CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum. CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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25.05.2020 Aufrufe

M E I N U N G Der Axel-Brüggemann-Kommentar AUF EIN WORT, LIEBE SPORTSFREUNDE Der Sportbund in Bonn findet, dass zu viel Geld für die Kultur ausgegeben wird – dabei sitzen Vereine und Orchester im selben Boot. Plädoyer gegen eine Spaltung der Gesellschaft und für mehr Solidarität. Vielleicht steht diese Kolumne im falschen Blatt, vielleicht wäre sie im „Kicker“ besser aufgehoben oder in der Vereinszeitung des Bonner Sportbundes. Hier in CRESCENDO werden wir wahrscheinlich ziemlich schnell einig sein, dass Sport und Musik keine Gegner, sondern Partner im Kampf gegen eine vermeintlich durchoptimierte Gesellschaft sein können – ja, müssen! Umso wichtiger, ein offenes Wort mit unseren Sportsfreunden zu führen, um zu merken, dass es viele Parallelen zwischen Noten und Trainingsplänen, Konzerthäusern und Stadien gibt. Konkret geht es darum: Kürzlich hat der Sportbund Bonn eine etwas verunglückte Pressemitteilung herausgegeben. Mit „großer Aufmerksamkeit“ habe man zur Kenntnis genommen, dass der Generalmusikdirektor des Beethoven Orchesters, Dirk Kaftan, gesagt hätte, Hochkultur würde bei ihm eine „Art Würgereiz“ auslösen. Der Sportbund ist echauffiert, immerhin flössen Bonner Steuermillionen in Theater und Beethoven Orchester, ja, 60 Millionen in die Kulturförderung der Stadt insgesamt! Zu viel, findet der Sportbund nun und rechnet vor: 105,5 Orchesterstellen und 14 Büroangestellte habe Kaftans Orchester. Wie könne es sein, dass nur sechs Orchester in Deutschland größer seien als das in Bonn? Wie, dass ein Ensemble wie das Mozarteumorchester Salzburg mit 91 Musikern auskommt? Immerhin würde Salzburg sogar mit „Hochkultur“ werben, die Kaftan so verachte. Fazit der Sportler: Bonn gibt zu viel Geld für „Hochkultur“ aus, insbesondere für Oper und Orchester, und würde Kaftan nicht mindestens EIN ORCHESTER SOLL KEINE ELITÄRE MUSIKERTRUPPE SEIN, SONDERN KULTURELLE GRUNDVERSORGUNG 3,5 Millionen sparen, werde man dem Beethoven Orchester vom Spielfeldrand auch weiterhin zubuhen. Die Wahrheit sieht etwas differenzierter aus, ist aber längst nicht so kompliziert wie die Abseitsregel, sollte also auch für die Sportfreunde verständlich sein! Auf einem Bildungsempfang hat Dirk Kaftan sich Gedanken über das Wort „Hochkultur“ gemacht. Sein Gedankengang: Während die Kultur immer mehr unter gesellschaftlichem Druck steht, viele Politiker erfolgreich argumentieren, dass mit Orchestersubventionen lediglich Veranstaltungen für Reiche gefördert würden, wolle er gern auf dieses Wort, das zum gesellschaftlichen Kampfbegriff geworden sei, verzichten. Stattdessen schlug Kaftan vor, von „Tiefen-Kultur“ zu reden. So würde klar werden, dass sein Orchester in die tieferen Schichten der Stadt eindringe, dass das Beethoven Orchester sich auch als Bildungseinrichtung für Jugendliche verstehe, mit seinen Konzerten in Stadtteile ziehe, die ansonsten nur wenig mit klassischer Musik zu tun hätten, und dass sein Orchester keine elitäre Musikertruppe, sondern eine kulturelle Grundversorgung für alle Bonner sein wolle. Kaftan argumentiert, dass mit dem Begriff der „Tiefen-Kultur“ klarer würde, warum eine Stadt wie Bonn sich überhaupt ein Orchester, ein Theater und eine Oper leiste: weil sie allgemein zugängliche Säulen des Diskurses sind, weil sie dort einspringen, wo viele Schulen längst aufgegeben haben (etwa im Musikunterricht), weil sie täglich beweisen, dass Musik das Zuhören, das Miteinander, die Konzentration und Aufmerksamkeit fördert – all ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ 40 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – März 2019

