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ZESO 2/20

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SKOS CSIAS COSAS<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Conférence suisse des institutions d’action sociale<br />

Conferenza svizzera delle istituzioni dell’azione sociale<br />

Conferenza svizra da l’agid sozial<br />

<strong>ZESO</strong><br />

ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALHILFE<br />

02/<strong>20</strong><br />

SKOS-RICHTLINIEN<br />

Neues Online-Portal dient<br />

als Arbeitsinstrument für<br />

die Sozialberatung<br />

CORONA<br />

Wie Sozialdienste und<br />

Hilfsorganisationen die<br />

Krise meistern<br />

TANDEM 50 PLUS<br />

Ein Programm hilft<br />

Personen über 50 bei der<br />

Stellensuche<br />

TEILHABE IST WICHTIG<br />

UND WIRKT<br />

Die Expertise von Armutsbetroffenen einzuholen, lohnt sich


Bieler Tagung, 2. November <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Der steinige Weg in den ersten<br />

Arbeitsmarkt<br />

Die berufliche Integration von unterstützten Personen ist eine wichtige<br />

Aufgabe der Sozialdienste. Doch gelingt die nachhaltige Integration in den<br />

ersten Arbeitsmarkt trotz aller Massnahmen und Anstrengungen oft<br />

nicht. Gibt es für arbeitsfähige Personen, die von der Sozialhilfe unterstützt<br />

werden, Platz im ersten Arbeitsmarkt? Welche Bedingungen stellen<br />

Arbeitgeber an die Anstellung der meist gering qualifizierten Personen?<br />

Wie können existenzsichernde Jobs und Tätigkeitsfelder für Menschen mit<br />

Leistungseinschränkungen oder Sprachschwierigkeiten aussehen?<br />

Die Bieler Tagung <strong>20</strong><strong>20</strong> bietet eine Plattform für Präsentationen und Diskussionen.<br />

Praktikerinnen und Praktiker erhalten Inputs und Impulse für ihre<br />

tägliche Arbeit.<br />

Anmeldung bis 16. Oktober <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Programm und Anmeldungen unter www.skos.ch/Veranstaltungen<br />

Soziale Arbeit<br />

Bildung ist die<br />

beste Referenz.<br />

www.zhaw.ch/sozialearbeit<br />

Hochschulcampus Toni-Areal, Zürich<br />

Infoabend<br />

30. September <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Jetzt anmelden!<br />

In welchem Bereich der<br />

Sozialen Arbeit Sie auch<br />

tätig sind: Eine Weiterbildung<br />

erhöht Ihre Kompetenzen<br />

für künftige<br />

Aufgaben. Die ZHAW<br />

bietet CAS, DAS, MAS<br />

und Kurse, bei denen<br />

sich Theorie und Praxis<br />

die Hand geben. Was Sie<br />

bei uns lernen, vertiefen<br />

Sie in Ihrem<br />

Berufsalltag –<br />

und umgekehrt.<br />

Machen Sie<br />

den nächsten<br />

Schritt.<br />

In welchem Handlungsfeld<br />

möchten Sie<br />

sich weiterbilden?<br />

• Kindheit, Jugend<br />

und Familie<br />

• Delinquenz und<br />

Kriminalprävention<br />

• Soziale Gerontologie<br />

• Community<br />

Development und<br />

Migration<br />

• Sozialrecht<br />

• Sozialmanagement<br />

• Supervision<br />

und Beratung<br />

Inserat_<strong>ZESO</strong>_halbseitig_2_<strong>20</strong><strong>20</strong>.indd 4 21.04.<strong>20</strong><strong>20</strong> 09:39:18


Ingrid Hess<br />

Redaktionsleitung<br />

EDITORIAL<br />

PARTIZIPATION – EIN WIRKSAMER<br />

ANSATZ<br />

Die aktuelle Zeso entstand unter besonderen Umständen -<br />

mehrheitlich im Home Office – wie so viele andere Arbeiten<br />

auch, die sicher auch Sie in den letzten Wochen unter vielleicht<br />

nicht immer ganz einfachen Bedingungen erledigt oder neu organisiert<br />

haben. Das Schwerpunktthema hatten wir kurz vor<br />

Beginn der Corona-Krise und der ausserordentlichen Lage gewählt.<br />

Wir beschlossen daran festzuhalten, auch wenn uns alle<br />

zur Zeit die Auswirkungen der Krise sehr beschäftigen. Doch<br />

das Thema Partizipation oder Teilhabe erschien uns wichtig und<br />

richtig, denn auch oder gerade in der Corona-Krise zeigt sich,<br />

wie wesentlich es eigentlich wäre, die Menschen einzubeziehen,<br />

die betroffen sind, deren Schwierigkeiten im Umgang mit<br />

der Krise aber weniger sichtbar sind. Die Experten mit Armutserfahrung,<br />

die in Belgien in der Verwaltung mitarbeiten (S.24),<br />

sind da ein Beispiel für einen innovativen und wirksamen Ansatz,<br />

aber auch das Projekt «Gemeinsam/Ensemble» in Biel<br />

(S.18).<br />

Natürlich hat uns die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen<br />

auf die Menschen, Organisationen und die Arbeit in und für die<br />

Sozialen Dienste auch ganz konkret beschäftigt (S.30). Christine<br />

Kopp, stv. Direktorin des SRK, beschreibt im Interview, wie<br />

das grösste Schweizer Hilfswerk die Krise erlebt und welche<br />

Lehren es aus ihr zieht (S.8).<br />

Wenn Sie Anregungen haben, Kritik äussern oder einen Kommentar<br />

zu einem der Artikel verfassen möchten, dann schreiben<br />

Sie uns: zeso@skos.ch oder schreiben Sie einen Kommentar<br />

auf www.skos.ch/zeitschrift-zeso.<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

1


SCHWERPUNKT<br />

Teilhabe von<br />

armutsbetroffenen<br />

Menschen wirkt<br />

Wenn Armutsbetroffene<br />

oder Sozialhilfeempfänger<br />

bei der Ausgestaltung<br />

von sie betreffenden<br />

Themen, Projekten und<br />

Rahmenbedingungen<br />

involviert sind, hat das für<br />

die Involvierten wie auch<br />

für das Ergebnis positive<br />

Wirkung. Das zeigen eine<br />

Reihe von Praxisbeispielen<br />

und die Forschung. Diese hat<br />

sich mit den verschiedenen<br />

Modellen von Teilhabe und den<br />

Gelingensbedingungen<br />

befasst.<br />

12–23<br />

14–27 12–27<br />

<strong>ZESO</strong><br />

ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALHILFE HERAUSGEBERIN Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS, www.skos.ch REDAKTIONSADRESSE<br />

© SKOS. Nachdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin<br />

Die <strong>ZESO</strong> erscheint viermal jährlich<br />

ISSN 1422-0636 / 117. Jahrgang<br />

Erscheinungsdatum: 1. Juni <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Die nächste Ausgabe erscheint am 7. September <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Redaktion <strong>ZESO</strong>, SKOS, Monbijoustrasse 22, Postfach, CH-3000 Bern 14, zeso@skos.ch, Tel. 031 326 19 19<br />

REDAKTION Ingrid Hess, Regine Gerber MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER DIESER AUSGABE Emanuela<br />

Chiapparini, Emilie Clavel, Karine Donzallaz, Christoph Eymann, Palma Fiacco, Stefan Gribi, Sophie Guerry,<br />

Debra Hevenstone, Lukas Hobi, Muriel Christe Marchand, Caroline Reynaud, Meinrad Schade, Max Spring, Alexander<br />

Suter, Barbara Spycher, Michael Zeier TITELBILD Palma Fiacco LAYOUT Marco Bernet, Projekt Athleten<br />

GmbH Zürich KORREKTORAT Karin Meier DRUCK UND ABOVERWALTUNG rubmedia AG, Postfach, 3001 Bern,<br />

zeso@rubmedia.ch, Tel. 031 740 97 86 PREISE Jahresabonnement CHF 89.– (SKOS-Mitglieder CHF 74.–),<br />

Jahresabonnement Ausland CHF 125.–, Einzelnummer CHF 25.–.<br />

2 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong>


INHALT<br />

8<br />

5 KOMMENTAR<br />

Sozialhilfe in Zeiten von Corona<br />

6 PRAXIS<br />

Wie sind freiwillige Zuwendungen Dritter zu<br />

berücksichtigen?<br />

7 SOZIALHILFE<br />

Neues Richtlinien-Portal ab September <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

8 INTERVIEW: CHRISTINE KOPP<br />

Die grossen Belastungen für Sozialwerke<br />

und soziale Institutionen werden erst kommen,<br />

sagt Christine Kopp, stv. Direktorin des<br />

SRK über die Corona-Krise<br />

28<br />

30<br />

12–27 TEILHABE VON ARMUTSBETROFFENEN<br />

14 Die Teilhabe von armutsbetroffenen Personen<br />

in Projekten der Sozialdienste ist<br />

wirkungsvoll<br />

18 Die Betroffenen beeinflussen die<br />

Prioritäten des Managements<br />

<strong>20</strong> Sozialhilfebeziehende als Ausbildner für<br />

Soziale Arbeit<br />

23 Gemeinsam mit Menschen mit<br />

Armutserfahrung forschen<br />

24 Wie Experten mit Armutserfahrung<br />

Zugang und Qualität der öffentlichen<br />

Dienste optimieren<br />

26 Pilotprojekt zur Beteiligung von Langzeit-<br />

Sozialhilfeempfänger: Nachgefragt bei der<br />

Verantwortlichen und einem Teilnehmer<br />

32<br />

34<br />

35<br />

28 SOCIAL IMPACT BONDS<br />

Sozialdienstleister machen unterschiedliche<br />

Erfahrungen mit Wirkungsverträgen<br />

30 CORONA-PANDEMIE<br />

Die Corona-Krise ist auch in Caritas-<br />

Märkten und der Caritas-Sozialberatung<br />

spürbar. Mittelfristig muss sich das Sozialsystem<br />

auf mehr Bedürftige vorbereiten<br />

32 TANDEM 50 PLUS<br />

Ein Programm im Kanton Aargau hilft<br />

Arbeitslosen über 50 beim Wiedereinstieg<br />

34 TÜRE AUF<br />

Muriel Christin Marchand, Co-Leiterin des<br />

Sozialdienstes Delémont, über die Herausforderungen<br />

während der Corona-Krise<br />

35 PORTRÄT<br />

Georg Raguth hat die Besuchsbox für<br />

Coronazeiten erfunden<br />

36 LESETIPPS UND VERANSTALTUNGEN<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

3


NACHRICHTEN<br />

Revision Sozialhilfegesetz<br />

Basel-Landschaft<br />

Ende Januar eröffnete der Kanton Basel-<br />

Landschaft die Vernehmlassung für eine<br />

Teilrevision des Sozialhilfegesetzes. Die<br />

vorgeschlagenen Massnahmen stehen<br />

in wichtigen Punkten im Widerspruch zu<br />

den SKOS-Richtlinien. Insbesondere erachtet<br />

die SKOS das in der Gesetzesvorlage<br />

enthaltene Stufensystem als kompliziert,<br />

ungerecht und kontraproduktiv<br />

in Bezug auf die Arbeitsintegration. Es<br />

bietet zudem keinen Mehrwert gegenüber<br />

dem bestehenden System mit einheitlichem<br />

Grundbedarf.<br />

www.skos.ch Publikationen <br />

Vernehmlassungen<br />

Chancengleichheit und<br />

Gesundheit<br />

Chancengleichheit ist ein wichtiges Ziel<br />

der Gesundheitspolitik, in der Praxis<br />

aber noch nicht verwirklicht. Wer sozial<br />

benachteiligt ist, leidet häufiger unter<br />

schlechter Gesundheit und hat eine tiefere<br />

Lebenserwartung als sozial Bessergestellte.<br />

Ein neuer Grundlagenbericht<br />

zeigt auf, welche Interventionsansätze<br />

und Erfolgskriterien sich in der Praxis<br />

bewährt haben, um die gesundheitliche<br />

Chancengleichheit zu erhöhen.<br />

www.gesundheitsfoerderung.ch <br />

Grundlagen Publikationen<br />

SKOS-Grundlagenpapier:<br />

Armut und Armutsgrenzen<br />

Die Definitionen von Armut und sozialem<br />

Existenzminimum der SKOS sind zu<br />

zentralen Richtgrössen in der schweizerischen<br />

Sozialpolitik geworden. Sie<br />

berücksichtigen einerseits materielle<br />

und immaterielle Grundbedürfnisse,<br />

andererseits orientieren sie sich an den<br />

vorherrschenden Lebenskosten. Es existieren<br />

aber noch weitere Armutsdefinitionen<br />

und Existenzminima. Das aktualisierte<br />

Grundlagenpapier der SKOS zeigt<br />

die verschiedenen Modelle und Ansätze<br />

auf.<br />

www.skos.ch Publikationen <br />

Grundlagendokumente<br />

Einmal im Leben Sozialhilfe beziehen zu müssen, ist nicht so unwahrscheinlich. Bild: Palma Fiacco<br />

Jede 11. Person bezieht einmal im Leben<br />

Sozialhilfe<br />

In der Schweiz werden pro Jahr rund 3<br />

Prozent der ständigen Wohnbevölkerung<br />

von der Sozialhilfe unterstützt. Wird jedoch<br />

eine längere Zeitperiode von mehreren<br />

Jahren betrachtet, sind weit mehr Personen<br />

einmal auf Sozialhilfe angewiesen.<br />

Dies zeigt eine neue Studie des Bundesamtes<br />

für Sozialversicherungen.<br />

Zwischen <strong>20</strong>11 bis <strong>20</strong>17 bezogen 6,1<br />

Prozent zumindest einmal Sozialhilfe. Damit<br />

ist dieser Anteil rund doppelt so hoch<br />

wie bei der Betrachtung eines einzelnen<br />

Jahres. Bekannte Risikofaktoren für einen<br />

Sozialhilfebezug bestätigen sich in der<br />

Mehrjahresbetrachtung: Bei Alleinerziehenden<br />

steigt die Quote auf gut 26 Prozent,<br />

bei Einpersonenhaushalten auf 10 Prozent.<br />

Weiter werden in der Studie Modelle<br />

geprüft, um die Wahrscheinlichkeit eines<br />

Sozialhilfebezugs im Verlauf des Lebens<br />

zu schätzen. Die Analysen zeigen, dass<br />

zwischen 8,7 und 9,1 Prozent aller 25-<br />

bis 63-jährigen in der Schweiz geborenen<br />

Menschen einmal in ihrem Erwerbsleben<br />

Sozialhilfe beziehen. Das ist rund jede 11.<br />

Person. Bei im Ausland geborenen Personen<br />

liegt die Schätzung zwischen 15,2<br />

und 17,2 Prozent. <br />

•<br />

Beschäftigungsaussichten brechen ein<br />

Wegen der COVID-19-Pandemie haben<br />

sich die kurzfristigen Aussichten auf dem<br />

Schweizer Arbeitsmarkt stark verschlechtert.<br />

Anfangs Mai liegt der Beschäftigungsindikator<br />

der Konjunkturfachstelle der<br />

ETH Zürich (KOF) tiefer als während des<br />

Höhepunktes der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

<strong>20</strong>08/<strong>20</strong>09.<br />

Die im April <strong>20</strong><strong>20</strong> von der KOF befragten<br />

Firmen gehen von einem markanten<br />

Stellenabbau in den nächsten<br />

Monaten aus. Eine deutliche Mehrheit<br />

der 4635 Firmen schätzt den aktuellen<br />

Beschäftigungsstand als zu gross ein und<br />

plant in den nächsten drei Monaten Stellen<br />

zu reduzieren.<br />

Am stärksten eingebrochen ist der<br />

Beschäftigungsindikator für das Gastgewerbe.<br />

Aber auch in fast allen anderen<br />

Wirtschaftsbranchen haben sich die Beschäftigungsaussichten<br />

massiv verschlechtert.<br />

So gehen etwa auch der Detailhandel<br />

und der Bausektor von einem Stellenabbau<br />

in den nächsten Monaten aus. Einzig im<br />

Versicherungssektor sind die Beschäftigungserwartungen<br />

weiterhin positiv. •<br />

4 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong>


KOMMENTAR<br />

Sozialhilfe in Zeiten von Corona<br />

Seit bald drei Monaten beherrscht die<br />

Corona-Pandemie unseren Alltag. Die Sozialdienste<br />

im ganzen Land haben Mitte März<br />

sehr schnell auf die neue Situation reagiert.<br />

Beratungsgespräche finden jetzt vermehrt<br />

telefonisch statt, neue digitale Formen der<br />

Arbeit mit Klienten wurden eingeführt, die<br />

Räume neu eingerichtet, damit die Hygieneund<br />

Abstandsregeln eingehalten werden<br />

können. Vor allem zu Beginn der Krise verzeichneten<br />

viele Sozialdienste einen starken<br />

Anstieg der Neuanmeldungen. Menschen,<br />

die sich bisher mit Stellen im Tieflohnbereich<br />

oder mit Arbeit auf Abruf die Existenz<br />

gesichert hatten, meldeten sich bei der Sozialhilfe.<br />

Vielen von ihnen fiel dieser Schritt<br />

sehr schwer. Mit den Hilfspaketen des<br />

Bundesrates für Selbständigerwerbende<br />

und der erweiterten Kurzarbeit gab es eine<br />

zumindest vorübergehende Entlastung für<br />

die Betroffenen und die Sozialdienste.<br />

In der Krise zeigte sich, wie wichtig jene<br />

Berufsleute sind, die an der Front arbeiten,<br />

insbesondere im Sozial- und Gesundheitswesen.<br />

Die Sozialdienste haben den<br />

Härtetest mit Bravour bestanden. Die<br />

Existenzsicherung und die Begleitung<br />

der Sozialhilfebeziehenden waren nie in<br />

Frage gestellt. Der Anstieg bei den Neuanmeldungen<br />

konnte bewältigt werden. Für<br />

die enormen Leistungen, die Sie in den<br />

Sozialdiensten erbracht<br />

haben, möchte ich Ihnen<br />

an dieser Stelle<br />

ganz herzlich<br />

danken.<br />

Zurzeit können wir noch kaum abschätzen,<br />

wie die Corona-Pandemie unsere Gesellschaft<br />

verändern wird und welche Auswirkungen<br />

dies auf die Sozialhilfe hat. Im<br />

Moment machen wir vorsichtige Schritte hin<br />

zu einer Normalisierung. Die Geschichte der<br />

Epidemien lehrt uns aber, dass es jederzeit<br />

zu neuen Wellen kommen kann und wir<br />

dann wieder zwei Schritte zurückgeworfen<br />

werden.<br />

Zweifelsohne werden die wirtschaftlichen<br />

Folgen zu einer zumindest vorübergehenden<br />

höheren Arbeitslosigkeit führen.<br />

Das Sicherungsnetz der Arbeitslosenversicherung<br />

muss in dieser Phase gestärkt<br />

werden. Die Überbrückungsleistungen für<br />

ältere Arbeitnehmende, die im Parlament<br />

entscheidungsreif sind, werden helfen,<br />

zusätzliche Härtefälle in dieser Krise zu<br />

verhindern. Sie sollten jetzt rasch und<br />

ohne weitere Abstriche verabschiedet und<br />

so schnell wie möglich in Kraft gesetzt<br />

werden.<br />

Auch wenn die vorgelagerten Systeme ausgebaut<br />

werden: Die Sozialhilfe steht in den<br />

nächsten Jahren vor grossen Herausforderungen.<br />

Es wird schwieriger werden, unterstützte<br />

Personen in den ersten Arbeitsmarkt<br />

abzulösen. Es wird mehr Menschen<br />

geben, die durch die Maschen fallen.<br />

Und die Integration von Flüchtlingen<br />

bleibt eine Daueraufgabe.<br />

Führt die Corona-Krise dazu, dass<br />

wir als Gesellschaft stärker zusammenstehen<br />

und dass der Nutzen<br />

der Sozialwerke und der Sozialhilfe<br />

wieder besser anerkannt werden?<br />

Oder driften Arm und Reich stärker<br />

auseinander? Niemand kann das<br />

heute voraussagen. Das Zusammenstehen<br />

der Gesellschaft in den letzten<br />

Wochen macht mich aber zuversichtlich,<br />

dass wir unsere Errungenschaften im<br />

sozialen Bereich wieder stärker zu schätzen<br />

wissen. Dies im Bewusstsein, dass<br />

ohne ein funktionierendes Sozialsystem<br />

in einer solchen Krise, wie wir sie jetzt<br />

durchleben, eine gesellschaftliche Katastrophe<br />

logische Konsequenz wäre.<br />

Christoph Eymann<br />

SKOS-Präsident<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

5


Wie sind freiwillige Zuwendungen<br />

Dritter zu berücksichtigen?<br />

PRAXIS Frau Bucher wird mit Sozialhilfe unterstützt. Ihr Grossvater möchte ihr einen Zuschuss<br />

geben, damit sie einen überhöhten Mietzins finanzieren kann. Grundsätzlich müssen freiwillige<br />

Leistungen Dritter bei der Bemessung der Bedürftigkeit als Einnahmen berücksichtigt werden.<br />

