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CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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K Ü N S T L E R<br />

Virtuoses Vexierspiel<br />

Woelfl oder Mozart? Widmann oder Schumann? Die Pianistin Luisa Imorde entdeckt mit tiefer<br />

Sensibilität, einer ernsthaften Prise Humor und leidenschaftlicher Lust an den Tasten kompositorische<br />

Spiegelbilder. Und bringt damit so manchen Kenner ins Grübeln.<br />

VON STEFAN SELL<br />

Wann ich mit dem Klavierspiel begonnen<br />

habe, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich<br />

nicht erinnern, irgendwann einmal nicht<br />

Klavier gespielt zu haben.“ Klavierspielen ist für<br />

Luisa Imorde ein Synonym für leben. Sie entstammt einer Musikerfamilie<br />

und ist bereits mit 29 vielfach preisgekrönt. Es ist nicht nur<br />

das leidenschaftliche Spiel – ihre Ambition für Kontexte und Konnotationen<br />

begeistert ebenso. Die selbstbestimmte Repertoireauswahl<br />

lässt ausgetretene Pfade wieder grünen.<br />

Auf ihrem Debütalbum „Zirkustänze“ verschachtelte sie die<br />

heitere Suite JörgWidmanns und dessen zauberhaften Klavierzyklus<br />

Elf Humoresken raffiniert mit Klavierwerken Robert Schumanns.<br />

Für Widmann, einen der gefragtesten zeitgenössischen Komponisten,<br />

offenbarte sich damit etwas Neues in seinen Werken, Imordes<br />

Funkenüberschlag zwischen romantischer und zeitgenössischer<br />

Tonwelt ist taghell. „Viele Leute haben mir nach Konzerten gesagt,<br />

sie hätten überhaupt nicht mehr gewusst, was ist Widmann und was<br />

ist Schumann.“<br />

Das Pianisten-Duell des Jahres 1798 lautete: Beethoven versus<br />

Woelfl. 220 Jahre später lässt sich behaupten: And the winner is ...<br />

Luisa Imorde! „L’affaire d’honneur“, eine Sache der Ehre, heißt ihr<br />

verzauberndes Album, auf dem sie sich in beide hineinversetzt und<br />

aus der jeweiligen Perspektive die Wettbewerbsbeiträge spielt.<br />

Musik, die vertraut scheint, darf wieder unvertraut klingen. Durchdacht<br />

und ausgeklügelt hat sie die Werke angeordnet und mit viel<br />

Verve den Tasten übergeben. „Ich möchte die Werke zweier Komponisten<br />

so in Bezug setzen, dass sich daraus etwas Drittes ergibt.<br />

Ich finde es genial, dass man das mit älterer Musik noch machen<br />

kann, wo man doch immer denkt, wir kennen alles, und was man<br />

heute nicht mehr kennt, war eben schlecht und nicht hörenswert.“<br />

Joseph Woelfl war seinerzeit ein Starpianist mit Gagen, von<br />

denen ein Beethoven nur träumen konnte: „Woelfl muss im Schnitt<br />

drei Konzerte pro Woche gespielt haben. Ich weiß nicht, wer das<br />

Newcomer<br />

Pianistin<br />

Luisa Imorde<br />

heute noch macht, Yuja Wang wahrscheinlich oder Lang<br />

Lang in seinen Spitzenzeiten. Woelfl war wahnsinnig fleißig,<br />

hat 60 Klaviersonaten, zehn Klavierkonzerte, Sinfonien und<br />

alles mögliche geschrieben. Dabei ist er nur 38 geworden. Bei Beethoven<br />

lag der Fokus nicht so sehr auf dem Konzertieren, er hatte<br />

vielleicht mehr Zeit zu schreiben.“<br />

Luisa Imorde reproduziert nicht einfach. Sie weiß intelligent<br />

austarierte Nuancen zu setzen, die das Hörerlebnis zur inspirierenden<br />

Freude werden lassen: Der Vorhang öffnet sich, und der Zuhörer<br />

darf dabei sein in diesem Winter 1798 in Wien. Woelfl wie Beethoven<br />

spielen Variationen des Salieri-Duetts La stessa aus der Oper<br />

Falstaff. Woelfls Klaviersonate WoO 113 steht Beethovens Pathétique<br />

ebenbürtig ausgereift gegenüber. All das spielt sie, als seien es<br />

Vexierbilder, von denen Kafka sagt: „Das Versteckte in einem<br />

Vexierbild sei deutlich und unsichtbar.“<br />

Ihre Repertoireauswahl ist ein Dialog, der im Ungleichen Gleiches<br />

enthüllt und Gleichzeitigkeit wie gleich Gültiges in der Musik<br />

demonstriert. Für den Hörer eine Einladung teilzuhaben. Imorde entdeckt<br />

das Versteckte so, dass – wie bei Widmann und Schumann –<br />

selbst Kenner ins Grübeln kommen: „Ich habe im Konzert Beethoven-<br />

und Woelfl-Variationen gespielt, ohne zu verraten, was von<br />

wem ist, und das Publikum lag falsch. Es waren Musikwissenschaftler<br />

im Publikum, die dachten, Woelfl sei Beethoven und Beethoven<br />

sei Woelfl. Das war für mich natürlich der größte Erfolg. Ich dachte,<br />

wie toll, das Konzept funktioniert, der Wettbewerb auch (sie lacht<br />

herzlich). Jeder Musikkenner sagt (und sie imitiert die Seriosität der<br />

Fachsimpler): ‚Natürlich erkenne ich Beethoven!‘ “ Entdecken wir<br />

mit Luisa Imorde Beethoven neu und Woelfl<br />

gleich dazu!<br />

■<br />

Joseph Woelfl: „L’affaire d’honneur“, Luisa Imorde (Berlin Classics)<br />

Track 9 auf der <strong>CRESCENDO</strong>-CD: Sonate précédée d’une introduction<br />

et fugue c-Moll WoO 113. III. Allegro molto von Joseph Woelfl<br />

FOTO: JULIA WESELY<br />

28 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>

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