jene Eigenschaften also, die gerade bei Schülern oft als Defizite festgestellt werden. Dass sein Orchester nicht elitär ist, nicht im Elfenbeinturm auf das gut betuchte Publikum wartet, sondern alle Menschen vor Ort besucht und begeistert. All das müssen die Leute vom Sportbund irgendwie in den falschen Hals bekommen haben. Das ist umso absurder, da sie die eigentlich gleiche Ausgangsposition wie das Orchester haben: Auch der Sport wird an unseren Schulen schon lange nicht mehr ernst genommen – neben dem Musikunterricht das Fach, das am meisten ausfällt. Gleichsam hat der Sport eine ähnliche gesellschaftliche Kraft wie die Musik: Teamgeist, Integration, Ausdauer, Konzentration – in Turnhallen, auf Bolzplätzen und Tartanbahnen werden ebenfalls gesellschaftliche Tugenden gefördert wie auf Orchesterpodien und in den Rängen eines Konzertes. Mit Verlaub, lieber Sportbund in Bonn: Wie absurd, bitte schön, ist eure Argumentation gegen das Theater? Wäre Solidarität nicht die bessere Positionierung als eine billige Neiddebatte? Die Kultureinrichtungen der Stadt sind nicht eure Feinde, sie sind eure natürlichen Freunde, sie haben ähnliche Auswirkungen auf das Bildungsniveau und den Geist einer Stadt. Es ist wissenschaftlicher common sense, dass Sport und Musik dafür sorgen, dass wir keine Fachidioten werden, dass wir aufgeschlossene, ausdauernde und kreativ denkende Mathematiker, Chemiker und Ärzte ausbilden. Vorzeige-Bildungssysteme wie Finnland wissen, dass ihr gutes Abschneiden in Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften darauf zurückzuführen ist, dass an den Schulen des Landes Musik und Sport gleichberechtigt zu allen anderen Fächern unterrichtet werden. Was an der Bonner Debatte wirklich aufregt, ist, dass hier etwas passiert, das politisch vielleicht sogar gewollt ist. Fragen nach Steuergeldern werden immer öfter mit Entweder-oder-Fragen vorgelegt: Schwimmbad oder Kunsthalle? Kindergarten oder Opernhaus? Neue Straßen oder Schauspielhaus? Und nun eben: Sportverein oder Orchester? Derartige Zuspitzungen sind Quatsch, fördern Neid und verhindern Solidarität. Jeder Sportverein und jedes Orchester sollte derartigen Debatten eine Absage erteilen – sonst ist er das nächste Opfer. In Bonn lässt sich der Sport gegen die Kultur ausspielen. Mit fatalen Folgen. Weil genau das für eine gesellschaftliche Stimmung sorgt, an deren Ende beide – sowohl der Sport als auch die Kultur – verlieren werden. Klar, nun könnte man auf Zahlen pochen: Wie viele Mitglieder haben Bonns Sportvereine? Stimmt es, dass mehr Menschen Livekonzerte deutscher Orchester besuchen als Spiele der Fußball-Bundesliga? Aber auch diese Erbsenzählerei wird nicht viel bringen. Fakt ist: Eine Gesellschaft braucht Kultur UND Sport! Gehen wir einen Schritt zurück. Warum subventionieren wir überhaupt Theater und Orchester? „Hochkultur“ ist vielleicht eine Kategorie: große Produktionen, die ohne Subventionen nicht zu stemmen wären. Aufführungen, die den Bürgern der Stadt Bonn ein professionelles Kulturangebot garantieren, Veranstaltungen, die Bonn als Kulturstadt strahlen lassen. Aufführungen, die junge Menschen zum Freidenken inspirieren und anregen – nicht nur im kulturellen, sondern auch im gesellschaftlichen Denken. Diese „Hochkultur“-Förderung ist vergleichbar mit der Förderung von Sportleistungszentren, wo es darum geht, dass Athleten aus Bonn ES IST WISSENSCHAFTLICHER COMMON SENSE, DASS SPORT UND MUSIK DAFÜR SORGEN, DASS