CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.
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20 JAHRE<br />
AUSGABE 01/20<strong>19</strong> FEBRUAR – MÄRZ 20<strong>19</strong><br />
WWW.<strong>CRESCENDO</strong>.DE 7,90 EURO (D/A)<br />
mit CD im Heft<br />
SCHWERPUNKT<br />
100 Jahre Bauhaus<br />
LUISA IMORDE<br />
Vom Vexierspiel<br />
der Tastentänzerin<br />
FRIEDRICH ANI<br />
REBEKKA HARTMANN<br />
MAX RICHTER<br />
WILFRIED HILLER<br />
OSKAR LAZNIK<br />
Diana<br />
Damrau<br />
Es muss nicht immer<br />
Schumann sein ...<br />
B47837 Jahrgang 22 / 01_20<strong>19</strong>
WIR SPIELEN<br />
UNTER DIE HAUT.<br />
VERY BRITISH!<br />
„The Young Person’s<br />
Guide to the Orchestra“<br />
von Benjamin Britten<br />
GYPSY<br />
GOES CLASSIC<br />
Sa. 16. Februar 20<strong>19</strong> – Philharmonie im Gasteig<br />
FAMILIENKONZERT AB 6 JAHREN<br />
LEITUNG: SIAN EDWARDS<br />
Mi. 20. Februar 20<strong>19</strong> – Prinzregententheater<br />
MIT SANDRO ROY – VIOLINE<br />
LEITUNG: HENRY RAUDALES<br />
Präsentiert von<br />
PERCUSSION<br />
TIME!<br />
Virtuose SchlagWERKE<br />
PARADISI GLORIA<br />
Werke von<br />
André Caplet und<br />
Heinrich Ignaz Franz Biber<br />
Mi. 10. April 20<strong>19</strong> – Prinzregententheater<br />
MIT SIMONE RUBINO – ARTIST IN RESIDENCE<br />
LEITUNG: ARIEL ZUCKERMANN<br />
Fr. 5. April 20<strong>19</strong> – Herz-Jesu-Kirche München<br />
MIT DEM BR-CHOR<br />
LEITUNG: HOWARD ARMAN<br />
Präsentiert von<br />
Jetzt Tickets sichern! Kartentelefon: 0800 5900 594 • www.shop.br-ticket.de<br />
RUNDFUNKORCHESTER.DE
P R O L O G<br />
<strong>CRESCENDO</strong> LIVE<br />
Liebe Leser,<br />
herzlich willkommen in der ersten <strong>CRESCENDO</strong> Ausgabe 20<strong>19</strong>.<br />
WINFRIED HANUSCHIK<br />
Herausgeber<br />
Wir starten furios ins neue Jahr: mit gleich zwei Veranstaltungen aus der Reihe<br />
<strong>CRESCENDO</strong> LIVE. Zum einen würde ich mich sehr freuen, Sie bald persönlich<br />
begrüßen zu dürfen: in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge am 20. Februar im Prinzregententheater<br />
in München. In Kooperation mit dem Münchner Rundfunkorchester<br />
bieten wir Ihnen nämlich ein exklusives VIP-Paket mit Karten in der besten<br />
Kategorie, einer Backstage-Führung und anschließendem Plausch bei einem Glas<br />
Sekt in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge – und das garantiert ohne Anstehen! Dafür mit<br />
der Gelegenheit, die jeweiligen Künstler des Abends persönlich kennenzulernen.<br />
Im Oktober letzten Jahres plauderten wir fröhlich mit Anna Bonitatibus – ein toller<br />
Abend! Im Februar erwartet Sie der Geiger SANDRO ROY mit seinem spannenden<br />
Programm „Gypsy goes Classic“. (Informationen auf Seite 42. Karten unter<br />
www.crescendo.de/live).<br />
Und dann zeigen wir Ihnen gern, wo <strong>CRESCENDO</strong> gemacht wird: Besuchen Sie<br />
uns! Am 14. <strong>März</strong> zur Vernissage in der Redaktion am Münchner Marienplatz.<br />
Die Künstlerin YO FRANKLIN, die auch das Cover der aktuellen Premium-CD<br />
gestaltet hat, stellt persönlich einige ihrer Werke vor (siehe auch Seite 77). Der<br />
Eintritt ist frei, wir bitten um Anmeldung unter www.crescendo.de/vernissage.<br />
Zu unseren Inhalten: Im Schwerpunkt dieser Ausgabe feiern wir „100 Jahre Bauhaus“.<br />
Was uns daran gefällt: Bauhaus begleitet uns im täglichen Leben, ob wir nun<br />
den kleinen „Eierkoch“ von Wagenfeld oder den berühmten Sessel „Wassily“ von<br />
Breuer zu Hause haben. Und doch ist es viel mehr als eine Revolution von Architektur<br />
und Design: die Blaupause für eine offenere, moderne, ja, „bessere“ Gesellschaft.<br />
Für Aufbruch in der zeitgenössischen Musik steht der Komponist MAX RICHTER,<br />
gewissermassen ein Popstar seiner Zunft. Sein Stück November wurde allein auf<br />
Youtube 8,4 Millionen Mal geklickt und begeistert auch Menschen, die mit klassischer<br />
Musik sonst wenig am Hut haben. Daneben stellen wir Ihnen aufregende<br />
Newcomer wie LUISA IMORDE, JULIA HAGEN und ANNIKA TREUTLER vor.<br />
Noch ein Newcomer, und das sogar in zweierlei Hinsicht, ist Lars Reichardt: Er<br />
schreibt erstmals in <strong>CRESCENDO</strong> – über sein Debüt in der Oper. Wir trafen uns bei<br />
einer Weinverkostung der Tenuta di Trinoro, die ich mit unserer Kolumnistin<br />
PAULA BOSCH besuchte, und er erzählte mir, dass er bislang zufriedener<br />
Verweigerer in Sachen Opernbesuch gewesen sei. Diesen Status seiner neuen,<br />
opernbegeisterten Freundin zuliebe aber tatsächlich ändern wolle. Und weil mich<br />
die Geschichte über „das erste Mal“, und das der Liebe wegen, reizte, probierte ich<br />
das vermeintlich Unmögliche. Und hatte Glück: Die Bayerische Staatsoper spendierte<br />
zwei Karten für Otello, die längst ausverkaufte und aufregendste Inszenierung<br />
der Saison. Wie die Sache ausging? Lesen Sie auf Seite 70.<br />
FOTOS TITEL: JIYANG CHEN<br />
Exklusiv für Käufer und Abonnenten:<br />
die <strong>CRESCENDO</strong> Premium-CD<br />
Viel Inhalt in besonders hochwertiger Ausstattung finden<br />
Sie in dieser Premium- Ausgabe: Reportagen, Porträts,<br />
Interviews, Aspekte und Hintergrundwissen aus der Welt<br />
der Klassik. Außerdem für alle Käufer und Abonnenten<br />
der Premium-Ausgabe:<br />
sechs Mal pro Jahr die <strong>CRESCENDO</strong> CD,<br />
ein exklusives Album mit Werken einiger in der<br />
aktuellen Ausgabe vorgestellter Künstler.<br />
In diesem Heft: die 76. CD der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Premium-Edition.<br />
Fehlt die CD? Dann rufen Sie uns an: 089/85 85 35 48.<br />
Paula Bosch übrigens entdeckte großartige Weine in der Schweiz, die im kleinen<br />
Alpenland niemand erwartet hätte. Und HANS-CHRISTOPH RADEMANN zeigt<br />
uns sein Dresden, das ebenfalls viel mehr ist als Semperoper und Pegida.<br />
In diesem Sinne viel Spaß beim Lesen, und vielleicht sehen wir uns ja bei<br />
<strong>CRESCENDO</strong> LIVE in München,<br />
Ihr Winfried Hanuschik<br />
w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong> 3
P R O G R A M M<br />
11<br />
KLASSIK IN ZAHLEN<br />
„Bohemian Rhapsody“<br />
von Queen – der meist<br />
gestreamte klassische<br />
Rock-Titel aller Zeiten<br />
26<br />
OSKAR LAZNIK<br />
„Ich habe das Saxofon<br />
gesehen und wusste<br />
sofort, dass das<br />
mein Instrument ist!“<br />
39<br />
EDVARD GRIEG<br />
Ein wunderbarer Film über<br />
den Komponisten, der ruhelos<br />
auf der Suche nach seelischem<br />
Frieden war<br />
STANDARDS<br />
KÜNSTLER<br />
HÖREN & SEHEN<br />
03 PROLOG<br />
Der Herausgeber stellt<br />
die Ausgabe vor<br />
06 BLICKFANG<br />
„Der tanzende Blick“ –<br />
hinter den Kulissen<br />
des Balletts<br />
08 OUVERTÜRE<br />
Was hört …<br />
Joseph Moog?<br />
Neues & Notizen<br />
Ein Anruf bei …<br />
Susann Bräcklein,<br />
Juristin mit Schwerpunkt<br />
Verfassungsrecht<br />
Klassik in Zahlen<br />
31 IMPRESSUM<br />
40 KOMMENTAR<br />
Sport oder Musik?<br />
Beides muss gehen!<br />
42 RÄTSEL &<br />
<strong>CRESCENDO</strong> LIVE<br />
82 HOPE TRIFFT<br />
Sebastian Feydt, Pfarrer an<br />
der Dresdner Frauenkirche<br />
12 EIN KAFFEE MIT …<br />
Friedrich Ani<br />
14 MAX RICHTER<br />
Zwischen Pomp und<br />
Minimalismus<br />
18 ANDRÁS ADORJÁN<br />
Der Flötist auf den Spuren<br />
der Doppler-Brüder<br />
20 DIANA DAMRAU<br />
… über ihr neues<br />
Album: „Es war ein<br />
großer Spaß“<br />
23 JULIA HAGEN &<br />
ANNIKA TREUTLER<br />
Sie lieben Brahms<br />
24 WILFRIED HILLER<br />
Der Komponist über<br />
Momo und die<br />
Sache mit der Zeit<br />
Dr. Goeths Kuriosa<br />
Absonderliche<br />
Geräuschkompositionen<br />
26 OSKAR LAZNIK<br />
Der Saxofonist wirbt für<br />
sein Instrument<br />
28 LUISA IMORDE<br />
Die Pianistin enthüllt im<br />
Ungleichen Gleiches<br />
29 DIE WICHTIGSTEN<br />
EMPFEHLUNGEN DER<br />
REDAKTION<br />
30 ATTILAS AUSWAHL<br />
Faszinierende Newcomer<br />
und andere Musikmagier<br />
zum Start ins neue Jahr<br />
33 BORIS GILTBURG<br />
Mehr als bloße<br />
Virtuosenkunst<br />
38 UNERHÖRTES &<br />
NEU ENTDECKTES<br />
Unbekannte Kammermusik<br />
39 LA FURA DELS BAUS<br />
Haydns Schöpfung,<br />
bildgewaltig in Szene gesetzt<br />
FOTOS: QUEEN: UNIVERSAL MUSIC GROUP; ANDREJ GRILC; ARTHAUS<br />
4 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
L’OPÉRA<br />
DES OPÉRAS<br />
Karine DeSHaYeS<br />
KatHerine WatSOn<br />
reinOuD Van MeCHeLen<br />
Le COnCert SPiritueL<br />
HerVÉ niQuet<br />
54<br />
KURT WEILL<br />
FEST<br />
Die herausragende<br />
Weill-Interpretin Ute Lemper<br />
als Artist-in-Residence<br />
55<br />
BAUHAUS 100<br />
Klar, puristisch und<br />
funktional – die Geschichte<br />
einer Design-Revolution<br />
78<br />
DRESDEN<br />
Die Stadt an der Elbe,<br />
neu entdeckt mit<br />
Hans-Christoph Rademann<br />
ALP 442<br />
ERLEBEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
LEBENSART<br />
43 DIE WICHTIGSTEN<br />
TERMINE UND<br />
VERANSTALTUNGEN<br />
50 MUSICA VIVA<br />
Sir Simon Rattle kommt<br />
als neuer Chefdirigent<br />
mit dem LSO<br />
51 IOAN HOLENDER<br />
Gedanken zum<br />
Operngeschäft<br />
52 MICHAEL FRANCIS<br />
Der neue Leiter der<br />
Deutschen Staatsphilharmonie<br />
Rheinland-Pfalz<br />
54 KURT WEILL FEST<br />
„Mut zur Erinnerung“<br />
56 BAUHAUS 100<br />
Eine Kulturgeschichte<br />
59 MUSIK AM<br />
BAUHAUS<br />
„Es war eine<br />
sehr exzessive Zeit“<br />
61 WOHER KOMMT<br />
EIGENTLICH …<br />
der Soundtrack zum<br />
Bauhaus?<br />
62 BAUHAUSBÜHNE<br />
Oskar Schlemmer und das<br />
Triadische Ballett<br />
64 ARCHITEKTUR<br />
„DAS Bauhaus gibt es<br />
nicht!“<br />
68 LIEBLINGSESSEN!<br />
Praline von der Aubergine<br />
von Rebekka Hartmann<br />
70 MEIN ERSTES MAL<br />
Lars Reichardts<br />
Debüt mit Othello<br />
72 EDLE ELEGANZ<br />
Die schönsten<br />
Bauhaus-Klassiker<br />
74 PAULA BOSCHS<br />
WEINKOLUMNE<br />
Die Helden der<br />
Schweizer Nation<br />
77 KUNST AM COVER<br />
Die Künstlerin<br />
Yo Franklin<br />
ALP 440<br />
SIBELIUS<br />
Symphony no.1<br />
En Saga<br />
GOTHENBURG SYMPHONY<br />
Santtu-MatiaS rOuVaLi<br />
FOTOS: ADRIAN BUCKMASTER; WILFRIED HÖSL; WWW.DRESDEN.DE<br />
EXKLUSIV<br />
FÜR ABONNENTEN<br />
Hören Sie die Musik zu<br />
unseren Texten auf der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD –<br />
exklusiv für Abonnenten.<br />
Infos auf den Seiten 3 & 76<br />
78 DRESDEN<br />
Musikalischer Spaziergang<br />
mit Hans-Christoph<br />
Rademann<br />
81 GLOBETROTTER<br />
Termine in Spanien<br />
oFFEnBaCh<br />
CoLoRaTURE<br />
JODie DeVOS<br />
MünCHner<br />
runDfunKOrCHeSter<br />
Laurent CaMPeLLOne<br />
ALP 437<br />
5<br />
Note 1 Music gmbh<br />
Carl-Benz-Str. 1 - 69115 Heidelberg<br />
Tel 06221 / 720226 - Fax 06221 / 720381<br />
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www.note1-music.com
O U V E R T Ü R E<br />
6 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Schweiß und Anspannung<br />
Schwerelosigkeit, Grazie, Emotionen – die Fotos von<br />
Roman Novitzky offenbaren das ganze Vokabular des<br />
Tanzes. Mit seiner Kamera fängt der Erste Solist des<br />
Stuttgarter Balletts nicht nur verborgene Momente<br />
in der Probe oder von der Seitenbühne ein, er öffnet<br />
dem Betrachter die Tür zu einem Kosmos aus<br />
Schweiß, Anspannung, Zweifel – und Euphorie. Haben<br />
Tänzer wie die Erste Solistin Alicia Amatriain in Christian<br />
Spucks Le Grand Pas de Deux es auf die Spitze getrieben,<br />
steht am Ende schlicht: der Durst. Und eine<br />
profane, aber rettende Flasche Wasser. Kürzlich erschien<br />
ein Fotoband im Verlag Edition Cantz (s. S. 10).<br />
<br />
7<br />
FOTO: ROMAN NOVITZKY
O U V E R T Ü R E<br />
Was hört …?<br />
Joseph Moog<br />
Der Pianist – nominiert für den Grammy<br />
2016 – verrät uns seine Best-of-Liste<br />
Debussy:<br />
12 Études,<br />
Ravel: Gaspard<br />
de la nuit,<br />
Joseph Moog<br />
(Onyx Classics)<br />
Mannheim<br />
Das Spielhaus des Nationaltheaters<br />
Mannheim soll saniert werden. Das<br />
Konzept in einem Kostenrahmen von<br />
240 Millionen Euro wurde kürzlich<br />
genehmigt, teilte die Stadt mit. Die<br />
Summe enthält die Sanierungskosten in<br />
Höhe von 200 Millionen Euro, die das<br />
interdisziplinäre Planungsteam unter<br />
der Leitung des Mannheimer Architekturbüros<br />
Schmucker und Partner berechnet<br />
hat, sowie 40 Millionen Euro für<br />
notwendige Infrastruktur-Investitionen.<br />
Hierzu gehören unter anderem der Bau<br />
eines neuen Zentrallagers auf einem<br />
Hafengrundstück sowie die Erweiterung<br />
und der Umbau des Probenzentrums in<br />
Neckarau. Die notwendige Anmietung<br />
von Ersatzspielstätten für die Sparten<br />
Schauspiel, Oper und Tanz während des<br />
Sanierungszeitraums werden etwa 12,55<br />
Millionen Euro kosten. Geplant ist die<br />
Sanierung ab dem Spielzeitbeginn<br />
2021/22, die Schließzeit soll vier Jahre<br />
betragen.<br />
Jahr zu erklären. Polen erinnert damit<br />
an den 200. Geburtstag des Komponisten.<br />
Der Warschauer Flughafen übrigens<br />
ist nach Chopin benannt.<br />
Opernball Wien<br />
1<br />
Alexander Skrjabin: Poême de<br />
l’Extase, Chicago Symphony<br />
Orchestra, Pierre Boulez<br />
Poême de l’Extase gehört für mich zu den berauschendsten<br />
und faszinierendsten Musikstücken überhaupt.<br />
Die geheimnisvolle, knisternde Stimmung am<br />
Anfang ist wie ein großes Versprechen, aus dem sich<br />
im Laufe des Stückes wie durch ein kunstvoll gesponnenes<br />
Netz ein verführerischer Sog entwickelt.<br />
2<br />
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 8,<br />
RSO Saarbrücken,<br />
Stanislaw Skrowaczewskil<br />
Die Einspielung der 8. Sinfonie gibt mir nach dem Hören<br />
