CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum. CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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20 JAHRE AUSGABE 01/2019 FEBRUAR – MÄRZ 2019 WWW.CRESCENDO.DE 7,90 EURO (D/A) mit CD im Heft SCHWERPUNKT 100 Jahre Bauhaus LUISA IMORDE Vom Vexierspiel der Tastentänzerin FRIEDRICH ANI REBEKKA HARTMANN MAX RICHTER WILFRIED HILLER OSKAR LAZNIK Diana Damrau Es muss nicht immer Schumann sein ... B47837 Jahrgang 22 / 01_2019

20 JAHRE<br />

AUSGABE 01/20<strong>19</strong> FEBRUAR – MÄRZ 20<strong>19</strong><br />

WWW.<strong>CRESCENDO</strong>.DE 7,90 EURO (D/A)<br />

mit CD im Heft<br />

SCHWERPUNKT<br />

100 Jahre Bauhaus<br />

LUISA IMORDE<br />

Vom Vexierspiel<br />

der Tastentänzerin<br />

FRIEDRICH ANI<br />

REBEKKA HARTMANN<br />

MAX RICHTER<br />

WILFRIED HILLER<br />

OSKAR LAZNIK<br />

Diana<br />

Damrau<br />

Es muss nicht immer<br />

Schumann sein ...<br />

B47837 Jahrgang 22 / 01_20<strong>19</strong>


WIR SPIELEN<br />

UNTER DIE HAUT.<br />

VERY BRITISH!<br />

„The Young Person’s<br />

Guide to the Orchestra“<br />

von Benjamin Britten<br />

GYPSY<br />

GOES CLASSIC<br />

Sa. 16. Februar 20<strong>19</strong> – Philharmonie im Gasteig<br />

FAMILIENKONZERT AB 6 JAHREN<br />

LEITUNG: SIAN EDWARDS<br />

Mi. 20. Februar 20<strong>19</strong> – Prinzregententheater<br />

MIT SANDRO ROY – VIOLINE<br />

LEITUNG: HENRY RAUDALES<br />

Präsentiert von<br />

PERCUSSION<br />

TIME!<br />

Virtuose SchlagWERKE<br />

PARADISI GLORIA<br />

Werke von<br />

André Caplet und<br />

Heinrich Ignaz Franz Biber<br />

Mi. 10. April 20<strong>19</strong> – Prinzregententheater<br />

MIT SIMONE RUBINO – ARTIST IN RESIDENCE<br />

LEITUNG: ARIEL ZUCKERMANN<br />

Fr. 5. April 20<strong>19</strong> – Herz-Jesu-Kirche München<br />

MIT DEM BR-CHOR<br />

LEITUNG: HOWARD ARMAN<br />

Präsentiert von<br />

Jetzt Tickets sichern! Kartentelefon: 0800 5900 594 • www.shop.br-ticket.de<br />

RUNDFUNKORCHESTER.DE


P R O L O G<br />

<strong>CRESCENDO</strong> LIVE<br />

Liebe Leser,<br />

herzlich willkommen in der ersten <strong>CRESCENDO</strong> Ausgabe 20<strong>19</strong>.<br />

WINFRIED HANUSCHIK<br />

Herausgeber<br />

Wir starten furios ins neue Jahr: mit gleich zwei Veranstaltungen aus der Reihe<br />

<strong>CRESCENDO</strong> LIVE. Zum einen würde ich mich sehr freuen, Sie bald persönlich<br />

begrüßen zu dürfen: in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge am 20. Februar im Prinzregententheater<br />

in München. In Kooperation mit dem Münchner Rundfunkorchester<br />

bieten wir Ihnen nämlich ein exklusives VIP-Paket mit Karten in der besten<br />

Kategorie, einer Backstage-Führung und anschließendem Plausch bei einem Glas<br />

Sekt in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge – und das garantiert ohne Anstehen! Dafür mit<br />

der Gelegenheit, die jeweiligen Künstler des Abends persönlich kennenzulernen.<br />

Im Oktober letzten Jahres plauderten wir fröhlich mit Anna Bonitatibus – ein toller<br />

Abend! Im Februar erwartet Sie der Geiger SANDRO ROY mit seinem spannenden<br />

Programm „Gypsy goes Classic“. (Informationen auf Seite 42. Karten unter<br />

www.crescendo.de/live).<br />

Und dann zeigen wir Ihnen gern, wo <strong>CRESCENDO</strong> gemacht wird: Besuchen Sie<br />

uns! Am 14. <strong>März</strong> zur Vernissage in der Redaktion am Münchner Marienplatz.<br />

Die Künstlerin YO FRANKLIN, die auch das Cover der aktuellen Premium-CD<br />

gestaltet hat, stellt persönlich einige ihrer Werke vor (siehe auch Seite 77). Der<br />

Eintritt ist frei, wir bitten um Anmeldung unter www.crescendo.de/vernissage.<br />

Zu unseren Inhalten: Im Schwerpunkt dieser Ausgabe feiern wir „100 Jahre Bauhaus“.<br />

Was uns daran gefällt: Bauhaus begleitet uns im täglichen Leben, ob wir nun<br />

den kleinen „Eierkoch“ von Wagenfeld oder den berühmten Sessel „Wassily“ von<br />

Breuer zu Hause haben. Und doch ist es viel mehr als eine Revolution von Architektur<br />

und Design: die Blaupause für eine offenere, moderne, ja, „bessere“ Gesellschaft.<br />

Für Aufbruch in der zeitgenössischen Musik steht der Komponist MAX RICHTER,<br />

gewissermassen ein Popstar seiner Zunft. Sein Stück November wurde allein auf<br />

Youtube 8,4 Millionen Mal geklickt und begeistert auch Menschen, die mit klassischer<br />

Musik sonst wenig am Hut haben. Daneben stellen wir Ihnen aufregende<br />

Newcomer wie LUISA IMORDE, JULIA HAGEN und ANNIKA TREUTLER vor.<br />

Noch ein Newcomer, und das sogar in zweierlei Hinsicht, ist Lars Reichardt: Er<br />

schreibt erstmals in <strong>CRESCENDO</strong> – über sein Debüt in der Oper. Wir trafen uns bei<br />

einer Weinverkostung der Tenuta di Trinoro, die ich mit unserer Kolumnistin<br />

PAULA BOSCH besuchte, und er erzählte mir, dass er bislang zufriedener<br />

Verweigerer in Sachen Opernbesuch gewesen sei. Diesen Status seiner neuen,<br />

opernbegeisterten Freundin zuliebe aber tatsächlich ändern wolle. Und weil mich<br />

die Geschichte über „das erste Mal“, und das der Liebe wegen, reizte, probierte ich<br />

das vermeintlich Unmögliche. Und hatte Glück: Die Bayerische Staatsoper spendierte<br />

zwei Karten für Otello, die längst ausverkaufte und aufregendste Inszenierung<br />

der Saison. Wie die Sache ausging? Lesen Sie auf Seite 70.<br />

FOTOS TITEL: JIYANG CHEN<br />

Exklusiv für Käufer und Abonnenten:<br />

die <strong>CRESCENDO</strong> Premium-CD<br />

Viel Inhalt in besonders hochwertiger Ausstattung finden<br />

Sie in dieser Premium- Ausgabe: Reportagen, Porträts,<br />

Interviews, Aspekte und Hintergrundwissen aus der Welt<br />

der Klassik. Außerdem für alle Käufer und Abonnenten<br />

der Premium-Ausgabe:<br />

sechs Mal pro Jahr die <strong>CRESCENDO</strong> CD,<br />

ein exklusives Album mit Werken einiger in der<br />

aktuellen Ausgabe vorgestellter Künstler.<br />

In diesem Heft: die 76. CD der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Premium-Edition.<br />

Fehlt die CD? Dann rufen Sie uns an: 089/85 85 35 48.<br />

Paula Bosch übrigens entdeckte großartige Weine in der Schweiz, die im kleinen<br />

Alpenland niemand erwartet hätte. Und HANS-CHRISTOPH RADEMANN zeigt<br />

uns sein Dresden, das ebenfalls viel mehr ist als Semperoper und Pegida.<br />

In diesem Sinne viel Spaß beim Lesen, und vielleicht sehen wir uns ja bei<br />

<strong>CRESCENDO</strong> LIVE in München,<br />

Ihr Winfried Hanuschik<br />

w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong> 3


P R O G R A M M<br />

11<br />

KLASSIK IN ZAHLEN<br />

„Bohemian Rhapsody“<br />

von Queen – der meist<br />

gestreamte klassische<br />

Rock-Titel aller Zeiten<br />

26<br />

OSKAR LAZNIK<br />

„Ich habe das Saxofon<br />

gesehen und wusste<br />

sofort, dass das<br />

mein Instrument ist!“<br />

39<br />

EDVARD GRIEG<br />

Ein wunderbarer Film über<br />

den Komponisten, der ruhelos<br />

auf der Suche nach seelischem<br />

Frieden war<br />

STANDARDS<br />

KÜNSTLER<br />

HÖREN & SEHEN<br />

03 PROLOG<br />

Der Herausgeber stellt<br />

die Ausgabe vor<br />

06 BLICKFANG<br />

„Der tanzende Blick“ –<br />

hinter den Kulissen<br />

des Balletts<br />

08 OUVERTÜRE<br />

Was hört …<br />

Joseph Moog?<br />

Neues & Notizen<br />

Ein Anruf bei …<br />

Susann Bräcklein,<br />

Juristin mit Schwerpunkt<br />

Verfassungsrecht<br />

Klassik in Zahlen<br />

31 IMPRESSUM<br />

40 KOMMENTAR<br />

Sport oder Musik?<br />

Beides muss gehen!<br />

42 RÄTSEL &<br />

<strong>CRESCENDO</strong> LIVE<br />

82 HOPE TRIFFT<br />

Sebastian Feydt, Pfarrer an<br />

der Dresdner Frauenkirche<br />

12 EIN KAFFEE MIT …<br />

Friedrich Ani<br />

14 MAX RICHTER<br />

Zwischen Pomp und<br />

Minimalismus<br />

18 ANDRÁS ADORJÁN<br />

Der Flötist auf den Spuren<br />

der Doppler-Brüder<br />

20 DIANA DAMRAU<br />

… über ihr neues<br />

Album: „Es war ein<br />

großer Spaß“<br />

23 JULIA HAGEN &<br />

ANNIKA TREUTLER<br />

Sie lieben Brahms<br />

24 WILFRIED HILLER<br />

Der Komponist über<br />

Momo und die<br />

Sache mit der Zeit<br />

Dr. Goeths Kuriosa<br />

Absonderliche<br />

Geräuschkompositionen<br />

26 OSKAR LAZNIK<br />

Der Saxofonist wirbt für<br />

sein Instrument<br />

28 LUISA IMORDE<br />

Die Pianistin enthüllt im<br />

Ungleichen Gleiches<br />

29 DIE WICHTIGSTEN<br />

EMPFEHLUNGEN DER<br />

REDAKTION<br />

30 ATTILAS AUSWAHL<br />

Faszinierende Newcomer<br />

und andere Musikmagier<br />

zum Start ins neue Jahr<br />

33 BORIS GILTBURG<br />

Mehr als bloße<br />

Virtuosenkunst<br />

38 UNERHÖRTES &<br />

NEU ENTDECKTES<br />

Unbekannte Kammermusik<br />

39 LA FURA DELS BAUS<br />

Haydns Schöpfung,<br />

bildgewaltig in Szene gesetzt<br />

FOTOS: QUEEN: UNIVERSAL MUSIC GROUP; ANDREJ GRILC; ARTHAUS<br />

4 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


L’OPÉRA<br />

DES OPÉRAS<br />

Karine DeSHaYeS<br />

KatHerine WatSOn<br />

reinOuD Van MeCHeLen<br />

Le COnCert SPiritueL<br />

HerVÉ niQuet<br />

54<br />

KURT WEILL<br />

FEST<br />

Die herausragende<br />

Weill-Interpretin Ute Lemper<br />

als Artist-in-Residence<br />

55<br />

BAUHAUS 100<br />

Klar, puristisch und<br />

funktional – die Geschichte<br />

einer Design-Revolution<br />

78<br />

DRESDEN<br />

Die Stadt an der Elbe,<br />

neu entdeckt mit<br />

Hans-Christoph Rademann<br />

ALP 442<br />

ERLEBEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

LEBENSART<br />

43 DIE WICHTIGSTEN<br />

TERMINE UND<br />

VERANSTALTUNGEN<br />

50 MUSICA VIVA<br />

Sir Simon Rattle kommt<br />

als neuer Chefdirigent<br />

mit dem LSO<br />

51 IOAN HOLENDER<br />

Gedanken zum<br />

Operngeschäft<br />

52 MICHAEL FRANCIS<br />

Der neue Leiter der<br />

Deutschen Staatsphilharmonie<br />

Rheinland-Pfalz<br />

54 KURT WEILL FEST<br />

„Mut zur Erinnerung“<br />

56 BAUHAUS 100<br />

Eine Kulturgeschichte<br />

59 MUSIK AM<br />

BAUHAUS<br />

„Es war eine<br />

sehr exzessive Zeit“<br />

61 WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH …<br />

der Soundtrack zum<br />

Bauhaus?<br />

62 BAUHAUSBÜHNE<br />

Oskar Schlemmer und das<br />

Triadische Ballett<br />

64 ARCHITEKTUR<br />

„DAS Bauhaus gibt es<br />

nicht!“<br />

68 LIEBLINGSESSEN!<br />

Praline von der Aubergine<br />

von Rebekka Hartmann<br />

70 MEIN ERSTES MAL<br />

Lars Reichardts<br />

Debüt mit Othello<br />

72 EDLE ELEGANZ<br />

Die schönsten<br />

Bauhaus-Klassiker<br />

74 PAULA BOSCHS<br />

WEINKOLUMNE<br />

Die Helden der<br />

Schweizer Nation<br />

77 KUNST AM COVER<br />

Die Künstlerin<br />

Yo Franklin<br />

ALP 440<br />

SIBELIUS<br />

Symphony no.1<br />

En Saga<br />

GOTHENBURG SYMPHONY<br />

Santtu-MatiaS rOuVaLi<br />

FOTOS: ADRIAN BUCKMASTER; WILFRIED HÖSL; WWW.DRESDEN.DE<br />

EXKLUSIV<br />

FÜR ABONNENTEN<br />

Hören Sie die Musik zu<br />

unseren Texten auf der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD –<br />

exklusiv für Abonnenten.<br />

Infos auf den Seiten 3 & 76<br />

78 DRESDEN<br />

Musikalischer Spaziergang<br />

mit Hans-Christoph<br />

Rademann<br />

81 GLOBETROTTER<br />

Termine in Spanien<br />

oFFEnBaCh<br />

CoLoRaTURE<br />

JODie DeVOS<br />

MünCHner<br />

runDfunKOrCHeSter<br />

Laurent CaMPeLLOne<br />

ALP 437<br />

5<br />

Note 1 Music gmbh<br />

Carl-Benz-Str. 1 - 69115 Heidelberg<br />

Tel 06221 / 720226 - Fax 06221 / 720381<br />

info@note1-music.com<br />

www.note1-music.com


O U V E R T Ü R E<br />

6 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Schweiß und Anspannung<br />

Schwerelosigkeit, Grazie, Emotionen – die Fotos von<br />

Roman Novitzky offenbaren das ganze Vokabular des<br />

Tanzes. Mit seiner Kamera fängt der Erste Solist des<br />

Stuttgarter Balletts nicht nur verborgene Momente<br />

in der Probe oder von der Seitenbühne ein, er öffnet<br />

dem Betrachter die Tür zu einem Kosmos aus<br />

Schweiß, Anspannung, Zweifel – und Euphorie. Haben<br />

Tänzer wie die Erste Solistin Alicia Amatriain in Christian<br />

Spucks Le Grand Pas de Deux es auf die Spitze getrieben,<br />

steht am Ende schlicht: der Durst. Und eine<br />

profane, aber rettende Flasche Wasser. Kürzlich erschien<br />

ein Fotoband im Verlag Edition Cantz (s. S. 10).<br />

<br />

7<br />

FOTO: ROMAN NOVITZKY


O U V E R T Ü R E<br />

Was hört …?<br />

Joseph Moog<br />

Der Pianist – nominiert für den Grammy<br />

2016 – verrät uns seine Best-of-Liste<br />

Debussy:<br />

12 Études,<br />

Ravel: Gaspard<br />

de la nuit,<br />

Joseph Moog<br />

(Onyx Classics)<br />

Mannheim<br />

Das Spielhaus des Nationaltheaters<br />

Mannheim soll saniert werden. Das<br />

Konzept in einem Kostenrahmen von<br />

240 Millionen Euro wurde kürzlich<br />

genehmigt, teilte die Stadt mit. Die<br />

Summe enthält die Sanierungskosten in<br />

Höhe von 200 Millionen Euro, die das<br />

interdisziplinäre Planungsteam unter<br />

der Leitung des Mannheimer Architekturbüros<br />

Schmucker und Partner berechnet<br />

hat, sowie 40 Millionen Euro für<br />

notwendige Infrastruktur-Investitionen.<br />

Hierzu gehören unter anderem der Bau<br />

eines neuen Zentrallagers auf einem<br />

Hafengrundstück sowie die Erweiterung<br />

und der Umbau des Probenzentrums in<br />

Neckarau. Die notwendige Anmietung<br />

von Ersatzspielstätten für die Sparten<br />

Schauspiel, Oper und Tanz während des<br />

Sanierungszeitraums werden etwa 12,55<br />

Millionen Euro kosten. Geplant ist die<br />

Sanierung ab dem Spielzeitbeginn<br />

2021/22, die Schließzeit soll vier Jahre<br />

betragen.<br />

Jahr zu erklären. Polen erinnert damit<br />

an den 200. Geburtstag des Komponisten.<br />

Der Warschauer Flughafen übrigens<br />

ist nach Chopin benannt.<br />

Opernball Wien<br />

1<br />

Alexander Skrjabin: Poême de<br />

l’Extase, Chicago Symphony<br />

Orchestra, Pierre Boulez<br />

Poême de l’Extase gehört für mich zu den berauschendsten<br />

und faszinierendsten Musikstücken überhaupt.<br />

Die geheimnisvolle, knisternde Stimmung am<br />

Anfang ist wie ein großes Versprechen, aus dem sich<br />

im Laufe des Stückes wie durch ein kunstvoll gesponnenes<br />

Netz ein verführerischer Sog entwickelt.<br />

2<br />

Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 8,<br />

RSO Saarbrücken,<br />

Stanislaw Skrowaczewskil<br />

Die Einspielung der 8. Sinfonie gibt mir nach dem Hören<br />

das Gefühl, alles Wesentliche über Leben und Tod<br />

erfahren zu haben. Es drängt sich subjektiv der Gedanke<br />

auf, dass alles gesagt worden ist – dass die Welt<br />

untergehen darf.<br />

3<br />

W. A. Mozart: Die Klavierkonzerte,<br />

Salzburger Kammerphilharmonie,<br />

Cyprien Katsaris<br />

Katsaris mit Mozart? Viele können nicht verstehen,<br />

wie der als extravagant bekannte Zypriote sich mit<br />

Urtext und Kadenzenauswahl auseinandersetzen will.<br />

Die Einspielungen der Klavierkonzerte werden diese<br />

Fragen auf verblüffende Art und Weise beantworten.<br />

4<br />

Oscar Peterson: Live at the Blue Note<br />

Wer Jazz und Klaviermusik liebt, kommt an<br />

Oscar nicht vorbei. Seine Auftritte sind legendär.<br />

Wenn ich diese Aufnahme heute höre, blicke ich<br />

als absoluter Fan, ja fast als Groupie auf das Jazz-Universum:<br />

diese Kreativität, Harmonik, dieser Drive!<br />

5<br />

Michael Bolton: Missing You Know<br />

Was soll ich sagen? Ich mag diese Stimme einfach!<br />

Leicht rauchig erinnert sie mich ein wenig an<br />

Sting, dann kommt immer noch etwas Rockiges hinzu<br />

und auch in der Höhe selbstverständlich jede Menge<br />

Power. Vielleicht ist Michael Bolton auch so etwas wie<br />

das männliche Pendant zu Céline Dion? Für mich ein<br />

Muss abseits der Klassik!<br />

Sicher ist sicher<br />

Die Polizei von Calgary beschloss Anfang<br />

des Jahres, den Flughafen der Stadt zu<br />

räumen, nachdem ein Fluggast eine vermeintlich<br />

bewaffnete Person gemeldet<br />

hatte. Wie sich herausstellen sollte, war es<br />

ein Jugendlicher mit seinem Instrument,<br />

der sich auf ein Konzert vorbereitete, das<br />

die Flughafenverwaltung in der Abflughalle<br />

geplant hatte. Dafür war eine lokale<br />

Band eingeladen worden. Eine Klarinette<br />

war mit einem Gewehr verwechselt worden.<br />

Der Flughafen wurde nach kurzzeitiger<br />

Schließung wieder geöffnet.<br />

Warschau<br />

Der Warschauer Hauptbahnhof wurde<br />

kürzlich nach dem polnischen Komponisten<br />

Stanisław Moniuszko (18<strong>19</strong> –1872)<br />

benannt. Der polnische Senat verabschiedete<br />

einstimmig eine Resolution, um<br />

das Jahr 20<strong>19</strong> zum Stanisław-Moniuszko-<br />

Anna Netrebko wird mit Ehemann Yusif<br />

Eyvazov am 28. Februar den 63. Wiener<br />

Opernball musikalisch eröffnen. Für<br />

Netrebko ist es bereits die dritte Opernballeröffnung,<br />

sie wird den Kusswalzer<br />

von Luigi Arditi singen. Eyvazov „debütiert“<br />

mit Nessun dorma von Puccini.<br />

5.000 Besucher sind jährlich beim Opernball<br />

zu Gast. Eintrittskarten gibt es in<br />

diesem Jahr für ca. 315 Euro, Logen kosten<br />

zwischen 13.300 und 23.600 Euro.<br />

Bleikorrosion<br />

Bremer Materialwissenschaftler und das<br />

Arp-Schnitger-Institut für Orgel und<br />

Orgelbau haben herausgefunden, dass<br />

Temperatur und Luftfeuchtigkeit entscheidende<br />

Faktoren für die Bleikorrosion<br />

an Orgelpfeifen sind. Das ergaben<br />

die für eine Studie erfassten Daten. Kirchen<br />

sind heutzutage besser wärmeisoliert,<br />

werden aber zu selten gelüftet.<br />

Dadurch wird es im Inneren der Kirche<br />

zu feucht. Besonders während des Sommers<br />

überschreitet die absolute Feuchtigkeit<br />

einen für die Bleipfeifen kritischen<br />

Wert. Abhilfe können hier automatisierte<br />

Lüftsysteme schaffen. Auch reguläres<br />

Lüften kann bereits zur Verbesserung der<br />

Werte beitragen. Ein weiterer Ansatz<br />

zum Schutz der Pfeifen bildet eine nachträgliche<br />

Passivierung des Bleis durch<br />

den Einsatz von Schwefelsäure. Früher<br />

war dies ein automatischer Prozess, da<br />

die Luft deutlich unreiner war.<br />

FOTOS: RICHARD REINSDORF, MANFRED WERNER WIKI COMMONS<br />

8 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Blumen berühren, knüpfen erste Bande, sie können um Verzeihung bitten oder Aufmerksamkeit<br />

wecken. Seit 111 Jahren liefert Fleurop die schönsten Meisterwerke für Menschen, die ihren Lieben<br />

eine Freude machen wollen. Nicht vergessen: Am 14. Februar ist Valentinstag!<br />

Mit dem Gutscheincode CRESVAL15 erhalten Sie 15 % Rabatt auf www.fleurop.de (bis zum 28.02.20<strong>19</strong>).


O U V E R T Ü R E<br />

Anruf bei Susann Bräcklein<br />

Mädchen im Knabenchor? Warum nicht? Alles andere wäre Diskriminierung, meint Dr. Susann<br />

Bräcklein, Juristin mit Schwerpunkt Verfassungsrecht, am Telefon. Sie hat kürzlich in einer Berliner<br />

Tageszeitung gefordert, auch Mädchen in staatlichen geförderten Knabenchören aufzunehmen.<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Frau Dr. Bräcklein,<br />

wie kommen Sie darauf, dass Mädchen<br />

im Knabenchor auftreten sollen?<br />

Susann Bräcklein: Staatliche Knabenchöre<br />

sind exklusive Musikschulen.<br />

Es ist ein Grundrecht, dass Menschen<br />

nicht wegen ihres Geschlechts oder<br />

anderer persönlicher Merkmale, die<br />

sie nicht ändern können, benachteiligt<br />

werden, ohne dass es dafür zwingende<br />

Gründe gibt. Werden Mädchen wegen<br />

ihres Geschlechts selektiert und von<br />

der musikalischen Ausbildung, dem<br />

Repertoire und den Auftrittsmöglichkeiten, die Knabenchöre bieten,<br />

ausgeschlossen, handelt es sich um eine Diskriminierung nach<br />

Art. 3 Absatz 3 des Grundgesetzes.<br />

Was wären denn zwingende Gründe?<br />

Wenn Probleme zu lösen sind, die ihrer Natur nach nur entweder<br />

bei Männern oder bei Frauen auftreten können, so das Bundesverfassungsgericht.<br />

Das ist zum Beispiel beim Mutterschutz anerkannt;<br />

bei der Feuerwehrabgabe für Männer hingegen nicht.<br />

Was ist mit der Klangveränderung des Chors, wenn Mädchen<br />

mitsingen?<br />

Die aktuellen Forschungsergebnisse ergeben einen minimalen, subtilen<br />

Unterschied in den Ohren von Experten – leicht oberhalb der<br />

Schwelle des Zufälligen. Manche Stimmen oder Gruppen werden<br />

konsequent falsch eingeschätzt. Die Studien ergeben, dass Gesangspädagogik<br />

und Klangideal viel entscheidender für den Klang sind<br />

als das biologische Geschlecht der Kinder.<br />

Die Perspektive der Konsumenten ist auch nur eine Seite. Die kann<br />

auch mit Klischees und Stereotypen behaftet sein. Auf der anderen Seite<br />

muss man sehen, dass es um die Grundrechtsverwirklichung von<br />

Kindern geht. Hierzu gehört die Teilhabe von Mädchen. Künstlerische<br />

und pädagogische Belange erfordern nicht den generellen Ausschluss.<br />

Flexible Auftritts- und Probenformate sind ohne Weiteres denkbar.<br />

Das machen viele Domchöre schon seit 30 Jahren oder länger. Aber<br />

um Ihre Frage zu beantworten: Zwingend wäre der Ausschluss in<br />

Tölzer Knabenchor<br />

Bezug auf den Klang, wenn nachweisbar<br />

ist, dass Mädchen nicht singen können,<br />

dass sie nur brummen oder fiepen und<br />

den Chor verunstalten würden.<br />

Gab es für Ihren Kommentar einen direkten<br />

Auslöser?<br />

Das oberste Finanzgericht in München<br />

hat 2017 bestätigt, dass eine Freimaurerloge<br />

nicht staatlich förderungswürdig ist,<br />

weil sie grundlos Frauen ausschließt. Die<br />

Entscheidung hat einzelne Brauchtumsoder<br />

monogeschlechtliche Sportvereine,<br />

aber auch Vereine in der Chorszene aufgeschreckt.<br />

Das Phänomen Knabenchor hattte sich wohl bislang keiner<br />

unter diesem Aspekt angesehen. Für Knabenchöre in unmittelbarer<br />

staatlicher Trägerschaft gilt das Diskriminierungsverbot unmittelbar;<br />

für andere Organisationsformen mittelbar im Rahmen der<br />

Gemeinnützigkeitsprüfung. Zudem ist die Chancengleichheit von<br />

Mädchen in der musikalischen Ausbildung die „kleine Schwester“<br />

struktureller Benachteiligungen von Frauen in der klassischen, aber<br />

auch der neuen Musik, was zum Beispiel der Anteil von Dirigentinnen<br />

und Komponistinnen belegt. Die aktuelle Studie von Christian<br />

Ahrens zu „Frauen in Berufsorchestern“ zeigt: je renommierter ein<br />

Orchester, desto geringer der Anteil von Frauen. Das gilt für die<br />

Spitzenkinderchöre genauso: je renommierter ein Knabenchor, desto<br />

weniger Mädchen.<br />

Haben Sie die teils heftigen Reaktionen überrascht?<br />

Menschen haben sich an Knabenchöre als exklusive Einrichtungen<br />

gewöhnt, auch durch deren Präsenz und ihre lange Tradition. Allerdings<br />

ist diese lange Tradition auch eng mit dem Auftrittsverbot von<br />

Frauen in der Kirchenmusik verbunden. Das gilt für den säkularen<br />

Bereich entsprechend. Viele Männerchöre sind aus beruflichen und<br />

handwerklichen Traditionen hervorgegangen, die männlich dominiert<br />

waren. Allerdings gibt es kein Sonderrecht der Kunst auf Diskriminierung.<br />

Auch heute schon werden die Knaben in der Zauberflöte<br />

von Mädchen gesungen und keiner nimmt Anstoß daran.<br />

<br />

Klaus Härtel<br />

Die Musik<br />

löst alle Rätsel<br />

des Daseins.<br />

Leo Tolstoi<br />

HINTER DER BÜHNE<br />

Roman Novitzkys erste Monografie umfasst<br />

mehr als 60 Fotos aus dem Stuttgarter Ballettsaal,<br />

der Garderobe und von Gastspielen<br />

des Stuttgarter Balletts. Sein wachsames<br />

Auge fängt Momente absoluter Präzision ein,<br />

zeigt elegante, bis in die Fingerspitzen akkurate<br />

Armbewegungen, durchgestreckte Füße<br />

und virtuoses Muskelspiel. Der in Bratislava<br />

geborene Novitzky tanzt seit 2009 als Erster<br />

Solist beim Stuttgarter Ballett, seit rund sechs Jahren begleitet er den<br />

Tanz auch hinter der Kamera. Daneben etabliert er sich auch als Choreograf,<br />

beginnend mit ersten Stücken im Rahmen des Junge Choreographen-<br />

Abends der Noverre-Gesellschaft, zuletzt beim Ballettabend „Die Fantastischen<br />

Fünf“. Der 96-seitige Bildband ist in der Edition Cantz erschienen.<br />

FOTO: PRIVAT, GEMÄLDE VON ILJA JEFIMOWITSCH REPIN (1887)<br />

10 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


100.000<br />

Dollar hat der Niederländer Joël Bons für<br />

seine interkulturelle Komposition Nomaden<br />

erhalten. Mit dieser Summe ist der Grawemeyer-Preis<br />

– einer der renommiertesten<br />

Preise für zeitgenössische Musik – dotiert.<br />

KLASSIK<br />

IN ZAHLEN<br />

1,6<br />

889<br />

Millionen Euro sind für die Sanierung<br />

von Frankfurter Oper und Schauspiel<br />

veranschlagt – kostspieliger als die Elbphilharmonie.<br />

Frankfurts Kulturdezernentin<br />

Ina Hartwig arbeitet an der Kostensenkung.<br />

Milliarden: Die Single „Bohemian Rhapsody“<br />

von Queen ist mit weltweit mehr als<br />

1,6 Milliarden Streams der meist gestreamte<br />

Song des 20. Jahrhunderts und der meist gestreamte<br />

klassische Rock-Titel aller Zeiten.<br />

FOTOS: OPER FRANKFURT: EPIZENTRUM; QUEEN: UNIVERSAL MUSIC GROUP; STUART & SONS: BROOK PENFOLD<br />

11 verschiedene Musikstücke spielt der neue<br />

Orgel-Audiomat in der Braunschweiger<br />

St. Katharinenkirche, u. a. Bach, Brahms und Reger.<br />

Für 50 Cent gibt es drei Minuten Orgelmusik.<br />

108<br />

21<br />

Klaviere wollten<br />

zwei Schmuggler<br />

kürzlich aus der Schweiz nach<br />

Deutschland bringen. Beamte des<br />

Hauptzollamts Singen witterten<br />

Steuerhinterziehung der musikalischen<br />

Art und konnten dies am<br />

Zollamt Rheinheim verhindern.<br />

Tasten hat das Klavier, das Australiens letzter verbliebener Klavierbauer<br />

Stuart & Sons nun vorgestellt hat. Dieses Neun-Oktaven-Phänomen erreicht<br />

in der Welt der akustischen Klaviere bisher unerreichte Frequenzen.<br />

Ein Standardklavier hat heute 88 Tasten (etwas mehr als sieben Oktaven).<br />

11


K Ü N S T L E R<br />

Auf einen Kaffee mit …<br />

FRIEDRICH ANI<br />

VON BARBARA SCHULZ<br />

FOTO: PRIVAT<br />

12 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Friedrich Ani (*<strong>19</strong>59) ist ein deutscher Schriftsteller, der vor allem für seine<br />

Krimis um Ermittler Tabor Süden bekannt und mehrfach ausgezeichnet wurde.<br />

Geboren in Kochel am See, ist er längst ein Münchner Urgestein, der die Stadt<br />

und ihr Licht am meisten dann liebt, wenn Ferien sind – im August.<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Ani, wie wichtig ist Musik in Ihrem Leben?<br />

Friedrich Ani: Musik ist einer der wesentlichen Pfeiler meines<br />

Lebens. Ich hab sehr früh angefangen, selbst Musik zu machen: erst<br />

auf der Trommel, dann hab ich sehr jung Blockflöte und bald Klavier<br />

gespielt. Aber natürlich hab ich auch viel Musik gehört und schon<br />

früh Songtexte geschrieben, auf Englisch und auf Deutsch. Und<br />

weil ich gern gesungen habe und mich begleiten wollte, hab ich mir<br />

Gitarre beigebracht – obwohl alle meinten, ich könne nicht singen.<br />

Welche Musik hören Sie?<br />

Klassische Musik, Rockmusik, vor allem Folkmusik – da gibt es<br />

Phasen. Aber natürlich sind manche immer da: Bob Dylan, Bach,<br />

Rachmaninow, Schubert … Und die Singer-Songwriter-Szene, die<br />

ist schon meins – immer gewesen, Bob Dylan vor allen Dingen.<br />

Was ist mit Jazz?<br />

Selten. Es kommt vor, dass ich Jazz höre, dann gefällt er mir auch.<br />

Es kommt aber genauso oft vor, dass er mir überhaupt nicht gefällt.<br />

Er erreicht mein Herz nicht. Bach hingegen ist für mich kosmisch.<br />

Einfach ewig. Auch Schubert kann ich unendlich hören.<br />

Was macht die Musik mit Ihnen?<br />

Ohne Musik hätte ich nie angefangen,<br />

intensiv zu schreiben. Musik ist der<br />

Quell meines Schreibens. Das heißt,<br />

wenn ich Musik höre, bin ich inspiriert.<br />

Was nicht bedeutet, dass ich mich<br />

gleich hinsetze und schreibe. Musik ist<br />

wie das Wasser, das ich als Kind in den<br />

Bergen getrunken habe, direkt von der<br />

Quelle. Also reines Wasser. So ist Musik<br />

für mich reine Kunst. Und es ist großartig, was man mit Musik<br />

erreichen kann – an Gefühlen, an inneren Zuständen. Da muss<br />

man sich schon einen Wolf schreiben, um das mit Wörtern<br />

herzustellen. Musik war mein Leben lang Basis, Hilfe und Trost,<br />

auch bei der Arbeit. Ohne Musik kein Leben.<br />

Schreiben Sie, während Sie Musik hören?<br />

Unmöglich! Da mache ich ja selber Musik und versuche, meine<br />

eigenen Töne zu treffen.<br />

Die Inspiration findet also eher abstrakt statt.<br />

Ja, es ist nicht immer so, dass Hören direkt zu etwas Konkretem<br />

führt, aber es ist so, dass Musikstücke mich weiter beschäftigen,<br />

auch wenn sie zu Ende sind.<br />

Wie hören Sie?<br />

Wenn ich eine CD oder Schallplatte auflege, kann ich nur zuhören,<br />

nichts nebenbei machen. Was schwierig ist im Laufe des Lebens,<br />

weil ich viel schreibe. Dann will ich auch noch lesen, und ich kann<br />

beim Lesen keine Musik hören, das wäre total widersinnig. Also<br />

muss ich mir die Zeit gut einteilen.<br />

Verschiedene Stimmungen, verschiedene Richtungen?<br />

Klar, wobei ich schon versuche, mich der jeweiligen Musik anzupassen.<br />

Ich vermeide eher, in dunkler Stimmung dunkle Musik zu<br />

hören. Allerdings habe ich nichts dagegen, mich von der Musik<br />

verdunkeln zu lassen, auch wenn vorher alles weitgehend okay war.<br />

Es braucht viel Fantasie, um sich so spannende Geschichten<br />

auszudenken. Wichtiger ist aber, den richtigen Ton zu finden?<br />

Der eigene Sound ist das, was mich von anderen Autoren unterscheidet.<br />

Was ich schreibe, haben schon Hunderttausende vor mir<br />

ES IST GROSSARTIG,<br />

WAS MAN MIT MUSIK ERREICHEN<br />

KANN AN GEFÜHLEN<br />

UND INNEREN ZUSTÄNDEN<br />

erzählt. Seit den Griechen gibt es ohnehin keine neuen Stoffe. Ich<br />

schreibe über den Menschen in seinem Irrsinn, in seiner Verzweiflung,<br />

seiner Not, seiner Trauer. Aber ich habe lange gebraucht, bis<br />

meine Instrumente so gestimmt waren, dass ich sie spielen konnte.<br />

Und sind sie heute immer verfügbar?<br />

Leider nicht. Ich habe oft das Gefühl, dass sie vollkommen kaputt<br />

in der Garderobe liegen. Vor jedem neuen Roman: komplett<br />

zertrümmert! Ich muss sie jedes Mal erst wieder zusammenbasteln<br />

und neu stimmen, um überhaupt anfangen zu können. Ich hab<br />

30 Romane geschrieben und mehr, aber es wird nicht besser.<br />

Ein elender Zustand?<br />

Wenn ich die erste Fassung meines Romans lese, bin ich manchmal<br />

entsetzt! Als wäre da jemand, der meine Sachen nachts heimlich<br />

umschreibt. Man kann es nicht lesen. Und so muss ich die erste<br />

Fassung neu vertonen, versprachlichen.<br />

Der berühmte erste Satz …<br />

Ja, der kommt oder kommt nicht. Wenn er nicht kommt, ist es<br />

blöd. Dann muss man warten.<br />

Musik hören?<br />

Nein, der Satz kommt aus der Stille.<br />

Würde ich Musik hören, wäre ich in<br />

der Welt der Komponisten. Ich muss<br />

aber in meine Welt kommen.<br />

Mit welchem Komponisten würden<br />

Sie sich vergleichen?<br />

Vielleicht Schostakowitsch …<br />

Warum er?<br />

Die Dramatik, das Erzählerische, das<br />

Poetische – unterschiedliche Ebenen bilden das Ganze. Da hatte<br />

ich früher den Eindruck, dass das etwas mit mir zu tun hat.<br />

Aber es fällt mir schwer, auch bei Schriftstellern – wo könnte ich<br />

andocken? Natürlich gibt es Einflüsse, klar, hoffentlich viele.<br />

Wer wäre das im Wesentlichen?<br />

Georges Simenon, Cornell Woolrich, auch Hans Fallada, Erich<br />

Maria Remarque. Und Derek Raymond, ein englischer Autor, den<br />

ich erst sehr spät entdeckt habe. Obwohl er sehr hart ist, sprachlich<br />

wie inhaltlich, ist es ergreifend, wie er erzählt, mit diesem blutenden<br />

Herzen. Da entdecke ich immer wieder Ähnlichkeiten in der<br />

Sprache, aber auch im Blick auf die Welt.<br />

Ihr nächstes Buch hat auch eine politische Komponente.<br />

Es kommen zwei syrische Kinder vor, die Thematik behandelt<br />

Polizei und Migration. Vor allem aber geht es um drei Kommissare<br />

von mir – Tabor Süden, Polonius Fischer, Jakob Franck – und eine<br />

neue Kommissarin, Fariza Nasri. Insgesamt ist es ein gesellschaftspolitischer<br />

Roman, sehr emotional mit wechselnden Stimmungen.<br />

Hat es damit zu tun, dass Sie syrische Wurzeln haben?<br />

Mein Vater war Syrer, und natürlich habe ich mich mit dem Land<br />

beschäftigt. Ich fand es wichtig, mich dazu zu äußern, aber nur als<br />

Bürger der Stadt. Ich habe keine Botschaft, nur weil<br />

ich einen syrischen Vater hatte. Aber ja, vielleicht<br />

treibt es mich mehr um. Doch eher in meinem<br />

Zimmer und in meinem Herzen als auf der Straße. ■<br />

Friedrich Anis neues Buch „All die unbewohnten Zimmer“<br />

erscheint im Juni 20<strong>19</strong> bei Suhrkamp<br />

13


K Ü N S T L E R<br />

14 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


MAXI-<br />

MALE<br />

NEUGIER<br />

Der Europäische Filmpreis 2008<br />

für die Musik zu „Waltz with<br />

Bashir“, im November 2018 der<br />

Hollywood Music in Media<br />

Award für den Soundtrack zu<br />

„Mary Queen of Scots“ –<br />

darüber hinaus stellt Max<br />

Richter immer wieder in<br />

visionären Soloprojekten seine<br />

unbändige Fantasie unter<br />

Beweis. Im Gespräch verrät er,<br />

was ihn inspiriert.<br />

VON KATHERINA KNEES<br />

Max Richter hat der Stadt den<br />

Rücken gekehrt: „Die Umgebung<br />

hat Einfluss auf das Gehirn“<br />

FOTO: YULIA MAHR<br />

15


K Ü N S T L E R<br />

C<br />

RESCENDO: Sie haben dem Leben in der Großstadt<br />

den Rücken gekehrt und sind aufs Land gezogen. Beeinflusst<br />

das auch Ihre Musik?<br />

Max Richter: Ich glaube, dass sich alles gegenseitig beeinflusst, und die<br />

Umgebung hat natürlich auch Einfluss auf das Gehirn. Trotzdem finde<br />

ich, jedes musikalische Werk hat irgendwie sein eigenes Ökosystem, in<br />

dem es sich entwickelt und aufblüht. Darum glaube ich nicht, dass<br />

Äußerlichkeiten so eine große Rolle spielen. Aber ich genieße zum Beispiel<br />

die Jahreszeiten sehr und nehme sie ganz bewusst wahr. Ich lebe<br />

nun mitten im Nirgendwo auf dem Land, und da bekommt man das<br />

sehr deutlich mit. Und es ist sehr schön,<br />

JEDES MEINER PROJEKTE IST<br />

EIN EXPERIMENT, MIT DEM ICH<br />

ETWAS HERAUSFINDEN ODER ZUM<br />

AUSDRUCK BRINGEN MÖCHTE<br />

dieses gemächliche Tempo zu beobachten,<br />

in dem sich alles verändert. Ich mag<br />

diese Langsamkeit um mich herum.<br />

Wenn man im Inneren und in der Fantasie<br />

viel beschäftigt ist – und das bringt<br />

das Komponieren ja mit sich –, braucht<br />

man viel Zeit für sich, damit sich die<br />

Ideen auch entwickeln können.<br />

Welche Ideen stecken denn in Ihrer preisgekrönten Filmmusik<br />

zu „Mary Queen of Scots“?<br />

Die beiden Frauen, um die es in diesem Film geht, die beiden Königinnen<br />

Maria Stuart und Elisabeth I., leben eigentlich in einer Welt, die<br />

den Männern gehört und in denen ihre Macht sehr eingeschränkt ist.<br />

Deshalb wollte ich mit den Stimmen der Frauen anfangen. Sie bilden<br />

quasi den Hintergrund, vor dem alles passiert. Man kann sich die Partitur<br />

wie ein Renaissancegemälde vorstellen, in dem die Farbe Schicht<br />

für Schicht auf den Untergrund aufgetragen wird, auf dem dann nach<br />

und nach immer mehr Elemente und Figuren im Vordergrund hinzugefügt<br />

werden.<br />

Welche Elemente sind das in diesem Fall?<br />

Es gibt sozusagen ein königliches Thema, das sich die Königinnen<br />

teilen und das vom Englischhorn gespielt wird. Außerdem haben<br />

wir viel Chormusik aufgenommen, die sozusagen die musikalische<br />

Landschaft gestaltet. Und es gibt Musik für die Antagonisten – in<br />

diesem Fall eigentlich alle Männer, die in dem Film vorkommen<br />

(schmunzelt). Diese Ebene wird vor allem durch orchestrale Musik<br />

gestaltet, die allerdings weniger kultiviert ist. Im Vordergrund<br />

erscheinen dann nach und nach weitere Themen und auch zeitgenössische<br />

klangliche Elemente. Außerdem gibt es viele Trommeln,<br />

die in der Musik inhaltlich eine wesentliche Rolle spielen. Sie deuten<br />

quasi an, wo es mit Mary hingehen wird. Sie begleiten ihre Exekution<br />

und die Beerdigung. Aber sie tauchen auch in Form von<br />

Marschmusik auf, im Thema, das für die Ehe steht, oder als königliche<br />

Paukenklänge.<br />

Haben Sie die Musik auf den fertig geschnittenen Film komponiert<br />

oder war er noch in der Entstehung?<br />

Ich habe nur einige Schnipsel gesehen, sodass ich einen Eindruck<br />

von der Atmosphäre und den Personen bekommen konnte. Dann<br />

habe ich mit dem Schreiben angefangen, und der Film hat parallel<br />

Gestalt angenommen. Es war ein sehr organischer Prozess. Es gibt<br />

immer einen eigenen Rhythmus und einen Workflow, und ich habe<br />

immer Interesse daran, den natürlichsten Weg zu finden. Manchmal<br />

muss man sich die ganze Zeit die Bilder anschauen, und manchmal<br />

kann die Musik einfach Musik sein und man nimmt sich dann,<br />

was man braucht. Ich glaube, das ist in jedem Projekt anders.<br />

Lernt man denn über die Filmmusik einen anderen Max Richter<br />

kennen als über eines Ihrer Soloprojekte?<br />

Ja, das sind für mich ganz unterschiedliche Dinge, aber ich könnte<br />

jetzt nicht sagen, dass mir das eine oder das andere mehr oder weniger<br />

Spaß macht. Die Arbeit an einem Kinofilm ist immer ein<br />

Gemeinschaftsprojekt. Es geht dabei grundsätzlich viel um Kommunikation<br />

und Zusammenarbeit. Und die Musik steht quasi im<br />

Dienst der Geschichte, die erzählt wird. Sie ist nur ein Element in<br />

einem großen Kontext, Filmmusik ist keine Sinfonie. Wohingegen<br />

ich bei einer Soloplatte oder in einem Orchesterstück alles genau so<br />

machen kann, wie ich es mir vorstelle, und ich mir dabei nur musikalische<br />

Fragen stellen muss.<br />

Sie haben nicht nur viele Soundtracks, sondern auch völlig unterschiedliche<br />