WIR KEINE FACHIDIOTEN WERDEN die Möglichkeit haben, in nationale Kader aufzurücken, an der Spitze der Fußball-, der Badminton-, der Handball- oder Eishockey-Bundesliga mitzuspielen. Aber der Kulturhaushalt hat – und da liegt Kaftan mit seiner „Tiefen-Kultur“ durchaus richtig – auch den Zweck, eine kulturelle Grundversorgung zu garantieren. Noch einmal: Unsere Schulen schaffen das schon lange nicht mehr. Diese Aufgabe übernehmen Musikschulen und zunehmend Orchester und Theater. Das wiederum ist mit der Förderung des Breitensports zu vergleichen: die Möglichkeit für jeden Menschen, sich einem Verein anzuschließen, Teamgeist oder eigenen Ehrgeiz zu verfolgen. Ich glaube, nicht einem Musiker des Beethoven Orchesters würde es einfallen zu fordern, dass die Stadt weniger Geld für die Sportförderung ausgeben sollte. Im Gegenteil! Sport und Kultur haben gleichermaßen gegen eine Politik zu kämpfen, in der ihre Arbeit gegen den Bau von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern oder Straßen ausgespielt wird. Werder-Trainer Otto Rehhagel warb einst für das Bremer Theater, die drei Tenöre eröffneten die Fußball-WM – Bewegung und Musik schließen einander nicht aus, sie bedingen sich! Bonn ist nur ein Einzelbeispiel. Auch in anderen Städten wird die Kultur immer öfter politisch als Kostenfaktor denunziert – in Linz hat sich die Stadt sogar vollkommen aus der Förderung ihres Orchesters zurückgezogen. Da sollten die Alarmglocken läuten! Kultur und Sport sollten Seit᾽ an Seit᾽ stehen und miteinander dafür kämpfen, dass Politik und die Vergabe öffentlicher Gelder nicht als Entweder-oder-Frage gestellt wird. Dass natürlich Kindergärten, Krankenhäuser und Straßen gebaut werden, dass sie alle aber weniger wert sind, wenn eine Stadt ihre Kultur oder ihr sportliches Image dafür infrage stellt. Es ist wie im finnischen Schulsystem: Eine Gesellschaft braucht Freiräume des Unkonkreten, Orte für Spaß und Orte, an denen leidenschaftliche Arbeit allein der Leidenschaft wegen gefördert wird. Klar, man könnte eine Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie als ebenso sinnlos empfinden wie Steuergelder, mit denen das Training einer Leistungs kanutin gefördert wird. Aber wer so argumentiert, glaubt auch, dass Schule darin besteht, in möglichst geringer Zeit möglichst viel Wissen zu anzuhäufen, dass die Liebenswürdigkeit einer Stadt allein durch die Sauberkeit ihrer Straßen entschieden wird, dass eine gute Gesellschaft darin besteht, fleißig zu sein, dass Kreativität, Unterhaltung oder Neudenken keine Standortfaktoren sind. Liebe Bonner Sportsfreunde, die Attacke gegen das Beethoven Orchester und die kulturellen Einrichtungen eurer Stadt ist vielleicht kein rotwürdiges Foul, aber es war eine unglaublich dumme Kampfansage! An unseren Schulen sehen wir bereits, welche Auswirkungen Bildung mit Verzicht auf Sport und Kultur hat: Zwischenmenschliche Tugenden und Leistungsförderungen wie Aufmerksamkeit, Zuhören, Kreativität und Ehrgeiz gehen verloren. Der Verlust von Kultur und Sport bedeutet für eine Stadt Standortnachteile! Ich weiß nicht, ob es hilft, dass diese Kolumne in einer Musikzeitschrift steht, wenn sie doch eigentlich die Sportler erreichen soll. Aber Sport und Musik schließen einander nicht aus, also, liebe sportliche Musiker und musische Sportler: Lassen wir uns nicht instrumentalisieren und gegeneinander ausspielen – wir sind ein Team. Und haben das gleiche Motiv: unsere Leidenschaft! ■ 41

