CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.
H Ö R E N & S E H E N Empfehlungen von Attila Csampai FASZINIERENDE NEWCOMER UND ANDERE MUSIKMAGIER … begeistern unseren Chefrezensenten im neuen Jahr. MOZART: PIANO CON CERTO NO 20 K 466, SONATAS K 281 & K 332 Seong-Jin Cho, Chamber Orchestra of Europe, Yannick Nézet-Séguin (DG) Der große russische Mozart-Experte Georgi W. Tschitscherin spürte in dessen Musik die „Urkräfte des Universums“. Was er damit gemeint haben könnte, kann man jetzt auf dem ersten Mozart-Album der südkoreanischen Klavier-Hoffnung Seong-Jin Cho im Klang erleben. Selten entlockte ein junger Pianist im Wechselspiel mit dem ähnlich aufgekratzten Chamber Orchestra of Europe dem populären d-Moll-Konzert solche existenzielle Kraft, solche geballte, dramatische Wucht. Hier treffen, wie im Don Giovanni, stärkster Lebenswille und schicksalshafte Gegenmächte unvermittelt aufeinander und liefern dem Hörer ein hochdramatisches, dabei glasklar durchgezeichnetes Szenario schärfster Gefühlskontraste. Vor wenigen Monaten erst überraschte uns der 24-jährige Wahl-Berliner durch sein kalligrafisch-feingliedriges Debussy-Album, das meditativen Klangzauber verströmte. Dagegen wirkt sein Mozart-Zugriff geradezu energisch und schlackenlos prägnant und entfacht jugendliches Feuer und ungestüme Lebenskraft. Diesen klaren, hellwachen Blick auf Mozarts impulsreiche Dramatik kultiviert Cho dann auch in den beiden Sonaten KV 281 und 332, denen er einen ähnlichen Reichtum an Gefühlskontrasten abtrotzt. Hier bezieht ein hochtalentierter Newcomer und ausgeschlafener Mitstreiter Gegenposition zu den Armeen von blassen Mozart-Säuslern. SCHUBERT 1828: PIANO SONATAS D. 958, 959, 960, 3 KLAVIERSTÜCKE D. 946 Alexander Lonquich (Alpha) Track 2 auf der CRESCENDO Abo-CD: Klaviersonate Nr. 19 c-Moll, D. 958, II. Adagio Keine Frage, dass Schuberts letzte drei Klaviersonaten, die er zwei Monate vor seinem Tod vollendete, zu den Gipfelwerken der Gattung zählen. Aber nur wenige Pianisten vermochten deren unglaubliche innovative Substanz und das Ausmaß des Tragischen überzeugend umzusetzen, da die meisten, unter dem Eindruck von Schuberts äußeren Lebensumständen, das Fiebrig-Kränkelnde, Depressiv-Verhangene und die lähmende Todesnähe in den Vordergrund rückten. Auch der heute 58-jährige Alexander Lonquich unterstreicht im Booklet-Text seiner neuen, schlackenlos klaren Einspielung der Trias deren „betont erzählerischen Charakter“ und deutet sie als „fortlaufende Geschichte eines einzigen Romans“. Und dennoch durchleuchtet er ihre strukturelle Komplexität, ihre harmonischen Kühnheiten und emotionalen Abgründe mit Beethovenscher Rigorosität und einer dem Kompositionsprozess folgenden Klarheit und Stringenz, die diese letzten Arbeiten als Manifeste visionärer Modernität und einer mit neuen Inhalten gefüllten Wahrhaftigkeit ausweisen: Lonquichs faszinierende Anschlagskultur, sein perfektes, flexibles Timing, seine schlackenlose Prägnanz und sein dramatisch geschärfter, stets plausibler Erzählstrom enthüllen die tiefe Trost- und Ausweglosigkeit dieser Werke in ungeschützter, entblößter Klarheit und verweigern entschieden jede Spur von falscher Gefühligkeit. Das ist fesselnd und erschütternd zugleich. MENDELSSOHN: PIANO CONCERTOS 1 & 2, RONDO BRILLANT, OUVERTURE „DIE HEBRIDEN“ Roberto Prosseda, Residentie