Frau Bucher (26) ist nach einer abgebrochenen<br />

Erstausbildung auf Sozialhilfe angewiesen.<br />

Ihre Eltern leben getrennt, sie<br />

hat mit beiden ein schwieriges Verhältnis<br />

und es ist nicht möglich, dass sie bei einem<br />

von ihnen wieder einzieht. Bis zum Abbruch<br />

der Erstausbildung wurde sie finanziell<br />

von beiden Elternteilen unterstützt,<br />

die Eltern haben ihr auch die Wohnung bezahlt.<br />

Der Mietzins dieser Wohnung liegt<br />

rund 300 Franken pro Monat über den<br />

örtlich geltenden Mietzinsrichtlinien. Frau<br />

Bucher erklärt, dass ihr Grossvater bereit<br />

sei, ihr die fehlenden 300 Franken pro<br />

Monat zu bezahlen, damit sie bis zum Abschluss<br />

der neu begonnenen Erstausbildung<br />

in der Wohnung bleiben kann.<br />

FRAGE<br />

Sind die 300 Franken des Grossvaters im<br />

Unterstützungsbudget von Frau Bucher als<br />

Einnahmen anzurechnen?<br />

GRUNDLAGEN<br />

Bei der Feststellung der Bedürftigkeit und<br />

der Bemessung von Unterstützungsleistungen<br />

werden alle verfügbaren Einnahmen<br />

berücksichtigt. Darunter fallen auch<br />

freiwillige Zuwendungen Dritter, sofern<br />

keine Ausnahme gewährt wird (SKOS-RL<br />

D.1, mit Erläuterungen). Diese Empfehlung<br />

basiert auf dem Prinzip der Bedarfsdeckung<br />

(SKOS-RL A.3 Abs. 4).<br />

Es ist dabei unerheblich, ob es sich um<br />

Geld- oder Naturalleistungen handelt.<br />

PRAXIS<br />

In dieser Rubrik werden exemplarische Fragen, die<br />

an die «SKOS-Line»gestellt werden, beantwortet<br />

und publiziert. Die «SKOS-Line» ist ein Beratungsangebot<br />

für SKOS-Mitglieder.<br />

Der Zugang erfolgt über www.skos.ch Mitgliederbereich<br />

(einloggen) Beratungsangebot<br />

Deshalb können beispielsweise auch jene<br />

Leistungen als Einnahmen angerechnet<br />

werden, die eine Drittperson direkt an einen<br />

Gläubiger der unterstützten Person<br />

leistet, etwa wenn ein Teil der überhöhten<br />

Wohnkosten von Dritten direkt an den Vermieter<br />

gezahlt werden.<br />

Unterstützte Personen haben grundsätzlich<br />

alle Zuwendungen, die sie erhalten,<br />

gegenüber der Sozialhilfe korrekt zu<br />

deklarieren. Dies ist Ausdruck ihrer allgemeinen<br />

Auskunfts- und Meldepflicht<br />

(SKOS-RL A.4.1 Abs. 5ff.).<br />

Ob eine Ausnahme von der Anrechnung<br />

gemacht wird, liegt im Ermessen des Sozialhilfeorgans.<br />

Empfohlen sind Ausnahmen<br />

von einer Anrechnung dann, wenn<br />

die Zuwendungen von bescheidenem<br />

Umfang sind und ausdrücklich zusätzlich<br />

zu den Sozialhilfeleistungen erbracht<br />

werden. Beispiele sind Gelegenheitsgeschenke<br />

in angemessenem Umfang (z.B.<br />

an Feiertagen oder am Geburtstag). Auch<br />

bei Zuwendungen zur Tilgung von nachweislich<br />

bestehenden Schulden kann auf<br />

eine Anrechnung verzichtet werden. Keine<br />

Ausnahmen sind dann möglich, wenn mit<br />

den Zuwendungen überhöhte Miet- oder<br />

Lebenshaltungskosten oder Luxusausgaben<br />

finanziert werden sowie wenn eine<br />

Nichtanrechnung wegen des Umfangs der<br />

Zuwendung stossend wäre.<br />

Es können somit folgende Kategorien<br />

unterschieden werden:<br />

1. Regelmässig erbrachte freiwillige Leistungen<br />

sind anzurechnen, wenn sie<br />

für eine im Unterstützungsbudget enthaltene<br />

Ausgabenposition ausgerichtet<br />

werden oder der Finanzierung von Luxus<br />

dienen.<br />

2. Einmalige, nicht zweckgebundene<br />

Leistungen sind anzurechnen. Ausgenommen<br />

sind übliche Gelegenheitsgeschenke<br />

oder Leistungen von bescheidenem<br />

Umfang.<br />

3. Einmalige, zweckgebundene Leistungen,<br />

die nicht für eine im Unterstützungsbudget<br />

enthaltene Ausgabenposition<br />

ausgerichtet werden, sind in der<br />

Regel nicht anzurechnen. Eine Anrechnung<br />

kommt nur in Betracht, wenn<br />

eine Zuwendung zur Finanzierung von<br />

Luxus geleistet wird und eine Nichtanrechnung<br />

stossend wäre.<br />

Bei der Frage, ab welchem Zeitpunkt<br />

eine regelmässig erbrachte Zuwendung<br />

für überhöhte Fixkosten anzurechnen ist,<br />

muss die individuelle Situation gewürdigt<br />

werden. Um eine Verschuldung zu vermeiden<br />

und die Notlage von unterstützten Personen<br />

nicht zu verschlimmern, kann auf<br />

die Anrechnung während einer angemessenen<br />

Frist verzichtet werden.<br />

ANTWORTEN<br />

Beim freiwilligen Zuschuss des Grossvaters<br />

in der Höhe von 300 Franken für die überhöhte<br />

Miete handelt es sich um eine regelmässig<br />

erbrachte freiwillige Leistung. Der<br />

Zuschuss erfolgt für eine im Unterstützungsbudget<br />

enthaltene Ausgabenposition.<br />

Daher sind die 300 Franken im Unterstützungsbudget<br />

der Frau grundsätzlich<br />

als Einnahmen anzurechnen. Dies würde<br />

auch dann gelten, wenn nur die gemäss<br />

Mietzinsrichtlinien maximal zulässigen<br />

Ausgaben anerkannt würden. •<br />

Dr. iur. Alexander Suter<br />

SKOS-Fachbereich Recht und Beratung<br />

WICHTIGER HINWEIS<br />

Die Verweise auf die SKOS-Richtlinien<br />

beziehen sich bereits auf die ab <strong>20</strong>21 neu<br />

geltende Richtlinien-Struktur.<br />

6 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong>


Neues Richtlinien-Portal<br />

ab September <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

SOZIALHILFE Mit der Nachführung der SKOS-Richtlinien wird ein neues Online-Portal geschaffen, um<br />

die Richtlinien, Erläuterungen und Praxishilfen besser zugänglich zu machen. Durch die Möglichkeit<br />

einer Integration von Kantonalen Handbüchern und kommunalen Hilfsmitteln wird das neue Web-<br />

Portal zu einem effizienten Arbeitsinstrument für die Sozialberatung.<br />

Die SKOS-Publikationen in Form von<br />

Grundlagendokumenten, Merkblättern<br />

und Praxishilfen werden auf der neuen<br />

Website den betreffenden Richtlinien zugeordnet.<br />

Beim Kapitel «Anspruchsvoraussetzungen»<br />

sind beispielsweise Erläuterungen<br />

zur Budgetberechnung, zu den<br />

Unterstützungseinheiten usw. zu finden<br />

sowie Hinweise zu relevanten Dokumenten,<br />

von Berechnungstabellen bis zu Praxishilfen<br />

zur Unterstützung von Selbstständigerwerbenden.<br />

Alle Inhalte lassen sich einzeln oder als<br />

gesamtes Richtlinien-Paket in ein PDF<br />

(A4) formatieren und bei Bedarf ausdrucken.<br />

Ein neuer A4-Ordner für die Richtlinien<br />

ist auf Bestellung erhältlich. Nachträge<br />

der SKOS-Richtlinien müssen nicht<br />

mehr bestellt, sondern können selber ausgedruckt<br />

und im Ordner ersetzt werden.<br />

Das System orientiert sich an den Richtlinien<br />

für barrierefreie Webinhalte, sodass<br />

es auch von Personen mit Beeinträchtigungen<br />

benutzt werden kann, wenn diese entsprechende<br />

Hilfsmittel nutzen.<br />

Integration von kantonalen und<br />

kommunalen Handbüchern<br />

Die meisten Kantone veröffentlichen heute<br />

bereits Handbücher zur Sozialhilfe. Auch<br />

dazu kann das Portal der SKOS verwendet<br />

werden. Eigene Empfehlungen, Grafiken,<br />

Dokumente, Links auf Stichwörter etc. zu<br />

den Kapiteln der Richtlinien lassen sich in<br />

einer eigenen Version des Portals darstellen.<br />

Auch wird es möglich sein, das Portal<br />

mit den Logos und Farben des jeweiligen<br />

Kantons oder der jeweiligen Gemeinde anzupassen<br />

und in deren Web-Auftritt zu integrieren.<br />

Auf Wunsch kann in einer zusätzlichen<br />

Spalte kommunalen Ebenen des Sozialhilfevollzugs<br />

Platz für weiterführende Erläuterungen<br />

und Musterdokumente gegeben<br />

werden.<br />

Einfache Pflege der eigenen Inhalte<br />

Auch ohne besondere IT-Kenntnisse können<br />

eigene Inhalte aktualisiert und den Bedürfnissen<br />

entsprechend angepasst werden.<br />

Öffentlich oder nur für Mitarbeitende<br />

zugänglich<br />

Interne Handbücher und Richtlinien, Vollzugsweisungen,<br />

Musterdokumente oder<br />

weitere Informationen lassen sich durch<br />

Passwortschutz nur für Mitarbeitende zugänglich<br />

machen. Dadurch eignet sich das<br />

System auch als interne Know-how-Datenbank<br />

für Sozialdienste.<br />

Für eine Integration von eigenen Handbüchern<br />

und Weisungen fallen einmalige<br />

Kosten für die Realisierung an sowie jährliche<br />

Folgekosten für die Lizenzierung der<br />

verwendeten Software. Die SKOS trägt einen<br />

Teil der Realisierungs- und Lizenzkosten,<br />

weshalb den Mitgliedern die Plattform<br />

zu günstigen Konditionen angeboten werden<br />

kann. Die Kosten sind von der Grösse<br />

des Gemeinwesens oder der Organisation<br />

abhängig. Sie belaufen sich auf einmalig<br />

5000 bis 10 000 Franken für die Realisierung<br />

und jährlichen <strong>20</strong>00 bis 4000<br />

Franken für den Betrieb.<br />

•<br />

Dr. iur. Alexander Suter<br />

SKOS-Fachbereich<br />

Recht und Beratung<br />

In einer zusätzlichen Spalte<br />

können weitere Erläuterungen<br />

und Musterdokumente<br />

platziert werden.<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

7


«Die Zahl der Anfragen ist in den<br />

letzten Wochen explodiert»<br />

INTERVIEW Auch ein in Sachen Katastrophen erfahrenes Hilfswerk wie das SRK, sah sich durch die<br />

Corona-Krise sehr gefordert, wie Christine Kopp, stv. Direktorin des SRK sagt. 5000 neue Freiwillige<br />

haben sich beim SRK gemeldet. «Diese Solidarität ist eindrücklich», sagt Kopp. Sie geht davon aus,<br />

dass als Folge der Corona-Krise sehr viele Menschen auf Hilfe angewiesen sein werden.<br />

«<strong>ZESO</strong>»: Das SRK als das grösste<br />

Schweizer Hilfswerk hat den Menschen<br />

in seiner über 150-jährigen Geschichte<br />

schon in vielen Katastrophen<br />

geholfen. War man also beim SRK auf<br />

die Corona-Krise gut vorbereitet?<br />

Christine Kopp: Es wäre sicher übertrieben<br />

zu sagen, wir wären gut vorbereitet gewesen.<br />

Natürlich haben wir eine Krisenplanung,<br />

wir haben auch Krisenstabsübungen<br />

gemacht. Aber dass wir eine solche Krise in<br />

der Schweiz tatsächlich erleben würden, damit<br />

hatte doch niemand wirklich gerechnet.<br />

Was uns vorbereitet hat, sind neben den<br />

Stabsübungen unsere Erfahrungen bei internationalen<br />

Einsätzen. Beim Ausbruch<br />

des Ebola-Virus in Westafrika beispielsweise,<br />

oder wenn wir die Grundversorgung<br />

nach Naturkatastrophen organisieren. Natürlich<br />

lassen sich diese Erfahrungen nicht<br />

einfach auf die Schweiz übertragen.<br />

Was war die grösste Herausforderung<br />

für das SRK in den letzten Wochen?<br />

Es mussten ganz neue Formen der Zusammenarbeit<br />

innerhalb des SRK generiert<br />

werden. Wir haben bereits Anfang<br />

März den Krisen-Führungsstab einberufen,<br />

um die Zusammenarbeit zu koordinieren.<br />

Unsere Fachleute aus der internationalen<br />

Katastrophenhilfe unterstützen uns<br />

jetzt bei der nationalen Arbeit. Wir haben<br />

die Zusammenarbeit mit den Rotkreuz-<br />

Rettungsorganisationen in den letzten<br />

Jahren intensiviert. Davon profitieren wir<br />

jetzt. Wir können die Samariterinnen und<br />

Samariter und Mitglieder des Militär-Sanitäts-Verbands<br />

des SRK, die über Kenntnisse<br />

in Pflege und Hygiene verfügen, im<br />

neuen Corona-Testzentrum in Bern einsetzen.<br />

Die meisten von ihnen sind beruflich<br />

nicht Gesundheitsfachleute; das hat den<br />

Vorteil, dass sie nun nicht im Gesundheitswesen<br />

fehlen. Das SRK verfügt über viele<br />

wichtige Kompetenzen, aber sie mussten<br />

für den aktuellen Bedarf koordiniert und<br />

eingesetzt werden. Das war die grosse Herausforderung<br />

der letzten Wochen.<br />

Eine Schwierigkeit bestand für das SRK<br />

wohl auch darin, dass viele freiwillige<br />

DAS SRK<br />

Das Schweizerische Rote Kreuz vereinigt wie<br />

kein anderes Hilfswerk eine Vielfalt von Aktivitäten<br />

in den Bereichen Gesundheit, Integration<br />

und Rettung unter einem Dach. Das SRK<br />

umfasst 24 Kantonalverbände, vier Rettungsorganisationen<br />

sowie die Geschäftsstelle SRK.<br />

Nur dank der rund 53 000 Freiwilligen kann<br />

das SRK seine humanitären Aufgaben erfüllen.<br />

Die soziale Integration der Verletzlichen ist<br />

einer der Schwerpunkte der Arbeit des SRK in<br />

der Schweiz.<br />

Helferinnen und Helfer zur Risikogruppe<br />

gehören. Hatten Sie noch genug<br />

Freiwillige zur Verfügung, um Ihre<br />

Dienstleistungen aufrechtzuerhalten<br />

und auf die Krise zu reagieren?<br />

Das war wirklich eine grosse Herausforderung.<br />

Vor allem der SRK-Fahrdienst<br />

wird fast ausschliesslich von Pensionierten<br />

übernommen – vor allem von Männern.<br />

Wir wollten diese für viele Menschen in<br />

der Schweiz wichtige Dienstleistung aufrechterhalten,<br />

haben uns auf medizinisch<br />

notwendige Fahrten konzentriert und eine<br />

Plattform eingerichtet, über die sich jüngere<br />

Freiwillige melden können. Wir unterstützen<br />

auch die App «Five up», die Freiwillige<br />

und Personen, die Hilfe benötigen,<br />

direkt miteinander in Kontakt bringt. Es<br />

engagieren sich neu viele Menschen als<br />

Freiwillige, die aufgrund des Lockdowns<br />

nicht arbeiten können. Rund 5000 neue<br />

Freiwillige haben sich bei uns gemeldet.<br />

Diese Solidarität ist eindrücklich.<br />

8 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong>


Gab es Angebote, die das SRK nicht<br />

mehr durchführen konnte?<br />

Manche Angebote wie die Kurse dürfen<br />

zur Zeit nicht stattfinden. Der Besuchsdienst<br />

– Freiwillige gehen zu Betagten, reden<br />

mit ihnen oder machen ein Spiel mit<br />

ihnen – wurde weitgehend eingestellt. Diese<br />

Besuche sind natürlich nicht mehr sinnvoll,<br />

wenn die Älteren nicht einmal mehr<br />

von ihren Enkeln besucht werden dürfen.<br />

Unsere Rotkreuz-Kantonalverbände haben<br />

das Angebot angepasst. Freiwillige rufen<br />

jetzt an und sprechen am Telefon mit den<br />

Menschen, fragen nach, wie es ihnen geht<br />

und ob sie etwas brauchen. Und wir haben<br />

auch neue Dienstleistungen aufgebaut,<br />

den Einkaufsdienst zum Beispiel für Leute,<br />

die im Moment nicht einkaufen gehen<br />

können, weil sie krank oder in Quarantäne<br />

sind oder weil sie zur Risikogruppe gehören.<br />

Hier engagieren sich jetzt auch viele<br />

junge Leute.<br />

Gibt es eine grosse Nachfrage nach<br />

diesen Angeboten? Im Rahmen der<br />

Nachbarschaftshilfe entstanden<br />

schnell viele Angebote, die wenig<br />

wahrgenommen wurden.<br />

Das SRK hat via seine Dienstleistungen<br />

schon viele Kontakte mit Leuten, die Hilfe<br />

benötigen. Das SRK ist in diesem Sinne<br />

etabliert, da ist die Schwelle, das Angebot<br />

anzunehmen, wohl tiefer. In einer Kooperation<br />

mit unserem Partner Coop, der uns<br />

unter anderem bei «2 x Weihnachten» unterstützt,<br />

kaufen zum Beispiel unsere Freiwilligen<br />

für Risikogruppen ein und liefern<br />

die Einkäufe bis vor die Haustüre.<br />

Die Schwächsten der Gesellschaft<br />

bekommen die Auswirkungen der Corona-Krise<br />

mit voller Wucht zu spüren.<br />

Viele sind auf Unterstützung angewiesen.<br />

Sie fallen durch alle Maschen,<br />

trotz des Unterstützungspakets des<br />

Bundes. Viele haben sich mit existenziellen<br />

Problemen an die Sozialdienste<br />

gewandt, undsicher auch an das SRK.<br />

Ja, das SRK bietet mit der Einzelhilfe<br />

finanzielle Unterstützung für Menschen,<br />

die existentielle Probleme haben: Die eine<br />

Zahnarztrechnung nicht bezahlen können,<br />

Christine Kopp ist stv. Direktorin des Schweizerischen Roten Kreuz und Leiterin des<br />

