CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.
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Das Schönste, was es gibt<br />
Die Cellistin Julia Hagen und die Pianistin Annika Treutler sind zwei vielversprechende junge<br />
Solistinnen. Jetzt haben sie ihr erstes gemeinsames Album mit Werken von Johannes Brahms<br />
veröffentlicht. Unsere Autorin, selbst Cellistin, merkte bei dem Treffen mit den Musikerinnen<br />
in einem Berliner Café schnell, dass die beiden sich nicht nur musikalisch bestens verstehen.<br />
VON SINA KLEINEDLER<br />
Julia Hagen<br />
Annika Treutler<br />
FOTOS: NEDA NAVAEE, WWW.ANNIKATREUTLER.DE<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Wieso Brahms?<br />
Julia Hagen: Für mich war immer klar, dass Brahms mein<br />
Debütalbum sein muss, weil diese Musik mich schon seit meiner<br />
Kindheit begleitet. Sein Wiegenlied habe ich – wie viele andere –<br />
schon als Baby gehört. Seine e-Moll Sonate war die erste „richtige“<br />
Cellosonate, die ich gelernt habe. Da war ich ungefähr zwölf,<br />
seitdem habe ich mit jedem meiner Lehrer an den beiden<br />
Brahms-Sonaten gearbeitet.<br />
Annika Treutler: Natürlich stellt sich immer die Frage: Warum<br />
muss man ein tausendstes Brahms-Sonatenalbum aufnehmen?<br />
Sicher ist das keine Aufnahme, bei der alles auf links gedreht ist,<br />
aber dennoch ist es eine sehr persönliche Sicht, und zwar unsere<br />
Sicht, auf diese Stücke. Mit dem besten, reinsten Gewissen und<br />
den ehrlichsten Emotionen, die wir haben.<br />
Was macht Brahms’ Musik so besonders?<br />
Annika Treutler: Es gibt ein Zitat von Brahms: „Es ist nicht<br />
schwer zu komponieren. Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen<br />
Noten unter den Tisch fallen zu lassen.“ Man spürt das in<br />
seiner Musik: Jeder Ton ist wichtig und hat eine Bedeutung. Alles<br />
geht vom Bass aus. Diese Tiefe ist das Fundament seiner gesamten<br />
Musik. Die Musik von Brahms ist einfach das Schönste, was es<br />
gibt. Als ich klein war, bin ich oft mit seinen Liedern eingeschlafen.<br />
Meine Mutter begleitete meinen Vater am Klavier und sie<br />
haben geübt, während wir schon im Bett lagen.<br />
Einige Brahms-Lieder habt ihr jetzt mit aufgenommen. Wie<br />
habt ihr sie ausgesucht?<br />
Julia Hagen: Diese sechs Lieder sind von David Geringas<br />
zusammengestellt und bearbeitet. Ich bin normalerweise skeptisch<br />
bei Transkriptionen, aber das Cello ist nun mal das Instrument,<br />
das der Stimme am ähnlichsten ist …<br />
Annika Treutler: Quatsch! (beide lachen)<br />
Julia Hagen: Doch, schon! Ich habe mir den Text über die Noten<br />
geschrieben und viele Lieder angehört. Gesang zaubert immer die<br />
größten Gänsehautmomente. Einmal habe ich ein Konzert von<br />
András Schiff besucht. Als Zugabe stand das gesamte Orchester<br />
auf und hat ein Lied gesungen – es war das berührendste Erlebnis,<br />
das ich je im Konzert erlebt habe. Das war so ehrlich und pur …<br />
Es ging total unter die Haut.<br />
Wie habt ihr beide euch kennengelernt und als Duo<br />
zusammengefunden?<br />
Annika Treutler: (holt tief Luft) Es war einmal im Sommer …<br />
(beide fangen an zu lachen). Also: Vor zweieinhalb Jahren haben<br />
wir drei Wochen in der Akademie des Verbier Festivals verbracht.<br />
Wir spielten gar nicht miteinander, hörten uns aber gegenseitig<br />
zu, verbrachten die Abende zusammen und verstanden uns<br />
einfach gut – quasi Liebe auf den ersten Blick. Da wir beide in<br />
Berlin wohnen, blieben wir in Kontakt. Zusammengespielt haben<br />
wir erst ein Jahr später.<br />
Ist es wichtig, sich nicht nur musikalisch, sondern auch<br />
persönlich zu verstehen?<br />
Annika Treutler: Für mich untrennbar. Man verbringt so viel Zeit<br />
miteinander, auch neben der Bühne. Könnten wir nur auf der<br />
Bühne kommunizieren, hätten aber sonst keinen Draht, würde es<br />
nicht funktionieren.<br />
Julia Hagen: Das gibt es aber auch, und ich frage mich, wie das<br />
geht. Jeder aus dem Ensemble in einem anderen Hotel …<br />
Annika Treutler: Das hört man so, ich könnte mir das nicht<br />
vorstellen. Für mich ist das Persönliche und das Musikalische<br />
ganz, ganz eng miteinander verbunden.<br />
Inwiefern bereichert ihr euch gegenseitig musikalisch?<br />
Julia Hagen: Es ist einfach schön zu merken, dass man sich beim<br />
Zusammenspiel aufeinander verlassen und fallen lassen kann. Es<br />
macht Spaß weil die Musik so spontan und aufregend bleibt.<br />
Annika Treutler: Wir haben eine gute Basis, und dazu gehört,<br />
dass man den anderen im Spielen schon vorausahnen kann. Ich<br />
glaube, das ist die allerwichtigste Qualität im Kammermusikspiel:<br />
nicht nur zu spüren, was der Partner im selben Moment macht,<br />
sondern was er als Nächstes tun wird. Wir sprechen die gleiche<br />
musikalische Sprache.<br />
■<br />
Brahms: „Cellosonaten Nr.1 & 2, Six Songs“,<br />
Julia Hagen, Annika Treutler (hänssler classic)<br />
Track 8 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Minnelied op. 71/5.<br />
Aus: 6 Lieder op. 86 von Johannes Brahms<br />
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