das Gefühl, alles Wesentliche über Leben und Tod<br />
erfahren zu haben. Es drängt sich subjektiv der Gedanke<br />
auf, dass alles gesagt worden ist – dass die Welt<br />
untergehen darf.<br />
3<br />
W. A. Mozart: Die Klavierkonzerte,<br />
Salzburger Kammerphilharmonie,<br />
Cyprien Katsaris<br />
Katsaris mit Mozart? Viele können nicht verstehen,<br />
wie der als extravagant bekannte Zypriote sich mit<br />
Urtext und Kadenzenauswahl auseinandersetzen will.<br />
Die Einspielungen der Klavierkonzerte werden diese<br />
Fragen auf verblüffende Art und Weise beantworten.<br />
4<br />
Oscar Peterson: Live at the Blue Note<br />
Wer Jazz und Klaviermusik liebt, kommt an<br />
Oscar nicht vorbei. Seine Auftritte sind legendär.<br />
Wenn ich diese Aufnahme heute höre, blicke ich<br />
als absoluter Fan, ja fast als Groupie auf das Jazz-Universum:<br />
diese Kreativität, Harmonik, dieser Drive!<br />
5<br />
Michael Bolton: Missing You Know<br />
Was soll ich sagen? Ich mag diese Stimme einfach!<br />
Leicht rauchig erinnert sie mich ein wenig an<br />
Sting, dann kommt immer noch etwas Rockiges hinzu<br />
und auch in der Höhe selbstverständlich jede Menge<br />
Power. Vielleicht ist Michael Bolton auch so etwas wie<br />
das männliche Pendant zu Céline Dion? Für mich ein<br />
Muss abseits der Klassik!<br />
Sicher ist sicher<br />
Die Polizei von Calgary beschloss Anfang<br />
des Jahres, den Flughafen der Stadt zu<br />
räumen, nachdem ein Fluggast eine vermeintlich<br />
bewaffnete Person gemeldet<br />
hatte. Wie sich herausstellen sollte, war es<br />
ein Jugendlicher mit seinem Instrument,<br />
der sich auf ein Konzert vorbereitete, das<br />
die Flughafenverwaltung in der Abflughalle<br />
geplant hatte. Dafür war eine lokale<br />
Band eingeladen worden. Eine Klarinette<br />
war mit einem Gewehr verwechselt worden.<br />
Der Flughafen wurde nach kurzzeitiger<br />
Schließung wieder geöffnet.<br />
Warschau<br />
Der Warschauer Hauptbahnhof wurde<br />
kürzlich nach dem polnischen Komponisten<br />
Stanisław Moniuszko (18<strong>19</strong> –1872)<br />
benannt. Der polnische Senat verabschiedete<br />
einstimmig eine Resolution, um<br />
das Jahr 20<strong>19</strong> zum Stanisław-Moniuszko-<br />
Anna Netrebko wird mit Ehemann Yusif<br />
Eyvazov am 28. Februar den 63. Wiener<br />
Opernball musikalisch eröffnen. Für<br />
Netrebko ist es bereits die dritte Opernballeröffnung,<br />
sie wird den Kusswalzer<br />
von Luigi Arditi singen. Eyvazov „debütiert“<br />
mit Nessun dorma von Puccini.<br />
5.000 Besucher sind jährlich beim Opernball<br />
zu Gast. Eintrittskarten gibt es in<br />
diesem Jahr für ca. 315 Euro, Logen kosten<br />
zwischen 13.300 und 23.600 Euro.<br />
Bleikorrosion<br />
Bremer Materialwissenschaftler und das<br />
Arp-Schnitger-Institut für Orgel und<br />
Orgelbau haben herausgefunden, dass<br />
Temperatur und Luftfeuchtigkeit entscheidende<br />
Faktoren für die Bleikorrosion<br />
an Orgelpfeifen sind. Das ergaben<br />
die für eine Studie erfassten Daten. Kirchen<br />
sind heutzutage besser wärmeisoliert,<br />
werden aber zu selten gelüftet.<br />
Dadurch wird es im Inneren der Kirche<br />
zu feucht. Besonders während des Sommers<br />
überschreitet die absolute Feuchtigkeit<br />
einen für die Bleipfeifen kritischen<br />
Wert. Abhilfe können hier automatisierte<br />
Lüftsysteme schaffen. Auch reguläres<br />
Lüften kann bereits zur Verbesserung der<br />
Werte beitragen. Ein weiterer Ansatz<br />
zum Schutz der Pfeifen bildet eine nachträgliche<br />
Passivierung des Bleis durch<br />
den Einsatz von Schwefelsäure. Früher<br />
war dies ein automatischer Prozess, da<br />
die Luft deutlich unreiner war.<br />
FOTOS: RICHARD REINSDORF, MANFRED WERNER WIKI COMMONS<br />
8 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Blumen berühren, knüpfen erste Bande, sie können um Verzeihung bitten oder Aufmerksamkeit<br />
wecken. Seit 111 Jahren liefert Fleurop die schönsten Meisterwerke für Menschen, die ihren Lieben<br />
eine Freude machen wollen. Nicht vergessen: Am 14. Februar ist Valentinstag!<br />
Mit dem Gutscheincode CRESVAL15 erhalten Sie 15 % Rabatt auf www.fleurop.de (bis zum 28.02.20<strong>19</strong>).
O U V E R T Ü R E<br />
Anruf bei Susann Bräcklein<br />
Mädchen im Knabenchor? Warum nicht? Alles andere wäre Diskriminierung, meint Dr. Susann<br />
Bräcklein, Juristin mit Schwerpunkt Verfassungsrecht, am Telefon. Sie hat kürzlich in einer Berliner<br />
Tageszeitung gefordert, auch Mädchen in staatlichen geförderten Knabenchören aufzunehmen.<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Frau Dr. Bräcklein,<br />
wie kommen Sie darauf, dass Mädchen<br />
im Knabenchor auftreten sollen?<br />
Susann Bräcklein: Staatliche Knabenchöre<br />
sind exklusive Musikschulen.<br />
Es ist ein Grundrecht, dass Menschen<br />
nicht wegen ihres Geschlechts oder<br />
anderer persönlicher Merkmale, die<br />
sie nicht ändern können, benachteiligt<br />
werden, ohne dass es dafür zwingende<br />
Gründe gibt. Werden Mädchen wegen<br />
ihres Geschlechts selektiert und von<br />
der musikalischen Ausbildung, dem<br />
Repertoire und den Auftrittsmöglichkeiten, die Knabenchöre bieten,<br />
ausgeschlossen, handelt es sich um eine Diskriminierung nach<br />
Art. 3 Absatz 3 des Grundgesetzes.<br />
Was wären denn zwingende Gründe?<br />
Wenn Probleme zu lösen sind, die ihrer Natur nach nur entweder<br />
bei Männern oder bei Frauen auftreten können, so das Bundesverfassungsgericht.<br />
Das ist zum Beispiel beim Mutterschutz anerkannt;<br />
bei der Feuerwehrabgabe für Männer hingegen nicht.<br />
Was ist mit der Klangveränderung des Chors, wenn Mädchen<br />
mitsingen?<br />
Die aktuellen Forschungsergebnisse ergeben einen minimalen, subtilen<br />
Unterschied in den Ohren von Experten – leicht oberhalb der<br />
Schwelle des Zufälligen. Manche Stimmen oder Gruppen werden<br />
konsequent falsch eingeschätzt. Die Studien ergeben, dass Gesangspädagogik<br />
und Klangideal viel entscheidender für den Klang sind<br />
als das biologische Geschlecht der Kinder.<br />
Die Perspektive der Konsumenten ist auch nur eine Seite. Die kann<br />
auch mit Klischees und Stereotypen behaftet sein. Auf der anderen Seite<br />
muss man sehen, dass es um die Grundrechtsverwirklichung von<br />
Kindern geht. Hierzu gehört die Teilhabe von Mädchen. Künstlerische<br />
und pädagogische Belange erfordern nicht den generellen Ausschluss.<br />
Flexible Auftritts- und Probenformate sind ohne Weiteres denkbar.<br />
Das machen viele Domchöre schon seit 30 Jahren oder länger. Aber<br />
um Ihre Frage zu beantworten: Zwingend wäre der Ausschluss in<br />
Tölzer Knabenchor<br />
Bezug auf den Klang, wenn nachweisbar<br />
ist, dass Mädchen nicht singen können,<br />
dass sie nur brummen oder fiepen und<br />
den Chor verunstalten würden.<br />
Gab es für Ihren Kommentar einen direkten<br />
Auslöser?<br />
Das oberste Finanzgericht in München<br />
hat 2017 bestätigt, dass eine Freimaurerloge<br />
nicht staatlich förderungswürdig ist,<br />
weil sie grundlos Frauen ausschließt. Die<br />
Entscheidung hat einzelne Brauchtumsoder<br />
monogeschlechtliche Sportvereine,<br />
aber auch Vereine in der Chorszene aufgeschreckt.<br />
Das Phänomen Knabenchor hattte sich wohl bislang keiner<br />
unter diesem Aspekt angesehen. Für Knabenchöre in unmittelbarer<br />
staatlicher Trägerschaft gilt das Diskriminierungsverbot unmittelbar;<br />
für andere Organisationsformen mittelbar im Rahmen der<br />
Gemeinnützigkeitsprüfung. Zudem ist die Chancengleichheit von<br />
Mädchen in der musikalischen Ausbildung die „kleine Schwester“<br />
struktureller Benachteiligungen von Frauen in der klassischen, aber<br />
auch der neuen Musik, was zum Beispiel der Anteil von Dirigentinnen<br />
und Komponistinnen belegt. Die aktuelle Studie von Christian<br />
Ahrens zu „Frauen in Berufsorchestern“ zeigt: je renommierter ein<br />
Orchester, desto geringer der Anteil von Frauen. Das gilt für die<br />
Spitzenkinderchöre genauso: je renommierter ein Knabenchor, desto<br />
weniger Mädchen.<br />
Haben Sie die teils heftigen Reaktionen überrascht?<br />
Menschen haben sich an Knabenchöre als exklusive Einrichtungen<br />
gewöhnt, auch durch deren Präsenz und ihre lange Tradition. Allerdings<br />
ist diese lange Tradition auch eng mit dem Auftrittsverbot von<br />
Frauen in der Kirchenmusik verbunden. Das gilt für den säkularen<br />
Bereich entsprechend. Viele Männerchöre sind aus beruflichen und<br />
handwerklichen Traditionen hervorgegangen, die männlich dominiert<br />
waren. Allerdings gibt es kein Sonderrecht der Kunst auf Diskriminierung.<br />
Auch heute schon werden die Knaben in der Zauberflöte<br />
von Mädchen gesungen und keiner nimmt Anstoß daran.<br />
<br />
Klaus Härtel<br />
Die Musik<br />
löst alle Rätsel<br />
des Daseins.<br />
Leo Tolstoi<br />
HINTER DER BÜHNE<br />
Roman Novitzkys erste Monografie umfasst<br />
mehr als 60 Fotos aus dem Stuttgarter Ballettsaal,<br />
der Garderobe und von Gastspielen<br />
des Stuttgarter Balletts. Sein wachsames<br />
Auge fängt Momente absoluter Präzision ein,<br />
zeigt elegante, bis in die Fingerspitzen akkurate<br />
Armbewegungen, durchgestreckte Füße<br />
und virtuoses Muskelspiel. Der in Bratislava<br />
geborene Novitzky tanzt seit 2009 als Erster<br />
Solist beim Stuttgarter Ballett, seit rund sechs Jahren begleitet er den<br />
Tanz auch hinter der Kamera. Daneben etabliert er sich auch als Choreograf,<br />
beginnend mit ersten Stücken im Rahmen des Junge Choreographen-<br />
Abends der Noverre-Gesellschaft, zuletzt beim Ballettabend „Die Fantastischen<br />
Fünf“. Der 96-seitige Bildband ist in der Edition Cantz erschienen.<br />
FOTO: PRIVAT, GEMÄLDE VON ILJA JEFIMOWITSCH REPIN (1887)<br />
10 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
100.000<br />
Dollar hat der Niederländer Joël Bons für<br />
seine interkulturelle Komposition Nomaden<br />
erhalten. Mit dieser Summe ist der Grawemeyer-Preis<br />
– einer der renommiertesten<br />
Preise für zeitgenössische Musik – dotiert.<br />
KLASSIK<br />
IN ZAHLEN<br />
1,6<br />
889<br />
Millionen Euro sind für die Sanierung<br />
von Frankfurter Oper und Schauspiel<br />
veranschlagt – kostspieliger als die Elbphilharmonie.<br />
Frankfurts Kulturdezernentin<br />
Ina Hartwig arbeitet an der Kostensenkung.<br />
Milliarden: Die Single „Bohemian Rhapsody“<br />
von Queen ist mit weltweit mehr als<br />
1,6 Milliarden Streams der meist gestreamte<br />
Song des 20. Jahrhunderts und der meist gestreamte<br />
klassische Rock-Titel aller Zeiten.<br />
FOTOS: OPER FRANKFURT: EPIZENTRUM; QUEEN: UNIVERSAL MUSIC GROUP; STUART & SONS: BROOK PENFOLD<br />
11 verschiedene Musikstücke spielt der neue<br />
Orgel-Audiomat in der Braunschweiger<br />
St. Katharinenkirche, u. a. Bach, Brahms und Reger.<br />
Für 50 Cent gibt es drei Minuten Orgelmusik.<br />
108<br />
21<br />
Klaviere wollten<br />
zwei Schmuggler<br />
kürzlich aus der Schweiz nach<br />
Deutschland bringen. Beamte des<br />
Hauptzollamts Singen witterten<br />
Steuerhinterziehung der musikalischen<br />
Art und konnten dies am<br />
Zollamt Rheinheim verhindern.<br />
Tasten hat das Klavier, das Australiens letzter verbliebener Klavierbauer<br />
Stuart & Sons nun vorgestellt hat. Dieses Neun-Oktaven-Phänomen erreicht<br />
in der Welt der akustischen Klaviere bisher unerreichte Frequenzen.<br />
Ein Standardklavier hat heute 88 Tasten (etwas mehr als sieben Oktaven).<br />
11
K Ü N S T L E R<br />
Auf einen Kaffee mit …<br />
FRIEDRICH ANI<br />
VON BARBARA SCHULZ<br />
FOTO: PRIVAT<br />
12 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Friedrich Ani (*<strong>19</strong>59) ist ein deutscher Schriftsteller, der vor allem für seine<br />
Krimis um Ermittler Tabor Süden bekannt und mehrfach ausgezeichnet wurde.<br />
Geboren in Kochel am See, ist er längst ein Münchner Urgestein, der die Stadt<br />
und ihr Licht am meisten dann liebt, wenn Ferien sind – im August.<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Ani, wie wichtig ist Musik in Ihrem Leben?<br />
Friedrich Ani: Musik ist einer der wesentlichen Pfeiler meines<br />
Lebens. Ich hab sehr früh angefangen, selbst Musik zu machen: erst<br />
auf der Trommel, dann hab ich sehr jung Blockflöte und bald Klavier<br />
gespielt. Aber natürlich hab ich auch viel Musik gehört und schon<br />
früh Songtexte geschrieben, auf Englisch und auf Deutsch. Und<br />
weil ich gern gesungen habe und mich begleiten wollte, hab ich mir<br />
Gitarre beigebracht – obwohl alle meinten, ich könne nicht singen.<br />
Welche Musik hören Sie?<br />
Klassische Musik, Rockmusik, vor allem Folkmusik – da gibt es<br />
Phasen. Aber natürlich sind manche immer da: Bob Dylan, Bach,<br />
Rachmaninow, Schubert … Und die Singer-Songwriter-Szene, die<br />
ist schon meins – immer gewesen, Bob Dylan vor allen Dingen.<br />
Was ist mit Jazz?<br />
Selten. Es kommt vor, dass ich Jazz höre, dann gefällt er mir auch.<br />
Es kommt aber genauso oft vor, dass er mir überhaupt nicht gefällt.<br />
Er erreicht mein Herz nicht. Bach hingegen ist für mich kosmisch.<br />
Einfach ewig. Auch Schubert kann ich unendlich hören.<br />
Was macht die Musik mit Ihnen?<br />
Ohne Musik hätte ich nie angefangen,<br />
intensiv zu schreiben. Musik ist der<br />
Quell meines Schreibens. Das heißt,<br />
wenn ich Musik höre, bin ich inspiriert.<br />
Was nicht bedeutet, dass ich mich<br />
gleich hinsetze und schreibe. Musik ist<br />
wie das Wasser, das ich als Kind in den<br />
Bergen getrunken habe, direkt von der<br />
Quelle. Also reines Wasser. So ist Musik<br />
für mich reine Kunst. Und es ist großartig, was man mit Musik<br />
erreichen kann – an Gefühlen, an inneren Zuständen. Da muss<br />
