“ Es ist
ein gewisser Stolz herauszuhören, wenn
unsere Gesprächspartnerinnen vom
evangelischen Kindergarten erzählen.
Charlotte Jungebloth bringt es auf den
Punkt, wie nachhaltig sie das evangelische
Profil des Kindergartens geprägt
hat: „Ich bin gut evangelisch. Das ist
meine Kirche. Evangelisch sein heißt: Ich
kann frei denken.“
14
Meine Zeit im Jakobikindergarten 1971-73
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • •
Prof. Dr. Jürgen Overhoff, Historiker
Als ich vor einem halben Jahrhundert, an einem Herbsttag des Jahres 1971, von meiner
Mutter am zeitigen Morgen direkt nach dem Frühstück in den Evangelischen Kindergarten
gebracht wurde, war ich vier Jahre alt. Der Jakobikindergarten lag nur einen zehnminütigen
Fußweg von unserer Wohnung entfernt. Ich hatte so gar keine Ahnung, was
mich dort erwarten würde.
Bis dahin hatte ich die Vormittage ausschließlich
daheim verbracht. Meine
Mutter war Hausfrau. Sie hatte in unserer
Küche für mich einen kleinen Tisch
in eine Nische gerückt, an dem ich in
ihrem Beisein, wenn sie spülte oder bügelte,
mit Wasserfarben malen oder basteln
und – ja, auch lesen konnte. Meine
Mutter hatte mir nämlich, weil ich sehr
danach verlangte und ein entsprechend
großes Interesse zeigte, bereits im Sommer
1971 das Lesen beigebracht. Ich las,
soviel ich konnte. Nachmittags spielte
ich häufig mit meiner größeren Schwester,
die fünf Jahre älter war und schon
längst zur Schule ging. Ich schob dann
auch gerne im Kinderzimmer meine
Spielzeug-Matchbox-Autos in langen
Reihen über den Teppich. Überdies
hatte ich eine Lego-Eisenbahn, die mir
viel bedeutete. Doch liebte ich besonders
die morgendlichen Tageszeiten, an denen
ich mich an meinem Lese-, Bastelund
Maltisch vergnügte.
Mit dem Gang in den Kindergarten änderte
sich mein so behüteter und geliebter
Tagesrhythmus auf dramatische
Weise. So empfand ich es jedenfalls damals.
Trotz des guten Zuredens meiner
Mutter mochte ich nicht im Kindergarten
bleiben. Ich weinte, hatte Bauchschmerzen
und wollte partout nicht in
die Obhut der Erzieherinnen übergeben
werden. Mir bedeutete die große
Gruppe der dort spielenden Kinder, von
denen ich keines kannte, rein gar nichts.
Ich wollte zuhause bleiben. Jeden Morgen,
wenn ich im Kindergarten abgegeben
wurde, weinte ich bitterlich. Das
ging so einige Wochen, immer wieder
Warum gehst du gerne in den Kindergarten?
Was ist schön?
Spielen, malen, basteln finde ich im
Kindergarten schön.
Das gemeinsame Singen mag ich
gerne.
Kathy, 5 Jahre
15
Warum gehst du gerne in den Kindergarten?
Was ist schön?
Ich spiele gerne oben in der Turnhalle.
Ich gehe gerne in den Maxi-Club
und singe.
Die Erwachsenen spielen Gesellschaftsspiele
mit uns.
Ich kann meinen Geburtstag im Kindergarten
feiern .
Mazen, 5 Jahre
aufs Neue, bis es der Leiterin des Kindergartens
eines Tages zu bunt wurde.
Sie, eine Diakonisse in schwarzer Tracht
und mit weißer Haube, die mich immer
freundlich und milde aufgenommen
hatte, um mir einen möglichst
angenehmen Empfang
zu bereiten, wies
mich diesmal streng zurecht,
schimpfte mit mir
und sah mich dabei sehr
ernst an, bis ich aufhörte
zu weinen. Dann führte
sie mich zu einem Jungen,
der wohl der Gutmütigste
der ganzen
Gruppe war. Er hieß
Knut. Dieser Junge schaute mich mit
seinem dunklen Lockenkopf, einem
blassen Gesicht und treuen braunen
Augen ruhig an, um mir dann zu sagen,
dass er mein Freund sei. Fortan waren
wir unzertrennlich. Und die Diakonisse,
die Schwester Else hieß, wurde mir zu
einer lieben Vertrauensperson.
