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CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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K Ü N S T L E R<br />

schen! Aber Helmut blieb ganz gelassen: „Ach, das schafft ihr.“<br />

Das Italienische Liederbuch ist über einen großen Zeitraum<br />

hinweg entstanden. Es ist eigentlich kein Zyklus, eher eine lose<br />

gefügte Liedsammlung. Von wem stammt die Dramaturgie?<br />

Die Lieder sind wirklich Kondensate, jedes für sich. Der Zufall<br />

wollte, dass es eine gute Balance zwischen eindeutig männlichen<br />

und eindeutig weiblichen Texten gibt, nur einige Lieder sind<br />

ICH HABE EINEN HANG ZU MENSCHEN,<br />

DIE MIT GESCHLIFFENER ZUNGE SPRECHEN<br />

neutral. Vor etwa 50 Jahren haben die Sänger sich das Liederbuch<br />

als Duo-Abend „unter den Nagel gerissen“. Das bietet sich an.<br />

Es sind kleine Dialoge oder Monologe, aus denen man Geschichten<br />

zusammenstellen kann. Helmut beschäftigt sich schon seit<br />

30 Jahren damit und hat immer wieder anderes ausprobiert, um<br />

kleine Geschichten zu finden. Fix war nur das erste Lied.<br />

Wir haben es also nicht mit einem einzigen Paar zu tun.<br />

Es sind immer andere. Wir haben vier Liedgruppen gebildet. Am<br />

Anfang sind sie sehr, sehr jung, sie dürfen nicht mal aus dem<br />

Haus. In der zweiten Gruppe sind sie zusammen. Da kommen die<br />

typischen Eifersüchteleien. Ein falsches Wort kann Streit auslösen.<br />

Sie sind immer noch sehr jung. In den dritten Teil haben wir<br />

Tod, Krieg und Religion genommen und in den vierten die<br />

humoristischen Lieder. In diesem Werk steckt wirklich alles, was<br />

man sich an menschlichen Regungen denken kann.<br />

Harter Tobak für den Mann, was ihm die heimlich Angebetete<br />

im vierten Teil so alles von ihren Liebhabern erzählt.<br />

Er ist der schwärmerische Freund, der nicht wagt, ihr seine<br />

verborgene Liebe zu gestehen. Oder sie hört nicht zu, sie versteht<br />

es nicht. Bis es ihr dann wie Schuppen von den Augen fällt.<br />

Deshalb sind die Empfindlichkeiten sehr groß. Aber es endet ja<br />

gut! Jedenfalls haben wir es so arrangiert.<br />

Waren Sie in den Konzerten versucht, szenisch zu agieren?<br />

Es war ein großer Spaß. Wir haben das nicht szenisch geplant,<br />

sondern einfach auf den anderen reagiert. Auch mimisch und<br />

gestisch, mit kleinen Körperbewegungen. Es ergibt sich alles aus<br />

dem Text. Und aus der Musik. Hugo Wolf stößt einen wirklich<br />

von einem zum nächsten Satz. Es ist alles ins Kleinste hinein<br />

durchdacht und in Harmonien und Klangfarben umgesetzt. Man<br />

kann gar nicht anders, man agiert aus dem Bauch heraus.<br />

Was machen Sie denn so auf der Bühne, während der andere<br />

singt? Wohin mit den Händen?<br />

Wenn Jonas im dritten Teil „Sterb ich“ gesungen hat, wäre ich am<br />

liebsten unsichtbar gewesen. Da wir zu zweit auf der Bühne sind<br />

und den anderen meistens ansprechen, müssen wir aufeinander<br />

reagieren. Nicht wie auf der Opernbühne oder im echten italienischen<br />

Leben, wo dann Teller oder Tomaten fliegen. Aber wir<br />

können auch nicht dastehen wie die Orgelpfeifen, dann hätten wir<br />

das Thema verfehlt! (lacht)<br />

Ich habe mal eine Kollegin erlebt, die sich beim Liederabend<br />

eine Schürze umband und ein Gummihähnchen aus dem Flügel<br />

zog. Für Puristen ein Graus. Wie halten Sie es mit Requisiten?<br />

Kommt immer drauf an, wie man’s anlegt. Ich habe nur die Stola<br />

gewechselt. Durch die Farbe der Stola konnte das Publikum<br />

unbewusst wahrnehmen, jetzt ist sie eine andere, oder jetzt ist<br />

