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CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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B A U H A U S 1 0 0<br />

re ri sche Pro phe ten sowie Anthro po so phen, Sozia listen<br />

und Kommunisten. Ein explosiver schöpferischer<br />

Mix. „Glau ben Sie ja nicht, dass das Leben am Bau haus<br />

einfach oder unkompliziert gewesen wäre!“, erinnerte<br />

sich Tut Schlem mer, die Frau Oskars. „Man fühl te sich<br />

viel mehr wie auf einem vul ka ni schen Gelän de, und<br />

man muss te sehr auf pas sen, all zu sehr hin und her<br />

geris sen zu wer den von all dem, was auf uns einstürm<br />

te.“ Und: „Man war ja andau ern den Wand lungen<br />

preis ge ge ben: Wir fin gen ja fast mit tel al ter lich an<br />

mit unse ren Sat zun gen von Form meis tern, Handwerks<br />

meis tern und Lehr lin gen und ende ten doch am<br />

Schluss (<strong>19</strong>33) mit einer Avant gar de auf allen<br />

Gebie ten.“<br />

Im gut bür ger li chen Wei mar ent wi ckel ten sich<br />

die Bau häus ler zum Bür ger schreck. „Wenn ihr euch<br />

nicht benehmt“, droh ten Eltern ihren Kin dern, „dann<br />

ste cken wir euch ins Bau haus!“, zu den „Zucht häuslern“,<br />

wie sie ihrer lan gen Haa re wegen genann t wurden.<br />

Oft zogen sie durch die Gas sen in Rus sen kit tel<br />

und Trich ter ho se, an den Hüften ganz weit und den<br />

Knö cheln ganz eng, und begrüß ten sich mit dem<br />

„Bauhauspfiff “, einer 13-töni gen Melo die, die jetzt,<br />

im Jubi lä ums jahr, täg lich um zwölf Uhr vom Rat hausturm<br />

in Des sau tönt, der zwei ten Bau haus-Stät te.<br />

Ein Cha rak ter kopf der ers ten Stun de war Lothar<br />

Schrey er, ein Freund kul ti scher Wei he bot schaften<br />

und Erlö sungs vi sio nen. Über troffen wur de er von<br />

dem exzen tri schen Johan nes Itten, der sich als<br />

erleuch te ter „Meis ter“ ver stand und kahl köp fig im<br />

pseu do pries ter li chen Ornat, im „Anzug aus pur purvio<br />

let tem kost ba ren Tuch“ auftrat, wie Schrey er sich<br />

erinnert. Als überzeugter Anhänger der Mazdaznan-<br />

Lehre, einer esoterischen Heilslehre, vertrat Itten eine<br />

rigide Ernährungs-, Atem- und Wiedergeburtslehre,<br />

mit der er nicht nur Klee nerv te. Der ließ ihm bestellen,<br />

er den ke nicht dar an „auf dem Weg über den<br />

gerei nig ten Darm in den Him mel“ zu kom men. Ittens<br />

Form- und Farbstudien allerdings, seine „übersinnliche“<br />

Farbenlehre, derzufolge jeder Mensch von einer<br />

farbigen Aura umgeben sei, faszinierte Klee. Auch<br />

Kan din sky sah die Men schen in sei nen Bil dern in Rot,<br />

Blau und Gelb.<br />

Die Bau häus ler fei er ten gern. Gele gen heit gab es immer, ob<br />

beim Later nen-, Son nen wend-, Dra chen- oder Julklapp-Fest (Weihnach<br />

ten). Dann spiel te die Bau haus ka pel le auf mit Lux Fei nin ger an<br />

der Kla ri net te oder dem Ban jo. Man tanz te Charles ton und erfand<br />

sogar einen Bau haus-Tanz. Wenn der Abend zur Nei ge ging, wur den<br />

gern Thea ter ex pe ri men te zum Bes ten gege ben. Wie in Möbeln und<br />

der Archi tek tur soll ten auch die Akteu re auf der Bau haus-Büh ne<br />

nichts Indi vi du el les aus strah len. Durch „Tri kots und Mas ken ver einheitlicht“<br />