So verlief die erste Etappe einer Entwicklung,
die man im Akademikerjargon
Sozialisation nennt. Denn darum
Die schwarzweiße
Tracht der Diakonissen
strahlte Autorität,
Schlichtheit, Verlässlichkeit
und Ernsthaftigkeit
aus
ging es im Kindergarten ja: Man musste
lernen, in einer Gruppe von Fremden
zurechtzukommen, mit denen man zunächst
nichts zu tun haben wollte. Und
die Kindergärtnerinnen, die Schwestern
– neben Else gab es noch
die Schwester Erna –,
halfen dabei. Ihnen zur
Seite standen übrigens
immer auch Praktikantinnen,
die sich für den
Beruf der Erzieherin interessierten.
Doch da diese
regelmäßig wechselten,
blieben die Diakonissen
die entscheidenden Bezugspersonen.
Schwester
Else war – jedenfalls meine ich mich
daran erinnern zu können – eine besonnene
und gewissenhafte Betreuerin, die
genau wusste, wieviel Zeit dem angeleiteten
Basteln oder Einüben von Theaterstücken
gehörte und wie viele Stunden
dem freien Spiel.
Im Winter spielten wir in einem geräumigen
Saal. Obwohl ich mit Knut und
den anderen Kindern, die ich jetzt immer
besser kennenlernte, täglich mit den
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Autos spielte, verbrachte ich auch gerne
mit den Mädchen viel Zeit vor der Puppenstube.
Mich reizten die vielen Stockwerke
mit den hübsch eingerichteten
Zimmern und den kleinen Puppen zu
Rollenspielen. Schwester Else lies die
Jungen mit den Puppen spielen und die
Mädchen mit den Autos – je gemischter
das Spielverhalten war, umso besser. Im
Sommer konnten wir uns dann in einem
riesigen Sandkasten austoben, der im
großen Innenhof des Kindergartens untergebracht
war. Einmal geschah es dort
in der Osterzeit des Jahres 1973, dass
sich das große Tor zur Straße – mit den
beiden Metalltüren, die doch sonst immer
verschlossen blieben – plötzlich und
unerwartet öffnete. Herein zu uns in den
Hof trat ein Mädchen. Sie trug einen
Teddybären unterm Arm, hatte eine
Schleife im Haar und wirkte sehr
schüchtern. Alle Kinder im Sandkasten
blickten zu ihr auf. Dann brach Jubel
aus, denn das Mädchen war Anita Campo.
Sie war die Tochter des italienischen
Eisverkäufers, der im Winter mit seiner
Familie südlich der Alpen lebte, um ab
Ostern die Eisdiele in Lippstadt zu betreiben,
bis zum Ende der Saison im
Herbst. Mit Anita brach der Sommer an.
Nach diesem Sommer wurde ich in die
Grundschule eingeschult. Vom ersten
Tag an hielt ich mich dort gerne auf.
Obwohl ich außer meinem Kindergartenfreund
Knut dort niemanden kannte,
machte mir das nun nichts mehr aus. Ich
hatte im Kindergarten meine Lektion
des Eingewöhnens in neue, fremde
Gruppen gelernt. Schüchtern oder weinerlich
war ich jetzt nicht mehr. Noch im
ersten Schuljahr wurde ich von meinen
Mitschülern zum Klassensprecher gewählt.
Meine Stellvertreterin war ein
italienisches Mädchen – nicht Anita
Campo, sondern Maria Rizza, deren
Eltern in Lippstadt einen Lebensmittelhandel
betrieben. Auch das hatte ich ja
bereits im Kindergarten gelernt, dass
wir als Kinder, von woher wir auch kamen,
nur im Miteinander eine gute Zeit
haben würden. Also: Vielen Dank, lieber
Jakobikindergarten, und herzlichen
Glückwunsch zum 175. Geburtstag!
Warum gehst du gerne in den Kindergarten?
Was ist schön?
Man kann hier schön spielen.
Ich gehe gerne in die Turnhalle.
Wenn ich auf dem Bauteppich viel aufbauen
kann, das mag ich.