Soloprojekte realisiert. Was inspiriert Sie?<br />

In allen kreativen Konzepten stecken Fragen. Jede neue Idee von<br />

mir kann man als eine „Was-wäre-wenn-Frage“ verstehen, denn<br />

jedes meiner Projekte ist ein Experiment,<br />

mit dem ich etwas herausfinden<br />

oder zum Ausdruck bringen möchte.<br />

Eigentlich fühlt sich jedes Projekt<br />

unmöglich an, bevor ich loslege. John<br />

Cage hat mal gesagt: „Unsere Aufgabe<br />

als Künstler ist es, neugierig zu sein.“<br />

Das trifft es eigentlich ziemlich genau.<br />

Mit jeder Platte versuche ich herauszufinden,<br />

was es eigentlich ist, was ich da mache. Das klingt vielleicht<br />

paradox, aber das ist meine Vorgehensweise. Wenn ich dann am<br />

Ende zufrieden bin mit dem, was dabei herauskommt, dann ist das<br />

ein riesiger Erfolg, und ich bin sehr glücklich (lacht).<br />

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie eine eigene Version von Vivaldis<br />

Die vier Jahreszeiten kreiert haben?<br />

Das Recomposing-Projekt zu den Jahreszeiten war mir ein ganz<br />

persönliches Bedürfnis (lacht). Als Kind habe ich mich in das Stück<br />

verliebt. Es ist ein wunderschönes virtuoses Stück voller Geschichten<br />

und Farben. Aber im Laufe der Jahre habe ich es dann eigentlich<br />

nur noch in der Werbung oder in einer Warteschleife oder im Aufzug<br />

gehört, und ich habe angefangen, das Stück zu hassen. Meine<br />

Bearbeitung war für mich dann sozusagen eine Rettungsmaßnahme<br />

und der Versuch wiederzuentdecken, was ich ursprünglich mal an<br />

dem Stück geliebt habe. Eine derartige Beziehung habe ich aber zu<br />

keinem anderen Stück.<br />

Für Ihr Projekt „Sleep“ haben Sie mal eine achtstündige Musik<br />

komponiert, die man schlafend auf sich wirken lassen soll. War<br />

das auch eine Selbsterfahrung?<br />

Schlaf hatte für mich immer schon eine große Bedeutung. Ich habe<br />

Schlafen immer als wichtigen Bestandteil in einem kreativen Prozess<br />

wahrgenommen, denn unser Geist ist dann ja nicht einfach<br />

ausgeknipst, er arbeitet nur anders. Als ich 2014 mit dem Projekt<br />

„Sleep“ begonnen habe, hatte ich das Gefühl, dass unser Leben im<br />

Alltag von Informationen regelrecht überflutet wird und dass das<br />

sehr anstrengend ist. Ich wollte einen kleinen Urlaub von all den<br />

Eindrücken und Informationen und Daten. Außerdem hat es mich<br />

interessiert, was die Musik aus neurologischer Sicht mit uns macht,<br />

wenn wir schlafen.<br />

Ihre Musik ist oft minimalistisch, die jüngste Filmmusik für<br />

„Mary Queen of Scots“ ist im Kontrast dazu sehr opulent. Gibt<br />

es etwas, das den Kern Ihrer musikalischen Sprache ausmacht?<br />

Sparsamkeit und Minimalismus sind mir sehr wichtig, aber es<br />

stimmt, „Mary Queen of Scots“ ist in gewisser Hinsicht tatsächlich<br />

regelrecht pompös. Das hängt in dem Fall wohl mit der Welt zusammen,<br />

die in dem Film dargestellt wird. Aber wenn man sich meine<br />

Soloplatten anschaut, dann steht im Mittelpunkt immer, dass man<br />

das Maximum aus dem Minimum herausholt. Ich<br />

bin an einer direkten Sprache interessiert, die sich<br />

ganz einfach anfühlt. Sie ist zwar nicht einfach,<br />

aber sie kommt so rüber (lacht).<br />

n<br />

„Mary Queen of Scots. Music by Max Richter“ (DG)<br />

16 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


17<br />

FOTO: YULIA MAHR


K Ü N S T L E R<br />

GEMISCHTES<br />

DOPPEL<br />

András Adorján kennt das Werk der Doppler-Brüder wie kein Zweiter –<br />

als Flötist und Herausgeber. Nun legt er an der Seite von Emmanuel<br />

Pahud unter dem Titel „Doppler Discoveries“ mehrere Ersteinspielungen<br />

von Werken für ein und zwei Flöten zusammen mit Klavier vor.<br />

VON KLAUS KALCHSCHMID<br />

András Adorján,<br />

Emmanuel Pahud und<br />

Jan Philip Schulze<br />

FOTO: ASMUS HENKEL<br />

18 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


FÜR MICH IST ES SEHR WICHTIG,<br />

FLÖTISTEN DIE MÖGLICHKEIT ZU<br />

GEBEN, IHR REPERTOIRE ZU BEREICHERN<br />

Franz und Carl Doppler bereisten ab 1852 als virtuos flötespielendes<br />

Brüderpaar ganz Europa. Franz übersiedelte 1858<br />

nach Wien als Soloflötist der Hofoper und Dirigent fürs Ballett, dem<br />

er jährlich eine Komposition widmen musste. Sein Bruder Carl wurde<br />

1865 für 30 Jahre Königlicher Hofkapellmeister in Stuttgart und spielte<br />

nur noch gelegentlich zusammen mit seinem Bruder in Konzerten.<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Adorján, schon in den <strong>19</strong>60ern haben Sie<br />

begonnen, Unbekanntes der Doppler-Brüder zu suchen – und<br />

zu finden! Wie hat alles angefangen?<br />

András Adorján: Mein Flötenlehrer in Dänemark, wo ich aufgewachsen<br />

bin, wenn auch in Ungarn geboren, gab mir irgendwann<br />

die Fantaisie pastorale hongroise zum Spielen, und für mich als<br />

Ungar war es natürlich etwas Besonderes, fern der Heimat auf<br />

eine Flötenkomposition mit ungarischer Thematik zu treffen.<br />

Als ich dann Jahre später, <strong>19</strong>68, in Freiburg bei Aurèle Nicolet<br />

studiert habe, bin ich in einem Stuttgarter Telefonbuch auf den<br />

Namen „Franz Doppler – Kammermusiker“ gestoßen, der, wie<br />

sich herausstellte, ein Enkel von Carl Doppler war. Meine Frau<br />

und ich haben dann irgendwann ein kleines Konzert mit Werken<br />

für zwei Flöten von Franz und Carl Doppler, die ich in Bibliotheken<br />

gefunden hatte, im Wohnzimmer der Dopplers gespielt.<br />

Hatte der Enkel auch Noten?<br />

Bis dahin hatte der Enkel geglaubt, keine Handschriften zu<br />

besitzen, und kannte auch die Musik des Großvaters überhaupt<br />

nicht. Doch im Speicher fand sich, nach hartnäckigem Insistieren<br />

meinerseits, dann überraschend doch eine Kiste mit meist unvollständigen<br />

Autografen. Aber auch ein ganzes, vollständiges<br />

Konzert für zwei Flöten, das nie gedruckt worden war. Das habe<br />

ich dann herausgegeben und <strong>19</strong>76 mit Jean-Pierre Rampal,<br />

ebenfalls einer meiner Lehrer, aufgenommen.<br />

Kann man den Anteil der beiden Brüder an den gemeinsam<br />

komponierten Stücken unterscheiden, deren Honorar sie – wie<br />

Aufzeichnungen beweisen – auch brüderlich geteilt haben?<br />

Es ist wohl schon so, dass Franz, der bedeutendere Komponist<br />

von beiden, für sich die erste Stimme geschrieben und die zweite<br />

vielleicht skizziert hat. Carl hat sie dann auskomponiert – als<br />

ebenso virtuose, aber eben tiefere Stimme.<br />

Auf Ihrer CD findet sich auch die Erstfassung jener berühmten<br />

Fantaisie pastorale hongroise, als Stück für zwei Flöten, deren<br />

Solostimmen in der besagten Kiste gefunden wurden und die<br />

Sie von den Dopplers geschenkt bekamen. Wie unterscheiden<br />

sich die beiden Versionen?<br />

Der Anfang beider Stücke ist gleich, danach sind sie aber völlig<br />

verschieden. Da hier zum Glück nur die Begleitung fehlte, ließ<br />

sich das Stück als der von den Brüdern oft gespielte, aber nie<br />

veröffentlichte „Ungarische Hirtengesang“ identifizieren. Und<br />

unser Pianist konnte seinen Part dazu rekonstruieren.<br />

Ihr neuester Fund sind die beiden ersten Sätze der Sonate<br />

op. 25, die bislang nur als Andante und Rondo bekannt war.<br />

Wo und wie kam es dazu?<br />

Im Zusammenhang mit der Neuherausgabe der Fantaisie<br />

pastorale hongroise habe ich nicht nur das Manuskript im Archiv des<br />

Schott-Verlags einsehen können, sondern auch die entsprechende<br />

Korrespondenz dazu. In einem Brief erwähnte Franz<br />

eine mir bis dahin unbekannte Sonate, allerdings mit der sehr<br />

bekannten Opusnummer 25. Ich wurde neugierig und bekam eine<br />

Kopie der Titelseite, worauf zu lesen war: „NB. Von dieser Sonate nur<br />

Andante u. Rondo stechen zu lassen und das Stück demgemäß zu<br />

titulieren.“ Ich suchte nach den verworfenen Sätzen und habe sie<br />

gefunden: ein großes, siebeneinhalb Minuten langes Moderato und<br />

ein kürzeres Menuetto. Neben dem Doppelkonzert war dies eine<br />

weitere Flötenkomposition der beiden, die keine Fantasie, kein<br />

Potpourri, keine Variationen und weder eine Opernbearbeitung<br />

noch ein Stück im beliebten Stil „à la hongroise“ darstellt. Welch<br />

toller Zufall, dass wir jetzt auch eine „seriöse“ Doppler-Sonate haben.<br />

Warum denken Sie, sollten diese beiden Sätze nicht veröffentlicht<br />

werden?<br />

Eigentlich kann ich mir darauf keinen rechten Reim machen,<br />

außer dass es vielleicht Franz selbst aufgefallen war, wie sehr er<br />

sich in die Nähe von Schubert, Brahms oder gar Mendelssohn<br />

gewagt hatte.<br />

Was hat es mit Aus der Heimat, einem „Festspiel“ für zwei<br />

Flöten und Klavier auf sich, das die CD abschließt? Das klingt<br />

mit seinen vielen verschiedenen Tänzen ungemein spritzig<br />

und lebendig!<br />

Diese Ballete mit eingewebten Gesängen, wie er es selbst genannt<br />

hat, ist ursprünglich ein Orchesterstück, wurde 1879 zur Silberhochzeit<br />

von Sisi und Kaiser Franz Joseph komponiert und zu<br />

sogenannten „Tableaux vivants“ in der Hofoper aufgeführt. Dem<br />

Regenten-Paar sollten alle musikalischen Facetten der Monarchie<br />

– etwa aus Österreich, Ungarn, Rumänien, der Slowakei oder<br />

Tirol – präsentiert werden. Das Stück war so populär, dass es bis<br />

1881 über 50-mal gespielt und für verschiedene Instrumente<br />

bearbeitet wurde. So gibt es eine Version für zwei Flöten und<br />

Klavier, die aber kaum von den Dopplers sein kann, da hier die<br />

beiden Flöten fast immer unisono spielen. Anhand eines originalen<br />

Klavierauszuges, den ich in der Badischen Staatsbibliothek<br />

gefunden habe, konnten wir die beiden Flötenstimmen „à la<br />

Doppler“ rekonstruieren und was übrig blieb als Klavierbegleitung<br />

belassen. Somit ist nichts neu komponiert, diese Musik<br />

wurde lediglich für zwei Flöten und Klavier eingerichtet.<br />

Sie geben immer gleichzeitig die Noten heraus und gehen mit<br />

den Stücken, die Sie gefunden haben, ins Aufnahmestudio.<br />

Ja, für mich ist es sehr wichtig, Flötisten die Möglichkeit zu<br />

geben, ihr Repertoire zu bereichern. Es gibt tatsächlich Musiker,<br />

die ihre Funde einspielen, sie dann aber lieber nur für sich<br />

behalten. Eine Vorgehensweise, die ganz und gar nicht meiner<br />

Mentalität entspricht.<br />

n<br />

Als neuer Abonnent erhalten<br />

Sie diese CD (siehe S. 76)<br />

„Doppler Discoveries“, András Adorján, Emmanuel Pahud, Jan Philip<br />

Schulze, Arcis Hornquartett (Farao Classics)<br />

Track 5 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Sonate für zwei Flöten und<br />

Klavier op. 25, III. Andante von Franz Doppler<br />

<strong>19</strong>


K Ü N S T L E R<br />

AUS DEM<br />

BAUCH<br />

HERAUS<br />

Diana Damrau und Jonas Kaufmann haben mit dem<br />

Pianisten Helmut Deutsch ein Album mit Liedern<br />

von Hugo Wolf aufgenommen. „Es war ein großer<br />

Spaß“, blickt die Sopranistin zurück. Und verneigt<br />

sich vor dem Komponisten.<br />

VON VERENA FISCHER-ZERNIN<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Hätten Sie Hugo Wolf, den alten<br />

Grantler, gerne persönlich kennengelernt?<br />

Diana Damrau: Auf jeden Fall! Er war kein einfacher Mensch,<br />

weder für seine Mitmenschen, noch für sich selbst. Aber wie er<br />

sich mit den Liedtexten musikalisch auseinandersetzt, das hat<br />

unglaublich viel Esprit.<br />

Sie hätten ihn bestimmt geknackt!<br />

So einen Geist und Künstler zu treffen – das wäre schon toll<br />

gewesen. Ich kenne seine Biografie nicht gut. Mein Eindruck<br />

speist sich aus seinen Kompositionen. Ich habe einen Hang zu<br />

Menschen, die mit geschliffener Zunge sprechen. Es ist spannend,<br />

sie zu erleben. Gerade, wenn ihre Art ein bisschen eckig ist.<br />

Was hat Sie an dem Italienischen Liederbuch gereizt?<br />

Die künstlerische Aussage der Wolf-Lieder ist einfach großartig.<br />

Was er für das Kunstlied geschaffen hat, für die Wort-Ton-Kunst,<br />

sei es mit Orchester oder kammermusikalisch, dafür muss man<br />

20 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Hatten sichtlich Spaß an der<br />

gemeinsamen Arbeit: Diana Damrau,<br />

Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch<br />

FOTO: PARLOPHONE RECORDS LTD<br />

ihm einfach dankbar sein. Ich habe schon als junge Studentin<br />

Lieder daraus gesungen. Auch kleine Dinge können uns entzücken<br />

oder Ich hab’ in Penna einen Liebsten wohnen, das sind Zugabenstücke<br />

per se. Kurz und aussagekräftig. Jedes einzelne Lied ist ein<br />

kleines Juwel, das Liederbuch ist eine Schatztruhe! Das wollte ich<br />

schon immer mal singen.<br />

Und wer hat Sie drei zusammengebracht?<br />

Helmut Deutsch kam auf die Idee, Jonas und mich zusammen-<br />

zuspannen. Ich hatte bis dahin mit Jonas relativ wenig große<br />

gemeinsame Werke auf der Bühne. Aber bei kleinen Konzerten<br />

haben wir gemerkt, das funktioniert gut. Wir waren von Helmuts<br />

Vorschlag sofort begeistert. Es ist natürlich schwer, das mit den<br />

Kalendern zusammenzukriegen. Und dann kam eine ganze<br />

Tournee mit zwölf Liederabenden in 23 Tagen zustande. Da<br />

haben wir uns beide gefragt, schaffen wir das? Und dann auch<br />

noch im <strong>Januar</strong>, Februar, Erkältungswetter! Mit Reisen dazwi-<br />

21


K Ü N S T L E R<br />

schen! Aber Helmut blieb ganz gelassen: „Ach, das schafft ihr.“<br />

Das Italienische Liederbuch ist über einen großen Zeitraum<br />

hinweg entstanden. Es ist eigentlich kein Zyklus, eher eine lose<br />

gefügte Liedsammlung. Von wem stammt die Dramaturgie?<br />

Die Lieder sind wirklich Kondensate, jedes für sich. Der Zufall<br />

wollte, dass es eine gute Balance zwischen eindeutig männlichen<br />

und eindeutig weiblichen Texten gibt, nur einige Lieder sind<br />

ICH HABE EINEN HANG ZU MENSCHEN,<br />

DIE MIT GESCHLIFFENER ZUNGE SPRECHEN<br />

neutral. Vor etwa 50 Jahren haben die Sänger sich das Liederbuch<br />

als Duo-Abend „unter den Nagel gerissen“. Das bietet sich an.<br />

Es sind kleine Dialoge oder Monologe, aus denen man Geschichten<br />

zusammenstellen kann. Helmut beschäftigt sich schon seit<br />

30 Jahren damit und hat immer wieder anderes ausprobiert, um<br />

kleine Geschichten zu finden. Fix war nur das erste Lied.<br />

Wir haben es also nicht mit einem einzigen Paar zu tun.<br />

Es sind immer andere. Wir haben vier Liedgruppen gebildet. Am<br />

Anfang sind sie sehr, sehr jung, sie dürfen nicht mal aus dem<br />

Haus. In der zweiten Gruppe sind sie zusammen. Da kommen die<br />

typischen Eifersüchteleien. Ein falsches Wort kann Streit auslösen.<br />

Sie sind immer noch sehr jung. In den dritten Teil haben wir<br />

Tod, Krieg und Religion genommen und in den vierten die<br />

humoristischen Lieder. In diesem Werk steckt wirklich alles, was<br />

man sich an menschlichen Regungen denken kann.<br />

Harter Tobak für den Mann, was ihm die heimlich Angebetete<br />

im vierten Teil so alles von ihren Liebhabern erzählt.<br />

Er ist der schwärmerische Freund, der nicht wagt, ihr seine<br />

verborgene Liebe zu gestehen. Oder sie hört nicht zu, sie versteht<br />

es nicht. Bis es ihr dann wie Schuppen von den Augen fällt.<br />

Deshalb sind die Empfindlichkeiten sehr groß. Aber es endet ja<br />

gut! Jedenfalls haben wir es so arrangiert.<br />

Waren Sie in den Konzerten versucht, szenisch zu agieren?<br />

Es war ein großer Spaß. Wir haben das nicht szenisch geplant,<br />

sondern einfach auf den anderen reagiert. Auch mimisch und<br />

gestisch, mit kleinen Körperbewegungen. Es ergibt sich alles aus<br />

dem Text. Und aus der Musik. Hugo Wolf stößt einen wirklich<br />

von einem zum nächsten Satz. Es ist alles ins Kleinste hinein<br />

durchdacht und in Harmonien und Klangfarben umgesetzt. Man<br />

kann gar nicht anders, man agiert aus dem Bauch heraus.<br />

Was machen Sie denn so auf der Bühne, während der andere<br />

singt? Wohin mit den Händen?<br />

Wenn Jonas im dritten Teil „Sterb ich“ gesungen hat, wäre ich am<br />

liebsten unsichtbar gewesen. Da wir zu zweit auf der Bühne sind<br />

und den anderen meistens ansprechen, müssen wir aufeinander<br />

reagieren. Nicht wie auf der Opernbühne oder im echten italienischen<br />

Leben, wo dann Teller oder Tomaten fliegen. Aber wir<br />

können auch nicht dastehen wie die Orgelpfeifen, dann hätten wir<br />

das Thema verfehlt! (lacht)<br />

Ich habe mal eine Kollegin erlebt, die sich beim Liederabend<br />

eine Schürze umband und ein Gummihähnchen aus dem Flügel<br />

zog. Für Puristen ein Graus. Wie halten Sie es mit Requisiten?<br />

Kommt immer drauf an, wie man’s anlegt. Ich habe nur die Stola<br />

gewechselt. Durch die Farbe der Stola konnte das Publikum<br />

unbewusst wahrnehmen, jetzt ist sie eine andere, oder jetzt ist<br />

was passiert. Am Schluss war die Stola feuerrot. Mein Kleid war<br />

ganz schlicht, schwarz mit Blumen. Ich wollte kein Divenkleid.<br />

Warum singt eine gefeierte Opernsängerin überhaupt Lieder?<br />

Weil aus dem Lied für mich alles hervorgeht. Lied ist für mich die<br />

IN DIESEM WERK STECKT ALLES,<br />

WAS MAN SICH AN MENSCHLICHEN<br />

REGUNGEN DENKEN KANN<br />

ideale Verbindung von Wort und Ton. Und es ist erzieherisch eine<br />

gute Methode, wenn man lernt, absolut ins Detail zu gehen und<br />

mit einer großen Sorgfalt diese Lieder zu singen und ganz schnell<br />

umzuschalten zwischen den verschiedenen Stimmungen. Und<br />

man kann sich seine eigenen Programme zusammenstellen.<br />

Es muss nicht immer Schubert sein …<br />

… oder Schumann. Das Liedschaffen ist nicht nur im deutschsprachigen<br />

Raum unglaublich reich, es gibt auch ganz<br />

tolle französische, russische und englische Lieder.<br />

Vieles aus diesem immensen Repertoire wird auch gar<br />

nicht so oft aufgeführt. Es ist wie eine Schatztruhe, die<br />

man aufmacht: Das passt gut zusammen und das …<br />

So eine Reise kann manchmal eine richtige Achterbahnfahrt<br />

sein. Ich kann verschiedene Stile zusammenbringen.<br />

Oder ich fange vielleicht mit Schubert an und schließe mit<br />

Zeitgenössischem, oder ich stelle das Zeitgenössische in die Mitte.<br />

Aber auch zwischen Komponisten und den Ländern Verbindungen<br />

zu schaffen, das ist toll, und sich eine eigene Dramaturgie zu<br />

überlegen.<br />

Was machen Sie stimmlich anders als bei der Oper?<br />

Ich kann mehr riskieren, weil ich feiner zeichnen kann. Allein in<br />

den Kompositionen ist das so gegeben. Außerdem habe ich nicht<br />

das Orchester unter mir und die Entfernung vom Zuschauerraum,<br />

da kann ich wirklich mit ganz feinem Pinsel zeichnen.<br />

Das muss man sich trauen …<br />

Es ist eine Herausforderung. Man ist allein und hat nicht die Hilfe<br />

durch Kostüme und Bühne und Licht und Partner. Sondern man<br />

macht nur Musik und lässt Wort und Musik klingen und ihre<br />

Wirkung bringen. Manchmal ist es wie Meditation. Aber man<br />

kann die Menschen auch mitnehmen. Und das ist toll! Wenn man<br />

zwischen den Stücken merkt, oh, jetzt wird’s lustig. Man ist viel<br />

näher an den Menschen dran. Natürlich bin ich beim Liederabend<br />

auf der Bühne ich selber, aber trotzdem steige ich in jedes<br />

Lied ein wie in eine kleine Opernszene. Mal bin ich das lyrische<br />

Ich, mal bin ich der Erzähler. Das heißt, ich kann mit der Stimme<br />

spielen und verschiedene Rollen einnehmen, Vater und Mutter<br />

und Kind darstellen.<br />

Ist Liedgesang also auch eine Art, Ihr Instrument zu pflegen?<br />

Schon. Aber auch meinen Geist. Meinen Geist und mein Instrument.<br />

Damit man einfach fein bleibt und achtsam.<br />

Mit dem musikalischen Partner und auch mit den eigenen<br />

Ressourcen?<br />

Auf jeden Fall. Dass man immer in die Feinheiten zurückgeht<br />

und es auch wagt, diese Feinheiten auf die Opernbühne zu<br />

übertragen. Es geht in der Oper nicht immer nur um Lautstärke<br />

und hohe Töne. Die sind beeindruckend, das ja. Aber es sind doch<br />

die Farben, es sind die Herzenstöne, die transportieren. Oper ist<br />

keine Discomusik, zu der man tanzt und vergisst. Was uns<br />

anspricht, sind die feinen Töne und Worte. Das<br />

Menschliche. Darum geht’s. Und im Lied umso<br />

mehr. <br />

■<br />

Hugo Wolf: „Italienisches Liederbuch“,<br />

Diana Damrau, Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch (Erato)<br />

22 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Das Schönste, was es gibt<br />

Die Cellistin Julia Hagen und die Pianistin Annika Treutler sind zwei vielversprechende junge<br />

Solistinnen. Jetzt haben sie ihr erstes gemeinsames Album mit Werken von Johannes Brahms<br />

veröffentlicht. Unsere Autorin, selbst Cellistin, merkte bei dem Treffen mit den Musikerinnen<br />

in einem Berliner Café schnell, dass die beiden sich nicht nur musikalisch bestens verstehen.<br />

VON SINA KLEINEDLER<br />

Julia Hagen<br />

Annika Treutler<br />

FOTOS: NEDA NAVAEE, WWW.ANNIKATREUTLER.DE<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Wieso Brahms?<br />

Julia Hagen: Für mich war immer klar, dass Brahms mein<br />

Debütalbum sein muss, weil diese Musik mich schon seit meiner<br />

Kindheit begleitet. Sein Wiegenlied habe ich – wie viele andere –<br />

schon als Baby gehört. Seine e-Moll Sonate war die erste „richtige“<br />

Cellosonate, die ich gelernt habe. Da war ich ungefähr zwölf,<br />

seitdem habe ich mit jedem meiner Lehrer an den beiden<br />

Brahms-Sonaten gearbeitet.<br />

Annika Treutler: Natürlich stellt sich immer die Frage: Warum<br />

muss man ein tausendstes Brahms-Sonatenalbum aufnehmen?<br />

Sicher ist das keine Aufnahme, bei der alles auf links gedreht ist,<br />

aber dennoch ist es eine sehr persönliche Sicht, und zwar unsere<br />

Sicht, auf diese Stücke. Mit dem besten, reinsten Gewissen und<br />

den ehrlichsten Emotionen, die wir haben.<br />

Was macht Brahms’ Musik so besonders?<br />

Annika Treutler: Es gibt ein Zitat von Brahms: „Es ist nicht<br />

schwer zu komponieren. Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen<br />

Noten unter den Tisch fallen zu lassen.“ Man spürt das in<br />

seiner Musik: Jeder Ton ist wichtig und hat eine Bedeutung. Alles<br />

geht vom Bass aus. Diese Tiefe ist das Fundament seiner gesamten<br />

Musik. Die Musik von Brahms ist einfach das Schönste, was es<br />

gibt. Als ich klein war, bin ich oft mit seinen Liedern eingeschlafen.<br />

Meine Mutter begleitete meinen Vater am Klavier und sie<br />

haben geübt, während wir schon im Bett lagen.<br />

Einige Brahms-Lieder habt ihr jetzt mit aufgenommen. Wie<br />

habt ihr sie ausgesucht?<br />

Julia Hagen: Diese sechs Lieder sind von David Geringas<br />

zusammengestellt und bearbeitet. Ich bin normalerweise skeptisch<br />

bei Transkriptionen, aber das Cello ist nun mal das Instrument,<br />

das der Stimme am ähnlichsten ist …<br />

Annika Treutler: Quatsch! (beide lachen)<br />

Julia Hagen: Doch, schon! Ich habe mir den Text über die Noten<br />

geschrieben und viele Lieder angehört. Gesang zaubert immer die<br />

größten Gänsehautmomente. Einmal habe ich ein Konzert von<br />

András Schiff besucht. Als Zugabe stand das gesamte Orchester<br />

auf und hat ein Lied gesungen – es war das berührendste Erlebnis,<br />

das ich je im Konzert erlebt habe. Das war so ehrlich und pur …<br />

Es ging total unter die Haut.<br />

Wie habt ihr beide euch kennengelernt und als Duo<br />

zusammengefunden?<br />

Annika Treutler: (holt tief Luft) Es war einmal im Sommer …<br />

(beide fangen an zu lachen). Also: Vor zweieinhalb Jahren haben<br />

wir drei Wochen in der Akademie des Verbier Festivals verbracht.<br />

Wir spielten gar nicht miteinander, hörten uns aber gegenseitig<br />

zu, verbrachten die Abende zusammen und verstanden uns<br />

einfach gut – quasi Liebe auf den ersten Blick. Da wir beide in<br />

Berlin wohnen, blieben wir in Kontakt. Zusammengespielt haben<br />

wir erst ein Jahr später.<br />

Ist es wichtig, sich nicht nur musikalisch, sondern auch<br />

persönlich zu verstehen?<br />

Annika Treutler: Für mich untrennbar. Man verbringt so viel Zeit<br />

miteinander, auch neben der Bühne. Könnten wir nur auf der<br />

Bühne kommunizieren, hätten aber sonst keinen Draht, würde es<br />

nicht funktionieren.<br />

Julia Hagen: Das gibt es aber auch, und ich frage mich, wie das<br />

geht. Jeder aus dem Ensemble in einem anderen Hotel …<br />

Annika Treutler: Das hört man so, ich könnte mir das nicht<br />

vorstellen. Für mich ist das Persönliche und das Musikalische<br />

ganz, ganz eng miteinander verbunden.<br />

Inwiefern bereichert ihr euch gegenseitig musikalisch?<br />

Julia Hagen: Es ist einfach schön zu merken, dass man sich beim<br />

Zusammenspiel aufeinander verlassen und fallen lassen kann. Es<br />

macht Spaß weil die Musik so spontan und aufregend bleibt.<br />

Annika Treutler: Wir haben eine gute Basis, und dazu gehört,<br />

dass man den anderen im Spielen schon vorausahnen kann. Ich<br />

glaube, das ist die allerwichtigste Qualität im Kammermusikspiel:<br />

nicht nur zu spüren, was der Partner im selben Moment macht,<br />

sondern was er als Nächstes tun wird. Wir sprechen die gleiche<br />

musikalische Sprache.<br />

■<br />

Brahms: „Cellosonaten Nr.1 & 2, Six Songs“,<br />

Julia Hagen, Annika Treutler (hänssler classic)<br />

Track 8 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Minnelied op. 71/5.<br />

Aus: 6 Lieder op. 86 von Johannes Brahms<br />

23


K Ü N S T L E R<br />

Momo und die Schildkröte<br />

Kassiopeia im Reich der Zeit,<br />

bei Meister Hora<br />

FOTOS: CHRISTIAN POGO ZACH<br />

EINFACH NUR<br />

ZUHÖREN<br />

Im Dezember fand am Münchner Gärtnerplatztheater die Uraufführung der neuen Oper<br />

von Wilfried Hiller statt: Michael Endes Klassiker Momo. Ein Gespräch mit dem<br />

Komponisten und Freund des Autors über das Thema Zeit, das heute aktueller ist denn je.<br />

VON BARBARA SCHULZ<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Sieht man die Menschen heute durch die Straßen<br />

hetzen, denkt man unwillkürlich an Michael Endes Momo ...<br />

Wilfried Hiller: Ja, es ist geradezu beängstigend, wie aktuell das<br />

Buch war, als es <strong>19</strong>73 erschien. Das haben wir damals nicht gesehen.<br />

Der Ende übertreibt mal wieder, hat man gesagt.<br />

Wie kann man das Thema auf die Bühne bringen?<br />

Tatsächlich konnte ich viel aus den Fehlern anderer lernen. Also<br />

zum Beispiel den Geschichtenerzähler Gigi nicht wegzulassen oder<br />

den Straßenkehrer Beppo. Von Anfang an war aber klar: Momo<br />

darf nicht singen. Zum Glück war der Intendant des Gärtnerplatztheaters,<br />

Josef Köpplinger, einverstanden. als ich ihm gesagt habe,<br />

dass die Titelrolle nicht singt.<br />

Momo singt nicht, um zuhören zu können?<br />

Genau! Denn sie entlockt durch ihre Art, einfach zuzuhören, still<br />

zu sein, den Menschen ihre Probleme. In einer Szene singt Gigi<br />

davon. Und im Hintergrund sieht man Leute zu Momo kommen:<br />

den Friseur, den Maurer, die Ehefrauen – und was passiert? Plötzlich<br />

geben sich die Menschen wieder die Hand. Oder als Momo den<br />

24 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Wilfried Hiller bei<br />

den Proben zu Momo<br />

Vogel, der seit Langem stumm war, wieder<br />

zum Singen bringt. „Man muss ihm zuhören,<br />

auch wenn er nicht singt“, erklärt Momo ihr<br />

Geheimnis.<br />

Aber irgendwann wendet sich das Blatt.<br />

Ja, bereits zu Beginn des zweiten Aktes ist diese<br />

kleine heile Welt fest in Händen der grauen<br />

Herren von der Zeitsparkasse. Die Menschen<br />

können nicht mehr zuhören. Sie sind getrieben: schneller, schneller,<br />

weiter, weiter. Sie schauen auf die Uhr, rennen über die Bühne, kreuz<br />

und quer. Dazu die Melodie – übrigens von Michael Ende –, die<br />

immer schneller wird, bis sie Purzelbäume schlägt. Und bis Momo<br />

sagt: „Wir müssen etwas dagegen tun.“ Sie geht zu Meister Hora, der<br />

ihr die Stundenblume gibt. Damit schafft sie, dass die Menschen<br />

wieder zu sich kommen.<br />

Die grauen Herren von heute sind meist digital …<br />

Absolut. Und sie verhindern die direkte Kommunikation. Ich sehe<br />

das oft in Restaurants: Ehepaare, die während des Essens beide mit<br />

ihren Handys hantieren, aber nicht miteinander reden. Manchmal<br />

glaube ich schon, sie schreiben sich gegenseitig. Es ist verrückt.<br />

Was ist Ihre persönliche Erfahrung mit Zeit?<br />

Ich habe irgendwann mein Handy beiseitegelegt und es nie wieder<br />

hervorgeholt. Es hat mich nervös gemacht, auch wegen meines Herzschrittmachers.<br />

Aber es gab in meinem Leben eine Begegnung, die<br />

an Momo erinnert: Für mich war mein Lehrer Carl Orff so etwas<br />

wie der Meister Hora. Er hatte eine so ruhige Ausstrahlung – bei<br />

ihm blieb die Zeit stehen. Es war eine besondere Beziehung: Mein<br />

Vater war ja im Krieg gefallen, und Orff hatte nur eine Tochter. Seine<br />

Frau meinte einmal, ich sei der Sohn, den er nie bekommen habe.<br />

Sie haben viel von ihm übernommen …<br />

Ja, seine Ruhe und Leichtigkeit hatten durchaus auch Auswirkungen<br />

auf mich und meine Musik.<br />

Was an Momo hat Sie thematisch gereizt – die Zeit?<br />

Mich als Musiker hat noch viel mehr das Thema Zuhören und Zuhörenkönnen<br />

gereizt. Und dass es uns heute verloren<br />

gegangen ist.<br />

Wie aber kann man Zuhören hörbar machen?<br />

Die Zeitdauer spielt eine Rolle. Viele Menschen<br />

macht langsame Musik nervös. Dabei ist dieses<br />

Sichausbreiten doch das Schönste. Ich wollte<br />

auch Intervalle komponieren, die Ruhe ausstrahlen,<br />

Naturtöne, also die Töne, die mitklingen,<br />

wenn man einen Ton anschlägt, ich wollte Klangschalen<br />

benutzen. Tatsächlich ist es ja so, dass man die Leute, die ins Theater<br />

kommen, ins Zuhören bringen muss. Sie sind außer Atem, aufgeregt<br />

– und dann geht das Licht aus. Also muss ich sie erst mal runterholen.<br />

Und so beginnt die Musik erst mal ganz, ganz leise.<br />

Die ersten Takte klingen fast japanisch …<br />

Richtig! Ich bin fasziniert vom japanischen No-Theater. Das beginnt<br />

immer mit einer Nokan – eine Flöte, die das Theater eröffnet. Und<br />

so hab ich den ersten Satz, die erste Szene genannt. Die ersten drei<br />

Zeilen: Man hört fast nichts. Nur im Hintergrund die Besenstriche<br />

von Beppo. Bei Olivier Messiaen gibt es eine Fermate über eine ganze<br />

Seite. So hätte ich das auch gern, denn der Dirigent dirigiert das ja<br />

auch ganz anders als eine normale Fermate.<br />

Wie klingen die grauen Herren?<br />

Da ist richtig was los. Genau das Gegenteil von Momos Ausstrahlung<br />

– ständige Dissonanz. Immer Hochspannung, die nicht aufgelöst<br />

wird. Für die grauen Herren hab ich die großen japanischen<br />

Trommeln, die Schamanentrommeln, die staccatoartig gespielt werden.<br />

Es wird heftiger und intensiver. Die Leute bekommen Angst.<br />

Da merkt man, welchen Einfluss Musik auf die Psyche hat.<br />

Begreifen die Kinder, worum es geht?<br />

Ich glaube schon, dass die Musik das vermittelt, aber natürlich bin<br />

ich befangen. Das kriegen die Leute unbewusst mit. Giora Feidman<br />

hat einmal gesagt, als er in einer meiner Opern die Hauptrolle<br />

gespielt hat: „Das Wichtigste bei Hiller ist nicht nur die Musik, sondern<br />

der Raum zwischen den Tönen.“ So ist das wohl. n<br />

Als Gioachino Rossini in seiner Oper Il Signor Bruschino die<br />

zweiten Violinen mit ihren Geigenbögen an die Notenpulte klopfen<br />

ließ, war das ein waschechter Skandal – heute ein Schmunzelgarant.<br />

Dr. Goeths Kuriosa<br />

SINFONIE FÜR<br />

STABMIXER UND SELLERIE<br />

Ein paar exklusive Beispiele ausgewählt<br />

absonderlicher Geräuschkompositionen.<br />

Wer im 18. Jahrhundert die berühmte Kindersinfonie<br />

schrieb, wissen wir bis heute nicht. Sicher hingegen<br />

ist, dass die Besetzung Instrumente aus der Spielzeugkiste<br />

verlangt: Kuckuck, Wachtel, Ratsche, Orgelhenne<br />

(eine Art Wasserpfeife) und Cymbelstern.<br />

Im 20. Jahrhundert entwarf der Italiener Luigi Russolo um <strong>19</strong>13<br />

raumfüllende Lärm- und Geräuschinstrumente, die „Intonarumori“.<br />

George Gershwin ließ in An American in Paris Autohupen quäken,<br />

György Ligeti im Vorspiel zu Le Grand Macabre. John Cages CREDO<br />

IN US braucht eine Türklingel und Konservenbüchsen. Und Leroy<br />

Anderson verpasste <strong>19</strong>50 in The Typewriter einer Schreibmaschine<br />

die Hauptrolle – inklusive Zeilenende-Pling.<br />

Karlheinz Stockhausens Helikopter-Streichquartett erfordert<br />

neben der herkömmlichen Streicherbesetzung vier Hubschrauber,<br />

deren Rotorengeräusche sich mit dem gewohnten Klang mischen.<br />

Das 1. Deutsche Stromorchester musiziert ausschließlich auf Elektrogeräten<br />

wie Laubsaugern, Toastern und Mixern, während sich The<br />

Vegetable Orchestra der Musik auf Gemüse verschrieben hat – vom<br />

Gurkophon bis zur Sellerie-Percussion.<br />

Und wer bei der Verleihung des Ernst von Siemens Komponistenpreises<br />

2018 an Clara Iannotta ganz genau hinsah, konnte einen<br />

Schlagzeuger dabei beobachten, wie er seinen Brummtopf zur Klangerzeugung<br />

mit einem außergewöhnlichen Hilfsmittel traktierte: Es<br />

war ein Dildo!<br />

25


K Ü N S T L E R<br />

„PERFEKTION ALLEIN<br />

HAT KEINEN WERT!“<br />

Der slowenische Saxofonist Oskar Laznik bedauert, dass sein Instrument<br />

in der klassischen Musik immer noch ein Exot ist. Und ist<br />

mit perfektionistischer Verve auf dem besten Weg, das zu ändern.<br />

VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />

Nicht selten entscheidet über den Beginn einer Liebesbeziehung<br />

der Zufall. So war es auch bei Oskar<br />

Laznik. Als das Saxofon in sein Leben trat, war er acht Jahre alt und<br />

lebte in Hrastnik, einer kleinen Gemeinde in Slowenien. Sein Vater<br />

arbeitete in der Computerbranche, seine Mutter in einem Unternehmen<br />

für Dioden und Gleichrichter. Musik fand in der Familie<br />

so gut wie nie statt. „Wir waren weit weg von klassischer Musik und<br />

Konzerten dieser Art“, sagt Laznik, und entsprechend hatte die Welt<br />

der Töne, der Rhythmen und der Harmonien während der ersten<br />

Jahren seines Lebens kaum eine Rolle gespielt. Dann wurden in<br />

Spannender Dialog: Laznik und<br />

sein Pianist Tadej Horvat<br />

seiner Grundschule verschiedene Instrumente vorgestellt – und der<br />

kleine Oskar traf auf das Saxofon. Es war Liebe auf den ersten Blick.<br />

Bis heute kann er nicht genau sagen, was ihn damals so magisch<br />

anzog. War es das glänzende Blech? Der warm singende Ton? Der<br />

elegante Schwung des Korpus? „Ich habe das Saxofon gesehen und<br />

wusste sofort, dass das mein Instrument ist“, sagt Laznik schlicht,<br />

dann lächelt er versonnen und legt die Hände aneinander.<br />

Oskar Laznik ist ein schmaler junger Mann mit kurzen braunen<br />

Haaren und konzentriertem Blick, der oft erst einmal innehält,<br />

bevor er antwortet. Unprätentiös, ernsthaft und reflektiert ist er<br />

FOTO: ANDREJ GRILC<br />

26 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


einer der spannendsten Saxofonisten seiner Generation und lotet<br />

mit seinem Instrument neue Klangdimensionen aus. Gleichwohl ist<br />

der <strong>19</strong>87 geborene slowenische Musiker bislang ein Geheimtipp in<br />

der Welt der Klassik. Sein Album „Légende“, Mitte <strong>Januar</strong> veröffentlicht,<br />

könnte das ändern.<br />

Nachdem der achtjährige Oskar Laznik sich damals für das<br />

Saxofon entschieden hatte, wurde er sechs Jahre lang an der Musikschule<br />

in Hrastnik unterrichtet. Anschließend ging er nach Ljubljana<br />

auf das Konservatorium für Musik und Ballett. Dort lebte er<br />

im Internat und entdeckte im Musikgymnasium<br />

und in der Stadt eine völlig<br />

neue Welt. „Das war sehr befreiend<br />

für mich“, erinnert er sich. „Das kulturelle<br />

Angebot war viel größer. Es gab<br />

viele Konzerte und Veranstaltungen<br />

– damals ging es für mich musikalisch<br />

wirklich los.“ Und genau ab diesem<br />

Zeitpunkt sei ihm klar gewesen: „Das will ich in meinem Leben<br />

machen: Musik, einfach nur Musik.“ Eine Entscheidung, die der<br />

feinsinnige Musiker in Folge nie mehr infrage stellte. Sein weiterer<br />

Weg ist bis heute ebenso konsequent wie stringent. Die Eltern hätten<br />

ihn dabei womöglich manchmal nicht ganz verstanden, meint Laznik,<br />

doch hätten sie ihn immer unterstützt. „Sie haben gesagt: Du<br />

musst etwas für dich finden, das zu dir passt und dir wichtig ist. In<br />

der Musik hab ich das gefunden.“<br />

Von 2006 bis 2010 besuchte Laznik die Musikakademie in Ljubljana,<br />

parallel dazu begann er, an Wettbewerben teilzunehmen und<br />

gewann zahlreiche Preise. 2010 ging er schließlich nach Köln, um<br />

bei Daniel Gauthier zu studieren. Gauthier war schon lange sein<br />

Vorbild gewesen. „Seine klangliche und musikalische Ausdruckskraft<br />

haben mich schon immer fasziniert und ich wollte unbedingt<br />

bei ihm studieren. Ich habe das Gefühl, dass er die Musik wirklich<br />

lebt“, so Laznik. Er selbst hat sich daran ein Beispiel genommen.<br />

Auch sein eigenes Spiel ist erfüllt von zärtlicher Hingabe an den<br />

musikalischen Moment und zeugt von der hoch konzentrierten und<br />

innigen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Werken. „Bei Gauthier<br />

habe ich gelernt, dass es um viel mehr geht als nur um die technische<br />

Beherrschung“, sagt Laznik. Viel wichtiger seien die ganz<br />

besondere Ausstrahlung eines Klangs und der musikalische Ausdruck.<br />

„Perfektion allein hat keinen Wert“, ist Laznik überzeugt.<br />

Wenn er selbst ein Konzert besuche, gehe es ihm nicht darum, wie<br />

fehlerlos jemand spiele. Viel entscheidender sei, ob der Musiker ihn<br />

emotional berühre. Nichtsdestotrotz neige er selbst zum Perfektionismus,<br />

gesteht Laznik ein. „Ich bin auch im Alltag ziemlich perfektionistisch,<br />

nicht nur in der Musik. Da bin ich eigentlich ziemlich<br />

deutsch“, sagt der Saxofonist und lacht. Parallel zum Studium bei<br />

Gauthier tauchte Laznik in das Kölner Kulturleben ein. Mindestens<br />

dreimal pro Woche besuchte er Konzerte in der Philharmonie,<br />

außerdem ging er oft ins Museum. „Das habe ich extrem genossen“,<br />

erinnert sich Laznik, und auch deshalb sei es für ihn sehr wichtig<br />

gewesen, im Ausland zu studieren.<br />

Heute lebt Oskar Laznik wieder in Ljubljana und unterrichtet<br />

als Professor am dortigen Konservatorium für Musik und Ballett.<br />

Vom ehemaligen Schüler wurde er direkt nach Studienende mit<br />

einem Mal selbst zum Lehrer – ein Schritt, den er nicht bereut hat.<br />

„Ich wollte schon immer auch unterrichten“, sagt Laznik, und das<br />

slowenische Schulsystem sei gerade im Fach Saxofon eines der besten<br />

in Europa. Am Konservatorium unterrichtet Laznik nun Schüler<br />

ES GEHT NICHT DARUM, WIE<br />

FEHLERLOS JEMAND SPIELT.<br />

ENTSCHEIDEND IST, OB DER<br />

MUSIKER EMOTIONAL BERÜHRT<br />

zwischen 14 und 18 Jahren. Und er versucht ihnen das mitzugeben,<br />

was ihm selbst am wichtigsten ist: „offen zu sein für verschiedene<br />

Stile und Werke. Denn die Musik ist so ein großes Feld“. Parallel<br />

dazu konzertiert er regelmäßig und ist als Saxofonist auch immer<br />

wieder Initiator neuer Kompositionen. „Das Saxofon ist ein so junges<br />

Instrument, dass wir als Interpreten gefordert sind, immer wieder<br />

neue Stücke dafür in Auftrag zu geben“, so Laznik. Umso bedeutender<br />

sei daher die zeitgenössische Musik für ihn und seine Kollegen.<br />

Oft nimmt er intensiv teil an der Entstehung eines neuen<br />

Stückes. Dann tauscht er sich aus mit<br />

dem Komponisten, probiert dessen<br />

Ideen auf dem Instrument und feilt mit<br />

am Stück. „Das Saxofon hat in der<br />

klassischen Welt noch immer einen<br />

gewissen Exotenstatus“, sagt Laznik.<br />

Warum das so sei, wisse er selbst nicht,<br />

aber es sei höchste Zeit, das zu ändern.<br />

Der Jazz als eine der Hauptsparten des Saxofons hat ihn dabei nie<br />

besonders interessiert. „Ich war immer sehr traditionell orientiert<br />

und an die klassische Musik gebunden“, erzählt der Musiker, und<br />

gerade die klassische Kammermusik mit anderen Instrumenten sei<br />

für ihn ein Schlüssel zum eigenen Musikverständnis. Dies spiegelt<br />

sich auch auf seinem Album „Légende“ wider, das er zusammen mit<br />

dem Pianisten Tadej Horvat aufgenommen hat. Dialoghaft, ebenbürtig<br />

und innig verbunden treten Saxofon und Klavier hier miteinander<br />

in Beziehung und erschaffen eine lebendige und spannungsvoll<br />

offene Atmosphäre. Das Album ist für Laznik weit mehr<br />

als eine musikalische Momentaufnahme. Es ist ein künstlerisches<br />

Statement mit Gewicht und Strahlkraft. Für sein Debütalbum hat<br />

er ausschließlich Stücke gewählt, die als Originalwerke für Saxofon<br />

geschrieben wurden. Ein Anliegen war ihm dabei, „ganz verschiedene<br />

ästhetische Klangwelten“ aufzuzeigen. Ob bei Paul Hindemiths<br />

Sonate für Altsaxophon und Klavier, dem titelgebenden Stück<br />

Légende op. 54 von Georges Sporck oder Yvan Markovitchs<br />

Complainte et Danse – es ist ihm gelungen. Laznik zeigt sich als<br />

klangsinnlicher und außerordentlich vielseitiger Interpret, der sein<br />

Publikum mit warm strömendem Ton und kompromissloser Präsenz<br />

in den Bann zieht. Sein Spiel ist hierbei von einnehmender<br />

Eleganz und Dichte und führt den Hörer im Zwiegespräch mit dem<br />

Klavierpart in ungeahnte musikalische Räume.<br />

Bei der Erarbeitung von neuen Werken denkt sich Laznik oft<br />

in Streicher oder Sänger hinein, ganz gleich, für welches Instrument<br />

ein Stück ursprünglich komponiert wurde. „Die Phrasierung, die<br />

richtige Balance aus Spannung und Entspannung, die Bedeutung<br />

der musikalisch passenden Atmung – all das sind Dinge, die ich an<br />

Streichern und Sängern sehr natürlich finde und von denen ich mich<br />

inspirieren lasse“, sagt Laznik. Legt er sich in seiner Freizeit einmal<br />

selbst Musik auf, hört er am liebsten Kompositionen für Streichquartett.<br />

Überhaupt seien ihm die Streichinstrumente sehr nahe,<br />

allen voran die Bratsche, und in gewisser Weise versuche er in seinem<br />

eigenen Spiel immer, den Holzklang auf einem Blechblasinstrument<br />

herzustellen. „Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich<br />

das richtige Instrument ausgewählt habe“, sagt<br />

Laznik und lacht. Seine Liebe zum Saxofon aber<br />

hält bis heute an. Und das Schönste daran: Man<br />

kann sie hören.<br />

n<br />

„Légende“, Oskar Laznik, Tadej Horvat (mdg)<br />

27


K Ü N S T L E R<br />

Virtuoses Vexierspiel<br />

Woelfl oder Mozart? Widmann oder Schumann? Die Pianistin Luisa Imorde entdeckt mit tiefer<br />