man sich schon einen Wolf schreiben, um das mit Wörtern<br />
herzustellen. Musik war mein Leben lang Basis, Hilfe und Trost,<br />
auch bei der Arbeit. Ohne Musik kein Leben.<br />
Schreiben Sie, während Sie Musik hören?<br />
Unmöglich! Da mache ich ja selber Musik und versuche, meine<br />
eigenen Töne zu treffen.<br />
Die Inspiration findet also eher abstrakt statt.<br />
Ja, es ist nicht immer so, dass Hören direkt zu etwas Konkretem<br />
führt, aber es ist so, dass Musikstücke mich weiter beschäftigen,<br />
auch wenn sie zu Ende sind.<br />
Wie hören Sie?<br />
Wenn ich eine CD oder Schallplatte auflege, kann ich nur zuhören,<br />
nichts nebenbei machen. Was schwierig ist im Laufe des Lebens,<br />
weil ich viel schreibe. Dann will ich auch noch lesen, und ich kann<br />
beim Lesen keine Musik hören, das wäre total widersinnig. Also<br />
muss ich mir die Zeit gut einteilen.<br />
Verschiedene Stimmungen, verschiedene Richtungen?<br />
Klar, wobei ich schon versuche, mich der jeweiligen Musik anzupassen.<br />
Ich vermeide eher, in dunkler Stimmung dunkle Musik zu<br />
hören. Allerdings habe ich nichts dagegen, mich von der Musik<br />
verdunkeln zu lassen, auch wenn vorher alles weitgehend okay war.<br />
Es braucht viel Fantasie, um sich so spannende Geschichten<br />
auszudenken. Wichtiger ist aber, den richtigen Ton zu finden?<br />
Der eigene Sound ist das, was mich von anderen Autoren unterscheidet.<br />
Was ich schreibe, haben schon Hunderttausende vor mir<br />
ES IST GROSSARTIG,<br />
WAS MAN MIT MUSIK ERREICHEN<br />
KANN AN GEFÜHLEN<br />
UND INNEREN ZUSTÄNDEN<br />
erzählt. Seit den Griechen gibt es ohnehin keine neuen Stoffe. Ich<br />
schreibe über den Menschen in seinem Irrsinn, in seiner Verzweiflung,<br />
seiner Not, seiner Trauer. Aber ich habe lange gebraucht, bis<br />
meine Instrumente so gestimmt waren, dass ich sie spielen konnte.<br />
Und sind sie heute immer verfügbar?<br />
Leider nicht. Ich habe oft das Gefühl, dass sie vollkommen kaputt<br />
in der Garderobe liegen. Vor jedem neuen Roman: komplett<br />
zertrümmert! Ich muss sie jedes Mal erst wieder zusammenbasteln<br />
und neu stimmen, um überhaupt anfangen zu können. Ich hab<br />
30 Romane geschrieben und mehr, aber es wird nicht besser.<br />
Ein elender Zustand?<br />
Wenn ich die erste Fassung meines Romans lese, bin ich manchmal<br />
entsetzt! Als wäre da jemand, der meine Sachen nachts heimlich<br />
umschreibt. Man kann es nicht lesen. Und so muss ich die erste<br />
Fassung neu vertonen, versprachlichen.<br />
Der berühmte erste Satz …<br />
Ja, der kommt oder kommt nicht. Wenn er nicht kommt, ist es<br />
blöd. Dann muss man warten.<br />
Musik hören?<br />
Nein, der Satz kommt aus der Stille.<br />
Würde ich Musik hören, wäre ich in<br />
der Welt der Komponisten. Ich muss<br />
aber in meine Welt kommen.<br />
Mit welchem Komponisten würden<br />
Sie sich vergleichen?<br />
Vielleicht Schostakowitsch …<br />
Warum er?<br />
Die Dramatik, das Erzählerische, das<br />
Poetische – unterschiedliche Ebenen bilden das Ganze. Da hatte<br />
ich früher den Eindruck, dass das etwas mit mir zu tun hat.<br />
Aber es fällt mir schwer, auch bei Schriftstellern – wo könnte ich<br />
andocken? Natürlich gibt es Einflüsse, klar, hoffentlich viele.<br />
Wer wäre das im Wesentlichen?<br />
Georges Simenon, Cornell Woolrich, auch Hans Fallada, Erich<br />
Maria Remarque. Und Derek Raymond, ein englischer Autor, den<br />
ich erst sehr spät entdeckt habe. Obwohl er sehr hart ist, sprachlich<br />
wie inhaltlich, ist es ergreifend, wie er erzählt, mit diesem blutenden<br />
Herzen. Da entdecke ich immer wieder Ähnlichkeiten in der<br />
Sprache, aber auch im Blick auf die Welt.<br />
Ihr nächstes Buch hat auch eine politische Komponente.<br />
Es kommen zwei syrische Kinder vor, die Thematik behandelt<br />
Polizei und Migration. Vor allem aber geht es um drei Kommissare<br />
von mir – Tabor Süden, Polonius Fischer, Jakob Franck – und eine<br />
neue Kommissarin, Fariza Nasri. Insgesamt ist es ein gesellschaftspolitischer<br />
Roman, sehr emotional mit wechselnden Stimmungen.<br />
Hat es damit zu tun, dass Sie syrische Wurzeln haben?<br />
Mein Vater war Syrer, und natürlich habe ich mich mit dem Land<br />
beschäftigt. Ich fand es wichtig, mich dazu zu äußern, aber nur als<br />
Bürger der Stadt. Ich habe keine Botschaft, nur weil<br />
ich einen syrischen Vater hatte. Aber ja, vielleicht<br />
treibt es mich mehr um. Doch eher in meinem<br />
Zimmer und in meinem Herzen als auf der Straße. ■<br />
Friedrich Anis neues Buch „All die unbewohnten Zimmer“<br />
erscheint im Juni 20<strong>19</strong> bei Suhrkamp<br />
13
K Ü N S T L E R<br />
14 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
MAXI-<br />
MALE<br />
NEUGIER<br />
Der Europäische Filmpreis 2008<br />
für die Musik zu „Waltz with<br />
Bashir“, im November 2018 der<br />
Hollywood Music in Media<br />
Award für den Soundtrack zu<br />
„Mary Queen of Scots“ –<br />
darüber hinaus stellt Max<br />
Richter immer wieder in<br />
visionären Soloprojekten seine<br />
unbändige Fantasie unter<br />
Beweis. Im Gespräch verrät er,<br />
was ihn inspiriert.<br />
VON KATHERINA KNEES<br />
Max Richter hat der Stadt den<br />
Rücken gekehrt: „Die Umgebung<br />
hat Einfluss auf das Gehirn“<br />
FOTO: YULIA MAHR<br />
15
K Ü N S T L E R<br />
C<br />
RESCENDO: Sie haben dem Leben in der Großstadt<br />
den Rücken gekehrt und sind aufs Land gezogen. Beeinflusst<br />
das auch Ihre Musik?<br />
Max Richter: Ich glaube, dass sich alles gegenseitig beeinflusst, und die<br />
Umgebung hat natürlich auch Einfluss auf das Gehirn. Trotzdem finde<br />
ich, jedes musikalische Werk hat irgendwie sein eigenes Ökosystem, in<br />
dem es sich entwickelt und aufblüht. Darum glaube ich nicht, dass<br />
Äußerlichkeiten so eine große Rolle spielen. Aber ich genieße zum Beispiel<br />
die Jahreszeiten sehr und nehme sie ganz bewusst wahr. Ich lebe<br />
nun mitten im Nirgendwo auf dem Land, und da bekommt man das<br />
sehr deutlich mit. Und es ist sehr schön,<br />
JEDES MEINER PROJEKTE IST<br />
EIN EXPERIMENT, MIT DEM ICH<br />
ETWAS HERAUSFINDEN ODER ZUM<br />
AUSDRUCK BRINGEN MÖCHTE<br />
dieses gemächliche Tempo zu beobachten,<br />
in dem sich alles verändert. Ich mag<br />
diese Langsamkeit um mich herum.<br />
Wenn man im Inneren und in der Fantasie<br />
viel beschäftigt ist – und das bringt<br />
das Komponieren ja mit sich –, braucht<br />
man viel Zeit für sich, damit sich die<br />
Ideen auch entwickeln können.<br />
Welche Ideen stecken denn in Ihrer preisgekrönten Filmmusik<br />
zu „Mary Queen of Scots“?<br />
Die beiden Frauen, um die es in diesem Film geht, die beiden Königinnen<br />
Maria Stuart und Elisabeth I., leben eigentlich in einer Welt, die<br />
den Männern gehört und in denen ihre Macht sehr eingeschränkt ist.<br />
Deshalb wollte ich mit den Stimmen der Frauen anfangen. Sie bilden<br />
quasi den Hintergrund, vor dem alles passiert. Man kann sich die Partitur<br />
wie ein Renaissancegemälde vorstellen, in dem die Farbe Schicht<br />
für Schicht auf den Untergrund aufgetragen wird, auf dem dann nach<br />
und nach immer mehr Elemente und Figuren im Vordergrund hinzugefügt<br />
werden.<br />
Welche Elemente sind das in diesem Fall?<br />
Es gibt sozusagen ein königliches Thema, das sich die Königinnen<br />
teilen und das vom Englischhorn gespielt wird. Außerdem haben<br />
wir viel Chormusik aufgenommen, die sozusagen die musikalische<br />
Landschaft gestaltet. Und es gibt Musik für die Antagonisten – in<br />
diesem Fall eigentlich alle Männer, die in dem Film vorkommen<br />
(schmunzelt). Diese Ebene wird vor allem durch orchestrale Musik<br />
gestaltet, die allerdings weniger kultiviert ist. Im Vordergrund<br />
erscheinen dann nach und nach weitere Themen und auch zeitgenössische<br />
klangliche Elemente. Außerdem gibt es viele Trommeln,<br />
die in der Musik inhaltlich eine wesentliche Rolle spielen. Sie deuten<br />
quasi an, wo es mit Mary hingehen wird. Sie begleiten ihre Exekution<br />
und die Beerdigung. Aber sie tauchen auch in Form von<br />
Marschmusik auf, im Thema, das für die Ehe steht, oder als königliche<br />
Paukenklänge.<br />
Haben Sie die Musik auf den fertig geschnittenen Film komponiert<br />
oder war er noch in der Entstehung?<br />
Ich habe nur einige Schnipsel gesehen, sodass ich einen Eindruck<br />
von der Atmosphäre und den Personen bekommen konnte. Dann<br />
habe ich mit dem Schreiben angefangen, und der Film hat parallel<br />
Gestalt angenommen. Es war ein sehr organischer Prozess. Es gibt<br />
immer einen eigenen Rhythmus und einen Workflow, und ich habe<br />
immer Interesse daran, den natürlichsten Weg zu finden. Manchmal<br />
muss man sich die ganze Zeit die Bilder anschauen, und manchmal<br />
kann die Musik einfach Musik sein und man nimmt sich dann,<br />
was man braucht. Ich glaube, das ist in jedem Projekt anders.<br />
Lernt man denn über die Filmmusik einen anderen Max Richter<br />
kennen als über eines Ihrer Soloprojekte?<br />
Ja, das sind für mich ganz unterschiedliche Dinge, aber ich könnte<br />
jetzt nicht sagen, dass mir das eine oder das andere mehr oder weniger<br />
Spaß macht. Die Arbeit an einem Kinofilm ist immer ein<br />
Gemeinschaftsprojekt. Es geht dabei grundsätzlich viel um Kommunikation<br />
und Zusammenarbeit. Und die Musik steht quasi im<br />
Dienst der Geschichte, die erzählt wird. Sie ist nur ein Element in<br />
einem großen Kontext, Filmmusik ist keine Sinfonie. Wohingegen<br />
ich bei einer Soloplatte oder in einem Orchesterstück alles genau so<br />
machen kann, wie ich es mir vorstelle, und ich mir dabei nur musikalische<br />
Fragen stellen muss.<br />
Sie haben nicht nur viele Soundtracks, sondern auch völlig unterschiedliche<br />
Soloprojekte realisiert. Was inspiriert Sie?<br />
In allen kreativen Konzepten stecken Fragen. Jede neue Idee von<br />
mir kann man als eine „Was-wäre-wenn-Frage“ verstehen, denn<br />
jedes meiner Projekte ist ein Experiment,<br />
mit dem ich etwas herausfinden<br />
oder zum Ausdruck bringen möchte.<br />
Eigentlich fühlt sich jedes Projekt<br />
unmöglich an, bevor ich loslege. John<br />
Cage hat mal gesagt: „Unsere Aufgabe<br />
als Künstler ist es, neugierig zu sein.“<br />
Das trifft es eigentlich ziemlich genau.<br />
Mit jeder Platte versuche ich herauszufinden,<br />
was es eigentlich ist, was ich da mache. Das klingt vielleicht<br />
paradox, aber das ist meine Vorgehensweise. Wenn ich dann am<br />
Ende zufrieden bin mit dem, was dabei herauskommt, dann ist das<br />
ein riesiger Erfolg, und ich bin sehr glücklich (lacht).<br />
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie eine eigene Version von Vivaldis<br />
Die vier Jahreszeiten kreiert haben?<br />
Das Recomposing-Projekt zu den Jahreszeiten war mir ein ganz<br />
persönliches Bedürfnis (lacht). Als Kind habe ich mich in das Stück<br />
verliebt. Es ist ein wunderschönes virtuoses Stück voller Geschichten<br />
und Farben. Aber im Laufe der Jahre habe ich es dann eigentlich<br />
nur noch in der Werbung oder in einer Warteschleife oder im Aufzug<br />
gehört, und ich habe angefangen, das Stück zu hassen. Meine<br />
Bearbeitung war für mich dann sozusagen eine Rettungsmaßnahme<br />
und der Versuch wiederzuentdecken, was ich ursprünglich mal an<br />
dem Stück geliebt habe. Eine derartige Beziehung habe ich aber zu<br />
keinem anderen Stück.<br />
Für Ihr Projekt „Sleep“ haben Sie mal eine achtstündige Musik<br />
komponiert, die man schlafend auf sich wirken lassen soll. War<br />
das auch eine Selbsterfahrung?<br />
Schlaf hatte für mich immer schon eine große Bedeutung. Ich habe<br />
Schlafen immer als wichtigen Bestandteil in einem kreativen Prozess<br />
wahrgenommen, denn unser Geist ist dann ja nicht einfach<br />
ausgeknipst, er arbeitet nur anders. Als ich 2014 mit dem Projekt<br />
„Sleep“ begonnen habe, hatte ich das Gefühl, dass unser Leben im<br />
Alltag von Informationen regelrecht überflutet wird und dass das<br />
sehr anstrengend ist. Ich wollte einen kleinen Urlaub von all den<br />
Eindrücken und Informationen und Daten. Außerdem hat es mich<br />
interessiert, was die Musik aus neurologischer Sicht mit uns macht,<br />
wenn wir schlafen.<br />
Ihre Musik ist oft minimalistisch, die jüngste Filmmusik für<br />
„Mary Queen of Scots“ ist im Kontrast dazu sehr opulent. Gibt<br />
es etwas, das den Kern Ihrer musikalischen Sprache ausmacht?<br />
Sparsamkeit und Minimalismus sind mir sehr wichtig, aber es<br />
stimmt, „Mary Queen of Scots“ ist in gewisser Hinsicht tatsächlich<br />
regelrecht pompös. Das hängt in dem Fall wohl mit der Welt zusammen,<br />
die in dem Film dargestellt wird. Aber wenn man sich meine<br />
Soloplatten anschaut, dann steht im Mittelpunkt immer, dass man<br />
das Maximum aus dem Minimum herausholt. Ich<br />
bin an einer direkten Sprache interessiert, die sich<br />
ganz einfach anfühlt. Sie ist zwar nicht einfach,<br />
aber sie kommt so rüber (lacht).<br />
n<br />
„Mary Queen of Scots. Music by Max Richter“ (DG)<br />
16 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
17<br />
FOTO: YULIA MAHR
K Ü N S T L E R<br />
GEMISCHTES<br />
DOPPEL<br />
András Adorján kennt das Werk der Doppler-Brüder wie kein Zweiter –<br />
als Flötist und Herausgeber. Nun legt er an der Seite von Emmanuel<br />
Pahud unter dem Titel „Doppler Discoveries“ mehrere Ersteinspielungen<br />
von Werken für ein und zwei Flöten zusammen mit Klavier vor.<br />
VON KLAUS KALCHSCHMID<br />
András Adorján,<br />
Emmanuel Pahud und<br />
Jan Philip Schulze<br />
FOTO: ASMUS HENKEL<br />
18 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
FÜR MICH IST ES SEHR WICHTIG,<br />
FLÖTISTEN DIE MÖGLICHKEIT ZU<br />
GEBEN, IHR REPERTOIRE ZU BEREICHERN<br />
