25.05.2020 Aufrufe

CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Ioan-Holender-Kolumne<br />

Oper ist ein<br />

schweres Geschäft<br />

Sir Simon Rattle<br />

Solisten in München bei der musica viva und in der Schweiz bei<br />

Lucerne Festival. Den ersten Teil des Programms gestaltet Rattle<br />

mit Musik aus Großbritannien. Die Trompeter Philip Cobb und<br />

Gábor Tarkövi sind die Solisten in Dispelling the Fears aus den Jahren<br />

<strong>19</strong>94–<strong>19</strong>95 von Mark-Anthony Turnage, dem Rattle seit Jahrzehnten<br />

eng verbunden ist. Turnage schätzt Rattles Einsatz für<br />

zeitgenössische Musik. „Simon macht sich für das Neue stark“,<br />

betont er. Neue Werke probe er unwahrscheinlich gründlich. Das<br />

Entscheidende sei jedoch, „dass er Komponisten wirklich achtet“.<br />

Zu Dispelling the Fears ließ sich Turnage von dem düsteren Gemälde<br />

der australischen Malerin Heather Betts anregen, auf dem ein kleines<br />

weißes „Lichtfenster“ den Blick anzieht. Dieses Gefühl des Übergangs<br />

vom Dunkel zum Licht bringt er in der Komposition zum<br />

Ausdruck. So wird der letzte Satz zu einer bewegenden Meditation<br />

der Trompete, deren zarte Klänge all die vorausgegangene Bedrohlichkeit<br />

und Angst zu besänftigen scheinen.<br />

In seinem Orchesterwerk The Shadow of Night aus dem Jahr<br />

2001 erkundet Sir Harrison Birtwistle die nächtliche Melancholie,<br />

von der elisabethanische Dichter erzählen. Der Titel stammt von<br />

einem Gedicht George Chapmans aus dem 16. Jahrhundert, das<br />

Melancholie nicht als depressive Gemütslage, sondern als eine inspirierte<br />

Gestimmtheit der Nacht darstellt. Anregung suchte Birtwistle<br />

zudem in Albrecht Dürers rätselhaftem Stich Melencolia I<br />

und John Dowlands Lautenlied In darkness let me dwell. Die ersten<br />

drei Noten daraus zitiert er in einem Solo der Piccoloflöte gleich<br />

nach Beginn seines Werks. Sodann webt er das Motiv, mal in höherer,<br />

mal in tieferer Tonlage, in dessen Struktur ein. Lange melodische<br />

Linien werden unterbrochen und wieder aufgenommen wie<br />

die Strahlen des Mondlichts, das hinter vorbeiziehenden Wolken<br />

langsam zum Vorschein kommt. Raunende Streicher- und Fagottklänge<br />

steigern sich immer wieder zu emotionaler Spannung, die<br />

sich in schrillen Bläserstößen entlädt, bis sich melodisch sanft der<br />

Morgen ankündigt.<br />

■<br />

Ohne sich in die nähere Geschichte zu vertiefen,<br />

wissen wir, dass das bis in die <strong>19</strong>70er- und<br />

<strong>19</strong>80er-Jahre gepflegte Ensemblesystem, in dem<br />

jedes Opernhaus – ob klein oder groß – den Spielplan vornehmlich<br />

durch seine eigenen Sänger bestritt, qualitativ<br />

besser ist als der heute, leider sogar in den kleinen Stadttheatern<br />

praktizierte Weg mit Gastsängern. Eine langsame,<br />

organische Entwicklung eines angehenden Gesangssolisten<br />

ist äußerst schwierig geworden. Man debütiert in den<br />

allergrößten Häusern gleich mit neuen Partien, ohne sich<br />

davor selbst ausprobieren und Erfahrung sammeln zu können,<br />

wie man sich zum Beispiel lange Partien einteilt. Es<br />

gibt keine Möglichkeit mehr, Fehler zu machen und aus<br />

ihnen zu lernen.<br />

Die mediale Ankündigung beherrscht ebenso wie die<br />

Berichte der Vorankündigung alles, zur Freude des jeweiligen<br />

Intendanten, aber auch des Künstlers. Die Regisseure<br />

sind derzeit immer hausfremde Gastregisseure. Sie kennen<br />

weder die Mitarbeiter noch das Haus und oft auch nicht<br />

die Stadt, in der sie arbeiten. Die Wahl eines Regisseurs ist<br />

genauso schwierig wie jene des Sängers, denn wenn der<br />

Regisseur das Werk, für das man ihn sucht, schon irgendwo<br />

inszeniert hat, ist er oder sie sowieso schon nicht mehr<br />

inter essant. Alles muss schnell gehen, und nichts, was<br />

schon war, soll wieder sein. Manche Länder oder manche<br />

Orte geben enorme Honorare aus, um ein Ereignis, pardon,<br />

ein Event, zu feiern. Es geht schon lange nicht mehr<br />

um Kunst, auch nicht um Unterhaltung, sondern nur noch<br />

ums Geschäft.<br />

Oper zu gestalten, ist heute sehr teuer geworden.<br />

Einen Regisseur zu engagieren, bedeutet, noch mindestens<br />

fünf Mitarbeiter dazu zu beschäftigen, einen Assistenten,<br />

den Lichtarchitekten, den Videobetreuer, den persönlichen<br />

Assistenten und einen Dramaturgen. Ein Theaterleiter<br />

braucht neben sich einen Berater, einen Besetzungschef,<br />

den Dramaturgen und, und, und … Doch der arme Sänger<br />

bleibt allein, er muss alles machen, was man von ihm<br />

wünscht und was er oftmals nicht möchte, und dazu soll<br />

er noch gut singen. Es kommt bald die Zeit der öffentlichen<br />

Playbacks, der Mikrofonierung, und wer weiß was noch<br />

alles, um endlich den Störfaktor Sänger zu ersetzen.<br />

„kulTOUR mit Holender“ auf<br />

ServusTV Deutschland:<br />

7. und 10.2. „Dresden“ | 21. und 24.2. „Krim“ |<br />

7.3. Porträt des Schauspielers Philipp Hochmair<br />

51

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!