Sensibilität, einer ernsthaften Prise Humor und leidenschaftlicher Lust an den Tasten kompositorische<br />

Spiegelbilder. Und bringt damit so manchen Kenner ins Grübeln.<br />

VON STEFAN SELL<br />

Wann ich mit dem Klavierspiel begonnen<br />

habe, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich<br />

nicht erinnern, irgendwann einmal nicht<br />

Klavier gespielt zu haben.“ Klavierspielen ist für<br />

Luisa Imorde ein Synonym für leben. Sie entstammt einer Musikerfamilie<br />

und ist bereits mit 29 vielfach preisgekrönt. Es ist nicht nur<br />

das leidenschaftliche Spiel – ihre Ambition für Kontexte und Konnotationen<br />

begeistert ebenso. Die selbstbestimmte Repertoireauswahl<br />

lässt ausgetretene Pfade wieder grünen.<br />

Auf ihrem Debütalbum „Zirkustänze“ verschachtelte sie die<br />

heitere Suite JörgWidmanns und dessen zauberhaften Klavierzyklus<br />

Elf Humoresken raffiniert mit Klavierwerken Robert Schumanns.<br />

Für Widmann, einen der gefragtesten zeitgenössischen Komponisten,<br />

offenbarte sich damit etwas Neues in seinen Werken, Imordes<br />

Funkenüberschlag zwischen romantischer und zeitgenössischer<br />

Tonwelt ist taghell. „Viele Leute haben mir nach Konzerten gesagt,<br />

sie hätten überhaupt nicht mehr gewusst, was ist Widmann und was<br />

ist Schumann.“<br />

Das Pianisten-Duell des Jahres 1798 lautete: Beethoven versus<br />

Woelfl. 220 Jahre später lässt sich behaupten: And the winner is ...<br />

Luisa Imorde! „L’affaire d’honneur“, eine Sache der Ehre, heißt ihr<br />

verzauberndes Album, auf dem sie sich in beide hineinversetzt und<br />

aus der jeweiligen Perspektive die Wettbewerbsbeiträge spielt.<br />

Musik, die vertraut scheint, darf wieder unvertraut klingen. Durchdacht<br />

und ausgeklügelt hat sie die Werke angeordnet und mit viel<br />

Verve den Tasten übergeben. „Ich möchte die Werke zweier Komponisten<br />

so in Bezug setzen, dass sich daraus etwas Drittes ergibt.<br />

Ich finde es genial, dass man das mit älterer Musik noch machen<br />

kann, wo man doch immer denkt, wir kennen alles, und was man<br />

heute nicht mehr kennt, war eben schlecht und nicht hörenswert.“<br />

Joseph Woelfl war seinerzeit ein Starpianist mit Gagen, von<br />

denen ein Beethoven nur träumen konnte: „Woelfl muss im Schnitt<br />

drei Konzerte pro Woche gespielt haben. Ich weiß nicht, wer das<br />

Newcomer<br />

Pianistin<br />

Luisa Imorde<br />

heute noch macht, Yuja Wang wahrscheinlich oder Lang<br />

Lang in seinen Spitzenzeiten. Woelfl war wahnsinnig fleißig,<br />

hat 60 Klaviersonaten, zehn Klavierkonzerte, Sinfonien und<br />

alles mögliche geschrieben. Dabei ist er nur 38 geworden. Bei Beethoven<br />

lag der Fokus nicht so sehr auf dem Konzertieren, er hatte<br />

vielleicht mehr Zeit zu schreiben.“<br />

Luisa Imorde reproduziert nicht einfach. Sie weiß intelligent<br />

austarierte Nuancen zu setzen, die das Hörerlebnis zur inspirierenden<br />

Freude werden lassen: Der Vorhang öffnet sich, und der Zuhörer<br />

darf dabei sein in diesem Winter 1798 in Wien. Woelfl wie Beethoven<br />

spielen Variationen des Salieri-Duetts La stessa aus der Oper<br />

Falstaff. Woelfls Klaviersonate WoO 113 steht Beethovens Pathétique<br />

ebenbürtig ausgereift gegenüber. All das spielt sie, als seien es<br />

Vexierbilder, von denen Kafka sagt: „Das Versteckte in einem<br />

Vexierbild sei deutlich und unsichtbar.“<br />

Ihre Repertoireauswahl ist ein Dialog, der im Ungleichen Gleiches<br />

enthüllt und Gleichzeitigkeit wie gleich Gültiges in der Musik<br />

demonstriert. Für den Hörer eine Einladung teilzuhaben. Imorde entdeckt<br />

das Versteckte so, dass – wie bei Widmann und Schumann –<br />

selbst Kenner ins Grübeln kommen: „Ich habe im Konzert Beethoven-<br />

und Woelfl-Variationen gespielt, ohne zu verraten, was von<br />

wem ist, und das Publikum lag falsch. Es waren Musikwissenschaftler<br />

im Publikum, die dachten, Woelfl sei Beethoven und Beethoven<br />

sei Woelfl. Das war für mich natürlich der größte Erfolg. Ich dachte,<br />

wie toll, das Konzept funktioniert, der Wettbewerb auch (sie lacht<br />

herzlich). Jeder Musikkenner sagt (und sie imitiert die Seriosität der<br />

Fachsimpler): ‚Natürlich erkenne ich Beethoven!‘ “ Entdecken wir<br />

mit Luisa Imorde Beethoven neu und Woelfl<br />

gleich dazu!<br />

■<br />

Joseph Woelfl: „L’affaire d’honneur“, Luisa Imorde (Berlin Classics)<br />

Track 9 auf der <strong>CRESCENDO</strong>-CD: Sonate précédée d’une introduction<br />

et fugue c-Moll WoO 113. III. Allegro molto von Joseph Woelfl<br />

FOTO: JULIA WESELY<br />

28 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


HÖREN & SEHEN<br />

Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz<br />

Attila Csampais Auswahl (Seite 30)<br />

<strong>CRESCENDO</strong>-Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören?<br />

Kein Problem: Auf www.crescendo.de finden Sie unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören!<br />

Sol Gabetta<br />

Wunderbare Erfüllung<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Gleich zwei ver trau te musi ka li sche Part ner hat die Cel lis tin Sol Gabet ta für ihr neu es Album mit Werken<br />

von Robert Schu mann aus ge wählt. Das im Ori gi nal für Horn kom po nier te Adagio und Alle gro, die drei<br />

Fan ta sie stü cke (ursprüng lich für Kla ri net te) und die Fünf Stü cke im Volks ton präsentiert sie mit ihrem langjäh<br />

ri gen Kam mer mu sik part ner, dem Pia nis ten Bert rand Cha ma y ou. Gemein sam erschaffen sie ein geistrei<br />

ches, bun tes Bild die ser kurz wei li gen Wer ke. Für ihre ers te Ein spie lung des mäch ti gen Cellokonzerts<br />

hat Gabet ta wie der ein mal das Kam mer or ches ter Basel unter der Lei tung von Gio van ni Anto ni ni an<br />

ihrer Sei te. In allen Stü cken besticht sie mit ihrem war men, run den Klang und der sen si blen Phra sen gestal<br />

tung. Durch Satz be zeich nun gen wie „nicht zu schnell“, „mit Humor“ oder „zart und mit Aus druck“<br />

lässt Schu mann wenig Zwei fel an sei nen Vor stel lun gen, die hier eine wun der ba re Erfül lung fin den. Sol<br />

Gabet ta beweist wie der ein mal ihre außer ge wöhn li chen cel lis ti schen und musi ka li schen Fähig kei ten. SK<br />

Robert Schu mann: Sol Gabet ta,<br />

Bert rand Cha ma y ou, Kam mer or ches ter<br />

Basel, Gio van ni Anto ni ni (Sony)<br />

FOTO: DAVID MAUPILE<br />

29


H Ö R E N & S E H E N<br />

Empfehlungen von Attila Csampai<br />

FASZINIERENDE NEWCOMER UND<br />

ANDERE MUSIKMAGIER<br />

… begeistern unseren Chefrezensenten im neuen Jahr.<br />

MOZART: PIANO CON CERTO NO 20 K 466,<br />

SONATAS K 281 & K 332<br />

Seong-Jin Cho, Chamber Orchestra of Europe,<br />

Yannick Nézet-Séguin (DG)<br />

Der große russische Mozart-Experte Georgi W.<br />

Tschitscherin spürte in dessen Musik die „Urkräfte<br />

des Universums“. Was er damit gemeint haben<br />

könnte, kann man jetzt auf dem ersten Mozart-Album der südkoreanischen<br />

Klavier-Hoffnung Seong-Jin Cho im Klang erleben. Selten<br />

entlockte ein junger Pianist im Wechselspiel mit dem ähnlich aufgekratzten<br />

Chamber Orchestra of Europe dem populären d-Moll-Konzert<br />

solche existenzielle Kraft, solche geballte, dramatische Wucht. Hier<br />

treffen, wie im Don Giovanni, stärkster Lebenswille und schicksalshafte<br />

Gegenmächte unvermittelt aufeinander und liefern dem Hörer<br />

ein hochdramatisches, dabei glasklar durchgezeichnetes Szenario<br />

schärfster Gefühlskontraste. Vor wenigen Monaten erst überraschte<br />

uns der 24-jährige Wahl-Berliner durch sein kalligrafisch-feingliedriges<br />

Debussy-Album, das meditativen Klangzauber verströmte. Dagegen<br />

wirkt sein Mozart-Zugriff geradezu energisch und schlackenlos<br />

prägnant und entfacht jugendliches Feuer und ungestüme Lebenskraft.<br />

Diesen klaren, hellwachen Blick auf Mozarts impulsreiche Dramatik<br />

kultiviert Cho dann auch in den beiden Sonaten KV 281 und 332,<br />

denen er einen ähnlichen Reichtum an Gefühlskontrasten abtrotzt.<br />

Hier bezieht ein hochtalentierter Newcomer und ausgeschlafener<br />

Mitstreiter Gegenposition zu den Armeen von blassen<br />

Mozart-Säuslern.<br />

SCHUBERT 1828: PIANO SONATAS D. 958, 959,<br />

960, 3 KLAVIERSTÜCKE D. 946<br />

Alexander Lonquich (Alpha)<br />

Track 2 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />

Klaviersonate Nr. <strong>19</strong> c-Moll, D. 958, II. Adagio<br />

Keine Frage, dass Schuberts letzte drei Klaviersonaten,<br />

die er zwei Monate vor seinem Tod vollendete,<br />

zu den Gipfelwerken der Gattung zählen. Aber nur wenige<br />

Pianisten vermochten deren unglaubliche innovative Substanz und<br />

das Ausmaß des Tragischen überzeugend umzusetzen, da die meisten,<br />

unter dem Eindruck von Schuberts äußeren Lebensumständen, das<br />

Fiebrig-Kränkelnde, Depressiv-Verhangene und die lähmende Todesnähe<br />

in den Vordergrund rückten. Auch der heute 58-jährige Alexander<br />

Lonquich unterstreicht im Booklet-Text seiner neuen, schlackenlos<br />

klaren Einspielung der Trias deren „betont erzählerischen<br />

Charakter“ und deutet sie als „fortlaufende Geschichte eines einzigen<br />

Romans“. Und dennoch durchleuchtet er ihre strukturelle Komplexität,<br />

ihre harmonischen Kühnheiten und emotionalen Abgründe mit<br />

Beethovenscher Rigorosität und einer dem Kompositionsprozess folgenden<br />

Klarheit und Stringenz, die diese letzten Arbeiten als Manifeste<br />

visionärer Modernität und einer mit neuen Inhalten gefüllten Wahrhaftigkeit<br />

ausweisen: Lonquichs faszinierende Anschlagskultur, sein<br />

perfektes, flexibles Timing, seine schlackenlose Prägnanz und sein<br />

dramatisch geschärfter, stets plausibler Erzählstrom enthüllen die tiefe<br />

Trost- und Ausweglosigkeit dieser Werke in ungeschützter, entblößter<br />

Klarheit und verweigern entschieden jede Spur von falscher Gefühligkeit.<br />

Das ist fesselnd und erschütternd zugleich.<br />

MENDELSSOHN: PIANO CONCERTOS 1 & 2,<br />

RONDO BRILLANT, OUVERTURE<br />

„DIE HEBRIDEN“<br />

Roberto Prosseda, Residentie Orkest The Hague,<br />

Jan Willem de Vriend (Decca)<br />

Mendelssohns Ächtung durch die Nazis ist bis<br />

heute nicht überwunden. Noch immer ist das<br />

Interesse des breiten Publikums und vieler Musiker auf wenige Werke<br />

beschränkt, während vieles andere, wie etwa sein umfangreiches Klavierwerk,<br />

ein klägliches Schattendasein fristet. Hier zählt der italienische<br />

Pianist Roberto Prosseda zu den weltweit führenden Mendelssohn-Aktivisten,<br />

denn er hat nicht nur als Erster das gesamte Solo-Klavierwerk<br />

modellhaft eingespielt, sondern auch eine Reihe verschollener<br />

Stücke wiederentdeckt. Jetzt hat er mit dem traditionsreichen Residentie<br />

Orkest aus Den Haag und seinem Chef Jan Willem de Vriend<br />

die beiden reifen Klavierkonzerte in g-Moll und d-Moll in einer elektrisierend<br />

frischen, ungestüm drängenden und historisch herben Interpretation<br />

aufgenommen und so zwei Meisterwerken der frühen<br />

Romantik eine in jedem Moment spannungsreiche und aufregende<br />

Klanggestalt verliehen. Dass er dem derzeit herrschenden Trend zu<br />

historischen Fortepiani widersteht und seine stets prägnante Artikulation<br />

lieber auf einem modernen Fazioli-Flügel glasklar ausformuliert,<br />

unterstreicht die zeitlose Modernität und die virtuose Brillanz dieser<br />

ewig jungen Konzerte, die die Schönheit und das humane Antlitz des<br />

Mozart’schen Erbes in sich tragen und genialisch weiterentwickeln.<br />

Das Rondo Brillant fungiert da als virtuos funkelndes, ähnlich temperamentvolles<br />

Bindeglied zwischen den Konzerten.<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

30 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


IMPRESSUM<br />

BEETHOVEN: SYMPHONY NO. 3 „EROICA“,<br />

BRAHMS: VARIATIONS ON A THEME BY HAYDN<br />

Maxim Emelyanychev, Nizhny Novgorod Soloists<br />

Chamber Orchestra (Aparté)<br />

Maxim Emelyanychev zählt zu den größten Hoffnungen<br />

der russischen Musikszene. Seit 2016 leitet<br />

er das renommierte Barockensemble Il pomo<br />

d’oro. Für sein Dirigenten-Debüt hat er sich zwei sinfonische Kronjuwelen<br />

ausgesucht: Wer sich heute an Beethovens Eroica herantraut,<br />

muss über Zauberkräfte verfügen, um das alte Schlachtross in ein<br />

Rennpferd zu verwandeln. Doch Emelyanychev meistert die Verjüngungskur<br />

mit tänzerischer Unbekümmertheit und Anmut, die alles<br />

heroische Pathos, allen Titanismus, alle romantische Bedeutungsschwere<br />

von ihm abfallen lassen und es in die schlanken, spielerisch<br />

drängenden Bewegungsmuster einer klassischen Sinfonie zurückführen.<br />

Mit historisch orientierter, leichtfüßiger Transparenz verweisen<br />

seine Nizhny Novgorod Soloists wieder auf die strukturelle Logik von<br />

Beethovens revolutionärer Satztechnik und entfachen mit riesigen<br />

Atembögen eine sog artige Stringenz, die ohne äußeren Druck die<br />

Musik selbst sprechen lässt. Mit ähnlich frischem Puls entstaubt Emelyanychev<br />

auch Brahms’ Haydn-Variationen und durchglüht sie mit<br />

jugendlichem Feuer.<br />

SALUT D’AMOUR<br />

Sueye Park, Love Derwinger (BIS)<br />

Dass sie zu den herausstechendsten Begabungen<br />

der gar nicht so dichten jungen Geigerszene<br />

gehört, hat die in Berlin ausgebildete Koreanerin<br />

Sueye Park schon im vergangenen Jahr mit ihrem<br />

musikalisch wie technisch exzellenten Debütalbum<br />

und den 24 Solo-Capricen Paganinis spektakulär unterstrichen.<br />

Jetzt gibt es ein weiteres Manifest geigerischer Perfektion mit ähnlich<br />

unspielbaren romantischen Encores, diesmal mit einfühlsamer Klavierbegleitung<br />

durch Love Derwinger und gespickt mit zwei weiteren<br />

grausamen Solonummern wie Milsteins Paganiniana und Heinrich<br />

Wilhelm Ernsts Die letzte Rose. Was die erst 17 Jahre junge Violinhexe<br />

hier wieder abliefert, ist nicht nur von technischer Makellosigkeit und<br />

virtuoser Brillanz, die einem den Atem rauben, sondern verströmt<br />

eine schier unglaubliche stilistische Souveränität und Reife. Sueye Park<br />

knüpft damit an die großen alten Ikonen des Violinspiels an, die alle<br />

Zauberer waren und in der Lage, auch diese Petitessen in den Rang<br />

von Kunstwerken zu heben. Ihr Album entführt uns in eine längst<br />

vergangene Welt der musikalischen Schönheiten: simply irresistible!<br />

VERDI: MACBETH<br />

Shirley Verett, Piero Cappuccilli, Nicolai Ghiaurov,<br />

Plácido Domingo, Core e Orchestra del Teatro alla<br />

Scala, Claudio Abbado (DG)<br />

Bei Verdis Oper Macbeth ist Maria Callas’ sensationeller<br />

Scala-Auftritt im Jahr <strong>19</strong>52 bis heute der<br />

Maßstab geblieben: Die erste rundum überzeugende<br />

Studioaufnahme gelang Claudio Abbado erst 24 Jahre später,<br />

als er die gefeierte Scala-Produktion Giorgio Strehlers für die Schallplatte<br />

nachproduzierte. Diese auch akustisch exzellente Referenzaufnahme<br />

gibt es jetzt in einem neuen digitalen Remaster, und sie hat<br />

nichts eingebüßt von ihrer jugendlichen Frische, ihrer scharfen, rhythmischen<br />

Attacke und ihrer fesselnden Klarheit. Es ist bis heute die im<br />

Orchesterspiel sorgfältigste, in der vokalen Gesamtleistung homogenste<br />

Einspielung dieser finsteren Oper geblieben, die in den männlichen<br />

Partien mit Piero Cappuccilli (Macbeth), Nicolai Ghiaurov<br />

(Banco) und Plácido Domingo (Macduff) die damals weltweit führenden<br />

Akteure aufbot. Auch Shirley Verett lieferte ein hochdramatisches<br />

Porträt der Lady, wenngleich ihr das entscheidende Quantum vokalen<br />

Gifts fehlte, während der junge Abbado das Kunststück fertigbrachte,<br />

den nötigen theatralischen Furor mit einer an Pedanterie grenzenden<br />

Präzision im Orchester und bei den Chören zu verknüpfen.<br />

VERLAG<br />

Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München<br />

Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11, info@crescendo.de, www.crescendo.de<br />

Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger<br />

und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring<br />

HERAUSGEBER<br />

Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de<br />

VERLAGSLEITUNG<br />

Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />

ART DIRECTOR<br />

Stefan Steitz | steitz@crescendo.de<br />

LEITENDE REDAKTEURIN<br />

Barbara Schulz | schulz@crescendo.de<br />

RESSORT „SCHWERPUNKT“<br />

Dr. Maria Goeth | goeth@crescendo.de<br />

RESSORT „HÖREN & SEHEN“ UND „ERLEBEN“<br />

Ruth Renée Reif | reif@crescendo.de<br />

RESSORT „STANDARDS”<br />

Klaus Härtel | haertel@crescendo.de<br />

RESSORT „KÜNSTLER“ UND „LEBENSART“<br />

Barbara Schulz | schulz@crescendo.de<br />

SCHLUSSREDAKTION<br />

Maike Zürcher<br />

KOLUMNISTEN<br />

Axel Brüggemann, Paula Bosch, Attila Csampai (AC), Ioan Holender,<br />

Daniel Hope, Lars Reichardt, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)<br />

MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />

Florian Amort (FA), Roland H. Dippel (DIP), Alexander Fischerauer (AF),<br />

Verena Fischer-Zernin, Philipp Hontschik, Klaus Kalchschmid (KLK),<br />

Sina Kleinedler (SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Guido Krawinkel (GK),<br />

Jens F. Laurson (JFL), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Alexander Rapp (LXR),<br />

Steffen Schleiermacher, Antoinette Schmelter-Kaiser (ASK), Stefan Sell (SELL),<br />

Fabian Stallknecht (FS), Dorothea Walchshäusl (DW), Walter Weidringer (WW)<br />

VERLAGSREPRÄSENTANTEN<br />

Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />

Kulturbetriebe: Dr. Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de<br />

Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de<br />

Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de<br />

AUFTRAGSMANAGEMENT<br />

Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de<br />

GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE<br />

Nr. 22 vom 09.09.2018<br />

DRUCK<br />

Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig<br />

VERTRIEB<br />

PressUp GmbH, Wandsbeker Allee 1, 22041 Hamburg, www.pressup.de<br />

ERSCHEINUNGSWEISE<br />

<strong>CRESCENDO</strong> ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert häusern, im<br />

Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei träge<br />

bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des<br />

Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung,<br />

auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.<br />

ABONNEMENT<br />

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Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende Premium-CDs und kostet<br />

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Verbreitete Auflage:<br />

69.680 (lt. IVW-Meldung 1V/2018)<br />

ISSN: 1436-5529<br />

(TEIL-)BEILAGEN / BEIHEFTER:<br />

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks<br />

DAS NÄCHSTE <strong>CRESCENDO</strong><br />

ERSCHEINT AM 15. MÄRZ 20<strong>19</strong>.<br />

<strong>CRESCENDO</strong><br />

unterstützt<br />

31


H Ö R E N & S E H E N<br />

FOTO: NANCY HOROWITZ<br />

Mozarteumorchester<br />

Fragment im Fiebertraum<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Dieser (Uraufführungs-)Mitschnitt aus dem Salzburger<br />

Mozarte um von 2005 ist doppelt spannend. Erstens, weil<br />

Mozarts Requiem ohne jede Ergänzung erklingt und somit<br />

radikal ein Torso bleibt. Das fokussiert das Hörerlebnis<br />

auf das Wesentliche, also das, was Mozart ursprünglich<br />

nie dergeschrieben hat: den vierstimmigen<br />

Vokalsatz. Zweitens, weil Georg Friedrich Haas<br />

in die Leerstellen sie ben Klangräume setzt und<br />

mit seinem Auftragswerk expressiv auf Mozart<br />

reagiert – in der Anmutung, wir würden in die<br />

Fieberträu me des Sterbenden hineinlauschen.<br />

Nach dem Lacrimosa bedeutet das geräuschhafte<br />

Kargheit, ansonsten bildet ein Brieftext von 1791<br />

die Grundlage: jenes in star rem Bürokratendeutsch abgefass<br />

te Schreiben, in dem Mozart eine unbezahlte Stelle<br />

am Stephansdom zugesprochen bekommt. Im Gan zen<br />

klingt das nicht nur historisch und zeitgenössisch informiert,<br />

son dern auch beklem mend, tröst lich<br />

und erha ben zugleich. WW<br />

Mozart: „Requi em KV 626“, Georg Haas: „Sie ben<br />

Klang räu me“, Salz bur ger Bach chor, Mozarteumorchester<br />

Salzburg, Ivor Bol on (Belvedere)<br />

Sabine Devieilhe und Lea Desandre<br />

Liebe in allen<br />

Facetten<br />

GESANG<br />

Als Georg Fried rich Hän del 1707 nach Rom kam, waren Opern auffüh run gen ver boten.<br />

Nach einem Erd be ben hat te der Papst sie für über flüs si gen Luxus erklärt. Doch<br />

welt li che Kan ta ten, kur ze dra ma ti sche Sze nen in klei ner Beset zung waren davon<br />

nicht betroffen. Also kom po nier te Hän del kur zer hand in die ser Form. Sei ne Kan taten<br />

han deln von den ganz gro ßen Gefüh len: Lie be in allen tra gi schen, dra ma ti schen<br />

und glück li chen Facet ten. Drei wun der ba re Künst le rin nen haben sich in die se Wer ke<br />

ver tieft: die Sän ge rin nen Sabi ne Devi eil he und Lea Desand re und die Cem ba lis tin und<br />

Diri gen tin Emma nu el le Haïm mit ihrem Barock ensem ble Le Con cert d’Astrée.<br />

Gemein sam ist ihnen eine Ein spie lung gelun gen, die den Hörer sofort in den Bann<br />

der über 300 Jah re alten Musik zieht. Desand re zeigt beson ders in der tra gi schen<br />

Rol le der Lucre zia eine fas zi nie ren de Kraft und Fle xi bi li tät ihrer Stim me. Devi eil he,<br />

als die von ihrem Gelieb ten Rinal do ver las se ne Zau be rin Armi da, ist aus drucks stark<br />

suchend, seh nend. SK<br />

Hän del: „Ita li an Can ta tas“, Sabi ne Devi eil he, Lea Desand re, Le Con cert d’Astrée,<br />

Emma nu el le Haïm (War ner)<br />

32 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


SOLO<br />

Mel Mercier<br />

Füllhorn des<br />

Lebens<br />

Von Beginn an keimt die Erin ne rung an<br />

John Cages zeit los wun der ba res Hörepos<br />

Roara to rio, des sen Fähr te Mer cier<br />

auf nimmt. Das Album klingt wie aus<br />

einem Guss, obwohl der iri sche Sound-<br />

Desi gner Thea ter mu si ken aus ver schiede<br />

nen Schaffens pe ri oden zusam men gestellt<br />

hat. Jede für sich ist eine Col la ge<br />

von Stim men, Tönen, Rhyth men, Melodi<br />

en und Rezi ta ti ons split tern, die wie<br />

Ton trop fen zu einem Oze an des Klangs<br />

wer den. Der Ver weis auf Cage kommt<br />

nicht von ungefähr,<br />

haben doch<br />

Mel Mer cier und<br />

sein Vater Pea dar<br />

Mer cier, ehe mals<br />

Mit glied der<br />

Chief tains, in<br />

Roara to rio mit<br />

der aus ge wo ge nen Bril lanz ihres<br />

Bodhrán spiels für die ver knüp fen de<br />

Rhyth mik gesorgt. Der Vor gang des<br />

Recom po sing and Remi xing hat die einzel<br />

nen Stü cke aus ihrem frü he ren Kontext<br />

befreit und ihnen ein neu es Eigen leben<br />

ver lie hen, das in kel tisch bud dhis tischer<br />

Lee re das Füll horn des Lebens<br />

zeigt. Groß ar tig und hörens wert. SELL<br />

Mel Mercier: „Testament“ (Hersey)<br />

Elmira Darvarova und Zhen Chen<br />

Gemeinsame<br />

Spielfreude<br />

Dem Duo Elmi ra Dar va ro va und Zhen Chen<br />

gelingt es mühe los, den Brahms-Sona ten einen<br />

leben di gen Atem ein zu hau chen. Die Leich tig keit<br />

in den Alle gro-Sät zen har mo niert wun der bar<br />

mit den melan cho li schen und erns te ren Tei len<br />

wie dem Ada gio der G-Dur-Sona te. In wei ser<br />

Vor aus sicht hütet sich das Duo vor jeg li chem<br />

über trie be nen Pathos. Statt des sen ste hen<br />

gemein sa me Spiel freu de, musi ka li sche Erzählkunst<br />

und melo diö ser Gestal tungs wil le im Vorder<br />

grund. Über haupt ist das Zusam men spiel<br />

zwi schen den bei den Instru men ten ganz besonders<br />

aus ge wo gen. Chen zeigt sich als ein fühl samer<br />

Beglei ter, der einen idea len Klang tep pich<br />

für die gra zi len Kan ti le nen Dar va ro vas aus breitet.<br />

Die se ent lockt ihrer Vio li ne eben so fei ne<br />

wie auch mar kan te Töne und über zeugt besonders<br />

in der span nungs rei chen Aus ge stal tung der<br />

gro ßen Brahms’schen Satz struk tu ren. Da fal len<br />

ein paar klei ne into na to ri sche Eigen wil lig kei ten<br />

nicht wei ter ins Gewicht. Durch gän gig inspi riert<br />

und über zeu gend. AF<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Brahms: „The Com ple te Sona tas<br />

for Vio lin and Pia no“, Elmi ra<br />

Dar va ro va, Zhen Chen (Solo<br />

Musi ca)<br />

Track 6 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />

Abo-CD: Sonate für Geige &<br />

Klavier Nr. 3 d-Moll, II. Adagio<br />

Oscar Peterson<br />

Easy-Listening-Jazz<br />

vom Feinsten<br />

Jazz-Puris ten hal ten Oscar Peter sons LP<br />

„Motions & Emo ti ons“ für einen Fehl tritt.<br />

Nach einer Rei he exzel len ter Trio-Alben produ<br />

zier te der kana di sche Kla vier gi gant im Jahr<br />

<strong>19</strong>69 für das Schwarz wäl der Jazz-Label MPS<br />

ein mit ra f inier ten Blä ser- und Strei cher -<br />

arrangements von Claus Ogerman angereichertes<br />

Album, auf dem er aktu el le Pop- und<br />

Bos sa-Nova-Hits von Tom Jobim, den Beat les<br />

oder Hen ry Man ci ni im typi schen Soft Sound<br />

der Zeit zu ver träum ten oder auch sanft<br />

swin gen den „Easy-Listening“-Appetizern verwan<br />

del te, zugleich aber auch hier sei ne<br />

unglaub li che Krea ti vi tät und Vir tuo si tät aufblit<br />

zen ließ. Jetzt hat Edel die ses Uni kum<br />

remas te rt und Start rom pe ter Till Brön ner als<br />

„Ambassa dor“ gewon nen, der im Book let in<br />

höchs ten Tönen davon schwärmt. Tat säch lich<br />

han delt es sich um ein authen ti sches Dokument<br />

des damals herr schen den musi ka li schen<br />

Zeit geis tes und um ein in sei ner Art per fek tes<br />

Arte fakt nobler Unter hal tung. AC<br />

Oscar Peter son: „Moti ons<br />

& Emo ti ons“ (MPS)<br />

JAZZ<br />

SOLO<br />

Boris Giltburg<br />

Gespür für<br />

Zwischentöne<br />

Boris Gilt burg eröff net sei ne Liszt-Ein spie lung mit<br />

der lyri schen Rigo let to-Para phra se, in der er den<br />

Hörer durch eine bezau bern de Sang lich keit sofort<br />

in den Bann zieht. Sei ne dyna mi sche Gestal tung<br />

wie auch der Umgang mit Klang far ben zeu gen von<br />

einem beson de ren Gespür für fei ne Zwi schentö<br />

ne, nicht zuletzt in den vir tuo sen Pas sa gen der<br />

tech nisch unge heu er her aus for dern den Étu des<br />

d´exécution trans cen dan te. Die Inter pre ta ti on der<br />

zwölf Etü den zeich net sich durch einen feu riglei<br />

den schaft li chen Ges tus aus, wobei Gilt burg es<br />

ver steht, die Klang mög lich kei ten des Kla viers voll<br />

und ganz aus zu schöp fen. Im Lyri schen zärt lich und<br />

bewe gend, im Vir tuo sen auf brau send und lei denschaft<br />

lich – Gilt burg beweist, dass Franz Liszts<br />

berühm te Etü den weit mehr zu bie ten haben als<br />

blo ße Vir tuo senkunst. AF<br />

Liszt: „Étu des d’exécution<br />

trans cen dan te“, Boris Gilt burg (Naxos)<br />

Track 7 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />

No. 12 b-Moll „Chasse-neige“,<br />

Andante con moto<br />

FOTO: SASHA GUSOV<br />

33


H Ö R E N & S E H E N<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

René Jacobs<br />

Farbenreich und<br />

vielschichtig<br />

Mit den Sin fo ni en Nr. 1 und Nr. 6 sind auf diesem<br />

Album zwei packen de Früh wer ke Franz<br />

Schu berts zu erle ben, die die sen als eben so<br />

lebens freu di gen wie rin gen den Men schen<br />

offen ba ren. René Jacobs erweckt sie mit seinem<br />

B’Rock Orches tra far ben reich und vielschich<br />

tig zum Leben und fas zi niert dabei mit<br />

einem erfri schend ande ren und direk ten<br />

Zugang zu den Jugend wer ken. Dabei betont er<br />

eben so humor voll, kon trast reich und hin tersin<br />

nig die kar ne val es ken Sei ten der Stü cke,<br />

wie er die dra ma ti schen und düs te ren Phra sen<br />

aus ge stal tet. Das B’Rock Orches tra über zeugt<br />

unter sei ner Lei tung als inten siv und dicht aufspie<br />

len der Klang kör per mit his to ri schen<br />

Instru men ten, der dabei nie an Trans pa renz<br />

ein büßt. Licht und Schat ten, höchs te Freu de<br />

und tie fe Melan cho lie lie gen bei der packenden<br />

Inter pre ta ti on der zwei Sin fo ni en stets<br />

eng bei ein an der und zei gen Schu bert in sei ner<br />

gan zen musi ka li schen Fül le. DW<br />

Schu bert: „Sym pho ny No. 1<br />

& No. 6“, B’Rock Orches tra,<br />

René Jacobs (Pen ta to ne)<br />

Track 1 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />

Abo-CD: Sinfonie Nr. 6 C-Dur,<br />

D. 589, II. Andante<br />

Concentus Musicus Wien<br />

Vollendet<br />

Nie klang Schu berts Unvoll ende te so vollendet<br />

wie in die ser voll kom me nen Einspie<br />

lung des Con cen tus Musi cus Wien<br />

unter Ste fan Gott fried. Bereits als<br />

Teen ager Fan des Ensem bles, war Gottfried<br />

lan ge Har non courts Assis tent und<br />

lei tet seit 2016 die ein zig ar ti ge Musi kerver<br />

bin dung. Schu bert, der nur zwei Sät ze<br />

zu sei ner h-Moll-Sin fo nie hin ter ließ, lässt<br />

bis heu te die Exper ten rät seln. Auch die<br />

Vari an te, Schu bert selbst hät te sie als<br />

voll endet betrach tet, ist eine der Deu tungen.<br />

Das von Schu bert skizzierte Trio<br />

Scherzo Alle gro wur de oft von frem der<br />

Feder aus kom po niert, sel ten so ra f iniert<br />

und ein fühl sam wie hier vom ita lie ni schen<br />

Kom po nis ten Nico la Sama le und dem<br />

deut schen Musik for scher Ben ja min-<br />

Gun nar Cohrs. Die Krö nung der CD<br />

sind Schu berts von Brahms und Webern<br />

orches trier te Lie der, deren viel sa gen de<br />

Inter pre ta tio nen des Aus nah me-Bass ba ritons<br />

Flo ri an Boesch tief berüh ren. SELL<br />

„Schu bert Unfinished“:<br />

Flo ri an Boesch,<br />

Con cen tus Musi cus<br />

Wien, Stefan Gottfried<br />

(Aparte)<br />

TANZ<br />

Juilliard String Quartet<br />

Meilensteine der<br />

Kammermusik<br />

Das Juil li ard String Quar tet zählt zu den<br />

unbe strit te nen Gigan ten unter den Strei cheren<br />

sem bles. Mit te der <strong>19</strong>40er-Jah re reg te<br />

Wil liam Schu man, Lei ter der renom mier ten<br />

Juil li ard School in New York, die Grün dung<br />

eines Resi denz-Quartetts an. Die Musi ker<br />

soll ten älte res Kernrepertoire mit neu er Frische<br />

prä sen tie ren und sich ernst haft mit<br />

Wer ken aus der Gegen wart befas sen. Den<br />

hohen Erwar tun gen wird das Ensem ble seit<br />

Jahr zehn ten gerecht. Mit Ein spie lun gen von<br />

Wer ken Mozarts, Haydns, Beet ho vens, Schuberts,<br />

Bergs oder Car ters hat es inter na tio nal<br />

Maß stä be gesetzt. In der vor lie gen den Box<br />

sind die Gesamt auf nah men für das Label RCA<br />

zwi schen <strong>19</strong>57 und <strong>19</strong>60 ver sam melt. Mit Elan<br />

und Akku ra tes se inter pre tiert das Quar tett<br />

Schu berts Der Tod und das Mäd chen eben so<br />

wie Stü cke von Debus sy und Ravel. Die elf<br />

CDs umfas sen de Box bie tet einen fas zi nie renden<br />

Rück blick auf eine Zeit, in der noch legendä<br />

re Grün dungs mit glie der wie Robert Mann<br />

und Rapha el Hil ly er<br />

dabei waren. CK<br />

„The Com ple te Record ings<br />

<strong>19</strong>57 –60“, Juil li ard String<br />

Quar tet (Sony)<br />

André Previn<br />

Spielerische<br />

Frische und Feuer<br />

Para dox genug: Bis heu te steht die vier ak ti ge,<br />

zwei ein halb Stun den lan ge „ori gi na le“ Bal lett mu sik<br />

zu Shake speares Romeo und Julia, die Ser gei Pro kofjew<br />

<strong>19</strong>36 voll ende te, im Schat ten der drei spek taku<br />

lä ren Orches ter sui ten. Jetzt hat War ner eine<br />

Modellauf nah me der 52-tei li gen Bal lett mu sik auf<br />

drei 180-g-Vinyls wie derauf ge legt, die André Previn<br />

<strong>19</strong>73 in Lon don mit dem Lon don Sym pho ny<br />

Orches tra pro du zier te und die bis heu te nichts<br />

ein ge büßt hat von ihrer betö ren den Far ben pracht,<br />

ihrer spie le ri schen Fri sche und ihrem dra ma ti schen<br />

Feu er. Man staunt vor allem über die sti lis ti sche<br />

Viel falt Pro kof jews, der hier stän dig die Hal tung<br />

wech selt zwi schen Klas si zi tät, Moto rik, Lyris mus<br />

und Gro tes ke. Allein für das tra gi sche Lie bes paar<br />

erfin det er mehr als 20 ver schie de ne The men, die<br />

das Werk leit mo ti visch durch zie hen. So konn te der<br />

damals 44-jäh ri ge Musik di rek tor des Lon don Sympho<br />

ny Orches tra des sen unglaub li che Spiel kul tur<br />

punkt ge nau und rhyth misch swin gend auf blü hen<br />

las sen und die Hand lung im rich ti gen Kon text präsen<br />

tie ren. Auch die Klang qua li tät der Auf nah me ist<br />

exzel lent, sodass sie selbst<br />

nach 45 Jah ren kei ne Konkur<br />

renz fürch ten muss. AC<br />

Pro kof jew: „Romeo and Juliet“,<br />

Lon don Sym pho ny Orches tra, André<br />

Pre vin (War ner)<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Stefan Zweig Trio<br />

Üppige Schwelgerei<br />

Das Ste fan Zweig Trio ist nicht das ers te<br />

Ensem ble, das Alex an der Zem lin skys – für<br />

einen Wett be werb mit Johan nes Brahms als<br />

Jury-Mit glied ent stan de nes – Kla vier trio mit<br />

Vio li ne anstel le der ori gi nal vor ge se he nen<br />

Kla ri net te aufführt. Die se Kom bi na ti on des<br />

Opus Zem lin skys mit dem Debüt werk seines<br />

pro mi nen ten Schü lers Erich Wolf gang<br />

Korn gold hat es in sich. Voll endung und<br />

Auf bruch sind Kate go ri en, die bei de<br />

Schwel len wer ke nur in Teil as pek ten defi nieren,<br />

zumal das Ste fan Zweig Trio sie mit<br />

einer immensen Lust an der Viel falt aller<br />

nur denk ba ren Lega to-Kul tu ren zele briert.<br />

Hier deu tet nichts dar auf hin, dass Arnold<br />

Schön berg als bald die bis dahin gül ti gen<br />

Ton sys te me infra ge stel len wird. Im Gegenteil:<br />

Das Ste fan Zweig Trio ris kiert fast süffi<br />

ge Ele ganz und unver schäm te Run dun gen<br />

mit rei fem bis über rei fem Klang. Die se<br />

„luxu rie ren de Mor bi dez za“ ist gera de für<br />

das Trio des zu sei ner Ent ste hung 13-jäh rigen<br />

Korn golds ide al. DIP<br />

Korn gold: „Kla vier trio<br />

op. 1“, Zem lin sky:<br />

„Kla vier trio op. 3“,<br />

Ste fan Zweig Trio<br />

(Ars Pro duc tion)<br />

Il pomo d’oro<br />

Schönstimmiges<br />

Brüderpaar<br />

Erst nach der Wie der ent de ckung in Göt tin gen<br />

<strong>19</strong>24 wür dig te man, mit welch modern anmuten<br />

der, subtiler Iro nie Hän del die ero ti schen<br />

Ver wir run gen um den Per ser kö nig Arta xer xes<br />

ver tont hat te. Für die 1738 in Lon don wenig<br />

erfolg rei che Oper um das berühm te Lar go<br />

ori en tier te er sich an Sil vio Stam pi gli as Libretto<br />

für Gio van ni Bonon ci ni. Unter Maxim<br />

Emely any chev macht das Ori gi nal klang-<br />

Ensem ble Il pomo d’oro sei nem Namen<br />

alle Ehre. Das gel be Label hat nach Fran co<br />

Fagio lis fas zi nie ren dem Hän del-Album um den<br />

argen ti ni schen Coun ter te nor und Vivi ca<br />

Genaux in den Par ti en der so unter schied lichen<br />

Brü der Ser se und Arsa mene ein stil kundi<br />

ges und mit allen voka len Fines sen agie rendes<br />

Ensem ble arran giert. Inten siv gestal te te<br />

Rezi ta ti ve, ein jugend lich dyna mi scher Vortrag,<br />

dazu opti ma les Gespür für die Spannungsbögen<br />

von Händels Arien-Ketten machen<br />

die se Neu ein spie lung zum Ver gnü gen. DIP<br />

„Han del: Ser se“, Fran co<br />

Fagio li, Vivi ca Genaux, Inga<br />

Kal na u. a., Il pomo d’oro,<br />

Maxim Emely any chev<br />

(Deut sche Gram mo phon)<br />

ALTE<br />

MUSIK<br />

34 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


„It changed my life. It is impacting,<br />

seismic – like an earthquake.“<br />

Zane Zalis, Komponist<br />

„Musik ist der Schlüssel<br />

zu unseren Herzen.“<br />

Rabbi Peretz Weizmann<br />

I<br />

BELIEVE<br />

A HOLOCAUST ORATORIO FOR TODAY<br />

Chor- und Orchesterwerk von Zane Zalis<br />

Solitude Chor © Foto HaWa, Material der Staatsoper Lodz<br />

SA / 9. MRZ 20<strong>19</strong> / 20.00 UHR<br />

HISTORISCHE STADTHALLE / WUPPERTAL<br />

SO / 10. MRZ 20<strong>19</strong> / 18.00 UHR<br />

ERHOLUNGSHAUS / LEVERKUSEN<br />

Kelsey Cowie (Sopran) / Jean-Pierre Quellet (Tenor) / Marko Zeiler (Bass),<br />

Solitude-Chor Stuttgart / Einstudierung: Klaus Breuninger,<br />

Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal / Einstudierung: Georg Leisse,<br />