Franz und Carl Doppler bereisten ab 1852 als virtuos flötespielendes<br />
Brüderpaar ganz Europa. Franz übersiedelte 1858<br />
nach Wien als Soloflötist der Hofoper und Dirigent fürs Ballett, dem<br />
er jährlich eine Komposition widmen musste. Sein Bruder Carl wurde<br />
1865 für 30 Jahre Königlicher Hofkapellmeister in Stuttgart und spielte<br />
nur noch gelegentlich zusammen mit seinem Bruder in Konzerten.<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Adorján, schon in den <strong>19</strong>60ern haben Sie<br />
begonnen, Unbekanntes der Doppler-Brüder zu suchen – und<br />
zu finden! Wie hat alles angefangen?<br />
András Adorján: Mein Flötenlehrer in Dänemark, wo ich aufgewachsen<br />
bin, wenn auch in Ungarn geboren, gab mir irgendwann<br />
die Fantaisie pastorale hongroise zum Spielen, und für mich als<br />
Ungar war es natürlich etwas Besonderes, fern der Heimat auf<br />
eine Flötenkomposition mit ungarischer Thematik zu treffen.<br />
Als ich dann Jahre später, <strong>19</strong>68, in Freiburg bei Aurèle Nicolet<br />
studiert habe, bin ich in einem Stuttgarter Telefonbuch auf den<br />
Namen „Franz Doppler – Kammermusiker“ gestoßen, der, wie<br />
sich herausstellte, ein Enkel von Carl Doppler war. Meine Frau<br />
und ich haben dann irgendwann ein kleines Konzert mit Werken<br />
für zwei Flöten von Franz und Carl Doppler, die ich in Bibliotheken<br />
gefunden hatte, im Wohnzimmer der Dopplers gespielt.<br />
Hatte der Enkel auch Noten?<br />
Bis dahin hatte der Enkel geglaubt, keine Handschriften zu<br />
besitzen, und kannte auch die Musik des Großvaters überhaupt<br />
nicht. Doch im Speicher fand sich, nach hartnäckigem Insistieren<br />
meinerseits, dann überraschend doch eine Kiste mit meist unvollständigen<br />
Autografen. Aber auch ein ganzes, vollständiges<br />
Konzert für zwei Flöten, das nie gedruckt worden war. Das habe<br />
ich dann herausgegeben und <strong>19</strong>76 mit Jean-Pierre Rampal,<br />
ebenfalls einer meiner Lehrer, aufgenommen.<br />
Kann man den Anteil der beiden Brüder an den gemeinsam<br />
komponierten Stücken unterscheiden, deren Honorar sie – wie<br />
Aufzeichnungen beweisen – auch brüderlich geteilt haben?<br />
Es ist wohl schon so, dass Franz, der bedeutendere Komponist<br />
von beiden, für sich die erste Stimme geschrieben und die zweite<br />
vielleicht skizziert hat. Carl hat sie dann auskomponiert – als<br />
ebenso virtuose, aber eben tiefere Stimme.<br />
Auf Ihrer CD findet sich auch die Erstfassung jener berühmten<br />
Fantaisie pastorale hongroise, als Stück für zwei Flöten, deren<br />
Solostimmen in der besagten Kiste gefunden wurden und die<br />
Sie von den Dopplers geschenkt bekamen. Wie unterscheiden<br />
sich die beiden Versionen?<br />
Der Anfang beider Stücke ist gleich, danach sind sie aber völlig<br />
verschieden. Da hier zum Glück nur die Begleitung fehlte, ließ<br />
sich das Stück als der von den Brüdern oft gespielte, aber nie<br />
veröffentlichte „Ungarische Hirtengesang“ identifizieren. Und<br />
unser Pianist konnte seinen Part dazu rekonstruieren.<br />
Ihr neuester Fund sind die beiden ersten Sätze der Sonate<br />
op. 25, die bislang nur als Andante und Rondo bekannt war.<br />
Wo und wie kam es dazu?<br />
Im Zusammenhang mit der Neuherausgabe der Fantaisie<br />
pastorale hongroise habe ich nicht nur das Manuskript im Archiv des<br />
Schott-Verlags einsehen können, sondern auch die entsprechende<br />
Korrespondenz dazu. In einem Brief erwähnte Franz<br />
eine mir bis dahin unbekannte Sonate, allerdings mit der sehr<br />
bekannten Opusnummer 25. Ich wurde neugierig und bekam eine<br />
Kopie der Titelseite, worauf zu lesen war: „NB. Von dieser Sonate nur<br />
Andante u. Rondo stechen zu lassen und das Stück demgemäß zu<br />
titulieren.“ Ich suchte nach den verworfenen Sätzen und habe sie<br />
gefunden: ein großes, siebeneinhalb Minuten langes Moderato und<br />
ein kürzeres Menuetto. Neben dem Doppelkonzert war dies eine<br />
weitere Flötenkomposition der beiden, die keine Fantasie, kein<br />
Potpourri, keine Variationen und weder eine Opernbearbeitung<br />
noch ein Stück im beliebten Stil „à la hongroise“ darstellt. Welch<br />
toller Zufall, dass wir jetzt auch eine „seriöse“ Doppler-Sonate haben.<br />
Warum denken Sie, sollten diese beiden Sätze nicht veröffentlicht<br />
werden?<br />
Eigentlich kann ich mir darauf keinen rechten Reim machen,<br />
außer dass es vielleicht Franz selbst aufgefallen war, wie sehr er<br />
sich in die Nähe von Schubert, Brahms oder gar Mendelssohn<br />
gewagt hatte.<br />
Was hat es mit Aus der Heimat, einem „Festspiel“ für zwei<br />
Flöten und Klavier auf sich, das die CD abschließt? Das klingt<br />
mit seinen vielen verschiedenen Tänzen ungemein spritzig<br />
und lebendig!<br />
Diese Ballete mit eingewebten Gesängen, wie er es selbst genannt<br />
hat, ist ursprünglich ein Orchesterstück, wurde 1879 zur Silberhochzeit<br />
von Sisi und Kaiser Franz Joseph komponiert und zu<br />
sogenannten „Tableaux vivants“ in der Hofoper aufgeführt. Dem<br />
Regenten-Paar sollten alle musikalischen Facetten der Monarchie<br />
– etwa aus Österreich, Ungarn, Rumänien, der Slowakei oder<br />
Tirol – präsentiert werden. Das Stück war so populär, dass es bis<br />
1881 über 50-mal gespielt und für verschiedene Instrumente<br />
bearbeitet wurde. So gibt es eine Version für zwei Flöten und<br />
Klavier, die aber kaum von den Dopplers sein kann, da hier die<br />
beiden Flöten fast immer unisono spielen. Anhand eines originalen<br />
Klavierauszuges, den ich in der Badischen Staatsbibliothek<br />
gefunden habe, konnten wir die beiden Flötenstimmen „à la<br />
Doppler“ rekonstruieren und was übrig blieb als Klavierbegleitung<br />
belassen. Somit ist nichts neu komponiert, diese Musik<br />
wurde lediglich für zwei Flöten und Klavier eingerichtet.<br />
Sie geben immer gleichzeitig die Noten heraus und gehen mit<br />
den Stücken, die Sie gefunden haben, ins Aufnahmestudio.<br />
Ja, für mich ist es sehr wichtig, Flötisten die Möglichkeit zu<br />
geben, ihr Repertoire zu bereichern. Es gibt tatsächlich Musiker,<br />
die ihre Funde einspielen, sie dann aber lieber nur für sich<br />
behalten. Eine Vorgehensweise, die ganz und gar nicht meiner<br />
Mentalität entspricht.<br />
n<br />
Als neuer Abonnent erhalten<br />
Sie diese CD (siehe S. 76)<br />
„Doppler Discoveries“, András Adorján, Emmanuel Pahud, Jan Philip<br />
Schulze, Arcis Hornquartett (Farao Classics)<br />
Track 5 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Sonate für zwei Flöten und<br />
Klavier op. 25, III. Andante von Franz Doppler<br />
<strong>19</strong>
K Ü N S T L E R<br />
AUS DEM<br />
BAUCH<br />
HERAUS<br />
Diana Damrau und Jonas Kaufmann haben mit dem<br />
Pianisten Helmut Deutsch ein Album mit Liedern<br />
von Hugo Wolf aufgenommen. „Es war ein großer<br />
Spaß“, blickt die Sopranistin zurück. Und verneigt<br />
sich vor dem Komponisten.<br />
VON VERENA FISCHER-ZERNIN<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Hätten Sie Hugo Wolf, den alten<br />
Grantler, gerne persönlich kennengelernt?<br />
Diana Damrau: Auf jeden Fall! Er war kein einfacher Mensch,<br />
weder für seine Mitmenschen, noch für sich selbst. Aber wie er<br />
sich mit den Liedtexten musikalisch auseinandersetzt, das hat<br />
unglaublich viel Esprit.<br />
Sie hätten ihn bestimmt geknackt!<br />
So einen Geist und Künstler zu treffen – das wäre schon toll<br />
gewesen. Ich kenne seine Biografie nicht gut. Mein Eindruck<br />
speist sich aus seinen Kompositionen. Ich habe einen Hang zu<br />
Menschen, die mit geschliffener Zunge sprechen. Es ist spannend,<br />
sie zu erleben. Gerade, wenn ihre Art ein bisschen eckig ist.<br />
Was hat Sie an dem Italienischen Liederbuch gereizt?<br />
Die künstlerische Aussage der Wolf-Lieder ist einfach großartig.<br />
Was er für das Kunstlied geschaffen hat, für die Wort-Ton-Kunst,<br />
sei es mit Orchester oder kammermusikalisch, dafür muss man<br />
20 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Hatten sichtlich Spaß an der<br />
gemeinsamen Arbeit: Diana Damrau,<br />
Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch<br />
FOTO: PARLOPHONE RECORDS LTD<br />
ihm einfach dankbar sein. Ich habe schon als junge Studentin<br />
Lieder daraus gesungen. Auch kleine Dinge können uns entzücken<br />
oder Ich hab’ in Penna einen Liebsten wohnen, das sind Zugabenstücke<br />
per se. Kurz und aussagekräftig. Jedes einzelne Lied ist ein<br />
kleines Juwel, das Liederbuch ist eine Schatztruhe! Das wollte ich<br />
schon immer mal singen.<br />
Und wer hat Sie drei zusammengebracht?<br />
Helmut Deutsch kam auf die Idee, Jonas und mich zusammen-<br />
zuspannen. Ich hatte bis dahin mit Jonas relativ wenig große<br />
gemeinsame Werke auf der Bühne. Aber bei kleinen Konzerten<br />
haben wir gemerkt, das funktioniert gut. Wir waren von Helmuts<br />
Vorschlag sofort begeistert. Es ist natürlich schwer, das mit den<br />
Kalendern zusammenzukriegen. Und dann kam eine ganze<br />
Tournee mit zwölf Liederabenden in 23 Tagen zustande. Da<br />
haben wir uns beide gefragt, schaffen wir das? Und dann auch<br />
noch im <strong>Januar</strong>, Februar, Erkältungswetter! Mit Reisen dazwi-<br />
21
K Ü N S T L E R<br />
schen! Aber Helmut blieb ganz gelassen: „Ach, das schafft ihr.“<br />
Das Italienische Liederbuch ist über einen großen Zeitraum<br />
hinweg entstanden. Es ist eigentlich kein Zyklus, eher eine lose<br />
gefügte Liedsammlung. Von wem stammt die Dramaturgie?<br />
Die Lieder sind wirklich Kondensate, jedes für sich. Der Zufall<br />
wollte, dass es eine gute Balance zwischen eindeutig männlichen<br />
und eindeutig weiblichen Texten gibt, nur einige Lieder sind<br />
ICH HABE EINEN HANG ZU MENSCHEN,<br />
DIE MIT GESCHLIFFENER ZUNGE SPRECHEN<br />
neutral. Vor etwa 50 Jahren haben die Sänger sich das Liederbuch<br />
als Duo-Abend „unter den Nagel gerissen“. Das bietet sich an.<br />
Es sind kleine Dialoge oder Monologe, aus denen man Geschichten<br />
zusammenstellen kann. Helmut beschäftigt sich schon seit<br />
30 Jahren damit und hat immer wieder anderes ausprobiert, um<br />
kleine Geschichten zu finden. Fix war nur das erste Lied.<br />
Wir haben es also nicht mit einem einzigen Paar zu tun.<br />
Es sind immer andere. Wir haben vier Liedgruppen gebildet. Am<br />
Anfang sind sie sehr, sehr jung, sie dürfen nicht mal aus dem<br />
Haus. In der zweiten Gruppe sind sie zusammen. Da kommen die<br />
typischen Eifersüchteleien. Ein falsches Wort kann Streit auslösen.<br />
Sie sind immer noch sehr jung. In den dritten Teil haben wir<br />
Tod, Krieg und Religion genommen und in den vierten die<br />
humoristischen Lieder. In diesem Werk steckt wirklich alles, was<br />
man sich an menschlichen Regungen denken kann.<br />
Harter Tobak für den Mann, was ihm die heimlich Angebetete<br />
im vierten Teil so alles von ihren Liebhabern erzählt.<br />
Er ist der schwärmerische Freund, der nicht wagt, ihr seine<br />
verborgene Liebe zu gestehen. Oder sie hört nicht zu, sie versteht<br />
es nicht. Bis es ihr dann wie Schuppen von den Augen fällt.<br />
Deshalb sind die Empfindlichkeiten sehr groß. Aber es endet ja<br />
gut! Jedenfalls haben wir es so arrangiert.<br />
Waren Sie in den Konzerten versucht, szenisch zu agieren?<br />
Es war ein großer Spaß. Wir haben das nicht szenisch geplant,<br />
sondern einfach auf den anderen reagiert. Auch mimisch und<br />
gestisch, mit kleinen Körperbewegungen. Es ergibt sich alles aus<br />
dem Text. Und aus der Musik. Hugo Wolf stößt einen wirklich<br />
von einem zum nächsten Satz. Es ist alles ins Kleinste hinein<br />
durchdacht und in Harmonien und Klangfarben umgesetzt. Man<br />
kann gar nicht anders, man agiert aus dem Bauch heraus.<br />
Was machen Sie denn so auf der Bühne, während der andere<br />
singt? Wohin mit den Händen?<br />
Wenn Jonas im dritten Teil „Sterb ich“ gesungen hat, wäre ich am<br />
liebsten unsichtbar gewesen. Da wir zu zweit auf der Bühne sind<br />
und den anderen meistens ansprechen, müssen wir aufeinander<br />
reagieren. Nicht wie auf der Opernbühne oder im echten italienischen<br />
Leben, wo dann Teller oder Tomaten fliegen. Aber wir<br />
können auch nicht dastehen wie die Orgelpfeifen, dann hätten wir<br />
das Thema verfehlt! (lacht)<br />
Ich habe mal eine Kollegin erlebt, die sich beim Liederabend<br />
eine Schürze umband und ein Gummihähnchen aus dem Flügel<br />
zog. Für Puristen ein Graus. Wie halten Sie es mit Requisiten?<br />
Kommt immer drauf an, wie man’s anlegt. Ich habe nur die Stola<br />
gewechselt. Durch die Farbe der Stola konnte das Publikum<br />
unbewusst wahrnehmen, jetzt ist sie eine andere, oder jetzt ist<br />
was passiert. Am Schluss war die Stola feuerrot. Mein Kleid war<br />
ganz schlicht, schwarz mit Blumen. Ich wollte kein Divenkleid.<br />
Warum singt eine gefeierte Opernsängerin überhaupt Lieder?<br />
Weil aus dem Lied für mich alles hervorgeht. Lied ist für mich die<br />
IN DIESEM WERK STECKT ALLES,<br />
WAS MAN SICH AN MENSCHLICHEN<br />
REGUNGEN DENKEN KANN<br />
ideale Verbindung von Wort und Ton. Und es ist erzieherisch eine<br />
gute Methode, wenn man lernt, absolut ins Detail zu gehen und<br />
mit einer großen Sorgfalt diese Lieder zu singen und ganz schnell<br />
umzuschalten zwischen den verschiedenen Stimmungen. Und<br />
man kann sich seine eigenen Programme zusammenstellen.<br />
Es muss nicht immer Schubert sein …<br />
… oder Schumann. Das Liedschaffen ist nicht nur im deutschsprachigen<br />
Raum unglaublich reich, es gibt auch ganz<br />
tolle französische, russische und englische Lieder.<br />
Vieles aus diesem immensen Repertoire wird auch gar<br />
nicht so oft aufgeführt. Es ist wie eine Schatztruhe, die<br />
