L E B E N S A R T Mein erstes Mal Prunk, Pomp, Pathos – ein bisschen viel von allem, findet unser Kolumnist. Um nach einem Opernbesuch schließlich festzustellen: Es ist nie zu spät. VON LARS REICHARDT Die Oper ist für Zuschauer ein rauschendes Fest. Und das bedeutet offenbar auch Überfluss, Verschwendung. Allein diese Türen: riesige Flügeltüren auf der Bühne, sicher sechs, sieben Meter hoch. Wo gibt’s denn so was? Dieser Pomp fällt einem Anfänger als Erstes ins Auge. Der brennende Kamin bei Familie Othello zu Hause, zu Beginn rechts auf der Bühne, im dritten Akt dann links, so, als ob ein halbstarker Bühnenbildner ins Publikum krakeelt: „Was kümmert mich eure Brandschutzordnung? Ich kann überall.“ Der riesige Chor, die schwülstige Sprache, in der es den Menschen noch dünkt und deucht. Und wie theatralisch sich Desdemona im ersten Akt auf dem plüschigen Sofa windet, als sie die Berichte von Othellos Seeschlacht verfolgt. Wirkt so übertrieben, wie im schlechten Theater. Und die Musik? Singen Anja Harteros und Jonas Kaufmann wirklich so gut, wie die Leute raunen, die sich selbstbewusst als Kenner bezeichnen? Warum gilt Kirill Petrenko als Stardirigent? Und wie hört man den Unterschied zwischen einem Star und einem nur ganz passablen Sänger heraus? Trifft der etwa die Töne nicht? Tut mir leid, mir fehlen einfach die Vergleichsmöglichkeiten. Wer sich nie ernsthaft mit klassischer Musik beschäftigt, wer nie versucht hat, dem vielbeschworenen Zauber einer Oper nachzuspüren, der braucht das auch im fortgeschrittenen Alter nicht mehr probieren. Irgendwann ist es eben doch zu spät, dachte ich immer. Habe ich nie bereut. Bis zu dieser Freundin, die sagt, nur Film könne bei ihr eine ähnlich kathartische Wirkung haben, Bücher nicht, auch kein Theaterstück. Dabei gehen wir gern ins Theater. Aber gleich beim zweiten Stück redete sie von Kriegenburg. Ein Bühnenbild erinnerte sie an den, ob ich denn seine letzte Operninszenierung gesehen hätte? Nein? „Ach, wie schade.“ Musik und Geschichte einer Oper sollten bei jedem wirken können, unabhängig von seinem Vorwissen. Die Wahl will gut überlegt sein, wenn man einer Freundin zuliebe in die Oper geht. Ein Bekannter, den ich um Rat bat, überlegte nicht lang: auf keinen Fall Wagner. Die Soft-Oper für Anfänger heißt Othello. Die neue Münchner Inszenierung mit Harteros und Kaufmann, Otello, ohne h. „Das wird sie lieben, das verstehst du, und zwei Stunden hältst du aus.“ Also gut, ich schlage Othello vor. Volltreffer. „In Othello ist alles vorhanden, was das Leben ausmacht“, sagt sie. Othellos rasende Eifersucht, die Gier nach Macht von Jago, die bis in den Tod treue Liebe Desdemonas. Freundschaft, Trunkenheit, Verzweiflung, Verrat. Ein weißes und ein schwarzes Zimmer auf der Bühne spiegeln die Seelenzustände der Figuren. Die deutschen und englischen Untertitel, die inzwischen so gut wie überall an der Decke mitlaufen, sind ein Segen für mich. Wir haben tolle Plätze. Reihe 16. Ein Herr vor mir, im Goldknopfsakko, dreht sich dreimal mit strenger Miene um, weil ich kurz mit meinem Schmierzettel geraschelt hatte. Ich vergaß: Wir sind hier alle nicht zum Spaß. Jago wirkt von Anfang an wie einer, der schon mal Theater gemacht hat. Othello und Desdemona singen sich bald so zärtlich an, dass man ihre Liebe zu spüren vermag. Schließlich die Szene, in der sich Desdemona von ihrer Zofe verabschiedet. Anrührend, sagt die Freundin. Ja, einverstanden. Auch ich bin plötzlich ergriffen. Von der Musik, von Harteros’ Gesang – für einen Augenblick vergesse ich, dass Desdemona ja nicht in Wirklichkeit sterben muss. Die Handlung nach ihrem Tod zieht sich für meinen Geschmack. Muss man denn wirklich noch sehen, dass Jagos Schindluder endlich enttarnt wird? Am Ende trampelt das Publikum mit den Füßen vor Begeisterung. Übertrieben, schon wieder. Habe ich nie erlebt im Theater. Nur früher in der Schule, wenn Schüler einen Applaus eher karikieren wollten. Die Sänger springen auf die Bühne. Kaufmann und Harteros glücklich Hand in Hand. Erlöst von der Anstrengung und Anspannung. Keine arroganten Popstars. Jago bedankt sich für seinen Applaus mit einer Hand auf dem Herzen und spielt den Bescheidenen. Sechs, sieben Mal kommen sie alle auf die Bühne, niemand im Parkett will gehen. Ich habe bei Othello wohl etwas Großem beigewohnt, ohne es zur Gänze verstanden zu haben. Ganz untheatralisch bescheiden huscht dann auch noch Kirill Petrenko auf die Bühne. Mit kleinen Händen winkt er ins Publikum, als ob er sich schon verabschiede. Was für ein sympathischer Mensch. Der Vater meiner Freundin, ein ausgewiesener Musikliebhaber, hatte mir frei nach Goethe auf den Weg gegeben: „Wenn es nicht berührt, nützt es nichts.“ Ja, da hat wirklich was berührt. Ist nur fraglich, was? Die Musik? Der Stoff? Oder doch nur die berührte Freundin neben mir? Eine Woche später sang Jonas Kaufmann bei der Weihnachtsfeier nach dem letzten Bayernspiel im Fußballstadion. Ich habe ihn tatsächlich an seiner Stimme erkannt. Ist nie zu spät für die Oper.■ FOTO: PRIVAT 70 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
16.03.–14.04.<strong>19</strong> 17.03.–21.04.18 internationales musikfestival internationales musikfestival heidelberger frühling 18 Amsterdam Sinfonietta I Benjamin Appl I Avi Avital I Sven-Eric Bechtolf I Daniel Behle I Rafał Blechacz Yefim Bronfman I Khatia Buniatishvili I Renaud Capuçon I Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen I Leonard Elschenbroich I Alexej Gerassimez I Valery Gergiev Thomas Hampson I Anja Harteros I Markus Hinterhäuser I Maximilian Hornung I Bomsori Kim I Sebastian Koch Harriet Krijgh I Elisabeth Kulman I Igor Levit I Daniel Libeskind I Mahler Chamber Orchestra I Alexander Melnikov Nils Mönkemeyer I Münchner Philharmoniker I Truls Mørk I Olga Pashchenko I Julian Prégardien I Thomas Quasthoff Quatuor Ébène I Tatjana Ruhland I Valer Sabadus I Mitsuko Uchida I Tianwa Yang u.v.a. Kostenloses Programmbuch Gründungspartner: & Tickets: 06221 - 584 00 44 I www.heidelberger-fruehling.de Gründungspartner: Alte
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