Mona, 5 Jahre
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Aus dem Presbyterium
Ein Jegliches hat seine Zeit
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Alexander Tschense
Eine Zeit wie diese hat noch niemand von uns erlebt. Alles, was uns bisher sicher und
verlässlich schien, wurde von einem Tag auf den anderen in Frage gestellt. Jede und
jeder von uns ist von dem, was das Corona-Virus ausgelöst hat, betroffen. Im Moment
des Schreibens dieses Textes ist noch lange nicht klar, wie es weitergehen wird.
Bereits Anfang März hat die Kirchengemeinde
einen Krisenstab berufen. In der
Gruppe saßen Mitarbeitende aus allen
Bereichen: Jugendarbeit, Kirchenmusik,
Verwaltung, Pfarrkonvent, Presbyterium,
Küster. Sie haben versucht die Ereignisse
zu ordnen und Schlüsse für das
Gemeindeleben daraus zu ziehen. Sehr
schnell war klar: Nichts geht mehr!
Nichts? Doch! Inzwischen haben sich
Alternativen etabliert: Der Podcast „Im
Fahrstuhl mit Gott“, die sonntägliche
Videoandacht, die im Schnitt 300 Zuschauer
hat, die offenen Kirchen, Anrufe
bei Gemeindegliedern, Post zu Ostern,
der Flashmob an Ostersonntag, Unterstützungsangebote
von Gemeindegliedern
für Gemeindeglieder. Treffen des
Pfarrkonvents, der Foren und des Presbyteriums
fanden per Video– und Telefonkonferenz
statt. Und wir durften
feststellen: Auch das funktioniert.
Ende März hätte eigentlich ein neues
Presbyterium eingeführt werden sollen.
In einer gemeinsamen Konferenz der
alten und neuen Presbyterinnen und
Presbyter wurde beschlossen, dies zu
verschieben. Die Vorstellung des neuen
Presbyteriums ist nun für Ende Mai
geplant.
Das Thema Corona wird uns noch länger
begleiten. Viele Veranstaltungen
sind abgesagt worden, die Konfirmationen
in den Herbst verschoben. Wenn es
die Vorgaben wieder zulassen, werden
wir entscheiden müssen, wann wir welche
Veranstaltung wieder anbieten können
und wollen. Ein Segnungsgottesdienst,
bei dem die Menschen Handschuhe
und Schutzmaske tragen und
Abstand halten, ist schwer vorzustellen.
Und selbst wenn die Gottesdienste stattfinden
können, werden ältere Gemeindeglieder
und die mit Vorerkrankungen
fern bleiben. Auch sie dürfen wir nicht
allein lassen.
In der Phase des Stillstandes haben wir
auch ein Gespür dafür bekommen, was
wirklich wichtig ist. Unsere Gesellschaft
wird sich mit den jetzt gemachten Erfahrungen
verändern. Und bei allem
menschlichen Leid, das diese Krise ausgelöst
hat und noch auslösen wird, zeigt
sie uns, dass wir als Gesellschaft auch
anders können als nach immer mehr,
immer weiter und immer schneller zu
streben. Wir haben in den letzten Wochen
Menschen erreicht, die wir sonst
nicht erreicht haben und wir haben dies
mit anderen Mitteln getan. Das darf uns
Mut machen für die Zukunft.
