CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.
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Ioan-Holender-Kolumne<br />
Oper ist ein<br />
schweres Geschäft<br />
Sir Simon Rattle<br />
Solisten in München bei der musica viva und in der Schweiz bei<br />
Lucerne Festival. Den ersten Teil des Programms gestaltet Rattle<br />
mit Musik aus Großbritannien. Die Trompeter Philip Cobb und<br />
Gábor Tarkövi sind die Solisten in Dispelling the Fears aus den Jahren<br />
<strong>19</strong>94–<strong>19</strong>95 von Mark-Anthony Turnage, dem Rattle seit Jahrzehnten<br />
eng verbunden ist. Turnage schätzt Rattles Einsatz für<br />
zeitgenössische Musik. „Simon macht sich für das Neue stark“,<br />
betont er. Neue Werke probe er unwahrscheinlich gründlich. Das<br />
Entscheidende sei jedoch, „dass er Komponisten wirklich achtet“.<br />
Zu Dispelling the Fears ließ sich Turnage von dem düsteren Gemälde<br />
der australischen Malerin Heather Betts anregen, auf dem ein kleines<br />
weißes „Lichtfenster“ den Blick anzieht. Dieses Gefühl des Übergangs<br />
vom Dunkel zum Licht bringt er in der Komposition zum<br />
Ausdruck. So wird der letzte Satz zu einer bewegenden Meditation<br />
der Trompete, deren zarte Klänge all die vorausgegangene Bedrohlichkeit<br />
und Angst zu besänftigen scheinen.<br />
In seinem Orchesterwerk The Shadow of Night aus dem Jahr<br />
2001 erkundet Sir Harrison Birtwistle die nächtliche Melancholie,<br />
von der elisabethanische Dichter erzählen. Der Titel stammt von<br />
einem Gedicht George Chapmans aus dem 16. Jahrhundert, das<br />
Melancholie nicht als depressive Gemütslage, sondern als eine inspirierte<br />
Gestimmtheit der Nacht darstellt. Anregung suchte Birtwistle<br />
zudem in Albrecht Dürers rätselhaftem Stich Melencolia I<br />
und John Dowlands Lautenlied In darkness let me dwell. Die ersten<br />
drei Noten daraus zitiert er in einem Solo der Piccoloflöte gleich<br />
nach Beginn seines Werks. Sodann webt er das Motiv, mal in höherer,<br />
mal in tieferer Tonlage, in dessen Struktur ein. Lange melodische<br />
Linien werden unterbrochen und wieder aufgenommen wie<br />
die Strahlen des Mondlichts, das hinter vorbeiziehenden Wolken<br />
langsam zum Vorschein kommt. Raunende Streicher- und Fagottklänge<br />
steigern sich immer wieder zu emotionaler Spannung, die<br />
sich in schrillen Bläserstößen entlädt, bis sich melodisch sanft der<br />
Morgen ankündigt.<br />
■<br />
Ohne sich in die nähere Geschichte zu vertiefen,<br />
wissen wir, dass das bis in die <strong>19</strong>70er- und<br />
<strong>19</strong>80er-Jahre gepflegte Ensemblesystem, in dem<br />
jedes Opernhaus – ob klein oder groß – den Spielplan vornehmlich<br />
durch seine eigenen Sänger bestritt, qualitativ<br />
besser ist als der heute, leider sogar in den kleinen Stadttheatern<br />
praktizierte Weg mit Gastsängern. Eine langsame,<br />
organische Entwicklung eines angehenden Gesangssolisten<br />
ist äußerst schwierig geworden. Man debütiert in den<br />
allergrößten Häusern gleich mit neuen Partien, ohne sich<br />
davor selbst ausprobieren und Erfahrung sammeln zu können,<br />
wie man sich zum Beispiel lange Partien einteilt. Es<br />
gibt keine Möglichkeit mehr, Fehler zu machen und aus<br />
ihnen zu lernen.<br />
Die mediale Ankündigung beherrscht ebenso wie die<br />
Berichte der Vorankündigung alles, zur Freude des jeweiligen<br />
Intendanten, aber auch des Künstlers. Die Regisseure<br />
sind derzeit immer hausfremde Gastregisseure. Sie kennen<br />
weder die Mitarbeiter noch das Haus und oft auch nicht<br />
die Stadt, in der sie arbeiten. Die Wahl eines Regisseurs ist<br />
genauso schwierig wie jene des Sängers, denn wenn der<br />
Regisseur das Werk, für das man ihn sucht, schon irgendwo<br />
inszeniert hat, ist er oder sie sowieso schon nicht mehr<br />
inter essant. Alles muss schnell gehen, und nichts, was<br />
schon war, soll wieder sein. Manche Länder oder manche<br />
Orte geben enorme Honorare aus, um ein Ereignis, pardon,<br />
ein Event, zu feiern. Es geht schon lange nicht mehr<br />
um Kunst, auch nicht um Unterhaltung, sondern nur noch<br />
ums Geschäft.<br />
Oper zu gestalten, ist heute sehr teuer geworden.<br />
Einen Regisseur zu engagieren, bedeutet, noch mindestens<br />
fünf Mitarbeiter dazu zu beschäftigen, einen Assistenten,<br />
den Lichtarchitekten, den Videobetreuer, den persönlichen<br />
Assistenten und einen Dramaturgen. Ein Theaterleiter<br />
braucht neben sich einen Berater, einen Besetzungschef,<br />
den Dramaturgen und, und, und … Doch der arme Sänger<br />
bleibt allein, er muss alles machen, was man von ihm<br />
wünscht und was er oftmals nicht möchte, und dazu soll<br />
er noch gut singen. Es kommt bald die Zeit der öffentlichen<br />
Playbacks, der Mikrofonierung, und wer weiß was noch<br />
alles, um endlich den Störfaktor Sänger zu ersetzen.<br />
„kulTOUR mit Holender“ auf<br />
ServusTV Deutschland:<br />
7. und 10.2. „Dresden“ | 21. und 24.2. „Krim“ |<br />
7.3. Porträt des Schauspielers Philipp Hochmair<br />
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