man aufmacht: Das passt gut zusammen und das …<br />
So eine Reise kann manchmal eine richtige Achterbahnfahrt<br />
sein. Ich kann verschiedene Stile zusammenbringen.<br />
Oder ich fange vielleicht mit Schubert an und schließe mit<br />
Zeitgenössischem, oder ich stelle das Zeitgenössische in die Mitte.<br />
Aber auch zwischen Komponisten und den Ländern Verbindungen<br />
zu schaffen, das ist toll, und sich eine eigene Dramaturgie zu<br />
überlegen.<br />
Was machen Sie stimmlich anders als bei der Oper?<br />
Ich kann mehr riskieren, weil ich feiner zeichnen kann. Allein in<br />
den Kompositionen ist das so gegeben. Außerdem habe ich nicht<br />
das Orchester unter mir und die Entfernung vom Zuschauerraum,<br />
da kann ich wirklich mit ganz feinem Pinsel zeichnen.<br />
Das muss man sich trauen …<br />
Es ist eine Herausforderung. Man ist allein und hat nicht die Hilfe<br />
durch Kostüme und Bühne und Licht und Partner. Sondern man<br />
macht nur Musik und lässt Wort und Musik klingen und ihre<br />
Wirkung bringen. Manchmal ist es wie Meditation. Aber man<br />
kann die Menschen auch mitnehmen. Und das ist toll! Wenn man<br />
zwischen den Stücken merkt, oh, jetzt wird’s lustig. Man ist viel<br />
näher an den Menschen dran. Natürlich bin ich beim Liederabend<br />
auf der Bühne ich selber, aber trotzdem steige ich in jedes<br />
Lied ein wie in eine kleine Opernszene. Mal bin ich das lyrische<br />
Ich, mal bin ich der Erzähler. Das heißt, ich kann mit der Stimme<br />
spielen und verschiedene Rollen einnehmen, Vater und Mutter<br />
und Kind darstellen.<br />
Ist Liedgesang also auch eine Art, Ihr Instrument zu pflegen?<br />
Schon. Aber auch meinen Geist. Meinen Geist und mein Instrument.<br />
Damit man einfach fein bleibt und achtsam.<br />
Mit dem musikalischen Partner und auch mit den eigenen<br />
Ressourcen?<br />
Auf jeden Fall. Dass man immer in die Feinheiten zurückgeht<br />
und es auch wagt, diese Feinheiten auf die Opernbühne zu<br />
übertragen. Es geht in der Oper nicht immer nur um Lautstärke<br />
und hohe Töne. Die sind beeindruckend, das ja. Aber es sind doch<br />
die Farben, es sind die Herzenstöne, die transportieren. Oper ist<br />
keine Discomusik, zu der man tanzt und vergisst. Was uns<br />
anspricht, sind die feinen Töne und Worte. Das<br />
Menschliche. Darum geht’s. Und im Lied umso<br />
mehr. <br />
■<br />
Hugo Wolf: „Italienisches Liederbuch“,<br />
Diana Damrau, Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch (Erato)<br />
22 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Das Schönste, was es gibt<br />
Die Cellistin Julia Hagen und die Pianistin Annika Treutler sind zwei vielversprechende junge<br />
Solistinnen. Jetzt haben sie ihr erstes gemeinsames Album mit Werken von Johannes Brahms<br />
veröffentlicht. Unsere Autorin, selbst Cellistin, merkte bei dem Treffen mit den Musikerinnen<br />
in einem Berliner Café schnell, dass die beiden sich nicht nur musikalisch bestens verstehen.<br />
VON SINA KLEINEDLER<br />
Julia Hagen<br />
Annika Treutler<br />
FOTOS: NEDA NAVAEE, WWW.ANNIKATREUTLER.DE<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Wieso Brahms?<br />
Julia Hagen: Für mich war immer klar, dass Brahms mein<br />
Debütalbum sein muss, weil diese Musik mich schon seit meiner<br />
Kindheit begleitet. Sein Wiegenlied habe ich – wie viele andere –<br />
schon als Baby gehört. Seine e-Moll Sonate war die erste „richtige“<br />
Cellosonate, die ich gelernt habe. Da war ich ungefähr zwölf,<br />
seitdem habe ich mit jedem meiner Lehrer an den beiden<br />
Brahms-Sonaten gearbeitet.<br />
Annika Treutler: Natürlich stellt sich immer die Frage: Warum<br />
muss man ein tausendstes Brahms-Sonatenalbum aufnehmen?<br />
Sicher ist das keine Aufnahme, bei der alles auf links gedreht ist,<br />
aber dennoch ist es eine sehr persönliche Sicht, und zwar unsere<br />
Sicht, auf diese Stücke. Mit dem besten, reinsten Gewissen und<br />
den ehrlichsten Emotionen, die wir haben.<br />
Was macht Brahms’ Musik so besonders?<br />
Annika Treutler: Es gibt ein Zitat von Brahms: „Es ist nicht<br />
schwer zu komponieren. Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen<br />
Noten unter den Tisch fallen zu lassen.“ Man spürt das in<br />
seiner Musik: Jeder Ton ist wichtig und hat eine Bedeutung. Alles<br />
geht vom Bass aus. Diese Tiefe ist das Fundament seiner gesamten<br />
Musik. Die Musik von Brahms ist einfach das Schönste, was es<br />
gibt. Als ich klein war, bin ich oft mit seinen Liedern eingeschlafen.<br />
Meine Mutter begleitete meinen Vater am Klavier und sie<br />
haben geübt, während wir schon im Bett lagen.<br />
Einige Brahms-Lieder habt ihr jetzt mit aufgenommen. Wie<br />
habt ihr sie ausgesucht?<br />
Julia Hagen: Diese sechs Lieder sind von David Geringas<br />
zusammengestellt und bearbeitet. Ich bin normalerweise skeptisch<br />
bei Transkriptionen, aber das Cello ist nun mal das Instrument,<br />
das der Stimme am ähnlichsten ist …<br />
Annika Treutler: Quatsch! (beide lachen)<br />
Julia Hagen: Doch, schon! Ich habe mir den Text über die Noten<br />
geschrieben und viele Lieder angehört. Gesang zaubert immer die<br />
größten Gänsehautmomente. Einmal habe ich ein Konzert von<br />
András Schiff besucht. Als Zugabe stand das gesamte Orchester<br />
auf und hat ein Lied gesungen – es war das berührendste Erlebnis,<br />
das ich je im Konzert erlebt habe. Das war so ehrlich und pur …<br />
Es ging total unter die Haut.<br />
Wie habt ihr beide euch kennengelernt und als Duo<br />
zusammengefunden?<br />
Annika Treutler: (holt tief Luft) Es war einmal im Sommer …<br />
(beide fangen an zu lachen). Also: Vor zweieinhalb Jahren haben<br />
wir drei Wochen in der Akademie des Verbier Festivals verbracht.<br />
Wir spielten gar nicht miteinander, hörten uns aber gegenseitig<br />
zu, verbrachten die Abende zusammen und verstanden uns<br />
einfach gut – quasi Liebe auf den ersten Blick. Da wir beide in<br />
Berlin wohnen, blieben wir in Kontakt. Zusammengespielt haben<br />
wir erst ein Jahr später.<br />
Ist es wichtig, sich nicht nur musikalisch, sondern auch<br />
persönlich zu verstehen?<br />
Annika Treutler: Für mich untrennbar. Man verbringt so viel Zeit<br />
miteinander, auch neben der Bühne. Könnten wir nur auf der<br />
Bühne kommunizieren, hätten aber sonst keinen Draht, würde es<br />
nicht funktionieren.<br />
Julia Hagen: Das gibt es aber auch, und ich frage mich, wie das<br />
geht. Jeder aus dem Ensemble in einem anderen Hotel …<br />
Annika Treutler: Das hört man so, ich könnte mir das nicht<br />
vorstellen. Für mich ist das Persönliche und das Musikalische<br />
ganz, ganz eng miteinander verbunden.<br />
Inwiefern bereichert ihr euch gegenseitig musikalisch?<br />
Julia Hagen: Es ist einfach schön zu merken, dass man sich beim<br />
Zusammenspiel aufeinander verlassen und fallen lassen kann. Es<br />
macht Spaß weil die Musik so spontan und aufregend bleibt.<br />
Annika Treutler: Wir haben eine gute Basis, und dazu gehört,<br />
dass man den anderen im Spielen schon vorausahnen kann. Ich<br />
glaube, das ist die allerwichtigste Qualität im Kammermusikspiel:<br />
nicht nur zu spüren, was der Partner im selben Moment macht,<br />
sondern was er als Nächstes tun wird. Wir sprechen die gleiche<br />
musikalische Sprache.<br />
■<br />
Brahms: „Cellosonaten Nr.1 & 2, Six Songs“,<br />
Julia Hagen, Annika Treutler (hänssler classic)<br />
Track 8 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Minnelied op. 71/5.<br />
Aus: 6 Lieder op. 86 von Johannes Brahms<br />
23
K Ü N S T L E R<br />
Momo und die Schildkröte<br />
Kassiopeia im Reich der Zeit,<br />
bei Meister Hora<br />
FOTOS: CHRISTIAN POGO ZACH<br />
EINFACH NUR<br />
ZUHÖREN<br />
Im Dezember fand am Münchner Gärtnerplatztheater die Uraufführung der neuen Oper<br />
von Wilfried Hiller statt: Michael Endes Klassiker Momo. Ein Gespräch mit dem<br />
Komponisten und Freund des Autors über das Thema Zeit, das heute aktueller ist denn je.<br />
VON BARBARA SCHULZ<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Sieht man die Menschen heute durch die Straßen<br />
hetzen, denkt man unwillkürlich an Michael Endes Momo ...<br />
Wilfried Hiller: Ja, es ist geradezu beängstigend, wie aktuell das<br />
Buch war, als es <strong>19</strong>73 erschien. Das haben wir damals nicht gesehen.<br />
Der Ende übertreibt mal wieder, hat man gesagt.<br />
Wie kann man das Thema auf die Bühne bringen?<br />
Tatsächlich konnte ich viel aus den Fehlern anderer lernen. Also<br />
zum Beispiel den Geschichtenerzähler Gigi nicht wegzulassen oder<br />
den Straßenkehrer Beppo. Von Anfang an war aber klar: Momo<br />
darf nicht singen. Zum Glück war der Intendant des Gärtnerplatztheaters,<br />
Josef Köpplinger, einverstanden. als ich ihm gesagt habe,<br />
dass die Titelrolle nicht singt.<br />
Momo singt nicht, um zuhören zu können?<br />
Genau! Denn sie entlockt durch ihre Art, einfach zuzuhören, still<br />
zu sein, den Menschen ihre Probleme. In einer Szene singt Gigi<br />
davon. Und im Hintergrund sieht man Leute zu Momo kommen:<br />
den Friseur, den Maurer, die Ehefrauen – und was passiert? Plötzlich<br />
geben sich die Menschen wieder die Hand. Oder als Momo den<br />
24 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Wilfried Hiller bei<br />
den Proben zu Momo<br />
Vogel, der seit Langem stumm war, wieder<br />
zum Singen bringt. „Man muss ihm zuhören,<br />
auch wenn er nicht singt“, erklärt Momo ihr<br />
Geheimnis.<br />
Aber irgendwann wendet sich das Blatt.<br />
Ja, bereits zu Beginn des zweiten Aktes ist diese<br />
kleine heile Welt fest in Händen der grauen<br />
Herren von der Zeitsparkasse. Die Menschen<br />
können nicht mehr zuhören. Sie sind getrieben: schneller, schneller,<br />
weiter, weiter. Sie schauen auf die Uhr, rennen über die Bühne, kreuz<br />
und quer. Dazu die Melodie – übrigens von Michael Ende –, die<br />
immer schneller wird, bis sie Purzelbäume schlägt. Und bis Momo<br />
sagt: „Wir müssen etwas dagegen tun.“ Sie geht zu Meister Hora, der<br />
ihr die Stundenblume gibt. Damit schafft sie, dass die Menschen<br />
wieder zu sich kommen.<br />
Die grauen Herren von heute sind meist digital …<br />
Absolut. Und sie verhindern die direkte Kommunikation. Ich sehe<br />
das oft in Restaurants: Ehepaare, die während des Essens beide mit<br />
ihren Handys hantieren, aber nicht miteinander reden. Manchmal<br />
glaube ich schon, sie schreiben sich gegenseitig. Es ist verrückt.<br />
Was ist Ihre persönliche Erfahrung mit Zeit?<br />
Ich habe irgendwann mein Handy beiseitegelegt und es nie wieder<br />
hervorgeholt. Es hat mich nervös gemacht, auch wegen meines Herzschrittmachers.<br />
Aber es gab in meinem Leben eine Begegnung, die<br />
an Momo erinnert: Für mich war mein Lehrer Carl Orff so etwas<br />
wie der Meister Hora. Er hatte eine so ruhige Ausstrahlung – bei<br />
ihm blieb die Zeit stehen. Es war eine besondere Beziehung: Mein<br />
Vater war ja im Krieg gefallen, und Orff hatte nur eine Tochter. Seine<br />
Frau meinte einmal, ich sei der Sohn, den er nie bekommen habe.<br />
Sie haben viel von ihm übernommen …<br />
Ja, seine Ruhe und Leichtigkeit hatten durchaus auch Auswirkungen<br />
auf mich und meine Musik.<br />
Was an Momo hat Sie thematisch gereizt – die Zeit?<br />
Mich als Musiker hat noch viel mehr das Thema Zuhören und Zuhörenkönnen<br />
gereizt. Und dass es uns heute verloren<br />
gegangen ist.<br />
Wie aber kann man Zuhören hörbar machen?<br />
Die Zeitdauer spielt eine Rolle. Viele Menschen<br />
macht langsame Musik nervös. Dabei ist dieses<br />
Sichausbreiten doch das Schönste. Ich wollte<br />
auch Intervalle komponieren, die Ruhe ausstrahlen,<br />
Naturtöne, also die Töne, die mitklingen,<br />
wenn man einen Ton anschlägt, ich wollte Klangschalen<br />
benutzen. Tatsächlich ist es ja so, dass man die Leute, die ins Theater<br />
kommen, ins Zuhören bringen muss. Sie sind außer Atem, aufgeregt<br />
– und dann geht das Licht aus. Also muss ich sie erst mal runterholen.<br />
Und so beginnt die Musik erst mal ganz, ganz leise.<br />
Die ersten Takte klingen fast japanisch …<br />
Richtig! Ich bin fasziniert vom japanischen No-Theater. Das beginnt<br />
immer mit einer Nokan – eine Flöte, die das Theater eröffnet. Und<br />
so hab ich den ersten Satz, die erste Szene genannt. Die ersten drei<br />
Zeilen: Man hört fast nichts. Nur im Hintergrund die Besenstriche<br />
von Beppo. Bei Olivier Messiaen gibt es eine Fermate über eine ganze<br />
Seite. So hätte ich das auch gern, denn der Dirigent dirigiert das ja<br />
auch ganz anders als eine normale Fermate.<br />
Wie klingen die grauen Herren?<br />
Da ist richtig was los. Genau das Gegenteil von Momos Ausstrahlung<br />
– ständige Dissonanz. Immer Hochspannung, die nicht aufgelöst<br />
wird. Für die grauen Herren hab ich die großen japanischen<br />
Trommeln, die Schamanentrommeln, die staccatoartig gespielt werden.<br />
Es wird heftiger und intensiver. Die Leute bekommen Angst.<br />
Da merkt man, welchen Einfluss Musik auf die Psyche hat.<br />
Begreifen die Kinder, worum es geht?<br />
Ich glaube schon, dass die Musik das vermittelt, aber natürlich bin<br />
ich befangen. Das kriegen die Leute unbewusst mit. Giora Feidman<br />
hat einmal gesagt, als er in einer meiner Opern die Hauptrolle<br />
gespielt hat: „Das Wichtigste bei Hiller ist nicht nur die Musik, sondern<br />
der Raum zwischen den Tönen.“ So ist das wohl. n<br />
Als Gioachino Rossini in seiner Oper Il Signor Bruschino die<br />
zweiten Violinen mit ihren Geigenbögen an die Notenpulte klopfen<br />
ließ, war das ein waschechter Skandal – heute ein Schmunzelgarant.<br />
Dr. Goeths Kuriosa<br />
SINFONIE FÜR<br />
STABMIXER UND SELLERIE<br />
Ein paar exklusive Beispiele ausgewählt<br />