Departements Gesundheit und Integration. <br />

Bilder: Palma Fiacco<br />

«Das SRK hat via<br />

seine Dienstleistungen<br />

schon<br />

viele Kontakte mit<br />

Leuten, die Hilfe<br />

benötigen.»<br />

die keine Wohnung haben und akut Hilfe<br />

benötigen. Die Zahl dieser Anfragen ist<br />

in den letzten Wochen explodiert. Es sind<br />

viele Niedriglohn-Branchen, wie Verkauf<br />

und Gastronomie, die auf Kurzarbeit umgestellt<br />

haben. Wenn der ohnehin schon<br />

tiefe Lohn durch Kurzarbeit noch tiefer<br />

wird, bekommen diese Menschen finanzielle<br />

Probleme. Das ist klassisch. In jeder<br />

Krise kommen diejenigen besonders unter<br />

Druck, die ohnehin in prekären Verhältnissen<br />

leben. Hier setzen wir mit unserer Einzelfallhilfe<br />

an.<br />

<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

9


Eigentlich ist die Sozialhilfe das<br />

unterste Netz im Sozialversicherungsbereich.<br />

Doch auch durch dieses Netz<br />

fallen Menschen – offenbar immer<br />

öfter. Das wird gerade jetzt wieder<br />

deutlich spürbar.<br />

Die Sozialhilfe ist ein zentrales Element<br />

zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung.<br />

Unsere Einzelhilfe ist immer ergänzend<br />

zur Sozialhilfe und soll ein Leben in<br />

Würde unterstützen. Wir sind deshalb im<br />

Kontakt mit den Sozialdiensten und sprechen<br />

uns ab. Wir wollen die Leistungen<br />

der öffentlichen Sozialhilfe nicht duplizieren,<br />

sondern ergänzen. Das gleiche gilt für<br />

die Angebote von anderen Organisationen<br />

wie der Caritas. Dazu gehört auch, dass wir<br />

uns manchmal dafür einsetzen, dass die<br />

Sozialhilfe bestimmte Leistungen übernehmen<br />

muss.<br />

Eine Studie von SRK, Caritas und<br />

Heilsarmee zeigte vor ein paar Jahren,<br />

dass die private Hilfe immer mehr<br />

Aufgaben der Sozialhilfe übernimmt.<br />

Wie nimmt das SRK diese Entwicklung<br />

wahr?<br />

Wir ersetzen die Sozialhilfe nicht systematisch,<br />

das hat auch diese Studie gezeigt.<br />

Aber der finanzielle Spielraum wird<br />

für die Sozialhilfe kleiner und Handlungsspielräume<br />

werden weniger genutzt. Die<br />

Betroffenen werden in der Folge weniger<br />

beraten und unterstützt, wenn es darum<br />

geht, Möglichkeiten auszuschöpfen und<br />

Chancen zu nutzen im Hinblick auf die<br />

Arbeitsintegration. Hier ist eine Lücke entstanden.<br />

Das spüren wir. Diese Lücke füllen<br />

nun wir teilweise auf. Das betrifft auch<br />

gerade den Migrationsbereich. Die Sozialhilfe<br />

für vorläufig Aufgenommene wurde<br />

reduziert und ermöglicht kaum noch ein<br />

menschenwürdiges Leben.<br />

Eine andere Studie hat gezeigt, dass<br />

viele aus Scham keine Sozialhilfe beziehen,<br />

weil Sozialhilfebezug sehr negativ<br />

konnotiert ist. Auch das könnte<br />

«Sozialhilfe zu<br />

beziehen ist ein<br />

neuer Status, der<br />

für viele schwierig<br />

ist.»<br />

ein Grund dafür sein, dass sich Bedürftige<br />

häufig eher ans SRK wenden.<br />

Es ist sicher weniger stigmatisierend<br />

zum SRK zu gehen, und dort um Unterstützung<br />

zu ersuchen, als Sozialhilfe zu<br />

beantragen. Sozialhilfe zu beziehen ist<br />

ein neuer Status, der für viele schwierig<br />

ist. Aber wer nicht nur punktuell Hilfe benöti<br />

gt, sollte sich natürlich dennoch möglichst<br />

frühzeitig an die Sozialhilfeinstitutionen<br />

wenden.<br />

Wie beurteilen Sie grundsätzlich das<br />

System der Sozialhilfe? Erlaubt die<br />

Sozialhilfe ein Leben in Würde? Oder<br />

sehen Sie Bedarf für Verbesserungen?<br />

Die Sozialhilfe ist ein notwendiger und<br />

wirkungsvoller Grundpfeiler, damit Menschen<br />

nicht in die Bedürftigkeit gelangen.<br />

Das SRK ist deshalb im Vorstand der SKOS<br />

und engagiert sich auch öffentlich. Eine<br />

verlässliche Sozialhilfe ist für eine funktionierende<br />

Gesellschaft unabdingbar. Alle<br />

profitieren davon. Studien zeigen, dass die<br />

Gesundheit der reicheren Menschen in<br />

den Ländern besser ist, in denen es den Armen<br />

besser geht. Man muss also wirklich<br />

kein Altruist sein, um sich für das System<br />

Sozialhilfe auszusprechen.<br />

Bei den Sozialdiensten gingen im April<br />

die Gesuche um Unterstützung wieder<br />

zurück. Wie schätzen Sie die weitere<br />

Entwicklung ein?<br />

Wir gehen davon aus, dass die gesundheitlichen<br />

Auswirkungen des Coronavirus<br />

und die damit verbundenen Einschränkungen<br />

sicher noch länger spürbar sein<br />

werden. Die grossen Belastungen für die<br />

Sozialwerke und die sozialen Institutionen<br />

kommen erst auf uns zu. Viele hangeln sich<br />

wohl im Moment erst mal durch und versuchen<br />

irgendwie mit Einschränkungen<br />

über die Runden zu kommen. Ich gehe davon<br />

aus, dass die Krise über mehrere Jahre<br />

spürbar sein wird und vielen Menschen<br />

über längere Zeit zu schaffen machen wird.<br />

In 30 Ländern ist das SRK langfristig<br />

präsent und leistet jetzt vielerorts Nothilfe.<br />

Man ist also in der schwierigen<br />

Das SRK konnte dank guter Beziehungen<br />

Millionen von Schutzmasken importieren,<br />

die dann via Grossverteiler der<br />

Bevölkerung zur Verfügung stehen.<br />

10 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong>


Situation, dass es sowohl im Inland als<br />

auch in den ärmsten Ländern gleichzeitig<br />

brennt.<br />

Wir sind international ebenfalls auf<br />

dem Gebiet der Gesundheit engagiert und<br />

müssen aktuell viele Programme umbauen.<br />

Es braucht jetzt zusätzliche Massnahmen:<br />

Nothilfe, Prävention, Information.<br />

Neu ist, dass wir zuerst hier in der Schweiz<br />

die hohen Ansteckungsraten hatten. Damit<br />

haben wir etwas Vorlauf. Falls sich<br />

die Pandemie in Afrika verbreitet, werden<br />

die dortigen Gesundheitssysteme nicht in<br />

der Lage sein, die Krise alleine zu bewältigen.<br />

Das gleiche gilt für die sozialen Systeme,<br />

die durch die Folgen der wirtschaftlichen<br />

Auswirkungen überfordert werden.<br />

Da wird noch viel auf uns zukommen. Wir<br />

hoffen, dass die Bereitschaft zu spenden,<br />

die sich im Moment natürlich aufs Inland<br />

konzentriert, auch für die Bewältigung der<br />

Krise im Ausland vorhanden ist.<br />

«Die grossen<br />

Belastungen für<br />

die Sozialwerke<br />

und die sozialen<br />

Institutionen kommen<br />

erst auf<br />

uns zu.»<br />

Die letzte grosse Pandemie erlebten<br />

wir vor 100 Jahren. Das SRK hat auch<br />

während der Spanischen Grippe viel<br />

medizinische Hilfe geleistet. War das<br />

damals ganz anders?<br />

Die Armee hatte damals 700 Rotkreuz-<br />

Krankenschwestern für die Notversorgung<br />

in den Spitälern aufgeboten. 70 von ihnen<br />

starben bei diesem Einsatz an der Spanischen<br />

Grippe. Auch damals fehlte es an<br />

Schutzmaterial, viele Rotkreuz-Organisationen<br />

nähten selbst Schutzmasken. Da sind<br />

wir heute wieder in einer ähnlichen Situation.<br />

Welche Lehren kann das SRK aus den<br />

Ereignissen und Erfahrungen der Krise<br />

schon ziehen, auch wenn sie noch<br />

nicht durchgestanden ist?<br />

Als SRK mussten oder durften wir mal<br />

wieder lernen, was es heisst zu improvisieren,<br />

schnell zu reagieren, neue Zusammenarbeitsformen<br />

zu suchen und unter<br />

prekären Bedingungen zu funktionieren.<br />

Der Markt der Schutzmasken ist ausser<br />

Kontrolle, die Preise sind enorm gestiegen<br />

und die Länder reissen sie sich gegenseitig<br />

aus den Händen. Hier konnte die Logistikeinheit<br />

des SRK als Teil der internationalen<br />

Rotkreuzbewegung den Bund bei der<br />

Bestellung und beim Einkauf von Schutzmaterial<br />

unterstützen. Die Knappheit an<br />

wichtigen Gütern ist für uns, anders als für<br />

viele andere Länder, eine ungewohnte Situation.<br />

Da muss man auch in der reichen<br />

Schweiz improvisieren, man kann nicht<br />

alles von Beginn weg perfekt machen, ein<br />

schrittweises Vorgehen ist sinnvoll. Gelernt<br />

haben wir meiner Meinung auch mal<br />

wieder, das sich eine gute, organisationsübergreifende<br />

Zusammenarbeit lohnt. Eine<br />

weitere Lehre, die wir aus der Krise ziehen<br />

können, ist die Bedeutung der internationalen<br />

Solidarität. Globale Probleme<br />

wie Pandemien machen nicht Halt an der<br />

Schweizer Grenze. Wir haben also ein ureigenes<br />

Interesse daran, weltweit zusammenzuarbeiten,<br />

um im Idealfall solche Krisensituationen<br />

verhindern zu können.<br />

Es gibt auch noch andere Krisen auf<br />

der Welt. Fehlt nun das Engagement<br />

für sie?<br />

Wir dürfen vor lauter Corona-Krise<br />

nicht vergessen, dass es auf der Welt noch<br />

viele andere Krisen gibt, wie zum Beispiel<br />

die Flüchtlingskrise. Die Zustände in den<br />

Flüchtlingslagern in Griechenland sind<br />

schrecklich, ebenso ist es die Situation vieler<br />

Geflüchteter zum Beispiel in Italien.<br />

Hier ist Covid nur ein weiteres Problem.<br />

Wir dürfen nicht die Augen verschliessen<br />

vor dieser humanitären Katastrophe. •<br />

Das Gespräch führte am 29.4.<strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Ingrid Hess<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

11


Bild: Palma Fiacco<br />

12 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong> SCHWERPUNKT


Die Teilhabe von armutsbetroffenen<br />

Personen in Projekten der Sozialdienste<br />

ist wirkungsvoll – vorausgesetzt, dass ...<br />

Die Praxis zeigt: Massnahmen zur Armutsvorsorge und -bekämpfung wirken besser, wenn<br />

armutsgefährdete und -betroffene Personen an Massnahmen teilhaben, respektive wenn ihre<br />

Anliegen, Erfahrungen, Ideen und Expertisen (stärker) berücksichtigt werden. Eine Studie der<br />

Berner Fachhochschule für Soziale Arbeit zeigt unter welchen Bedingungen dies möglich ist.<br />

In Belgien begann die nationale Verwaltung des Sozialen und der<br />

Gesundheit im Jahr <strong>20</strong>04 armutsbetroffene Personen als «Experts<br />

du vécu» anzustellen. Daraufhin folgten zahlreiche lokale und regionale<br />

Sozialdienste diesem Ansatz: Armutsbetroffene Personen<br />

werden in die (Weiter-)Entwicklungen und Umsetzung von Massnahmen<br />

und Prozesse der Armutsbekämpfung durch befristete<br />

und unbefristete Anstellungen einbezogen (vgl. Seite 22). Solche<br />

und andere Projekte, die armutsbetroffene und -gefährdete Personen<br />

in die (Weiter-) Entwicklung und Umsetzung von Massnahmen<br />

und Prozesse der Armutsbekämpfung einbeziehen, gibt es in<br />

vielfältigen Gestaltungen und auf unterschiedlichen politischen<br />

Ebenen in Europa und weltweit.<br />

Allerdings fehlte bisher ein Instrumentarium, um diese Projekte<br />

zu identifizieren und um zu verstehen, unter welchen Voraussetzungen<br />

sie tatsächlich wirksam sind bzw. wann «echte»<br />

Teilhabe stattfindet. Auf Mandat des Bundesamts für Sozialversicherungen<br />

führte das Departement Soziale Arbeit der Berner<br />

Fachhochschule (BFH) in Kooperation mit den Fachhochschulen<br />

HES-SO Fribourg und Genf eine Studie durch, um einen Beitrag<br />

zur Schliessung dieser Forschungslücke zu leisten (vgl. Kasten).<br />

Ziel der Studie<br />

Ziel der Studie war es, eine breite Vielfalt an Projekten im Bereich<br />

der Prävention und Bekämpfung von Armut zu identifizieren, die<br />

unter Einbezug von betroffenen Personen realisiert wurden. Darauf<br />

basierend sollten Modelle der Systematisierung solcher Projekte<br />

entwickelt werden.<br />

In der Studie wurde auf Projekte fokussiert, die mit einer Reihe<br />

von Massnahmen darauf abzielen, Mängel in verschiedenen Lebensbereichen<br />

der Betroffenen zu beseitigen oder zu verhindern<br />

respektive die Handlungsspielräume der Betroffenen zu vergrössern.<br />

Solche Massnahmen umfassen Geld- oder Sachleistungen,<br />

immaterielle Unterstützung wie Beratungs- und Bildungsangebote,<br />

Sensibilisierungsmassnahmen sowie Massnahmen für spezifische<br />

Risikogruppen von Armut.<br />

Wirkungsvolle und «echte» Teilhabe<br />

Armut hat unterschiedliche Dimensionen, wozu insbesondere die<br />

finanzielle und materielle Dimension, sowie die soziale, kulturelle<br />

und gesundheitliche Dimension zählen. Zudem ist Armut oftmals<br />

mit fehlenden Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen<br />

Teilhabe sowie mit gesellschaftlicher Stigmatisierung ver-<br />

bunden. Armut bedeutet in der Regel einen Mangel an Erfahrung<br />

von Selbstwirksamkeit und einen Mangel des Gefühls, in der Gesellschaft<br />

eine Stimme zu haben.<br />

Teilhabe von armutsbetroffenen Personen an Projekten bedeutet<br />

die aktive Beteiligung von Einzelnen und Gruppen an Entscheidungen,<br />

die das eigene Leben, eigene Angelegenheiten oder<br />

das Leben in der Gemeinschaft betreffen, respektive an der Suche,<br />

(Weiter-) Entwicklung und Umsetzung von damit verbundenen<br />

Massnahmen oder Lösungen. Teilhabe wird im Allgemeinen auf<br />

der Grundlage von Menschenrechten, demokratischen Rechten<br />

und Selbstbestimmungsrechten eingefordert.<br />

Diese Definition von Teilhabe innerhalb von Projekten lässt<br />

sich anhand unterschiedlicher Dimensionen fassen. Folgende zentrale<br />

Dimensionen werden mit Bezug auf Sozialdienste aufgelistet<br />

und veranschaulicht:<br />

• Gegenstand, an dem Betroffene teilhaben können<br />

Dazu zählt beispielsweise Teilhabe an der (Weiter-)Entwicklung<br />

von Strukturen und Prozessen von Sozialdiensten.<br />

• Zeithorizont und strukturelle Einbettung der Teilhabe<br />

Dies können in Sozialdiensten befristete oder permanente Gremien<br />

oder befristete oder unbefristete Anstellungen sein.<br />

• Projektverantwortung<br />

In Sozialdiensten übernehmen diese die Projektverantwortung<br />

selbst.<br />

• Intensität der Teilhabe<br />

In Sozialdiensten sind dies die Konsultation, Co-Konstruktion<br />

und/oder Mitentscheidung.<br />

• Übergeordnete Ziele der Teilhabe<br />

In Sozialdiensten werden Organisationsstrukturen und -prozesse<br />

und professionelle Praktiken bewertet und Verbesserungs-/<br />

Lösungsvorschläge eingebracht oder bei einer Anstellung von<br />

Betroffenen gleich umgesetzt.<br />

• Staatsebene bzw. Verortung<br />

Je nach Projekt findet die Teilhabe an (Weiter-)Entwicklung<br />

von Strukturen und Prozessen von Sozialdiensten kommunal,<br />

kantonal/regional oder national statt.<br />

Je nachdem, wie diese Dimensionen in der Praxis ausgestaltet<br />

werden, ist die Teilhabe von armutsbetroffenen Personen an Projekten<br />

mehr oder weniger wirksam. Deshalb ist es zentral, dass die<br />

Projektleitung zusammen mit den Beteiligten klärt, wie diese Dimensionen<br />

in einem einzelnen Projekt definiert werden sollen.<br />

14 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong> SCHWERPUNKT


PARTIZIPATION<br />

Unterschiedliche Modelle von Teilhabe<br />

In der BSV-Studie wurden sechs Modelle der Teilhabe in der Armutsbekämpfung<br />

und -prävention, basierend auf einer Analyse<br />

von Beispielprojekten und auf den genannten zentralen Dimensionen<br />

von Teilhabe, gebildet.<br />

Armutsbetroffene und -gefährdete Personen haben die Möglichkeit,<br />

in sechs Politik- und Handlungsbereichen der Armutsprävention<br />

und -bekämpfung teilzuhaben:<br />

• an der Evaluation und (Weiter-)Entwicklung von Strukturen<br />

und Prozessen von öffentlichen und privaten Dienstleistungsorganisationen<br />

(Modell 1)<br />

• an der Ausbildung von Fachpersonen, die für die Implementierung<br />

von Armutspolitiken zuständig sind (Modell 2)<br />

• an der (Weiter-)Entwicklung von politischen und rechtlichen<br />

Grundlagen (Modell 3)<br />

• an öffentlichen/politischen Diskursen (Modell 4)<br />

• an gemeinschaftlichen Selbsthilfestrukturen (Modell 5)<br />

• an der Erarbeitung von Grundlagen der Teilhabe (Modell 6)<br />

Während es im Modell 6 darum geht, Grundlagen der Teilhabe<br />

bereitzustellen, die für die Umsetzung der anderen Modelle genutzt<br />

werden können, nehmen armutsbetroffene und -gefährdete<br />

Personen bei den ersten fünf Modellen an Strukturen, Prozessen<br />

und Grundlagen teil, die für das Handeln in verschiedenen Bereichen<br />

der Armutsprävention und -bekämpfung relevant sind,<br />

sowie an deren Entwicklung und Optimierung; an der Sensibilisierung<br />

der relevanten Akteure und der Öffentlichkeit für die Armutsproblematik<br />

und am Einfluss auf politische Entscheide.<br />

Beteiligung von armutsbetroffenen Personen in<br />

Sozialdiensten<br />

In den Sozialdiensten bieten sich drei Möglichkeiten (Untermodelle)<br />

für armutsbetroffene Personen an, sich an Prozessen und<br />

Massnahmen zu beteiligen:<br />

• in befristeten Gremien<br />

• in permanenten Gremien<br />

• in (un-)befristeten Anstellungen<br />

Zu den Gremien zählen beispielsweise die Kundenkonferenz<br />

in Basel oder das Austauschgefäss «Gemeinsam/Ensemble» (vgl.<br />

Seite 18). Sie sind je nach Entwicklungsstadium in der Pilotphase<br />

als befristet und bei einer Institutionalisierung als permanent zu<br />

bezeichnen sind.<br />

(Un-)befristete Anstellungen sind in der Schweiz bislang nicht<br />

bekannt, sodass das eingangs erwähnte Beispiel der «Experts du<br />

vécu en matière de pauvreté» aus Belgien als Referenzgrösse genannt<br />

werden kann.<br />

Ziel bei allen drei Beteiligungsmöglichkeiten ist es, die Wirksamkeit<br />

von Massnahmen, Prozessen und Projekten im Bereich<br />

der Armutsprävention oder -bekämpfung zu steigern. Die Hauptverantwortung<br />

für die Umsetzung dieser drei Projektmodelle liegt<br />

beim Sozialdienst (Projektverantwortung). Gleichzeitig können<br />

Betroffene oder Betroffenenvertretungen (zum Beispiel NGOs)<br />

ebenso die Umsetzung von entsprechenden Projekten anregen.<br />

Die ersten zwei Projektmodelle sind auf kommunaler Ebene<br />

verortet und das dritte zusätzlich auch auf nationaler Ebene<br />

(Staatsebene bzw. Verortung von Teilhabe). Allen Projektmodellen<br />

gemeinsam ist das Ziel, durch die Teilhabe von armutsbetroffenen<br />

Personen Organisationsstrukturen und -prozesse, sowie professionelle<br />

Praktiken zu bewerten und Verbesserungs- und Lösungsvorschläge<br />

einzubringen. Diese werden bei einer Anstellung von<br />

Betroffen mit ihnen zugleich umgesetzt (übergeordnete Ziele der<br />

Teilhabe). Parallel dazu können armutsbetroffene Personen in<br />

den ersten beiden Projektmodellen ihre Meinung oder Verbesserungsvorschläge<br />

einbringen (Konsultation) und teilweise auch<br />

enger mit den jeweiligen Fachpersonen zusammenarbeiten (Co-<br />

Konstruktion). Darüber hinaus ermöglicht die Anstellung in sozialen<br />

Organisationen armutsbetroffenen Personen, dass sie über die<br />

Konsultation und Co-Konstruktion bei bestimmten Diskussionspunkten<br />

mitentscheiden können (Intensitäten von Teilhabe). <br />

Dimensionen der Teilhabe und Mitwirkung veranschaulicht<br />

an Beispielmodellen in Sozialen Diensten<br />

Projektbeispiele<br />

Sechs Dimensionen<br />

von Teilhabe/Einbezug<br />

1 Zeithorizont und<br />

strukturelle Einbettung<br />

der Teilhabe<br />

2 Politik-/ Handlungsbereich<br />

3 Projektverantwortung<br />

4 Staatsebene bzw.<br />

Verortung<br />

5 Übergeordnete Ziele<br />

der Teilhabe<br />

6 Intensität der<br />

Partizipation<br />

Kundenkonferenz in<br />

Basel, «Gemeinsam/Ensemble»,<br />

in Biel<br />

Befristete und permanente<br />

Gremien<br />

( Weiter-)Entwicklung von Strukturen und<br />

Prozessen in Sozialen Diensten<br />

Soziale Dienste<br />

(top-down)<br />

· kommunal<br />

· kantonal/regional<br />

· Konsultation und/<br />

oder<br />

· Co-Konstruktion<br />

SCHWERPUNKT 2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

Anstellung von<br />

«Experts du vécu<br />

en matière de pauvreté»<br />

(Belgien)<br />

(Un-) befristete<br />

Anstellung<br />

· kommunal<br />

· kantonal/regional<br />

· national<br />

· Bewertung von Organisationsstrukturen<br />

und -prozessen sowie von professionellen<br />

Praktiken<br />

· Einbringen von Verbesserungs-/Lösungsvorschlägen<br />

· z.T. Konsultation<br />

· Co-Konstruktion<br />

· Mitentscheidung<br />

15<br />


Wirkungspotential, Herausforderungen und Voraussetzungen<br />

bei befristeten Gremien<br />

Laut Erfahrungsberichten enthält der Einbezug von armutsbetroffenen<br />

Personen in Sozialdiensten verschiedene Wirkungspotenziale.<br />

Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass solche Prozesse mit Herausforderungen<br />

und Stolpersteinen verbunden sind. Damit kann das<br />

Wirkungspotential eingeschränkt werden. Dies kann vermieden<br />

werden, wenn notwendige Voraussetzungen geschaffen und garantiert<br />

werden.<br />

Zu den zentralen Wirkungspotentialen von befristeten Gremien<br />

zählen:<br />

1. Strukturen und Prozesse einer sozialen Organisation werden<br />

verbessert, indem ein besserer gegenseitiger Zugang von<br />

Fachpersonen und Betroffenen durch die befristeten Gremien<br />

ermöglicht wird. Dadurch werden andere Perspektiven auf<br />

Herausforderungen in der sozialen Organisation und Kenntnis<br />

derer Gründe gewonnen.<br />

2. Armutsbetroffene Personen werden von Massnahmen und Prozessen<br />

in sozialen Organisationen weniger ausgeschlossen.<br />

3. Das Wissen, die Erfahrung und Sichtweise von armutsbetroffenen<br />

Personen werden genutzt, indem deren Erfahrungswissen<br />

direkt eingeholt wird. Blinde Flecken in Massnahmen und Prozessen<br />

werden aufgedeckt und damit zielgerichtete Arbeiten,<br />

Interventionen und Programme geschaffen. Schliesslich können<br />

durch solche Gremien mehr armutsbetroffene Personen<br />

erreicht werden.<br />

4. Gegenseitiges Verständnis gegenüber Personengruppen aus<br />

Armutserfahrung und Politik kann gefördert und Missverständnisse<br />

können geklärt werden.<br />

5. Weiter können eine bessere Zusammenarbeit und Kommunikation<br />

zwischen armutsbetroffenen Personen und Fachkräften/<br />

Politik/Administration unterstützt werden.<br />

Zu den Herausforderungen bei befristeten Gremien zählen:<br />

1. Mangelnde zeitlichen Ressourcen, fehlende Unterstützung<br />

durch die Leitung, starre Verwaltungswege, die einzuhalten<br />

sind, oder fehlendes Wissen im konstruktiven Umgang mit armutsbetroffenen<br />

Personen.<br />

2. Eine weitere Herausforderung ist das Machtverhältnis und der<br />

Paternalismus, der in sozialen Organisationen besteht. Beispielsweise<br />

ist es für viele Fachpersonen herausfordernd, auf<br />

Augenhöhe zu kommunizieren, ohne die bestehenden Machtverhältnisse<br />

zu verschleiern.<br />

3. Zudem besteht die Gefahr, die armutsbetroffenen Personen auf<br />

ihre Armutserfahrungen zu reduzieren und damit zu stigmatisieren.<br />

4. Schliesslich zeichnen sich soziale Organisationen durch eine<br />

eher starre Planung und fehlende Flexibilität aus.<br />

Die Beteiligung von Armutsbetroffenen in den Sozialen Diensten hat<br />

Entwicklungspotenzial. <br />

Um diese Herausforderungen gezielt anzugehen und echte<br />

Teilhabe zu ermöglichen, können folgende Voraussetzungen als<br />

Orientierung dienen. Diese sind als Fragen formuliert und aufgelistet,<br />

welche die Fachpersonen und Leitungen von Sozialdiensten,<br />

angepasst an die jeweiligen Rahmenbedingungen eines geplanten<br />

Projekts, beantworten und für sich klären können:<br />

1. Repräsentanz: Wer repräsentiert wen? Wer wird repräsentiert?<br />

Für wen wird gesprochen?<br />

2. Gegenstand der Teilhabe: Woran wird teilgenommen?<br />

3. Rollen/Erwartungen: Was wird von einzelnen Personen erwartet?<br />

4. Intensität der Teilhabe: Ist eine Mitsprache, ein Mitentscheid<br />

oder sind andere Formen der Teilhabe vorgesehen?<br />

5. Ziele, die erreichbar sind: Was wird sich durch die Teilhabe der<br />

armutsbetroffenen Personen ändern?<br />

6. Prozesse/Form der Information: Wie werden alle Beteiligten regelmässig<br />

und nachvollziehbar über den Verlauf und den Stand<br />

bezüglich der Bearbeitung von Anliegen informiert?<br />

7. Evaluationen/Auswertungsprozesse: Wie wird über mögliche<br />

Hürden, Erfolge, Lernergebnisse etc. reflektiert? Wie werden<br />

gesetzte Ziele überprüft? Wie werden diese Resultate kommuniziert?<br />

8. Nutzen/Resultate der Teilhabe: Was hat sich tatsächlich geändert?<br />

Wie können Erfolgserlebnisse sichtbar gemacht werden,<br />

um dadurch die Motivation zur Teilhabe weiter zu stärken und<br />

den entsprechenden Prozess zu legitimieren?<br />

16 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong> SCHWERPUNKT


PARTIZIPATION<br />

STUDIE UND TAGUNG<br />

Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) vergab<br />

an die BFH zwei Mandate: Im ersten Forschungsprojekt<br />

in Kooperation mit der HES-SO Fribourg und Genf wird der<br />

Begriff «Partizipation» geklärt. Weiter werden nationale und<br />

internationale Beispielprojekte identifiziert, analysiert und<br />

zu Teilhabemodellen verdichtet. Zudem wurden Wirkungspotentiale,<br />

Herausforderungen und Voraussetzungen für eine<br />

erfolgreiche Umsetzung formuliert. Die daraus resultierenden<br />

Empfehlungen zur Umsetzung der Modelle werden im zweiten<br />

Projekt «Praxishilfen» mit politischen Gemeinden und<br />

Betroffenen erarbeitet und an der nationalen Tagung «Einbezug<br />

und Beteiligung armutsbetroffener Menschen» nicht wie<br />

ursprünglich vorgesehen im September <strong>20</strong><strong>20</strong> sondern neu<br />

am 4. Februar <strong>20</strong>21 vorgestellt und diskutiert. Der Schlussbericht<br />

erscheint im Juni:<br />

Chiapparini, E., Schuwey, C., Beyeler, M., Reynaud, C., Guerry,<br />

S., Blanchet, N., & Lucas, B. (<strong>20</strong><strong>20</strong>). Modelle der Partizipation<br />

armutsbetroffener und -gefährdeter Personen in der Armutsbekämpfung<br />

und -prävention: Schlussbericht: Bundesamt für<br />

Sozialversicherungen (BSV).<br />

www.gegenarmut.ch<br />

Bild: Mila Hess<br />

Insbesondere in der Einführungs-/Aufbauphase eines befristeten<br />

Gremiums ist auf drei wichtige Aspekte zu achten:<br />

1. Genügend (finanzielle, personelle, fachliche und zeitliche) Ressourcen<br />

stehen zur Verfügung.<br />

2. Genügendes Durchhalte- und Überzeugungsvermögen aller<br />

Beteiligter ist nötig.<br />

3. Schliesslich ist zentral, das institutionelle Commitment eingeholt<br />

zu haben.<br />

Schlussfolgerungen<br />

Grundsätzlich lohnen sich Projekte in Sozialdiensten, in denen armutsbetroffene<br />