Orkest The Hague, Jan Willem de Vriend (Decca) Mendelssohns Ächtung durch die Nazis ist bis heute nicht überwunden. Noch immer ist das Interesse des breiten Publikums und vieler Musiker auf wenige Werke beschränkt, während vieles andere, wie etwa sein umfangreiches Klavierwerk, ein klägliches Schattendasein fristet. Hier zählt der italienische Pianist Roberto Prosseda zu den weltweit führenden Mendelssohn-Aktivisten, denn er hat nicht nur als Erster das gesamte Solo-Klavierwerk modellhaft eingespielt, sondern auch eine Reihe verschollener Stücke wiederentdeckt. Jetzt hat er mit dem traditionsreichen Residentie Orkest aus Den Haag und seinem Chef Jan Willem de Vriend die beiden reifen Klavierkonzerte in g-Moll und d-Moll in einer elektrisierend frischen, ungestüm drängenden und historisch herben Interpretation aufgenommen und so zwei Meisterwerken der frühen Romantik eine in jedem Moment spannungsreiche und aufregende Klanggestalt verliehen. Dass er dem derzeit herrschenden Trend zu historischen Fortepiani widersteht und seine stets prägnante Artikulation lieber auf einem modernen Fazioli-Flügel glasklar ausformuliert, unterstreicht die zeitlose Modernität und die virtuose Brillanz dieser ewig jungen Konzerte, die die Schönheit und das humane Antlitz des Mozart’schen Erbes in sich tragen und genialisch weiterentwickeln. Das Rondo Brillant fungiert da als virtuos funkelndes, ähnlich temperamentvolles Bindeglied zwischen den Konzerten. ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ 30 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – März 2019
IMPRESSUM BEETHOVEN: SYMPHONY NO. 3 „EROICA“, BRAHMS: VARIATIONS ON A THEME BY HAYDN Maxim Emelyanychev, Nizhny Novgorod Soloists Chamber Orchestra (Aparté) Maxim Emelyanychev zählt zu den größten Hoffnungen der russischen Musikszene. Seit 2016 leitet er das renommierte Barockensemble Il pomo d’oro. Für sein Dirigenten-Debüt hat er sich zwei sinfonische Kronjuwelen ausgesucht: Wer sich heute an Beethovens Eroica herantraut, muss über Zauberkräfte verfügen, um das alte Schlachtross in ein Rennpferd zu verwandeln. Doch Emelyanychev meistert die Verjüngungskur mit tänzerischer Unbekümmertheit und Anmut, die alles heroische Pathos, allen Titanismus, alle romantische Bedeutungsschwere von ihm abfallen lassen und es in die schlanken, spielerisch drängenden Bewegungsmuster einer klassischen Sinfonie zurückführen. Mit historisch orientierter, leichtfüßiger Transparenz verweisen seine Nizhny Novgorod Soloists wieder auf die strukturelle Logik von Beethovens revolutionärer Satztechnik und entfachen mit riesigen Atembögen eine sog artige Stringenz, die ohne äußeren Druck die Musik selbst sprechen lässt. Mit ähnlich frischem Puls entstaubt Emelyanychev auch Brahms’ Haydn-Variationen und durchglüht sie mit jugendlichem Feuer. SALUT D’AMOUR Sueye Park, Love Derwinger (BIS) Dass sie zu den herausstechendsten Begabungen der gar nicht so dichten jungen Geigerszene gehört, hat die in Berlin ausgebildete Koreanerin Sueye Park schon im vergangenen Jahr mit ihrem musikalisch wie technisch exzellenten Debütalbum und den 24 Solo-Capricen Paganinis spektakulär unterstrichen. Jetzt gibt es ein weiteres Manifest geigerischer Perfektion mit ähnlich unspielbaren romantischen Encores, diesmal mit einfühlsamer Klavierbegleitung durch Love Derwinger und