absonderlicher Geräuschkompositionen.<br />
Wer im 18. Jahrhundert die berühmte Kindersinfonie<br />
schrieb, wissen wir bis heute nicht. Sicher hingegen<br />
ist, dass die Besetzung Instrumente aus der Spielzeugkiste<br />
verlangt: Kuckuck, Wachtel, Ratsche, Orgelhenne<br />
(eine Art Wasserpfeife) und Cymbelstern.<br />
Im 20. Jahrhundert entwarf der Italiener Luigi Russolo um <strong>19</strong>13<br />
raumfüllende Lärm- und Geräuschinstrumente, die „Intonarumori“.<br />
George Gershwin ließ in An American in Paris Autohupen quäken,<br />
György Ligeti im Vorspiel zu Le Grand Macabre. John Cages CREDO<br />
IN US braucht eine Türklingel und Konservenbüchsen. Und Leroy<br />
Anderson verpasste <strong>19</strong>50 in The Typewriter einer Schreibmaschine<br />
die Hauptrolle – inklusive Zeilenende-Pling.<br />
Karlheinz Stockhausens Helikopter-Streichquartett erfordert<br />
neben der herkömmlichen Streicherbesetzung vier Hubschrauber,<br />
deren Rotorengeräusche sich mit dem gewohnten Klang mischen.<br />
Das 1. Deutsche Stromorchester musiziert ausschließlich auf Elektrogeräten<br />
wie Laubsaugern, Toastern und Mixern, während sich The<br />
Vegetable Orchestra der Musik auf Gemüse verschrieben hat – vom<br />
Gurkophon bis zur Sellerie-Percussion.<br />
Und wer bei der Verleihung des Ernst von Siemens Komponistenpreises<br />
2018 an Clara Iannotta ganz genau hinsah, konnte einen<br />
Schlagzeuger dabei beobachten, wie er seinen Brummtopf zur Klangerzeugung<br />
mit einem außergewöhnlichen Hilfsmittel traktierte: Es<br />
war ein Dildo!<br />
25
K Ü N S T L E R<br />
„PERFEKTION ALLEIN<br />
HAT KEINEN WERT!“<br />
Der slowenische Saxofonist Oskar Laznik bedauert, dass sein Instrument<br />
in der klassischen Musik immer noch ein Exot ist. Und ist<br />
mit perfektionistischer Verve auf dem besten Weg, das zu ändern.<br />
VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />
Nicht selten entscheidet über den Beginn einer Liebesbeziehung<br />
der Zufall. So war es auch bei Oskar<br />
Laznik. Als das Saxofon in sein Leben trat, war er acht Jahre alt und<br />
lebte in Hrastnik, einer kleinen Gemeinde in Slowenien. Sein Vater<br />
arbeitete in der Computerbranche, seine Mutter in einem Unternehmen<br />
für Dioden und Gleichrichter. Musik fand in der Familie<br />
so gut wie nie statt. „Wir waren weit weg von klassischer Musik und<br />
Konzerten dieser Art“, sagt Laznik, und entsprechend hatte die Welt<br />
der Töne, der Rhythmen und der Harmonien während der ersten<br />
Jahren seines Lebens kaum eine Rolle gespielt. Dann wurden in<br />
Spannender Dialog: Laznik und<br />
sein Pianist Tadej Horvat<br />
seiner Grundschule verschiedene Instrumente vorgestellt – und der<br />
kleine Oskar traf auf das Saxofon. Es war Liebe auf den ersten Blick.<br />
Bis heute kann er nicht genau sagen, was ihn damals so magisch<br />
anzog. War es das glänzende Blech? Der warm singende Ton? Der<br />
elegante Schwung des Korpus? „Ich habe das Saxofon gesehen und<br />
wusste sofort, dass das mein Instrument ist“, sagt Laznik schlicht,<br />
dann lächelt er versonnen und legt die Hände aneinander.<br />
Oskar Laznik ist ein schmaler junger Mann mit kurzen braunen<br />
Haaren und konzentriertem Blick, der oft erst einmal innehält,<br />
bevor er antwortet. Unprätentiös, ernsthaft und reflektiert ist er<br />
FOTO: ANDREJ GRILC<br />
26 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
einer der spannendsten Saxofonisten seiner Generation und lotet<br />
mit seinem Instrument neue Klangdimensionen aus. Gleichwohl ist<br />
der <strong>19</strong>87 geborene slowenische Musiker bislang ein Geheimtipp in<br />
der Welt der Klassik. Sein Album „Légende“, Mitte <strong>Januar</strong> veröffentlicht,<br />
könnte das ändern.<br />
Nachdem der achtjährige Oskar Laznik sich damals für das<br />
Saxofon entschieden hatte, wurde er sechs Jahre lang an der Musikschule<br />
in Hrastnik unterrichtet. Anschließend ging er nach Ljubljana<br />
auf das Konservatorium für Musik und Ballett. Dort lebte er<br />
im Internat und entdeckte im Musikgymnasium<br />
und in der Stadt eine völlig<br />
neue Welt. „Das war sehr befreiend<br />
für mich“, erinnert er sich. „Das kulturelle<br />
Angebot war viel größer. Es gab<br />
viele Konzerte und Veranstaltungen<br />
– damals ging es für mich musikalisch<br />
wirklich los.“ Und genau ab diesem<br />
Zeitpunkt sei ihm klar gewesen: „Das will ich in meinem Leben<br />
machen: Musik, einfach nur Musik.“ Eine Entscheidung, die der<br />
feinsinnige Musiker in Folge nie mehr infrage stellte. Sein weiterer<br />
Weg ist bis heute ebenso konsequent wie stringent. Die Eltern hätten<br />
ihn dabei womöglich manchmal nicht ganz verstanden, meint Laznik,<br />
doch hätten sie ihn immer unterstützt. „Sie haben gesagt: Du<br />
musst etwas für dich finden, das zu dir passt und dir wichtig ist. In<br />
der Musik hab ich das gefunden.“<br />
Von 2006 bis 2010 besuchte Laznik die Musikakademie in Ljubljana,<br />
parallel dazu begann er, an Wettbewerben teilzunehmen und<br />
gewann zahlreiche Preise. 2010 ging er schließlich nach Köln, um<br />
bei Daniel Gauthier zu studieren. Gauthier war schon lange sein<br />
Vorbild gewesen. „Seine klangliche und musikalische Ausdruckskraft<br />
haben mich schon immer fasziniert und ich wollte unbedingt<br />
bei ihm studieren. Ich habe das Gefühl, dass er die Musik wirklich<br />
lebt“, so Laznik. Er selbst hat sich daran ein Beispiel genommen.<br />
Auch sein eigenes Spiel ist erfüllt von zärtlicher Hingabe an den<br />
musikalischen Moment und zeugt von der hoch konzentrierten und<br />
innigen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Werken. „Bei Gauthier<br />
habe ich gelernt, dass es um viel mehr geht als nur um die technische<br />
Beherrschung“, sagt Laznik. Viel wichtiger seien die ganz<br />
besondere Ausstrahlung eines Klangs und der musikalische Ausdruck.<br />
„Perfektion allein hat keinen Wert“, ist Laznik überzeugt.<br />
Wenn er selbst ein Konzert besuche, gehe es ihm nicht darum, wie<br />
fehlerlos jemand spiele. Viel entscheidender sei, ob der Musiker ihn<br />
emotional berühre. Nichtsdestotrotz neige er selbst zum Perfektionismus,<br />
gesteht Laznik ein. „Ich bin auch im Alltag ziemlich perfektionistisch,<br />
nicht nur in der Musik. Da bin ich eigentlich ziemlich<br />
deutsch“, sagt der Saxofonist und lacht. Parallel zum Studium bei<br />
Gauthier tauchte Laznik in das Kölner Kulturleben ein. Mindestens<br />
dreimal pro Woche besuchte er Konzerte in der Philharmonie,<br />
außerdem ging er oft ins Museum. „Das habe ich extrem genossen“,<br />
erinnert sich Laznik, und auch deshalb sei es für ihn sehr wichtig<br />
gewesen, im Ausland zu studieren.<br />
Heute lebt Oskar Laznik wieder in Ljubljana und unterrichtet<br />
als Professor am dortigen Konservatorium für Musik und Ballett.<br />
Vom ehemaligen Schüler wurde er direkt nach Studienende mit<br />
einem Mal selbst zum Lehrer – ein Schritt, den er nicht bereut hat.<br />
„Ich wollte schon immer auch unterrichten“, sagt Laznik, und das<br />
slowenische Schulsystem sei gerade im Fach Saxofon eines der besten<br />
in Europa. Am Konservatorium unterrichtet Laznik nun Schüler<br />
ES GEHT NICHT DARUM, WIE<br />
FEHLERLOS JEMAND SPIELT.<br />
ENTSCHEIDEND IST, OB DER<br />
MUSIKER EMOTIONAL BERÜHRT<br />
zwischen 14 und 18 Jahren. Und er versucht ihnen das mitzugeben,<br />
was ihm selbst am wichtigsten ist: „offen zu sein für verschiedene<br />
Stile und Werke. Denn die Musik ist so ein großes Feld“. Parallel<br />
dazu konzertiert er regelmäßig und ist als Saxofonist auch immer<br />
wieder Initiator neuer Kompositionen. „Das Saxofon ist ein so junges<br />
Instrument, dass wir als Interpreten gefordert sind, immer wieder<br />
neue Stücke dafür in Auftrag zu geben“, so Laznik. Umso bedeutender<br />
sei daher die zeitgenössische Musik für ihn und seine Kollegen.<br />
Oft nimmt er intensiv teil an der Entstehung eines neuen<br />
Stückes. Dann tauscht er sich aus mit<br />
dem Komponisten, probiert dessen<br />
Ideen auf dem Instrument und feilt mit<br />
am Stück. „Das Saxofon hat in der<br />
klassischen Welt noch immer einen<br />
gewissen Exotenstatus“, sagt Laznik.<br />
Warum das so sei, wisse er selbst nicht,<br />
aber es sei höchste Zeit, das zu ändern.<br />
Der Jazz als eine der Hauptsparten des Saxofons hat ihn dabei nie<br />
besonders interessiert. „Ich war immer sehr traditionell orientiert<br />
und an die klassische Musik gebunden“, erzählt der Musiker, und<br />
gerade die klassische Kammermusik mit anderen Instrumenten sei<br />
für ihn ein Schlüssel zum eigenen Musikverständnis. Dies spiegelt<br />
sich auch auf seinem Album „Légende“ wider, das er zusammen mit<br />
dem Pianisten Tadej Horvat aufgenommen hat. Dialoghaft, ebenbürtig<br />
und innig verbunden treten Saxofon und Klavier hier miteinander<br />
in Beziehung und erschaffen eine lebendige und spannungsvoll<br />
offene Atmosphäre. Das Album ist für Laznik weit mehr<br />
als eine musikalische Momentaufnahme. Es ist ein künstlerisches<br />
Statement mit Gewicht und Strahlkraft. Für sein Debütalbum hat<br />
er ausschließlich Stücke gewählt, die als Originalwerke für Saxofon<br />
geschrieben wurden. Ein Anliegen war ihm dabei, „ganz verschiedene<br />
ästhetische Klangwelten“ aufzuzeigen. Ob bei Paul Hindemiths<br />
Sonate für Altsaxophon und Klavier, dem titelgebenden Stück<br />
Légende op. 54 von Georges Sporck oder Yvan Markovitchs<br />
Complainte et Danse – es ist ihm gelungen. Laznik zeigt sich als<br />
klangsinnlicher und außerordentlich vielseitiger Interpret, der sein<br />
Publikum mit warm strömendem Ton und kompromissloser Präsenz<br />
in den Bann zieht. Sein Spiel ist hierbei von einnehmender<br />
Eleganz und Dichte und führt den Hörer im Zwiegespräch mit dem<br />
Klavierpart in ungeahnte musikalische Räume.<br />
Bei der Erarbeitung von neuen Werken denkt sich Laznik oft<br />
in Streicher oder Sänger hinein, ganz gleich, für welches Instrument<br />
ein Stück ursprünglich komponiert wurde. „Die Phrasierung, die<br />
richtige Balance aus Spannung und Entspannung, die Bedeutung<br />
der musikalisch passenden Atmung – all das sind Dinge, die ich an<br />
Streichern und Sängern sehr natürlich finde und von denen ich mich<br />
inspirieren lasse“, sagt Laznik. Legt er sich in seiner Freizeit einmal<br />
selbst Musik auf, hört er am liebsten Kompositionen für Streichquartett.<br />
Überhaupt seien ihm die Streichinstrumente sehr nahe,<br />
allen voran die Bratsche, und in gewisser Weise versuche er in seinem<br />
eigenen Spiel immer, den Holzklang auf einem Blechblasinstrument<br />
herzustellen. „Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich<br />
das richtige Instrument ausgewählt habe“, sagt<br />
Laznik und lacht. Seine Liebe zum Saxofon aber<br />
hält bis heute an. Und das Schönste daran: Man<br />
kann sie hören.<br />
n<br />
„Légende“, Oskar Laznik, Tadej Horvat (mdg)<br />
27
K Ü N S T L E R<br />
Virtuoses Vexierspiel<br />
Woelfl oder Mozart? Widmann oder Schumann? Die Pianistin Luisa Imorde entdeckt mit tiefer<br />
Sensibilität, einer ernsthaften Prise Humor und leidenschaftlicher Lust an den Tasten kompositorische<br />
Spiegelbilder. Und bringt damit so manchen Kenner ins Grübeln.<br />
VON STEFAN SELL<br />
Wann ich mit dem Klavierspiel begonnen<br />
habe, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich<br />
nicht erinnern, irgendwann einmal nicht<br />
Klavier gespielt zu haben.“ Klavierspielen ist für<br />
Luisa Imorde ein Synonym für leben. Sie entstammt einer Musikerfamilie<br />
und ist bereits mit 29 vielfach preisgekrönt. Es ist nicht nur<br />
das leidenschaftliche Spiel – ihre Ambition für Kontexte und Konnotationen<br />
begeistert ebenso. Die selbstbestimmte Repertoireauswahl<br />
lässt ausgetretene Pfade wieder grünen.<br />
Auf ihrem Debütalbum „Zirkustänze“ verschachtelte sie die<br />
heitere Suite JörgWidmanns und dessen zauberhaften Klavierzyklus<br />
Elf Humoresken raffiniert mit Klavierwerken Robert Schumanns.<br />
Für Widmann, einen der gefragtesten zeitgenössischen Komponisten,<br />
offenbarte sich damit etwas Neues in seinen Werken, Imordes<br />
Funkenüberschlag zwischen romantischer und zeitgenössischer<br />
Tonwelt ist taghell. „Viele Leute haben mir nach Konzerten gesagt,<br />
sie hätten überhaupt nicht mehr gewusst, was ist Widmann und was<br />
ist Schumann.“<br />
Das Pianisten-Duell des Jahres 1798 lautete: Beethoven versus<br />
Woelfl. 220 Jahre später lässt sich behaupten: And the winner is ...<br />
Luisa Imorde! „L’affaire d’honneur“, eine Sache der Ehre, heißt ihr<br />
verzauberndes Album, auf dem sie sich in beide hineinversetzt und<br />
aus der jeweiligen Perspektive die Wettbewerbsbeiträge spielt.<br />
Musik, die vertraut scheint, darf wieder unvertraut klingen. Durchdacht<br />
und ausgeklügelt hat sie die Werke angeordnet und mit viel<br />
Verve den Tasten übergeben. „Ich möchte die Werke zweier Komponisten<br />
so in Bezug setzen, dass sich daraus etwas Drittes ergibt.<br />
Ich finde es genial, dass man das mit älterer Musik noch machen<br />
kann, wo man doch immer denkt, wir kennen alles, und was man<br />
heute nicht mehr kennt, war eben schlecht und nicht hörenswert.“<br />
Joseph Woelfl war seinerzeit ein Starpianist mit Gagen, von<br />
denen ein Beethoven nur träumen konnte: „Woelfl muss im Schnitt<br />
drei Konzerte pro Woche gespielt haben. Ich weiß nicht, wer das<br />
Newcomer<br />
Pianistin<br />
Luisa Imorde<br />
heute noch macht, Yuja Wang wahrscheinlich oder Lang<br />
Lang in seinen Spitzenzeiten. Woelfl war wahnsinnig fleißig,<br />
hat 60 Klaviersonaten, zehn Klavierkonzerte, Sinfonien und<br />
alles mögliche geschrieben. Dabei ist er nur 38 geworden. Bei Beethoven<br />