Personen in Prozesse und Massnahmen einbezogen<br />

werden. Dennoch ist nicht zu verkennen, dass deren Umsetzung<br />

voraussetzungsvoll ist. Für eine gelingende Umsetzung sind,<br />

abgeleitet von der Praxiserfahrung, drei Schritte zu empfehlen:<br />

1. Eine sorgfältige Planung und klare Kommunikation von Zielen,<br />

Rollen und Mitbestimmungsmöglichkeiten (Vorbereitungsprozess)<br />

2. Aufbau von Fachkompetenzen mit Blick auf den Einbezug von<br />

armutsbetroffenen Personen in Projekte (Weiterbildungen)<br />

3. Evaluation der Umsetzung und der Wirkungen von Teilhabeprozessen<br />

(Überprüfung der Ziele)<br />

Um armutsbetroffene und gefährdete Personen stärker in Prozesse<br />

und Massnahmen der Armutsbekämpfung zu beteiligen,<br />

ist es grundsätzlich nötig, dass dies in verschiedenen Politik- und<br />

Handlungsbereichen geschieht. Dazu zählt die Beteiligung an der<br />

Gründung und Stärkung von Interessenorganisationen, an der<br />

(Weiter-)Entwicklung von politischen und rechtlichen Grundlagen,<br />

an der (Weiter-)Ausbildung von Fachpersonen in sozialen,<br />

gesundheitlichen und politischen Bereichen, am öffentlichen Diskurs<br />

und Lobbying und an der Erarbeitung von Grundlagen der<br />

Teilhabe (vgl. Kasten). Insgesamt ist festzustellen, dass die Beteiligung<br />

in den Sozialen Diensten in der Schweiz vielversprechend ist<br />

und Entwicklungspotential hat.<br />

•<br />

Prof. Dr. Emanuela Chiapparini<br />

Berner Fachhochschule Departement Soziale Arbeit<br />

SCHWERPUNKT 2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />


Die Betroffenen beeinflussen die<br />

Prioritäten des Managements<br />

In Biel wird seit drei Jahren die betriebliche Realität in der Sozialhilfe zusammen mit<br />

Sozialhilfebeziehenden diskutiert und positiv verändert. Im Projekt «Gemeinsam/Ensemble» sitzen<br />

Sozialarbeitende und Sozialhilfebeziehende gleichberechtigt am Tisch und diskutieren im Auftrag<br />

der Abteilungsleitung zuvor gemeinsam definierte Themenkreise. Ziel ist, realisierbare Optimierungs-<br />

Vorschläge zu entwickeln. Für die Teilnehmenden ist dies sehr bereichernd und die Resultate der<br />

ersten zwei Runden führen für Mitarbeitende wie Sozialhilfebeziehende zu Optimierungen.<br />

Die Partizipation von Sozialhilfebeziehenden zur Mitgestaltung<br />

der Zusammenarbeit ist nicht neu. Für sehr kleine Sozialdienste<br />

war es durchaus üblich, dass Verbesserungsvorschläge kurze Wege<br />

hatten und in die Ausgestaltung der Alltagsrealität einfliessen<br />

konnten. Heute sind die Dienste grösser und die Wege etwas komplexer.<br />

Üblich und gut bekannt ist der Weg im Rahmen des Qualitätsmanagements.<br />

Durch «Befragungen» in Bezug auf die «Zufriedenheit»<br />

sowie durch «Ideen- und Kritik-Boxen» oder auch im<br />

Rahmen von Evaluationen werden Anliegen gesammelt und dann<br />

«inhouse» durch die betroffenen Dienste gewertet und in umsetzbare<br />

Massnahmen gewandelt. Das alles machen viele und ist auch<br />

nicht weiter neu. In der zweisprachigen Stadt Biel ist man einen<br />

Schritt weitergegangen. Ausschlag daür waren eine grössere Reorganisation<br />

der Abteilung Soziales und ein Leitungswechsel.<br />

«Ich wollte auch den Betroffenen<br />

eine Stimme geben und von ihnen<br />

lernen, was aus ihrer Sicht im machbaren<br />

Bereich positiv verändert werden<br />

könnte, um die Zusammenarbeit<br />

zwischen Sozialdienst und Sozialhilfebeziehenden<br />

zu verbessern.»<br />

Thomas Michel, Leiter Abteilung Soziales Biel<br />

Eine Anfrage für eine Masterarbeit von zwei Studierenden<br />

kam Thomas Michel, dem Leiter der Abteilung Soziales in Biel,<br />

gerade recht: Er beauftragte diese, das Thema «Partizipation» in<br />

Form eines Projektvorschlages auszuarbeiten. Die beiden haben<br />

diese Herausforderung angenommen und gemeinsam mit Betroffenen<br />

eine Auslegeordnung und Projektideen entwickelt. Diese<br />

Ideen wurden der Leitung der Abteilung durch die Sozialhilfebeziehenden<br />

präsentiert und übergeben. Leicht adaptiert wurde<br />

aus diesen Basisideen das kleine wirkungsorientierte Projekt «Gemeinsam/Ensemble».<br />

Im Herbst geht es jeweils mit dem Aufruf zur Mitwirkung los:<br />

Es ist gar nicht so einfach, Sozialhilfebeziehende zur Umgestaltung<br />

der Beratungs-Rahmenbedingungen zu motivieren. Das ist<br />

verständlich – schliesslich gibt es vielerlei Befürchtungen oder<br />

gar Ängste zu überwinden. Als guter Weg zur Rekrutierung von<br />

Betroffenen bieten sich die zahlreichen institutionellen Partner<br />

der Sozialhilfe an: kirchliche oder präventiv tätige Stellen, Arbeitsintegrations-Anbieter<br />

sowie andere Beratungsstellen sind aktive<br />

Partner im Sozialhilfeprozess. Sie beraten Sozialhilfebeziehende<br />

ergänzend oder subsidiär vorgelagert und Kritik am bestehenden<br />

System gehört bei ihnen zum Beratungsalltag. Ziel des Aufrufs:<br />

Eine überschaubare Gruppe von direkt betroffenen Einzelpersonen<br />

sollte in einen mehrteiligen Aushandlungs-Prozess einsteigen.<br />

Im ersten Durchlauf <strong>20</strong>18/<strong>20</strong>19 stand die Frage im Zentrum:<br />

«Was kann rund um die Anmeldung und die ersten Kontakte optimiert<br />

werden?» Der aktuelle Durchlauf von «Gemeinsam/Ensemble»<br />

<strong>20</strong>19/<strong>20</strong><strong>20</strong> bearbeitet die komplexere Frage «Was wären<br />

hilfreiche Angebote, um den Sozialhilfe-Alltag selbstbestimmt<br />

und kompetent zu bewältigen?»<br />

In fünf Sitzungen je à 3 Stunden wird unter der sachkundigen<br />

Leitung eines zweisprachigen und neutralen «externen» Moderators<br />

die Frage bearbeitet. Die Gruppe besteht aus einer Mehrheit<br />

von Sozialhilfebeziehenden und 2-3 Mitarbeitenden des Sozialdienstes.<br />

Am Start-Anlass nimmt der Abteilungsleiter selbst kurz<br />

teil. Einerseits um die Teilnehmenden kurz kennenzulernen und,<br />

wichtiger, um den Auftrag zu klären. Er erläutert also die Fragestellungen<br />

und verlässt dann den Kreis, damit sich die Runde frei<br />

von Management-Einflüssen den eigenen Ideen widmen kann.<br />

Nach einer Auslegeordnung der Anwesenden werden Themen<br />

festgelegt, an denen in den Blöcken 2 und 3 diskutiert wird. Der<br />

Moderator sorgt für die in Biel nötige Übersetzung und die Ausrichtung<br />

auf das Ziel.<br />

Am Ende des 4. Blockes kehrt der Abteilungsleiter zurück und<br />

die teilnehmenden Sozialhilfebeziehenden stellen ihre Vorschläge<br />

mutig und hoffnungsvoll im Rahmen einer Präsentation vor.<br />

Zwischen Block 4 und 5 braucht es etwas Abstand, weil die Vorschläge<br />

da in der Abteilung diskutiert und im Management auf<br />

ihre Umsetzbarkeit bewertet werden. Der Block 5 ist dazu da, dass<br />

der Abteilungsleiter den Teilnehmenden mitteilt, was umgesetzt<br />

werden soll und was nicht. Dieser Block steht dieses Jahr infolge<br />

18 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong> SCHWERPUNKT


PARTIZIPATION<br />

«Ich freue mich auf jedes Treffen von<br />

Gemeinsam/Ensemble. Ich darf mitgestalten<br />

und erleben, wie sich Menschen<br />

mit sehr unterschiedlichen Fähigkeiten<br />

und Lebensgeschichten gemeinsam in<br />

gegenseitiger Achtung aufmachen, einen<br />

Teil ihrer Lebensrealität für andere und<br />

sich selbst zu verbessern. Dies gelingt<br />

auch, weil die erarbeiteten Vorschläge<br />

vom Sozialdienst ernsthaft aufgenommen<br />

und wenn immer möglich weiterbearbeitet<br />

und umgesetzt werden.»<br />

Martin Zeller, Moderator und Coach, Triaspect AG, Biel<br />

der Corona-Massnahmen noch aus. Letztes Jahr konnten aber 12<br />

Massnahmen umgesetzt werden, welche die Zusammenarbeit<br />

während der Startphase für alle Betroffenen angenehmer machen.<br />

Die zweite Hälfte des 5. Blockes gehört – wiederum ohne Abteilungsleitung<br />

– einer Evaluation des Prozesses sowie der Sammlung<br />

von möglichen Themen für künftige Durchführungen von<br />

«Gemeinsam/Ensemble».<br />

Damit dieses kleine Gebilde nicht nur in der Theorie, sondern<br />

auch in der Praxis funktioniert, braucht es jemanden, der die Ausschreibung,<br />

die Organisation und die Aktennotizen übernimmt<br />

sowie einen guten «neutralen» Ort für die Durchführung. Die<br />

Organisation in Biel wird jeweils einer Praktikantin übertragen,<br />

welche für dieses Projekt direkt mit der Abteilungsleitung zusammenwirkt.<br />

Eine zentrale Rolle hat die Person, welche von aussen<br />

kommend die Moderation übernimmt. Es obliegt ihr, mit der<br />

Gruppe auf dem Weg zu bleiben und dafür zu sorgen, dass die<br />

« J'ai été agréablement surpris par<br />

l'entrain des bénéficiaires de l'aide<br />

sociale à participer dans un bon esprit<br />

et aux organisateurs d'avoir mis en<br />

œuvre une structure et une ambiance<br />

plus que favorable au bon déroulement<br />

des réunions. »<br />

Participant anonyme de « Gemeinsam/Ensemble »<br />

generellen Fragestellungen konkretisiert werden, ohne in der Diskussion<br />

bei Einzelfällen zu landen. Von den Mitwirkenden wurde<br />

dies sehr gut verstanden und es war erstaunlich, wie engagiert<br />

Ideen entwickelt und erarbeitet wurden.<br />

Die erste Runde von «Gemeinsam/Ensemble» hat sich mit<br />

der Startphase in der Sozialhilfe befasst und Veränderungen im<br />

Empfangsraum in Biel bewirkt. Es wurden Ideen zur Gestaltung<br />

und zum Zugang zu Informationen umgesetzt. Vom optimierten<br />

Internet-Auftritt bis zum Wasserspender, der die Wartezeit erträglich<br />

macht, wurden Vorschläge der Betroffenen realisiert. Noch<br />

in Arbeit ist die Einführung eines Ticketing-Systems. Auch im<br />

Laufe der zweiten Durchführung kamen gute Ideen zusammen.<br />

Diese werden zurzeit noch auf ihre Umsetzbarkeit hin geprüft.<br />

Es kann aber davon ausgegangen werden, dass der Informationsfluss<br />

durch gezielte Massnahmen weiter verbessert werden kann,<br />

womit die Mitwirkung und die Autonomie aller Betroffenen aus<br />

Sicht der Mitwirkenden im Projekt «Gemeinsam/Ensemble» gestärkt<br />

werden können. Beeindruckend im Projekt sind nicht nur<br />

die Resultate, sondern auch der Umgang der Betroffenen untereinander<br />

sowie die Erkenntnisse, welche im Dialog gegenseitig<br />

erlangt werden.<br />

«Worte und Gehör finden, Meinungen<br />

austauschen, ernst genommen werden<br />

– Gemeinsam/Ensemble trägt<br />

dazu bei, Abläufe zu verbessern. Die<br />

Teilnahme bedeutet für viele aber auch<br />

Anerkennung und Befähigung.»<br />

Martin Zeller, Moderator und Coach, Triaspect AG, Biel<br />

Ziel ist, «Gemeinsam/Ensemble» weiterzuführen. Evaluationen<br />

von aussen, via die Berner Fachhochschule BFH, helfen, dieser<br />

Entwicklung eine Stossrichtung zu geben. So wurden mit allen<br />

Betroffenen <strong>20</strong>19 ausserhalb des Projektes Einzelgespräche zur<br />

Evaluation geführt mit dem Ziel, ein Instrument zur Bewertung<br />

des Partizipations-Vorganges zu entwickeln. Bisher wurde auf jegliche<br />

Medienarbeit bewusst verzichtet. Die Mitwirkenden sollten<br />

nicht im Rampenlicht stehen, sondern ihre Wirkung auf Basis von<br />

Vertrauen und gegenseitigem Verstehen gemeinsam aufbauen.<br />

Wichtig dafür ist die Bereitschaft der Leitung, sich auf diesen Prozess<br />

einzulassen. Dann erhalten die gemachten Vorschläge die im<br />

Alltag oft fehlende Priorität, um tatsächlich umgesetzt zu werden.<br />

So entsteht Wirkung. <br />

•<br />

Emilie Clavel<br />

Abteilung Soziales Biel-Bienne<br />

SCHWERPUNKT 2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />


Sozialhilfebeziehende als<br />

Ausbildner für Soziale Arbeit<br />

Schon seit <strong>20</strong>04 propagiert die Internationale Vereinigung der Schulen für Sozialarbeit die Teilnahme<br />

von Armutserfahrenen an der Ausbildung als Qualitätskriterium. Das <strong>20</strong>12 gegründete internationale<br />

Netzwerk PowerUs unterstützt und veröffentlicht die Projekte mehrerer Länder. In der Schweiz hat<br />

die Hochschule für Soziale Arbeit Freiburg in einem Pilotprojekt Armutsbetroffene als Ausbildner<br />

eingestellt.<br />

In Nordeuropa und Kanada sind Betroffene seit vielen Jahren in<br />

der Lehre involviert, an der Ausarbeitung oder der Beurteilung von<br />

Programmen, der Durchführung von Prüfungen, den Zulassungsverfahren,<br />

der Supervision oder auch als Studierende oder Mitforschende.<br />

Erste Studien deuten darauf hin, dass eine solche Entwicklung<br />

einen bedeutenden Mehrwert sowohl für die<br />

Studierenden als auch für die Klientinnen und Klienten und die<br />

Lehrpersonen mit sich bringt. Die stärkere Gewichtung des Erfahrungswissens,<br />

das heute von vielen Analysten als unabdingbar in<br />

der Sozialen Arbeit betrachtet wird, erweist sich also auch bereits<br />

als entscheidend für die Ausbildung der zukünftigen Fachleute.<br />

Trotz der äusserst ermutigenden Ergebnisse und des Interesses<br />

an diesem Ansatz haben die Schulen für Soziale Arbeit in der<br />

Schweiz jedoch offenbar noch Mühe, Betroffenen einen über einen<br />

punktuellen Erfahrungsbericht hinausgehenden Platz in der<br />

Ausbildung zu geben. Die stärkere Teilhabe von Betroffenen bei<br />

der Ausbildung bedeutet einen eigentlichen Paradigmenwechsel,<br />

der diverse Anpassungen erfordert: von den Lehrpersonen<br />

die Ausarbeitung von neuen pädagogischen Methoden sowie die<br />

Übernahme neuer Rollen und von den Ausbildungsstätten die Anpassung<br />

ihrer administrativen Rahmenbedingungen und die Bereitstellung<br />

von zusätzlichen Mitteln. Ferner ist ein solcher Ansatz<br />

mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Dies durch die<br />

Infragestellung der Hierarchie zwischen den verschiedenen Wissenstypen<br />

oder in ethischer Hinsicht beispielsweise die Gefahr der<br />

Instrumentalisierung oder der stärkeren Stigmatisierung.<br />

Die durchgeführten Versuche in Sachen Partizipation von<br />

Klientinnen und Klienten an der Ausbildung müssen zwingend<br />

sichtbar gemacht werden, damit die gewonnenen Erfahrungen<br />

eine breitere Umsetzung dieses Ansatzes fördern können. Dieser<br />

Artikel berichtet über ein im Studienjahr <strong>20</strong>18-<strong>20</strong>19 an der<br />

Hochschule für Soziale Arbeit Freiburg (HSA-FR) durchgeführtes<br />

Pilotprojekt und stellt die wichtigsten Ergebnisse der Beurteilung<br />

durch sämtliche mitbeteiligten Personen vor.<br />

Das Projekt in Kürze<br />

Acht Sozialhilfebeziehende wurden für ein Semester als Ausbildner<br />

für ein Ausbildungsmodul eingestellt. Die Referentinnen und<br />

Referenten konnten ihr Erfahrungswissen an zehn Studierende im<br />

3. Bachelor-Jahr weitergeben, zusammen mit ihnen über den Nutzen<br />

dieses Wissens für die Berufspraxis sowie über mögliche Verbesserungen<br />

nachdenken. Sie beteiligten sich auch an der Evaluation<br />

der Studierenden bei der mündlichen Schlussprüfung.<br />

Mit Unterstützung von Berufsleuten aus dem Netzwerk der<br />

HSA-FR und drei Sozialdiensten aus der Agglomeration Freiburg<br />

konnte eine Gruppe von Leistungsbeziehenden für die Teilnahme<br />

am Projekt zusammengestellt werden. Bei den Abklärungsgesprächen<br />

konnten sie ihre Motivationen zur Teilnahme am Projekt<br />

darlegen. Genannt wurde: Sich durch die Vermittlung ihrer sehr<br />

konkreten Wirklichkeit an die «allzu oft nur theoretisch ausgebildeten»<br />

Studierenden nützlich machen; die seltene Gelegenheit ergreifen,<br />

ihre Gefühle bezüglich ihrer Situation oder der Haltung<br />

von Sozialarbeitenden mitzuteilen oder Anerkennung für ihre<br />

Kompetenzen und Erfahrungen zu erhalten:<br />

«Dass die Sozialarbeiterin der Meinung<br />

war, wir könnten etwas Sinnvolles<br />

zur Ausbildung beitragen, hat unser<br />

Selbstwertgefühl gestärkt.»<br />

Betroffener<br />

Doch der Einsatz hat bei den zukünftigen Referentinnen und Referenten<br />

auch Angst hervorgerufen: Einige zweifelten anfänglich<br />

daran, dass sie in einem solchen Kontext ihren Platz finden würden,<br />

oder dass sie als Betroffene tatsächlich etwas beitragen und<br />

den Diskussionen folgen könnten.<br />

Wichtigste Etappen des Ausbildungsmoduls<br />

Das ersten Treffen hatte zum Ziel, einen für den Austausch günstigen<br />

Rahmen zu schaffen: Zunächst ging es darum, sich persönlich<br />

kennenzulernen, um den Status als Studierende, Leistungsbeziehende<br />

oder Lehrende zu überwinden, dann darum, gemeinsam<br />

eine Charta für eine freie und vertrauensvolle Meinungsäusserung<br />

(insbesondere bezüglich Verschwiegenheit, Wertfreiheit und<br />

Recht zu schweigen) zu gestalten, und schliesslich darum, die<br />

Gleichwertigkeit des Wissens aller zu betonen.<br />

Die Erfahrungsberichte standen im Zentrum des Moduls. Jeder<br />

Referent, jede Referentin konnte sich dazu äussern, was er oder<br />

sie im Zusammenhang mit der Sozialhilfe positiv oder negativ beurteilte.<br />

Anschliessend wurden diese individuellen Realitäten gemeinsam<br />

von den Studierenden und den Referierenden analysiert<br />

mit dem Ziel, gemeinsam zentrale Themen herauszuarbeiten. Auf<br />

<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong> SCHWERPUNKT


PARTIZIPATION<br />

Als erstes mussten die Beteiigten ihren jeweiligen Status als Studierende, Lehrende, Sozialhilfeempfangende zu überwinden.<br />

