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RITTER BLAUBART - Badisches Staatstheater - Karlsruhe

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sich in ihr. Er war eine Frucht der industriellen<br />

Entwicklung, die ihrerseits durch eine<br />

wahre Sturzwelle von Erfindungen bedingt<br />

wurde. Umwälzend wirkte vor allem die der<br />

Eisenbahn, deren Schaffung das Gesicht<br />

der Erde und die Beziehungen zwischen<br />

den Menschen verwandelte und zum Ausbau<br />

der heutigen Formen des Kreditwesens<br />

führte. Auch die anderen Erfindungen beförderten<br />

die Revolutionierung des Daseins.<br />

Sie verliehen den schon bestehenden<br />

Industrien einen ungeheuren Aufschwung,<br />

riefen neue hervor und griffen alle mehr<br />

oder weniger in den Alltag ein: von der Gasbeleuchtung<br />

oder der Daguerreotypie (frühes<br />

Verfahren der Fotografie) angefangen<br />

bis zur galvanischen Vergoldung herunter,<br />

die dem Mittelstand mit einem Tafelgeschirr<br />

zu prunken ermöglichte, das dem der Großbourgeoisie<br />

täuschend ähnlich sah. [...]<br />

Das zweite Stück war die im Februar 1866<br />

uraufgeführte Operette Blaubart, die in<br />

den Variétés, denen es diesmal nicht auf<br />

die Ausstattungskosten angekommen war,<br />

einen vollen, unbestrittenen Erfolg errang.<br />

Wie die kühlere Aufnahme in Wien und<br />

Berlin bewies, trug die von Meilhac und<br />

Halévy verfaßte Operette vorwiegend Pariser<br />

Bedürfnissen Rechnung; doch auch<br />

hier in Paris empfanden die Darsteller sie<br />

zunächst als so gewagt, dass Offenbach<br />

nur mit Mühe den Sänger José Dupuis dazu<br />

bewegen konnte, den Blaubart zu spielen.<br />

Worin bestand das Risiko? Es bestand darin,<br />

dass die Düsterkeit der Legende vom Ritter<br />

Blaubart wirklich angesprochen und dann<br />

travestiert wurde. Statt dass wie im Orpheus<br />

oder in der Schönen Helena ein korruptes<br />

Regime satirisch behandelt worden wäre,<br />

löste sich im Blaubart echtes Grauen in<br />

Komik auf. Gerade dieses Gaukelspiel<br />

aber, dieser jähe Umschlag von Szenen<br />

der Todesfurcht in ausgelassene Lustigkeit<br />

antwortete dem Verlangen des Publikums,<br />

sich über die schreckliche Katastrophe hinwegzusetzen,<br />

die es vorausahnte. Obwohl<br />

es sie ahnte, ließ es sich doch vom demokratischen<br />

Leben beschwingen, das sich<br />

aus allesn Schleusen ergoss.<br />

Die Operette gewährte – ein weiterer Grund<br />

ihres Erfolgs – dem demokratischen Lebensgefühl<br />

breiten Raum. Verkörpert wird<br />

es durch die von der Hortense Schneider<br />

kreierte Boulotte – „sie hat ihre Rolle mit<br />

einem unvergleichlichen Geist und Talent<br />

gespielt und gesungen“, schrieb Halévy<br />

nach der Premiere über die Schneider –,<br />

ein einfaches Bauernmädchen, dessen<br />

ungeniertes, nahezu rebellisches Benehmen<br />

dem König Bobèche gegenüber den<br />

Hof sehr schockiert. Versteigt sich nicht<br />

überdies Blaubart selber zur pathetischen<br />

Erklärung, dass er durch seine Verbindung<br />

mit Boulotte eine neue Epoche einleite, in<br />

der „Palast und Hütte“ miteinander verschmölzen?<br />

Nebenher läuft, diese Tendenzen verstärkend,<br />

eine Höflingssatire, die mit solchem<br />

Übermut verfährt, als seien die Höfe nur<br />

noch eine Fabel. Das Lied „Höfling muß mit<br />

krummem Rücken ...“ wurde zum Schlager<br />

des Jahres 1866. Seine witzige und sinnfällige<br />

Melodie erklingt inmitten anderer,<br />

die verraten, wie sehr es Offenbachs Natur<br />

gemäß war, die Dämonie Blaubarts ad<br />

absurdum zu führen und mit elementaren<br />

Kräften Schabernack zu treiben. Gifte, die<br />

in Wahrheit Zuckerwasser sind, und Ermordete,<br />

die munter fortexistieren: nichts lag<br />

ihm mehr als derartige unsinnige Wunder.<br />

Und von welcher Schönheit ist seine Musik<br />

dort, wo sie wie im Auferstehungslied der<br />

Frauen über bösen Spuk triumphieren und<br />

Abgründe des Glücks erschließen darf.<br />

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