lag der Fokus nicht so sehr auf dem Konzertieren, er hatte<br />
vielleicht mehr Zeit zu schreiben.“<br />
Luisa Imorde reproduziert nicht einfach. Sie weiß intelligent<br />
austarierte Nuancen zu setzen, die das Hörerlebnis zur inspirierenden<br />
Freude werden lassen: Der Vorhang öffnet sich, und der Zuhörer<br />
darf dabei sein in diesem Winter 1798 in Wien. Woelfl wie Beethoven<br />
spielen Variationen des Salieri-Duetts La stessa aus der Oper<br />
Falstaff. Woelfls Klaviersonate WoO 113 steht Beethovens Pathétique<br />
ebenbürtig ausgereift gegenüber. All das spielt sie, als seien es<br />
Vexierbilder, von denen Kafka sagt: „Das Versteckte in einem<br />
Vexierbild sei deutlich und unsichtbar.“<br />
Ihre Repertoireauswahl ist ein Dialog, der im Ungleichen Gleiches<br />
enthüllt und Gleichzeitigkeit wie gleich Gültiges in der Musik<br />
demonstriert. Für den Hörer eine Einladung teilzuhaben. Imorde entdeckt<br />
das Versteckte so, dass – wie bei Widmann und Schumann –<br />
selbst Kenner ins Grübeln kommen: „Ich habe im Konzert Beethoven-<br />
und Woelfl-Variationen gespielt, ohne zu verraten, was von<br />
wem ist, und das Publikum lag falsch. Es waren Musikwissenschaftler<br />
im Publikum, die dachten, Woelfl sei Beethoven und Beethoven<br />
sei Woelfl. Das war für mich natürlich der größte Erfolg. Ich dachte,<br />
wie toll, das Konzept funktioniert, der Wettbewerb auch (sie lacht<br />
herzlich). Jeder Musikkenner sagt (und sie imitiert die Seriosität der<br />
Fachsimpler): ‚Natürlich erkenne ich Beethoven!‘ “ Entdecken wir<br />
mit Luisa Imorde Beethoven neu und Woelfl<br />
gleich dazu!<br />
■<br />
Joseph Woelfl: „L’affaire d’honneur“, Luisa Imorde (Berlin Classics)<br />
Track 9 auf der <strong>CRESCENDO</strong>-CD: Sonate précédée d’une introduction<br />
et fugue c-Moll WoO 113. III. Allegro molto von Joseph Woelfl<br />
FOTO: JULIA WESELY<br />
28 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
HÖREN & SEHEN<br />
Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz<br />
Attila Csampais Auswahl (Seite 30)<br />
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Sol Gabetta<br />
Wunderbare Erfüllung<br />
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
Gleich zwei ver trau te musi ka li sche Part ner hat die Cel lis tin Sol Gabet ta für ihr neu es Album mit Werken<br />
von Robert Schu mann aus ge wählt. Das im Ori gi nal für Horn kom po nier te Adagio und Alle gro, die drei<br />
Fan ta sie stü cke (ursprüng lich für Kla ri net te) und die Fünf Stü cke im Volks ton präsentiert sie mit ihrem langjäh<br />
ri gen Kam mer mu sik part ner, dem Pia nis ten Bert rand Cha ma y ou. Gemein sam erschaffen sie ein geistrei<br />
ches, bun tes Bild die ser kurz wei li gen Wer ke. Für ihre ers te Ein spie lung des mäch ti gen Cellokonzerts<br />
hat Gabet ta wie der ein mal das Kam mer or ches ter Basel unter der Lei tung von Gio van ni Anto ni ni an<br />
ihrer Sei te. In allen Stü cken besticht sie mit ihrem war men, run den Klang und der sen si blen Phra sen gestal<br />
tung. Durch Satz be zeich nun gen wie „nicht zu schnell“, „mit Humor“ oder „zart und mit Aus druck“<br />
lässt Schu mann wenig Zwei fel an sei nen Vor stel lun gen, die hier eine wun der ba re Erfül lung fin den. Sol<br />
Gabet ta beweist wie der ein mal ihre außer ge wöhn li chen cel lis ti schen und musi ka li schen Fähig kei ten. SK<br />
Robert Schu mann: Sol Gabet ta,<br />
Bert rand Cha ma y ou, Kam mer or ches ter<br />
Basel, Gio van ni Anto ni ni (Sony)<br />
FOTO: DAVID MAUPILE<br />
29
H Ö R E N & S E H E N<br />
Empfehlungen von Attila Csampai<br />
FASZINIERENDE NEWCOMER UND<br />
ANDERE MUSIKMAGIER<br />
… begeistern unseren Chefrezensenten im neuen Jahr.<br />
MOZART: PIANO CON CERTO NO 20 K 466,<br />
SONATAS K 281 & K 332<br />
Seong-Jin Cho, Chamber Orchestra of Europe,<br />
Yannick Nézet-Séguin (DG)<br />
Der große russische Mozart-Experte Georgi W.<br />
Tschitscherin spürte in dessen Musik die „Urkräfte<br />
des Universums“. Was er damit gemeint haben<br />
könnte, kann man jetzt auf dem ersten Mozart-Album der südkoreanischen<br />
Klavier-Hoffnung Seong-Jin Cho im Klang erleben. Selten<br />
entlockte ein junger Pianist im Wechselspiel mit dem ähnlich aufgekratzten<br />
Chamber Orchestra of Europe dem populären d-Moll-Konzert<br />
solche existenzielle Kraft, solche geballte, dramatische Wucht. Hier<br />
treffen, wie im Don Giovanni, stärkster Lebenswille und schicksalshafte<br />
Gegenmächte unvermittelt aufeinander und liefern dem Hörer<br />
ein hochdramatisches, dabei glasklar durchgezeichnetes Szenario<br />
schärfster Gefühlskontraste. Vor wenigen Monaten erst überraschte<br />
uns der 24-jährige Wahl-Berliner durch sein kalligrafisch-feingliedriges<br />
Debussy-Album, das meditativen Klangzauber verströmte. Dagegen<br />
wirkt sein Mozart-Zugriff geradezu energisch und schlackenlos<br />
prägnant und entfacht jugendliches Feuer und ungestüme Lebenskraft.<br />
Diesen klaren, hellwachen Blick auf Mozarts impulsreiche Dramatik<br />
kultiviert Cho dann auch in den beiden Sonaten KV 281 und 332,<br />
denen er einen ähnlichen Reichtum an Gefühlskontrasten abtrotzt.<br />
Hier bezieht ein hochtalentierter Newcomer und ausgeschlafener<br />
Mitstreiter Gegenposition zu den Armeen von blassen<br />
Mozart-Säuslern.<br />
SCHUBERT 1828: PIANO SONATAS D. 958, 959,<br />
960, 3 KLAVIERSTÜCKE D. 946<br />
Alexander Lonquich (Alpha)<br />
Track 2 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />
Klaviersonate Nr. <strong>19</strong> c-Moll, D. 958, II. Adagio<br />
Keine Frage, dass Schuberts letzte drei Klaviersonaten,<br />
die er zwei Monate vor seinem Tod vollendete,<br />
zu den Gipfelwerken der Gattung zählen. Aber nur wenige<br />
Pianisten vermochten deren unglaubliche innovative Substanz und<br />
das Ausmaß des Tragischen überzeugend umzusetzen, da die meisten,<br />
unter dem Eindruck von Schuberts äußeren Lebensumständen, das<br />
Fiebrig-Kränkelnde, Depressiv-Verhangene und die lähmende Todesnähe<br />
in den Vordergrund rückten. Auch der heute 58-jährige Alexander<br />
Lonquich unterstreicht im Booklet-Text seiner neuen, schlackenlos<br />
klaren Einspielung der Trias deren „betont erzählerischen<br />
Charakter“ und deutet sie als „fortlaufende Geschichte eines einzigen<br />
Romans“. Und dennoch durchleuchtet er ihre strukturelle Komplexität,<br />
ihre harmonischen Kühnheiten und emotionalen Abgründe mit<br />
Beethovenscher Rigorosität und einer dem Kompositionsprozess folgenden<br />
Klarheit und Stringenz, die diese letzten Arbeiten als Manifeste<br />
visionärer Modernität und einer mit neuen Inhalten gefüllten Wahrhaftigkeit<br />
ausweisen: Lonquichs faszinierende Anschlagskultur, sein<br />
perfektes, flexibles Timing, seine schlackenlose Prägnanz und sein<br />
dramatisch geschärfter, stets plausibler Erzählstrom enthüllen die tiefe<br />
Trost- und Ausweglosigkeit dieser Werke in ungeschützter, entblößter<br />
Klarheit und verweigern entschieden jede Spur von falscher Gefühligkeit.<br />
Das ist fesselnd und erschütternd zugleich.<br />
MENDELSSOHN: PIANO CONCERTOS 1 & 2,<br />
RONDO BRILLANT, OUVERTURE<br />
„DIE HEBRIDEN“<br />
Roberto Prosseda, Residentie Orkest The Hague,<br />
Jan Willem de Vriend (Decca)<br />
Mendelssohns Ächtung durch die Nazis ist bis<br />
heute nicht überwunden. Noch immer ist das<br />
Interesse des breiten Publikums und vieler Musiker auf wenige Werke<br />
beschränkt, während vieles andere, wie etwa sein umfangreiches Klavierwerk,<br />
ein klägliches Schattendasein fristet. Hier zählt der italienische<br />
Pianist Roberto Prosseda zu den weltweit führenden Mendelssohn-Aktivisten,<br />
denn er hat nicht nur als Erster das gesamte Solo-Klavierwerk<br />
modellhaft eingespielt, sondern auch eine Reihe verschollener<br />
Stücke wiederentdeckt. Jetzt hat er mit dem traditionsreichen Residentie<br />
Orkest aus Den Haag und seinem Chef Jan Willem de Vriend<br />
die beiden reifen Klavierkonzerte in g-Moll und d-Moll in einer elektrisierend<br />
frischen, ungestüm drängenden und historisch herben Interpretation<br />
aufgenommen und so zwei Meisterwerken der frühen<br />
Romantik eine in jedem Moment spannungsreiche und aufregende<br />
Klanggestalt verliehen. Dass er dem derzeit herrschenden Trend zu<br />
historischen Fortepiani widersteht und seine stets prägnante Artikulation<br />
lieber auf einem modernen Fazioli-Flügel glasklar ausformuliert,<br />
unterstreicht die zeitlose Modernität und die virtuose Brillanz dieser<br />
ewig jungen Konzerte, die die Schönheit und das humane Antlitz des<br />
Mozart’schen Erbes in sich tragen und genialisch weiterentwickeln.<br />
Das Rondo Brillant fungiert da als virtuos funkelndes, ähnlich temperamentvolles<br />
Bindeglied zwischen den Konzerten.<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
30 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
IMPRESSUM<br />
BEETHOVEN: SYMPHONY NO. 3 „EROICA“,<br />
BRAHMS: VARIATIONS ON A THEME BY HAYDN<br />
Maxim Emelyanychev, Nizhny Novgorod Soloists<br />
Chamber Orchestra (Aparté)<br />
Maxim Emelyanychev zählt zu den größten Hoffnungen<br />
der russischen Musikszene. Seit 2016 leitet<br />
er das renommierte Barockensemble Il pomo<br />
d’oro. Für sein Dirigenten-Debüt hat er sich zwei sinfonische Kronjuwelen<br />
ausgesucht: Wer sich heute an Beethovens Eroica herantraut,<br />
muss über Zauberkräfte verfügen, um das alte Schlachtross in ein<br />
Rennpferd zu verwandeln. Doch Emelyanychev meistert die Verjüngungskur<br />
mit tänzerischer Unbekümmertheit und Anmut, die alles<br />
heroische Pathos, allen Titanismus, alle romantische Bedeutungsschwere<br />
von ihm abfallen lassen und es in die schlanken, spielerisch<br />
drängenden Bewegungsmuster einer klassischen Sinfonie zurückführen.<br />
Mit historisch orientierter, leichtfüßiger Transparenz verweisen<br />
seine Nizhny Novgorod Soloists wieder auf die strukturelle Logik von<br />
Beethovens revolutionärer Satztechnik und entfachen mit riesigen<br />
Atembögen eine sog artige Stringenz, die ohne äußeren Druck die<br />
Musik selbst sprechen lässt. Mit ähnlich frischem Puls entstaubt Emelyanychev<br />
auch Brahms’ Haydn-Variationen und durchglüht sie mit<br />
jugendlichem Feuer.<br />
SALUT D’AMOUR<br />
Sueye Park, Love Derwinger (BIS)<br />
Dass sie zu den herausstechendsten Begabungen<br />
der gar nicht so dichten jungen Geigerszene<br />
gehört, hat die in Berlin ausgebildete Koreanerin<br />
Sueye Park schon im vergangenen Jahr mit ihrem<br />
musikalisch wie technisch exzellenten Debütalbum<br />
und den 24 Solo-Capricen Paganinis spektakulär unterstrichen.<br />
Jetzt gibt es ein weiteres Manifest geigerischer Perfektion mit ähnlich<br />
unspielbaren romantischen Encores, diesmal mit einfühlsamer Klavierbegleitung<br />
durch Love Derwinger und gespickt mit zwei weiteren<br />
grausamen Solonummern wie Milsteins Paganiniana und Heinrich<br />
Wilhelm Ernsts Die letzte Rose. Was die erst 17 Jahre junge Violinhexe<br />
hier wieder abliefert, ist nicht nur von technischer Makellosigkeit und<br />
virtuoser Brillanz, die einem den Atem rauben, sondern verströmt<br />
eine schier unglaubliche stilistische Souveränität und Reife. Sueye Park<br />
knüpft damit an die großen alten Ikonen des Violinspiels an, die alle<br />
Zauberer waren und in der Lage, auch diese Petitessen in den Rang<br />
von Kunstwerken zu heben. Ihr Album entführt uns in eine längst<br />
vergangene Welt der musikalischen Schönheiten: simply irresistible!<br />
VERDI: MACBETH<br />
Shirley Verett, Piero Cappuccilli, Nicolai Ghiaurov,<br />
Plácido Domingo, Core e Orchestra del Teatro alla<br />
Scala, Claudio Abbado (DG)<br />
Bei Verdis Oper Macbeth ist Maria Callas’ sensationeller<br />
Scala-Auftritt im Jahr <strong>19</strong>52 bis heute der<br />
Maßstab geblieben: Die erste rundum überzeugende<br />
Studioaufnahme gelang Claudio Abbado erst 24 Jahre später,<br />
als er die gefeierte Scala-Produktion Giorgio Strehlers für die Schallplatte<br />
nachproduzierte. Diese auch akustisch exzellente Referenzaufnahme<br />
gibt es jetzt in einem neuen digitalen Remaster, und sie hat<br />
nichts eingebüßt von ihrer jugendlichen Frische, ihrer scharfen, rhythmischen<br />
Attacke und ihrer fesselnden Klarheit. Es ist bis heute die im<br />
Orchesterspiel sorgfältigste, in der vokalen Gesamtleistung homogenste<br />
Einspielung dieser finsteren Oper geblieben, die in den männlichen<br />
Partien mit Piero Cappuccilli (Macbeth), Nicolai Ghiaurov<br />
(Banco) und Plácido Domingo (Macduff) die damals weltweit führenden<br />
Akteure aufbot. Auch Shirley Verett lieferte ein hochdramatisches<br />
Porträt der Lady, wenngleich ihr das entscheidende Quantum vokalen<br />
Gifts fehlte, während der junge Abbado das Kunststück fertigbrachte,<br />
den nötigen theatralischen Furor mit einer an Pedanterie grenzenden<br />
Präzision im Orchester und bei den Chören zu verknüpfen.<br />
VERLAG<br />
Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München<br />
Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11, info@crescendo.de, www.crescendo.de<br />
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und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring<br />
HERAUSGEBER<br />
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ART DIRECTOR<br />
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LEITENDE REDAKTEURIN<br />
Barbara Schulz | schulz@crescendo.de<br />
RESSORT „SCHWERPUNKT“<br />
Dr. Maria Goeth | goeth@crescendo.de<br />
RESSORT „HÖREN & SEHEN“ UND „ERLEBEN“<br />
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Klaus Härtel | haertel@crescendo.de<br />
RESSORT „KÜNSTLER“ UND „LEBENSART“<br />
Barbara Schulz | schulz@crescendo.de<br />