<br />

dieser Grundlage einigten sie sich dann auf zwei Themen, die sie<br />

vertiefen wollten und von denen aus sie mögliche Verbesserungen<br />

für die Berufspraxis entwickeln konnten. In diesem Prozess zur<br />

Festlegung der Prioritäten zeigte sich der gemeinsame Wunsch,<br />

die Bedeutung der Haltung der Sozialarbeitenden in der Zusammenarbeit<br />

sowie die Auswirkungen der Sozialhilfe auf die vielseitigen<br />

Aspekte des Lebens der betroffenen Personen besser zu<br />

verstehen.<br />

In einem letzten Schritt wurden die Studierenden und die<br />

Referierenden aufgefordert, relevante Aktionen im Sinn der festgestellten<br />

Verbesserungsmöglichkeiten zu entwickeln. So zeigte<br />

beispielsweise eine Gruppe auf, dass es im Kanton Freiburg für<br />

Menschen mit grossen Schwierigkeiten in der Beziehung zum<br />

Sozialarbeiter keinen neutralen Gesprächspartner gibt. Aufgrund<br />

dieser Erkenntnis wandte sich die Gruppe an den Berufsverband<br />

Trait d’Union, um mit dessen Mitgliedern über die Einrichtung<br />

einer kostenlosen Anlaufstelle nachzudenken.<br />

Ergebnisse<br />

Bei der Beurteilung des Prozesses haben die Studierenden insbesondere<br />

hervorgehoben, was sie bezüglich Abbau ihrer Vorurteile<br />

gegenüber den betroffenen Menschen und Legitimitität von Erfahrungswissen<br />

in den Referaten gelernt hatten:<br />

«Der Austausch mit den Referentinnen<br />

und Referenten hat uns bewiesen,<br />

dass sie Wissen einbringen, dass sie Experten<br />

ihrer Situation sind.»<br />

Studierender<br />

Die Studierenden sind sich auch bewusst geworden, was es konkret<br />

heisst, von der Sozialhilfe zu leben, was das institutionelle System<br />

für Gewalt hervorbringen kann und was für Auswirkungen<br />

berufliche Haltungen auf das Leben und die Gefühle der Leistungsbeziehenden<br />

haben können:<br />

«Wir haben schon vorher in der<br />

Ausbildung gelernt, dass wir<br />

empathisch sein müssen, doch dieses<br />

Modul bringt einen dazu, weiter zu gehen,<br />

es tatsächlich zu verstehen.»<br />

Studierender<br />

Die Referierenden ihrerseits hoben hervor, dass das Projekt eine<br />

Quelle der Weiterentwicklung war, sowohl für sie selbst als auch<br />

für die Studierenden. Es brachte ihnen Achtung und Wertschätzung<br />

und erlaubte ihnen, der Zeit in der Sozialhilfe einen Sinn zu<br />

geben:<br />

«Als Sozialhilfebezüger ist man<br />

abhängig, unselbständig; deshalb war<br />

es sehr wichtig, an einem solchen Projekt<br />

teilzunehmen.»<br />

Betroffene<br />

SCHWERPUNKT 2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

Bild: Palma Fiacco<br />

21<br />


Aus ihren Worten geht hervor, welche Macht das Teilen von Erfahrungen<br />

hat in Sachen gegenseitige Hilfe und Anerkennung oder<br />

Befreiung von Schuldgefühlen:<br />

«Dank der Teilnahme an diesem Projekt<br />

fühlen wir uns weniger allein, weniger<br />

schuldig, dass es so weit gekommen ist.<br />

Wir konnten den Studierenden zeigen,<br />

dass wir das Leben in der Sozialhilfe<br />

nicht gewählt haben».<br />

Betroffene<br />

Die Leiterinnen des Moduls schliesslich mussten ihre Unterrichtsmethoden<br />

anpassen, ihre Rolle weiterentwickeln weg von<br />

der reinen Wissensvermittlung hin zur Schaffung von Rahmenbedingungen,<br />

die echte Mit- bzw. Aufbauarbeit ermöglichen. Ihrer<br />

Meinung nach hat das Projekt bestätigt, wie bedeutsam das Erfahrungswissen<br />

der Leistungsbeziehenden ist. Bisweilen wirft dieses<br />

theoretische und/oder fachliche Kenntnisse über den Haufen, vor<br />

allem wenn diese nicht genügend in der Wirklichkeit verankert<br />

sind. Das Modul hat sie auch vom Potenzial eines solchen Prozesses<br />

bezüglich Abbau der sozialen Schranken und der Ungleichheiten<br />

zwischen den Akteuren der Sozialarbeit überzeugt, dies sogar über<br />

die Grenzen der Ausbildung hinaus. So wurde denn die Gruppe<br />

von Klienten, die im Modul referiert hatten, von der Direktion für<br />

Gesundheit und Soziales des Kantons Freiburg eingeladen, an der<br />

kantonalen Sozialhilfe-Tagung zu sprechen. In diesem Rahmen<br />

hatten die Leistungsbeziehenden zum ersten Mal die Möglichkeit,<br />

mit den zahlreichen Akteuren der Sozialhilfe auszutauschen. Offenbar<br />

hat ihnen die Bildung eines Kollektivs innerhalb einer Ausbildungsstätte<br />

die nötige Sichtbarkeit und Legitimität verschafft,<br />

um zu neuen Gesprächspartnern auf politischer Ebene zu werden.<br />

Herausforderungen<br />

Die von allen Beteiligten festgestellte wichtigste Schwierigkeit für<br />

das Projekt war der Mangel an Zeit für manche Etappen. Grund<br />

für die knappen Zeitressourcen waren in erster Linie finanzielle<br />

Zwänge. Der Wunsch, das individuelle Wissen in kollektives Wissen<br />

überzuführen, erforderte, dass mehrere Referierende für die<br />

gleiche Unterrichtsperiode entlohnt werden mussten. Somit musste<br />

die Anzahl Sitzungen eingeschränkt werden, wenn das zur Verfügung<br />

stehenden Budget (das gegenüber den traditionellen Modulen<br />

allerdings aufgestockt wurde) eingehalten werden sollte. Die<br />

Literatur bestätigt, dass die Zeit bei einem solchen Vorgehen ein<br />

entscheidender Faktor ist, insbesondere um Vertrauensbeziehungen<br />

herzustellen und Alibi-Teilnahmen zu verhindern. Mit Blick<br />

auf die Fortführung des Projekts im Herbst <strong>20</strong><strong>20</strong> müssen methodische<br />

und finanzielle Lösungen gefunden werden.<br />

Die Studierenden gaben an, dass sie sehr unsicher waren bezüglich<br />

des Verhaltens gegenüber den Referierenden in den Momenten<br />

der Diskussion oder des Mit-Aufbaus. Sie befürchteten oft,<br />

zu viel Platz einzunehmen, etwas von den Leistungsbeziehenden<br />

als unpassend oder verletzend Empfundenes zu sagen oder zu tun.<br />

Die Leiterinnen teilten diese Besorgnis, denn für sie war es<br />

zentral, dass die Teilnahme am Modul keine Stigmatisierung oder<br />

zusätzlichen Schwierigkeiten für die Betroffenen mit sich brachte.<br />

Letztere sollten gleich behandelt werden wie alle anderen schulexternen<br />

Dozenten. Doch dieser Grundsatz stiess oft an Grenzen. So<br />

war es beispielsweise gar nicht so harmlos, Hilfe anzubieten oder<br />

einen Kaffe zu spendieren, da dies als Herablassung oder Nicht-<br />

Wahrnehmung ihrer Selbständigkeit hätte interpretiert werden<br />

können. Desgleichen war das Anliegen nach Wahrung ihrer Anonymität<br />

innerhalb der Schule oft verbunden mit der Angst, dass<br />

gewisse Referierende dies als mangelnde Wertschätzung empfinden<br />

könnten.<br />

Angesichts solcher Fragen ist entscheidend, zu kommunizieren,<br />

sich kennenzulernen, um den bisweilen widersprüchlichen<br />

Wünschen und Bedürfnissen gerecht werden zu können. Dank<br />

den Beziehungen, die insbesondere auch in den wertvollen informellen<br />

Momenten geknüpft wurden, konnte die ganze Gruppe am<br />

Schluss mit viel Humor mit der zu Beginn der Zusammenarbeit<br />

sehr präsenten Angst vor einem Fauxpas umgehen.<br />

Zukunftsaussichten<br />

Trotz der bewältigten oder noch zu bewältigenden Herausforderungen<br />

bestätigt dieses Projekt, wie wichtig es ist, dem Erfahrungswissen<br />

der Leistungsbeziehenden in der Ausbildung in Sozialer<br />

Arbeit mehr Gewicht zu geben. Wenn das Stadium der<br />

vereinzelten Versuche überwunden werden soll, muss dieser Ansatz<br />

unbedingt nachhaltiger und struktureller in den (Grund- und<br />

Weiter-) Bildungs- und Forschungsprogrammen verankert werden.<br />

So könnten beispielsweise in den Lehranstalten permanente<br />

Gremien mit Betroffenen geschaffen werden, die den längerfristigen<br />

Aufbau von Partnerschaften für schrittweise, vielfältige und<br />

gegenseitig bildende Kooperationen ermöglichen.<br />

Und schliesslich müssten auch die leitenden Instanzen der<br />

Schulen angepasst werden, damit Klientinnen und Klienten<br />

sich mit dem gleichen Status daran beteiligen können wie die<br />

Fachleute oder die Studierenden. Denn die Ausbildungen können<br />

nur besser werden, wenn sie sich auch auf die Sichtweise<br />

der Klientinnen und Klienten der Sozialen Arbeit stützen. Eine<br />

stärkere Handlungsfähigkeit der Betroffenen erfordert echte Veränderungen<br />

auf der Ebene der Machtverhältnisse über die Stärkung<br />

der individuellen Ressourcen hinaus. Deshalb sollten die<br />

Sozialarbeitenden unbedingt schon bei der Ausbildung mit den<br />

Leistungsbeziehenden zusammenarbeiten, um ein für die Kooperation<br />

offenes berufliches Selbstverständnis zu entwickeln. •<br />

Sophie Guerry & Caroline Reynaud (Leiterinnen),<br />

Karine Donzallaz (Referentin)<br />

22 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong> SCHWERPUNKT


Gemeinsam mit Menschen mit<br />

Armutserfahrung forschen<br />

PARTIZIPATION<br />

Die Bewegung ATD Vierte Welt stellt fest, dass gerade im Bereich der Armutsbekämpfung und<br />

-forschung in vielen Fällen weiterhin über statt mit armutsbetroffenen Menschen entschieden wird.<br />

So werden sie für Forschungsarbeiten zwar regelmässig über ihre Meinung und Erfahrungen befragt,<br />

die Schlüsse werden jedoch meist von anderen Personen gezogen.<br />

Mit dem partizipativen Forschungsprojekt «Armut – Identität –<br />

Gesellschaft» (<strong>20</strong>19 – <strong>20</strong>21) versucht ATD Vierte Welt einen neuen<br />

Weg zu gehen. Was dieses Projekt von herkömmlichen Forschungsprojekten<br />

im Bereich der Armutsbekämpfung<br />

unterscheidet, ist die Tatsache, dass die Forschung nie über, sondern<br />

mit jenen Menschen durchgeführt wird, die am direktesten<br />

mit dem Thema konfrontiert sind. So sind in jeder Phase des Projekts<br />

Menschen mit Armutserfahrung beteiligt – von der Definition<br />

der Forschungsfrage bis zur Analyse und Interpretation der Ergebnisse.<br />

Die langjährige Erfahrung der internationalen Bewegung<br />

ATD Vierte Welt zeigt, dass nur durch die gemeinsame Herangehensweise<br />

und den vollwertigen Miteinbezug direkt betroffener<br />

Personen Wege gefunden werden können, um würdevolle und<br />

nachhaltige Verbesserungen zu erreichen.<br />

Aus der Geschichte lernen<br />

Unter dem Begriff «fürsorgerische Zwangsmassnahmen» wurden<br />

bis ca. 1981 in der Schweiz behördliche Massnahmen praktiziert,<br />

die zu drastischen Eingriffen in das Leben der betroffenen Personen<br />

führten. Stark davon betroffen waren insbesondere Menschen<br />

und Familien, die in Armut lebten. Obwohl sich die Gesetzeslage<br />

seither geändert hat, zeigen die Erfahrungen von Mitgliedern von<br />

ATD Vierte Welt, dass es auch heute Menschen gibt, die seit Jahren<br />

nicht aus der Armut herauskommen und die heutigen «fürsorgerischen»<br />

Massnahmen als Kontrolle und Abhängigkeit erleben, die<br />

sie in ihrer Würde verletzen und daran hindern als vollwertige Akteure<br />

wahrgenommen zu werden.<br />

DIE BEWEGUNG ATD VIERTE WELT<br />

Die internationale Bewegung ATD Vierte Welt («Agir Tous pour<br />

la Dignité», Gemeinsam für die Menschenwürde) ist eine<br />

Nichtregierungsorganisation ohne religiöse oder politische Zugehörigkeit.<br />

Ihr Ziel ist die Überwindung der Armut zusammen<br />

mit Menschen, die diese erleben. Seit 1967 in der Schweiz<br />

präsent, bringt die Bewegung Menschen mit unterschiedlichem<br />

sozialem und kulturellem Hintergrund zusammen, um<br />

gemeinsam über Armut und soziale Ausgrenzung nachzudenken,<br />

zu lernen und zu handeln. Die Bewegung beruht auf einer<br />

horizontalen Organisationskultur, bei der zudem in möglichst<br />

allen grundlegenden Entscheidungen armutserfahrene Menschen<br />

beteiligt sind.<br />

www.atd-viertewelt.ch<br />

Das Projekt «Armut – Identität – Gesellschaft» setzt an dieser<br />

Stelle an. Es versucht die Beziehung zwischen Gesellschaft, Institutionen<br />

und Menschen in Armut besser zu verstehen und dazu<br />

beizutragen, dass sich Armut und erlebte Gewalt im Zusammenwirken<br />

mit Institutionen nicht mehr von Generation zu Generation<br />

wiederholt. Das vom Bundesamt für Justiz mitunterstützte<br />

Projekt dauert drei Jahre.<br />

Echte Partizipation braucht Zeit und Ressourcen<br />

Was auf den ersten Blick simpel klingen mag, ist in der Realität ein<br />

aufwändiger und langwieriger Prozess. Um echte Partizipation<br />

möglich zu machen, braucht es viel Zeit und Ressourcen von freiwilligen<br />

Mitarbeitenden, welche die involvierten Personen begleiten<br />

und gegenseitiges Vertrauen aufbauen können. Dies zeigt sich<br />

bei der Durchführung der «Volksuniversität Vierte Welt», einem<br />

zentralen Anlass des Projektes. Armutsbetroffene Jugendliche und<br />

Erwachsene können zusammenkommen und sich darin üben, ihre<br />

Erfahrungen und Gedanken auszudrücken und so ein kollektives<br />

Wissen aufzubauen. Die Durchführung einer solchen jährlichen<br />

nationalen, zweisprachigen «Volksuniversität Vierte Welt», bei der<br />

<strong>20</strong>19 rund 80 armutsbetroffene Personen aus verschiedenen<br />

Landesteilen der Schweiz zusammenkamen, ist nur möglich dank<br />

einer akribischen thematischen Vorbereitung in verschiedenen<br />

kleineren regionalen Gruppen.<br />

Das kollektive Wissen, das dabei erarbeitet wird, ist die Grundlage<br />

für eine kleinere Delegation von Personen mit Armutserfahrung,<br />

welche Ende jeden Jahres mit Gruppen von Fachleuten aus<br />

der Praxis und mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an<br />

einer «Wissenswerkstatt» («Atelier du Croisement des Savoirs») zusammenkommen,<br />

um ihr Wissen zu verbinden und zu kreuzen.<br />

An der Wissenswerkstatt im Jahr <strong>20</strong>19 nahmen 36 Personen<br />

teil: 12 aus der Wissenschaft, 12 aus der Berufspraxis und 12<br />

Personen mit unterschiedlichen Erfahrungen von Prekarität oder<br />

umfassender Armut.<br />

Dieser Prozess mit den beiden genannten Anlässen im Verlauf<br />

eines Jahres wird sich bis zum Ende des Projekts <strong>20</strong>22 noch<br />

zweimal wiederholen. Durch den Einbezug der verschiedenen<br />

Wissensarten und Perspektiven werden politische, institutionelle<br />

und akademische Partnerschaften geschaffen, mit dem Ziel, dass<br />

das gemeinsam erarbeitete, emanzipatorische Wissen tatsächlich<br />

anerkannt und aufgenommen wird und zu nachhaltigen Veränderungen<br />

führen kann.<br />

•<br />

SCHWERPUNKT 2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

Michael Zeier<br />

ATD Vierte Welt<br />


Wie Experten mit Armutserfahrung<br />

Zugang und Qualität der öffentlichen<br />

Dienste optimieren<br />

In Belgien hat die Bundesstelle für die sozialen Integrationsprogramme einen äusserst innovativen<br />

Weg der Zusammenarbeit mit den schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft beschritten. Dies mit<br />

dem Ziel, den offenbar tiefen Graben zwischen den Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung und<br />

den von Armut Betroffenen zu schliessen. Seit <strong>20</strong>04 werden in Belgien die sogenannten Experten<br />

mit Armutserfahrung (EmA) angestellt, um die sie betreffenden staatlichen Dienstleistungen zu<br />

verbessern.<br />

«Unser Ziel muss sein, allen in Armut lebenden Personen – einschliesslich<br />

denjenigen, die durch alle Maschen des sozialen Netzes<br />

fallen – ein Leben in Würde zu garantieren.» Mit diesen Worten<br />

verabschiedete die belgische Regierung <strong>20</strong>04 eine ehrgeizige<br />

Strategie. Das Thema Armut ist in Belgien zwar sehr präsent, Kontakte<br />

und Gespräche mit den Betroffenen sind jedoch rar. Entsprechend<br />

wenig ist über Erfahrungen, Schwierigkeiten und Hindernisse<br />

dieser Personen bekannt. Dem Regierungsbeschluss<br />

vorangegangen war ein weitreichendes Forschungsprojekt. Die<br />

wissenschaftliche Studie war zu dem Schluss gekommen, dass viele<br />

von den Behörden eingeführten Massnahmen inadäquat sind<br />

und zu einer Vertiefung der Kluft zwischen den staatlichen Behörden<br />

und der betroffenen Bevölkerung geführt haben.<br />

Um das zu ändern, beschlossen die belgischen Sozialbehörden<br />

neue Ansätze auszuprobieren und mit der Zielgruppe gemeinsam<br />

an der Verbesserung der staatlichen Dienstleistungen zu arbeiten.<br />

Das innovative Projekt hatte primär zwei Ziele: den Zugang zu den<br />

nationalen staatlichen Stellen zu verbessern und damit allen in<br />

Belgien lebenden Personen den Zugang zu den sozialen Grundrechten<br />

gemäss der Deklaration der Menschenrechte, welche jedem<br />

Menschen ein Recht auf ein Leben in Würde einräumt, zu<br />

garantieren.<br />

Beteiligung der Experten an der Projektdefinition<br />

Während der ersten Phase des Projekts stellte die mit der Umsetzung<br />

betraute Stelle für soziale Integration zunächst zwei Personen<br />

ein, die selbst in Armut lebten. Sie wurden aus einer grossen Gruppe<br />

von Betroffenen ausgewählt. Diese sogenannten «Experten mit<br />

Armutserfahrung» (EmA) wurden auf ihre neue Aufgabe gezielt<br />

vorbereitet und ausgebildet.<br />

Die Vertreterinnen und Vertreter der Stelle für soziale Integration<br />

zogen die EmA zunächst hinzu, um den Projektrahmen zu<br />

definieren. Nach dieser Initiationsphase wurden weitere EmA<br />

eingestellt und auch in andere Dienststellen der Verwaltung entsandt.<br />

Die Stelle für soziale Integration ist für die Koordination<br />

des Projekts zuständig, aber auch für die Unterstützung der EmA<br />

und anderer involvierter Personen. Ein Mentor und ein Coach<br />

werden den in anderen Verwaltungseinheiten beschäftigten EmA<br />

zugeteilt, um ihnen die Integration in den entsprechenden Abteilungen<br />

zu ermöglichen. Während der Mentor in erster Linie persönliche<br />

Unterstützung bietet, steht der Coach vor allem für Fragen<br />

im Zusammenhang mit der Arbeit zur Verfügung.<br />

Die EmA absolvierten vor ihrem Einsatz ein spezielles Ausbildungsprogramm,<br />

das sie auf die spezifischen Aufgaben vorbereitet,<br />

die sie in den jeweiligen Abteilungen übernehmen sollen. Die<br />

Ausbildung wird in Zusammenarbeit mit den verantwortlichen<br />

Behörden und der Bildungsabteilung der öffentlichen Verwaltung<br />

ausgearbeitet. Die EmA erhalten einen Arbeitsvertrag für eine Vollzeitanstellung.<br />

Ihr Gehalt entspricht dem eines Staatsbeamten.<br />

Ihre Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag, um den Zugang von<br />

Armutsbetroffenen zu den staatlichen Leistungen zu verbessern.<br />

Im Einzelnen heisst das:<br />

• Die Schnittstelle im Kontakt mit der Zielgruppe wird neu gestaltet.<br />

Konkret sollten mehr zeitliche Ressourcen und mehr<br />

Raum für Rückzug zur Verfügung gestellt werden.<br />

• Die Betroffenen werden bei administrativen Problemen unterstützt,<br />

beispielsweise beim Ausfüllen der Formulare oder bei<br />

Anträgen um Unterstützung, beispielsweise nach einem Krankenhausaufenthalt,<br />

sowie die Begleitung bei Problemen mit<br />

dem Verwaltungsgericht.<br />

• Verbesserung der Qualität der staatlichen Leistungen. Hierzu<br />

sollen die EmA Dokumente und andere Kommunikationsmittel<br />

analysieren und verbessern.<br />

DER SPP INTÉGRATION SOCIALE<br />

Die Stelle für soziale Integration in der belgischen Verwaltung<br />

(service public fédéral de programmation intégration sociale,<br />

SPP IS) wurde <strong>20</strong>03 ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es, eine<br />

würdige Existenz für jeden in Armut lebenden Menschen sicherzustellen.<br />

Seither setzt sich der SPP IS für das Recht auf soziale<br />

Integration ein, indem er auch den Menschen ein Leben in<br />

Würde ermöglicht, die durch alle Maschen des sozialen Netzes<br />

gefallen sind und die unter prekären Umständen leben müssen.<br />

Er bekämpft Armut und sozialen Ausschluss in all seinen<br />

Erscheinungsformen, setzt sich für sozialen Zusammenhalt<br />

und Entwicklung der Grossstädte ein und sichert die soziale<br />

Integration durch die Sicherstellung der Sozialhilfe.<br />

24 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong> SCHWERPUNKT


PARTIZIPATION<br />

Ziel des Projekts ist, den tiefen Graben zwischen den staatlichen<br />

Dienstleistungen und den von Armut Betroffenen zu überbrücken. <br />

Bild: Hape Bolliger, pixelio <br />

• Die Information der Öffentlichkeit über die Rechte von Obdachlosen.<br />

Definitive Einführung der Partizipation<br />

Die Arbeiten mit den EmA zeitigten Erfolge. Nach zwei Programmperioden<br />

wurde das Projekt daher abgeschlossen und die Methode<br />

in einen dauerhaften Betrieb übergeführt, der sich nun «Stelle für<br />

Experten mit Armutserfahrung 2.0» nennt. Seither ist der Ansatz<br />

der Partizipation – also die Zusammenarbeit mit den Experten mit<br />

Armutserfahrung – Teil der staatlichen Verwaltung Belgiens.<br />

Hindernisse<br />

Dennoch begegnete das Projekt im Laufe der Umsetzung auch einer<br />

Reihe von Hindernissen:<br />

Die Sparpolitik bei den öffentlichen Haushalten liess wenig<br />

Spielraum für Investitionen in innovative Experimente. Auch<br />

stiessen sich die Neuerungen an der in der Verwaltung eher verbreiteten<br />

Zurückhaltung gegenüber Veränderungen. Viele Beamte<br />

taten sich schliesslich auch schwer, die Expertise und die meist<br />

nicht akademisch fundierten Kenntnisse der EmA anzuerkennen.<br />

Sorgen bereitete den Projektverantwortlichen ferner die überdurchschnittlichen<br />

Absenzen der EmA von der Arbeit. Im Jahr<br />

<strong>20</strong>18 wiesen die EmA durchschnittlich 36 Krankentage auf. Vier<br />