was passiert. Am Schluss war die Stola feuerrot. Mein Kleid war<br />

ganz schlicht, schwarz mit Blumen. Ich wollte kein Divenkleid.<br />

Warum singt eine gefeierte Opernsängerin überhaupt Lieder?<br />

Weil aus dem Lied für mich alles hervorgeht. Lied ist für mich die<br />

IN DIESEM WERK STECKT ALLES,<br />

WAS MAN SICH AN MENSCHLICHEN<br />

REGUNGEN DENKEN KANN<br />

ideale Verbindung von Wort und Ton. Und es ist erzieherisch eine<br />

gute Methode, wenn man lernt, absolut ins Detail zu gehen und<br />

mit einer großen Sorgfalt diese Lieder zu singen und ganz schnell<br />

umzuschalten zwischen den verschiedenen Stimmungen. Und<br />

man kann sich seine eigenen Programme zusammenstellen.<br />

Es muss nicht immer Schubert sein …<br />

… oder Schumann. Das Liedschaffen ist nicht nur im deutschsprachigen<br />

Raum unglaublich reich, es gibt auch ganz<br />

tolle französische, russische und englische Lieder.<br />

Vieles aus diesem immensen Repertoire wird auch gar<br />

nicht so oft aufgeführt. Es ist wie eine Schatztruhe, die<br />

man aufmacht: Das passt gut zusammen und das …<br />

So eine Reise kann manchmal eine richtige Achterbahnfahrt<br />

sein. Ich kann verschiedene Stile zusammenbringen.<br />

Oder ich fange vielleicht mit Schubert an und schließe mit<br />

Zeitgenössischem, oder ich stelle das Zeitgenössische in die Mitte.<br />

Aber auch zwischen Komponisten und den Ländern Verbindungen<br />

zu schaffen, das ist toll, und sich eine eigene Dramaturgie zu<br />

überlegen.<br />

Was machen Sie stimmlich anders als bei der Oper?<br />

Ich kann mehr riskieren, weil ich feiner zeichnen kann. Allein in<br />

den Kompositionen ist das so gegeben. Außerdem habe ich nicht<br />

das Orchester unter mir und die Entfernung vom Zuschauerraum,<br />

da kann ich wirklich mit ganz feinem Pinsel zeichnen.<br />

Das muss man sich trauen …<br />

Es ist eine Herausforderung. Man ist allein und hat nicht die Hilfe<br />

durch Kostüme und Bühne und Licht und Partner. Sondern man<br />

macht nur Musik und lässt Wort und Musik klingen und ihre<br />

Wirkung bringen. Manchmal ist es wie Meditation. Aber man<br />

kann die Menschen auch mitnehmen. Und das ist toll! Wenn man<br />

zwischen den Stücken merkt, oh, jetzt wird’s lustig. Man ist viel<br />

näher an den Menschen dran. Natürlich bin ich beim Liederabend<br />

auf der Bühne ich selber, aber trotzdem steige ich in jedes<br />

Lied ein wie in eine kleine Opernszene. Mal bin ich das lyrische<br />

Ich, mal bin ich der Erzähler. Das heißt, ich kann mit der Stimme<br />

spielen und verschiedene Rollen einnehmen, Vater und Mutter<br />

und Kind darstellen.<br />

Ist Liedgesang also auch eine Art, Ihr Instrument zu pflegen?<br />

Schon. Aber auch meinen Geist. Meinen Geist und mein Instrument.<br />

Damit man einfach fein bleibt und achtsam.<br />

Mit dem musikalischen Partner und auch mit den eigenen<br />

Ressourcen?<br />

Auf jeden Fall. Dass man immer in die Feinheiten zurückgeht<br />

und es auch wagt, diese Feinheiten auf die Opernbühne zu<br />

übertragen. Es geht in der Oper nicht immer nur um Lautstärke<br />

und hohe Töne. Die sind beeindruckend, das ja. Aber es sind doch<br />

die Farben, es sind die Herzenstöne, die transportieren. Oper ist<br />

keine Discomusik, zu der man tanzt und vergisst. Was uns<br />

anspricht, sind die feinen Töne und Worte. Das<br />

Menschliche. Darum geht’s. Und im Lied umso<br />

mehr. <br />

■<br />

Hugo Wolf: „Italienisches Liederbuch“,<br />

Diana Damrau, Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch (Erato)<br />

22 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>

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