stellten sie eine „Synthese von Mensch und Marionette, von<br />

Natur- und Kunst fi gur“ dar.<br />

Musik war am Bau haus kei ne eigen e Dis zi plin und doch immer<br />

präsent. Feininger musizierte, auch Klee wollte ursprünglich Geiger<br />

werden. In seinen Werken finden sich abstrahierte Noten, Notenzeilen<br />

und Vio li n schlüs sel. Musik sei ihm die Gelieb te, sag te er, Male rei<br />

die „ölrie chen de Pin sel göt tin, die ich bloss umar me, weil sie eben<br />

mei ne Frau ist“. Kan din sky war über die Musik zur Male rei gekommen.<br />

Bei einer Auffüh rung von Wag ners Lohengrin hat te er Far ben<br />

„gese hen“. Aus Paris kam Igor Stra win sky, um die Auffüh rung sei ner<br />

Geschichte vom Soldaten zu erle ben. Aus Ber lin Fer ruc cio Buso ni. Mit<br />

ihm sein Schü ler Kurt Weill. Auch Paul Hin de mith, ein Freund Oskar<br />

Von oben: László Moholy-<br />

Nagy, Perpe, <strong>19</strong><strong>19</strong>; Grundlagen<br />

der Farbtheorie und<br />

Farbkreis nach Johannes<br />

Itten; dreidimensionales<br />

Seh- und Hörerlebnis:<br />

„Das totale Tanztheater<br />

360°“; Teekanne von<br />

Naum Slutzky<br />

Schlemmers, der ihm einige Bühnenbilder geschaffen<br />

hat te, war oft da.<br />

Das Bau haus war der Ort, wo moder ne Kunst<br />

gelehrt wur de, wo man sie auch aus pro bier te. Wo Gropi<br />

us lehr te, wo Klee lehr te, wo Kan din sky lehr te …<br />

und Mondrian zu Vorlesungen kam.“ Auf Anweisung<br />

von Itten, erin nert sich Wol pe, „gin gen wir alle raus<br />

mit einem klei nen Koffer und sam mel ten alles, was<br />

wir fan den – von Ziga ret ten kip pen bis zu klei nen Feilen,<br />

kleinen Schrauben, Briefschnipseln, Brotkrümeln,<br />

toten Vögeln, Federn, Milch fla schen … (wir) muss ten<br />

diese Dinge unabhängig von ihrer subjektiven Bedeutung<br />

ver wen den … als for ma le Ele men te wur den sie<br />

neu tra li siert, so exis tier te ein toter Vogel nur in sei ner<br />

for ma len struk tu rel len Bezie hung …“<br />

Die neu aufkommende Dodekaphonie (= Zwölfton<br />

mu sik) spal te te die Gemü ter. Das Lager von Erwin<br />

Ratz ver trat die Auffas sung von Arnold Schön berg,<br />

das von Itten fühl te sich der Phi lo so phie von Josef<br />

Mat thi as Hau er ver bun den. Klee, den man wegen seiner<br />

stil len Art auch „Bau haus bud dha“ nann te, hielt<br />

sich zurück. Für ihn schien nach Mozart ohne hin<br />

schon fast alles gesagt. <strong>19</strong>09 kari kier te er einen Pianisten<br />

bei der Interpretation Neuer Musik: angekettet<br />

an sein Instru ment, auf einem Nacht topf sit zend,<br />

„dabei ‚durch schau bar‘ bis auf die Kno chen (in sei ner<br />

Inno va ti ons sucht) und ‚bedürftig‘ in einem ganz elemen<br />

ta ren Sin ne“.<br />

Doch die Sucht nach Neu em war nicht auf zuhal<br />

ten. Fas zi niert expe ri men tier te Bau haus-Leh rer<br />

László Moholy-Nagy mit Schellack-Schallplatten, ließ<br />

sie rück wärts abspie len, schnitt mit Lin ol schnitt messern<br />

und Nadeln neue Struk tu ren hin ein, um Klangeffek<br />

te zu gewin nen. Der ers te DJ der Geschich te! Das<br />

alles half nicht, die chronischen finanziellen Probleme<br />

der Lehr an stalt in den Griff zu bekom men. Das Bauhaus<br />

schien zu eli tär, kaum einer konn te sich die<br />

schmuck lo sen, aber teu ren Lam pen, Kan nen und Sessel<br />

leisten, die nun standardisiert in größeren Mengen<br />

pro du ziert wer den konn ten. Erst in den <strong>19</strong>80ern wurden<br />

sie zu begehr ten Designklas si kern.<br />

<strong>19</strong>24 strich die Thü rin ger Regie rung die Sub ventio<br />

nen und man zog in die Indus trie stadt Dessau. Die<br />

Aus ein an der set zun gen und die pre kä re Lage blie ben. <strong>19</strong>28 gab Gropi<br />

us sei nen Direk tor pos ten auf, Schlem mer folg te ihm <strong>19</strong>29. Auch<br />

Kan din sky, den man wegen sei nes diplo ma ti schen Geschicks „Gropi<br />

us’ Kanz ler“ nann te, wur de nicht mehr gese hen. Mies van der Rohe<br />

ver such te, das Bau haus als Pri vat in sti tut in einer ver las se nen Telefon<br />

fa brik in Ber lin-Ste glitz weiterzuführen.<strong>19</strong>33 wurde der Lehr betrieb<br />

endgültig eingestellt durch die Nazis, denen die „Brand fa ckel<br />

Moskaus“ ohnehin nie geheuer war. Gropius und andere emigrierten<br />

in die USA. In Chi ca go ent stand ein „New Bau haus“.<br />

In Deutsch land aber konn te man mit den Bau ten der „Wei ßen<br />

Göt ter“ aus Wei mar mit ihren engen Flu ren, nied ri gen Decken, ohne<br />

Stuck und Far be lan ge nichts anfan gen. Ador no sprach von „Konser<br />

ven büch sen“, Brecht von „Kaser nen“, Bloch mokier te sich über die<br />

geschichts lo sen „Stahl mö bel, Beton ku ben, Flachdachwesen“. <strong>19</strong>60<br />

kam das end gül ti ge Aus für den Kul tur be griff „Bau haus“. Ein Großmarkt<br />

für Schrau ben, Pin sel und Klo sett de ckel hat te sich den Namen<br />

gesichert. Seitdem darf auch kein Muse um mehr ein Pro dukt unter<br />

der Namen „Bau haus“ ver kau fen.<br />

n<br />

Die Infos zu den wich tigs ten Ver an stal tun gen rund um das Bau haus-Jubi lä um fin den Sie<br />

unter www.bauhaus100.de<br />

58 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>

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