EmA fehlten während Monaten. Es wurde im <strong>20</strong>19 daher eine<br />

Untersuchung eingeleitet, welche die psychosozialen Effekte, die<br />

mit der Arbeit als EmA verbunden sind, untersuchen sollte. Eine<br />

weitere Erschwernis ist die Tatsache, dass der Beitrag der Arbeit<br />

der EmA zu den Neuerungen schwer zu erkennen, geschweige<br />

denn zu quantifizieren ist. Auch die Veränderungen der Organisationskultur<br />

innerhalb der involvierten Stellen als Folge der Zusammenarbeit<br />

des Personals mit den EmA zu bemessen, war nicht<br />

einfach. Dennoch: Die betroffenen Nutzer wie auch die involvierten<br />

Stellen und Organisationen, die ihre Prozesse und Dienstleistungen<br />

erneuert hatten, bewerteten die Arbeit der EmA positiv.<br />

Studien bestätigen positive Wirkung<br />

Auch mehrere Forschungsarbeiten zur Methode der Partizipation<br />

kamen zu dem Schluss, dass die Zusammenarbeit mit den EmA<br />

positive Effekte zeigte und eine Reihe von Resultaten brachte. Eine<br />

Bilanz einer Fallstudie, die auf der Website der Beratungsorganisation<br />

«Governance International» publiziert wurde, listet eine Reihe<br />

von Erfolgen auf:<br />

Die beteiligten Organisationen sind sich der Schwierigkeiten,<br />

denen Personen mit Armutserfahrung begegnen, deutlich bewusster;<br />

die Qualität der Dienstleistung der bürgernahen Stellen<br />

wurde erheblich verbessert. So wurde im Informationsdienst der<br />

belgischen Finanzverwaltung ein EmA angestellt, damit Ratsuchende<br />

in schwierigen Lagen bei ihm Hilfe und Tipps erhalten<br />

können. Ferner wurden die im Wartesaal verfügbaren Informationen<br />

verbessert und vereinfacht. Per Video erhalten die Wartenden<br />

hier bereits viele Informationen, was die Beratung am Ende vereinfacht.<br />

Die Angestellten betrachten die Besucher jetzt nicht<br />

mehr als Fälle, sondern vielmehr als Personen, die das Recht auf<br />

diese Dienstleistung haben. Und schliesslich konnten zahlreiche<br />

Personen dank der Arbeit der EmA ihr Recht auf Leistungen der<br />

Sozial-, Renten- oder anderer Versicherungen wahrnehmen. Inzwischen<br />

wurde auch noch ein Projekt der Zusammenarbeit mit<br />

EmA im Gesundheitsbereich lanciert. Ziel des Projekts ist es, den<br />

Zugang zur Gesundheitsversorgung von Armutsbetroffenen sowie<br />

ihre Kenntnisse zu Gesundheitsfragen zu verbessern. •<br />

SCHWERPUNKT 2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

Ingrid Hess<br />

25<br />


«Es hat mich dazu gebracht, über<br />

mich selbst hinauszuwachsen»<br />

NACHGEFRAGT Artias hat in Zusammenarbeit mit der Loterie romande, den Sozialämtern der<br />

Westschweizer und Berner Kantone sowie einigen Westschweizer Sozialdiensten ein Pilotprojekt<br />

zur Beteiligung von Langzeit-Sozialhilfeempfängern durchgeführt. Die Artias-Zentralsekretärin<br />

Martine Kurth und Stéphane, getrennt lebender Vater, kaufmännischer Angestellter und ergänzend<br />

Sozialhilfeempfänger, sagen, was das gebracht hat.<br />

«<strong>ZESO</strong>»: Was wollte die Artias mit dem Partizipationsprojekt<br />

erreichen?<br />

Martine Kurth: Die ersten Überlegungen verfolgten ein zweifaches<br />

Ziel: Einerseits wollten wir von den Betroffenen erfahren,<br />

was man bei der Begleitung auf Distanz anders bzw. besser machen<br />

könnte; andererseits waren wir überzeugt, dass mit einer<br />

Gruppenarbeit das Zugehörigkeitsgefühl für die Teilnehmenden<br />

gestärkt werden könnte, ihr Gefühl als Staatsbürgerinnen und<br />

Staatsbürger und damit das gesellschaftliche und demokratische<br />

Engagement von Menschen in prekären Lebenslagen<br />

gefördert würde.<br />

Wie wurde das Projekt angegangen?<br />

Martine Kurth: Es wurden etwa 60 Sozialhilfebeziehende ausgewählt<br />

und auf freiwilliger Basis von den Partnersozialdiensten<br />

des Projekts und den Mitgliedern des Projektausschusses<br />

eingestellt. Es wurden dann vier Gruppen an verschiedenen Orten<br />

der Westschweiz gebildet, die in der ersten Phase des Projekts<br />

während etwa neun Monaten mit einem Animationsteam<br />

zusammenarbeiteten. Es stellte sich dann schnell heraus,<br />

dass in allen Gruppen immer wieder die Frage auftauchte, was<br />

mit ihren Vorschlägen geschehen würde.<br />

Und wie konnten die Vorschläge umgesetzt werden?<br />

Martine Kurth: Die Artias schlug zunächst vor, dass die interessierten<br />

Gruppen die Organisation der Jahrestagung der Artias<br />

übernehmen sollten. Etwa zwanzig Projektteilnehmer griffen<br />

den Vorschlag spontan auf und arbeiteten mehrere Monate<br />

«Eine Beurteilung des Projekts<br />

und seiner Konsequenzen wird<br />

derzeit von der Hochschule<br />

für Soziale Arbeit in Freiburg<br />

durchgeführt.»<br />

Martine Kurth<br />

hart daran, die Tagung, die am 28. November <strong>20</strong>19 stattfinden<br />

würde, zu gestalten. Das ermöglichte es ihnen, die von den<br />

einzelnen Gruppen entwickelten konkreten Vorschläge zur Verbesserung<br />

der Begleitung von Sozialhilfeempfängern bekannt<br />

zu machen.<br />

Wie beurteilen Sie als Projektteilnehmer dieses Engagement?<br />

Stéphane: Sehr positiv, weil ich die Möglichkeit hatte, neue<br />

Kontakte zu knüpfen, neue Perspektiven zu erhalten und die<br />

Sozialhilfe anders zu sehen, was mir erlaubt hat, eine begleitete<br />

Arbeit zu finden, die mir mittelfristige Ausbildungsperspektiven<br />

bietet.<br />

Auf welche Schwierigkeiten sind Sie gestossen?<br />

Stéphane: Für mich gab es keine, denn wir waren eine fantastische<br />

Gruppe, solidarisch und vereint. Es war eine grossartige<br />

Erfahrung für mich.<br />

Welche Schlussfolgerungen werden aus dem Projekt gezogen, gibt es<br />

eine Fortsetzung?<br />

Martine Kurth: Eine Beurteilung des Projekts und seiner Konsequenzen<br />

wird derzeit von der Hochschule für Soziale Arbeit<br />

in Freiburg durchgeführt. Eine Synthese der Berichte zu den<br />

Vorschlägen der vier Gruppen wird von den Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern des Projekts in Zusammenarbeit mit der Artias<br />

und dem Lenkungsausschuss des Projekts erstellt. Die Synthese<br />

wird dann in verschiedenen Dienststellen vorgestellt.<br />

Darüber hinaus wurden mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

im Laufe des Projekts in andere Aktivitäten integriert, wie<br />

z.B. Konferenzen oder Kurse der Artias, Lenkungsausschüsse<br />

von wissenschaftlichen Projekten, eine Radiosendung, eine<br />

nationale Projektgruppe usw. Einige haben auch den Verein<br />

«Construire demain» gegründet, um den Blick auf die Sozialhilfe<br />

und die Menschen, die sie zum Überleben brauchen, zu<br />

verändern.<br />

Was hat das Projekt Ihnen als Teilnehmer gebracht?<br />

Stéphane: Eine der Lehren ist für mich die Bedeutung des sozialen<br />

Zusammenhalts, die Tatsache, nicht allein dazustehen,<br />

festzustellen, dass andere Menschen ähnliche Situationen<br />

26 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong> SCHWERPUNKT


PARTIZIPATION<br />

Positiv bewerteten Teilnehmende, dass ihnen das Projekt die Möglichkeit gab, neue Kontakte zu knüpfen.<br />

Bild: Uwe Duwald, pixelio<br />

erleben. Eine weitere Lehre ist die Erkenntnis, dass sich Sozialarbeiterinnen<br />

und Sozialarbeiter «zwischen Hammer und<br />

Amboss» befinden und wir uns als Begünstigte angewöhnen<br />

müssen, einen Beitrag zu leisten, indem wir Lösungen suchen.<br />

Wir sollten keine problematischen Fälle sein. Wenn wir etwas<br />

von den Sozialarbeitenden wollen, müssen wir auch unseren<br />

Beitrag leisten. Eine dritte Lehre war festzustellen, dass die Sozialhilfe<br />

das Leben einengt und mich dieses Projekt aus meiner<br />

Komfortzone – mit Sozialhilfe eher sehr relativ – gelockt hat.<br />

Es hat mich dazugebracht, über mich selbst hinauszuwachsen,<br />

etwas anderes sehen zu wollen. Der Beginn meiner Teilnahme<br />

am Artias-Projekt ging einher mit dem Aufsuchen einer<br />

psychiatrischen Beratungsstelle.<br />

Martine Kurth: Die Tatsache, in einer Gruppe zu sein, zu erkennen,<br />

dass alle anderen dieselbe Situation erleben und dass<br />

man sich innerhalb der Gruppe gegenseitig vertrauen muss,<br />

hat unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu starken<br />

Bindungen geführt. Sie stellt für viele so etwas wie ein Momentum<br />

dar, um sich neu zu positionieren.<br />

Was war für Sie das Schwierigste am Projekt?<br />

Stéphane: Der Morgen des 29. November, dem Tag nach der<br />

jährlichen Artias-Herbsttagung, die wir gemeinsam aufgebaut<br />

hatten und für die wir seit dem Sommer hart gearbeitet haben.<br />

Am nächsten Tag fühlt man sich leer, es ist vorbei... und obwohl<br />

man weiss, dass andere Dinge geschehen werden, gibt es im<br />

Moment eine Leere.<br />

«Eine der Lehren ist für mich<br />

die Bedeutung des sozialen<br />

Zusammenhalts, die Tatsache,<br />

nicht allein dazustehen, festzustellen,<br />

dass andere Menschen<br />

ähnliche Situationen erleben.»<br />

Stéphane<br />

Würden Sie sich in Zukunft gerne wieder in dieser Art engagieren?<br />

Stéphane: Ich bin in Verbänden in meiner Region bereits sehr<br />

aktiv. Und ich bin Mitglied von «Construire demain», dem Verein,<br />

den die Teilnehmer des Artias-Projekts im Jura gegründet<br />

haben, um das Unmögliche möglich zu machen. Und dort habe<br />

ich berufliche Ausbildungsprojekte im sozialen Bereich (MSP),<br />

die mich Zeit und Energie kosten werden. Aber ich stehe der Artias<br />

für ein neues ähnliches Projekt gerne zur Verfügung, denn<br />

es ist wichtig, dass wir unserer Situation Gehör verschaffen<br />

und die mit der Sozialhilfe verbundenen Vorurteile «ausmerzen»<br />

können.<br />

•<br />

Das Gespräch führte<br />

Ingrid Hess<br />


Social Impact Bonds:<br />

Unterschiedliche Erfahrungen<br />

von Sozialdienstleistern<br />

FACHBEITRAG Social Impact Bonds (SIBs) sind wirkungsorientierte Leistungsverträge, bei denen ein<br />

privater Investor die Dienstleistung vorfinanziert. Die Erfahrungen der Dienstleister unterstreichen<br />

bereits bekannte Vor- und Nachteile von wirkungsorientierten Leistungsverträgen. Dies zeigt ein Forschungsprojekt,<br />

an dem die Berner Fachhochschule für Soziale Arbeit beteiligt ist.<br />

Im Verlauf der letzten Jahrzehnte haben<br />

Regierungen eine Vielfalt von Verträgen<br />

getestet, etwa die Finanzierung abhängig<br />

von der Anzahl Klienten, der angebotenen<br />

Dienstleistungen oder der erzielten Wirkung.<br />

In den letzten zehn Jahren hat sich<br />

der Social Impact Bond (SIB) als eine neue<br />

Vertragsform verbreitet, insbesondere in<br />

den angelsächsischen Ländern und den<br />

Niederlanden. Dabei stellt ein Investor<br />

Mittel für ein Sozialprojekt zur Verfügung<br />

und wird vom Staat für dessen Erfolg ausbezahlt.<br />

Je nachdem, wie weit die definierten<br />

Programmziele erreicht werden, ergibt<br />

sich für den Investor ein Gewinn oder Verlust.<br />

Social Impact Bonds in der Praxis<br />

In der frühen SIB-Literatur hiess es, dass<br />

Regierungen diese Vertragsform anwenden<br />

würden, um das Risiko von neuen, experimentellen<br />

Programmen in den Privatsektor<br />

zu verlagern. Gleichzeitig hätten<br />

Dienstleister so die Möglichkeit zu flexibler<br />

und dynamischer Arbeitsweise und würden<br />

mit Fachwissen rund um Datenmanagement<br />

und Evaluation unterstützt.<br />

In der Praxis handelt es sich jedoch bei<br />

SIB-Programmen meist nicht um experimentelle,<br />

sondern um weit verbreitete Interventionen,<br />

für die es reichlich Praxiserfahrung<br />

und Evaluationsforschung gibt.<br />

Dies hängt damit zusammen, dass für neuartige<br />

Projekte mit entsprechend hohen<br />

Risiken keine Investoren gefunden werden<br />

könnten. In der Praxis scheint ausserdem<br />

kein «Risikotransfer» stattzufinden. Nur<br />

bei einem einzigen SIB weltweit kam es<br />

zu keiner positiven Auszahlung. In den<br />

Fallstudien zeigt sich denn auch, dass die<br />

28 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong><br />

Vertragsbedingungen so formuliert sind,<br />

dass eine positive Auszahlung sehr wahrscheinlich<br />

ist.<br />

Viele Dienstleister berichten, dass die<br />

Investoren Einfluss auf das Tagesgeschäft<br />

nehmen können und dass die Handlungsfreiheit<br />

zunehmend beschnitten wird, je<br />

näher der Zeitpunkt der Auswertung und<br />

Auszahlung kommt. Was die Evaluation<br />

und Transparenz betrifft, haben SIBs die<br />

Dienstleister klar zur Erhebung von mehr<br />

Daten angetrieben. Dennoch haben SIBs<br />

in der Regel keine Evaluationen hervorgebracht,<br />

welche Dienstleistern zu verstehen<br />

helfen, was wirkt oder wie sie ihren Klienten<br />

helfen können.<br />

Welche Verträge sich Dienstleister<br />

wünschen<br />

Im Rahmen einer vom Schweizerischen<br />

Netzwerk für Internationale Studien<br />

(SNIS) finanzierten Forschungskooperation<br />

kamen im vergangenen Herbst gemeinnützige<br />

Organisationen aus Grossbritannien,<br />

Deutschland und der Schweiz in Bern<br />

Was die Evaluation<br />

und Transparenz<br />

betrifft, haben SIBs<br />

die Dienstleister klar<br />

zur Erhebung von<br />

mehr Daten angetrieben.<br />

zusammen, die u.a. durch SIB finanzierte<br />

Arbeitsmarktprogramme durchführen.<br />

Am Ende des zweitägigen Workshops wurden<br />

die Anbieter gebeten, den für sie idealen<br />

Vertrag zu beschreiben, unabhängig<br />

davon, ob dies ein SIB oder eine andere<br />

Vertragsform sei. Alle Anbieter nannten<br />

folgende für sie wichtige Punkte:<br />

1. Eine längerfristige stabile Finanzierung<br />

mit Zwischenetappen und der<br />

Möglichkeit, erfolgreiche Programme<br />

erneuern oder erweitern zu können.<br />

Die Dienstleister waren sich einig, dass<br />

«Finanzierungsklippen» mit plötzlicher<br />

Abnahme der Finanzierung nachteilhaft<br />

seien.<br />

2. Flexibilität und professionelles Vertrauen,<br />

die es ermöglichen, effektive, individuell<br />

zugeschnittene Lösungen für die<br />

Klientel zu entwickeln.<br />

3. Ganzheitliche Interventionen für ihre<br />

Klienten, die sich an den Zielen der an<br />

der Finanzierung beteiligten Behörden<br />

orientieren. Eine regierungsinterne<br />

Koordination dieser Ziele würde dabei<br />

bessere und effizientere Lösungen ermöglichen<br />

und den Dienstleistern ersparen,<br />

gleichzeitig viele unterschiedliche<br />

Verträge zu bewirtschaften, die<br />

letztlich im Inhalt der angebotenen<br />

Dienstleistung und der Auswertung<br />

sehr ähnlich sind.<br />

Diese drei Vorschläge, die von den<br />

Dienstleistern länderübergreifend geteilt<br />

werden, unterstreichen die unterschiedlichen<br />

Perspektiven der Entscheidungsträger<br />

der Sozialpolitik und der Sozialdienstleister.<br />

Aus Regierungssicht wird ein<br />

Programm durch eine Behörde gestaltet,


SIBs: Werden vereinbarte Ziele<br />

nicht erreicht, werden sie oft<br />

einfach neu verhandelt.<br />

Bild: Palma Fiacco<br />

um die spezifischen Ziele dieser Behörde<br />

zu erfüllen. Auf bisheriger Erfahrung beruhend<br />

werden kurz- oder mittelfristige<br />

Verträge abgeschlossen, um neue Ideen zu<br />

testen und deren Wirksamkeit zu messen.<br />

Was die Behörden als kreativen Prozess des<br />

Experimentierens und Lernens betrachten,<br />

kann bei den Dienstleistern zur Unterbrechung<br />

der angebotenen Dienstleistung<br />

führen, beispielsweise wenn ein Programm<br />

nicht verlängert wird. Dem Dienstleister<br />

wird so die Möglichkeit genommen,<br />

auf seiner Erfahrung aufzubauen, und es<br />

fallen Anpassungen beim Personaleinsatz<br />

und administrative Kosten an.<br />

Unterschiedliche Bewertungen der<br />

Anreize<br />

Die Meinungen von Dienstleistern bezüglich<br />

Anreize waren gemischt. Generell<br />

schätzten die Dienstleister, dass die Anreize<br />

mehr Informationen über Programmeffekte<br />

hervorbrachten und zur Reflexion der<br />

Dienstleistung anregten. Während die erhöhten<br />

finanziellen Risiken, welche von<br />

den Anreizen ausgehen, als negativ betrachtet<br />

wurden oder als etwas, dass es zu<br />

umgehen galt.<br />

Die Dienstleister lernten mehr über ihre<br />

Prozesse und Ergebnisse und konnten ihre<br />

Vorgehensweisen mit dem Hintergrund<br />

dieser Informationen reflektieren. Zudem<br />

führten die Wirkungsziele zu einem Dialog<br />

mit externen Partnern, was die Perspektive<br />

der Dienstleister erweiterte. Zum Teil wurden<br />

Dienstleister mit der Datenerhebung<br />

überlastet – dies könnte jedoch durch zusätzliche<br />

Finanzierung zwecks Datenerhebung<br />

oder der Nutzung von bestehenden<br />

administrativen Datenquellen verbessert<br />

werden.<br />

Risiken betreffend Auszahlungen und<br />

Planung stellen negative Aspekte der Anreize<br />

dar. Wenn diese als unüberwindbare<br />

Hürden wahrgenommen werden, werden<br />

sie wenn möglich umgangen. In einer der<br />

Fallstudien konnte ein Dienstleister sicherstellen,<br />

dass die Verhaltensziele der Teilnehmer<br />

flächendeckend positiv bewertet<br />

wurden. In einem zweiten Fall führte ein<br />

Dienstleister parallel ein bezüglich des Inhaltes<br />

und der Teilnehmer sehr ähnliches<br />

SIB und ein anderes Programm durch<br />

und konnte so leistungsstärkere Teilnehmer<br />

in den SIB transferieren. Wenn Auszahlungen<br />

nicht ausreichend gesichert<br />

werden konnten, konnten Dienstleister<br />

die Verträge neu verhandeln. Sowohl Neuverhandlungen<br />

als auch unerwünschtes<br />

Verhalten der Dienstleister ist aus Sicht der<br />

politischen Entscheidungsträger negativ.<br />

Interessanterweise betrachten die<br />

Dienstleister dieses strategische Verhalten<br />

nicht als verwerflich. Sie schätzen die<br />

Möglichkeit zur Neuverhandlung, weil sie<br />

diese als Ausgleichsmöglichkeit für unzureichende<br />

Finanzierung oder unerreichbar<br />

harte Wirkungsziele ansehen.<br />

Positive Wirkung und bekannte<br />

Probleme<br />

Zusammenfassend können wir sagen, dass<br />

Sozialdienstleister positive Veränderungen<br />

im Zusammenhang mit SIBs erlebt haben,<br />

die allgemein auf Leistungsverträge übertragen<br />

werden können. Gleichzeitig scheinen<br />

SIBs bekannte Probleme von Leistungsverträgen<br />

nicht gelöst zu haben,<br />

sondern verstärken diese möglicherweise<br />

sogar.<br />

• Von den Dienstleistern positiv betrachtet<br />

werden Aspekte wie längere Vertragsdauer,<br />

Flexibilität, Grosszügigkeit<br />

und mehr erhobene Information.<br />

• Im Rahmen einer SIB-Finanzierung<br />

wird mehr Risiko auf den Dienstleister<br />

übertragen, was zu unerwünschtem<br />

Verhalten der Dienstleister und Neuverhandlungen<br />

von Verträgen führen<br />

kann.<br />

Politische Entscheidungsträger müssen<br />

ein Mass an Anreizen finden, das sowohl<br />

wünschenswert als auch umsetzbar ist. Aktuell<br />

haben SIBs und wirkungsorientierte<br />

Leistungsverträge tendenziell zu starke Anreize,<br />

wodurch sich diese selbst aushebeln.<br />

Letztlich bestimmen die Entscheidungsträger<br />

der Sozialpolitik die Spielregeln für<br />

Leistungsverträge. Ein Einbezug der Sichtweisen<br />

der Sozialdienstleister ist jedoch<br />

wichtig, um möglichst effektive Sozialdienstleistungen<br />

anbieten zu können. Die<br />

zu SIBs gewonnenen Erkenntnisse können<br />

auf weitere wirkungsorientierte Leistungsverträge<br />

übertragen werden.<br />

•<br />

Prof. Dr. Debra Hevenstone<br />

Berner Fachhochschule Soziale Arbeit<br />

Lukas Hobi<br />

Berner Fachhochschule Soziale Arbeit<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

29


Sozialsystem muss sich auf steigende<br />

Zahl Bedürftiger vorbereiten<br />

CORONA-PANDEMIE Die Massnahmen des Bundesrats zum Schutz der Bevölkerung und des Gesundheitssystems<br />

waren und sind einschneidend – auch für die Sozialdienste. Diese haben mit erheblichem<br />