Leverkusener Kinder- und Jugendchor / Einstudierung: Nicole Jers und<br />

Martin te Laak, Sprecher: Stefan Müller-Ruppert<br />

Bayer-Philharmoniker / Dirigent: Bernhard Steiner<br />

Karten: 26 bis 36 Euro<br />

35


H Ö R E N & S E H E N<br />

4 Wheel Drive<br />

Top-Quartett mit<br />

Pop-Klassikern<br />

4 Wheel Dri ve heißt das ers te Album eines neu en<br />

Quar tetts euro päi scher Jazz-Grö ßen, die ein an der<br />

lan ge ken nen und schon in ver schie de nen For ma tionen<br />

mit ein an der gear bei tet haben: Ange trie ben von<br />

den fet zi gen Soli des schwe di schen Posau nen-Cracks<br />

Nils Land gren, ver zah nen sich Micha el Woll ny (Pia no),<br />

Lars Dani els son (Bass) und Wolf gang Haff ner (Per kussi<br />

on) zu einem musi ka li schen Hoch leis tungs mo tor, der<br />

in vier vir tuo sen Eigen kom po si tio nen und acht klas sischen<br />

Popsongs von Sting, Phil Col lins, Bil ly Joel und<br />

Paul McCart ney die se Ohr wür mer kraft voll neu aufbe<br />

rei tet, wobei Land gren in sechs bal la des ken Titeln<br />

mit rau chig-sanf ter Stim me auch den Vokal part übernimmt.<br />

Ein über wei te Stre cken über ra schend ruhi ges,<br />

besinn lich-inti mes Album ver eint vier star ke Pro fi le in<br />

traum wand le ri scher Homo ge ni tät und bestechen der<br />

Dich te und scheint wie geschaffen für beschau li che<br />

Win ter aben de. Zwi schen drin aber geben die vier auch<br />

wie der mäch tig Gas und las sen ihre Funk- und Rock-<br />

Gene auf blit zen, so in einer kna cki gen 7/8-Ver si on von<br />

Lady Madon na. Ist es womöglich<br />

die Geburt einer neu en<br />

Super-Group? AC<br />

Nils Landgren, Michael Wollny, Lars<br />

Danielsson, Wolfgang Haffner:<br />

„4 Wheel Drive“ (ACT)<br />

JAZZ<br />

FOTO: STEPHEN FREIHEIT<br />

John Cranko<br />

Unerfüllte Liebe<br />

und Leidenschaft<br />

Die Erfolgs ge schich te des Stutt gar ter Bal letts ist<br />

eng mit John Cran ko ver knüpft. In den zwölf Jahren<br />

sei ner Amts zeit als Direk tor von <strong>19</strong>61 bis<br />

<strong>19</strong>73 avan cier te es zu den welt bes ten Com pagni<br />

en. Grund war auch die Cho reo gra fie des<br />

Hand lungs bal letts One gin. Mit ihr über setz te<br />

Cran ko den Vers ro man von Alex an der Pusch kin<br />

in getanz te Bewe gun gen von vier Solis ten und<br />

einem gro ßen Corps de bal let. In drei Akten<br />

erzäh len sie zu Tschai kow sky-Klän gen von unerfüll<br />

ter Lie be und Lei den schaft. Auch 52 Jah re<br />

nach der Urauffüh rung über zeugt die Qua li tät des<br />

Klas si kers bei jeder prä zi sen Pirou et te, jedem virtuo<br />

sen Pas de deux, jedem kraft vol len Sprung. In<br />

ästhe ti schen Kos tü men und dem Büh nen bild von<br />

Jür gen Rose tau chen Ali cia Ama triain als Tat ja na<br />

und Frie de mann Vogel als One gin ein ins Russ land<br />

des <strong>19</strong>. Jahr hun derts. Beson der heit der Aufführung<br />

ist Bal lettlegen de Mar cia Hay dée als Tat ja nas<br />

Kin der mäd chen. Die Bonus-DVD ent hält ein ausgie<br />

bi ges Inter view mit ihr, Jür gen Rose und Reid<br />

Ander son, der das Stutt garter<br />

Bal lett bis Som mer 2018<br />

lei te te. ASK<br />

„The Stuttgart Ballet in John Cranko’s<br />

Onegin“, Stuttgart Ballet, State<br />

Orchestra Stuttgart, James Truggle<br />

(Cmajor)<br />

TANZ<br />

Till Fellner<br />

Eleganz und Ruhe<br />

SOLO<br />

In einer Zeit von gehyp ten, PR-Agen turgestrie<br />

gel ten Instru men ta lis ten sticht Till<br />

Fell ner – ob sei ner zumin dest schein ba ren<br />

Zurück hal tung – eben nicht her aus. Als<br />

Alfred-Bren del-Lieb ling zwar durch aus<br />

mit Vor schuss lor bee ren auf den Solis tenpar<br />

cours ent las sen, scheint sich sei ne Karrie<br />

re etwas ver hal ten ent wi ckelt zu haben<br />

und Fell ner sel ber per ma nent unterschätzt<br />

zu wer den. Da erfreut die se Neuerschei<br />

nung, auch wenn die Ein spie lun gen<br />

schon 16 (Liszts ers tes Buch der Années<br />

de pèle ri na ge) bzw. zehn (Beet ho vens Opus<br />

111) Jah re alt sind. Fell ner ist kein Liszt-<br />

Prüg ler: Sein Liszt ist betö rend, mode rat,<br />

sub til. Sein gla mourfrei er Ansatz, sein feines<br />

Spiel und sein gera de in Val lée d’Obermann<br />

fri scher Zug nach vorn, machen Lust<br />

auf mehr und Neu es von Fell ner. Der<br />

Beet ho ven – eine abtrün ni ge Note zum<br />

Ende des Alle gro con brio sowie Applaus<br />

ver ra ten die Live-Natur der Auf nah me –<br />

besticht durch Ele ganz und Ruhe. JFL<br />

Beet ho ven: „Sona ta<br />

No. 32 op. 111“, Franz<br />

Liszt: „Années de<br />

pèle ri na ge“ u. a.,<br />

Till Fell ner (ECM)<br />

Karim Said<br />

Klangliche<br />

Korrespondenzen<br />

Zwei Stü cke von Wil liam Byrd bil den den Rah men<br />

für das unge wöhn li che Pro gramm die ser Aufnah<br />

me, in dem sich eng li sche Kom po nis ten der<br />

Renais sance neben Ver tre tern der Zwei ten Wiener<br />

Schu le wie der fin den. Die Ers te ren sind allesamt<br />

Schü ler oder Nach fol ger Byrds; das ande re<br />

Ende des Spek trums bil den Arnold Schön berg und<br />

sein Schü ler Anton Webern. Für Karim Said steht<br />

im Zen trum die ser Ver bin dung Johan nes Brahms’<br />

Zwei te Kla vier so na te. Die ses Werk zeich net sich<br />

durch diver se Ver wei se auf den Stil illus trer Kol legen<br />

und Vor bil der aus. Es bil det damit das Programm<br />

die ses Albums im Klei nen ab und ist<br />

gleich zei tig des sen Dreh- und Angel punkt. So<br />

prägt die Sona te auch Saids Inter pre ta ti on der<br />

älte ren und neue ren Wer ke. Der jor da ni sche Pianist<br />

bün delt die se so unter schied li chen Stü cke in<br />

eine homo ge ne Inter pre ta ti on, die Puris ten der<br />

Alten oder Neu en Musik Tole ranz abver langt.<br />

Lässt man sich dar auf ein, erkennt man intui tiv<br />

struk tu rel le und klang li che Kor re spon den zen, und<br />

die Wer ke grup pie ren sich zu einer gro ßen Sui te.<br />

Saids Ver dienst ist es auch, durch die kon tras tieren<br />

de Anord nung der Stü cke deren jewei li ge<br />

Beson der hei ten offen bar<br />

wer den zu las sen. LXR<br />

Byrd, Mor ley, Webern,<br />

Schoe n berg, Brahms u. a.:<br />

„Lega cy“, Karim Said (Rubicon)<br />

36 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


OPER<br />

Vox Luminis<br />

Leuchtende<br />

Stimmen<br />

Beschwingt tän zeln de Chö re, melan cho lisch<br />

abgrün di ge Ari en sowie krie ge risch auf trumpfen<br />

de Pau ken und Trom pe ten: Es sind ungewohn<br />

te Klän ge, die das bel gi sche Vokalensemble<br />

Vox Lumi nis unter der Lei tung seines<br />

Grün ders, des fran zö si schen Flö tis ten und<br />

Trom pe ters Lio nel Meu nier, in sei ner neu en<br />

Ein spie lung prä sen tiert. Liegt der Schwerpunkt<br />

des Ensem bles doch in der geist li chen<br />

Vokal mu sik Deutsch lands und Ita li ens des 17.<br />

und 18. Jahr hun derts. Mit Hen ry Pur cells King<br />

Arthur wen det es sich nun erst ma lig der<br />

Gat tung Oper und der eng li schen Spra che zu.<br />

Den Merk ma len der eng li schen Barock oper<br />

fol gend, besteht das Werk aus gespro che nen<br />

Schau spiel tex ten, die sich aller dings nicht auf<br />

der CD fin den, und kom men tie ren den Musiknum<br />

mern für wech seln de Beset zun gen. Mit<br />

stimm ge wal ti gen, gewitz ten und stel len wei se<br />

auch stark cha rak ter lich gefärb ten Stim men<br />

bie tet das Ensem ble ein durch gän gi ges,<br />

abwechs lungs rei ches Hör ver gnü gen. FA<br />

Pur cell: „King Arthur“, Vox<br />

Lumi nis, Lio nel Meu nier<br />

(Alpha)<br />

Track 3 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />

Abo-CD: Woden, first to thee<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Amati Quartett<br />

Unerschöpflicher<br />

Einfallsreichtum<br />

Dis zi plin ist eben nicht alles: Sei ne sechs<br />

Quar tet te op. 50 hat Joseph Haydn mit dem<br />

Bei na men „Preu ßisch“ ver se hen. Sie sind<br />

dem instru men tal offen bar nicht ganz unbegab<br />

ten Fried rich Wil helm II. gewid met, der<br />

sich nicht nur der viel apo stro phier ten preußi<br />

schen Tugen den rühm te, son dern als<br />

kunst sin ni ger Mäzen in die His to rie ein ging.<br />

In jeder Hin sicht tugend haft ist auch die se<br />

Dop pel-CD des Ama ti Quar tetts. Die vier<br />

Strei cher wid men sich Haydns mal über aus<br />

humo ri gen, mal ziem lich ver schmitz ten<br />

Quar tett küns ten mit der gebo te nen Ernsthaf<br />

tig keit, aber auch einer gro ßen Leich tigkeit.<br />

Flufg-beschwingt wird etwa das Fina le<br />

des F-Dur-Quar tetts absol viert, mit bur schi kosem<br />

Charme das Menu ett des Es-Dur-Quartetts.<br />

Stets fin det man das rich ti ge Maß für<br />

Haydns schier uner schöpfl i chen Ein falls reichtum<br />

und spielt auf höchs tem Niveau. GK<br />

Haydn: „String Quar tets, op. 50“, Ama ti Quar tett (Solo<br />

Musi ca)<br />

Track 4 auf der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />

Streichquartett op. 50,6<br />

D-Dur Hob. III:49, II.<br />

Poco Adagio, Menuetto<br />

Mariss Jansons<br />

Romantische<br />

Sinnlichkeit<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Beethovens Mes se in C-Dur op. 86 steht von jeher<br />

ein wenig im Schat ten der „gro ßen Schwes ter“<br />

Mis sa Solem nis. Sie offen bart nicht wie jene das<br />

gro ße Rin gen, die künst le ri sche Aus ein an der setzung<br />

mit dem Glau ben, bie tet aber eben falls eine<br />

rei che Palet te an Aus drucks nu an cen und indi vi duel<br />

len Deu tun gen des lit ur gi schen Tex tes. Die se<br />

lässt Mariss Jan sons mit sei nem groß arti gen<br />

BR-Sym pho nie or ches ter und Chor auf fas zi nieren<br />

de Wei se hör bar wer den, vom wie aus dem<br />

Nichts kom men den Beginn über ein dring li che<br />

Pia no-Geflech te bis hin zur gro ßen Klang de monstra<br />

ti on – immer unprä ten ti ös, sinn lich und differen<br />

ziert. Für Jan sons gehört Beet ho ven defi ni tiv<br />

zur Roman tik, den noch ist der Klang schlank, flexi<br />

bel und ohne auf ge setz ten Pomp; eine Les art,<br />

die auch das homo ge ne, kul ti viert sin gen de Solisten<br />

quar tett mit trägt. Als „Raus schmei ßer“ gibt<br />

es eine ful mi nan te, mit sin fo ni schem Feu er atem<br />

gespiel te Leo no re III. FS<br />

Beet ho ven: „Mes se C-Dur op. 86“ u. a., Chor und Sym pho nie -<br />

or ches ter des Baye ri schen<br />

Rund funks, Mariss Jan sons<br />

(BR Klas sik)<br />

Track 10 auf der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Messe<br />

C-Dur op. 86, VI. Agnus Dei<br />

Lunascope<br />

Abnehmend hektisch, zunehmend<br />

himmlisch: die erste MeisterSinger<br />

mit Mondphasenmodul<br />

<br />

37<br />

www.meistersinger.de


H Ö R E N & S E H E N<br />

Unerhörtes & neu Entdecktes<br />

von Christoph Schlüren<br />

HERRLICH RAU UND WILD<br />

Kammermusik von Albert Roussel, Florent Schmitt, Hans Weisse und anderen.<br />

Im April steht der 150. Geburtstag von Albert Roussel (1869–<strong>19</strong>37)<br />

an, jenes ganz großen französischen Meisters im Schatten seiner<br />

Zeitgenossen Debussy und Ravel. Und immer noch mangelt es an<br />

wirklich herausragenden Aufnahmen seiner Musik, insbesondere<br />

auch seiner Kammermusik, die an Originalität und Meisterschaft<br />

unübertroffen ist. Sicher liegt das ein wenig daran, dass Roussel bis<br />

auf sein Frühwerk nicht ins impressionistische Klischee passt und<br />

überhaupt herrlich ungefällig rau und wild ist.<br />

Ein Glücksfall ist daher die neue Duo-CD der Geigerin Hélène<br />

Collerette und der Pianistin Anne Le Bozec bei Signature, die neben<br />

der mit architektonischer Präzision und geradezu klassischer Clarté<br />

bestechenden Zweiten Sonate Roussels noch die gigantisch angelegte,<br />

rauschhaft ornamentierende Sonate libre in zwei Sätzen vom ebenfalls<br />

maßlos unterschätzten Florent Schmitt (1870–<strong>19</strong>58) enthält.<br />

Dieses gut halbstündige Werk ist eine Enescu oder Szymanowski<br />

vergleichbare Herausforderung und dürfte bei Konzerten sensationell<br />

ankommen. Doch bei Schmitt, der in späteren Jahren eine unglückliche<br />

Zuneigung zum Vichy-Vasallenregime gepflegt hatte, kann man<br />

ähnlich wie bei Hans Pfitzner zumindest verstehen, dass es außermusikalische<br />

Gründe für die Vernachlässigung gab.<br />

Das Programm wird abgerundet durch die horrend virtuose<br />

Sonate von <strong>19</strong>61 des Franko-Kanadiers André Prévost (<strong>19</strong>34–2001),<br />

die musikalisch nicht auf derselben Höhe<br />

steht, uns jedoch mit einem weiteren entdeckenswerten<br />

und eigentümlichen Meister<br />

bekannt macht. Hélène Collerette frappiert<br />

nicht nur mit staunenswerter technischer<br />

Makellosigkeit, sie verzaubert mit äußerst<br />

farbenreichem Klang und vielschichtigem,<br />

unendlich nuancenreichem Ausdruck, ohne<br />

in die Niederungen billiger Effekthascherei abzugleiten.<br />

Und Anne Le Bozec mit ihrem groovigen Zugriff<br />

und empathischen Selbstverständnis ist ihr eine grandiose<br />

Partnerin. So wunderbar kann ein<br />

Album für diese Standardbesetzung sein,<br />

wenn nicht nur das Können, sondern auch der<br />

Mut und die Liebe groß genug sind.<br />

Einige weitere aktuelle Kammermusikempfehlungen<br />

seien dem angefügt. Darunter<br />

ragt insbesondere die schöpferische Größe des<br />

Wiener jüdischen Schenker-Schülers Hans<br />

Weisse (1892–<strong>19</strong>40) heraus, dessen dreiviertelstündiges Klarinettenquintett<br />

in vollendeter Weise zeitlos auf Bahnen „junger Klassizität“<br />

(um Busoni zu zitieren) schreitet, die man in ihrer Haltung zu Brahms<br />

zurückverfolgen kann – auch in der introvertiert-dramatischen<br />

Atmosphäre, kontrapunktischen Raffinesse und modulatorischen<br />

Meisterschaft (MDG). Hochinteressant sind drei Streichquartette des<br />

Briten Leonard Salzedo (<strong>19</strong>21–2000), der als Ballett- und Filmkomponist<br />

sehr angesehen war.<br />

Stilistisch könnte man meinen, er sei Spanier – und zugleich liegt<br />

in all dem zündenden Esprit eine Abgeklärtheit, die den Wunsch<br />

nährt, noch viel weitere Musik seines so umfangreichen wie unbekannten<br />

Schaffens kennenzulernen (darunter ein großes rein instrumentales<br />

Requiem für großes Orchester). Arnold Cooke (<strong>19</strong>06–2005)<br />

hingegen ist in England immer wieder aufgenommen worden, und<br />

wer wie ich findet, dass Hindemith auch wertvolle Stilverwandte haben<br />

darf, wird an Cookes kunstreichen Werken für Violine (allein, mit<br />

Klavier, mit Bratsche) große Freude haben (beide CDs bei MPR).<br />

Der gleichen Generation entstammt der Schwede Dag Wirén<br />

(<strong>19</strong>05–<strong>19</strong>86), dessen komplette verfügbare Quartette das Wirén Quartet<br />

für Naxos vorbildlich eingespielt hat: kurzweilige, äußerst vitale<br />

Musik, die zugleich die Reduktion aufs absolut Wesentliche betreibt.<br />

Ein gänzlich Unbekannter tritt uns, wie so oft bei Toccata<br />

Classics, mit Hans Winterberg (<strong>19</strong>01–<strong>19</strong>91) entgegen, einem tschechischen<br />

Juden, der Theresienstadt überlebte und danach in München<br />

wohnte. Eigentlich hätte seine fast minimalistisch<br />

expressive Bläser-Kammermusik, die<br />

ehestens an den Janáček des Concertino<br />

anknüpft, dort ja von Orff und Killmayer als<br />

geistesverwandt erkannt werden müssen. Nun<br />

wird sie erst postum entdeckt.<br />

■<br />

Florent Schmitt, Albert Roussel, André Prévost:<br />

„Sonates“, Hélène Collerette, Anne Le Bozec<br />

(Signature)<br />

Weisse: „Chamber Music“, Berolina Ensemble (MDG)<br />

Leonard Salzedo: „String Quartets 1, 5 and 10“,<br />

Archaeus Quartet (MPR)<br />

Arnold Cooke: „The Complete Violin Sonatas“,<br />

The Pleyel Ensemble (MPR)<br />

Dag Wirén: „String Quartets Nos. 2-5“, Wirén Quartet (Naxos)<br />

Hans Winterberg: „Chamber Music“, Volume One, Arizona Wind<br />

Quintet (Toccata Classics)<br />

38 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


La Fura dels Baus<br />

Schöpfungsspektakel<br />

Die se Kopro duk ti on der Lud wigs bur ger Schloss fest spie le<br />

mit der Elb phil har mo nie prä sen tiert Joseph Haydns Schöpfung<br />

in einer sze ni schen Insze nie rung von Car lus Pad ris sa<br />

von La Fura dels Baus. Die sze ni sche Gestal tung nimmt<br />

sich des Inhalts der Schöp fungs ge schich te an und erwei tert<br />

die sen um eine aktu el le poli ti sche Dimen si on. Im Kon trast<br />

zum Libret to, das als unbe schwer te Lobes hym ne auf die<br />

Erschaffung der Welt vor dem Sün den fall endet, führt die<br />

Insze nie rung dar über hin aus in die sün di ge Rea li tät von<br />

Ver trei bung und Not. Der Chor stellt Flücht lin ge aus verschie<br />

de nen Län dern und Zei ten dar. Am drit ten Tag, als<br />

Gott die Erde vom Was ser schei det, springt ein jun ger<br />

Mann mit Schwimm wes te in einen Was ser tank. Ange sichts<br />

der vie len visu el len Ele men te wie Schrift, Licht, auf wen di ge<br />

Kos tü me, leuch ten de Tablets in den Hän den der Chor sänger<br />

wird die Musik stel len wei se fast zur Film mu sik degradiert,<br />

was der Leis tung der Diri gen tin und der Sän ger<br />

kei nes wegs gerecht wird. Lau rence Equil bey diri giert das<br />

Insu la orches tra sowie den Chor Accen tus und das Sän gerensem<br />

ble mal wuch tig, mal trei bend, mit fei nem Gespür für<br />

den spe zi fi schen Cha rak ter der auf ein an der fol gen den Tage<br />

in Haydns Par ti tur. Beson ders Dani el Schmutz hard als<br />

Raphael/Adam und Mari Eriks mo en als Gabriel/Eva begeistern<br />

mit ihrer far ben rei chen Inter preta<br />

ti on. Die Bild re gie ver mit telt einen<br />

guten Ein druck der bild ge wal ti gen<br />

Insze nie rung. LXR<br />

Haydn: „Die Schöpfung“, Accentus, Marc Korovitch,<br />

Insula orchestra, Laurence Equilbey,<br />

La Fura dels Baus (Naxos)<br />

Jürgen Flimm<br />

Mozart in der<br />

Sommerfrische<br />

FILM<br />

Sel ten erlebt man eine der art beschwing te Auffüh rung<br />

von Mozarts Oper Hoch zeit des Figa ro wie auf die sem<br />

exzel len ten Mit schnitt. Zum Ende sei ner Zeit als Intendant<br />

der Staats oper Unter den Lin den hat Jür gen Flimm<br />

den berühm ten Stoff mit viel Sinn für die komö di an tischen<br />

Zwi schen tö ne insze niert. Das Ergeb nis ist ein<br />

mär chen haf ter Opern rei gen mit hoch ka rä ti ger Besetzung.<br />

Dabei durch le ben die Sän ge rin nen und Sän ger als<br />

„Som mer gäs te“ des Hau ses hin ge bungs voll Lie bes leid<br />

und -freud. Neben Lau ri Vasar als ein drucks vol lem Figaro<br />

sind es ins be son de re die Frau en stim men, die viel seitig<br />

in den Bann zie hen, allen vor an Anna Pro has ka als<br />

gran dio se Susan na und Doro thee Rösch mann als Rosina.<br />

Die Staats ka pel le Ber lin über zeugt unter Lei tung<br />

von Gus ta vo Duda mel mit opu lentem<br />

Klang und voll endet eine Inszenie<br />

rung von eben so gro ßer Ele ganz<br />

wie Leicht fü ßig keit. DW<br />

Mozart: „Le nozze di Figaro“, D’Arcangelo,<br />

Röschmann, Prohaska u. a., Staatsoper Unter<br />

den Linden, Gustavo Dudamel (Accentus)<br />

Edvard Grieg<br />

Fanatische Liebe zur Heimat<br />

Da sitzt er als alter Mann auf einem Boot im Fjord wohl in der Nähe<br />

seines Hauses in Troldhaugen bei Bergen und lässt sein Leben Revue<br />

passieren: der Komponist Edvard Grieg (1843–<strong>19</strong>07). Ruhelos war er,<br />

immer auf der Suche nach seelischem Frieden, nach Glück und Perfektion,<br />

geprägt von einer großen Liebe zur Heimat. „Diese fanatische, fast<br />

dämonische Liebe zur Heimat ist die Stärke, aber auch die Begrenzung<br />

Griegs“, schrieb etwa G. Schjelderup <strong>19</strong>07 in seinem Nekrolog auf den<br />

gerade verstorbenen Komponisten. „Meister wie Bach und Beethoven“,<br />

sagte Grieg einmal, „haben auf den Höhen Kirchen und Tempel errichtet,<br />

ich aber will in den Tälern Wohnstätten für Menschen<br />

bauen, in denen sie sich heimisch und glücklich fühlen<br />

sollen.“ Es gelang ihm. Regisseur Olofsson lässt seinen<br />

Protagonisten – verkörpert vom Pianisten Staffan<br />

Scheja – in Musik, Wort und Bild sprechen. Ein<br />

wunderbarer Film! TPR<br />

BUCH<br />

„The Musical Biopic of Edvard Grieg: What Price Immortality?“<br />

A film by Thomas Olofsson und Ture Rangström (Arthaus)<br />

Thomas Bernhard<br />

Paket mit belastenden Themen<br />

Er kann te sei nen Vater nicht, litt unter der feh len den Lie be sei ner<br />

Mut ter und des po ti schen Leh rern, erkrank te mit 18 Jah ren schwer<br />

und lag mona te lang in Ster be zim mern sowie Sana to ri en: Tho mas<br />

Bern hards Kind heit und Jugend waren so schwie rig, dass er schon<br />

früh an Selbst mord dach te. Ent spre chend düs ter ist die Zeit rei se in<br />

sei ne Ver gan gen heit, auf die er sich in fünf auto bio gra fi schen Schriften<br />

begibt. Bedrü cken de Lebens um stän de, aus sichts lo se Exis ten zen,<br />

Schmerz und Trau er rekon stru iert der Autor wort ge wal tig und<br />

foto gra fisch genau; Licht bli cke sind außer Besu chen bei sei nem<br />

Groß va ter und auf einem Bau ern hof drei glück li che Jah re als Lehrling<br />

des Salz bur ger Lebens mit tel händ lers Pod laha, in denen sich<br />

Bern hard nütz lich und ande ren Men schen nahe fühl te.<br />

Nach und nach packt er so „vor Zeu gen“ ein „Paket“<br />

mit belas ten den The men aus, die ihn nach hal tig prägten<br />

und ein Schlüs sel zu sei nem Werk sind. Das Bild<br />

des <strong>19</strong>89 ver stor be nen Autors ver voll stän di gen zar te<br />

Aqua rel le von Erwin Wurm, der wie Bern hard zu den<br />

bedeu tends ten Künst lern Öster reichs zählt. ASK<br />

Thomas Bernhard: „Autobiographische Schriften“ mit Aquarellen von<br />

Erwin Wurm (Residenz Verlag)<br />

FOTO: ARTHAUS<br />

39


M E I N U N G<br />

Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />

AUF EIN WORT,<br />

LIEBE SPORTSFREUNDE<br />

Der Sportbund in Bonn findet, dass zu viel Geld für die Kultur ausgegeben<br />

wird – dabei sitzen Vereine und Orchester im selben Boot.<br />

Plädoyer gegen eine Spaltung der Gesellschaft und für mehr Solidarität.<br />

Vielleicht steht diese Kolumne im falschen Blatt, vielleicht wäre<br />

sie im „Kicker“ besser aufgehoben oder in der Vereinszeitung des<br />

Bonner Sportbundes. Hier in <strong>CRESCENDO</strong> werden wir wahrscheinlich<br />

ziemlich schnell einig sein, dass Sport und Musik<br />

keine Gegner, sondern Partner im Kampf gegen eine vermeintlich<br />

durchoptimierte Gesellschaft sein können – ja, müssen! Umso<br />

wichtiger, ein offenes Wort mit unseren Sportsfreunden zu führen,<br />

um zu merken, dass es viele Parallelen zwischen Noten und Trainingsplänen,<br />

Konzerthäusern und<br />

Stadien gibt.<br />

Konkret geht es darum:<br />

Kürzlich hat der Sportbund Bonn<br />

eine etwas verunglückte Pressemitteilung<br />

herausgegeben. Mit<br />

„großer Aufmerksamkeit“ habe<br />

man zur Kenntnis genommen,<br />

dass der Generalmusikdirektor<br />

des Beethoven Orchesters, Dirk<br />

Kaftan, gesagt hätte, Hochkultur würde bei ihm eine „Art Würgereiz“<br />

auslösen. Der Sportbund ist echauffiert, immerhin flössen<br />

Bonner Steuermillionen in Theater und Beethoven Orchester, ja,<br />

60 Millionen in die Kulturförderung der Stadt insgesamt! Zu viel,<br />

findet der Sportbund nun und rechnet vor: 105,5 Orchesterstellen<br />

und 14 Büroangestellte habe Kaftans Orchester. Wie könne<br />

es sein, dass nur sechs Orchester in Deutschland größer seien als<br />

das in Bonn? Wie, dass ein Ensemble wie das Mozarteumorchester<br />

Salzburg mit 91 Musikern auskommt? Immerhin würde Salzburg<br />

sogar mit „Hochkultur“ werben, die Kaftan so verachte. Fazit der<br />

Sportler: Bonn gibt zu viel Geld für „Hochkultur“ aus, insbesondere<br />

für Oper und Orchester, und würde Kaftan nicht mindestens<br />

EIN ORCHESTER SOLL KEINE ELITÄRE<br />

MUSIKERTRUPPE SEIN, SONDERN<br />

KULTURELLE GRUNDVERSORGUNG<br />

3,5 Millionen sparen, werde man dem Beethoven Orchester vom<br />

Spielfeldrand auch weiterhin zubuhen.<br />

Die Wahrheit sieht etwas differenzierter aus, ist aber längst<br />

nicht so kompliziert wie die Abseitsregel, sollte also auch für die<br />

Sportfreunde verständlich sein! Auf einem Bildungsempfang hat<br />

Dirk Kaftan sich Gedanken über das Wort „Hochkultur“ gemacht.<br />

Sein Gedankengang: Während die Kultur immer mehr unter<br />

gesellschaftlichem Druck steht, viele Politiker erfolgreich argumentieren,<br />

dass mit Orchestersubventionen<br />

lediglich Veranstaltungen<br />

für Reiche gefördert würden,<br />

wolle er gern auf dieses Wort, das<br />

zum gesellschaftlichen Kampfbegriff<br />

geworden sei, verzichten.<br />

Stattdessen schlug Kaftan vor, von<br />

„Tiefen-Kultur“ zu reden. So würde<br />

klar werden, dass sein Orchester<br />

in die tieferen Schichten der Stadt<br />

eindringe, dass das Beethoven Orchester sich auch als Bildungseinrichtung<br />

für Jugendliche verstehe, mit seinen Konzerten in Stadtteile<br />

ziehe, die ansonsten nur wenig mit klassischer Musik zu tun<br />

hätten, und dass sein Orchester keine elitäre Musikertruppe, sondern<br />

eine kulturelle Grundversorgung für alle Bonner sein wolle.<br />

Kaftan argumentiert, dass mit dem Begriff der „Tiefen-Kultur“<br />

klarer würde, warum eine Stadt wie Bonn sich überhaupt<br />

ein Orchester, ein Theater und eine Oper leiste: weil sie allgemein<br />

zugängliche Säulen des Diskurses sind, weil sie dort einspringen,<br />

wo viele Schulen längst aufgegeben haben (etwa im Musikunterricht),<br />

weil sie täglich beweisen, dass Musik das Zuhören, das Miteinander,<br />

die Konzentration und Aufmerksamkeit fördert – all<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

40 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


jene Eigenschaften also, die gerade bei Schülern oft als Defizite<br />

festgestellt werden. Dass sein Orchester nicht elitär ist, nicht im<br />

Elfenbeinturm auf das gut betuchte Publikum wartet, sondern alle<br />

Menschen vor Ort besucht und begeistert.<br />

All das müssen die Leute vom Sportbund irgendwie in den<br />

falschen Hals bekommen haben. Das ist umso absurder, da sie<br />

die eigentlich gleiche Ausgangsposition wie das Orchester haben:<br />

Auch der Sport wird an unseren Schulen schon lange nicht mehr<br />

ernst genommen – neben dem Musikunterricht das Fach, das am<br />

meisten ausfällt. Gleichsam hat der Sport eine ähnliche gesellschaftliche<br />

Kraft wie die Musik: Teamgeist, Integration, Ausdauer,<br />

Konzentration – in Turnhallen, auf Bolzplätzen und Tartanbahnen<br />

werden ebenfalls gesellschaftliche Tugenden gefördert wie auf<br />

Orchesterpodien und in den Rängen eines Konzertes.<br />

Mit Verlaub, lieber Sportbund in Bonn: Wie absurd, bitte<br />

schön, ist eure Argumentation gegen das Theater? Wäre Solidarität<br />

nicht die bessere Positionierung als eine billige Neiddebatte?<br />

Die Kultureinrichtungen der Stadt sind nicht eure Feinde, sie sind<br />

eure natürlichen Freunde, sie haben ähnliche Auswirkungen auf<br />

das Bildungsniveau und den Geist einer Stadt. Es ist wissenschaftlicher<br />

common sense, dass Sport<br />

und Musik dafür sorgen, dass wir<br />

keine Fachidioten werden, dass<br />

wir aufgeschlossene, ausdauernde<br />

und kreativ denkende Mathematiker,<br />

Chemiker und Ärzte ausbilden.<br />

Vorzeige-Bildungssysteme<br />

wie Finnland wissen, dass ihr<br />

gutes Abschneiden in Fächern wie<br />

Mathematik und Naturwissenschaften<br />

darauf zurückzuführen ist, dass an den Schulen des Landes<br />

Musik und Sport gleichberechtigt zu allen anderen Fächern<br />

unterrichtet werden.<br />

Was an der Bonner Debatte wirklich aufregt, ist, dass hier<br />

etwas passiert, das politisch vielleicht sogar gewollt ist. Fragen nach<br />

Steuergeldern werden immer öfter mit Entweder-oder-Fragen vorgelegt:<br />

Schwimmbad oder Kunsthalle? Kindergarten oder Opernhaus?<br />

Neue Straßen oder Schauspielhaus? Und nun eben: Sportverein<br />

oder Orchester? Derartige Zuspitzungen sind Quatsch, fördern<br />

Neid und verhindern Solidarität. Jeder Sportverein und jedes<br />

Orchester sollte derartigen Debatten eine Absage erteilen – sonst<br />

ist er das nächste Opfer.<br />

In Bonn lässt sich der Sport gegen die Kultur ausspielen. Mit<br />

fatalen Folgen. Weil genau das für eine gesellschaftliche Stimmung<br />

sorgt, an deren Ende beide – sowohl der Sport als auch die Kultur<br />

– verlieren werden. Klar, nun könnte man auf Zahlen pochen:<br />

Wie viele Mitglieder haben Bonns Sportvereine? Stimmt es, dass<br />

mehr Menschen Livekonzerte deutscher Orchester besuchen als<br />

Spiele der Fußball-Bundesliga? Aber auch diese Erbsenzählerei<br />

wird nicht viel bringen. Fakt ist: Eine Gesellschaft braucht Kultur<br />

UND Sport!<br />

Gehen wir einen Schritt zurück. Warum subventionieren wir<br />

überhaupt Theater und Orchester? „Hochkultur“ ist vielleicht eine<br />

Kategorie: große Produktionen, die ohne Subventionen nicht zu<br />

stemmen wären. Aufführungen, die den Bürgern der Stadt Bonn<br />

ein professionelles Kulturangebot garantieren, Veranstaltungen,<br />

die Bonn als Kulturstadt strahlen lassen. Aufführungen, die junge<br />

Menschen zum Freidenken inspirieren und anregen – nicht nur<br />

im kulturellen, sondern auch im gesellschaftlichen Denken. Diese<br />

„Hochkultur“-Förderung ist vergleichbar mit der Förderung von<br />

Sportleistungszentren, wo es darum geht, dass Athleten aus Bonn<br />

ES IST WISSENSCHAFTLICHER COMMON<br />

SENSE, DASS SPORT UND MUSIK<br />

DAFÜR SORGEN, DASS WIR KEINE<br />

FACHIDIOTEN WERDEN<br />

die Möglichkeit haben, in nationale Kader aufzurücken, an der<br />

Spitze der Fußball-, der Badminton-, der Handball- oder Eishockey-Bundesliga<br />

mitzuspielen.<br />

Aber der Kulturhaushalt hat – und da liegt Kaftan mit seiner<br />

„Tiefen-Kultur“ durchaus richtig – auch den Zweck, eine kulturelle<br />

Grundversorgung zu garantieren. Noch einmal: Unsere Schulen<br />

schaffen das schon lange nicht mehr. Diese Aufgabe übernehmen<br />

Musikschulen und zunehmend Orchester und Theater. Das wiederum<br />

ist mit der Förderung des Breitensports zu vergleichen: die<br />

Möglichkeit für jeden Menschen, sich einem Verein anzuschließen,<br />

Teamgeist oder eigenen Ehrgeiz zu verfolgen.<br />

Ich glaube, nicht einem Musiker des Beethoven Orchesters<br />

würde es einfallen zu fordern, dass die Stadt weniger Geld für die<br />

Sportförderung ausgeben sollte. Im Gegenteil! Sport und Kultur<br />

haben gleichermaßen gegen eine Politik zu kämpfen, in der ihre<br />

Arbeit gegen den Bau von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern<br />

oder Straßen ausgespielt wird. Werder-Trainer Otto Rehhagel<br />

warb einst für das Bremer Theater, die drei Tenöre eröffneten die<br />

Fußball-WM – Bewegung und Musik schließen einander nicht aus,<br />

sie bedingen sich!<br />

Bonn ist nur ein Einzelbeispiel.<br />

Auch in anderen Städten<br />

wird die Kultur immer öfter politisch<br />

als Kostenfaktor denunziert –<br />

in Linz hat sich die Stadt sogar vollkommen<br />

aus der Förderung ihres<br />

Orchesters zurückgezogen. Da<br />

sollten die Alarmglocken läuten!<br />

Kultur und Sport sollten Seit᾽<br />

an Seit᾽ stehen und miteinander<br />

dafür kämpfen, dass Politik und die Vergabe öffentlicher Gelder<br />

nicht als Entweder-oder-Frage gestellt wird. Dass natürlich Kindergärten,<br />

Krankenhäuser und Straßen gebaut werden, dass sie<br />

alle aber weniger wert sind, wenn eine Stadt ihre Kultur oder ihr<br />

sportliches Image dafür infrage stellt. Es ist wie im finnischen<br />

Schulsystem: Eine Gesellschaft braucht Freiräume des Unkonkreten,<br />

Orte für Spaß und Orte, an denen leidenschaftliche Arbeit<br />

allein der Leidenschaft wegen gefördert wird. Klar, man könnte<br />

eine Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie als ebenso<br />

sinnlos empfinden wie Steuergelder, mit denen das Training<br />

einer Leistungs kanutin gefördert wird. Aber wer so argumentiert,<br />

glaubt auch, dass Schule darin besteht, in möglichst geringer Zeit<br />

möglichst viel Wissen zu anzuhäufen, dass die Liebenswürdigkeit<br />

einer Stadt allein durch die Sauberkeit ihrer Straßen entschieden<br />

wird, dass eine gute Gesellschaft darin besteht, fleißig zu sein,<br />

dass Kreativität, Unterhaltung oder Neudenken keine Standortfaktoren<br />

sind.<br />

Liebe Bonner Sportsfreunde, die Attacke gegen das Beethoven<br />

Orchester und die kulturellen Einrichtungen eurer Stadt ist vielleicht<br />

kein rotwürdiges Foul, aber es war eine unglaublich dumme<br />

Kampfansage! An unseren Schulen sehen wir bereits, welche Auswirkungen<br />

Bildung mit Verzicht auf Sport und Kultur hat: Zwischenmenschliche<br />

Tugenden und Leistungsförderungen wie Aufmerksamkeit,<br />

Zuhören, Kreativität und Ehrgeiz gehen verloren.<br />

Der Verlust von Kultur und Sport bedeutet für eine Stadt Standortnachteile!<br />

Ich weiß nicht, ob es hilft, dass diese Kolumne in einer<br />

Musikzeitschrift steht, wenn sie doch eigentlich die Sportler erreichen<br />

soll. Aber Sport und Musik schließen einander nicht aus, also,<br />

liebe sportliche Musiker und musische Sportler: Lassen wir uns<br />

nicht instrumentalisieren und gegeneinander ausspielen – wir sind<br />

ein Team. Und haben das gleiche Motiv: unsere Leidenschaft! ■<br />

41


R Ä T S E L<br />

& C R E S C E N D O L I V E<br />

GEWINNSPIEL<br />

Wer verbirgt sich hinter diesem Text?<br />

Das Foto stammt aus meinem dritten Leben …<br />

Geboren wurde ich 2637 vor Christus. Zum zweiten Mal lebte ich in<br />

der Zeit Alexanders des Großen. Bei dessen Beerdigungszeremonie<br />

in Babylon im Jahr 323 vor Christus habe ich sogar im Begräbnis-<br />

Orchester mitgespielt. Und zum dritten Mal geboren bin ich im Jahr<br />

<strong>19</strong>05 in Ligurien als ein Conte di Ayala Valva. Als mir im Alter gelegentlich<br />

das Bein wehtat, lag das an einer uralten Verletzung, die ich<br />

vor Tausenden von Jahren als Krieger erlitten habe. Ja, ich glaube an<br />

die Wiedergeburt. Man nennt mich auch einen Meister der Desinformation,<br />

mein Leben ist ein großes Geheimnis. Journalisten, die<br />

Fragen zu meiner Biografie stellen, mag ich grundsätzlich nicht.<br />

Ab <strong>19</strong>29 habe ich komponiert, vor allem Klavierstücke. In<br />

Rom habe ich Konzerte mit zeitgenössischer Musik veranstaltet. Als<br />

das Mussolini-Regime die Werke Schönbergs und anderer jüdischer<br />

Komponisten verbot, ging ich ins Ausland. <strong>19</strong>44 schrieb ich<br />

mein erstes Streichquartett, ein hochkomplexes Zwölftonstück.<br />

Nach einer seelischen Krise inklusive psychiatrischer Behandlung<br />

war ich als Komponist völlig verändert. Ich wurde krank, weil ich zu<br />

viel nachdachte. Jetzt denke ich nicht mehr. Seit <strong>19</strong>52 kreisen die<br />

Musikstücke um einen Ton, eine Tonachse, ein tonales Zentrum.<br />

Ich war gar kein Komponist mehr, sondern nur ein Medium der<br />

Klangenergie. In meinem Nachlass fanden sich beinahe 1.000<br />

bespielte Tonbänder. Erst 2010 wurden die Archive geöffnet, die<br />

Bänder sind inzwischen immerhin digitalisiert.<br />

KH<br />

FOTO: FONDAZIONE ISABELLA SCELSI<br />

HINTER<br />

DEN KULISSEN!<br />

Treffen Sie mit <strong>CRESCENDO</strong><br />

Künstler und Gleichgesinnte.<br />

Dass das Prinzregententheater in München nach Prinzregent<br />

Luitpold benannt wurde, wussten Sie? Vielleicht auch, dass der<br />

von <strong>19</strong>00 bis <strong>19</strong>01 errichtete Bau von dem zu dieser Zeit<br />

äußerst erfolgreichen Architekten Max Littmann entworfen<br />

wurde? Littmann orientierte sich damals am Richard-Wagner-<br />

Festspielhaus in Bayreuth und übernahm beispielsweise den<br />

amphitheatralischen Zuschauerraum. Aber hätten Sie auch<br />

gewusst, dass sich die Bühne über eine Fläche von 29 mal<br />

23 Metern erstreckt und damit insgesamt auf eine Fläche von<br />

667 Quadratmetern inklusive „abtrennbarer Hinterbühne“?<br />

Und hinter diese Kulissen, vor denen einst Werke von Orff<br />

und Hindemith uraufgeführt worden sind, haben <strong>CRESCENDO</strong><br />

Leser die Chance zu blicken: am 20. Februar.<br />

Wenn es nämlich heißt „Mittwochs um halb acht“, dann wird<br />

diese Veranstaltung des Münchner Rundfunkorchesters vom<br />

Magazin <strong>CRESCENDO</strong> in Kooperation mit dem Rundfunkorchester<br />

präsentiert. Das heißt: Exklusivleistungen für seine<br />

Leser! Karten in der besten Kategorie, eine Backstage-Führung<br />

vorab und Künstlergespräche in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge im<br />

Gartensaal.<br />

Bevor der junge Geiger Sandro Roy, Multitalent und Grenzgänger<br />

zwischen den Genres, das Publikum auf eine Reise<br />

„Gypsy goes Classic“ mitnimmt, werden <strong>CRESCENDO</strong> Leser<br />

backstage geführt, also hinter die Kulissen des Prinzregententheaters.<br />

Anschließend ist noch etwas Zeit für einen kurzen<br />

Plausch mit anderen Lesern und den Künstlern in der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Lounge im Gartensaal des Prinzregententheaters.<br />

Das Konzert beginnt um <strong>19</strong>.30 Uhr.<br />

Im Anschluss sind Sie herzlich in die <strong>CRESCENDO</strong> Lounge<br />

im Gartensaal eingeladen, wo wir Sie mit einem Getränk empfangen<br />

– ohne Anstehen! Hier können Sie sich mit anderen<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Lesern austauschen und das Team von<br />

<strong>CRESCENDO</strong> treffen. Später haben Sie zudem die Gelegenheit,<br />

einige Künstler des Abends persönlich kennenzulernen.<br />

www.crescendo.de/live (weitere Termine 10.4. und 8.5.20<strong>19</strong>)<br />

RÄTSEL LÖSEN UND<br />

EINE CD-BOX GEWINNEN!<br />

Wer ist hier gesucht? Wenn Sie<br />

die Antwort kennen, dann nehmen<br />

Sie an der Verlosung teil unter<br />

www.crescendo.de/mitmachen.<br />

Diese CD-Box können Sie gewinnen:<br />

„Bernard Haitink: Portrait“<br />

(BR Klassik). Einsendeschluss ist der 28.02.20<strong>19</strong>. Gewinner unseres<br />

letzten Gewinnspiels ist Thomas Duppe aus Homburg. Die Lösung war<br />

Johann Peter Abraham Schulz.<br />

Nette Leute treffen, gute Musik hören – <strong>CRESCENDO</strong>-Verleger<br />

Winfried Hanuschik mit der Sängerin Anna Bonitatibus<br />

FOTOS: FONDAZIONE ISABELLA SCELSI; PRIVAT<br />

42 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


ERLEBEN<br />

Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im <strong>Januar</strong> und Februar im Überblick (ab Seite 44)<br />

Das London Symphony Orchestra und Sir Simon Rattle bei der musica viva (Seite 50)<br />

Ute Lemper ist Artist-in-Residence beim Kurt Weill Fest in Dessau (Seite 54)<br />