gespickt mit zwei weiteren grausamen Solonummern wie Milsteins Paganiniana und Heinrich Wilhelm Ernsts Die letzte Rose. Was die erst 17 Jahre junge Violinhexe hier wieder abliefert, ist nicht nur von technischer Makellosigkeit und virtuoser Brillanz, die einem den Atem rauben, sondern verströmt eine schier unglaubliche stilistische Souveränität und Reife. Sueye Park knüpft damit an die großen alten Ikonen des Violinspiels an, die alle Zauberer waren und in der Lage, auch diese Petitessen in den Rang von Kunstwerken zu heben. Ihr Album entführt uns in eine längst vergangene Welt der musikalischen Schönheiten: simply irresistible! VERDI: MACBETH Shirley Verett, Piero Cappuccilli, Nicolai Ghiaurov, Plácido Domingo, Core e Orchestra del Teatro alla Scala, Claudio Abbado (DG) Bei Verdis Oper Macbeth ist Maria Callas’ sensationeller Scala-Auftritt im Jahr 1952 bis heute der Maßstab geblieben: Die erste rundum überzeugende Studioaufnahme gelang Claudio Abbado erst 24 Jahre später, als er die gefeierte Scala-Produktion Giorgio Strehlers für die Schallplatte nachproduzierte. Diese auch akustisch exzellente Referenzaufnahme gibt es jetzt in einem neuen digitalen Remaster, und sie hat nichts eingebüßt von ihrer jugendlichen Frische, ihrer scharfen, rhythmischen Attacke und ihrer fesselnden Klarheit. Es ist bis heute die im Orchesterspiel sorgfältigste, in der vokalen Gesamtleistung homogenste Einspielung dieser finsteren Oper geblieben, die in den männlichen Partien mit Piero Cappuccilli (Macbeth), Nicolai Ghiaurov (Banco) und Plácido Domingo (Macduff) die damals weltweit führenden Akteure aufbot. Auch Shirley Verett lieferte ein hochdramatisches Porträt der Lady, wenngleich ihr das entscheidende Quantum vokalen Gifts fehlte, während der junge Abbado das Kunststück fertigbrachte, den nötigen theatralischen Furor mit einer an Pedanterie grenzenden Präzision im Orchester und bei den Chören zu verknüpfen. VERLAG Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11, info@crescendo.de, www.crescendo.de Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring HERAUSGEBER Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de VERLAGSLEITUNG Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de ART DIRECTOR Stefan Steitz | steitz@crescendo.de LEITENDE REDAKTEURIN Barbara Schulz | schulz@crescendo.de RESSORT „SCHWERPUNKT“ Dr. Maria Goeth | goeth@crescendo.de RESSORT „HÖREN & SEHEN“ UND „ERLEBEN“ Ruth Renée Reif | reif@crescendo.de RESSORT „STANDARDS” Klaus Härtel | haertel@crescendo.de RESSORT „KÜNSTLER“ UND „LEBENSART“ Barbara Schulz | schulz@crescendo.de SCHLUSSREDAKTION Maike Zürcher KOLUMNISTEN Axel Brüggemann, Paula Bosch, Attila Csampai (AC), Ioan Holender, Daniel Hope, Lars Reichardt, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL) MITARBEITER DIESER AUSGABE Florian Amort (FA), Roland H. Dippel (DIP), Alexander Fischerauer (AF), Verena Fischer-Zernin, Philipp Hontschik, Klaus Kalchschmid (KLK), Sina Kleinedler (SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Guido Krawinkel (GK), Jens F. Laurson (JFL), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Alexander Rapp (LXR), Steffen Schleiermacher, Antoinette Schmelter-Kaiser (ASK), Stefan Sell (SELL), Fabian Stallknecht (FS), Dorothea Walchshäusl (DW), Walter Weidringer (WW) VERLAGSREPRÄSENTANTEN Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de Kulturbetriebe: Dr. Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de AUFTRAGSMANAGEMENT Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE Nr. 22 vom 09.09.2018 DRUCK Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig VERTRIEB PressUp GmbH, Wandsbeker Allee 1, 22041 Hamburg, www.pressup.de ERSCHEINUNGSWEISE CRESCENDO ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert häusern, im Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei träge bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen. ABONNEMENT Das CRESCENDO Premium-Abo umfasst sieben Ausgaben inklusive „CRESCENDO Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende Premium-CDs und kostet EUR 55,- pro Jahr inkl. MwSt. und Versand (Stand: 01.01.2017). Versand ins europ. Ausland: zzgl. EUR 3,- je Ausgabe Bank-/Portospesen. Zahlung per Rechnung: zzgl. EUR 4,90 Bearbeitungsgebühr. Kündigung: nach Ablauf des ersten Bezugsjahres jederzeit fristlos. Abo-Service CRESCENDO, Postfach 13 63, 82034 Deisenhofen Telefon: +49-89-85 85-35 48, Fax: -36 24 52, abo@crescendo.de Verbreitete Auflage: 69.680 (lt. IVW-Meldung 1V/2018) ISSN: 1436-5529 (TEIL-)BEILAGEN / BEIHEFTER: Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks DAS NÄCHSTE CRESCENDO ERSCHEINT AM 15. MÄRZ 2019. CRESCENDO unterstützt 31
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ANDERE MUSIKMAGIER<br />
… begeistern unseren Chefrezensenten im neuen Jahr.<br />
MOZART: PIANO CON CERTO NO 20 K 466,<br />
SONATAS K 281 & K 332<br />
Seong-Jin Cho, Chamber Orchestra of Europe,<br />
Yannick Nézet-Séguin (DG)<br />
Der große russische Mozart-Experte Georgi W.<br />
Tschitscherin spürte in dessen Musik die „Urkräfte<br />
des Universums“. Was er damit gemeint haben<br />
könnte, kann man jetzt auf dem ersten Mozart-Album der südkoreanischen<br />
Klavier-Hoffnung Seong-Jin Cho im Klang erleben. Selten<br />
entlockte ein junger Pianist im Wechselspiel mit dem ähnlich aufgekratzten<br />
Chamber Orchestra of Europe dem populären d-Moll-Konzert<br />
solche existenzielle Kraft, solche geballte, dramatische Wucht. Hier<br />
treffen, wie im Don Giovanni, stärkster Lebenswille und schicksalshafte<br />
Gegenmächte unvermittelt aufeinander und liefern dem Hörer<br />
ein hochdramatisches, dabei glasklar durchgezeichnetes Szenario<br />
schärfster Gefühlskontraste. Vor wenigen Monaten erst überraschte<br />
uns der 24-jährige Wahl-Berliner durch sein kalligrafisch-feingliedriges<br />
Debussy-Album, das meditativen Klangzauber verströmte. Dagegen<br />
wirkt sein Mozart-Zugriff geradezu energisch und schlackenlos<br />
prägnant und entfacht jugendliches Feuer und ungestüme Lebenskraft.<br />
Diesen klaren, hellwachen Blick auf Mozarts impulsreiche Dramatik<br />
kultiviert Cho dann auch in den beiden Sonaten KV 281 und 332,<br />
denen er einen ähnlichen Reichtum an Gefühlskontrasten abtrotzt.<br />
Hier bezieht ein hochtalentierter Newcomer und ausgeschlafener<br />
Mitstreiter Gegenposition zu den Armeen von blassen<br />
Mozart-Säuslern.<br />
SCHUBERT 1828: PIANO SONATAS D. 958, 959,<br />
960, 3 KLAVIERSTÜCKE D. 946<br />
Alexander Lonquich (Alpha)<br />
Track 2 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />
Klaviersonate Nr. <strong>19</strong> c-Moll, D. 958, II. Adagio<br />