Einsatz dafür gesorgt, ihre Aufgaben trotz erschwerten Bedingungen zu erfüllen. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger<br />

blieb bis Anfang Mai weitgehend stabil. Das wird aber voraussichtlich nicht so bleiben.<br />

Kaum waren die Massnahmen am 16.<br />

März verhängt und in Kraft getreten, meldeten<br />

die Sozialdienste eine starke Zunahme<br />

der Neuanmeldungen für Sozialhilfe.<br />

«Es kommen sehr viele Anfragen von all<br />

den Selbstständigerwerbenden, die durch<br />

die Maschen fallen, die nicht wissen, an<br />

wen sie sich wenden sollen, die hin und her<br />

geschoben werden von den Ämtern und<br />

um ihre Existenz bangen. Die Ungewissheit,<br />

wie lange dieser Zustand andauern<br />

wird, macht Angst. Unsere Klienten sorgen<br />

sich um ihre Arbeit, ihre Lehrstelle», so beschreibt<br />

die Leiterin eines Sozialdienstes<br />

im Kanton Zürich die Situation wenige<br />

Tage, nachdem die ausserordentliche Lage<br />

ausgerufen worden war.<br />

Die Zahl der von der Sozialhilfe unterstützten<br />

Personen stieg in den Monaten<br />

März und April kaum an. Das jedoch vor<br />

allem dank der Anfang April beschlossenen<br />

Massnahmen des Bundes, mit denen die<br />

wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie<br />

abgefedert werden sollten. Ferner<br />

ist davon auszugehen, dass viele Teile der<br />

Bevölkerung, die mit erheblichen Einkommenseinbussen<br />

zurechtkommen müssen,<br />

über gewisse Reserven verfügen, die sie<br />

zuerst aufbrauchen müssen, bevor sie Anspruch<br />

auf Sozialhilfe haben.<br />

Besonders betroffen sind Personen<br />

ohne Aufenthaltsbewilligung. Auch verzichten<br />

Personen mit ausländischem Pass<br />

oft auf den Bezug auf Sozialhilfe, weil sie<br />

negative Folgen für ihre Aufenthaltsberechtigung<br />

in der Schweiz befürchten.<br />

Besonders im Kanton Genf sind viele Personen<br />

betroffen. Nothilfe leisten für diese<br />

Menschen vor allem private Hilfswerke.<br />

Sozialhilfequote von 4 Prozent<br />

Es ist davon auszugehen, dass die Zahl der<br />

Personen, die Sozialhilfe benötigen, in den<br />

nächsten zwei Jahren stark ansteigen wird.<br />

Ende April bezogen 1,9 Mio. Personen<br />

Kurzarbeitsentschädigung, 153 000 Arbeitslosentaggelder<br />

und rund <strong>20</strong>0 000<br />

Erwerbsersatzentschädigung, das entspricht<br />

rund 45 Prozent der 5,1 Mio. Erwerbstätigen.<br />

Kurzfristig werden viele<br />

Selbständigerwerbende auf Sozialhilfe angewiesen<br />

sein, wenn der Erwerbsersatz<br />

Mitte Mai ausläuft. Mittelfristig werden<br />

von der Arbeitslosenversicherung Ausgesteuerte<br />

in diese Situation kommen.<br />

Gleichzeitig werden sich weniger Personen<br />

von der Sozialhilfe wegen der zu erwartenden<br />

Rezession ablösen können. Zudem<br />

wird auch die Integration der grossen<br />

Gruppe von Flüchtlingen und vorläufig<br />

Aufgenommen, die in den Jahren <strong>20</strong>14-<br />

16 in die Schweiz kamen, schwieriger. Gesamthaft<br />

rechnet die SKOS daher mit einem<br />

Anstieg bei der Sozialhilfequote von<br />

3,2 auf 4 Prozent bis <strong>20</strong>22. Das entspricht<br />

einer Zunahme von 77 000 Personen, von<br />

heute 273 000 auf 350 000. Das würde<br />

Coronakrise auch in Caritas-Märkten<br />

und -Sozialberatung spürbar<br />

Anfang Mai berichteten Medien von einer<br />

Lebensmittelabgabe in Genf. Weit über<br />

1000 Menschen standen für ein Paket<br />

Grundnahrungsmittel Schlange. Solche Bilder<br />

sind wir aus Katastrophengebieten in<br />

ärmeren Ländern gewohnt. Aber in der<br />

Schweiz? Die wirtschaftlichen Einschränkungen<br />

treffen Menschen, die an der Armutsgrenze<br />

leben, mit besonderer Härte. Es<br />

ist eine Entwicklung, die angesichts von<br />

660 000 Armutsbetroffenen und mehr als<br />

einer Million armutsgefährdeten Menschen<br />

in der Schweiz zu Besorgnis Anlass gibt.<br />

In den 21 Caritas-Märkten in der<br />

Schweiz wirkten sich die Einschränkungen<br />

des öffentlichen Lebens bereits Mitte März<br />

stark aus. Mehr Menschen kauften grössere<br />

Mengen ein. Bei Grundnahrungsmitteln<br />

wie Mehl, Milch, Speiseöl oder Teigwaren<br />

stieg die Nachfrage um mehr als<br />

die Hälfte an. Die Lebensmittelgutscheine<br />

im Wert von insgesamt 100 000 Franken,<br />

die mit Unterstützung der Glückskette<br />

abgegeben wurden, waren schnell<br />

vergriffen. Eine zweite Tranche von Gutscheinen<br />

wurde Anfang Mai verteilt. Für<br />

das Gesamtsortiment pendelten sich die<br />

Umsätze wieder nahe dem gewohnten Niveau<br />

ein. Doch das Kaufverhalten hat sich<br />

verändert: Während der Fokus stärker auf<br />

haltbaren Grundnahrungsmitteln liegt, ist<br />

die Nachfrage nach Früchten und Gemüse<br />

sowie nach nicht dringend benötigten Artikeln<br />

gesunken. Der Durchschnittseinkauf<br />

stieg – nicht zuletzt dank der Gutscheine –<br />

von 13 auf 17 Franken an. Und der Kreis<br />

der berechtigten Kundinnen und Kunden<br />

wird grösser: Die regionalen Caritas-Organisationen<br />

stellten im Lauf des Aprils<br />

auf Antrag der Sozialämter Hunderte von<br />

neuen Einkaufskarten für Kundinnen und<br />

Kunden aus.<br />

Zunahme der Gesuche in<br />

Sozialberatungen<br />

Auch in der Sozialberatung zeigte sich der<br />

höhere Bedarf, wenn auch später. Die finanziellen<br />

Überbrückungshilfen, die Cari-<br />

30 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong>


zu einem Anstieg der Sozialhilfekosten der<br />

Kantone und Gemeinden um 870 Millionen<br />

führen. Zentral ist in dieser unsicheren<br />

Situation, Veränderungen in der Sozialhilfe<br />

rasch zu erkennen, um zeitnah reagieren<br />

zu können. Die SKOS will deshalb ab Juni<br />

<strong>20</strong><strong>20</strong> ein Monitoring einrichten.<br />

Sozialhilfe funktioniert auch unter<br />

erschwerten Bedingungen<br />

Neben den Sorgen um die Zahl von Betroffenen,<br />

die auf den Sozialdiensten eintreffen,<br />

erforderten die Einschränkungen des<br />

öffentlichen Lebens und der Arbeitswelt<br />

auch rasch Massnahmen, um das Funktionieren<br />

der Dienstleistungen, der Abwicklung<br />

der Verfahren zur Unterstützung der<br />

betroffen Sozialhilfeempfangenden, bei<br />

Auflagen und Sanktionen sicherzustellen.<br />

Fragen stellten sich unter anderem im Hinblick<br />

auf die Subsidiarität der Sozialhilfe<br />

und wie sie unter den gegebenen Umständen<br />

rechtzeitig sein kann. Um ihre Mitglieder<br />

bei dieser anspruchsvollen Aufgabe zu<br />

unterstützen, verfasste die Schweizerische<br />

Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) vier Tage<br />

nach dem Entscheid des Bundesrates<br />

tas unter anderem mit Geldern der Glückskette<br />

individuell leisten konnte, wurden<br />

zunächst nicht in allen Regionen im gleichen<br />

Mass beansprucht. Ende April stiegen<br />

die Gesuche bei den Sozialberatungen<br />

deutlich an. Für viele war die Auszahlung<br />

der Aprillöhne ein einschneidender Moment.<br />

Wer Arbeit auf Stundenlohnbasis,<br />

auf Abruf, in ungeregelten Verhältnissen<br />

leistet, spürte empfindliche Einbussen.<br />

Ebenso trifft die Kurzarbeitsentschädigung,<br />

die nur 80 Prozent des Lohnes<br />

deckt, Personen mit tiefen Einkommen besonders.<br />

In den Beratungen zeigte sich,<br />

dass die Wohnkosten für viele Familien<br />

und Alleinlebende nicht mehr tragbar waren.<br />

Andere sehen sich mit Steuerrechnungen<br />

oder Arztkosten konfrontiert, für die<br />

das Geld fehlt.<br />

Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung<br />

Alleinerziehende Mütter stehen vor<br />

besonderen Herausforderungen, ihre Erwerbsarbeit<br />

wenn immer möglich aufrecht<br />

zu erhalten und gleichzeitig die Kinder zu<br />

betreuen. Auch Sans-Papiers oder Sexarbeiterinnen<br />

melden sich bei der Caritas.<br />

Ihre Einkünfte sind weggebrochen. Die<br />

Empfehlungen für die Arbeit auf den Sozialdiensten<br />

während der ausserordentlichen<br />

Lage.<br />

Mancherorts konnten Lösungen rasch<br />

gesucht und umgesetzt werden: In einer<br />

kleinen Zürcher Gemeinde wurde der Betrieb<br />

des Sozialdienstes im Home-Office<br />

aufrechterhalten, Beratungen wurden telefonisch<br />

oder per Mail gemacht. «Alle Klienten,<br />

die einen Scanner zu Hause haben,<br />

können die nötigen Formulare, Dokumente<br />

etc. scannen oder fotografieren und der Leiterin<br />

des Sozialdienstes elektronisch zustellen.<br />

Da ich von zu Hause aus auf alles zugreifen<br />

kann, sind die Auszahlungen und die<br />

Weiterführung des Betriebs sichergestellt»,<br />

versicherte die Leiterin des Sozialdienstes.<br />

Ungewissheit ist für viele eine grosse zusätzliche<br />

Belastung.<br />

Das Auffangen dieser Notlagen kann<br />

trotz der grossen Solidarität aus der Bevölkerung<br />

von privaten Organisationen<br />

nicht nachhaltig geleistet werden. Caritas<br />

Schweiz hat deshalb auf politischer Ebene<br />

an Bundesrat und Parlament appelliert, ein<br />

Unterstützungsprogramm für Menschen<br />

und Haushalte mit kleinen Einkommen<br />

auszuarbeiten. Caritas schlägt eine einmalige<br />

Direktzahlung in der Höhe von 1000<br />

Franken für Haushalte und Einzelpersonen<br />

vor, deren Einkommen unter dem Niveau<br />

liegt, das zu Ergänzungsleistungen berechtigt.<br />

Caritas fordert ferner kostenlose<br />

Krippenplätze für Familien mit tiefen Einkommen,<br />

eine Erhöhung der Verbilligung<br />

von Krankenkassenprämien durch Bund<br />

und Kantone um 50 Prozent sowie Kurzarbeitsentschädigungen,<br />

die bei tiefen Einkommen<br />

keine Kürzung vorsehen, sondern<br />

100 Prozent des Lohnes betragen. •<br />

Stefan Gribi<br />

Leiter Abteilung Kommunikation, Caritas Schweiz<br />

www.caritas.ch/corona<br />

Kontakte hinter Plexiglas<br />

Man sei bemüht, den Betrieb wie gewohnt<br />

aufrechtzuerhalten, schrieb ein Thurgauer<br />

Sozialdienst. Dazu habe man das Team aufgeteilt,<br />

und nun wechsle man sich ab, immer<br />

eine Woche im Büro, eine Woche im<br />

Homeoffice. Hinter einem speziellen Schalter<br />

mit einer Plexiglasscheibe werden die<br />

wenigen Klientenkontakte, welche persönlich<br />

notwendig sind (nur Neuanmeldungen,<br />

maximal 15 Minuten) abgehalten. Alle<br />

weiterführenden Kontakte fänden per Telefon,<br />

Mail und Post statt. Arbeitsvermittlung,<br />

Integrationsprojekte, sämtliche externen<br />

Termine seien sofort ausgesetzt worden. •<br />

SRK VERTEILT 3 X 1000<br />

FRANKEN AN BEDÜRFTIGE<br />

Ingrid Hess<br />

Das Schweizerische Rote Kreuz hat entschieden,<br />

dass Bedürftige für die Monate April, Mai undJuni<br />

pro Familie oder Einzelperson einen Betrag von<br />

maximal CHF 1000 pro Monat zur Überbrückung<br />

beantragen können. Mit der finanziellen Unterstützung<br />

werden Rechnungen bezahlt und es<br />

wird unkomplizierte Hilfe geleistet. Darunter fallen<br />

in diesen schwierigen Zeiten auch immer mehr<br />

Güter des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel<br />

Lebensmittel oder Hygieneprodukte wie Windeln.<br />

Diese Soforthilfe leistet das SRK rasch und<br />

unkompliziert seit mehreren Wochen. Personen in<br />

einer akuten Notlage können sich beim Rotkreuz-<br />

Kantonalverband in ihrem Kanton melden. Je<br />

nach Entwicklung der Krise und verfügbaren<br />

Spendengeldern wird das SRK überprüfen, ob die<br />

Soforthilfe auch nach Juni weitergeführt werden<br />

kann.<br />

Das SRK setzt für die Corona-Soforthilfe Spenden<br />

ein, die es von Unternehmen und über die Sammlung<br />

der Glückskette erhalten hat. Dank der grossen<br />

Solidarität der Schweizer Bevölkerung kann<br />

das SRK noch mehr von der Corona-Pandemie<br />

betroffenen Menschen in der Schweiz helfen.<br />

Das System der Sozialversicherungen ist ein<br />

Werk, auf das die Schweizerinnen und Schweizer<br />

mit Recht stolz sind. Das SRK fordert Massnahmen<br />

für die systematische Unterstützung von<br />

Armutsbetroffenen und Menschen mit tiefstem<br />

Einkommen in der Schweiz, die aufgrund der<br />

Coronakrise in Not geraten sind. Hier müssen<br />

Bund und Kantone einspringen,und zwar nicht<br />

nur punktuell, sondern nachhaltig während der<br />

ganzen Krise.<br />

Einmal- oder Mehrfachbeiträge wie die Soforthilfe<br />

des SRK können helfen, Engpässe zu überbrücken<br />

und durchzuatmen. Doch dies reicht nicht<br />

aus, denn die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie<br />

treffen jene am härtesten, die bereits vorher<br />

ein sehr knappes Budget hatten: Wenn Working<br />

Poor vorher knapp durchkamen, dann reicht es<br />

mit Arbeitslosengeld, Kurzarbeitsentschädigung<br />

oder Taggeld nicht mehr, auch wenn nur ein Fünftel<br />

des Einkommens fehlt. (SRK)<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

31


Ältere Arbeitslose: Mit Präzision und<br />

Passion zur neuen Stelle<br />

REPORTAGE Ältere Erwerbslose haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Das Programm Tandem 50 plus<br />

im Aargau hilft ihnen bei der Stellensuche. Vielfach ist das Erkennen des eigenen Potenzials der Schlüssel<br />

zum Erfolg.<br />

Es war eine schwierige Lebensphase für<br />

Erich Camenisch. Er befand sich in einer<br />

privaten Krise, als auch noch die Kündigung<br />

kam. Der damals 55-Jährige fiel in<br />

ein tiefes Loch. Er schrieb zwar Bewerbungen,<br />

bekam aber Absage um Absage. «Ich<br />

konnte mich über Monate zu nichts mehr<br />

motivieren», sagt der Aargauer.<br />

Schwer vorstellbar, wenn man Erich Camenisch<br />

heute anschaut: Mit strahlendem<br />

Gesicht und voller Energie erzählt er, wie<br />

er diesen März – kurz vor der Aussteuerung<br />

– eine neue Anstellung gefunden hat. «Die<br />

Stelle passt haargenau zu meinem Profil»,<br />

sagt der 57-Jährige, «und sie ist sogar noch<br />

einmal ein Karriereschritt.» In einem grossen<br />

Unternehmen der Lebensmittelindustrie<br />

hat er eine Leitungsstelle gefunden.<br />

Nun führt er ein Team von 10 Mitarbeitenden.<br />

Seiner Freude tut keinen Abbruch,<br />

dass er fast zeitgleich zum Stellenantritt<br />

wegen der Corona-Krise ins Home Office<br />

wechseln musste. Rückblickend sagt Camenisch<br />

über die Zeit der Stellensuche: «Die<br />

Hindernisse waren vor allem in meinem<br />

Kopf.» Er habe selber geglaubt, sein Alter<br />

sei ein Problem. Gleichzeitig habe er potenzielle<br />

Arbeitgeber oft mit der Vielzahl<br />

und Breite seiner Berufserfahrungen überfordert.<br />

Präzise Bewerbung ist entscheidend<br />

Diese Einschätzung teilt Frankpeter Himmel.<br />

Als freiwilliger Mentor coachte er<br />

Erich Camenisch im Rahmen des Programms<br />

Tandem 50 plus (s. Kasten). Das<br />

Mentoring war für Camenisch der Wendepunkt<br />

in seiner Stellensuche. Er sagt:<br />

«Frankpeter Himmel half mir, mich neu zu<br />

sortieren.»<br />

Himmel, der sich auch beruflich auf<br />

die Beratung von älteren Stellensuchenden<br />

spezialisiert hat, erlebt es häufig, dass Personen<br />

über 50 zu viele Erfahrungen und<br />

Kompetenzen in ihre Bewerbung packen<br />

32 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong><br />

TANDEM 50 PLUS –<br />

UNTERSTÜTZUNG BEI DER<br />

STELLENSUCHE<br />

Tandem 50 plus Kanton Aargau ist ein Mentoring-<br />

Angebot, bei dem Stellensuchende über 50 von<br />

freiwillig engagierten Mentorinnen und Mentoren<br />

bei der Rückkehr in den Arbeitsmarkt unterstützt<br />

und begleitet werden. Während vier Monate coachen<br />

die berufserfahrenen und in der Arbeitswelt<br />

gut verankerten Persönlichkeiten ihre Mentees<br />

dabei, eine neue Stelle zu finden. <strong>20</strong>19 waren<br />

in dem im Auftrag vom Kanton geführten Programm<br />

87 Tandems unterwegs: 35 Frauen und<br />

52 Männer mit einem Durchschnittsalter von 56<br />

Jahren. 80 Prozent der Programmteilnehmenden<br />

fanden wieder eine Stelle, über die Hälfte einen<br />

unbefristeten Arbeitsvertrag. Das Programm<br />

Tandem 50 plus gibt es auch in den Kantonen<br />

Baselland, Schaffhausen und St. Gallen.<br />

www.tandem-ag.ch<br />

«Die Passion für<br />

das, was man tut<br />

oder tun will, ist viel<br />

wichtiger als das<br />

Alter.»<br />

wollen. Dabei zähle, was für alle Stellensuchenden<br />

wichtig ist, bei älteren Personen<br />

doppelt, sagt er. «Präzision ist das Wichtigste<br />

– die Qualifikationen müssen passen.»<br />

Daneben müssen die Erfahrungen<br />

aber auch neu präsentiert werden. «Ich<br />

helfe, eine Storyline in die Bewerbung zu<br />

bringen», sagt der Mentor.<br />

Nebstdem, dass Frankpeter Himmel<br />

beim Erstellen eines zeitgerechten Dossiers<br />

und bei der Analyse des Arbeitsmarktes<br />

hilft, macht er mit seinen Mentees<br />

beispielsweise Interview- und Social Media<br />

Training. «Manchmal ist es aber genauso<br />

wichtig, einfach zuzuhören und die Person<br />

im richtigen Moment aufmuntern oder<br />

herausfordern zu können», sagt der Bewerbungsspezialist.<br />

Frankpeter Himmel<br />

weiss, wovon er spricht. «Ich bin selber mit<br />

über 50 arbeitslos geworden und kenne<br />

das tiefe Loch, das die einfachsten Erledigungen<br />

zum unüberwindbaren Hindernis<br />

werden lässt.»<br />

Dass es für Personen über 50 generell<br />

schwieriger ist, eine Stelle zu finden als für<br />

jüngere (s. Kasten), verschweigt Himmel<br />

nicht. «Dennoch bin ich überzeugt», sagt<br />

er, «dass die Passion für das, was man tut<br />

oder tun will, viel wichtiger ist als das Alter.»<br />

Auf Chancen fokussieren<br />

Begeisterung für sein Metier hätte auch<br />

Markus Suter genug. Er ist ebenfalls Teilnehmer<br />

des Programms Tandem 50 plus<br />

und aktuell Mentee von Frankpeter Himmel.<br />

Der 59-jährige Berufstrainer hat zuletzt<br />

als Geschäftsführer eines grossen<br />

Sportvereins gearbeitet. Aktuell führt er ein<br />

Trainingscenter, das er schon früher als<br />

Hobby betrieb. Mit Blick auf seine Altersvorsorge<br />

müsse er aber einen Ergänzungsjob<br />

oder Mandate finden, sagt Suter und<br />

fügt an: «Der Arbeitsmarkt in der Sportbranche<br />

ist jedoch – auch wegen Corona –<br />

völlig stagniert.» Markus Suter schildert


Über 50-jährige Arbeitslose haben es oft nicht einfach, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen. <br />