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Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />

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LIEBE SPORTSFREUNDE<br />

Der Sportbund in Bonn findet, dass zu viel Geld für die Kultur ausgegeben<br />

wird – dabei sitzen Vereine und Orchester im selben Boot.<br />

Plädoyer gegen eine Spaltung der Gesellschaft und für mehr Solidarität.<br />

Vielleicht steht diese Kolumne im falschen Blatt, vielleicht wäre<br />

sie im „Kicker“ besser aufgehoben oder in der Vereinszeitung des<br />

Bonner Sportbundes. Hier in <strong>CRESCENDO</strong> werden wir wahrscheinlich<br />

ziemlich schnell einig sein, dass Sport und Musik<br />

keine Gegner, sondern Partner im Kampf gegen eine vermeintlich<br />

durchoptimierte Gesellschaft sein können – ja, müssen! Umso<br />

wichtiger, ein offenes Wort mit unseren Sportsfreunden zu führen,<br />

um zu merken, dass es viele Parallelen zwischen Noten und Trainingsplänen,<br />

Konzerthäusern und<br />

Stadien gibt.<br />

Konkret geht es darum:<br />

Kürzlich hat der Sportbund Bonn<br />

eine etwas verunglückte Pressemitteilung<br />

herausgegeben. Mit<br />

„großer Aufmerksamkeit“ habe<br />

man zur Kenntnis genommen,<br />

dass der Generalmusikdirektor<br />

des Beethoven Orchesters, Dirk<br />

Kaftan, gesagt hätte, Hochkultur würde bei ihm eine „Art Würgereiz“<br />

auslösen. Der Sportbund ist echauffiert, immerhin flössen<br />

Bonner Steuermillionen in Theater und Beethoven Orchester, ja,<br />

60 Millionen in die Kulturförderung der Stadt insgesamt! Zu viel,<br />

findet der Sportbund nun und rechnet vor: 105,5 Orchesterstellen<br />

und 14 Büroangestellte habe Kaftans Orchester. Wie könne<br />

es sein, dass nur sechs Orchester in Deutschland größer seien als<br />

das in Bonn? Wie, dass ein Ensemble wie das Mozarteumorchester<br />

Salzburg mit 91 Musikern auskommt? Immerhin würde Salzburg<br />

sogar mit „Hochkultur“ werben, die Kaftan so verachte. Fazit der<br />

Sportler: Bonn gibt zu viel Geld für „Hochkultur“ aus, insbesondere<br />

für Oper und Orchester, und würde Kaftan nicht mindestens<br />

EIN ORCHESTER SOLL KEINE ELITÄRE<br />

MUSIKERTRUPPE SEIN, SONDERN<br />

KULTURELLE GRUNDVERSORGUNG<br />

3,5 Millionen sparen, werde man dem Beethoven Orchester vom<br />

Spielfeldrand auch weiterhin zubuhen.<br />

Die Wahrheit sieht etwas differenzierter aus, ist aber längst<br />

nicht so kompliziert wie die Abseitsregel, sollte also auch für die<br />

Sportfreunde verständlich sein! Auf einem Bildungsempfang hat<br />

Dirk Kaftan sich Gedanken über das Wort „Hochkultur“ gemacht.<br />

Sein Gedankengang: Während die Kultur immer mehr unter<br />

gesellschaftlichem Druck steht, viele Politiker erfolgreich argumentieren,<br />

dass mit Orchestersubventionen<br />

lediglich Veranstaltungen<br />

für Reiche gefördert würden,<br />

wolle er gern auf dieses Wort, das<br />

zum gesellschaftlichen Kampfbegriff<br />

geworden sei, verzichten.<br />

Stattdessen schlug Kaftan vor, von<br />

„Tiefen-Kultur“ zu reden. So würde<br />

klar werden, dass sein Orchester<br />

in die tieferen Schichten der Stadt<br />

eindringe, dass das Beethoven Orchester sich auch als Bildungseinrichtung<br />

für Jugendliche verstehe, mit seinen Konzerten in Stadtteile<br />

ziehe, die ansonsten nur wenig mit klassischer Musik zu tun<br />

hätten, und dass sein Orchester keine elitäre Musikertruppe, sondern<br />

eine kulturelle Grundversorgung für alle Bonner sein wolle.<br />

Kaftan argumentiert, dass mit dem Begriff der „Tiefen-Kultur“<br />

klarer würde, warum eine Stadt wie Bonn sich überhaupt<br />

ein Orchester, ein Theater und eine Oper leiste: weil sie allgemein<br />

zugängliche Säulen des Diskurses sind, weil sie dort einspringen,<br />

wo viele Schulen längst aufgegeben haben (etwa im Musikunterricht),<br />

weil sie täglich beweisen, dass Musik das Zuhören, das Miteinander,<br />

die Konzentration und Aufmerksamkeit fördert – all<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

40 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>

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