Keine Frage, dass Schuberts letzte drei Klaviersonaten,<br />
die er zwei Monate vor seinem Tod vollendete,<br />
zu den Gipfelwerken der Gattung zählen. Aber nur wenige<br />
Pianisten vermochten deren unglaubliche innovative Substanz und<br />
das Ausmaß des Tragischen überzeugend umzusetzen, da die meisten,<br />
unter dem Eindruck von Schuberts äußeren Lebensumständen, das<br />
Fiebrig-Kränkelnde, Depressiv-Verhangene und die lähmende Todesnähe<br />
in den Vordergrund rückten. Auch der heute 58-jährige Alexander<br />
Lonquich unterstreicht im Booklet-Text seiner neuen, schlackenlos<br />
klaren Einspielung der Trias deren „betont erzählerischen<br />
Charakter“ und deutet sie als „fortlaufende Geschichte eines einzigen<br />
Romans“. Und dennoch durchleuchtet er ihre strukturelle Komplexität,<br />
ihre harmonischen Kühnheiten und emotionalen Abgründe mit<br />
Beethovenscher Rigorosität und einer dem Kompositionsprozess folgenden<br />
Klarheit und Stringenz, die diese letzten Arbeiten als Manifeste<br />
visionärer Modernität und einer mit neuen Inhalten gefüllten Wahrhaftigkeit<br />
ausweisen: Lonquichs faszinierende Anschlagskultur, sein<br />
perfektes, flexibles Timing, seine schlackenlose Prägnanz und sein<br />
dramatisch geschärfter, stets plausibler Erzählstrom enthüllen die tiefe<br />
Trost- und Ausweglosigkeit dieser Werke in ungeschützter, entblößter<br />
Klarheit und verweigern entschieden jede Spur von falscher Gefühligkeit.<br />
Das ist fesselnd und erschütternd zugleich.<br />
MENDELSSOHN: PIANO CONCERTOS 1 & 2,<br />
RONDO BRILLANT, OUVERTURE<br />
„DIE HEBRIDEN“<br />
Roberto Prosseda, Residentie Orkest The Hague,<br />
Jan Willem de Vriend (Decca)<br />
Mendelssohns Ächtung durch die Nazis ist bis<br />
heute nicht überwunden. Noch immer ist das<br />
Interesse des breiten Publikums und vieler Musiker auf wenige Werke<br />
beschränkt, während vieles andere, wie etwa sein umfangreiches Klavierwerk,<br />
ein klägliches Schattendasein fristet. Hier zählt der italienische<br />
Pianist Roberto Prosseda zu den weltweit führenden Mendelssohn-Aktivisten,<br />
denn er hat nicht nur als Erster das gesamte Solo-Klavierwerk<br />
modellhaft eingespielt, sondern auch eine Reihe verschollener<br />
Stücke wiederentdeckt. Jetzt hat er mit dem traditionsreichen Residentie<br />
Orkest aus Den Haag und seinem Chef Jan Willem de Vriend<br />
die beiden reifen Klavierkonzerte in g-Moll und d-Moll in einer elektrisierend<br />
frischen, ungestüm drängenden und historisch herben Interpretation<br />
aufgenommen und so zwei Meisterwerken der frühen<br />
Romantik eine in jedem Moment spannungsreiche und aufregende<br />
Klanggestalt verliehen. Dass er dem derzeit herrschenden Trend zu<br />
historischen Fortepiani widersteht und seine stets prägnante Artikulation<br />
lieber auf einem modernen Fazioli-Flügel glasklar ausformuliert,<br />
unterstreicht die zeitlose Modernität und die virtuose Brillanz dieser<br />
ewig jungen Konzerte, die die Schönheit und das humane Antlitz des<br />
Mozart’schen Erbes in sich tragen und genialisch weiterentwickeln.<br />
Das Rondo Brillant fungiert da als virtuos funkelndes, ähnlich temperamentvolles<br />
Bindeglied zwischen den Konzerten.<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
30 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>