Bild: Keystone<br />

seine Erfahrung im Bewerbungsprozess<br />

völlig anders als Erich Camenisch. «In<br />

meinem Alter hat man auf herkömmlichem<br />

Weg kaum eine Chance. Meine<br />

Kompetenzen werden nicht wahrgenommen»,<br />

sagt er. In der Regel würden Absagen<br />

erfolgen und diese untergraben schleichend<br />

das Selbstvertrauen.<br />

Dank seiner wöchentlichen Gespräche<br />

mit Frankpeter Himmel bleibt Suter dennoch<br />

motiviert. Zusammen versuchen<br />

sie neue Wege bei den Bewerbungen<br />

einzuschlagen. «Ich muss mich auf meine<br />

Chancen fokussieren», sagt Suter. In<br />

seinem Fall sei das etwa die Flexibilität,<br />

dass verschiedene Tätigkeiten und Erwerbsmodelle<br />

in Frage kommen. Daher<br />

wird auch der Aufbau seiner Teilzeitselbstständigkeit<br />

als Gesundheitstrainer für<br />

Menschen über 50 weiter vorangetrieben.<br />

DIE SITUATION VON ÄLTEREN<br />

ERWERBSLOSEN<br />

Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist bei älteren<br />

Arbeitnehmenden unterdurchschnittlich. Die<br />

Arbeitslosenquote der Personen ab 50 Jahren ist<br />

niedriger als jene der 25- bis 49-jährigen. Aber:<br />

Wer arbeitslos wird, hat es schwieriger, wieder<br />

in der Arbeitswelt Fuss zu fassen. Auffallend ist,<br />

dass mit dem Alter die Dauer der Arbeitslosigkeit<br />

zunimmt. Entsprechend sind ältere Personen bei<br />

den Langzeitarbeitslosen übervertreten.<br />

Häufig müssen ältere Personen Kompromisse<br />

eingehen, wenn sie eine neue Stelle finden. Sie<br />

müssen Lohneinbussen, tiefere Funktionen<br />

oder mehrere Teilzeitbeschäftigungen in Kauf<br />

nehmen. Gründe für die Schwierigkeiten, eine<br />

neue Stelle zu finden, können etwa mangelnde<br />

berufliche Ausbildung, überholte Qualifikationen<br />

oder gesundheitliche Einschränkungen sein.<br />

Informationen:<br />

• www.seco.admin.ch Arbeit Arbeitslosenversicherung<br />

Arbeitslosigkeit Ältere<br />

Arbeitslose<br />

• www.skos.ch Publikationen Positionen<br />

<strong>20</strong>18 Alternativen zur Sozialhilfe für über<br />

55-Jährige<br />

Fehlende Weiterbildung<br />

Um das Bewusstwerden des eigenen Potenzials<br />

und die Stärkung des Selbstbewusstseins<br />

geht es in den Tandem-Gesprächen<br />

immer wieder. «Oft braucht es<br />

jemanden, der einem den Spiegel vorhält»,<br />

sagt Brigitte Basler, Programmleiterin von<br />

Tandem 50 plus Kanton Aargau. Die Mentees<br />

müssten die Bereitschaft haben, sich<br />

auf einen Begleitprozess einzulassen.<br />

Basler erzählt aber auch von konkreten<br />

Hindernissen, die älteren Personen bei<br />

der Stellensuche im Weg stehen können.<br />

«Mich erstaunt immer wieder, dass<br />

viele unserer Programmteilnehmenden<br />

seit dem ersten Bildungsabschluss kein<br />

«Schulhaus» mehr von innen gesehen haben»,<br />

sagt sie. Nebst der fehlenden Weiterbildung<br />

sei auch mangelnde Bereitschaft<br />

auf der Karriereleiter oder beim Salär<br />

einen Schritt rückwärts zu machen, regelmässig<br />

ein Thema.<br />

Probleme ortet Brigitte Basler aber<br />

auch in der Denkweise mancher Arbeitgeber.<br />

Die Vorurteile gegenüber Personen<br />

über 50 würden lauten: unflexibel, nicht<br />

mehr up to date, schwer fügbar oder zu gut<br />

qualifiziert. Basler sagt: «Hier ist eine klare<br />

Haltung der Arbeitgeber nötig, jemanden<br />

über 50 einstellen zu wollen.» Sei dies aus<br />

Gründen der Teamzusammensetzung,<br />

weil genau die berufliche Sozialisation dieser<br />

Generation erwünscht ist, oder einfach,<br />

weil Menschen über 50 sehr viel Potenzial<br />

mitbringen. <br />

•<br />

Regine Gerber<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

33


TÜRE AUF<br />

BEI MURIEL CHRISTE MARCHAND<br />

Sozialdienst:<br />

Sozialamt des Kantons Jura, Delémont<br />

Anzahl Mitarbeitende: 33<br />

Funktion:<br />

lic. Sc. sociales UNIL, master adm. publique IDHEAP,<br />

Leitung Sozialdienst – im Jobsharing mit Julien Cattin<br />

Angestellt seit: Dezember <strong>20</strong>16<br />

Alter:<br />

49 Jahre<br />

«Ich bin sicher, dass diese neuen Formen<br />

der Zusammenarbeit weitergehen und neue<br />

Perspektiven eröffnen werden!»<br />

Bild: zvg<br />

Was zeichnet den Sozialdienst<br />

Delémont aus?<br />

Kanton und Gemeinden sind für die<br />

Sozialhilfe via die regionalen Sozialdienste<br />

gemeinsam zuständig. Der<br />

kantonale Dienst des Sozialamts entscheidet<br />

zentral über die Gewährung<br />

von Sozialhilfe. Derzeit wird daran gearbeitet,<br />

das System zu überdenken:<br />

Durch eine effizientere Bereitstellung<br />

von materieller Hilfe sollen mehr Mittel<br />

für die soziale Unterstützung zur Verfügung<br />

gestellt werden.<br />

Die Corona-Krise hat alle Sozialdienste<br />

vor enorme Herausforderungen<br />

gestellt. Was hat Sie in diesem<br />

Zusammenhang speziell beschäftigt?<br />

Unsere Priorität war es, dafür zu sorgen,<br />

dass Sozialhilfe geleistet werden<br />

kann und dass soziale Unterstützungsdienste<br />

zugänglich bleiben,<br />

während wir uns gleichzeitig um die<br />

Gesundheit der Beschäftigten und<br />

Leistungsempfänger kümmern.<br />

Welcher Ansatz oder welches<br />

Konzept hat Ihnen geholfen, die<br />

Schwierigkeiten zu meistern?<br />

Die jurassische Regierung beschloss,<br />

die Sozialhilfe in vereinfachter und<br />

standardisierter Form zu gewähren,<br />

indem sie die Unterhaltspauschale<br />

um 15 Prozent erhöhte. Wir sind überzeugt,<br />

dass diese erleichterten Verfahren<br />

dazu beigetragen haben, die<br />

Sorgen einer ohnehin schwachen Bevölkerungsgruppe<br />

zu beruhigen.<br />

Haben Sie in dieser schwierigen Zeit<br />

eine besonders positive Erfahrung<br />

gemacht?<br />

In dieser Krisenzeit wurden eine<br />

kantonale Solidaritätsplattform und<br />

ein Projekt geschaffen, das sich mit<br />

Menschen in gefährdeten Situationen<br />

vernetzen will. Ich bin sicher,<br />

dass diese neuen Formen der Zusammenarbeit<br />

weitergehen und<br />

neue Perspektiven eröffnen werden!<br />

Was haben Sie an Ihrer Arbeit in<br />

den letzten Wochen am meisten<br />

geschätzt?<br />

Das Vorhandensein eines echten Spirits<br />

zur Zusammenarbeit zwischen<br />

den verschiedenen Partnern, mit denen<br />

wir zusammenarbeiten, sowohl<br />

den öffentlichen als auch den privaten.<br />

Alle haben ihre ganze Energie in die Suche<br />

nach Lösungen gesteckt, um der<br />

Bevölkerung den bestmöglichen Nutzen<br />

zu bieten.<br />

Wie sind Sie mit einer besonders<br />

belastenden Situation umgegangen?<br />

Jobsharing ist eine grossartige Ressource,<br />

ebenso wie intensive Kommunikation<br />

und regelmässiger Austausch<br />

innerhalb des Arbeitsteams.<br />

Was hat Ihnen persönlich in letzter Zeit<br />

am meisten Schwierigkeiten gemacht?<br />

Zweifellos der Mangel an gemeinsamen<br />

Momenten mit Freunden und<br />

Familie.<br />

Was wünschen Sie sich für die Zukunft<br />

in Bezug auf Ihre Arbeit?<br />

Ein Schritt hin zu einem System, das<br />

die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigt,<br />

indem es ihn befähigt, insbesondere<br />

bei der Definition von Zielen<br />

zur Integration.<br />

» dieser<br />

In der Schweiz gibt es Hunderte von Sozialdiensten mit unzähligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie unterstützen Kinder, Jugendliche<br />

und Erwachsene in unterschiedlichen Lebenslagen und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. In<br />

Serie berichten sie aus ihrem Berufsalltag, den schönen und den schwierigen Seiten ihrer Arbeit.<br />

34 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong>


«Ich hätte da eine Idee»<br />

PORTRÄT Dank seinem<br />

Ideenreichtum und seiner<br />

Umsetzungsstärke können in<br />

der ganzen Schweiz zahlreiche<br />

Angehörige ihre Liebsten im<br />

Altersheim besuchen: Georg<br />

Raguth, Leiter des Alters- und<br />

Pflegeheims Risi, hat die<br />

Besuchsbox für Coronazeiten<br />

erfunden.<br />

Es war an einem Montagabend Ende März,<br />

als Georg Raguth eine seiner Blitzideen<br />

hatte. Diese sollte die Lebensqualität Hunderter<br />

alter Menschen in der Schweiz verbessern.<br />

Er selber leitet das Alters- und<br />

Pflegeheim Risi in Wattwil (SG) und hatte<br />

dort am Nachmittag miterlebt, wie die Bewohnerinnen<br />

und Bewohner mit ihren Angehörigen<br />

skypten. Für manche hatte das<br />

gut funktioniert, doch viele empfanden es<br />

als unheimlich, wenn der Sohn oder die<br />

Tochter aus dem Bildschirm sprach. Zuhause<br />

studierte Raguth an einer anderen<br />

Lösung rum, wie die alten Menschen trotz<br />

coronabedingtem Besuchsverbot ihre<br />

Liebsten treffen könnten. Da tauchten vor<br />

seinem inneren Auge Filmszenen mit Gefängnisbesuchen<br />

auf, in denen über zwei<br />

Telefone durch eine Trennscheibe kommuniziert<br />

wird. «Es ist eigentlich ganz simpel»,<br />

dachte sich der 56-Jährige und skizzierte,<br />

wie man etwas Ähnliches im Risi<br />

umsetzen könnte. Am nächsten Morgen<br />

rief er die Mitarbeiter des Betriebsunterhalts<br />

zusammen – am Abend stand die<br />

«Bsuechsbox». Eigentlich sind es zwei Boxen,<br />

eine aussen, die andere innen an der<br />

Hausmauer. Im Fenster dazwischen wurde<br />

eine Plexiglasscheibe eingepasst. So können<br />

die alten Menschen ihre Angehörigen<br />

sehen und über ein Telefon miteinander<br />

kommunizieren.<br />

Bis nach China<br />

Die Idee schlug hohe Wellen, weit über das<br />

Toggenburg hinaus, nachdem Zeitungen,<br />

TV- und Radiostationen darüber berichtet<br />

hatten. Risi erhielt zig Anfragen von interessierten<br />

Altersheimen, nicht nur aus der<br />

Georg Raguth liebt es, Ideen rasch und spontan umzusetzen.<br />

Schweiz, sondern auch aus Deutschland,<br />

Tschechien oder China. Seither haben viele<br />

Heime ihre eigene Besuchsbox gebaut.<br />

«Das freut mich enorm und erfüllt mich<br />

mit Befriedigung und Stolz», sagt Georg<br />

Raguth. Im eigenen Heim erlebt er, welche<br />

Emotionen diese «banale Installation» auslöst.<br />

«Wenn ich unsere Bewohnenden sehe,<br />

die vor Freude zu weinen beginnen, weil<br />

sie ihren Sohn oder ihre Tochter nun doch<br />

richtig sehen können, dann verdrücke ich<br />

jeweils selber eine Träne.»<br />

Ideen spontan umsetzen<br />

Dass gerade Georg Raguth der Erfinder dieser<br />

Besuchsbox ist, ist kein Zufall: Er sprudelt<br />

nur so vor Einfällen. Wenn er seinen<br />

Mitarbeitenden sage, er habe da eine Idee,<br />

denke der eine oder die andere: «Oha, was<br />

kommt jetzt wohl wieder?» Doch dann würden<br />

sie engagiert mitmachen beim Brainstormen.<br />

Raguth liebt das: Ideen potenzierten<br />

sich im Gespräch – und dann müsse<br />

man irgendwann entscheiden, ob man die<br />

Idee umsetze oder ad acta lege. Sein Credo:<br />

Einen Einfall rasch und spontan umsetzen,<br />

ohne alle Pro und Contra zu analysieren. So<br />

ist vor drei Jahren eine Risi-Ferienreise<br />

nach Amsterdam zustande gekommen. Raguth<br />

selber war gerade aus der holländischen<br />

Hauptstadt zurückgekehrt, hatte am<br />

Mittagstisch davon erzählt, worauf ein<br />

Heimbewohner meinte, er würde Amsterdam<br />

auch gerne mal sehen. Raguth dachte<br />

sich: «Warum eigentlich nicht?» Und so<br />

reisten schliesslich 35 Heimbewohner, Angehörige<br />

und Mitarbeiterinnen eine Woche<br />

Bild: Meinrad Schade<br />

nach Amsterdam. «Manche dachten im<br />

Vorfeld, ich spinne, mit Betagten im Rollstuhl<br />

oder mit Rollatoren in ein grosses Hotel<br />

in einer fremden Stadt zu reisen.» Doch<br />

es habe alles wunderbar geklappt und sei<br />

eine der tollsten Wochen geworden, die er<br />

je erlebt habe. Klar ist für ihn: «Solche Ideen<br />

kann man nur umsetzen, wenn die Führungsgremien<br />

einen stützen – auch dann<br />

noch, wenn Gegenwind kommen sollte.»<br />

Ferien trotz Corona<br />

Um diesen Rückhalt wusste Raguth auch<br />

im Hitzesommer <strong>20</strong>15, als er innert zwei<br />

Tagen ein Schwimmbad aufstellen liess.<br />

Mit einem Kran wurden die alten Menschen<br />

ins Wasser gehoben, am Bassinrand<br />

standen Liegestühle – «es sah aus wie in<br />

der Badi». Diesen Sommer ist das Motto im<br />

Risi: Ferien trotz Corona. Die Bewohnerinnen<br />

und Bewohner werden vor einem<br />

Greenscreen fotografiert, dann wird statt<br />

des grünen Hintergrunds das Bild einer<br />

Feriendestination hineinmontiert, und so<br />

erhalten die Angehörigen Postkarten aus<br />

imaginären Ferien. «Mich reizt es, nicht<br />

alltägliche Sachen zu machen, und ich<br />

empfinde es als wichtig für die alten Menschen»,<br />

sagt Raguth. Diese Überzeugung<br />

unterstreicht er aktuell auch äusserlich: Jeden<br />

Montag kommt er mit einer neuen,<br />

aussergewöhnlichen Haarfarbe, mal blau,<br />

mal rot, dann violett. «Ich will in diesen<br />

Zeiten zeigen, dass das Leben weitergeht<br />

und dass es mit Humor leichter ist.» •<br />

Barbara Spycher<br />

2/<strong>20</strong> <strong>ZESO</strong><br />

35


LESETIPPS<br />

Beraten in der Sozialen Arbeit<br />

Beraten gehört zum Standardrepetoire von<br />

Fachkräften in der Sozialen Arbeit. Für einen gelingenden<br />

Beratungsprozess müssen sie in der<br />

Lage sein, eine differenzierte Auftragsklärung<br />

vorzunehmen und die Beziehung zu ratsuchenden<br />

Personen professionell zu gestalten. Es<br />

gilt, die mit Beratung einhergehenden Veränderungsprozesse<br />

zu erkennen und gemeinsam<br />

zu bearbeiten. Dieses Fachbuch bietet dazu einen systematischen<br />

Überblick.<br />

Michael Zwilling, Caroline Pulver, Stephanie Disler et al.(Hrsg.). Beraten in der<br />

Sozialen Arbeit, Haupt Verlag, <strong>20</strong><strong>20</strong>, CHF 37.−, ISBN-13: 9783825253479<br />

Soziale Arbeit und<br />

Digitalisierung<br />

Mit welchen Fragen und Herausforderungen<br />

ist die Soziale Arbeit im Kontext gesellschaftlicher<br />

Digitalisierungsprozesse konfrontiert?<br />

Das Handbuch behandelt das allgegenwärtige<br />

Thema der Digitalisierung erstmals umfassend<br />

mit Bezug auf Disziplin und Praxis der Sozialen<br />

Arbeit. Beleuchtet werden unterschiedliche<br />

Perspektiven, gesellschaftliche Entwicklungen und Diskurse. Zudem<br />

werden digitalisierte Formen der Dienstleistungserbringung und die<br />

Digitalisierung im Kontext von Profession, Organisation und Forschung<br />

thematisiert.<br />

Nadia Kutscher, Thomas Ley, Udo Seelmeyer et al. (Hrsg.), Handbuch Soziale<br />

Arbeit und Digitalisierung, <strong>20</strong><strong>20</strong>, 658 Seiten, CHF 59.− , ISBN 978-3-7799-3983-2<br />

Politik in der digitalen<br />

Gesellschaft<br />

Die Bedeutung der Digitalisierung für Politik und<br />

Gesellschaft wird vermehrt auch aus politikwissenschaftlicher<br />

Sicht behandelt. Die Beiträge<br />

des Buches versammeln dazu programmatische<br />

Positionen, die zentrale Aspekte und<br />

Perspektiven der sozialwissenschaftlichen<br />

Digitalisierungsforschung diskutieren. Hierzu<br />

zählen u.a. Forschungsfelder aus den Bereichen Partizipations- und<br />

Parteienforschung, Governance der Digitalisierung, methodische Reflexionen<br />

über Computational Social Science und die Analyse von Demokratie<br />

und Öffentlichkeit unter den Bedingungen der Digitalisierung.<br />

Jeanette Hofmann, Norbert Kersting, Claudia Ritzi, Politik in der digitalen Gesellschaft,<br />

Zentrale Problemfelder und Forschungsperspektiven, Transcript Verlag,<br />

<strong>20</strong>19, 332 Seiten, CHF 90.−, ISBN 978-3-8376-4864-5<br />

Herausforderung Kinderarmut<br />

Auf das Problem der Kinderarmut gibt es keine<br />

einfachen Antworten - vielmehr bestehen<br />

vielfältige Theorien und Ansätze diverser<br />

Disziplinen. Dieses Handbuch leistet eine<br />

differenzierte Darstellung von Gesellschaftsanalysen<br />

und Präventionsvorschlägen aus den<br />

Sozial-, Politik- und Erziehungswissenschaften,<br />

der Pädagogik, Sozialen Arbeit sowie Psychologie.<br />

Die interdisziplinäre Ausrichtung lässt grössere Zusammenhänge<br />

sichtbar und verständlich werden. Sie ermöglicht Lesenden, einen Überblick<br />

über ein weites Forschungsfeld zu gewinnen, und sensibilisiert<br />

nachhaltig für die Problematik.<br />

Peter Rahn, Karl August Chassé (Hrsg.), Handbuch Kinderarmut, UTB Verlag,<br />

<strong>20</strong><strong>20</strong>, 380 Seiten, CHF 53.−, ISBN 978-3-8252-5356-1,<br />

VERANSTALTUNGEN<br />

Forum: «Digitalisierung in der<br />

Sozialen Arbeit»<br />

Wie steht es um die Digitalisierung in der Sozialen<br />

Arbeit und insbesondere in der Sozialhilfe?<br />

Mit dieser hochaktuellen Frage befasst sich das<br />

SKOS-Forum/die Städteinitiative-Tagung der<br />

leitenden Angestellten, die am 14. September in<br />

Olten stattfindet. Es werden ein Überblick über<br />

Begriffe und Technologien vermittelt sowie konkrete<br />

Projekte vorgestellt, die sich dem Thema<br />

«Soziale Arbeit und Digitalisierung» annähern.<br />

Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe<br />

Montag, 14. September, Olten<br />

www.skos.ch/veranstaltungen<br />

Luzerner Tagung zum<br />

Sozialhilferecht<br />

Die diesjährige Luzerner Tagung zum Sozialhilferecht<br />

thematisiert relevante Änderungen für die<br />

Praxis der Sozialhilfe. Was hat sich in der Gesetzgebung<br />

verändert? Welche aktuellen Änderungen<br />

bei der Rechtsprechung und den SKOS-Richtlinien<br />

sind relevant? Das detaillierte Programm ist<br />

noch in Erarbeitung. Interessensanmeldungen<br />

sind bereits möglich.<br />

Hochschule Luzern – Soziale Arbeit<br />

Donnerstag, 22. Oktober, Luzern<br />

www.hslu.ch Soziale Arbeit Agenda<br />

Die Familie im System der<br />

sozialen Sicherheit<br />

Der Familienbegriff verändert sich, neue Familienformen,<br />

Individualisierung und veränderte Rollen<br />

tragen zum Wandel der herkömmlichen Familie<br />

bei. An welchen Bildern orientiert sich das soziale<br />

Sicherungssystem in der Schweiz? Welche Auswirkungen<br />

haben neue Familienkonstellationen auf<br />

die soziale Sicherung und welche Bedeutung hat<br />

die Familie im heutigen System? Diesen Fragen<br />

geht der Luzerner Kongress Gesellschaftspolitik<br />

nach und eruiert die Auswirkungen auf verschiedene<br />

Bereiche.<br />

Hochschule Luzern – Soziale Arbeit<br />

Dienstag, 1. Dezember <strong>20</strong><strong>20</strong>, Luzern<br />

www.hslu.ch Soziale Arbeit Agenda<br />

36 <strong>ZESO</strong> 2/<strong>20</strong>


Certificate of Advanced Studies<br />

CAS Sozialhilferecht<br />

Start: 22. Juni <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Nutzen Sie diese<br />

Zeit der Veränderung<br />

und starten Sie mit<br />

Ihrer Weiterbildung.<br />

Fachkurs<br />

Sozialhilfeverfahren<br />

Start: 22. Juni <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Sachbearbeitung im Sozialbereich<br />

Start: 10. September <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Weitere Informationen unter<br />

hslu.ch/weiterbildung-sozialearbeit<br />

Integration und Partizipation<br />

Beratung und Coaching<br />

Kinder- und Jugendhilfe<br />

Management, Recht und Ethik<br />

Gesundheit<br />

Alle Weiterbildungsangebote zu diesen und vielen<br />

weiteren interessanten Themen finden Sie online:<br />

Neue Impulse für Ihren professionellen Berufsalltag<br />

Die Weiterbildungen an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW in Olten und Muttenz unterstützen Sie<br />

dabei, sich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln. Sie erhalten neustes Wissen aus der Forschung<br />

und verknüpfen dieses mit Ihren Erfahrungen aus dem Berufsalltag.<br />

www.fhnw.ch/soziale-arbeit/weiterbildung


-<br />

Weiterbildung,<br />

die wirkt!<br />

Fachkurs Arbeitsintegration<br />

6 Studientage, August bis Oktober <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Fachkurs Beratung von jungen Erwachsenen<br />

In Kooperation mit der Hochschule Luzern<br />

6 Studientage, Oktober bis November <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Fachkurs Beratung von Menschen mit<br />

Migrationshintergrund<br />

In Kooperation mit der Hochschule Luzern<br />

6 Studientage, November bis Dezember <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Einführung Sozialhilfe<br />

In Kooperation mit der Hochschule Luzern<br />

4 Kurstage, Oktober bis Dezember <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

Weitere Informationen unter<br />

bfh.ch/soziale-sicherheit<br />

‣ Soziale Arbeit<br />

Hier bilden sich Fachleute<br />

der Sozialen<br />

Arbeit für Praxis und<br />

Wissenschaft aus.<br />

Der Master mit der Kompetenz<br />

von 3 Hochschulen<br />

Berner Fachhochschule BFH I Soziale Arbeit<br />

Hochschule Luzern – Soziale Arbeit<br />

FHS St.Gallen, Fachbereich Soziale Arbeit<br />

masterinsozialerarbeit.ch<br />

MSA_Inserat_<strong>ZESO</strong>_170x130_<strong>20</strong>0107.indd 2 07.01.<strong>20</strong> 16:18

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