28. Februar bis 26. Mai, Frankfurt am Main<br />

GETRIEBEN<br />

VON FURCHT UND<br />

VERLANGEN<br />

Ein Flur mit Türen, die sich zu weiteren Fluren mit Türen<br />

öffnen, ein Krokodil, das sich lässig eine Zigarette anzündet,<br />

ein Mann, der Scheren und Metallwerkzeuge unter<br />

seinem Mantel trägt – dazu elektronisch generierte und<br />

verzerrte Klänge, die die Absurdität und Unheimlichkeit<br />

der Szene um eine weitere Dimension steigern: One<br />

Need Not Be a House, The Brain Has Corridors – die<br />

jüngste Arbeit des schwedischen Künstlerpaares Nathalie<br />

Djurberg und Hans Berg, deren Titel die Zeile eines<br />

Gedichts der amerikanischen Poetin Emily Dickinson<br />

aufgreift, führt den Betrachter durch skurrile Traum- und<br />

Erinnerungswelten. Seltsame Figuren befinden sich an<br />

abgegrenzten Orten, im Wald, in einer Höhle, in einem<br />

Raum, und sie werden getrieben von Furcht und Verlangen.<br />

Seit 2004 arbeiten die beiden zusammen. 2009 wurden<br />

sie für ihre Rauminstallation The Experiment auf der<br />

Biennale in Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet.<br />

In einem umfangreichen Überblick unter dem<br />

Titel A Journey Through Mud and Confusion with Small Glimpses<br />

of Air wird ihr Werk erstmals in Deutschland vorgestellt.<br />

Zu sehen sind rund 40 Video- und Soundarbeiten<br />

der letzten beiden Jahrzehnte, darunter das frühe Video<br />

Tiger Licking Girl’s Butt, großformatige Rauminstallationen<br />

wie The Potato und The Parade, zahlreiche Skulpturen und<br />

ihre erste Virtual-Reality-Arbeit It Will End in Stars aus<br />

dem Jahr 2018.<br />

Frankfurt am Main, Schirn Kunsthalle, www.schirn.de<br />

Nathalie Djurberg und Hans Berg: Szene aus<br />

dem Stopp-Motion-Film „Worship“, 2016<br />

FOTO: DAVID NEMAN<br />

43


E R L E B E N<br />

Februar / <strong>März</strong> 20<strong>19</strong><br />

DIE WICHTIGSTEN<br />

VERANSTALTUNGEN AUF<br />

EINEN BLICK<br />

Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals<br />

PREMIEREN<br />

2.2. AUGSBURG THEATER<br />

Werther / Jules Massenet<br />

2.2. CHEMNITZ THEATER<br />

Die Zauberflöte / W. A. Mozart<br />

2.2. DARMSTADT STAATSTHEATER<br />

Kiss Me Kate / Cole Porter<br />

2.2. ESSEN AALTO-MUSIKTHEATER<br />

Otello / Giuseppe Verdi<br />

2.2. WUPPERTAL BÜHNEN<br />

Play Europeras 1 & 2 / J. Cage<br />

3.2. HAMBURG STAATSOPER<br />

Orphée et Euridice / Chr. W. Gluck<br />

3.2. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />

Rusalka / Antonín Dvořák<br />

3.2. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />

Le Grand Macabre / György Ligeti<br />

8.2. BASEL (CH) THEATER<br />

Der Kaiser von Atlantis / Viktor Ullmann<br />

8.2. ERFURT THEATER<br />

Der Zauberer von Oz / P. Valtinoni<br />

9.2. DORTMUND THEATER<br />

Turandot / Giacomo Puccini<br />

9.2. HEIDELBERG THEATER<br />

Benjamin / Peter Ruzicka<br />

9.2. KAISERSLAUTERN PFALZ-<br />

THEATER Jenůfa / Leoš Janáček<br />

9.2. OSNABRÜCK PFALZ THEATER<br />

Bauhaus / Mary Wigman, Edward Clug<br />

9.2. WIEN (AT) STAATSOPER<br />

Lucia di Lammermoor / G. Donizetti<br />

10.2. AACHEN THEATER<br />

Trouble in Tahiti und A Quiet Place /<br />

Leonard Bernstein<br />

10.2. GIESSEN STADTTHEATER<br />

Königskinder / Engelbert Humperdinck<br />

10.2. MANNHEIM NATIONAL-<br />

THEATER Der gute Ehemann / Georg<br />

Anton Benda und Herzog Blaubarts<br />

Burg / Béla Bartók<br />

10.2. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />

Porgy and Bess / George Gershwin<br />

15.2. KARLSRUHE BADISCHES<br />

STAATSTHEATER<br />

Serse / Georg Friedrich Händel<br />

15.2. LUDWIGSHAFEN THEATER<br />

IM PFALZBAU<br />

Die Hochzeit des Figaro / W. A. Mozart<br />

16.2. FREIBURG THEATER<br />

Hulda / César Franck<br />

16.2. HANNOVER STAATSOPER<br />

Fausts Verdammnis / Hector Berlioz<br />

16.2. REGENSBURG THEATER<br />

Gefährliche Liebschaften / Yuki Mori<br />

9. und 10. <strong>März</strong>, Wuppertal und Leverkusen<br />

FRAGEN NACH DEM<br />

MENSCHLICHEN SEIN<br />

Solitude-Chor Stuttgart<br />

Der Holocaust habe ihn tief in seiner Seele getroffen, erklärt der<br />

kanadische Komponist Zane Zalis. Je mehr er über das Geschehen<br />

nachgedacht und mit anderen darüber gesprochen habe, desto<br />

deutlicher sei ihm geworden, dass er darüber schreiben müsse.<br />

Dabei waren es allgemeine Fragen nach dem menschlichen Sein,<br />

und was es bedeutet, wenn Menschen einander Derartiges antun,<br />

die ihn umtrieben. Er hatte den Wunsch, eine emotionale Verbindung<br />

zur Vergangenheit herzustellen, und suchte nach einer Darstellungsweise,<br />

die nachfühlbar machen könnte, wie dieses entsetzliche<br />

Ereignis der menschlichen Geschichte sich für jene angefühlt<br />

hat, die sich mittendrin befanden – Opfer wie Täter. Fünf<br />

Jahre verbrachte er damit nachzudenken, zu lesen und Gespräche<br />

zu führen. Auf diesem Wege entstand ein gewaltiges Werk. Von<br />

Bach über Wagner bis zu zeitgenössischem Jazz und elektronischer<br />

Musik erstreckt sich Zalis’ musikalische Palette. I Believe – A Holocaust<br />

Oratorio for Today ist eine vielfältige und emotional überwältigende<br />

Komposition für Orchester, Chöre und Solisten. An der<br />

Aufführung wirken die Sopranistin Kelsey Cowie, der Tenor Jean-<br />

Pierre Ouellet und der Bassist Marko Zeiler sowie der Solitude-<br />

Chor Stuttgart, der Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal und<br />

der Leverkusener Kinder- und Jugendchor mit. Es spielen die<br />

Bayer-Philharmoniker unter Bernhard Steiner. Sprecher ist Stefan<br />

Müller-Ruppert.<br />

Wuppertal, Historische Stadthalle, 9.3., Leverkusen, Erholungshaus, 10.3.,<br />

www.kultur.bayer.de<br />

FOTO: HAWA, MATERIAL DER STAATSOPER ŁÓDŹ<br />

16.2. WIEN (AT) THEATER AN DER<br />

WIEN Elias / F. Mendelssohn Bartholdy<br />

17.2. BERLIN STAATSOPER<br />

Die Zauberflöte / W. A. Mozart<br />

17.2. HAMBURG STAATSOPER<br />

All Our Yesterdays / John Neumeier<br />

17.2. MANNHEIM NATIONAL-<br />

THEATER Orpheus in der Unterwelt /<br />

Jacques Offenbach<br />

17.2. MÜNSTER THEATER<br />

Das Tagebuch der Anne Frank / G. Frid<br />

22.2. DESSAU ANHALTISCHES THEA-<br />

TER Im weißen Rössl / Ralph Benatzky<br />

22.2. HALLE OPER<br />

Ariadne auf Naxos / Richard Strauss<br />

22.2. STUTTGART OPER<br />

One of a Kind / Jiři Kylián<br />

23.2. BRAUNSCHWEIG STAATSTHE-<br />

ATER Die lustige Witwe / Franz Lehár<br />

23.2. COTTBUS STAATSTHEATER<br />

Frau Luna / Paul Lincke<br />

23.2. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />

Così fan tutte / W. A. Mozart<br />

24.2. BERN (CH) THEATER<br />

Lotario / G. F. Händel<br />

24.2. ESSEN AALTO-MUSIKTHEATER<br />

Der Ring an einem Abend / Richard<br />

Wagner, Vicco von Bülow<br />

24.2. FRANKFURT AM MAIN OPER<br />

Dalibor / Bedřich Smetana<br />

24.2. GERA LANDESTHEATER ALTEN-<br />

BURG Oedipe / George Enescu<br />

24.2. HAMBURG STAATSOPER<br />

The World of John Neumeier<br />

1.3. GELSENKIRCHEN<br />

MUSIKTHEATER IM REVIER<br />

Eugen Onegin / Peter I. Tschaikowsky<br />

1.3. GELSENKIRCHEN<br />

MUSIK THEATER IM REVIER<br />

Big Fish / Andrew Lippa und John Appelt<br />

2.3. CHEMNITZ THEATER<br />

Drachenherz / Wolfgang Böhmer<br />

2.3. SALZBURG (AT) LANDESTHEA-<br />

TER Der Prozess / Philip Glass<br />

3.3. HILDESHEIM THEATER FÜR<br />

NIEDERSACHSEN<br />

Die Prinzessin von Trapezunt /<br />

Jacques Offenbach<br />

8.3. DRESDEN SEMPEROPER<br />

Die verkaufte Braut / Bedřich Smetana<br />

8.3. GERA LANDESTHEATER<br />

Die Passagierin / Mieczysław Weinberg<br />

8.3. LUDWIGSHAFEN THEATER<br />

IM PFALZBAU<br />

Das Land des Lächelns / Franz Lehár<br />

8.3. LÜBECK THEATER<br />

A Quiet Place / Leonard Bernstein<br />

44 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


FOTOS: ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />

12. und 14. Februar<br />

BERLIN<br />

MUSIK AN DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT<br />

Mit Gustav Mahlers gewaltiger Achter Sinfonie<br />

feiern die Musikensembles der Humboldt-<br />

Universität Jubiläum. Vor 25 Jahren rief der<br />

Universitätsmusikdirektor Constantin Alex<br />

Humboldts Studentische Philharmonie und<br />

Humboldts Philharmonischen Chor ins Leben.<br />

Damit begründete er die Institution Musik an<br />

der Humboldt-Universität. Mittlerweile vereint sie sechs Ensembles<br />

unter ihrem Dach. Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen bietet<br />

sie die Möglichkeit, gemeinsam zu musizieren, über ihr Fachstudium<br />

hinaus Fähigkeiten zu entwickeln und Anschluss an Gleichgesinnte zu<br />

finden. Zu den Jubiläumskonzerten kommen die beiden studentischen<br />

Sinfonieorchester sowie die beiden großen Chöre zusammen. Als Gäste<br />

wirken Solisten sowie der Rundfunk-Kinderchor Berlin und der Kinderchor<br />

„Georg-Friedrich-Händel“ mit. Am Pult steht Constantin Alex.<br />

Berlin, Philharmonie, 12.2., Konzerthaus, 14.2.,<br />

www.musikundmedien.hu-berlin.de/de/umd<br />

9. <strong>März</strong><br />

BERLIN BABYLON<br />

Es war die Frage, ob Babylon nicht doch mehr<br />

gewesen sei als Hurerei und Sprachverwirrung,<br />

die Jörg Widmann (Foto) umtrieb und ihn 2012<br />

zu seiner Oper Babylon anregte. Der Philosoph<br />

Peter Sloterdijk verfasste ihm dazu ein gedankenschweres<br />

Libretto. Jetzt hat Widmann das<br />

Werk überarbeitet. Da die babylonische Sprachverwirrung<br />

im Libretto nicht vorkomme, passiere sie in der Musik,<br />

ebenso der Turmbau zu Babel. „Der Bau der Partitur entspricht der<br />

Form einer Zikkurat, also dem Babelturm“, erläutert Widmann. Bis zum<br />

siebten Bild hin verjünge sich das Werk immer mehr. So werde der Turm<br />

in der Musik gebaut. Die Uraufführung der Neufassung leitet Daniel<br />

Barenboim. Die Inszenierung übernimmt Andreas Kriegenburg. Als Jude<br />

Tammu ist Charles Workman zu erleben. Die Seele ist Mojca Erdmann.<br />

Die Partie der Inanna singt Susanne Elmark, und als Priesterkönig steht<br />

John Tomlinson auf der Bühne.<br />

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, 9. (Premiere), 11., 20., 22. und 24.3.,<br />

www.staatsoper-berlin.de<br />

8. <strong>März</strong><br />

MEININGEN SCHLOSS DÜRANDE<br />

Othmar Schoeck war der erste Schweizer Komponist,<br />

der außerhalb seines Landes Beachtung<br />

errang. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieß seine<br />

spätromantische Ästhetik zwar auf wenig<br />

Resonanz. In den <strong>19</strong>80er-Jahren aber wurden<br />

einzelne seiner Werke wiederentdeckt. Schloss<br />

Dürande komponierte Schoeck nach einer<br />

Novelle von Joseph Eichendorff, die ihm 30 Jahre zuvor Hermann Hesse<br />

empfohlen hatte. Sie handelt von der Liebe des Grafen Armand Dürande<br />

zu Gabriele, der Schwester seines Waldhüters Renald. Da dieser jedoch<br />

der Reinheit seiner Liebe misstraut, schließt er sich den Revolutionären<br />

an, stürmt das Schloss und erschießt Armand und seine Schwester. Als er<br />

erkennt, wie unrecht er hatte, legt er Feuer an den Pulverturm und<br />

kommt in der gewaltigen Explosion, die das ganze Schloss zerstört, ums<br />

Leben. Mit dem Libretto wurde der deutsche, dem Nationalsozialismus<br />

anhängende Dichter und Dramatiker Hermann Burte beauftragt. Der<br />

sagte auch zu, wollte jedoch den Schluss ändern: „Ein happy end ist als<br />

Wirkung einem killing around vorzuziehen: Hochzeitsmarsch angenehmer<br />

als Trauermarsch.“ Schoeck aber blieb fest: „Der Stoff ist unbedingt<br />

tragisch.“ Die Uraufführung erfolgte am 1. April <strong>19</strong>43 mitten im<br />

Krieg in Berlin. Das Publikum war begeistert. Die Explosion des Schlosses<br />

am Ende gelang so realistisch, dass sie für einen Bombeneinschlag gehalten<br />

wurde. Der große Erfolg blieb dennoch aus, und nach dem Krieg<br />

geriet die Oper in Vergessenheit. In einem Projekt der Hochschule der<br />

Künste und der Universität Bern wurde nun das nationalsozialistisch geprägte<br />

Libretto restauriert und durch Originaltexte von Joseph Eichendorff<br />

ergänzt. Am Pult steht Philippe Bach. Die Inszenierung mit Ondrej<br />

Šaling (Foto) als Armand übernimmt Ansgar Haag.<br />

Meiningen, Staatstheater, 8. (Premiere), 10., 16. und 29.3., 28.4., 8. und 7.5., 27.<br />

und 30.6. sowie 6.7., www.meininger-staatstheater.de<br />

Ab 5. Februar<br />

ESSEN WILLIAM FORSYTHE<br />

„Ich bin ein Künstler, der im Medium der Choreografie<br />

arbeitet“, erklärt William Forsythe. Von<br />

<strong>19</strong>84 bis 2009 war er Ballettdirektor des Frankfurter<br />

Balletts. 2005 bis 2015 leitete er die von<br />

ihm gegründete Forsythe Company. 20<strong>19</strong> begeht<br />

er seinen 70. Geburtstag, und das Museum<br />

Folkwang feiert ihn das ganze Jahr über. Im Februar<br />

zeigt es im Foyer die interaktive Videoarbeit City of Abstracts (Foto).<br />

Im Frühsommer sind Human Writes Drawings zu sehen, großformatige<br />

Papierarbeiten, die Forsythes choreografische Auseinandersetzung mit<br />

den Menschenrechten ins Genre der Zeichnung übertragen. Im Sommer<br />

installiert Forsythe Aviariation. Das Werk, dessen Titel eine Kombination<br />

aus dem englischen Wort „aviary“ (Voliere) und Variation ist, verwandelt<br />

die Bäume in einem der Lichthöfe des Museums in ein choreografisches<br />

Naturtheater. Und im November gibt es im Rahmen von „100 Jahre Bauhaus<br />

im Westen“ das Projekt Acquisition mit zwei Tänzern zu sehen.<br />

Essen, Museum Folkwang, www.museum-folkwang.de<br />

14. Februar<br />

FRANKFURT AM MAIN<br />

RHAPSODY IN CONCERT<br />

Sich alle Freiheiten zu nehmen, um Geschichten<br />

zu erzählen – das ist die Idee der musikalischen<br />

Gattung Rhapsodie. Die Künstler-Initiative<br />

Rhapsody in School greift diese Idee auf. Über<br />

400 Musiker besuchen in ihrem Rahmen Schulen<br />

und erzählen von ihrer Musik und ihren Instrumenten.<br />

Die Konzertreihe „Rhapsody in Concert“<br />

stellt diese Musiker in Konzerten vor. In der Alten Oper Frankfurt<br />

unternehmen die Pianistin und Rhapsody-Botschafterin Annika Treutler,<br />

der Hornist Felix Klieser, Miljenko Turk, Bariton an der Kölner Oper und<br />

Mitbegründer von „Rhapsody goes Opera“, mit dem Quintett Spark und<br />

dem Signum Saxophone Quartet einen Streifzug durch Rhapsodien vom<br />

18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Moderiert wird der Abend von<br />

Schülern, die sich zuvor im Rahmen eines Projekts intensiv mit den Werken<br />

befassten.<br />

Frankfurt am Main, Alte Oper, www.rhapsody-in-school.de<br />

9. Februar<br />

MÜNCHEN NEBENSONNEN<br />

Als Franz Schubert im Herbst 1827 seinen<br />

Freunden die Vertonung des Liederzyklus<br />

Winterreise auf dem Klavier vorspielte, waren sie<br />

erschüttert. Helle Töne fehlten darin komplett.<br />

Andreas Höricht, Bratschist des Voyager<br />

Quartets, hat 12 der 24 Liedkompositionen<br />

Schuberts aus dem Zyklus für sein Streichquartett<br />

arrangiert. Nebensonnen nach dem Titel des 23. Liedes haben<br />

die Violinis ten Nico Christians und Maria Krebs, der Cellist Klaus Kämper<br />

und Andreas Höricht, die 2014 zum Quartett zusammenfanden, den<br />

Abend überschrieben. Beethovens Streichquartett Nr. 14 cis-Moll,<br />

op. 131 widmen sie den zweiten Teil. Es gehört zu den späten, dunklen<br />

Quartetten Beet hovens. Wagner sah darin das „Schwermütigste“, was je<br />

in Tönen ausgesagt wurde. Allein George Bernard Shaw rühmte gerade<br />

die späten Quartette als die schönen, „geradlinigen, unprätentiösen,<br />

vollkommen verständlichen“.<br />

München, Allerheiligen-Hofkirche, www.voyagerquartet.de<br />

45


E R L E B E N<br />

20. Februar, München<br />

BEEINDRUCKENDE KUNSTFERTIGKEIT<br />

Sandro Roy<br />

FOTO: SANDRO ROY<br />

Der Geiger Sandro Roy entstammt einer Sinti-Familie. Bewundert als<br />

Musiker, sind Sinti und Roma in Europa als Menschen allzu oft ausgegrenzt.<br />

Durch wirtschaftliche und soziale Umstände zum Wanderdasein<br />

gezwungen, hat der Musikerberuf eine lange Tradition bei ihnen.<br />

So spielten sie in den jeweiligen Gastländern für die Angehörigen des<br />

Mehrheitsvolkes – und zwar deren Musik. Eine ungeheure Vielfalt an<br />

Musikstilen schufen sie dadurch, und mit beeindruckender Kunstfertigkeit<br />

verstanden sie es, jedem Musikstück ihren Stempel aufzudrücken.<br />

Sandro Roy stellt Werke von Sinti- und Roma-Musikern vor wie Hejre<br />

Kati des ungarischen Komponisten und Violinisten János Bihari, den<br />

auch Beethoven und Liszt bewunderten, Hora mărțișorului des rumänischen<br />

Komponisten und Violinisten Grigoraș Dinicu oder Minor<br />

Swing des legendären Django Reinhardt. Darüber hinaus kommen<br />

Werke von George Enescu, Vittorio Monti, Pablo de Sarasate sowie<br />

des Filmkomponisten Miklós Rózsa zur Aufführung. Deutlich wird der<br />

überwältigende Einfluss der Sinti- und Roma-Musiker auf das europäische<br />

Musikschaffen. Das Konzert „Gypsy goes Classic“, geleitet von<br />

Henry Raudales und moderiert von Antonia Goldhammer, ist Teil der<br />

Reihe „Mittwochs um halb acht“ des Münchner Rundfunkorchesters.<br />

Das Magazin <strong>CRESCENDO</strong> präsentiert es in Kooperation mit dem<br />

Rundfunkorchester und bietet Exklusivleistungen für seine Leser:<br />

Karten in der besten Kategorie, eine Backstage-Führung vorab und<br />

Künstlergespräche in der <strong>CRESCENDO</strong>-Lounge im Gartensaal.<br />

München, Prinzregententheater, www.crescendo.de/live<br />

1. <strong>März</strong><br />

BERLIN LA SYLPHIDE<br />

La Sylphide bildet einen Meilenstein in der Geschichte<br />

des klassischen Balletts. Die Choreografie<br />

Filippo Taglionis folgt einem Libretto über<br />

die unerfüllte Liebe eines schottischen Landjunkers<br />

zu einer Sylphide, einem geflügelten<br />

Geis terwesen. Taglionis Tochter Maria, die bei<br />

der Uraufführung an der Pariser Oper 1832<br />

die Sylphide tanzte, verhalf dem Spitzentanz zur Durchsetzung. Der<br />

Kostümbildner Eugène Lami schuf mit dem weißen, durchschimmernden<br />

Knierock das fortan typische Ballettkostüm. Und das in weiße Tutus gekleidete<br />

Corps de ballet, das die im Wald leichtfüßig dahinschwebenden<br />

Sylphiden darstellte, wurde zum Modell des Ballet blanc. Überliefert ist<br />

La Sylphide in einer Fassung, die August Bournonville 1836 am Königlichen<br />

Theater in Kopenhagen schuf. Frank Andersen, jahrelanger Leiter des<br />

Königlich Dänischen Balletts und Bournonville-Spezialist, hat diese Fassung<br />

rekonstruiert, und das Staatsballett Berlin erweckt sie zu Herman<br />

Severin LØvenskiolds Musik zum Bühnenleben.<br />

Berlin, Deutsche Oper, 1. (Premiere), 3., 12., und 22.3., 4., 22. und 26.4. sowie 26.<br />

und 31.5., www.staatsballett-berlin.de<br />

9. <strong>März</strong><br />

KOBLENZ DOCTOR ATOMIC<br />

Während des Zweiten Weltkriegs bereiteten<br />

in der Wüste New Mexicos Wissenschaftler,<br />

Regierungsbeamte und Militärs die Tests einer<br />

Atombombe vor. Am 6. und 9. August <strong>19</strong>45<br />

wurde sie auf Hiroshima und Nagasaki geworfen.<br />

John Adams (Foto) nahm jenes Manhattan-<br />

Projekt zum Sujet seiner Oper Doctor Atomic, zu<br />

der Peter Sellars das Libretto verfasste. Zu Beginn trägt ein Chor Albert<br />

Einsteins Formel E = mc 2 als apokalyptischen Chor des Schreckens vor.<br />

Der erste Akt spielt <strong>19</strong>45, etwa einen Monat vor den ersten Tests in der<br />

Wüste. Dabei geht es Adams vor allem darum, die Charaktere der Beteiligten<br />

auszuleuchten und ihre Zweifel, Ängste und Anspannung in der<br />

Musik zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich wussten die Physiker damals<br />

nicht, wie die Tests ausgehen würden. Die Aufführung in Koblenz wird<br />

musikalisch von Enrico Delamboye geleitet. Die Inszenierung mit Andrew<br />

Finden als J. Robert Oppenheimer, Jongmon Lim als Edward Teller und<br />

Ilkka Vihavainen als General Leslie Groves besorgt Markus Dietze.<br />

Koblenz, Theater, 17., 28. und 30.3., 7.4., 5. und 24.5. sowie 5., 18. und 20.6.,<br />

www.theater-koblenz.de<br />

46 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


FOTOS: ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />

9.3. KASSEL STAATSTHEATER<br />

Die Walküre / Richard Wagner<br />

9.3. KIEL THEATER<br />

Die Frau ohne Schatten / R. Wagner<br />

9.3. LÜNEBURG THEATER<br />

Der Rosenkavalier / Richard Strauss<br />

9.3. MAINZ STAATSTHEATER<br />

Avis de Tempête / Georges Aperghis<br />

9.3. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />

Der fliegende Holländer / R. Wagner<br />

10.3. BONN THEATER<br />

Elektra / Richard Strauss<br />

10.3. HAMBURG STAATSOPER<br />

Nabucco / Giuseppe Verdi<br />

10.3. KÖLN OPER<br />

Rusalka / Antonín Dvořák<br />

13.3. BERLIN STAATSOPER<br />

Schneewittchen / Wolfgang Mitterer<br />

14.3. BERN (CH) THEATER<br />

Humanoid / Leonard Evers<br />

10. Februar, München<br />

KÜNSTLER<br />

LEIF OVE ANDSNES<br />

7., 8.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

22.2. Berlin, Konzerthaus<br />

10.3. Essen, Alfried Krupp Saal der<br />

Philharmonie<br />

BENJAMIN APPL<br />

17.2., 2., 8. und 9.3. Hamburg,<br />

Staatsoper<br />

24.2. Münster, Theater<br />

26.2. Dortmund, Konzerthaus<br />

10.3. Hitzacker, Verdo<br />

SALEEM ASHKAR<br />

21.2. Duisburg, Lehmbrück Museum<br />

23.2. Garmisch-Partenkirchen,<br />

Kongresshaus<br />

EIN MENSCH VOLLER<br />

UNENTSCHLOSSENHEIT<br />

Bo Skovhus<br />

Karl V. ist das erste Werk, in dem Ernst Krenek die Zwölftontechnik<br />

anwandte. Clemens Krauss, der Direktor der Wiener Staatsoper,<br />

hatte ihn <strong>19</strong>30 beauftragt, eine Oper zu schreiben. Krenek wählte<br />

den römisch-deutschen Kaiser, der für ihn zu jenen „problematischen,<br />

dunklen Gestalten“ gehörte, die ihn schon immer anzogen,<br />

„ein Mensch voller Zweifel und großer Unentschlossenheit“. Die<br />

Tatsache, dass er beispiellose Macht ausübte und sie aufgab, um<br />

seine letzten Tage in einem entlegenen spanischen Kloster zu verbringen,<br />

faszinierte ihn. Krenek sah in dem Kaiser „einen der letzten<br />

Repräsentanten der mittelalterlichen Vorstellung von Universalität“.<br />

Nach einem Jahr mühseliger Recherchen erarbeitete er sein Libretto,<br />

in dem der sterbende Kaiser im Kloster von San Juste dem jungen<br />

Mönch Juan de Regla sein Leben erzählt. Krenek entwickelte seine<br />

eigene Interpretation der Geschichte. Denn er wollte ein politisches<br />

Drama schaffen. Zu einer Aufführung in Wien kam es allerdings<br />

nicht, denn Krenek musste emigrieren. Erst nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg fand das Werk seine Anerkennung. An der Bayerischen<br />

Staatsoper setzt die Theatergruppe Carlus Padrissa – La Fura dels<br />

Baus es in Szene. Erik Nielsen dirigiert. Die Titelpartie übernimmt<br />

Bo Skovhus (Foto).<br />

München, Nationaltheater, 10. (Premiere), 13., 16., 21. und 23.2. sowie<br />

14.7., www.staatsoper.de<br />

FOTO: ROLAND UNGER<br />

14. Februar 20<strong>19</strong><br />

Die Luft, in der ich atme<br />

Das Künstlerpaar Clara und<br />

Robert Schumann im Portrait<br />

Fatma Said (Sopran)<br />

Malcolm Martineau (Klavier)<br />

Jutta Speidel (Rezitation)<br />

21. Juni 20<strong>19</strong><br />

Meisterpianist<br />

Franz Liszt:<br />

„Années de pèlerinage“<br />

(Auszüge)<br />

Louis Lortie (Klavier)<br />

www.kunstklang-feuchtwangen.de<br />

Kartentelefon 09852 904-44<br />

C-MOLL-MESSE<br />

WOLFGANG AMADEUS MOZART<br />

Sonntag, 17. <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>, 20.00 Uhr<br />

München, Herkulessaal der Residenz<br />

Solisten<br />

Chor und Symphonieorchester der Bayerischen Philharmonie<br />

Mark Mast Dirigent<br />

www.bayerische-philharmonie.de<br />

Karten: 59 / 49 / 39 / 32 / 24 €, ermäßigt 50 %<br />

Telefon +49 89 120 220 320 | info@bayerische-philharmonie.de | www.muenchenticket.de<br />

Foto: Gisela Schenker<br />

47


E R L E B E N<br />

AURYN QUARTETT<br />

6.2. Memmingen, Kreuzherrensaal<br />

7.2. Stuttgart, Liederhalle<br />

9.2. München, Max-Joseph-Saal<br />

17.2. Wiesbaden, Herzog-Friedrich-<br />

August-Saal<br />

AVI AVITAL<br />

10.2. Berlin, Konzerthaus<br />

11.2. Bielefeld, Rudolf-Oetker-Halle<br />

12.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />

13.2. Heidelberg, Stadthalle<br />

16.2. Hannover, NDR Landesfunkhaus<br />

17.2. Darmstadt, Staatstheater<br />

<strong>19</strong>. u. 20.2. Hamburg, Elbphil harmonie<br />

21.2. Wien (AT), Musikverein<br />

22.2. Linz (AT), Brucknerhaus<br />

24.2. Friedrichshafen, Graf-Zeppelin-H.<br />

25.2. Schaffhausen (CH), Kirche<br />

St. Johann<br />

26.2. und 2.3. Zürich (CH),<br />

Tonhalle Maag<br />

27.2. Neumarkt, Reitstadel<br />

Benjamin Appl<br />

SERGEI BABAYAN<br />

22., 24. und 25. 2. Düsseldorf, Tonhalle<br />

2.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

4.3. Krün, Schloss Elmau<br />

10.3. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

14.3. Wien (AT), Konzerthaus<br />

17.3. München, Prinzregententheater<br />

CHRISTIAN BENNING<br />

9.2. Dachau, Schloss<br />

13.3. Bonn, Beethoven-Haus<br />

YEFIM BRONFMAN<br />

26.2. Köln, Philharmonie<br />

28.2. München, Prinzregententheater<br />

4.3. Berlin, Pierre Boulez Saal<br />

KHATIA BUNIATISHVILI<br />

23.2. Dresden, Kulturpalast<br />

25.2. Berlin, Philharmonie<br />

SEONG-JIN CHO<br />

22.2. Köln, Philharmonie<br />

23.2. Bielefeld, Rudolf-Oetker-Halle<br />

6. bis 10. Februar, Zürich und Bürgenstock (CH)<br />

FREMDHEIT<br />

UND EINSAMKEIT<br />

Das 7. Winterfestival in dem schweizerischen Bergkurort Bürgenstock<br />

hoch über dem Vierwaldstädtersee widmet sich Franz Schuberts<br />

ergreifendem Liederzyklus Winterreise. Ein Jahr vor seinem<br />

Tod vertonte Schubert die Verse Wilhelm Müllers, die von der existenziellen<br />

Fremdheit und Einsamkeit des Menschen auf Erden erzählen.<br />

Unter der künstlerischen Leitung des Klarinettisten Andreas<br />

Ottensamer und des Pianisten José Gallardio, die auch selbst zu den<br />

Mitwirkenden zählen, werden die Lieder an fünf Konzertabenden<br />

kombiniert mit neuen Arrangements der Lieder ohne Worte von Felix<br />

Mendelssohn Bartholdy sowie Werken von Carl Maria von Weber,<br />

Max Bruch, Johannes Brahms und Leoš Janáček. Als Sänger wurde<br />

der Bariton Benjamin Appl (Foto) gewonnen. <strong>19</strong>82 in Regensburg<br />

geboren, studierte er an der Hochschule für Musik und Theater in<br />

München, an der Juilliard School in New York sowie der Guildhall<br />

School of Music in London und war der letzte Schüler von Dietrich<br />

Fischer-Dieskau. Dessen Tradition lebendig fortführend, hat er sich<br />

leidenschaftlich der Liedkunst hingegeben, die ihr Augenmerk auch<br />

auf die Textausdeutung legt. Im Abschlusskonzert des Festivals gibt<br />

es das neue Album der Bürgenstock Festival CD-Edition zu sehen.<br />

Zürich und Bürgenstock (CH), Kaufleuten und Hotel Villa Honegg,<br />

www.buergenstock-festival.ch<br />

FOTO: UWE ARENS SONY CLASSICAL<br />

16. Februar<br />

DÜSSELDORF<br />

SCHADE, DASS SIE EINE HURE WAR<br />

Ein elisabethanisches Schauerdrama schuf der<br />

Shakespeare-Zeitgenosse John Ford mit seiner<br />

Tragödie ’Tis Pitty Shees a Whore. Inzest, Intrige<br />

und Mord sind die Themen der Handlung, die<br />

Ford allerdings mit psychologischem Gespür<br />

gestaltet. Die geschwisterliche Liebe Giovannis<br />

und Annabellas stellt er als schicksalhafte<br />

Fügung dar, der sich die beiden nur zögernd beugen. Anno Schreier, geschätzt<br />

für die Sinnlichkeit seiner Musik, nimmt das Drama zur Vorlage<br />

seiner Oper Schade, dass sie eine Hure war. In der Uraufführung, dirigiert<br />

von Lukas Beikircher und inszeniert von David Hermann, stehen Lavinia<br />

Dames (Foto) und Jussi Myllys als Geschwisterpaar auf der Bühne.<br />

Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, 16. (Premiere), 23., und 27.2. sowie 8.,<br />

10. und 17.3., www.operamrhein.de<br />

16. und 23. <strong>März</strong><br />

BERLIN UND HAMBURG<br />

SCHAROUN ENSEMBLE BERLIN<br />

Mit einer Uraufführung feiert das Scharoun<br />

Ensemble Berlin sein 35-jähriges Bestehen.<br />

<strong>19</strong>83 wurde es von Mitgliedern der Berliner<br />

Philharmoniker in der klassischen Orchesterbesetzung<br />

mit Klarinette, Fagott, Horn, zwei<br />

Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass gegründet.<br />

Im Jubiläumskonzert stehen Arnold<br />

Schönbergs Zweites Streichquartett sowie Sofia Gubaidulinas Hommage<br />

à T. S. Eliot auf dem Programm, an deren Aufführung die Sopranistin<br />

Rinnat Moriah mitwirkt. Außerdem gibt es das Oktett zu hören, das<br />

George Benjamin, Composer-in-Residence der Berliner Philharmoniker,<br />

nach seinen Studien bei Olivier Messiaen in Paris komponierte. Und zur<br />

Uraufführung kommt ein neues Werk von Mark Andre.<br />

Berlin, Kammermusiksaal der Philharmonie, 16.2., Hamburg, Kleiner Saal der<br />

Elbphilharmonie, 23.2., scharoun-ensemble.com<br />

21. Februar<br />

MÜNCHEN WINTERREISE<br />

Franz Schubert war der Schöpfer des lyrischdramatischen<br />

Liedes. Wie keiner vor ihm<br />

fügte er dichterischen Text, Melodien und stimmungsvolle<br />

Begleitung zu einer Einheit. Gedanken<br />

und Gefühle von Dichtern begegnen den<br />

seinigen und lassen ergreifende Miniaturen des<br />

Lebens entstehen. Eine der berührendsten<br />

Liedkompositionen Schuberts ist die Winterreise. Immer wieder neu stellt<br />

sich in ihr die Frage nach dem Sinn des Lebens. Der Bariton Thomas<br />

Gropper und die Pianistin Maharani Chakrabarti, die seit über 15 Jahren<br />

als Lied-Duo auftreten, bringen die 24 Lieder des Zyklus zur Aufführung.<br />

München, Max-Joseph-Saal, www.muenchenticket.de<br />

16. bis 23. Februar<br />

BERLIN BRAHMS-PERSPEKTIVEN<br />

Lange zögerte Johannes Brahms, ehe er sich auf<br />

das „große Abenteuer“ einließ, eine Sinfonie zu<br />

schreiben. Er sah es als eine „Sache von Leben<br />

und Tod“ an. Erst im Alter von 43 Jahren legte<br />

er nach zahlreichen Vorstudien seine Erste<br />

Sinfonie vor. Robin Ticciati und das Deutsche<br />

Symphonie-Orchester Berlin widmen sich in<br />

einem Festival allen vier Brahms-Sinfonien. Unter dem Motto „Brahms-<br />

Perspektiven“ spüren sie historischen Linien nach, die zu Brahms führen<br />

und von ihm ausgehen. Zum Abschluss gibt es einen literarisch-musikalischen<br />

Abend mit Klavierstücken und Briefen Brahms’.<br />

Berlin, verschiedene Spielorte, www.dso-berlin.de<br />

48 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


FOTOS: MAX BRUNNERT; ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />

24.2. Berlin, Philharmonie<br />

27.2. Wuppertal, Hist. Stadthalle<br />

1.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

15.3. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

LUCAS DEBARGUE<br />

10., 11.2. Hamburg, Elbphil harmonie<br />

17.2. München, Prinzregententheater<br />

FAURÉ QUARTETT<br />

16.2. Geseke, Rittergut Störmede<br />

17.2. Marburg, Erwin-Piscator-Haus<br />

23.2. Gschwend, Evangelische Kirche<br />

SOL GABETTA<br />

2.2. Freiburg, Konzerthaus<br />

3.2. Frankfurt, Alte Oper<br />

11.2. Rheinfelden (CH), Kurbrunnensaal<br />

12.2. Vaduz (CH), Vaduzer Saal<br />

14.2. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

15.2. Bern (CH), Kursaal<br />

<strong>19</strong>.2. Winterthur (CH), Stadthaus<br />

HÉLÈNE GRIMAUD<br />

2.2. Mannheim, Rosengarten<br />

3.2. Bremen, Die Glocke<br />

6.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

8.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />

MARTIN GRUBINGER<br />

21.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

24.2. Köln, Philharmonie<br />

26.2. Wien (AT), Konzerthaus<br />

28.2., 1.3. Berlin, Philharmonie<br />

5.3. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

6.3. Düsseldorf, Tonhalle<br />

7.3. Ludwigshafen, Feierabendhaus<br />

8.3. Reutlingen, Stadthalle<br />

9., 10.3. Hannover, Gr. Sendesaal<br />

13., 14.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

FOTO: ASTRID ACKERMANN<br />

BORIS GILTBURG<br />

10.3. Hitzacker, Verdo<br />

11.3. Magdeburg, Johanniskirche<br />

JULIA HAGEN<br />

6.3. Salzburg (AT), Großes Festspielh.<br />

9.3. Aue, Kulturhaus<br />

11.3. Annaberg-Buchholz, Eduard-von-<br />

Winterstein-Theater<br />

HILARY HAHN<br />

28.2. Stuttgart, Liederhalle<br />

1.3. Freiburg, Konzerthaus<br />

3.3. Mannheim, Rosengarten<br />

SIMON HÖFELE<br />

3.2. Halle, Steintor-Varieté<br />

11. bis 13.2. Schwerin, Mecklenburgisches<br />

Staatstheater<br />

17.2. Basel (CH), Casino<br />

3.3. München, Prinzregententheater<br />

16.3. Leipzig, Gewandhaus<br />

DANIEL HOPE<br />

12., 16.2. Dresden, Frauenkirche<br />

10.3. Baden-Baden, Festspielhaus<br />

12.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

15. bis 17.3. Berlin, Konzerthaus<br />

MAXIMILIAN HORNUNG<br />

2.2. Ludwigshafen, Pfalzbau<br />

3.2. Northeim, Stadthalle<br />

15.2. Grünwald, August Everding Saal<br />

16.2. Donaueschingen, Donauhallen<br />

17.2. Bonn, Trinitatiskirche<br />

<strong>19</strong>.2. Köln, Deutschlandfunk<br />

23.2. Freinsheim, Von-Busch-Hof<br />

3., 4.3. Karlsruhe, Staatstheater<br />

14., 15.3. Bremen, Glocke<br />

16.3. Heidelberg, Stadthalle<br />

2. <strong>März</strong>, München<br />

LUISA IMORDE<br />

7.2. Köln, Steinway Galerie<br />

8.2. Bonn, Historischer Gemeindesaal<br />

Bad Godesberg<br />

13.2. Bremen, Die Glocke<br />

15.2. Wels (AT), Klavierhaus<br />

ARTHUR UND LUCAS JUSSEN<br />

3.2. Oldenburg, Staatstheater<br />

12.2. Heidelberg, Alte Aula<br />

JONAS KAUFMANN<br />

7.2. Berlin, Philharmonie<br />

10.2. Frankfurt, Alte Oper<br />

14.2. München, Philharmonie<br />

17.2. Hannover, Kuppelsaal<br />

KLANGFORUM WIEN<br />

6., 8.2. Stuttgart, Theaterhaus<br />

15.2. Graz (AT), Helmut List Halle<br />

22., 23.2. Wien (AT),<br />

MuseumsQuartier<br />

4.3. Wien (AT), Konzerthaus<br />

9.3. München, Allerheiligen-Hofkirche<br />

JAN LISIECKI<br />

1.2. Essen, Philharmonie<br />

4.2. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

5.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

6.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />

7.2. Nürnberg, Meistersingerhalle<br />

8.2. Hannover, Congress Zentrum<br />

ALICE SARA OTT<br />

<strong>19</strong>.2. Berlin, Philharmonie<br />

20.2. München, Philharmonie<br />

27.2. bis 1.3. Salzburg (AT)<br />

Felsen reitschule<br />

8.3. Wien (AT), Musikverein<br />

11.3. St. Pölten (AT), Festspielhaus<br />

SANDRO ROY<br />

3.3. Augsburg, Brechthaus<br />

MARIA SOLOZOBOVA<br />

3.2. München, Prinzregententheater<br />

2.3. Ulm, Haus der Begegnung<br />

3.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

4.3. München, Herkulessaal<br />

MARTIN STADTFELD<br />

2.2. München, Prinzregententheater<br />

3.2. Berlin, Kammermusiksaal der<br />

Philharmonie<br />

17.2. Delmenhorst, Theater<br />

24.2. Frankfurt am Main, Holzhausenschlösschen<br />

9.3. Boppard, Stadthalle<br />

STEFAN ZWEIG TRIO<br />

27.2. Berlin, Konzerthaus<br />

4 TIMES BAROQUE<br />

3.2. Magdeburg, Gesellschaftshaus<br />

5.2. Erlangen, Wohnstift Rathsberg<br />

ANNIKA TREUTLER<br />

25.2. Dortmund, Konterhaus<br />

10.3. Friedrichshafen, Kiesel im k42<br />

DANIIL TRIFONOV<br />

9., 23.2. Wien (AT), Musikverein<br />

12.2. München, Herkulessaal<br />

14.2. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

21.2. Berlin, Philharmonie<br />

VOGLER QUARTETT<br />

10.2. Neubrandenburg, Alte Gießerei<br />

20.2. Fürth, Stadttheater<br />

2. bis 7.3. Kassel, Nordhessische<br />

Kammermusiktage<br />

16.3. Berlin, Konzerthaus<br />

STABAT MATER VON DVOŘÁK UND ĽUBICA ČEKOVSKÁ<br />

Chor des<br />

Bayerischen Rundfunks<br />

Antonín Dvořák liebte seine Kinder<br />

über alles. Der Tod seiner Tochter<br />

Josefa 1875, der zwei Jahre darauf<br />

Tochter Růžena und Sohn Otakar<br />

folgten, hatte ihm deutlich gezeigt,<br />

wie fragil dieses Glück war. 1876<br />

nahm Dvořák die geistliche Kantate<br />

Stabat mater für Soli, Chor und Klavier<br />

in Angriff, die er 1877 orchestrierte.<br />

Der Chor des Bayerischen<br />

Rundfunks unter seinem künstlerischen<br />

Leiter Howard Arman<br />

bringt mit Julius Drake am Klavier<br />

die frühe Fassung zur Aufführung,<br />

ergänzt von Neukompositionen<br />

Ľubica Čekovskás. Die mit zahlreichen<br />

Preisen ausgezeichnete<br />

Komponistin, die auch Opern und<br />

Filmmusik schreibt, studierte u. a.<br />

bei Robert Saxton, Thomas Adès,<br />

Harrison Birtwistle und Arvo Pärt.<br />

Von diesem stammt das dritte<br />

Werk des Abends, der Chorsatz<br />

And I Heard a Voice.<br />

München, Prinzregententheater,<br />

www.br-chor.de<br />

49


E R L E B E N<br />

Kommt mit Musik des 20. und 21. Jahrhunderts nach München: das London Symphony Orchestra<br />

FOTO: RANALD MACKECHNIE<br />

MUSIK ZWEIER<br />

JAHRHUNDERTWENDEN<br />

Die räsonanz – Stifterkonzertinitiative der Ernst von Siemens Musikstiftung –<br />

macht es möglich: Das London Symphony Orchestra und sein neuer<br />

Chefdirigent, Sir Simon Rattle, geben bei der musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />

in der Philharmonie im Gasteig ihr erstes Münchner Gastspiel.<br />

VON RUTH RENÉE REIF<br />

Heftig stampfende Moll-Akkorde eröffnen John Adams’ Harmonielehre.<br />

Sie wecken Assoziationen an die düsteren Streicher und<br />

Oboenklänge am Beginn von Jean Sibelius’ Vierter Sinfonie. Sein<br />

Werk richte den Blick in die Vergangenheit, erläutert Adams. „Die<br />

Schatten von Mahler, Sibelius, Debussy und dem jungen Schönberg“<br />

seien darin überall. Harmonielehre ist eine imposante orchestrale<br />

Auseinandersetzung mit der sinfonischen Musik der Wende vom<br />

<strong>19</strong>. zum 20. Jahrhundert. Der Titel bezieht sich auf das gleichnamige<br />

Lehrbuch, das Schönberg <strong>19</strong>11, also just in jenem Jahr veröffentlichte,<br />

als er selbst sich von der Tonalität<br />

abwandte. Adams, der bei Leon Kirchner, einem<br />

Schüler Schönbergs in Los Angeles, studierte,<br />

kostete es „einen Akt enormer Willenskraft“,<br />

sich dem Einfluss Schönbergs zu entziehen. Er<br />

RÄSONANZ –<br />

STIFTERKONZERT<br />

2. Mai, München, Philharmonie im Gasteig,<br />

www.br-musica-viva.de<br />

empfindet es daher nicht als überraschend, dass seine Zurückweisung<br />

häufig „die Form einer Parodie“ annahm. Adams <strong>19</strong>85 entstandenes<br />

dreisätziges Orchesterwerk beschreibt er als Verbindung<br />

minimalistischer Techniken mit „der harmonischen und expressiven<br />

Welt“ der Spätromantik.<br />

Sir Simon Rattle, seit September 2017 künstlerischer Leiter des<br />

London Symphony Orchestra, setzt das Werk auf das Programm<br />

seines ersten Münchner Gastspiels, das von der musica viva, einer<br />

Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks, veranstaltet wird. Möglich<br />

wird das Gastspiel durch eine Initiative der<br />

Ernst von Siemens Musikstiftung. Unter dem<br />

Titel räsonanz – Stifterkonzert ermöglicht die<br />

Stiftung jährlich je ein Konzert zeitgenössischer<br />

Werke mit internationalen Gastorchestern und<br />

50 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Ioan-Holender-Kolumne<br />