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Gemeindebüro
Adressen
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Brüderstraße 15
59555 Lippstadt
Ella Funkner | Kathrin Stall
Telefon 0 29 41 | 30 43
WhatsApp: 0 15 73 | 59 88 483
Pfarrerinnen und Pfarrer
Nordwest / Cappel / Lipperbruch
Dr. Roland Hosselmann 68 22
Triftweg 23
R.Hosselmann@EvKircheLippstadt.de
Mathea Dieker
M.Dieker@EvKircheLippstadt.de
Mitte / Benninghausen
Thomas Hartmann 5 85 79
Johannes-Westermann-Platz 2
T.Hartmann@EvKircheLippstadt.de
Süd
Christoph Peters 1 23 62
Rebenweg 2
C.Peters@EvKircheLippstadt.de
Petra Haselhorst (Diakonin) 1 86 11
Brehmweg 6
P.Haselhorst@EvKircheLippstadt.de
Bad Waldliesborn
Dr. Ivonne Buthke 8 05 84
Bunsenstraße 6
I.Buthke@EvKircheLippstadt.de
Hörste
Lilo Peters 0 29 41 | 1 23 62
Rebenweg 2
L.Peters@EvKircheLippstadt.de
Krankenhausseelsorge
Ulrike Scholz-Reinhardt 0 25 21| 82 60 62
Ev. Krankenhaus Lippstadt 67-0
Dreifaltigkeitshospital 758-0
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag 9 bis 12 Uhr
info@EvKircheLippstadt.de
www.evangelisch-in-lippstadt.de
Kirchenmusik
Kantor Roger Bretthauer 2 98 87 89
Bruchbäumer Weg 67
R.Bretthauer@EvKircheLippstadt.de
Küsterinnen und Küster
Marienkirche
Carsten Hess 24 66 23
Marienkirche@EvKircheLippstadt.de
Stiftskirche
Annemarie Albert 5 73 44
Christophoruskirche
Gemeindebüro 30 43
Johanneskirche
Marianne Sarodnick 0 160 | 60 03 37 4
Lukas-Kirche
Anja Nicolmann 0 160 | 95 49 34 08
Kindergärten
Jakobikindergarten
Brüderstraße 17
Leitung: Sibylle Hänsler 46 12
Johannes-Kindergarten
Boschstraße 49 1 23 74
Bunsenstraße 9 2 02 92 05
Leitung: Verena Eberhard
Wichern-Kindergarten
Juchaczstraße 23
Leitung: Sibylle Hänsler 6 23 87
Altenheimseelsorge
Jürgen Gauer 0 29 21 | 6 60 64 97
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„...im Blick“ fragte
Monika Füser, Kaufmännische Angestellte, 45 Jahre
Was war Ihre erste Begegnung mit der Kirche?
Ich bin in Polen aufgewachsen und streng katholisch erzogen worden.
Obwohl ich jeden Sonntag in die Kirche ging, konnte ich nie eine
richtige Bindung zur Kirche aufbauen. Nach meiner Firmung habe
ich dann mit der Kirche gebrochen. Vor 21 Jahren bin ich nach
Deutschland gekommen und habe meinen Mann geheiratet, der
evangelisch ist. Die ersten Besuche in der evangelischen Kirche haben
mich sehr überrascht. Es war so anders, angenehm und persönlich.
Nach dem plötzlichen Unfalltod meines Stiefsohnes hat Pfarrer
Peters uns lange durch diese schwere Zeit seelsorgerlich begleitet. Es
hat mir viel Kraft gegeben. Kurz danach bin ich konvertiert, und seit
fünf Jahren arbeite ich ehrenamtlich mit.
Welches ist Ihr Lieblingswort aus der Bibel?
Mir gefallen viele biblische Worte. Sie sind zeitlos. Eines davon ist:
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das
Böse mit Gutem“ (Römer 12, 21). Wir sollen versuchen, gute Menschen
zu sein. Es reichen oft ganz kleine Taten der Nächstenliebe.
Was ärgert Sie an der Kirche?
Die geschlossenen Türen der Kirchen stimmen mich traurig. An jedem
Ort, den ich besuche, versuche ich die Kirche zu besuchen. Eine
Kirche strahlt Kraft und Ruhe aus, soll zum Gebet und Nachdenken
einladen. Auch wenn mir die Gründe dafür bekannt sind, finde ich
es sehr schade.
Was schätzen Sie an der Kirche?
An erster Stelle schätze ich die Seelsorge. Dann die Gemeinschaft: Es
gibt viele Angebote, Gruppen, Kreise, Gemeindefahrten. Jeder findet
etwas Passendes für sich. Während meiner ehrenamtlichen Arbeit
habe ich viele tolle Menschen kennengelernt. Ich fühle mich sehr
wohl bei der Kirche.
Was wünschen Sie der Kirche?
Ich wünsche der Kirche, dass sich die Menschen, allen Voraussagen
zum Trotz, von der Kirche nicht abwenden, sondern sich auf die
Werte, die Kirche vermittelt, einlassen. Gerade in der heutigen Zeit
ist es wichtig, einen Ort der Besinnung und Ruhe für sich zu finden.
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