Militaer_2_2020
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0 3 4 H E E R &<br />
M<br />
E H R<br />
VERTEIDIGUNG<br />
NACH CORONA<br />
Sicherheitspolitik im Zeitalter viraler Bedrohungen neu<br />
denken und in die strategische Krisenfestigkeit<br />
von Staat und Wirtschaft vermehrt investieren. Ein<br />
Beitrag von Generalmajor Johann Frank, Leiter<br />
des Instituts für Friedenssicherung und<br />
Konfliktmanagement.<br />
D<br />
er Kampf gegen pathogene<br />
wie digitale<br />
Viren wird die Zukunft<br />
der Sicherheitspolitik<br />
mitbestimmen.<br />
Gemeinsam<br />
mit Terrorismus und hybriden<br />
Bedrohungen bilden Pandemien und<br />
Cyber-Angriffe die Quadriga jener<br />
Bedrohungen, auf welche die Sicherheits-<br />
und Verteidigungspolitik in<br />
Europa neue strategische Antworten<br />
finden muss.<br />
Diese Bedrohungsformen weisen<br />
trotz aller Unterschiede bemerkenswerte<br />
Gemeinsamkeiten auf. Sie sind<br />
anfänglich nur schwer erkennbar, sie<br />
wirken systemisch auf das gesamte<br />
öffentliche und wirtschaftliche Leben,<br />
sie sind von grenzüberschreitendtransnationaler<br />
Natur und sie werden<br />
von den globalisierungsbedingten<br />
Verwundbarkeiten moderner Gesellschaften<br />
kontinuierlich verstärkt.<br />
Auch ihre Wirkungsketten sind ähnlich:<br />
Nach anfänglicher Herabsetzung<br />
beziehungsweise Ausschaltung der<br />
Immunschwelle beginnen sie mit einer<br />
anonymen Infektion von Einzelnen,<br />
kontaminieren in weiterer Folge<br />
Teilsysteme und können letztlich<br />
nach einer breitflächigen Infiltration<br />
zu einem „Systeminfarkt“ führen, der<br />
für den Einzelnen den Tod, für strategische<br />
Infrastrukturen den Totalausfall,<br />
für die Wirtschaft eine tiefe Rezession<br />
und für den Staat die Zerstörung<br />
seiner Freiheitsordnung bedeuten<br />
kann.<br />
Solange diese Szenarien innerhalb des<br />
vorbereiteten Erwartungsraums der<br />
jeweiligen gesundheitlichen, technologischen<br />
oder militärischen Sicherheitsvorsorgen<br />
verlaufen, können sie<br />
mit vorhandenen Mitteln und Verfahren<br />
bewältigt werden. Das war bislang<br />
über weite Strecken der Fall. Übersteigen<br />
sie eine strategische Schwelle<br />
oder treten gar mehrere Szenarien<br />
gleichzeitig ein, so erfordern sie eine<br />
neue Qualität in der Vorbereitung<br />
und Reaktion, einen Wechsel vom<br />
konventionellen Krisenmanagement-<br />
Modus hin zu einem „strategischen<br />
Resilienzmanagement“. Dazu braucht<br />
es geänderte strategische Zielsetzungen,<br />
also Erneuerungsfähigkeit statt<br />
bloßer Wiederherstellung des ursprünglichen<br />
Zustands, neuartige<br />
Verfahren, also Improvisation und<br />
Agilität durch Schaffung neuer ungebundener<br />
Ressourcen statt starrem<br />
Implementieren von Krisenplänen<br />
und bloßem Einsatz von vorhandenen<br />
Mitteln und<br />
neue Führungsqualitäten,<br />
also<br />
Visionäre statt<br />
Manager.<br />
Im Zeitalter hybrid-viraler<br />
Bedrohungen<br />
sind zwei bisherige<br />
Grundannahmen<br />
europäischer Sicherheitsstrategien<br />
obsolet geworden,<br />
nämlich Vorwarnzeiten und Eintrittswahrscheinlichkeiten.<br />
Es gibt<br />
keine strategischen Vorwarnzeiten,<br />
die in einem konkreten Anlassfall ein<br />
Hochfahren von Sicherheitsmaßnahmen<br />
zulassen würden, weil lange unklar<br />
bleibt, ob ein Angriff, eine Infektion<br />
oder eine Infiltration bereits<br />
stattgefunden hat. Bewusste Verschleierung<br />
ist vielmehr ein Charakteristikum<br />
hybrider Angriffe oder von<br />
Cyber-Attacken. Und angesichts der<br />
hohen Unsicherheiten, was zukünftige<br />
Sicherheitsszenarien betrifft, muß<br />
Sicherheitspolitik auch Risiken mit<br />
niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit,<br />
aber hohen Auswirkungen angemessen<br />
berücksichtigen und als planungsrelevant<br />
einstufen und sich auf strategische<br />
Überraschungen einstellen.<br />
Damit sollte im Fokus zukünftiger<br />
FOTO : U N S P L AS H<br />
M I L I T Ä R A K T U E L L