Oper ist ein<br />

schweres Geschäft<br />

Sir Simon Rattle<br />

Solisten in München bei der musica viva und in der Schweiz bei<br />

Lucerne Festival. Den ersten Teil des Programms gestaltet Rattle<br />

mit Musik aus Großbritannien. Die Trompeter Philip Cobb und<br />

Gábor Tarkövi sind die Solisten in Dispelling the Fears aus den Jahren<br />

<strong>19</strong>94–<strong>19</strong>95 von Mark-Anthony Turnage, dem Rattle seit Jahrzehnten<br />

eng verbunden ist. Turnage schätzt Rattles Einsatz für<br />

zeitgenössische Musik. „Simon macht sich für das Neue stark“,<br />

betont er. Neue Werke probe er unwahrscheinlich gründlich. Das<br />

Entscheidende sei jedoch, „dass er Komponisten wirklich achtet“.<br />

Zu Dispelling the Fears ließ sich Turnage von dem düsteren Gemälde<br />

der australischen Malerin Heather Betts anregen, auf dem ein kleines<br />

weißes „Lichtfenster“ den Blick anzieht. Dieses Gefühl des Übergangs<br />

vom Dunkel zum Licht bringt er in der Komposition zum<br />

Ausdruck. So wird der letzte Satz zu einer bewegenden Meditation<br />

der Trompete, deren zarte Klänge all die vorausgegangene Bedrohlichkeit<br />

und Angst zu besänftigen scheinen.<br />

In seinem Orchesterwerk The Shadow of Night aus dem Jahr<br />

2001 erkundet Sir Harrison Birtwistle die nächtliche Melancholie,<br />

von der elisabethanische Dichter erzählen. Der Titel stammt von<br />

einem Gedicht George Chapmans aus dem 16. Jahrhundert, das<br />

Melancholie nicht als depressive Gemütslage, sondern als eine inspirierte<br />

Gestimmtheit der Nacht darstellt. Anregung suchte Birtwistle<br />

zudem in Albrecht Dürers rätselhaftem Stich Melencolia I<br />

und John Dowlands Lautenlied In darkness let me dwell. Die ersten<br />

drei Noten daraus zitiert er in einem Solo der Piccoloflöte gleich<br />

nach Beginn seines Werks. Sodann webt er das Motiv, mal in höherer,<br />

mal in tieferer Tonlage, in dessen Struktur ein. Lange melodische<br />

Linien werden unterbrochen und wieder aufgenommen wie<br />

die Strahlen des Mondlichts, das hinter vorbeiziehenden Wolken<br />

langsam zum Vorschein kommt. Raunende Streicher- und Fagottklänge<br />

steigern sich immer wieder zu emotionaler Spannung, die<br />

sich in schrillen Bläserstößen entlädt, bis sich melodisch sanft der<br />

Morgen ankündigt.<br />

■<br />

Ohne sich in die nähere Geschichte zu vertiefen,<br />

wissen wir, dass das bis in die <strong>19</strong>70er- und<br />

<strong>19</strong>80er-Jahre gepflegte Ensemblesystem, in dem<br />

jedes Opernhaus – ob klein oder groß – den Spielplan vornehmlich<br />

durch seine eigenen Sänger bestritt, qualitativ<br />

besser ist als der heute, leider sogar in den kleinen Stadttheatern<br />

praktizierte Weg mit Gastsängern. Eine langsame,<br />

organische Entwicklung eines angehenden Gesangssolisten<br />

ist äußerst schwierig geworden. Man debütiert in den<br />

allergrößten Häusern gleich mit neuen Partien, ohne sich<br />

davor selbst ausprobieren und Erfahrung sammeln zu können,<br />

wie man sich zum Beispiel lange Partien einteilt. Es<br />

gibt keine Möglichkeit mehr, Fehler zu machen und aus<br />

ihnen zu lernen.<br />

Die mediale Ankündigung beherrscht ebenso wie die<br />

Berichte der Vorankündigung alles, zur Freude des jeweiligen<br />

Intendanten, aber auch des Künstlers. Die Regisseure<br />

sind derzeit immer hausfremde Gastregisseure. Sie kennen<br />

weder die Mitarbeiter noch das Haus und oft auch nicht<br />

die Stadt, in der sie arbeiten. Die Wahl eines Regisseurs ist<br />

genauso schwierig wie jene des Sängers, denn wenn der<br />

Regisseur das Werk, für das man ihn sucht, schon irgendwo<br />

inszeniert hat, ist er oder sie sowieso schon nicht mehr<br />

inter essant. Alles muss schnell gehen, und nichts, was<br />

schon war, soll wieder sein. Manche Länder oder manche<br />

Orte geben enorme Honorare aus, um ein Ereignis, pardon,<br />

ein Event, zu feiern. Es geht schon lange nicht mehr<br />

um Kunst, auch nicht um Unterhaltung, sondern nur noch<br />

ums Geschäft.<br />

Oper zu gestalten, ist heute sehr teuer geworden.<br />

Einen Regisseur zu engagieren, bedeutet, noch mindestens<br />

fünf Mitarbeiter dazu zu beschäftigen, einen Assistenten,<br />

den Lichtarchitekten, den Videobetreuer, den persönlichen<br />

Assistenten und einen Dramaturgen. Ein Theaterleiter<br />

braucht neben sich einen Berater, einen Besetzungschef,<br />

den Dramaturgen und, und, und … Doch der arme Sänger<br />

bleibt allein, er muss alles machen, was man von ihm<br />

wünscht und was er oftmals nicht möchte, und dazu soll<br />

er noch gut singen. Es kommt bald die Zeit der öffentlichen<br />

Playbacks, der Mikrofonierung, und wer weiß was noch<br />

alles, um endlich den Störfaktor Sänger zu ersetzen.<br />

„kulTOUR mit Holender“ auf<br />

ServusTV Deutschland:<br />

7. und 10.2. „Dresden“ | 21. und 24.2. „Krim“ |<br />

7.3. Porträt des Schauspielers Philipp Hochmair<br />

51


E R L E B E N<br />

FOTOS: CHRISTIAN KLEINER<br />

Vollendete Technik, psychologisches Verstehen und Empathie zeichnen Michael Francis am Pult aus<br />

52 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


MUSIK FÜR ALLE<br />

Michael Francis übernimmt mit Beginn der Jubiläumssaison 20<strong>19</strong>/2020 die Leitung<br />

der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz.<br />

VON RUTH RENÉE REIF<br />

„Es ist ein wunderbarer Beruf “, schwärmt Michael Francis. Erlebt man<br />

ihn bei der Arbeit am Pult, ist man versucht, von Berufung zu sprechen.<br />

Francis besitzt jene Gabe, die das Dirigieren immer wieder so<br />

geheimnisvoll erscheinen lässt und die doch wenig mit Magie und viel<br />

mit Empathie zu tun hat. Er vermag es, akribische Partituranalyse,<br />

vollendete Dirigiertechnik und psychologisches Verstehen in beglückende<br />

Dimensionen musikalischen Ausdrucks umzusetzen. Im<br />

Dezember 2018 unterschrieb er einen Fünfjahresvertrag als neuer<br />

Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. „Mit<br />

Francis ist es gelungen, einen herausragenden und weltweit gefragten<br />

Dirigenten zu gewinnen“, freut sich Intendant Beat Fehlmann. Francis<br />

war der Wunschkandidat des Orchesters. Als er 2016 zum ersten Mal<br />

vor ihm stand, spürte man sogleich die besondere Beziehung, die sich<br />

zwischen ihm und den Musikern einstellte.<br />

Seine Laufbahn begann Francis als Kontrabassist wie sein<br />

Vater, der auch sein erster Lehrer wurde. Als sich im Alter von 17,<br />

18 Jahren sein Wunsch zu dirigieren festigte, entschied er sich für<br />

eine breit angelegte Vorbereitung. An der Universität Cardiff absolvierte<br />

er ein Studium der Musikgeschichte. Anschließend studierte<br />

er an der Royal Academy of Music Kontrabass. Dieses Instrument<br />

eignete sich seiner Einschätzung nach am besten, um dem Dirigieren<br />

auf den Grund zu kommen. Da die Aufgabe des Bassisten hauptsächlich<br />

darin bestehe zu begleiten, sei er gezwungen, den anderen<br />

zuzuhören, und befinde sich „auf dem Boden der Harmonie“. Er<br />

habe alles über Musik erfahren und danach eine Musikerstelle im<br />

besten Orchester bekommen wollen, erläutert Francis seinen Plan.<br />

Tatsächlich erhielt er eine Anstellung beim London Symphony<br />

Orchestra. Zehn Jahre arbeitete er als Orchestermusiker. Auch im<br />

Rückblick sieht er es als den besten Weg an, ein Orchester dirigieren<br />

zu lernen, ihm anzugehören. Es eröffnete ihm die Möglichkeit, verschiedene<br />

Dirigenten zu erleben und ein Gefühl für die psychologischen<br />

Vorgänge im Inneren eines Orchesterapparates zu<br />

entwickeln.<br />

Eine erste Chance, sich als Dirigent zu beweisen, erhielt er 2007.<br />

Valery Gergiev musste krankheitsbedingt eine Probe absagen. Auf<br />

dem Programm standen Dmitri<br />

Schostakowitsch und Sofia Gubaidulina.<br />

Francis übernahm die Probe und<br />

dirigierte erfolgreich die Aufführung.<br />

Einzuspringen für John Adams und<br />

André Previn, waren weitere Meilensteine<br />

auf seinem Weg zum international<br />

gefragten Dirigenten. Von 2012 bis<br />

2016 war Francis Chefdirigent des<br />

Norrköping Symphony Orchestra.<br />

Zudem gastierte er bei zahlreichen<br />

Orchestern in Europa, Asien sowie<br />

den USA und arbeitete mit Solisten<br />

DEUTSCHE STAATSPHILHARMONIE<br />

RHEINLAND-PFALZ, MICHAEL FRANCIS<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

Worms, 1.2., Ludwigshafen, 2.2., Neustadt, 7.3.,<br />

Wörth am Rhein, 8.3., Mannheim, 9.3.<br />

Konzerte mit dem Dirigenten und Violinisten<br />

Pinchas Zukerman: Wörth am Rhein, 17.4., Pirmasens,<br />

18.4., Heidelberg, 20.4., Karlsruhe, 21.4.<br />

Konzerte mit Pinchas Zukerman und<br />

Michael Francis am Pult: Ludwigshafen, 25.4.,<br />

Kaiserslautern, 26.4., Worms, 27.4., Mainz, 28.4.<br />

www.staatsphilharmonie.de<br />

wie Ian Bostridge, Lang Lang, Daniel Müller-Schott, Itzhak Perlman,<br />

Christian Tetzlaff und Arcadi Volodos zusammen. Seit 2015<br />

ist er künstlerischer Leiter des Mostly Mozart Festivals in San Diego<br />

sowie Chefdirigent des Florida Orchestra.<br />

Seine Position als Chefdirigent in Ludwigshafen tritt er am<br />

1. September 20<strong>19</strong> zu Beginn der Saison an, in der die Deutsche<br />

Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ihr 100-jähriges Bestehen feiert.<br />

In mehreren deutschen Städten fanden nach dem Ersten Weltkrieg<br />

Orchestergründungen statt. Die Auflösung der Militärkapellen hatte<br />

viele Musiker ihrer Existenzgrundlage beraubt. Sie versuchten, sich<br />

neue Spielmöglichkeiten zu schaffen. Dieses rege musikalische Leben<br />

veranlasste einige pfälzische Städte, Musikvereine und Mäzene, sich<br />

zu einem Orchesterverein zusammenzuschließen, der <strong>19</strong><strong>19</strong> in Landau<br />

das Landes-Sinfonie-Orchester für Pfalz und Saarland ins Leben<br />

rief. Mehrfach änderte der Klangkörper in der Folge seinen Namen,<br />

bewältigte Krisen und wuchs an Erfolgen. <strong>19</strong>83 wurde Leif Segerstam<br />

zum Leiter berufen, der die Orchesterkultur durch die Aufführung<br />

Neuer Musik nachhaltig bereicherte. Seit 2014 bringt die<br />

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter dem Titel<br />

„Modern Times“ beim Label Capriccio Porträts von Komponistinnen<br />

des 20. Jahrhunderts heraus. Gleich für die erste Veröffentlichung<br />

„Bernd Alois Zimmermann“ wurde sie als „Orchester des Jahres“<br />

mit dem Echo Klassik 2015 ausgezeichnet. 2018 erhielt sie für ihre<br />

Einspielung „George Antheil“ den Opus Klassik. Aktuell fördert<br />

auch die Bundeskulturstiftung das Orchester im Rahmen des Programms<br />

„360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“.<br />

Francis zeigt sich beeindruckt von dem hohen Stellenwert, den<br />

das Orchester innerhalb der Gesellschaft einnimmt. Als Privileg<br />

empfinde er es, dass die Staatsphilharmonie auch nach 100 zurückliegenden<br />

Spielzeiten die Musik zu den Menschen in Rheinland-Pfalz<br />

bringe, um sie für alle zugänglich zu machen, und er an diesem<br />

Auftrag mitwirken dürfe. Bereits in der aktuellen Saison ist er mit<br />

dem Orchester zu erleben. Das Repertoire bereichert er mit Kompositionen<br />

aus seinem Geburtsland. So setzt er das wundervoll<br />

romantische Violinkonzert h-Moll von Edward Elgar sowie die Ritual<br />

Dances aus Michael Tippetts Oper<br />

Mittsommerhochzeit aufs Programm.<br />

Er bringt die sinfonische Totenmesse<br />

Sinfonia da Requiem, die Benjamin<br />

Britten <strong>19</strong>40 zum Gedenken an seinen<br />

im Ersten Weltkrieg getöteten Vater<br />

schrieb, und er dirigiert die London<br />

Symphony, in der Ralph Vaughan Williams<br />

mit den Glocken von Westminster<br />

und den Melodien der Straßenausrufer<br />

von Bloomsbury ein musikalisches<br />

Porträt der Stadt an der Themse<br />

entwirft.<br />

■<br />

53


E R L E B E N<br />

„HEUTE SCHREIBE ICH<br />

FÜR HEUTE“<br />

Die international gefeierte Weill-Interpretin Ute Lemper ist Artist-in-Residence des<br />

27. Kurt Weill Fests vom 1. bis 17. <strong>März</strong> in Dessau und Umgebung.<br />

VON RUTH RENÉE REIF<br />

Berühmte Künstler aus aller<br />

Welt bereichern das Fest: Die<br />

Chansonsängerin Ute Lemper<br />

und der Trompeter Frank London<br />

kommen aus New York<br />

FOTOS: ADRIAN BUCKMASTER; ADRIAN BUCKMASTER<br />

„Wir müssen mit dem Musiktheater Weills<br />

im Dialog bleiben“, forderte Luciano Berio<br />

<strong>19</strong>99. Er sah in ihm „eines der wichtigsten<br />

Phänomene des 20. Jahrhunderts“. Das<br />

Kurt Weill Fest hält diesen Dialog aufrecht<br />

und verleiht ihm immer wieder neue<br />

Impulse. 48 Veranstaltungen mit bedeutsamen<br />

Künstlern wie den Schauspielerinnen<br />

Katja Riemann und Katharina Thalbach,<br />

der Sängerin Helen Schneider, dem<br />

Trompeter Frank London, dem Posaunisten<br />

Nils Landgren und dem Dirigenten<br />

Karl-Heinz Steffens feiern den Komponisten,<br />

der sich wünschte, nur Musik zu sein.<br />

Zur Eröffnung gastieren die Sopra nistin<br />

Dagmar Pecková und der Tenor Jiří Hájek<br />

mit ihrer Revue Wanted im Anhaltischen<br />

Theater. Songs wie die Zuhälterballade aus<br />

der Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht in<br />

Berlin, Der Abschiedsbrief, den Weill im<br />

September <strong>19</strong>33 nach einem Text von Erich<br />

Kästner in Paris komponierte, und Buddy<br />

on the Nightshift aus den Songs for the War<br />

Effort, die <strong>19</strong>42 im New Yorker Exil entstanden,<br />

lassen Stationen aus dem Leben<br />

Weills Revue passieren. Die Dreigroschenoper,<br />

der unvergessliche Klassiker, der aus<br />

Weills Zusammenarbeit mit Brecht hervorging,<br />

steht in der Inszenierung von Ezio<br />

Toffolutti und mit Markus L. Frank am Pult erneut auf dem Spielplan<br />

des Anhaltischen Theaters Dessau.<br />

Artist-in-Residence ist Ute Lemper, eine der vielseitigsten<br />

Künstlerinnen des Musiktheaters. Seit Beginn ihrer Karriere, als<br />

sie in Berlin mit Nicole Heesters und Ingrid Caven in einer Kurt-<br />

Weill-Revue auftrat, ist sie eine herausragende, international gefeierte<br />

Weill-Interpretin. In einem Galakonzert mit der Anhaltischen<br />

Philharmonie Dessau singt sie Songs wie Surabaya Johnny aus dem<br />

Songspiel Happy End oder den Tango Youkali aus der Operette Marie<br />

galante nach Jacques Devals gleichnamigem Roman, die Weill<br />

bereits auf der Flucht in Frankreich schrieb. Das<br />

Orchester unter Markus L. Frank spielt die Suite<br />

aus der Musiquette Silbersee, Weills letztes in<br />

Deutschland komponiertes Werk, das <strong>19</strong>32/33<br />

KURT WEILL FEST<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

www.kurt-weill-fest.de<br />

aus der Zusammenarbeit mit dem Dramatiker<br />

Georg Kaiser entstand. Über ihr<br />

bewegtes Leben auf zwei Kontinenten, ihre<br />

Arbeit und ihre Liebe zu Weill unterhält<br />

sich Ute Lemper mit Intendant Gerhard<br />

Kämpfe im Festivalcafé. Als „eine zweite<br />

Marlene Dietrich“ wurde Ute Lemper<br />

gefeiert, und „von der Wurzel her“ sieht sie<br />

sich auch von ihr und ihrer Zeit inspiriert.<br />

In der Show Rendezvous mit Marlene<br />

erzählt sie die Geschichte Marlene Dietrichs<br />

und trägt ihre Lieder vor, von den<br />

Berliner Kabarettjahren bis zur Zusammenarbeit<br />

mit Kurt Weill und anderen<br />

Komponisten. „Am Broadway geht’s härter<br />

zu als am Kurfürstendamm“, musste Weill<br />

der Dietrich <strong>19</strong>42 erklären.<br />

„Mut zur Erneuerung“ lautet das<br />

Motto des Festes. Weills Streben war es,<br />

ein neues Genre des Musiktheaters zu<br />

schaffen, das „die völlig veränderten<br />

Lebensäußerungen unserer Zeit in einer<br />

entsprechenden Form“ behandle. „Man<br />

komme mir nicht mit der Nachwelt“, erwiderte<br />

er auf die Frage nach den Zukunftsaussichten<br />

seiner Musik, „heute schreibe<br />

ich für heute“. Zugleich spiegelt sich in dem<br />

Motto die vor 100 Jahren geborene Idee des<br />

Bauhauses, die Welt neu zu denken. Im<br />

Jubiläumsjahr des Bauhauses greift die neue Reihe „Neues Hören<br />

durch Sehen“ das Bauhaus-Ziel der „Sammlung alles künstlerischen<br />

Schaffens zur Einheit“ auf. Im nächtlichen Kammerkonzert des<br />

Perkussionisten Andreas Hepp und des Lichtdesigners Björn Schneider<br />

finden musikalische Handlungsfäden, die sich in Klangfarbe,<br />

Tempo, Rhythmus und Melodie unterscheiden, mit Lichtgestaltung<br />

und der architektonischen Umgebung zu einem großen Gesamterlebnis<br />

zusammen. Kunst und Technik vereint die Konzertsuite<br />

Trains Bound for Glory. Sie enthält populäre Nummern aus der Show<br />

Railroads in Parade, die Weill für den Eisenbahnpavillon der New<br />

Yorker Weltausstellung <strong>19</strong>39–<strong>19</strong>40 schrieb.<br />

Markus L. Frank leitet im DB-Werk die Anhaltische<br />

Philharmonie Dessau bei ihrer deutschen<br />

Erstaufführung.<br />

■<br />

54 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


SCHWERPUNKT<br />

BAUHAUS<br />

Weimar, Dessau, Berlin. Gropius, Itten, Schlemmer. Was hat die neue Formensprache geprägt? (Seite 56)<br />

Eine Revolution der Architektur: Was hat es in die Neuzeit geschafft? (Seite 64)<br />

200 (!) Jahre BAUHAUS<br />

VON STEFAN SELL<br />

41 Jahre<br />

BAUHAUS Band<br />

59 Jahre<br />

BAUHAUS Baumarkt<br />

100 Jahre<br />

BAUHAUS Kunst<br />

wahr<br />

Vor 41 Jahren hoben vier Kunststudenten<br />

in Northampton mit<br />

Bauhaus die erste Gothic-Band<br />

aus der Taufe. Mit vielen Genrebezeichnungen<br />

versuchte man<br />

ihren Musikstil zu fassen: von<br />

Dark Wave und Post Punk bis<br />

zu funkigem Psychodelic-Noise-Glamrock-Dub.<br />

Bis heute<br />

genießt die Band Kultstatus.<br />

Der aus Schriesheim<br />

stammende<br />

Schreiner<br />

und Glaser<br />

Heinz-Georg<br />

Baus war 26 Jahre<br />

alt, als er in Mannheim das Bauhaus-Unternehmen<br />

gründete. Sein<br />

Name war dabei hilfreich, fehlte<br />

ihm zwischen der ersten Silbe und<br />

dem Konsonanten „s“ doch nur der<br />

richtige Hau: Bau-hau-s, Europas<br />

größte Baumarktkette.<br />

<strong>19</strong>22 fand Ludwig Mies,<br />

er wolle mehr als<br />

nur „Mies“ sein und<br />

fügte seinem<br />

Mies den Geburtsnamen seiner<br />

Mutter hinzu. Das Ganze krönte<br />

er durch ein adelig klingendes<br />

„van der“ und hieß von nun an<br />

„Mies van der Rohe“.<br />

unwahr<br />

interessant<br />

<strong>19</strong>80 landeten Bauhaus<br />

mit einer düsteren<br />

Coverversion<br />

von Mike Krügers<br />

„Mein Gott, Walter“<br />

einen Hit. 23 Wochen führten<br />

sie die deutschen Charts an. Ihre<br />

stark vereinfachte Variante war<br />

eine Platte im Plattenbaustil. Der<br />

Titel bezog sich auf Gropius’ Ehe<br />

mit Alma Mahler, die nur fünf<br />

Jahre dauerte.<br />

Peter Murphy, alias „Godfather of<br />

Goth“, dessen Gesang an David<br />

Bowie erinnert, eröffnete mit<br />

dem Bauhaus-Debüt Bela Lugosi’s<br />

Dead einprägsam und finster<br />

Tony Scott’s modernen Vampirfilm<br />

„Begierde“ mit Catherine<br />

Deneuve und David Bowie in den<br />

Hauptrollen.<br />

Als Bauhausgründer Baus davon<br />

hörte, dass sein Konkurrent<br />

Albrecht Hornbach eine eigene<br />

Firmenband namens „Herzblut“<br />

betrieb, beschloss der öffentlichkeitsscheue<br />

Großunternehmer,<br />

eigene Kompositionen einzuspielen.<br />

Nach seinem Tod 2016<br />

wurden sie unter dem Titel „Bau<br />

Haus des Geldes“ veröffentlicht.<br />

Die exzellente Schlagwerkerin<br />

Leonie Klein ist im Baumarkt<br />

anzutreffen, wenn sie auf<br />

experimenteller Klangsuche<br />

nach „Sachen, die sonst<br />

keiner benutzt“ Scharniere<br />

und Pfostenträger anschlägt.<br />

Ob sie dies im Bauhaus tut,<br />

wird – um dem Vorwurf<br />

der Schleichwerbung zu entgehen<br />

– nicht verraten.<br />

Mies van der Rohe wollte den von<br />

ihm geforderten Minimalismus<br />

für die Architektur auch für die<br />

Preisgestaltung der Honorare einlösen.<br />

Er diskutierte mit seinen<br />

Kollegen, wie hoch der Preis für<br />

die Arbeit eines Bauhäuslers sein<br />

darf, und schlug vor, „Weniger<br />

ist mehr“ für alle verbindlich zu<br />

machen.<br />

Walter Gropius (Foto) schlug <strong>19</strong>20<br />

seinen Bauhauslehrern, den<br />

„Herren Meistern“,<br />

vor: „… bei den Aufnahmen<br />

für absehbare<br />

Zeit Damen nur mit<br />

ganz außerordentlicher<br />

Begabung aufnehmen zu<br />

wollen“. Daraus könnte<br />

man schließen, dass<br />

Herren auch minderbegabt<br />

Aufnahme am Bauhaus<br />

finden konnten.<br />

FOTOS: CLOUIS HELD; FRANK VINCENTZ; WIKIMEDIA COMMONS; DANIEL ASH / C PFIG<br />

55


B A U H A U S 1 0 0<br />

Grafische Elemente bestimmten das Design in der Zeit des Bauhauses:<br />

das Bauhaus-Logo, entworfen <strong>19</strong>22 von Oskar Schlemmer<br />

56 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


BAU<br />

HAUS<br />

Klar, puristisch, funktional.<br />

Seit 100 Jahren beeinflusst das Bauhaus alle Künste.<br />

VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />

D„er ele gan te Frei schwin ger aus Stahl rohr von Mar cel Breu er im Arztzim<br />

mer, die halb ku gel för mi ge Tisch lam pe von Wil helm Wagen feld<br />

im hip pen Sin gle-Haus halt, die Wei ßen hof sied lung in Stutt gart mit<br />

ihren hell verputzten, kubischen Flachdachwohnungen – alles minima<br />

lis tisch und funk tio nal: die Klas si ker des Bau hauses. „Form fol lows func tion“<br />

hat te sich der Archi tekt Wal ter Gro pi us auf die Fah nen geschrie ben, als er <strong>19</strong><strong>19</strong><br />

sein Amt als Direk tor einer neu en Kunst hoch schu le in Wei mar antrat.<br />

Es ging um weit mehr als puris ti sches Design. Der Ers te Welt krieg hat te die<br />

alte Ord nung hin weg ge fegt. Eine jun ge, nicht sel ten im Schüt zen gra ben trau mati<br />

sier te und in jedem Fall erwerbs lo se Genera ti on such te Halt und Sinn. Auch der<br />

damals 36-jäh ri ge Gro pi us hat te im Krieg Schlim mes erlebt. Er for der te einen<br />

mora li schen Neu an fang, eine „neue Bau kunst“. Vor bild für sein „Staat li ches Bauhaus“,<br />

wie er die Hoch schu le nann te, waren ihm die mit tel al ter li chen Bau hüt ten<br />

der Kathe dra len, wo sei ner zeit Bild hau er, Maler, Archi tek ten, Kunst ge werb ler<br />

und Hand wer ker zusam menarbei te ten und es kei ne Tren nung zwi schen künst leri<br />

scher Kon zep ti on und Ver wirk li chung gab.<br />

Zugleich träumte Gropius von der Überwindung gesellschaftlicher Ungleichheit.<br />

Sei ne Sozi aluto pie zog nicht nur hoch be gab te Künst ler wie Paul Klee, Was si ly<br />

Kan din sky, Lyo nel Fei nin ger und Oskar Schlem mer an, son dern auch eso te ri sche<br />

Heils leh rer dubio ser Cou leur: Astro lo gen, Spi ri tis ten, Wan der apos tel und sek tie-<br />

57


B A U H A U S 1 0 0<br />

re ri sche Pro phe ten sowie Anthro po so phen, Sozia listen<br />

und Kommunisten. Ein explosiver schöpferischer<br />

Mix. „Glau ben Sie ja nicht, dass das Leben am Bau haus<br />

einfach oder unkompliziert gewesen wäre!“, erinnerte<br />

sich Tut Schlem mer, die Frau Oskars. „Man fühl te sich<br />

viel mehr wie auf einem vul ka ni schen Gelän de, und<br />

man muss te sehr auf pas sen, all zu sehr hin und her<br />

geris sen zu wer den von all dem, was auf uns einstürm<br />

te.“ Und: „Man war ja andau ern den Wand lungen<br />

preis ge ge ben: Wir fin gen ja fast mit tel al ter lich an<br />

mit unse ren Sat zun gen von Form meis tern, Handwerks<br />

meis tern und Lehr lin gen und ende ten doch am<br />

Schluss (<strong>19</strong>33) mit einer Avant gar de auf allen<br />

Gebie ten.“<br />

Im gut bür ger li chen Wei mar ent wi ckel ten sich<br />

die Bau häus ler zum Bür ger schreck. „Wenn ihr euch<br />

nicht benehmt“, droh ten Eltern ihren Kin dern, „dann<br />

ste cken wir euch ins Bau haus!“, zu den „Zucht häuslern“,<br />

wie sie ihrer lan gen Haa re wegen genann t wurden.<br />

Oft zogen sie durch die Gas sen in Rus sen kit tel<br />

und Trich ter ho se, an den Hüften ganz weit und den<br />

Knö cheln ganz eng, und begrüß ten sich mit dem<br />

„Bauhauspfiff “, einer 13-töni gen Melo die, die jetzt,<br />

im Jubi lä ums jahr, täg lich um zwölf Uhr vom Rat hausturm<br />

in Des sau tönt, der zwei ten Bau haus-Stät te.<br />

Ein Cha rak ter kopf der ers ten Stun de war Lothar<br />

Schrey er, ein Freund kul ti scher Wei he bot schaften<br />

und Erlö sungs vi sio nen. Über troffen wur de er von<br />

dem exzen tri schen Johan nes Itten, der sich als<br />

erleuch te ter „Meis ter“ ver stand und kahl köp fig im<br />

pseu do pries ter li chen Ornat, im „Anzug aus pur purvio<br />

let tem kost ba ren Tuch“ auftrat, wie Schrey er sich<br />

erinnert. Als überzeugter Anhänger der Mazdaznan-<br />

Lehre, einer esoterischen Heilslehre, vertrat Itten eine<br />

rigide Ernährungs-, Atem- und Wiedergeburtslehre,<br />

mit der er nicht nur Klee nerv te. Der ließ ihm bestellen,<br />

er den ke nicht dar an „auf dem Weg über den<br />

gerei nig ten Darm in den Him mel“ zu kom men. Ittens<br />

Form- und Farbstudien allerdings, seine „übersinnliche“<br />

Farbenlehre, derzufolge jeder Mensch von einer<br />

farbigen Aura umgeben sei, faszinierte Klee. Auch<br />

Kan din sky sah die Men schen in sei nen Bil dern in Rot,<br />

Blau und Gelb.<br />

Die Bau häus ler fei er ten gern. Gele gen heit gab es immer, ob<br />

beim Later nen-, Son nen wend-, Dra chen- oder Julklapp-Fest (Weihnach<br />

ten). Dann spiel te die Bau haus ka pel le auf mit Lux Fei nin ger an<br />

der Kla ri net te oder dem Ban jo. Man tanz te Charles ton und erfand<br />

sogar einen Bau haus-Tanz. Wenn der Abend zur Nei ge ging, wur den<br />

gern Thea ter ex pe ri men te zum Bes ten gege ben. Wie in Möbeln und<br />

der Archi tek tur soll ten auch die Akteu re auf der Bau haus-Büh ne<br />

nichts Indi vi du el les aus strah len. Durch „Tri kots und Mas ken ver einheitlicht“<br />

stellten sie eine „Synthese von Mensch und Marionette, von<br />

Natur- und Kunst fi gur“ dar.<br />

Musik war am Bau haus kei ne eigen e Dis zi plin und doch immer<br />

präsent. Feininger musizierte, auch Klee wollte ursprünglich Geiger<br />

werden. In seinen Werken finden sich abstrahierte Noten, Notenzeilen<br />

und Vio li n schlüs sel. Musik sei ihm die Gelieb te, sag te er, Male rei<br />

die „ölrie chen de Pin sel göt tin, die ich bloss umar me, weil sie eben<br />

mei ne Frau ist“. Kan din sky war über die Musik zur Male rei gekommen.<br />

Bei einer Auffüh rung von Wag ners Lohengrin hat te er Far ben<br />

„gese hen“. Aus Paris kam Igor Stra win sky, um die Auffüh rung sei ner<br />

Geschichte vom Soldaten zu erle ben. Aus Ber lin Fer ruc cio Buso ni. Mit<br />

ihm sein Schü ler Kurt Weill. Auch Paul Hin de mith, ein Freund Oskar<br />

Von oben: László Moholy-<br />

Nagy, Perpe, <strong>19</strong><strong>19</strong>; Grundlagen<br />

der Farbtheorie und<br />

Farbkreis nach Johannes<br />

Itten; dreidimensionales<br />

Seh- und Hörerlebnis:<br />

„Das totale Tanztheater<br />

360°“; Teekanne von<br />

Naum Slutzky<br />

Schlemmers, der ihm einige Bühnenbilder geschaffen<br />

hat te, war oft da.<br />

Das Bau haus war der Ort, wo moder ne Kunst<br />

gelehrt wur de, wo man sie auch aus pro bier te. Wo Gropi<br />

us lehr te, wo Klee lehr te, wo Kan din sky lehr te …<br />

und Mondrian zu Vorlesungen kam.“ Auf Anweisung<br />

von Itten, erin nert sich Wol pe, „gin gen wir alle raus<br />

mit einem klei nen Koffer und sam mel ten alles, was<br />

wir fan den – von Ziga ret ten kip pen bis zu klei nen Feilen,<br />

kleinen Schrauben, Briefschnipseln, Brotkrümeln,<br />

toten Vögeln, Federn, Milch fla schen … (wir) muss ten<br />

diese Dinge unabhängig von ihrer subjektiven Bedeutung<br />

ver wen den … als for ma le Ele men te wur den sie<br />

neu tra li siert, so exis tier te ein toter Vogel nur in sei ner<br />

for ma len struk tu rel len Bezie hung …“<br />

Die neu aufkommende Dodekaphonie (= Zwölfton<br />

mu sik) spal te te die Gemü ter. Das Lager von Erwin<br />

Ratz ver trat die Auffas sung von Arnold Schön berg,<br />

das von Itten fühl te sich der Phi lo so phie von Josef<br />

Mat thi as Hau er ver bun den. Klee, den man wegen seiner<br />

stil len Art auch „Bau haus bud dha“ nann te, hielt<br />

sich zurück. Für ihn schien nach Mozart ohne hin<br />

schon fast alles gesagt. <strong>19</strong>09 kari kier te er einen Pianisten<br />

bei der Interpretation Neuer Musik: angekettet<br />

an sein Instru ment, auf einem Nacht topf sit zend,<br />

„dabei ‚durch schau bar‘ bis auf die Kno chen (in sei ner<br />

Inno va ti ons sucht) und ‚bedürftig‘ in einem ganz elemen<br />

ta ren Sin ne“.<br />

Doch die Sucht nach Neu em war nicht auf zuhal<br />

ten. Fas zi niert expe ri men tier te Bau haus-Leh rer<br />

László Moholy-Nagy mit Schellack-Schallplatten, ließ<br />

sie rück wärts abspie len, schnitt mit Lin ol schnitt messern<br />

und Nadeln neue Struk tu ren hin ein, um Klangeffek<br />

te zu gewin nen. Der ers te DJ der Geschich te! Das<br />

alles half nicht, die chronischen finanziellen Probleme<br />

der Lehr an stalt in den Griff zu bekom men. Das Bauhaus<br />

schien zu eli tär, kaum einer konn te sich die<br />

schmuck lo sen, aber teu ren Lam pen, Kan nen und Sessel<br />

leisten, die nun standardisiert in größeren Mengen<br />

pro du ziert wer den konn ten. Erst in den <strong>19</strong>80ern wurden<br />

sie zu begehr ten Designklas si kern.<br />

<strong>19</strong>24 strich die Thü rin ger Regie rung die Sub ventio<br />

nen und man zog in die Indus trie stadt Dessau. Die<br />

Aus ein an der set zun gen und die pre kä re Lage blie ben. <strong>19</strong>28 gab Gropi<br />

us sei nen Direk tor pos ten auf, Schlem mer folg te ihm <strong>19</strong>29. Auch<br />

Kan din sky, den man wegen sei nes diplo ma ti schen Geschicks „Gropi<br />

us’ Kanz ler“ nann te, wur de nicht mehr gese hen. Mies van der Rohe<br />

ver such te, das Bau haus als Pri vat in sti tut in einer ver las se nen Telefon<br />

fa brik in Ber lin-Ste glitz weiterzuführen.<strong>19</strong>33 wurde der Lehr betrieb<br />

endgültig eingestellt durch die Nazis, denen die „Brand fa ckel<br />

Moskaus“ ohnehin nie geheuer war. Gropius und andere emigrierten<br />

in die USA. In Chi ca go ent stand ein „New Bau haus“.<br />

In Deutsch land aber konn te man mit den Bau ten der „Wei ßen<br />

Göt ter“ aus Wei mar mit ihren engen Flu ren, nied ri gen Decken, ohne<br />

Stuck und Far be lan ge nichts anfan gen. Ador no sprach von „Konser<br />

ven büch sen“, Brecht von „Kaser nen“, Bloch mokier te sich über die<br />

geschichts lo sen „Stahl mö bel, Beton ku ben, Flachdachwesen“. <strong>19</strong>60<br />

kam das end gül ti ge Aus für den Kul tur be griff „Bau haus“. Ein Großmarkt<br />

für Schrau ben, Pin sel und Klo sett de ckel hat te sich den Namen<br />

gesichert. Seitdem darf auch kein Muse um mehr ein Pro dukt unter<br />

der Namen „Bau haus“ ver kau fen.<br />

n<br />

Die Infos zu den wich tigs ten Ver an stal tun gen rund um das Bau haus-Jubi lä um fin den Sie<br />

unter www.bauhaus100.de<br />

58 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


MUSIK AM BAUHAUS<br />

Mechanisches Ballett, ekstatische Klaviermusik und<br />

selbst gebaute Geräuschinstrumente – die Musik am Bauhaus<br />

war so innovativ wie seine Architektur.<br />

VON STEFFEN SCHLEIERMACHER<br />

Die Bauhauskapelle mit Lux Feininger<br />

Musik war am Bau haus kein Lehr fach, einen „Musik meister“<br />

hat es nie gege ben. Zwar fan den am Bau haus neben<br />

offen bar recht schrä gen Tanz aben den mit der Bau hauskapel<br />

le durch aus klas si sche Kon zer te statt, doch ein<br />

Hort der musi ka li schen Avant gar de war es im Grun de nie. Zumindest<br />

ein mal stand jedoch die aktu el le Musik im Mit tel punkt: Anlässlich<br />

der Bau haus wo che <strong>19</strong>23 erklan gen in einem Kon zert Wer ke<br />

von Buso ni, Schön berg, Bar tók, Hin de mith und Stra win sky.<br />

Der wesent lichs te und päd ago gisch prä gends te „Meis ter“ der<br />

ers ten Jah re war zwei fel los Johan nes Itten, der mit der Ein füh rung<br />

seines „Vorkurses“ Maßstäbe in der Kunstpädagogik setzte, die noch<br />

heu te wirk sam sind. Teil die ses Kon zepts waren neben Zei chen unter<br />

richt, Mate ri al- und For men kun de auch Wahr neh mungs stu di en<br />

und musi ka li sche Übun gen, die Ger trud Gru now – als ein zi ge<br />

„Musik leh re rin“, die das Bau haus je hat te – anlei te te. Hier ging es<br />

jedoch nicht um Musik un ter richt im enge ren Sin ne, son dern vielmehr<br />

um Ent span nungs übun gen, um Har mo ni sie rung, um das<br />

Umset zen von Klän gen in Bewe gun gen, in Ges ten oder auch in<br />

Hal tun gen.<br />

Itten hat te in sei ner Wie ner Zeit engen Kon takt zu Josef Matthi<br />

as Hau er gefun den. Die Künst ler fühl ten sich wesens ver wandt,<br />

bei de arbei te ten an einem Syn äs the sie-Kon zept, der Zuord nung<br />

von Far ben zu Klän gen, des Ent wi ckelns von Far ben- und Tonkreisen.<br />

Der Musik schrift stel ler und Kom po nist Hans Heinz Stu ckenschmidt,<br />

dem wir einen Zeit zeu gen be richt über die Musik am Bauhaus<br />

ver dan ken, berich tet davon, dass Kom po si tio nen von Hau er<br />

in Wei mar auch nach Ittens Weg gang noch bekannt waren und dass<br />

Vor trä ge über des sen Musik auf gro ßes Inter es se stie ßen. Itten und<br />

Hau er hat ten offen bar sogar erwo gen, in Wei mar als Ergän zung des<br />

Bau hau ses eine Musik schu le zu grün den. Doch die ser Plan hat te<br />

FOTO: MARKUS HAWLIK / BAUHAUS100<br />

59


B A U H A U S 1 0 0<br />

sich eben so wie Kan din skys Plan, Schön berg<br />

als Rek tor für die Wei ma rer Musik hochschu<br />

le zu gewin nen, sehr schnell<br />

zer schla gen.<br />

„Ich wuchs in Ber lin her an, doch Weimar<br />

liegt nicht sehr weit von Ber lin, und wir<br />

alle fuh ren nach Wei mar, wie Pil ger nach<br />

Jeru sa lem oder Mekka.“ Stefan Wol pe war<br />

vermutlich der einzige professionelle Kompo<br />

nist, der je am Bau haus war – jedoch nicht<br />

als Leh rer oder Meis ter, son dern als Schü ler.<br />

Als sol cher nahm er an Ele men tarkur sen bei Itten und Klee teil.<br />

Hans Heinz Stu cken schmidt schreibt in sei nem bereits erwähnten<br />

Arti kel über sei nen Besuch am Bau haus: „Wol pe saß meis tens<br />

ein sam in einer Ecke und schrieb wie der ein mal eines sei ner ekstati<br />

schen Kla vier stü cke, das er Friedl Dicker wid me te, einer hoch begab<br />

ten Bau häus le rin, die aus Wien kam und Johan nes Itten<br />

nahestand.“<br />

Stu cken schmidt selbst kam <strong>19</strong>23 für eini ge Zeit auf Ein la dung<br />

von Moho ly-Nagy ans Bau haus. Er arbei te te gemein sam mit Kurt<br />

Schmidt an des sen „Mecha ni schem Bal lett“. Die Musik zu dem<br />

Bal lett ist ver schol len – soweit sie über haupt je auf ge zeich net war,<br />

denn die Erin ne run gen von Stu cken schmidt legen die Ver mu tung<br />

nahe, dass die Musik über wei te Stre cken impro vi siert war. Die ser<br />

ver stand sich aller dings weni ger als Kom po nist, son dern schrieb<br />

vor allem Kri ti ken und Bücher, von denen vie le noch heu te zu den<br />

Stan dard wer ken der Musik ge schich te des 20. Jahr hun derts<br />

gehören.<br />

Ob Geor ge Ant heil, der ame ri ka ni sche Pia nist und Kom ponist,<br />

der durch sei ne futu ris ti schen Kon zer te immer wie der für<br />

Skan da le und Sen sa tio nen sorg te, jemals in Wei mar war, lässt sich<br />

heu te nicht mehr rekon stru ie ren. Und doch muss es Kon tak te zum<br />

Bau haus gege ben haben. Xan ti Scha win ski schreibt in sei nen Erinne<br />

run gen an die Bau haus ka pel le, die sich um Andor Wei nin ger<br />

gebildet hatte und aus musikalischen Amateuren bestand, die Tänze<br />

und „Kon zer te“ auf zum Teil selbst ge bau ten Geräusch in stru menten<br />

impro vi sier ten, dass mit der „Musik von Bach, Hän del, Mozart,<br />

Ant heil, Stu cken schmidt, Strawin<br />

sky, Hin de mith oder den<br />

Impro vi sa tio nen der Kapel le“<br />

das Tanzgelage in eine atemlose<br />

Zuhö rer schaft ver wan delt<br />

wurde.<br />

In einer Annon ce zu den<br />

soge nann ten „Bau haus-<br />

Büchern“ wur de auch ein Buch<br />

von Geor ge Ant heil, „musi co<br />

mechanico“, angekündigt. Dieses<br />

Buch ist jedoch nie erschienen.<br />

Unter glei chem Titel hat te<br />

Ant heil in der Zeit schrift „De<br />

Sti jl“ bereits einen Arti kel veröffent<br />

licht, in dem es um die<br />

Musik der Zukunft ging, um<br />

den Ein satz der Maschi ne in der<br />

Musik, um die Erfah rung des<br />

Mög li chen, des Scho ckie renden,<br />

um sei ne „strom li ni en förmi<br />

ge Musik“. Der Her aus ge ber<br />

die ser Zeit schrift, der Lite rat,<br />

DER EIGENTLICHE ERFINDER DER<br />

ZWÖLFTONMUSIK: JOSEF MATTHIAS HAUER<br />

Sein Leben stand im Schat ten „die ses Sch.“, die ser „Rari tät von einem<br />

Schwind ler“, wie Josef Mat thi as Hau er Arnold Schön berg nann te. Fakt ist:<br />

Drei Jah re bevor Schön berg <strong>19</strong>22 sei ne „Metho de, mit zwölf Tönen“<br />

anwandte, erschien Hauers Nomos op. <strong>19</strong>, das ers te Zwölfton-Stück von<br />

1.100 Wer ken, dar un ter zwei Opern. „Dumm froz zelnd“ hat te Hau er<br />

<strong>19</strong>17 den Riva len emp fun den, dem er den noch <strong>19</strong>22 Neun Etü den op. 22<br />

für Klavier wid me te. „Stel len wir unse re Ide en unter genau er Abgren zung<br />

des Unterscheidenden, mit Zuhilfenahme sachlicher (aber höfl icher) Polemik<br />

dar“, schlug Schön berg <strong>19</strong>23 vor. Doch der kau zi ge Hau er, Sohn eines<br />

zitherspielenden Gefängniswärters, lehnte ab und wetterte beim Heurigen<br />

lie ber gegen die Kol le gen. Wag ner war ihm ein „Bor dell-Musi kant“,<br />

Strauss und Beet ho ven „Nar ko ti kum für das Volk“.<br />

Während Schönberg seine expressive Klangsprache auch mit klassischen<br />

Mit teln wie Phra sie rung und Dyna mik gewann, ord ne te Hau er die zwölf<br />

Töne der chromatischen Tonleiter wie ein „Uhrmacher“ (Adorno)<br />

mechanistisch-mathematisch aneinander. 479.001.600 Möglichkeiten<br />

errech ne te er, die er in 44 Grup penrei hen – „Tro pen“– unter teil te. Bis zu<br />

sei nem Tod <strong>19</strong>59 poch te er dar auf, der „Inven tor der Zwölf-Töne-Technik“<br />

(Paul Hin de mith) zu sein. Ver ge bens.<br />

Alle auf einmal: von Antheil bis<br />

Wolpe. Und unser Autor Steffen<br />

Schleiermacher am Klavier (mdg)<br />

Maler, Theo re ti ker und Künst ler Theo van<br />

Does burg, leb te von <strong>19</strong>21 bis <strong>19</strong>23 in Weimar,<br />

zwar ohne unmit tel bar am Bau haus zu<br />

unterrichten, doch gab es zweifelsohne Kontak<br />

te zwi schen ihm und den Bau häus lern.<br />

Lyo nel Fei ni gers oft zitier tes musi ka lisches<br />

Schaffen beschränkt sich auf 14 Fugen<br />

für Orgel. Er war von sei nen Eltern zwar<br />

ursprüng lich nach Euro pa geschickt wor den,<br />

um sein musi ka li sches Kön nen zu ver vollkomm<br />

nen – galt er doch als eine Art Wunder<br />

kind, als begab ter und früh rei fer Violin vir tuo se. Doch mehr und<br />

mehr wand te sich Fei nin ger der bil den den Kunst zu, mar gi nal blieb<br />

sei ne Aus ein an der set zung mit Musik. An neu es ter Musik war Feinig<br />

ner para do xer wei se nicht inter es siert, genau so wenig übri gens<br />

wie Paul Klee.<br />

Die Expe ri men te, die Moho ly-Nagy am Bau haus – wahr scheinlich<br />

ange regt durch die Ide en von Piet Mon dri an und des sen Schrift<br />

„Neu es Gestal ten“ – mit Schall plat ten mach te, in die er direkt Muster,<br />

Lini en oder ande re Gebil de ritz te, um sie dann abzu spie len,<br />

lassen sich heute nicht mehr rekonstruieren; ebensowenig die Filmarbei<br />

ten von Hirsch feld-Mack oder Alex an der László, die recht<br />

schlich te Kla vier mu sik zu ihren „Licht spie len“ kom po nier ten, welche<br />

aber ein ge stan de ner ma ßen die Funk ti on hat te, die Stil le während<br />

der Vor füh run gen zu über de cken und die Geräu sche der Projek<br />

to ren zu kaschie ren.<br />

Musik am Bau haus. Obwohl es kei nen „Musik meis ter“ gab,<br />

haben die Ide en des Bau hau ses doch auf die Musik ein ge wirkt, wenn<br />

auch eher mit tel bar: Ste fan Wol pe emi grier te über Paläs ti na nach<br />

Ame ri ka, wur de dort in New York ein gesuch ter Leh rer und Anreger,<br />

unter ande rem von Mor ton Feld man und David Tudor. Mor ton<br />

Feld man sei ner seits schätz te die Musik von Josef Mat thi as Hau er<br />

außerordentlich.<br />

László Moholy-Nagy emigrierte ebenfalls nach Amerika, eröffnete<br />

nacheinander mehrere Kunstschulen in Chicago, die auch John<br />

Cage besuch te. Cage hat sich immer wie der in sei nen Arti keln über<br />

den gro ßen Ein fluss und die Fas zi na ti on, die von Moho ly-Nagy ausging,<br />

geäu ßert. Und viel leicht<br />

ste hen auch vie le Expe ri men te<br />

von Cage in mit tel ba rer Nachfolge<br />

zu den frühen Experimenten<br />

von Moho ly-Nagy in<br />

Weimar.<br />

Josef Albers, erst Bau hausstudent,<br />

dann Bauhausmeister,<br />

emigrierte ebenfalls nach Ameri<br />

ka, wirk te als eine der Vater figu<br />

ren der Maler des abs trak ten<br />

Expressionismus wie Willem de<br />

Kooning, Jackson Pollock oder<br />

Mark Roth ko. Er wur de Direktor<br />

am legen dä ren Col le ge in<br />

Black Moun tain, wel ches in vielen<br />

Din gen dem Bau haus nachemp<br />

fun den war. Hier fand das<br />

erste Happening – so zumindest<br />

stellt es sich im Rück blick dar<br />

– der Kunst ge schich te statt, mit<br />

Robert Rau schen berg, Mer ce<br />

Cun ning ham und John Cage.n<br />

60 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH …<br />

… der Soundtrack zum Bauhaus ?<br />

VON STEFAN SELL<br />

Piet Mondrians „Victory Boogie<br />

Woogie“ – es wurde getanzt ohne<br />

Ende, gern bis zur Erschöpfung<br />

Ob Kurt Weill Brecht ver ton te<br />

oder Ope ret ten wie Leo<br />

Falls Die Stra ßen sängerin<br />

Pre mie re hat ten,<br />

die Ber li ner Luft vor 100 Jah ren war<br />

musikgeschwängert. Der Jazzpionier Eric<br />

Bor chard war all ge gen wär tig, in Falls<br />

Ope ret te von <strong>19</strong>21 eben so wie in Fritz Langs<br />

„Dr. Mabuse“. Hindemith, Schönberg, Busoni und<br />

Schreier lehrten in Berlin. Klaus Mann charakterisiert<br />

Deutsch land zu Beginn der Bau hau s epo che als „zugleich<br />

erschöpft und hek tisch auf ge kratzt“. Der Ers te Welt krieg<br />

war eben erst vor bei, und die Men schen sehn ten sich nach<br />

„Won ne, Erleb nis, Eksta se und Erhe bung“, wie Har ry Hal ler ali as<br />

Her mann Hes se im Roman „Der Step pen wolf“ beschreibt. Har ry<br />

kommt zum Tanz auf dem Vul kan in die „Höl le“, das Kel ler ge schoss<br />

eines Tanz pa las tes. „Von der Men ge gescho ben, gelang te ich in diesen<br />

und jenen Raum, Trep pen hin auf, Trep pen hin un ter; ein Gang<br />

im Kel ler ge schoß war von den Künst lern als Höl le aus ge stat tet, und<br />

eine Musik ban de von Teu feln pauk te dar in wie rasend.“ Klaus Mann<br />

im Rück blick: „Das Ber li ner Nacht le ben, Jun ge-Jun ge, so was hat<br />

die Welt noch nicht gese hen!“<br />

„The Roaring Twen ties“, die „Gol de nen 20er“, waren eine Zeitspan<br />

ne zwi schen Wirt schafts auf schwung und Welt wirt schafts kri se,<br />

ein rau schen des Fest für die Kunst. Über all in der Musik, im Film,<br />

in der Lite ra tur, der Kunst und Archi tek tur blüh ten neue For men<br />

auf. Es war eine Ära des Jazz, der Ope ret te, des Schla gers und der<br />

Neu en Musik. Der Sound track zum Bau haus: ein Remix aus all dem.<br />

Paul Klee trat mit sei ner Gei ge auf, zeich ne te eine Tran skrip ti on der<br />

ers ten Tak te aus Bachs Sechster Sonate für Violine und Cembalo, und<br />

Feininger komponierte Fugen. Musik verwandelte sich in Bauhauskunst,<br />

Gren zen wur den über schrit ten. Kurt Schmidt schuf <strong>19</strong>23 die<br />

„Form- und Farbor gel“, Oskar Schlem mer expe ri men tier te mit dem<br />

Tria di schen Bal lett, Johann Itten bau te den Turm des Feu ers, László<br />

Moholy-Nagy entwarf die Partiturskizze zur Mecha ni schen Exzentrik,<br />

Kan din sky tausch te sich mit Schön berg aus und schöpfte den<br />

„gelben Klang“, Piet Mondrian tanzte Boogie-Woogie und brachte<br />

ihn auf Lein wand. Gab es eine Bau haus-Ver samm lung, hieß es:<br />

„Musiker, bitte Instrumente und Noten mitbringen!“ Das Gleiche<br />

galt für Wochen end aus flü ge: „Musik geht mit!“<br />

Im Hexen kes sel der „Höl le“ hört Har ry Hal ler das Stück<br />

Year ning von den Cali for niacs: „Ein neu er Tanz, ein Fox trott,<br />

erober te sich in jenem Win ter die Welt,<br />

mit dem Titel Year ning. Year ning wurde<br />

ein s ums and re Mal gespielt und<br />

immer neu begehrt, alle waren wir<br />

von ihm durch tränkt und berauscht,<br />

alle summ ten wir sei ne Melo die<br />

mit. Ich tanz te unun ter bro chen“. Wei ter<br />

heißt es: „Ein Erleb nis wur de mir in die ser<br />

Ball nacht zuteil: das Erleb nis des Fes tes, der<br />

Rausch der Fest ge mein schaft, das Geheim nis vom<br />

Unter gang der Per son in der Men ge, von der Unio mysti<br />

ca der Freu de.“ Hes se fängt das Lebens ge fühl ein, das<br />

suchen de Künst ler beflü gelt haben muss. Das Bau haus hat<br />

vie les unter sei nem Dach ver eint, der inspi rie ren de Sound track<br />

war stets prä sent.<br />

<strong>19</strong>24 wur de eine eige ne Bau haus ka pel le ins Leben geru fen,<br />

dar in spiel ten Andor Wei nin ger Kla vier, Hanns Hoff mann-Lede rer<br />

Schlag zeug, Hein rich Koch Teu fels gei ge und Rudolf Paris Schlagzeug.<br />

Am liebsten konzertierten sie auf selbst gebauten Instrumenten.<br />

Spä ter kamen wei te re Musi ker und Instru men te hin zu, die<br />

Bau haus-Jazz-Kapel le war in den 20er-Jah ren eine der belieb tes ten<br />

Bands. Dabei waren unter ande rem Lux Fei nin ger, Lyo nel Fei ningers<br />

jüngs ter Sohn, der Ban jo und Kla ri net te spiel te, und – als einzige<br />

Frau – die damalige Bauhausstudentin, spätere Fotografin und<br />

Archi tek tin Lot te Gerson mit ihrem Saxo fon.<br />

Lux erin nert sich: „Ein hin rei ßen der Tanz des Namens ‚Der<br />

Chromatische‘ muss aus dem Repertoire einer längst verschollenen<br />

Mili tär ka pel le ent nom men sein, so wie die bekann tes te aller Bauhaus<br />

me lo di en, der Bau haus Marsch, des sen Anfang zu den Wor ten<br />

‚Itten-Muche-Maz daz nan‘ gesun gen wer den konn te und als ‚Bauhaus<br />

pfiff‘ inter na tio nal bekannt war.“ Lux Fei nin ger, der das biblische<br />

Alter von 101 erreich te, schwärm te von der Eksta se, mit der<br />

die Kapel le spiel te, die einem „Veits tanz“ gleich kam. Har ry Hal ler<br />

wuss te, es gibt kein Ent kom men: „Als die Musik abbrach, blie ben<br />

wir umschlun gen ste hen, alle die ent zün de ten Paa re rings um uns<br />

klatsch ten, stampften, schrien, peitsch ten die erschöpfte Kapel le<br />

zur Wie der ho lung des Year ning auf.“ In der Erin ne rung des Bauhaus<br />

stu den ten Far kas Molnár klingt das so: „Der Tanz nimmt kein<br />

Ende. Die Jazz-Kapel le zer bricht ihre Instru men te. Der Knei per<br />

ver liert sei ne Geduld … jetzt ist der Höhe punkt erreicht. Baro meter<br />

365 Grad. Span nungs ma xi mum. Zap fen streich, der Hen ker<br />

erscheint. Roter Pfeil. Not aus gang.“<br />

n<br />

FOTO: GEMEENTEMUSEUM DEN HAAG<br />

61


B A U H A U S 1 0 0<br />

NEUES WELTTHEATER –<br />

OSKAR SCHLEMMER<br />

UND DIE BAUHAUSBÜHNE<br />

Begeistert huldigten Bauhäusler wie Oskar Schlemmer der Idee des<br />

Gesamtkunstwerks, des Zusammenwirkens der einzelnen Kunstdisziplinen.<br />

Und verweigerten sich jedem vorschriftsmäßig abgegrenzten „Lager“.<br />

VON PHILIPP HONTSCHIK<br />

FOTO: WILFRIED HOESL<br />

Triadisches Ballett an der Bayerischen Staatsoper, 2014<br />

Wien, <strong>19</strong>87. Die Gründung der Bauhausbühne liegt<br />

66 Jahre zurück. Am Burgtheater inszenieren<br />

Achim Freyer und Urs Toller ein Stück mit dem<br />

Titel Metamorphosen des Ovid oder die Bewegung<br />

von den Rändern hin zur Mitte und umgekehrt. Die Musik und Teile<br />

des Texts stammen von Dieter Schnebel, dem unlängst verstorbenen<br />

großen Komponisten zeitgenössischer experimenteller Musik. Auch<br />

Freyer und Toller haben mitgetextet.<br />

Im Publikum sitzt offenbar ein organisierter Block von Störern.<br />

„Die Burg“ will sich das einfach nicht bieten lassen: Ein hölzerner<br />

bunter, großer Schmetterling bewegt sich quälend langsam von links<br />

unten nach rechts oben, hin zur Mitte der schräg erhöhten Holzbühne.<br />

Ein Mädchen auf einem hölzernen Tretroller. Eine Frau<br />

kommt von links auf die Bühne, zieht einen Schuh aus, geht einen<br />

Schritt, wieder einen zurück, zieht den Schuh wieder an, geht zwei<br />

Schritte weiter, zieht den anderen Schuh aus … Derweil kommt vom<br />

Band Sprechtext, der die Dame als ziemlich unerschrockene Prostituierte<br />

ausweist: „Na, freilich setz’ ich mich ihm aufs G’sicht, bin<br />

ja ka Snob.“ In Endlosschleife. „Braucht ma da lang, bis ma des<br />

kann?“, kommt’s im tiefsten Wienerisch aus dem Parkett. „Halt’s<br />

Maul, Faschist!“, kommt rüde die Antwort. „Kamma des studier’n?“<br />

„Nach Haus geh’, wem’s nicht g’fallt!“ „Zum Fernsehen, ihr Deppn!“<br />

Und heute? Wer die klassische Sprechbühne des Theaters<br />

„zweckentfremdet“, erzielt immer noch schockierende oder freund-<br />

62 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


lich gesagt: durchschlagende Wirkung. Mal mehr und mal weniger<br />

schlüssig, aber warum soll das Gegenwartstheater darauf verzichten?<br />

Schon Gründgens stellte die Filmsequenz der Hiroshima-<br />

Bombe mitten in die Faustische Walpurgisnacht – ein dramaturgischer<br />

Glücksgriff. Bezüge auf die bildende Kunst, Zitate<br />

aus oder von Gemälden, Filmbildeinspielungen, Überblendungen,<br />

Liveaufnahmen von der Bühne selbst – all<br />

das setzt Theater heute ein, in einem von Bildern gefluteten<br />

„Heute“.<br />

Dabei denken wir über unsere eigene Verortung nach<br />

und finden einen humanoiden Roboter auf der Bühne, dessen<br />

Gesicht dem eines bekannten Schauspielers gleicht.<br />

Was Digitalisierung und künstliche Intelligenz für uns<br />

sind, war für die der Bauhausbühne die plötzlich technologisierte,<br />

beschleunigte und von Maschinen geprägte<br />

Umwelt des frühen 20. Jahrhunderts. „Verortung des Ich“,<br />

das klingt schwülstig. Aber als Walter Gropius <strong>19</strong>21 die<br />

Bauhausbühne ins Leben rief, hatten Einstein und Planck<br />

neue Weltmodelle vorgelegt: Raum und Zeit krümmen<br />

sich, abhängig von der beteiligten Masse. Und Teilchen,<br />

noch viel kleiner als Atome, geben entweder ihren Impuls oder ihren<br />

Ort zu erkennen, aber nicht beides. Hinzu kam, dass nicht wenige<br />

der bestimmenden Bauhausfiguren den Ersten Weltkrieg an der<br />

Front erlebt hatten, den Menschen im Zeitalter seiner maschinellen<br />

Vernichtbarkeit. Die Verstörung, die Erschütterung, die hieraus<br />

stammten, sollten in Fragen<br />

DAS TRIADISCHE<br />

BALLETT BLEIBT<br />

EIN MEILENSTEIN<br />

DER THEATER-<br />

GESCHICHTE<br />

münden nach dem Bezugsfeld<br />

zwischen Menschen und ihrer<br />

seelisch-körperlichen Befindlichkeit<br />

und den von menschlichen<br />

Gehirnen erdachten und<br />

erbauten Maschinen, die den<br />

Alltag immer stärker prägen.<br />

Gemessen an der Furcht<br />

der Heutigen davor, dass uns<br />

die künstliche Intelligenz womöglich um die Ohren fliegt, bevor<br />

wir es verhindern können, hegten die Bauhausleute Vertrauen in<br />

die Zukunft, Zuversicht und Technikbegeisterung. Auf Standortsuche<br />

gehen sollte „der Mensch“, den der literarische Expressionismus<br />

vor allem in der Lyrik ständig an- und aufruft, auf der Bauhausbühne<br />

gleichwohl: Das Triadische Ballett hat nichts mit der<br />

hegelianisch-marxistischen „dialektischen Triade“ aus These, Antithese<br />

und Synthese zu tun. Vielmehr stand diese Triade (Dreiklang)<br />

für Beziehungen wie Kostüm – Bewegung – Musik als choreografische<br />

Grundsäulen oder Raum – Form – Farbe als physische Attribute,<br />

Höhe – Breite – Tiefe als klassische Dimensionen des Raums.<br />

Die geometrischen Grundformen Kreis – Quadrat – Dreieck kommen<br />

zum Tragen, und die Grundfarben Rot – Gelb – Blau, das alles<br />

übertragen auf die Bewegungen dreier Akteursfiguren.<br />

Arnold Schönberg lehnte eine Zusammenarbeit ab. Angeklopft<br />

hatte bei Schönberg ein gewisser Albert Burger, Tänzer an der<br />

Königlichen Hofoper Stuttgart. Burger und seine Frau Elsa Hötzel<br />

waren <strong>19</strong>12 die Ersten, die sich auf die Suche nach „Neuem Ballett“<br />

machten. Noch im selben Jahr fanden sie den Maler Oskar Schlemmer<br />

als inspirierten Partner. Die drei ahnten, welche Epoche sie<br />

damit machten: Gleich nach der Uraufführung des Triadischen<br />

Balletts <strong>19</strong>22 in Stuttgart zerstritt sich das Ehepaar mit Schlemmer<br />

heillos. So wie sich Oskar Schlemmers Erben überwarfen, was der<br />

Bekanntheit des Triadischen Balletts, dieses Aushängeschilds der<br />

Bauhausbühne, schwer geschadet hat. Was Schlemmer als Beginn<br />

neuer „deutscher Tanzkunst“ sah, auch als Gegenentwurf zum russischen<br />

oder schwedischen Ballett, bleibt vorerst, was es schon lange<br />

ist: ein Meilenstein der Theatergeschichte, den kaum jemand je zu<br />

sehen kriegt. <br />

n<br />

Oskar Schlemmer<br />

Als Oskar Schlemmer zwölf Jahre alt war, waren beide Eltern<br />

gestorben. Wer psychologisieren möchte, wird es rührend<br />

finden, dass sich der Kunstprofessor<br />

Schlemmer Jahrzehnte später in die Frage<br />

nach dem „Menschen im Raum“ so sehr<br />

vertiefen konnte. Als jüngstes von sechs<br />

Kindern hätte er es ja auch mit dem zeitgenössischen<br />

Pathos der Expressionisten<br />

halten können: Deren „Oh, Mensch!“-Lyrik<br />

zielte auf das Verhältnis zwischen Mensch<br />

und Gesellschaft. Die „soziale Frage“ wurde<br />

damals überhaupt immer lauter: in der<br />

Politik wie in allen Sparten der Kunst. Das<br />

Epigonale, Harmlose hatte sich verbraucht.<br />

Notwendig war eine grundlegende Erweiterung<br />

der künstlerischen Ausdrucksmittel.<br />

Die Malerei machte sich auf, weg vom<br />

Figürlichen hin zur höchsten Abstraktion.<br />

Den Niederländer Piet Mondrian sollte Oskar Schlemmer<br />

später einmal den „eigentlichen Gott des Bauhauses“<br />

nennen.<br />

Aber zunächst kommt ein 15-jähriger Waise aus Göppingen,<br />

wo er aus Geldgründen die Realschule verlassen hatte,<br />

zurück in seine Geburtsstadt Stuttgart, findet Zugang zu einer<br />

renommierten Werkstatt, erfüllt dort Vorlagen für Intarsien<br />

und andere gewerbliche, vorkünstlerische Aufgaben. Nebenher<br />

bildet er sich in Figurenzeichnen und Stillehre weiter.<br />

<strong>19</strong>06 nimmt die Stuttgarter Akademie für Bildende Künste<br />

ihn 18-jährig auf. Drei Jahre später: Meisterklasse in Komposition<br />

bei Friedrich von Keller. Anschließend, in Berlin, trifft<br />

er Kubisten, die Avantgarde. Der Kubismus schlägt sich deutlich<br />

in seiner Malerei nieder. Deswegen rücken ihn viele in<br />

die Nähe von George Grosz oder Giorgio de Chirico. Aber<br />

Grosz ist selbstbewusster Kritiker der Kaiserzeit wie der Weimarer<br />

Republik. Politische Stellungnahmen waren aber Oskar<br />

Schlemmers Sache nicht. Und im Vergleich zu de Chiricos<br />

„metaphysischer Malerei“ springt bei aller Ähnlichkeit ein<br />

Unterschied ins Auge: De Chiricos Stadtlandschaften sind<br />

menschenleer, Schlemmer sucht nach dem Ort des Menschen<br />

im Raum und seiner Wirkung darin.<br />

Es bleibt dabei: Oskar Schlemmers Schaffen lässt sich<br />

nur schwer einer Kunstrichtung angliedern. Auch weil er der<br />

Idee des Gesamtkunstwerks, des Zusammenwirkens der einzelnen<br />

Kunstdisziplinen huldigte und sich nicht zu einem der<br />

vorschriftsmäßig abgegrenzten Lager bekennen wollte.<br />

Schlemmer hatte sich bei Kriegsbeginn <strong>19</strong>14 freiwillig<br />

gemeldet, eine Verwundung ermöglichte, dass er überlebte<br />

und weitermalen konnte. <strong>19</strong>20 berief Walter Gropius Schlemmer<br />

ans Bauhaus Weimar, wo er die Klasse für Wandmalerei,<br />

bald auch für Holz- und Steinbildhauerei übernahm. <strong>19</strong>22<br />

gelang in Stuttgart die Uraufführung des Triadischen Balletts<br />

– das nie auf der Bauhausbühne aufgeführt wurde. Deren Leitung<br />

übernahm Schlemmer mit dem Umzug des Bauhauses<br />

nach Dessau <strong>19</strong>25. Das Triadische Ballett erlebte Aufführungen<br />

im In- und Ausland, der Erfolg hatte sich eingestellt, ein<br />

schöpferischer Mensch seinen Ort im Raum gefunden. Aber<br />

bis zum Regime des Unmenschen dauerte es nicht mehr lange.<br />

<strong>19</strong>30 ließ man von oberster Stelle in Weimar ein Wandgemälde<br />

Schlemmers übermalen. In der Nazi-Schmäh-Ausstellung<br />

„Entartete Kunst“ hingen schließlich fünf seiner Bilder<br />

„Bauhaustreppe“ von Oskar<br />

Schlemmer, <strong>19</strong>32<br />

als undeutsch. Oskar Schlemmer starb im April <strong>19</strong>43 in einem<br />

Sanatorium in Baden-Baden. <br />

n<br />

FOTO: BAUHAUS100<br />

63


B A U H A U S 1 0 0<br />

GEFÜHLTE<br />

ARCHITEKTUR<br />

FOTOS: SASCHA KLETZSCH<br />

Bauhaus heute: zwei Privathäuser<br />

in München vom Büro Stenger2<br />

64 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Eine Bewegung machte Furore und veränderte das Gesicht<br />

ganzer Städte: Mit dem Bauhaus hielt die Moderne endgültig<br />

Einzug in die Architektur. Wie nachhaltig war und ist ihr Einfluss<br />

auf die kommenden Jahre? Ein Gespräch mit dem Architekten<br />

Markus Stenger, der in der Wiege des Bauhauses studiert hat.<br />

VON BARBARA SCHULZ<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Stenger, welche Bedeutung hat das Bauhaus<br />

für die Architektur heute?<br />

Mar kus Sten ger: Die Fra ge, die vor ab gestellt wer den muss, ist<br />

doch: Wel ches Bau haus meint man? Das ursprüng lich sen si ble,<br />

sensuelle, fühlende Bauhaus? Oder das rationale Bauhaus von<br />

Mies van der Rohe, das am Ende stand? Wir haben es ja, allein<br />

auf Deutsch land bezo gen, mit einem Drei ak ter zu tun: Die ers te<br />

Epi so de spielt <strong>19</strong><strong>19</strong> in Wei mar, die zwei te <strong>19</strong>25 in Des sau und die<br />

drit te schließ lich um <strong>19</strong>33 in Ber lin.<br />

Wie kam es zu dieser Dreiteilung?<br />

Das muss man im jewei li gen Kon text sehen: Wal ter Gro pi us hatte<br />

<strong>19</strong><strong>19</strong> das Staat li che Bau haus in Wei mar gegrün det. Dass sich<br />

ein so frei heit li ches Gut in dem stren gen Kor sett die ser kon servativen<br />

Stadt entwickeln konnte, war bemerkenswert. Schließlich<br />

drängte Wei mar das Bau haus doch aus der Stadt. Das sozia listisch<br />

ein ge stell te Des sau nahm es ger ne auf, stellte ein Grundstück<br />

und Mit tel zur Ver fü gung. Das war der Umbruch: Die<br />

Bauhäusler suchten nun nach Möglichkeiten, Architektur in Teilen<br />

seri ell zu pro du zie ren – ab die sem Zeit punkt Haupt the ma<br />

am Bau haus. Dann ver dräng ten die Nazis das Bau haus aus Dessau.<br />

Die Flucht nach Ber lin geschah bereits in dem Wis sen, dass<br />

das nicht mehr lan ge gehen wür de.<br />

Sie haben in Weimar Architektur studiert. War für Sie das<br />

Bauhaus noch spürbar?<br />

Ich kam <strong>19</strong>92 nach Wei mar. Es war eine Welt, die sich noch in<br />

der herr li chen Aufbruchs stim mung der letz ten Jah re der DDR<br />

und der ers ten Jah re des ver ei nig ten Deutsch land befand. Der<br />

Osten war noch sehr gegen wär tig, aber auch das ori gi na le Bauhaus.<br />

Der „Vor kurs“ war noch Teil unse rer Aus bil dung.<br />

Was beinhaltet der „Vorkurs“?<br />

Gro pi us hat te ja ein Lay out fest ge legt, das ers te Bau haus-Manifest.<br />

Inter es sant ist, dass es zunächst kein Text, son dern eine<br />

Gra fik war: ein Kreis mo dell, das sich auf einen Punkt hin zentriert.<br />

Ganz außen steht der Vor kurs des Schwei zer Malers und<br />

Kunst päd ago gen Johan nes Itten: indi vi du el les Emp fin den, subjek<br />

ti ves Erken nen und objek ti ves Erfas sen als Grund la ge aller<br />

Krea ti vi tät. Im nächs ten Ring dann die Leh re von der Kon strukti<br />

on und Dar stel lung, die Mate ri al-, Natur-, Raum- und Stoffleh<br />

re, im drit ten Ring schließ lich das Mate ri al selbst. Es ging<br />

ganz stark um die Wer tig keit der sinn li chen Erfah rung von Materi<br />

al. Und das alles mün de te schließ lich im Bau.<br />

Sensibilisierung also …<br />

Ja, Füh len, Tas ten, Hören, Sehen … Sen so rik ent wi ckeln, Oberflä<br />

chen struk tu ren ver in ner li chen. Dafür wur de extrem viel Zeit<br />

auf ge wen det, auch dar über zu reden und zu reflek tie ren. Heu te<br />

ist die Kom mu ni ka ti on zur Archi tek tur ganz anders. Zum einen<br />

gibt es die mit dem Auftrag ge ber des Archi tek ten: Pri vat mann,<br />

Inves tor, öffent li cher Auftrag ge ber. Dane ben die auf einer zwei-<br />

65


B A U H A U S 1 0 0<br />

Das Bauhaus-Manifest:<br />

Alles konzentriert sich hin zum Bau<br />

FOTO: SASCHA KLETZSCH<br />

ten, viel öffent li che ren Ebe ne: wenn das Pro dukt fer tig<br />

ist. Das Voka bu lar der bei den ist völ lig unter schiedlich.<br />

Spricht man mit einem Bau her rn, wäre man oft<br />

froh, das ursprüng li che Bau haus vo ka bu lar zur Ver fügung<br />

zu haben. Bei die ser unmit tel ba ren Annä he rung an<br />

Architektur geht es – sobald wirtschaftliche und raumplanerische<br />

Fra gen geklärt sind – dar um, wie Archi tek tur spä ter ange fasst, wie<br />

sie gese hen, gespürt, gefühlt wird. Inves to ren kann man mit die sem<br />

Voka bu lar bei brin gen, qua li tät voll zu bau en. Ich hät te gern, dass<br />

die Schu le der gefühls mä ßi gen Annä he rung an Archi tek tur aus<br />

dem Bau haus zum Pflicht fach in jeder Schu le wird.<br />

Bestehende Architektur muss anders kommuniziert werden?<br />

Ja. Der Mensch ist mit einer sol chen Geschwin dig keit in Rich tung<br />

urba ner Agglo me ra ti on unter wegs, dass das Leben auf dem Land<br />

beziehungsweise im nicht Urba nen immer mehr zur Aus nah me -<br />

si tua ti on wird. Das bedeu tet im Umkehr schluss, wir haben uns<br />

damit abge fun den, dass unser Kon text Archi tek tur ist, weil die Stadt<br />

im sicht ba ren Bereich zu 90 Pro zent aus Archi tek tur besteht. Wir<br />

leben also in einem Umfeld, das wir nie gelernt haben zu eva lu ieren,<br />

son dern „nur“ nut zen. Weil wir auf gefähr lich dog ma ti sche<br />

Sät ze ver trau en wie den von Mies van der Rohe, „Form fol lows<br />

func tion“. Die wich ti ge Arbeit wäre nun, stän dig neu zu ergrün den<br />

und zu kom mu ni zie ren, was das Poten zi al<br />

gebau ter Struk tur ist, wie ich das Wer te gerüst<br />

einer Struk tur ändern oder ver bes sern<br />

kann, wie etwas Archi tek tur wer den kann …<br />

Dafür braucht man das Voka bu lar: um mündig<br />

zu wer den. Das war die immense Leistung<br />

die ser Schu le.<br />

Irgendwann nahm die Bedeutung der Sensorik<br />

aber ab.<br />

Ja, die Mit te des Krei ses, der Bau, wur de<br />

immer her me ti scher. Man kann es Fokussie<br />

rung nen nen. Oder als extre men Ver lust<br />

bezeich nen, was da auf der Stre cke geblie ben<br />

ist. Fas zi nie rend ist, dass unter einer Mar ke<br />

„Bau haus“ die se völ lig wider sprüch li chen<br />

Bewegungen zusammengefasst sind: Weimar,<br />

das die Ein heit von Kunst und Handwerk<br />

such te, und Des sau, das völ lig offen zur<br />

Indus trie war. In Des sau war wich tig, einen<br />

Ent wurf so strin gent zu machen, dass man<br />

mit Stan dard pro duk ten aus der Indus trie<br />

ein gan zes Haus pro du zie ren konn te.<br />

Massenfertigung also?<br />

Nicht ganz, dafür ist das Bau haus-Gebäu de viel zu poe tisch und<br />

qua li tät voll. Zwar war das Haus sehr zweck mä ßig, man hat aber<br />

nicht sim pli fi ziert, eher stan dar di siert. Und auch pro vo ziert. Da<br />

war ein guter Schuss Humor dabei bei die ser Archi tek tur. Irgendwie<br />

war Bau haus weni ger Bus si Bus si, Bau haus war mehr Sex. Die se<br />

Lust spürt man in der Anfangs zeit. Und aus die ser Lust wur de<br />

immer mehr Leis tung und Arbeit, es wur de immer erns ter.<br />

Bedeutet Standardisierung, dass Dessau vorbereitend für die<br />

Fertigbauarchitektur war?<br />

Das wür de ich nicht sagen. Ein Fer tig haus bie tet kei ner lei Mög lichkeit,<br />

meh re re Dis zi pli nen an einem Objekt zu ver sam meln. Des sau<br />

woll te sicher nicht, dass ein Gebäu de, das ein mal ent wor fen war,<br />

belie big oft repro du ziert wer den soll te. Eher so: vie le ähn li che Fenster,<br />

Türen etc., die man seri ell her stellt. Das Meis ter haus zum Beispiel<br />

war noch indi vi dua li siert. Für den Ort, für den Kon text, für<br />

die Auf ga be. Das Fer tig haus ist das Gegen teil davon.<br />

Hat es das Dessauer Bauhaus in die Gegenwart geschafft?<br />

Ich wür de eher sagen, die ers te Epi so de, Wei mar. Weil es alles ande re<br />

Mar kus Sten ger und sei ne Frau Annet te<br />

leben und arbei ten in Mün chen. Unter dem<br />

Titel „fearless“ stell ten sie u. a. in Vene dig<br />

zur Archi tek tur bi en na le 2016 mit ihrem<br />

Büro „Stenger2 Archi tek ten und Part ner“<br />

ihre bis lang wich tigs te Arbeit vor: die Wie derbe<br />

le bung des <strong>19</strong>90 still ge leg ten Gas-Versuchs<br />

kraft werks in Mün chen-Ober send ling<br />

und das Erleb nis empi ri schen Bau ens.<br />

Infos unter s2lab.de<br />

her vor ge ru fen hat. Man tut dem Bau haus sicher einen<br />

Gefal len, wenn man es ver ket tet mit sei ner eige nen<br />

Geburts ge schich te. Zu sagen, das ist Bau haus und jenes<br />

ist jetzt die Fol ge davon, ist schwie rig. Die se zehn Jah re<br />

nach Bau haus, von <strong>19</strong>33 bis <strong>19</strong>43: Da ist für mich mehr die<br />

Fra ge, wie hat die Indus tria li sie rung oder die se kriegs ge trie be ne<br />

Mas sen pro duk ti on das Fer tig teil bau en ermög licht? Die hoch ge rüste<br />

ten Indus trie zwei ge hat ten ja plötz lich kei nen Zweck mehr. So<br />

fand man zivi le Ein satz ge bie te. Fens ter la cke zum Bei spiel, die das<br />

eigent lich viel lang le bi ge re und zudem bio lo gi sche Lein öl<br />

ablösten.<br />

Es gab aber auch sinnvolle neue Materialien.<br />

Gemeinsam mit anderen Architekturströmungen dieser Zeit wandte<br />

sich das Bau haus früh Stahl und Stahl be ton zu. Und das ist wohl<br />

der wich tigs te Ein fluss auf heu te: dass über die Rän der der Pro fessi<br />

on geschaut wur de und das Gute, das man jen seits fand, über nommen<br />

hat. Man hat sich hin be wegt zum Hand wer ker, zum Künst ler,<br />

spä ter zum Trag werksinge nieur. Und hat Syn er gi en genutzt.<br />

Das bedeutet auch flache Hierarchien …<br />

Ganz genau, in der Pra xis kann man so – wie übri gens in der für das<br />

Bauhaus namensgebenden mittelalterlichen Dom-Bauhütte auch –<br />

allen die Mög lich keit geben, Glei cher unter Glei chen zu sein. Und<br />

so jedes Werk zum klei nen Bau haus<br />

machen. Dann ist die Archi tek tur nicht die<br />

Mut ter aller Küns te, der sich alle unter zuord<br />

nen haben. Viel mehr gibt es eine Erfahrungs<br />

hier ar chie aller Betei lig ten. Ein Mitarbeiter<br />

oder Handwerker kann zu gegebener<br />

Zeit in eine lei ten de Funk ti on wech seln,<br />

wenn er mehr Erfah rung hat. Da muss es<br />

kein objek ti ves Füh ren geben. Der Architekt<br />

schließt im Ide al fall nur die Lücken<br />

zwi schen den Dis zi pli nen. Hät te ich eine<br />

Fra ge ans Bau haus, dann wüss te ich gern,<br />

wie die Kom mu ni ka ti on funk tio niert hat.<br />

Wie haben sie sich gegen sei tig den Raum<br />

gelas sen, ihren Platz gefun den? Das gab es<br />

vorher lange nicht.<br />

Es ist ja auch eine Form gegenseitiger<br />

Inspiration.<br />

Unbe dingt. Es gibt ja eigent lich viel weniger<br />

Gren zen in den Kul tur ka te go ri en, als<br />

man denkt. Man kann rhe to ri sche Stil mittel<br />

auf Fas sa den anwen den, kann ein Stück<br />

Lite ra tur, ein Stück Musik und ein Stück<br />

Archi tek tur mit den sel ben Augen und Mit teln lesen. Aber wir tun<br />

es nicht. Dabei ist es so beglü ckend.<br />

Es gibt ein Buch: „Please show me how to do Bauhaus“.<br />

Ein wun der bar iro ni scher Titel. Aber hilf rei che Lek tü re für den<br />

Bau herrn, der kommt und sagt, er hät te gern ein Haus in „so einer<br />

Art Bauhausstil“.<br />

Was meint er damit?<br />

Meist nutzt er die sen Begriff als Trä ger für das ande re, das A-Kontextuelle.<br />

Natürlich schweben ihm auch konkrete Stilmittel vor: die<br />

Far be Weiß, gro ße Fens ter, glat te Fas sa de, ein Flach dach, kein Dachüber<br />

stand. Aber eigent lich möch te er Des in te gra ti on. Sich abhe ben<br />

von der Nach bar schaft. Das Beson de re in sei nem neu en Umfeld<br />

sein. Ich sehe das zum Teil sehr kri tisch. Das ist nicht mei ne Auffassung<br />

von Bauhaus.<br />

Welche Antwort geben Sie ihm?<br />

Dass er Glück hat! Weil er bei einem gelan det ist, der immer Bauhaus<br />

macht, weil er am Bau haus war. Er kann von mir gar kein anderes<br />

Stück Archi tek tur bekom men. Ob er will oder nicht! n<br />

66 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


LEBENSART<br />

Von edler Eleganz: Diese Klassiker des Bauhauses möbeln unseren Alltag auf (Seite 72)<br />

Die Schweiz hat mehr als Berge, Schnee und Schoki:<br />

Weine zum Niederknien, vorgestellt von Paula Bosch (Seite 74)<br />

Ein Spaziergang durch Dresden mit dem Schütz-Experten Hans-Christoph Rademann (Seite 78)<br />

Ein Spiel mit Licht und Schatten:<br />

Schlicht und pur will Bauhausarchitektur<br />

sein, um mit der Natur<br />

verschmelzen zu können, sie<br />

zuzulassen, ihr Raum zu geben und<br />

sie zu integrieren. Ein Treppenhaus<br />

kann so viel mehr als ein<br />

Treppenhaus sein – wahre Kunst.<br />

FOTO: PIXABAY<br />

67


L E B E N S A R T<br />

Lieblingsessen!<br />

HIER VERRATEN DIE STARS IHRE BESTEN REZEPTE.<br />

UND MANCHMAL AUCH KLEINE GESCHICHTEN,<br />

DIE DAZUGEHÖREN ...<br />

„DAS AUS ZWEI FAST LEEREN KÜHLSCHRÄNKEN<br />

ENTSTANDENE AMUSE-GUEULE IST LÄNGST EIN KLASSIKER AUF PARTYS“<br />

REBEKKA HARTMANN<br />

FOTO: PRIVAT<br />

68 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


REBEKKA HARTMANN VIOLINISTIN<br />

„Vor wenigen Jahren saß ich mit meinem besten Freund beim Essen im Restaurant und wir<br />

ärgerten uns: Für wenig Geschmack muss man einen Kredit aufnehmen! Wir beschlossen also, selbst<br />

und gemeinsam zu kochen. Zähneknirschend muss ich hier zugeben, dass ich, außer ein paar Eier in die<br />

Pfanne zu hauen, nicht wirklich kochen kann – Berufsmusiker haben wenig Zeit. Mein Freund bot sich<br />

an, mir das Kochen beizubringen. Eines sonntags also warfen wir die eher spärlichen Inhalte unserer<br />

Kühlschränke zusammen: eine Aubergine, ein Stück Mozzarella von mir, sein Vorrat bestand aus<br />

Tomatenmark, Knoblauch, Sardellen und Zitronen. Daraus entstand die Idee, eine Praline aus der<br />

Aubergine zu kreieren, die mich derart begeisterte, dass dieses Amuse-Gueule bei unseren Partys zum<br />

beliebtesten Gericht wurde. Und immer, wenn uns jemand nach dem Rezept fragt, schmunzeln wir –<br />

und erinnern uns an diesen denkwürdigen Tag!“<br />

FOTO: ULRIKE VON LOEPER<br />

Rebekka Hartmann hat nationale und internationale Auszeichnungen erhalten. Ihr Repertoire umfasst das<br />

ganze Spektrum der Violinliteratur vom Frühbarock bis zur zeitgenössischen Musik und neuen Kompositionen,<br />

von denen sie auch Erstaufnahmen und Uraufführungen wie Werke für Solovioline von Håkan Larsson und<br />

Anders Eliasson aufführte. 2012 erhielt Rebekka Hartmann für ihre CD „Birth of the Violin“ (2011, Solo<br />

Musica) den ECHO Klassik-Preis in der Kategorie „Beste solistische Einspielung des Jahres auf der Violine“.<br />

•<br />

PRALINE VON DER AUBERGINE<br />

2 Auberginen, 1 Zitrone, Olivenöl, 2 Tuben Tomatenmark, 1 Glas Sardellen in Öl,<br />

8 Knoblauchzehen, Salz, Pfeffer, 2 Mozzarella, 1 Bund Basilikum<br />

•<br />

1. Auberginen in 0,5 cm dicke Scheiben schneiden, mit Zitrone beträufeln und in reichlich heißem Olivenöl<br />

anbraten, bis sie leicht gebräunt sind. Auf Küchenkrepp abtropfen lassen.<br />

2. Für die Tomatenpaste das Tomatenmark in einen tiefen Teller drücken. Die Sardellenfilets aus<br />

dem Glas nehmen und fein hacken. Restliches Öl aus dem Glas in die Tomatenpaste rühren.<br />

Die Knoblauchzehen schälen, fein hacken und auf ein wenig Salz zerdrücken, ebenfalls in die Paste geben.<br />

Zitronensaft nach Geschmack zugeben und alles mit Salz und Pfeffer abschmecken.<br />

3. Backofen auf 220 Grad Umluft vorheizen. Die Auberginenscheiben auf ein mit Backpapier belegtes<br />

Backblech legen, mit der Paste bestreichen.<br />

4. Den Mozzarella in so viele Scheiben schneiden, wie Auberginenscheiben da sind, und<br />

darauf verteilen. Im heißen Ofen etwa 10 Minuten backen. Mit Basilikumblättchen belegen.<br />

Das aktuelle Album: „Out of the shadow“, Rebekka Hartmann,<br />

Salzburg Chamber Soloists (Solo Musica)<br />

69


L E B E N S A R T<br />

Mein erstes Mal<br />

Prunk, Pomp, Pathos – ein bisschen viel von allem, findet unser Kolumnist.<br />

Um nach einem Opernbesuch schließlich festzustellen: Es ist nie zu spät.<br />

VON LARS REICHARDT<br />

Die Oper ist für Zuschauer<br />

ein rauschendes Fest.<br />

Und das bedeutet offenbar<br />

auch Überfluss, Verschwendung.<br />

Allein diese<br />

Türen: riesige Flügeltüren auf der<br />

Bühne, sicher sechs, sieben Meter hoch.<br />

Wo gibt’s denn so was?<br />

Dieser Pomp fällt einem Anfänger<br />

als Erstes ins Auge. Der brennende<br />

Kamin bei Familie Othello zu Hause, zu Beginn rechts auf der<br />

Bühne, im dritten Akt dann links, so, als ob ein halbstarker Bühnenbildner<br />

ins Publikum krakeelt: „Was kümmert mich eure Brandschutzordnung?<br />

Ich kann überall.“ Der riesige Chor, die schwülstige<br />

Sprache, in der es den Menschen noch dünkt und deucht. Und wie<br />

theatralisch sich Desdemona im ersten Akt auf dem plüschigen Sofa<br />

windet, als sie die Berichte von Othellos Seeschlacht verfolgt. Wirkt<br />

so übertrieben, wie im schlechten Theater. Und die Musik? Singen<br />

Anja Harteros und Jonas Kaufmann wirklich so gut, wie die Leute<br />

raunen, die sich selbstbewusst als Kenner bezeichnen? Warum gilt<br />

Kirill Petrenko als Stardirigent? Und wie hört man den Unterschied<br />

zwischen einem Star und einem nur ganz passablen Sänger heraus?<br />

Trifft der etwa die Töne nicht? Tut mir leid, mir fehlen einfach die<br />

Vergleichsmöglichkeiten.<br />

Wer sich nie ernsthaft mit klassischer Musik beschäftigt, wer<br />

nie versucht hat, dem vielbeschworenen Zauber einer Oper nachzuspüren,<br />

der braucht das auch im fortgeschrittenen Alter nicht mehr<br />

probieren. Irgendwann ist es eben doch zu spät, dachte ich immer.<br />

Habe ich nie bereut. Bis zu dieser Freundin, die sagt, nur Film könne<br />

bei ihr eine ähnlich kathartische Wirkung haben, Bücher nicht,<br />

auch kein Theaterstück. Dabei gehen wir gern ins Theater. Aber<br />

gleich beim zweiten Stück redete sie von Kriegenburg. Ein Bühnenbild<br />

erinnerte sie an den, ob ich denn seine letzte Operninszenierung<br />

gesehen hätte? Nein? „Ach, wie schade.“<br />

Musik und Geschichte einer Oper sollten bei jedem wirken<br />

können, unabhängig von seinem Vorwissen. Die Wahl will gut<br />

überlegt sein, wenn man einer Freundin zuliebe in die Oper geht.<br />

Ein Bekannter, den ich um Rat bat, überlegte nicht lang: auf keinen<br />

Fall Wagner. Die Soft-Oper für Anfänger heißt Othello. Die neue<br />

Münchner Inszenierung mit Harteros und Kaufmann, Otello, ohne<br />

h. „Das wird sie lieben, das verstehst du, und zwei Stunden hältst du<br />

aus.“ Also gut, ich schlage Othello vor.<br />

Volltreffer. „In Othello ist alles vorhanden, was das Leben ausmacht“,<br />

sagt sie. Othellos rasende Eifersucht, die Gier nach Macht<br />

von Jago, die bis in den Tod treue Liebe<br />

Desdemonas. Freundschaft, Trunkenheit,<br />

Verzweiflung, Verrat. Ein weißes<br />

und ein schwarzes Zimmer auf der<br />

Bühne spiegeln die Seelenzustände der<br />

Figuren. Die deutschen und englischen<br />

Untertitel, die inzwischen so gut wie<br />

überall an der Decke mitlaufen, sind<br />

ein Segen für mich. Wir haben tolle<br />

Plätze. Reihe 16. Ein Herr vor mir, im<br />

Goldknopfsakko, dreht sich dreimal mit strenger Miene um, weil<br />

ich kurz mit meinem Schmierzettel geraschelt hatte. Ich vergaß: Wir<br />

sind hier alle nicht zum Spaß.<br />

Jago wirkt von Anfang an wie einer, der schon mal Theater<br />

gemacht hat. Othello und Desdemona singen sich bald so zärtlich<br />

an, dass man ihre Liebe zu spüren vermag. Schließlich die Szene, in<br />

der sich Desdemona von ihrer Zofe verabschiedet. Anrührend, sagt<br />

die Freundin. Ja, einverstanden. Auch ich bin plötzlich ergriffen.<br />

Von der Musik, von Harteros’ Gesang – für einen Augenblick vergesse<br />

ich, dass Desdemona ja nicht in Wirklichkeit sterben muss.<br />

Die Handlung nach ihrem Tod zieht sich für meinen Geschmack.<br />

Muss man denn wirklich noch sehen, dass Jagos Schindluder endlich<br />

enttarnt wird?<br />

Am Ende trampelt das Publikum mit den Füßen vor Begeisterung.<br />

Übertrieben, schon wieder. Habe ich nie erlebt im Theater.<br />

Nur früher in der Schule, wenn Schüler einen Applaus eher karikieren<br />

wollten. Die Sänger springen auf die Bühne. Kaufmann und<br />

Harteros glücklich Hand in Hand. Erlöst von der Anstrengung und<br />

Anspannung. Keine arroganten Popstars. Jago bedankt sich für seinen<br />

Applaus mit einer Hand auf dem Herzen und spielt den Bescheidenen.<br />

Sechs, sieben Mal kommen sie alle auf die Bühne, niemand<br />

im Parkett will gehen. Ich habe bei Othello wohl etwas Großem beigewohnt,<br />

ohne es zur Gänze verstanden zu haben. Ganz untheatralisch<br />

bescheiden huscht dann auch noch Kirill Petrenko auf die<br />

Bühne. Mit kleinen Händen winkt er ins Publikum, als ob er sich<br />

schon verabschiede. Was für ein sympathischer Mensch.<br />

Der Vater meiner Freundin, ein ausgewiesener Musikliebhaber,<br />

hatte mir frei nach Goethe auf den Weg gegeben: „Wenn es<br />

nicht berührt, nützt es nichts.“ Ja, da hat wirklich was berührt. Ist<br />

nur fraglich, was? Die Musik? Der Stoff? Oder doch nur die berührte<br />

Freundin neben mir?<br />

Eine Woche später sang Jonas Kaufmann bei der Weihnachtsfeier<br />

nach dem letzten Bayernspiel im Fußballstadion. Ich habe ihn<br />

tatsächlich an seiner Stimme erkannt. Ist nie zu spät für die Oper.■<br />

FOTO: PRIVAT<br />

70 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


16.03.–14.04.<strong>19</strong><br />

17.03.–21.04.18<br />

internationales<br />

musikfestival internationales<br />

musikfestival<br />

heidelberger frühling 18<br />

Amsterdam Sinfonietta I Benjamin Appl I Avi Avital I Sven-Eric Bechtolf I Daniel Behle I Rafał Blechacz<br />

Yefim Bronfman I Khatia Buniatishvili I Renaud Capuçon I Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern<br />

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen I Leonard Elschenbroich I Alexej Gerassimez I Valery Gergiev<br />

Thomas Hampson I Anja Harteros I Markus Hinterhäuser I Maximilian Hornung I Bomsori Kim I Sebastian Koch<br />

Harriet Krijgh I Elisabeth Kulman I Igor Levit I Daniel Libeskind I Mahler Chamber Orchestra I Alexander Melnikov<br />

Nils Mönkemeyer I Münchner Philharmoniker I Truls Mørk I Olga Pashchenko I Julian Prégardien I Thomas Quasthoff<br />

Quatuor Ébène I Tatjana Ruhland I Valer Sabadus I Mitsuko Uchida I Tianwa Yang u.v.a.<br />

Kostenloses Programmbuch Gründungspartner: & Tickets: 06221 - 584 00 44 I www.heidelberger-fruehling.de<br />

Gründungspartner:<br />

Alte


L E B E N S A R T<br />

EINFACH SCHÖN!<br />

Metall, Holz, Glas, Ton – nie vorher und nie nachher verwob eine Stilrichtung Design,<br />

Handwerk und Material so eng miteinander wie das Bauhaus. Schlicht in der Form und funktional<br />

in der Verwendung sind die Objekte längst zeitlose Klassiker von purer Eleganz.<br />

Reingerutscht<br />

Einer der spektakulärsten Bauhaus-<br />

Entwürfe: „Wassily“ (eine Hommage<br />

an Kandinsky) des Österreichers Marcel<br />

Breuer. Stahlrohrkonstruktionen<br />

waren das Markenzeichen des von<br />

Walter Gropius berufenen Jungmeisters<br />

und Leiters der Dessauer Möbelwerkstatt,<br />

der hier zum ersten Mal<br />

einen Sessel auf seine Grundform<br />

reduziert. Breuer entwarf den Clubsessel<br />

B3 <strong>19</strong>26 als Vorzeigeobjekt des<br />

Neuen Wohnens, entprechend gehörte<br />

er zum Mobiliar des <strong>19</strong>26 eröffneten<br />

Dessauer Bauhaus-Gebäudes.<br />

www.vitra.com<br />

Angeknipst<br />

In Wilhelm Wagenfelds respektablem, über 600 Nummern<br />

umfassendem Werkverzeichnis ist die Leuchte die<br />

Nummer 1. Und wirklich hat nichts Wagenfelds Ruf so stark<br />

geprägt wie diese frühe Studentenarbeit von <strong>19</strong>24, der in<br />

ihrem geometrischen Aufbau die Auffassung seines Lehrers<br />

László Moholy-Nagy noch deutlich anzusehen ist. Längst ist<br />

die Ikone des Bauhauses, die erst seit <strong>19</strong>80 wieder auf dem<br />

Markt ist, einer der Designklassiker des 20. Jahrhunderts.<br />

www.prediger.de<br />

Weichgekocht<br />

Noch ein Wagenfeld, noch ein Kultobjekt: der Eierkoch, der<br />

als Prototyp moderner Glasgestaltung Design-Geschichte<br />

schrieb. Entstanden ist der Eierkoch <strong>19</strong>33 im Rahmen der Entwürfe<br />

für das berühmte Teeservice Edition Wagenfeld für die<br />

Jenaer Glaswerke. Und hier das Grundrezept: 1 Ei in den Eierkoch<br />

schlagen, mit Salz und Kräutern würzen. Deckel und<br />

Spange aufsetzen, im heißen Wasserbad 4–6 Minuten kochen.<br />

www.jenaerglas-shop.de<br />

72 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Abgerundet<br />

Die kluge und ausgewogene Kombination verschiedener<br />

geometrischer Grundformen macht die Arbeiten von<br />

Marianne Brandt so unverwechselbar: Das elegante<br />

Tee-Extraktkännchen MT 49 entstand in ihrem ersten<br />

Studienjahr <strong>19</strong>24. Das reduzierte Design des Aschenbechers<br />

legt eine serielle Fertigung nahe, ist aber ein in<br />

aufwendiger Handarbeit hergestelltes Einzelstück.<br />

Verschaukelt<br />

Erst 20-jährig, entwarf der Bauhaus-Lehrling<br />

Peter Keler <strong>19</strong>22 diese Bauhaus-Wiege, die ganz<br />

deutlich seinen Lehrmeister Wassily Kandinsky<br />

verrät. Zum Klassiker wurde sie wegen ihrer<br />

Grundfarben Gelb, Rot und Blau und der ihnen<br />

von Kandinsky zugeordneten Formen Dreieck,<br />

Quadrat und Kreis. Die Wiege wurde zur Ausstellung<br />

<strong>19</strong>23 im „Haus am Horn“ präsentiert.<br />

Pendelleuchte von<br />

Alfred Schäfer,<br />

Werkstattmeister im<br />

Bauhaus Dessau<br />

Rumgespielt<br />

Eberhard Schrammen leitete die bauhauseigene<br />

Drechslerei und entwarf um <strong>19</strong>23<br />

die bunt bemalten Handpuppen aus Holz –<br />

Stabfiguren für ein Puppenspiel.<br />

Ursprünglich gibt es drei Figurenpärchen,<br />

je zwei in Weiß, Gelb und Grau, die sich<br />

vor allem in ihrer Haltung unterscheiden.<br />

Allerdings fehlt der weißen Figur heute ihr<br />

Gegenstück.<br />

Aufbewahrt<br />

Die Vorratsgefäße für die Küchengarnitur des Weimarer<br />

Modellhauses „Haus am Horn“ von Georg Muche stammen<br />

von Theodor Bogler und waren das erste Referenzobjekt<br />

der keramischen Werkstatt des Bauhauses.<br />

Walter Gropius beauftragte die Steingutbetriebe von<br />

Hermann Harkort in Velten-Vordamm bei Berlin, um<br />

Prototypen für die serielle Produktion zu entwickeln.<br />

73


L E B E N S A R T<br />

Die Paula-Bosch-Kolumne<br />

DIE HELDEN<br />

DER NATION<br />

Zugegeben, es ist ein kleines Weinland, die schweizerische<br />

Eidgenossenschaft. Aber wie es aussieht, gilt der von ihr selbst<br />

gewählte Begriff der Willensnation für mehr als nur die staatliche<br />

Einordnung. Denn einzigartige Rebsorten und Winzer<br />

beweisen, dass Einsatz und Leidenschaft alles möglich machen.<br />

Die Besonderheit des gebirgsreichsten Weinlandes in<br />

Europa, der Schweiz, liegt nicht in der Größe seiner<br />

Rebflächen oder der produzierten Mengen, sondern<br />

in der Schönheit der alpinen Weinregionen. Allen<br />

voran das Wallis im Herzen der Alpen mit seinen<br />

halsbrecherischen Steillagen in bis zu 1.100 Höhenmetern, dann das<br />

Waadland mit den unzähligen Kleinstterrassen am Ufer des Genfer<br />

Sees. Im Süden beeindruckt das mediterran angehauchte Tessin,<br />

und in der Deutschschweiz ist Graubünden ein Beispiel für die relevanten<br />

Schönheiten der Schweizer Weinwelt. Weit mehr als drei<br />

Viertel aller Weine des Landes werden hier produziert.<br />

Für den guten Ruf der Schweizer Weine zeichnen etwa zwei<br />

Dutzend Winzer verantwortlich, die weltweit anerkannte und mit<br />

höchsten Preisen ausgezeichnete Weine produzieren. Sie liefern<br />

regelmäßig überragende Qualitäten aus internationalen wie autochthonen<br />

Rebsorten; daneben auch Raritäten, die nur noch in der<br />

Schweiz angebaut werden.<br />

Ermöglicht wird ihnen der partiell<br />

extreme Weinbau durch das günstige sonnenreiche<br />

und trockene Klima, die warmen<br />

Föhnwinde, die steinreichen Höhenlagen<br />

sowie die von Parzelle zu Parzelle<br />

wechselnde Bodenbeschaffenheit.<br />

Die Kleinstmengen der produzierten<br />

Besonderheiten, die internationale Vergleiche<br />

nicht scheuen, sind mit ein Grund<br />

für die ambitionierte Preispolitik, die in<br />

der Schweiz als angemessen betrachtet und<br />

akzeptiert wird. Die besten Weingüter haben alle lange Wartelisten<br />

für eventuelle Neukunden, die irgendwann ein paar der wenigen<br />

Flaschen erwerben möchten. So gelten heute schon bestimmte<br />

Weine als nationale Weinhelden, ähnlich wie Heidi, Wilhelm Tell,<br />

die Uhrenbranche, Schweizer Käse oder Schokolade.<br />

WINZER MIT BESONDEREN WEINEN<br />

Ganz nach dem Motto „Ladies first“ kommt die Königin des Weinbaus<br />

im Wallis, MARIE-THÉRÈSE CHAPPAZ, an erster Stelle. Wer das<br />

Glück hat, mit ihr durch ihre steilen, gepflegten, seit 2003 biodynamisch<br />

bewirtschafteten Kleinparzellen zu gehen, lernt, was es bedeutet, Freude<br />

und Verantwortung gleichermaßen an einem Weinberg und dessen<br />

Früchten zu haben. Alle Weine, aber ganz besonders ihre Preziosen, die<br />

weiße Petite Arvine, Ermitage Blanc oder Humagne Rouge, versprühen<br />

großzügig den Duft, die ganze Aromatik des Weingartens, in dem sie gewachsen<br />

sind. Fazit: Die kraftvollen, harmonischen Urgesteine der Grande<br />

Dame sind beeindruckend, und die Süßweine schmecken umwerfend gut.<br />

Bezug: www.gute-weine.de<br />

Die Kellerei CHANTON im Walliser Visp hat sich ganz und gar dem<br />

Schutz alter, autochthoner Rebsorten, dem ampelografischen Schatz<br />

des Schweizer Weinbaus verschrieben. Es lohnt ungemein, die seltenen<br />

Sorten wie Gwäss, Himbertscha, Lafnetscha oder Rèze mit ganz eigenem<br />

Charakter neben den Klassikern Chasselas, Savagnin, Gamay und Pinot<br />

Noir zu verkosten – hier öffnet sich eine völlig neue Weindimension.<br />

Bezug: www.schweizerweineonline.de<br />

74 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Château d’Aigle, im Herzen der Weinberge<br />

von Chablais, südlich des Genfer Sees<br />

FOTO: JÖRG LEHMANN; SWISSWINE.CH<br />

JEAN-RENÉ GERMANIER Gilles Besse, Mitinhaber und Önologe bei<br />

Germanier in Vétroz, war früher ein Jazz-Saxofonist und ist es, so ganz<br />

nebenbei, heute immer noch. Der Neffe von Jean-René Germanier, dem<br />

ehemaligen Nationalrat, treibt das Weingut nicht nur in der Schweiz<br />

voran. Ob New York, Singapur, Hongkong, Oslo, Paris, London oder Berlin<br />

– Gilles kann in seiner Mission als Botschafter für die beeindruckenden<br />

Weine von Germanier auf der ganzen Welt angetroffen werden. Cayas,<br />

sein Paradewein aus Syrah, genießt auch im 20. Jahrgang 2015 – und das<br />

mit vollem Recht – Kultstatus.<br />

Bezug: www.linke-weine.de<br />

MARTHA & DANIEL GANTENBEIN sind meine Helden der Präzision<br />

und des Bündner Rheintals. Mit ihrem Chardonnay und Pinot Noir<br />

haben sie Maßstäbe für Weine aus der Schweiz in der internationalen<br />

Weinszene gesetzt. Sie kennen die Heimat dieser Traubensorten, das<br />

Burgund, wie ihre Westentasche, sind in der ganzen Welt stets auf der<br />

Suche nach dem Allerbesten und streben danach, es in ihrem mustergültigen,<br />

auf jedes Detail des Produktionsprozesses eingerichteten<br />

Weinkeller zu integrieren.<br />

Bezug: www.moevenpick-wein.de<br />

LOUIS-PHILIPPE BOVARD aus Cully am Genfer See ist nicht nur der<br />

Grandseigneur des Dézaley, für mich ist er der Monsieur du Chasselas.<br />

Trotz seines hohen Alters ist sein Einsatz für die Qualität<br />

der Rebsorte, die auch massenweise angebaut wird, unermüdlich.<br />

Immer noch reist er um die Welt, um für die<br />

besten Chasselas von Dézaley, Aigle, Epesses, St. Saphorin<br />

bis Yvorne eine Lanze zu brechen. Sein Dézaley Médinette<br />

Réserve wird zu Recht als Grand Cru gefeiert.<br />

Bezug: www.linke-weine.de<br />

Die Familie DONATSCH betreibt in Malans, Graubünden,<br />

ein Weingut mit Winzerstube wie aus dem Bilderbuch.<br />

Chardonnay und Pinot Noir sind die Hauptakteure<br />

im Programm, sie räumen Jahr für Jahr höchste Noten<br />

in den Weingazetten ab, was ich doppelt unterstreichen<br />

kann. Dabei benötigen beide viel Zeit zur Reife, nicht anders<br />

als die größten Vorbilder des Burgund. Die uralte<br />

weiße Malanserrebe Completer spielt dabei eine Nebenrolle<br />

– aber was für eine. Unbedingt probieren!<br />

Bezug: www.gute-weine.de<br />

75


Abonnieren Sie die schönsten Seiten<br />

der Klassik für nur 55 EUR*:<br />

❚ sechs Ausgaben <strong>CRESCENDO</strong><br />

❚ Festspiel-Guide ❚ Geschenk-CD<br />

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Ihnen<br />

Doppler Discoveries.<br />

András Adorján & Emmanuel Pahud<br />

(Farao Classics)<br />

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*) Abo-Preis Inland bei Zahlung per Bankeinzug. Sollten Sie Bezahlung per Rechnung wünschen, fallen zusätzlich 5 EUR Bearbeitungsgebühr an. Versand ins Ausland gegen Gebühr. Das Abo läuft zunächst für ein Jahr und kann dann gekündigt<br />

werden. Das Angebot ist nur in Deutschland, der Schweiz und im EU-Ausland verfügbar und nicht wiederholbar. Geschenk-CD und Prämien: solange der Vorrat reicht. Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb der folgenden<br />

zwei Wochen ohne Begründung bei Abo-Service <strong>CRESCENDO</strong> in Textform (z. B. per Mail oder Brief) oder durch Rücksendung der Zeitschrift widerrufen. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.<br />

Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com<br />

76 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


L E B E N S A R T<br />

DIE KÜNSTLERIN YO FRANKLIN<br />

GESTALTETE DAS COVER UNSERER PREMIUM-CD.<br />

Der Dialog der Farben<br />

Springtime Rock ’n’ Roll, 90 x 180 cm<br />

FOTOS: PRIVAT<br />

Seit sie einen Farbstift halten kann, malt Yo<br />

Franklin. Es scheint, als habe sie ihr Leben<br />

der Kunst verschrieben. Sie ist Knechtin<br />

ihrer Kreativität und Vielseitigkeit. Vom<br />

Figurativen zum Plakativen zum Abstrakten –<br />

und wieder zurück. So könnte man den Schaffensweg<br />

der Künstlerin beschreiben. Zunächst<br />

autodidaktisch, dann an den Kunstakademien,<br />

fand Yo Franklin ihren Weg zu Kunst und Farben,<br />

die sie virtuos beherrscht.<br />

Überhaupt bestimmt der Dialog der Farben Franklins Arbeiten.<br />

Ihre Werke folgen keinem konsequenten, systematischen stilistischen<br />

Muster, sondern entstehen aus der Spontaneität. Sie folgen<br />

dem Prinzip der Formlosigkeit und Prozessen des Unbewussten. In<br />

Franklins Arbeiten werden im Spannungsfeld von Formwerdung<br />

und Formauflösung Lebensgeschichten erzählt, die Energie und<br />

Dynamik ausstrahlen.<br />

Die Künstlerin arbeitet bevorzugt in Serien oder Bildfolgen,<br />

wobei die einzelnen Motive einer thematischen Folge stets in sich<br />

geschlossene Arbeiten sind und sowohl allein als auch in beliebiger<br />

Kombination wahrgenommen werden können.<br />

Yo Franklins bisheriges Œuvre zeigt Dimensionen<br />

auf, die jenseits der Sichtbarkeit einer fotogenerierten<br />

und technologischen Bilderflut unseres<br />

Alltagslebens liegen. Dabei ist ihr immer der<br />

Moment wichtig, der Augenblick eines Bildes.<br />

Durchaus experimentierfreudig zeigt sie sich im<br />

Umgang mit Materialien. Marmormehl findet<br />

sich in dem hier gezeigten Bild, im Mai letzten<br />

Jahres hat sie in ihrer Ausstellung „Viscardi“ Pigmente<br />

in Öl auf Stahl aufgetragen. Die Stahlplatte<br />

wurde von ihr gebürstet und gelaugt, ehe sie das Gemälde in Öl mit<br />

Pigmenten statt auf Leinwand auf den glatten Stahl gemalt hat.<br />

Auch ihrer Liebe zu Wein verleiht die Künstlerin Ausdruck in<br />

ihrer Arbeit: In den Bildern zur Ausstellung LOVE/LIVE mischt Yo<br />

Franklin ihre eigenen Ölfarben mit Wein. Ein kräftiger Weißwein<br />

mit etwa 13 Prozent Alkohol ist die Basis zum Anrühren der Pigmente,<br />

ehe sie mit Leinöl zur gebrauchsfertigen Ölfarbe gemischt<br />

werden. Beide Bilderfolgen sind übrigens Teil einer bisher neunteiligen<br />

Serie „Münchener Augenblicke“, die im Mai 2018 erstmals als<br />

Ganzes ausgestellt wurde.<br />

n<br />

Mehr über die Künstlerin auf www.yo-franklin.de<br />

77


L E B E N S A R T<br />

1 2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6 7<br />

8 9<br />

FOTOS: WWW.DRESDEN.DE; PIXABAY; WWW.KREUZCHOR.DE<br />

1) Innenraum der barocken Frauenkirche 2) Weltbekannt: der Dresdner Kreuzchor 3) Der Goldene Reiter mit dem Turm der Frauenkirche<br />

4) Augustusbrücke und Stadtansicht 5) Elbwiesen mit Canaletto-Blick 6) Hof der Elemente (Wasser) in der Kunsthofpassage 7) Echter Fürstenzug<br />

und Fürstenzug-Fassade, weltgrößtes keramisches Wandbild 8) Luther-Denkmal mit Frauenkirche 9) Szeneviertel Äußere Neustadt<br />

78 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


DIE STADT AN DER ELBE PUNKTET MIT KULTUR<br />

UND EINER VIELZAHL VON KIRCHEN,<br />

DEREN AKUSTIK JEDEN MUSIKER BEGEISTERT.<br />

Dresden<br />

Mit Hans-Christoph Rademann, Heinrich-Schütz-Experte und Leiter der Internationalen<br />

Bachakademie Stuttgart, auf Spuren der Alten Musik in Dresden.<br />

VON ROLAND H. DIPPEL<br />

FOTO: MARTIN FÖRSTER<br />

Dieser Mann atmet mit der Musik<br />

der Stadt, die ihn künstlerisch<br />

prägte: Hans-Christoph Rademann<br />

ist gebürtiger Dresdner, wuchs jedoch<br />

im erzgebirgischen Schwarzenberg<br />

auf wie der Countertenor und Regisseur<br />

Axel Köhler, der neue Rektor der Hochschule für<br />

Musik Carl Maria von Weber. Mit ihm könnte der<br />

<strong>19</strong>65 geborene Rademann eine zu wenig erschlossene<br />

Farbe im Profil der Musikstadt stärken: mehr Barock neben<br />

der Spätromantik. Treffpunkt: Bahnhof Dresden-Neustadt. Sofort<br />

empfiehlt Rademann, Leiter der Internationalen Bachakademie<br />

Stuttgart, eine Strecke entlang seiner musikalischen Herzensangelegenheiten:<br />

durch die innere Neustadt zur Dreikönigskirche, kurz<br />

an das östliche Elbeufer zum „Canaletto-Blick“ auf die Brühlsche<br />

Terrasse, Schloss und Zwinger, über die Augustusbrücke zur<br />

Hochschule für Musik. Dort wird Rademann, Nachfolger Helmuth<br />

Rillings an der Internationalen Bachakademie Stuttgart,<br />

später seine erste Lehrstunde im Jahr 20<strong>19</strong> halten.<br />

An diesem <strong>Januar</strong>morgen herrscht Aprilwetter. Schon beim<br />

Karl-May-Ort Radebeul, wo Rademann mit seiner Frau, der Tänzerin<br />

Friederike Rademann, lebt, wechseln Sonne und eisiger<br />

Regen. In dieser milden Weinregion sehr selten, kommt es geradezu<br />

der Aufforderung zu einem Perspektivenwechsel gleich.<br />

Denn heute geht es um Abenteuerlicheres als die sächsische<br />

Strauss- und Wagner-Stadt mit ihren berühmten Kunstschätzen.<br />

Hans-Christoph<br />

Rademann<br />

„Dresden hat als Zentrum der Alten Musik leider<br />

noch nicht die gebührende Ausstrahlungskraft“,<br />

bedauert Rademann. Das ist nicht die Schwärmerei<br />

eines Enthusiasten, sondern basiert auf seinem<br />

in kritischer Auseinandersetzung gewachsenen<br />

Repertoire und dem heutigen wissenschaftlichen<br />

Kenntnisstand: Die Notenarchive der Sächsischen<br />

Landesbibliothek Dresden sind eine unerschöpfliche<br />

Schatztruhe des 17. und 18. Jahrhunderts.<br />

Rademann legt ein beredtes Koordinatennetz von Fakten und<br />

Anreizen über die Stadt. Wir sitzen im Schwarzmarkt-Café an der<br />

Neustädter Markthalle. „Den Zwinger kennen alle. Aber das wahre<br />

Dresden erlebt man nur in der Äußeren Neustadt zwischen Albertplatz<br />

und Alaunpark.“ Die Stadt wirbt mit dem Lockwort „Szeneviertel“<br />

für das pittoreske und siegreich der Gentrifizierung trotzende<br />

Quartier: eine multikulturelle Insel für Hipster, Studierende,<br />

Bohemiens und Kleinfamilien, die Rademann immer<br />

wieder neu entdeckt. Daran zeigt sich, wie in der Musik auch, seine<br />

Vorliebe für kleinere, unspezifische Formen. Rademanns Aufführungen<br />

von Orffs Carmina burana mit der Singakademie Dresden<br />

und dem Tanzforum Köln waren bei den sommerlichen Zwingerkonzerten<br />

ein Highlight. Der persönlichen Berufung aber folgte er<br />

mit dem von ihm <strong>19</strong>85 gegründeten Dresdner Kammerchor, einem<br />

Vokalensemble von stilistisch unbestechlichen Qualitäten. Eine<br />

Pionierleistung dieses meisterhaften Chors, die CD-Edition des<br />

Gesamtwerks von Heinrich Schütz, steht kurz vor der Vollendung.<br />

79


L E B E N S A R T<br />

Soeben erschien die <strong>19</strong>. Folge, „Madrigale<br />

und Hochzeitsmusiken“. In der Dreikönigskirche<br />

nahe dem Albertplatz liegen die<br />

Wurzeln des sich über fast 15 Jahre erstreckenden<br />

Projekts: „Über ihr arbeitete mein<br />

Schwiegervater im Kirchlichen Kunstdienst<br />

Sachsen. Das ist, neben vielen Konzerten,<br />

ein weiterer Grund für meine Verbundenheit<br />

zu ihr. Dort dirigierte ich zum<br />

ersten Mal Schütz’ Schwanengesang und<br />

wagte erstmals ein Konzert nur mit Schütz-<br />

Werken. Beim Wiederaufbau in der DDR<br />

wurde das Kirchenschiff verkürzt – sicher<br />

nicht zum Vorteil der Kirchenakustik.“<br />

Mit dem Dresdner Kammerchor und dessen umfangreicher<br />

Diskografie setzt sich Rademann für Werke aller Epochen und<br />

Uraufführungen ein. Besonders intensiv für den „Kirchen-Compositeur“<br />

Jan Dismas Zelenka und Johann David Heinichen. Er<br />

kennt aus eigener Konzerterfahrung weitaus mehr Dresdner Kirchen<br />

und Säle als die Dirigenten und Musiker der Staatskapelle<br />

und der Dresdner Philharmonie. Eine eigene Konzertreihe veranstaltet<br />

Rademann zum Beispiel mit Studierenden im barocken<br />

Festsaal des Marcolini-Palais auf dem Gelände des Städtischen<br />

Klinikums. Ein Ort, der mit maximal 140 Plätzen ein absoluter<br />

Geheimtipp für Kulturreisende ist!<br />

Leider mischt sich während dieses Kulturspaziergangs eine<br />

weitere Koordinate ins Gespräch: die Zeit. Inzwischen versucht<br />

Hans-Christoph Rademann, den Zugang zur Schlosskapelle zwischen<br />

Schlosskirche und Fürstenzug für uns zu erfragen. Leider<br />

vergeblich – die Bausanierung ist gerade in der entscheidenden<br />

Phase. „Sie ist deshalb so interessant, weil die Dresdner Hofkapelle<br />

neben der von Versailles die wichtigste hinsichtlich europäischer<br />

Besetzungen und weltoffener Interaktionen war“, merkt er an.<br />

Bleibt aber, bevor die Wege sich wieder trennen, noch eine<br />

entscheidende Frage, nämlich welche der Dresdner Kirchen denn<br />

Stadtfest vor der kirchenreichen<br />

Silhouette Dresdens<br />

FOTO: WWW.DRESDEN.DE<br />

die beste Akustik hat? Die Frauenkirche?<br />

Natürlich lässt sie sich nicht mit einem Satz<br />

beantworten. „Sie eignet sich mehr für<br />

Neue Musik und Werke mit Raumwirkungen,<br />

weniger für strukturelle Musik wie die<br />

von Bach.“ Und was ist mit der Kreuzkirche?<br />

„Barocke Werke in großer Besetzung<br />

und romantische Oratorien passen ideal in<br />

das große Kuppelschiff mit 3.000 Plätzen.<br />

Die allerbeste Akustik für Barockmusik<br />

aber hat die Annenkirche“, gerät Rademann<br />

ins Schwärmen. Wir verzichten also<br />

auf den Gang zum Kulturpalast und schlagen<br />

einen kleinen Bogen zu der klassizistisch umgestalteten<br />

Renaissancekirche zwischen Fußgängerzone und dem Kraftwerk<br />

Mitte mit den Spielstätten Staatsoperette und Theater der jungen<br />

Generation. „Der Klang der Annenkirche ist von sagenhafter Rundung<br />

und Transparenz. Das schätzen nicht nur wir, sondern zum<br />

Beispiel auch das tschechische Collegium 1704.“<br />

Der Spaziergang muss hier leider schon enden – bald beginnt<br />

der Unterricht. Zwei Stunden waren zu kurz, Hans-Christoph<br />

Rademann würde gern noch zu den musikalischen Orten jenseits<br />

der Stadtgrenze aufbrechen: Hinter Radebeul, wo die Landesbühnen<br />

Sachsen einen anspruchsvollen Spielplan kultivieren, liegen<br />

das Sächsische Staatsweingut Schloss Wackerbarth, die Villa<br />

Teresa in Coswig, Schloss Moritzburg. Allesamt Orte der Musik.<br />

Schließlich geht es noch einmal um die wichtigste Säule im musikalischen<br />

Kosmos Rademanns: „Ich bin überzeugt, dass Schütz in<br />

seiner Motette ‚Ich bin ein rechter Weinstock‘ die Terrassenstrukturen<br />

der Radebeuler Weinberge musikalisch abgebildet hat.“<br />

Insofern ist nicht nur Richard Wagner, der seine Inspirationsquellen<br />

um Schloss Pillnitz wortreich dokumentierte, ein Maler für die<br />

Ohren, sondern auch Heinrich Schütz, der im nordwestlich von<br />

Dresden gelegenen Renaissance-Juwel Torgau die erste, leider nicht<br />

erhaltene deutsche Oper Dafne komponierte.<br />

■<br />

Musik & Kunst<br />

Dresdner Musikfestspiele 20<strong>19</strong> „Visionen“<br />

vom 16. Mai bis 10. Juni 20<strong>19</strong>: www.musikfestspiele.com<br />

| Konzerte im Marcolini-Palais<br />

(Geheimtipp, hier logierten Napoleon<br />

und Wagner): www.klinikum-dresden.de |<br />

Dresdner Kammerchor: www.dresdnerkammerchor.de<br />

| Landesbühnen Sachsen<br />

mit der legendären Felsenbühne Rathen:<br />

www.landesbuehnen-sachsen.de |<br />

Tipps, Infos & Adressen<br />

Reiseinformationen rund um Ihren Besuch in Dresden.<br />

Essen & Trinken<br />

Sächsische Spezialitäten, unverwechselbare regionale<br />

Weine und Sekt in der Idylle des Elbtals:<br />

www.schloss-wackerbarth.de | Traditionswirtschaft<br />

im Stadtteil Weißer Hirsch mit 140<br />

Jahren Tradition: www.hubertusgarten.de |<br />

Schwarzmarkt-Café an der Neustädter Markthalle<br />

gegenüber der Dreikönigskirche mit<br />

Kuchen- und Torten-Spezialitäten:<br />

www.cafe-eisold.de/schwarzmarkt-cafe.html<br />

Übernachten<br />

Dresden bietet in verschiedenen Preiskategorien<br />

Übernachtungen in historischen<br />

Schmuckstücken, z. B. Hotel Schloss Eckberg<br />

mit Park auf dem Höhenzug der Elbschlösser:<br />

www.schloss-eckberg.de |<br />

Das Taschenbergpalais direkt neben dem<br />

Schloss, vis-à-vis von Zwinger und Semperoper:<br />

www.kempinski.com/de/<br />

dresden/hotel-taschenbergpalais<br />

FOTOS: ALEXANDRA WELLENSIEK; WWW.SCHLOSS-WACKERBARTH.DE; WWW.SCHLOSS-ECKBERG.DE<br />

80 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Termine<br />

FÜR GLOBETROTTER<br />

Spanien<br />

FOTOS: MERCE RIAL; ANTONI BOFILL; PIXABAY<br />

Barcelona<br />

Die Sopranistin Nuria Rial entführt<br />

ins 16. Jahrhundert. Nach ihrer Ausbildung<br />

in Barcelona und an der Musikhochschule<br />

Basel spezialisierte sie<br />

sich auf Barockmusik. Ihr Auftritt in<br />

Barcelona bietet Gelegenheit, sie in ihrer<br />

spanischen Heimat mit spanischer<br />

Musik zu erleben. Mit dem Ensemble Accademia del Piacere, geleitet<br />

von dem Gambisten Fahmi Alqhai, stellt sie den Komponisten Sebastián<br />

Durón vor und singt Arien und Kantaten aus wiederentdeckten und rekonstruierten<br />

Kompositionen von ihm. Durón kam 1660 in der zentralspanischen<br />

Provinz Guadalajara zur Welt. Seine Bühnenstücke, die er neben<br />

geistlichen Werken als Mitglied der Capilla Real in Madrid schuf,<br />

markieren jene zeitliche Schwelle, ab der spanische Komponisten sich<br />

dem italienischen Opernstil öffneten. Duróns Zarzuellas, typische spanische<br />

Stücke im Stil einer Operette, die vom unerschöpflichen Thema der<br />

Liebe erzählen, zeigen in ihrer Musiksprache bereits die Einflüsse italienischer<br />

Barockmeister.<br />

Barcelona, 7.2., L’Auditori, www.auditori.cat<br />

Madrid<br />

Raquel García-Tomás ist eine der bekanntesten<br />

Komponistinnen Spaniens.<br />

In Madrid kommt ihre neue Opera<br />

buffa zur Uraufführung: Je suis narcissiste,<br />

ein Stück von schwarzem Humor,<br />

dessen Libretto Helena Tornero<br />

verfasste. Im Mittelpunkt steht eine<br />

Eventmanagerin aus dem Kulturbetrieb, für die jeder Tag zu einem Hindernislauf<br />

zwischen ihr und ihrem Glück wird. Die Events überfluten<br />

sie, bis all die Künstler und Bosse, die auf sie einstürmen und die lieber<br />

reden als zuhören, sie in einem Gefühl großer Einsamkeit zurücklassen.<br />

Als sie schließlich den kompletten emotionalen Zusammenbruch<br />

erleidet, landet sie in der Praxis eines Psychiaters, der ihr alle möglichen<br />

Theorien, so skurril wie er selbst, unterbreitet. In Szene gesetzt wird die<br />

Oper von Marta Pazos. Die musikalische Leitung hat Vinicius Kattah.<br />

Zu den Mitwirkenden gehören Elena Copons, Toni Marsol, Maria Hinojosa<br />

und Joan Ribalta. Das Teatro Real gastiert mit der Inszenierung im<br />

Teatro Español.<br />

Madrid, Teatro Español, 7. bis 10.3., www.teatro-real.com<br />

Barcelona<br />

Die Werke des spanischen Komponisten<br />

Benet Casablancas Domingo werden<br />

auf der ganzen Welt gespielt. Nach<br />

seinem Studium bei Friedrich Cerha<br />

in Wien fand er zu einer Musiksprache,<br />

die sich durch radikale ästhetische Unabhängigkeit<br />

auszeichnet. Im prachtvollen<br />

Gran Teatre del Liceu von Barcelona, das dieses Jahr den zehnten<br />

Jahrestag seines Wiederaufbaus feiern kann, findet die Weltpremiere seiner<br />

ersten Opernkomposition statt. L’enigma di Lea (Leas Geheimnis),<br />

zu der der Schriftsteller und Dichter Rafael Argullol Murgadas das Libretto<br />

schreibt, setzt sich mit der letzten romantischen Utopie auseinander:<br />

der Berührung des Absoluten. Lea, verkörpert von Allison Cook, ein<br />

Geschöpf göttlicher Lust in einem Raum ohne Zeit, darf ihr Geheimnis<br />

nicht lüften. Als Trägerin der Unsterblichkeit steht sie unter der Bewachung<br />

zweier monströser Wesen, die Moral statt individueller Freiheit<br />

gewähren. Regie führt Carme Portaceli, und die musikalische Leitung<br />

übernimmt Josep Pons.<br />

Barcelona, Gran Teatre del Liceu, 9. (Premiere), 10., 12. und 13.2.,<br />

www.liceubarcelona.cat<br />

81<br />

81


H O P E T R I F F T<br />

Daniel-Hope-Kolumne<br />

DIE POLITIK DER MUSIK<br />

Sie verbindet, sie vermittelt, sie versöhnt: Musik, die die Menschen erreicht, kann, darf und soll<br />

politisch sein. Daniel Hope spricht mit Sebastian Feydt, Pfarrer an der Dresdner Frauenkirche.<br />

Daniel Hope: Pfarrer Feydt, 2007 wurden<br />

Sie an die Dresdner Frauenkirche berufen.<br />

Als einer der beiden Pfarrer des Gotteshauses<br />

zählen neben dem regelmäßigen<br />

Predigtdienst, der Ausgestaltung verschiedener<br />

geistlicher Formate auch Amtshandlungen<br />

wie Trauungen und Taufen<br />

sowie die Koordination des vielfältigen<br />

geistlichen Lebens der Frauenkirche.<br />

Welche Rolle spielt die Musik für Sie?<br />

Sebastian Feydt: Die Frauenkirche ist ohne<br />

Musik nicht denkbar. Als Pfarrer in dieser<br />

Kirche werde ich jeden Tag mit wunderbarer<br />

Musik beschenkt. In jeder der beiden<br />

tägli chen Andachten erklingt die Orgel: Ganz<br />

groß wird es, wenn die Stiftung Frauenkirche<br />

Dresden von Ostern bis Neujahr immer<br />

samstags zu herausgehobenen Konzerten<br />

mit Spitzenmusikern aus aller Welt einlädt.<br />

Noch nie in meinem Berufsleben habe ich<br />

so viel Kraft aus der Musik, insbesondere<br />

der sakralen, schöpfen können. Die Musik<br />

wurde mir zu einer Quelle der Inspiration.<br />

Über die „Peace Academy“ der Frauenkirche<br />

sagten Sie: „Begeisterte Jugendliche<br />

geben ein Friedenszeichen aus Dresden.<br />

Ihr Engagement für Verständigung,<br />

Versöhnung und Frieden macht die Welt<br />

wertvoller.“ Wie zuversichtlich sind Sie,<br />

dass dieses Jahrhundert friedlich verläuft?<br />

Leider gestaltet sich das 21. Jahrhundert<br />

nicht friedlich. Aber das hindert uns nicht<br />

daran, selbst zu Friedensstiftern zu werden.<br />

Zusammen mit jungen Menschen fragen<br />

wir: „Was können wir heute dafür tun, dass<br />

unsere Welt in zehn Jahren friedvoller ist?“<br />

Unter dieser Leitfrage steht auch die jährliche<br />

Einladung an Friedensnobelpreisträger,<br />

in die Dresdner Frauenkirche zu kommen<br />

und ihre Vorstellung einer demokratischen<br />

und die Menschenrechte achtenden Welt<br />

mit uns zu teilen. Insbesondere junge Men-<br />

Pfarrer Sebastian Feydt mit Daniel Hope<br />

schen zeigen uns, wie groß ihr Engagement<br />

für eine friedvolle, nachhaltig und gerecht<br />

gestaltete Zukunft ist.<br />

Wie gehen Sie mit dem aktuellen negativen<br />

Image Sachsens in den Medien um?<br />

Ich versuche, positive Akzente zu setzen,<br />

den Trend umzukehren: berührende Bilder<br />

des weltoffenen und engagierten Dresden in<br />

die Welt zu senden, wie mit der weihnachtlichen<br />

Vesper vor der Frauenkirche am Tag<br />

vor Heiligabend. Jährlich kommen da ca.<br />

20.000 Menschen zusammen und offenbaren<br />

ihre Sehnsucht: nicht nur vom „Frieden<br />

auf Erden“ zu hören, sondern selbst dafür<br />

einzustehen. Auch die aus der Kirche<br />

übertragenen Gottesdienste und Konzerte<br />

schaffen ein positives Bild unserer Stadt.<br />

Seit Anfang des Jahres bin ich künstlerischer<br />

Leiter der Frauenkirche Dresden.<br />

War die Frauenkirche immer auch als<br />

Konzertort vorgesehen?<br />

Die Frauenkirche ist ein sakraler Raum.<br />

Und unter der Kuppel der Kirche gilt, was<br />

Sie, Daniel Hope, immer mit Blick nach<br />

oben sagen: Wir haben noch einen anderen<br />

„Chef “. In der Kirche erklingt Musik zur<br />

Ehre Gottes. Und um Menschen Kraft- und<br />

Inspirationsquelle zu sein. Mit diesem Ziel<br />

ist das Gotteshaus im 18. Jahrhundert<br />

gebaut und später wiederaufgebaut worden:<br />

Um Wort und Musik zusammen klingen zu<br />

lassen. Und um viele Menschen einen<br />

Resonanzraum für ganz eigene, spirituelle<br />

Erfahrungen entdecken zu lassen.<br />

2017 sorgte ein Kunstwerk des syrischdeutschen<br />

Künstlers Manaf Halbouni auf<br />

dem Dresdner Neumarkt unweit der<br />

Frauenkirche teilweise für Irritationen.<br />

Wie politisch darf Kunst heutzutage sein?<br />

Wo Kunst Menschen anspricht, vermag sie<br />

politische Kraft zu entfalten. Geschieht sie<br />

nur um ihrer selbst willen, entzieht sie sich<br />

ihre eigentliche Kraft. Kunst in der wiedererrichteten<br />

Frauenkirche ist immer<br />

politisch. Das bringt der Ort mit sich. Der<br />

Wiederaufbau der Frauenkirche erfolgte mit<br />

dem ausdrücklichen Ziel, einen Ort der<br />

Verständigung zu schaffen, der als Wahrzeichen<br />

zu Toleranz und Frieden mahnt.<br />

Ali al-Abdali gilt als einer der besten<br />

Oud-Bauer Arabiens (Anm.: Oud ist eine<br />

Kurzhalslaute aus dem Vorderen Orient).<br />

Im Interview sagte er: „Im Irak darf man<br />

eine Rakete tragen, aber keine Oud. (...)<br />

Die Religion hat die irakische Straße fest<br />

im Griff. Für sie ist die Oud tabu – eine<br />

Sünde, die dich vom Beten ablenkt.“ Kann<br />

und darf Musik vermitteln?<br />

Viele Konflikte und politische Krisen<br />

weltweit werden mit Religionen in Verbindung<br />

gebracht. Musik ist eine starke Sprache<br />

der Verständigung und kann eine Brücke<br />

zwischen Religionen und Konfessionen<br />

schlagen. Mit ihrer versöhnenden Kraft ist<br />

sie unabdingbar für das Miteinander von<br />

Menschen unterschiedlicher Glaubens- und<br />

Lebenshaltungen. Sei es Beethovens Neunte<br />

Sinfonie, Brittens War Requiem, Schostakowitschs<br />

Leningrader Sinfonie oder eben die<br />

Musik der Oud-Spieler – wenn Musik<br />

Versöhnung und Völkerverständigung<br />

voranbringt, kommt sie ihrer wahren<br />

Bestimmung nach. Wann laden wir diesen<br />

Oud-Spieler denn ein? <br />

n<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

FOTO: THOMAS SCHLORKE<br />

82 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


20<strong>19</strong><br />

01.11.<strong>19</strong><br />

München<br />

02.11.<strong>19</strong><br />

Stuttgart<br />

06.11.<strong>19</strong><br />

Frankfurt<br />

22.11.<strong>19</strong><br />

Hamburg<br />

29.11.<strong>19</strong><br />

Hannover<br />

06.12.<strong>19</strong><br />

Augsburg<br />

13.12.<strong>19</strong><br />

Berlin<br />

18.12.<strong>19</strong><br />

Nürnberg<br />

Tickets unter www.klassikradio.de


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AUS DEM ARCHIV DER DEUTSCHEN GRAMMOPHON<br />

WIEDERENTDECKT UND REMASTERED!<br />

The Shellac Project<br />

mit Erich Kleiber | Pietro Mascagni | Hans Pfitzner | Heinrich Schlusnus<br />

Fritz Kreisler | Thomanerchor Leipzig | Louis Armstrong | Lale Andersen<br />

Johannes Heesters | Otto Reuter u. v. a.<br />

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DAS GALAKONZERT ZUM 120. GEBURTSTAG<br />

DER DEUTSCHEN GRAMMOPHON<br />

CARL ORFF’S CARMINA BURANA<br />

GESPIELT VOM SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA · DIRIGIERT VON LONG YU<br />

DIE DVD/BLU-RAY UND DAS E-ALBUM ENTHALTEN ZUDEM BEITRÄGE VON MARI SAMUELSEN (MAX RICHTER)<br />

UND DANIIL TRIFONOV (RACHMANINOV)<br />

AB 18.01. IM HANDEL<br />

LIVE FROM THE FORBIDDEN CITY<br />

ORFF: CARMINA BURANA<br />

GARIFULLINA · SPENCE · TÉZIER · WIENER SINGAKADEMIE<br />

SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA · LONG YU<br />

LIVE FROM THE FORBIDDEN NC<br />

CITY<br />

ORFF<br />

CARMINA BURANA<br />

RACHMANINOV · RICHTER<br />

AIDA GARIFULLINA · TOBY SPENCE · LUDOVIC TÉZIER<br />

DANIIL TRIFONOV · MARI SAMUELSEN<br />

SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA<br />

WIENER SINGAKADEMIE<br />

LONG YU

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