SCHLUSSREDAKTION<br />
Maike Zürcher<br />
KOLUMNISTEN<br />
Axel Brüggemann, Paula Bosch, Attila Csampai (AC), Ioan Holender,<br />
Daniel Hope, Lars Reichardt, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)<br />
MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />
Florian Amort (FA), Roland H. Dippel (DIP), Alexander Fischerauer (AF),<br />
Verena Fischer-Zernin, Philipp Hontschik, Klaus Kalchschmid (KLK),<br />
Sina Kleinedler (SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Guido Krawinkel (GK),<br />
Jens F. Laurson (JFL), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Alexander Rapp (LXR),<br />
Steffen Schleiermacher, Antoinette Schmelter-Kaiser (ASK), Stefan Sell (SELL),<br />
Fabian Stallknecht (FS), Dorothea Walchshäusl (DW), Walter Weidringer (WW)<br />
VERLAGSREPRÄSENTANTEN<br />
Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />
Kulturbetriebe: Dr. Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de<br />
Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de<br />
Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de<br />
AUFTRAGSMANAGEMENT<br />
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Nr. 22 vom 09.09.2018<br />
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Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.<br />
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69.680 (lt. IVW-Meldung 1V/2018)<br />
ISSN: 1436-5529<br />
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Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks<br />
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ERSCHEINT AM 15. MÄRZ 20<strong>19</strong>.<br />
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unterstützt<br />
31
H Ö R E N & S E H E N<br />
FOTO: NANCY HOROWITZ<br />
Mozarteumorchester<br />
Fragment im Fiebertraum<br />
ORCHES-<br />
TER<br />
Dieser (Uraufführungs-)Mitschnitt aus dem Salzburger<br />
Mozarte um von 2005 ist doppelt spannend. Erstens, weil<br />
Mozarts Requiem ohne jede Ergänzung erklingt und somit<br />
radikal ein Torso bleibt. Das fokussiert das Hörerlebnis<br />
auf das Wesentliche, also das, was Mozart ursprünglich<br />
nie dergeschrieben hat: den vierstimmigen<br />
Vokalsatz. Zweitens, weil Georg Friedrich Haas<br />
in die Leerstellen sie ben Klangräume setzt und<br />
mit seinem Auftragswerk expressiv auf Mozart<br />
reagiert – in der Anmutung, wir würden in die<br />
Fieberträu me des Sterbenden hineinlauschen.<br />
Nach dem Lacrimosa bedeutet das geräuschhafte<br />
Kargheit, ansonsten bildet ein Brieftext von 1791<br />
die Grundlage: jenes in star rem Bürokratendeutsch abgefass<br />
te Schreiben, in dem Mozart eine unbezahlte Stelle<br />
am Stephansdom zugesprochen bekommt. Im Gan zen<br />
klingt das nicht nur historisch und zeitgenössisch informiert,<br />
son dern auch beklem mend, tröst lich<br />
und erha ben zugleich. WW<br />
Mozart: „Requi em KV 626“, Georg Haas: „Sie ben<br />
Klang räu me“, Salz bur ger Bach chor, Mozarteumorchester<br />
Salzburg, Ivor Bol on (Belvedere)<br />
Sabine Devieilhe und Lea Desandre<br />
Liebe in allen<br />
Facetten<br />
GESANG<br />
Als Georg Fried rich Hän del 1707 nach Rom kam, waren Opern auffüh run gen ver boten.<br />
Nach einem Erd be ben hat te der Papst sie für über flüs si gen Luxus erklärt. Doch<br />
welt li che Kan ta ten, kur ze dra ma ti sche Sze nen in klei ner Beset zung waren davon<br />
nicht betroffen. Also kom po nier te Hän del kur zer hand in die ser Form. Sei ne Kan taten<br />
han deln von den ganz gro ßen Gefüh len: Lie be in allen tra gi schen, dra ma ti schen<br />
und glück li chen Facet ten. Drei wun der ba re Künst le rin nen haben sich in die se Wer ke<br />
ver tieft: die Sän ge rin nen Sabi ne Devi eil he und Lea Desand re und die Cem ba lis tin und<br />
Diri gen tin Emma nu el le Haïm mit ihrem Barock ensem ble Le Con cert d’Astrée.<br />
Gemein sam ist ihnen eine Ein spie lung gelun gen, die den Hörer sofort in den Bann<br />
der über 300 Jah re alten Musik zieht. Desand re zeigt beson ders in der tra gi schen<br />
Rol le der Lucre zia eine fas zi nie ren de Kraft und Fle xi bi li tät ihrer Stim me. Devi eil he,<br />
als die von ihrem Gelieb ten Rinal do ver las se ne Zau be rin Armi da, ist aus drucks stark<br />
suchend, seh nend. SK<br />
Hän del: „Ita li an Can ta tas“, Sabi ne Devi eil he, Lea Desand re, Le Con cert d’Astrée,<br />
Emma nu el le Haïm (War ner)<br />
32 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
SOLO<br />
Mel Mercier<br />
Füllhorn des<br />
Lebens<br />
Von Beginn an keimt die Erin ne rung an<br />
John Cages zeit los wun der ba res Hörepos<br />
Roara to rio, des sen Fähr te Mer cier<br />
auf nimmt. Das Album klingt wie aus<br />
einem Guss, obwohl der iri sche Sound-<br />
Desi gner Thea ter mu si ken aus ver schiede<br />
nen Schaffens pe ri oden zusam men gestellt<br />
hat. Jede für sich ist eine Col la ge<br />
von Stim men, Tönen, Rhyth men, Melodi<br />
en und Rezi ta ti ons split tern, die wie<br />
Ton trop fen zu einem Oze an des Klangs<br />
wer den. Der Ver weis auf Cage kommt<br />
nicht von ungefähr,<br />
haben doch<br />
Mel Mer cier und<br />
sein Vater Pea dar<br />
Mer cier, ehe mals<br />
Mit glied der<br />
Chief tains, in<br />
Roara to rio mit<br />
der aus ge wo ge nen Bril lanz ihres<br />
Bodhrán spiels für die ver knüp fen de<br />
Rhyth mik gesorgt. Der Vor gang des<br />
Recom po sing and Remi xing hat die einzel<br />
nen Stü cke aus ihrem frü he ren Kontext<br />
befreit und ihnen ein neu es Eigen leben<br />
ver lie hen, das in kel tisch bud dhis tischer<br />
Lee re das Füll horn des Lebens<br />
zeigt. Groß ar tig und hörens wert. SELL<br />
Mel Mercier: „Testament“ (Hersey)<br />
Elmira Darvarova und Zhen Chen<br />
Gemeinsame<br />
Spielfreude<br />
Dem Duo Elmi ra Dar va ro va und Zhen Chen<br />
gelingt es mühe los, den Brahms-Sona ten einen<br />
leben di gen Atem ein zu hau chen. Die Leich tig keit<br />
in den Alle gro-Sät zen har mo niert wun der bar<br />
mit den melan cho li schen und erns te ren Tei len<br />
wie dem Ada gio der G-Dur-Sona te. In wei ser<br />
Vor aus sicht hütet sich das Duo vor jeg li chem<br />
über trie be nen Pathos. Statt des sen ste hen<br />
gemein sa me Spiel freu de, musi ka li sche Erzählkunst<br />
und melo diö ser Gestal tungs wil le im Vorder<br />
grund. Über haupt ist das Zusam men spiel<br />
zwi schen den bei den Instru men ten ganz besonders<br />
aus ge wo gen. Chen zeigt sich als ein fühl samer<br />
Beglei ter, der einen idea len Klang tep pich<br />
für die gra zi len Kan ti le nen Dar va ro vas aus breitet.<br />
Die se ent lockt ihrer Vio li ne eben so fei ne<br />
wie auch mar kan te Töne und über zeugt besonders<br />
in der span nungs rei chen Aus ge stal tung der<br />
gro ßen Brahms’schen Satz struk tu ren. Da fal len<br />
ein paar klei ne into na to ri sche Eigen wil lig kei ten<br />
nicht wei ter ins Gewicht. Durch gän gig inspi riert<br />
und über zeu gend. AF<br />
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
Brahms: „The Com ple te Sona tas<br />
for Vio lin and Pia no“, Elmi ra<br />
Dar va ro va, Zhen Chen (Solo<br />
Musi ca)<br />
Track 6 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />
Abo-CD: Sonate für Geige &<br />
Klavier Nr. 3 d-Moll, II. Adagio<br />
Oscar Peterson<br />
Easy-Listening-Jazz<br />
vom Feinsten<br />
Jazz-Puris ten hal ten Oscar Peter sons LP<br />
„Motions & Emo ti ons“ für einen Fehl tritt.<br />
Nach einer Rei he exzel len ter Trio-Alben produ<br />
zier te der kana di sche Kla vier gi gant im Jahr<br />
<strong>19</strong>69 für das Schwarz wäl der Jazz-Label MPS<br />
ein mit ra f inier ten Blä ser- und Strei cher -<br />
arrangements von Claus Ogerman angereichertes<br />
Album, auf dem er aktu el le Pop- und<br />
Bos sa-Nova-Hits von Tom Jobim, den Beat les<br />
oder Hen ry Man ci ni im typi schen Soft Sound<br />
der Zeit zu ver träum ten oder auch sanft<br />
swin gen den „Easy-Listening“-Appetizern verwan<br />
del te, zugleich aber auch hier sei ne<br />
unglaub li che Krea ti vi tät und Vir tuo si tät aufblit<br />
zen ließ. Jetzt hat Edel die ses Uni kum<br />
remas te rt und Start rom pe ter Till Brön ner als<br />
„Ambassa dor“ gewon nen, der im Book let in<br />
höchs ten Tönen davon schwärmt. Tat säch lich<br />
han delt es sich um ein authen ti sches Dokument<br />
des damals herr schen den musi ka li schen<br />
Zeit geis tes und um ein in sei ner Art per fek tes<br />
Arte fakt nobler Unter hal tung. AC<br />
Oscar Peter son: „Moti ons<br />
& Emo ti ons“ (MPS)<br />
JAZZ<br />
SOLO<br />
Boris Giltburg<br />
Gespür für<br />
Zwischentöne<br />
Boris Gilt burg eröff net sei ne Liszt-Ein spie lung mit<br />
der lyri schen Rigo let to-Para phra se, in der er den<br />
Hörer durch eine bezau bern de Sang lich keit sofort<br />
in den Bann zieht. Sei ne dyna mi sche Gestal tung<br />
wie auch der Umgang mit Klang far ben zeu gen von<br />
einem beson de ren Gespür für fei ne Zwi schentö<br />
ne, nicht zuletzt in den vir tuo sen Pas sa gen der<br />
tech nisch unge heu er her aus for dern den Étu des<br />
d´exécution trans cen dan te. Die Inter pre ta ti on der<br />
zwölf Etü den zeich net sich durch einen feu riglei<br />
den schaft li chen Ges tus aus, wobei Gilt burg es<br />
ver steht, die Klang mög lich kei ten des Kla viers voll<br />
und ganz aus zu schöp fen. Im Lyri schen zärt lich und<br />
bewe gend, im Vir tuo sen auf brau send und lei denschaft<br />
lich – Gilt burg beweist, dass Franz Liszts<br />
berühm te Etü den weit mehr zu bie ten haben als<br />
blo ße Vir tuo senkunst. AF<br />
Liszt: „Étu des d’exécution<br />
trans cen dan te“, Boris Gilt burg (Naxos)<br />
Track 7 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />
No. 12 b-Moll „Chasse-neige“,<br />
Andante con moto<br />
FOTO: SASHA GUSOV<br />
33
H Ö R E N & S E H E N<br />
ORCHES-<br />
TER<br />
René Jacobs<br />
Farbenreich und<br />
vielschichtig<br />
Mit den Sin fo ni en Nr. 1 und Nr. 6 sind auf diesem<br />
Album zwei packen de Früh wer ke Franz<br />
Schu berts zu erle ben, die die sen als eben so<br />
lebens freu di gen wie rin gen den Men schen<br />
offen ba ren. René Jacobs erweckt sie mit seinem<br />
B’Rock Orches tra far ben reich und vielschich<br />
tig zum Leben und fas zi niert dabei mit<br />
einem erfri schend ande ren und direk ten<br />
Zugang zu den Jugend wer ken. Dabei betont er<br />
eben so humor voll, kon trast reich und hin tersin<br />
nig die kar ne val es ken Sei ten der Stü cke,<br />
wie er die dra ma ti schen und düs te ren Phra sen<br />
aus ge stal tet. Das B’Rock Orches tra über zeugt<br />
unter sei ner Lei tung als inten siv und dicht aufspie<br />
len der Klang kör per mit his to ri schen<br />
Instru men ten, der dabei nie an Trans pa renz<br />
ein büßt. Licht und Schat ten, höchs te Freu de<br />
und tie fe Melan cho lie lie gen bei der packenden<br />
Inter pre ta ti on der zwei Sin fo ni en stets<br />
eng bei ein an der und zei gen Schu bert in sei ner<br />
gan zen musi ka li schen Fül le. DW<br />
Schu bert: „Sym pho ny No. 1<br />
& No. 6“, B’Rock Orches tra,<br />
René Jacobs (Pen ta to ne)<br />
Track 1 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />
Abo-CD: Sinfonie Nr. 6 C-Dur,<br />
D. 589, II. Andante<br />
Concentus Musicus Wien<br />
Vollendet<br />
Nie klang Schu berts Unvoll ende te so vollendet<br />
wie in die ser voll kom me nen Einspie<br />
lung des Con cen tus Musi cus Wien<br />
unter Ste fan Gott fried. Bereits als<br />
Teen ager Fan des Ensem bles, war Gottfried<br />
lan ge Har non courts Assis tent und<br />
lei tet seit 2016 die ein zig ar ti ge Musi kerver<br />
bin dung. Schu bert, der nur zwei Sät ze<br />
zu sei ner h-Moll-Sin fo nie hin ter ließ, lässt<br />
bis heu te die Exper ten rät seln. Auch die<br />
Vari an te, Schu bert selbst hät te sie als<br />
voll endet betrach tet, ist eine der Deu tungen.<br />
Das von Schu bert skizzierte Trio<br />
Scherzo Alle gro wur de oft von frem der<br />
Feder aus kom po niert, sel ten so ra f iniert<br />
und ein fühl sam wie hier vom ita lie ni schen<br />
Kom po nis ten Nico la Sama le und dem<br />
deut schen Musik for scher Ben ja min-<br />
Gun nar Cohrs. Die Krö nung der CD<br />
sind Schu berts von Brahms und Webern<br />
orches trier te Lie der, deren viel sa gen de<br />
Inter pre ta tio nen des Aus nah me-Bass ba ritons<br />
Flo ri an Boesch tief berüh ren. SELL<br />
„Schu bert Unfinished“:<br />
Flo ri an Boesch,<br />
Con cen tus Musi cus<br />
Wien, Stefan Gottfried<br />
(Aparte)<br />
TANZ<br />
Juilliard String Quartet<br />
Meilensteine der<br />
Kammermusik<br />
Das Juil li ard String Quar tet zählt zu den<br />
unbe strit te nen Gigan ten unter den Strei cheren<br />
sem bles. Mit te der <strong>19</strong>40er-Jah re reg te<br />
Wil liam Schu man, Lei ter der renom mier ten<br />
Juil li ard School in New York, die Grün dung<br />
eines Resi denz-Quartetts an. Die Musi ker<br />
soll ten älte res Kernrepertoire mit neu er Frische<br />
prä sen tie ren und sich ernst haft mit<br />
Wer ken aus der Gegen wart befas sen. Den<br />
hohen Erwar tun gen wird das Ensem ble seit<br />
Jahr zehn ten gerecht. Mit Ein spie lun gen von<br />
Wer ken Mozarts, Haydns, Beet ho vens, Schuberts,<br />
Bergs oder Car ters hat es inter na tio nal<br />
Maß stä be gesetzt. In der vor lie gen den Box<br />
sind die Gesamt auf nah men für das Label RCA<br />
zwi schen <strong>19</strong>57 und <strong>19</strong>60 ver sam melt. Mit Elan<br />
und Akku ra tes se inter pre tiert das Quar tett<br />
Schu berts Der Tod und das Mäd chen eben so<br />
wie Stü cke von Debus sy und Ravel. Die elf<br />
CDs umfas sen de Box bie tet einen fas zi nie renden<br />
Rück blick auf eine Zeit, in der noch legendä<br />
re Grün dungs mit glie der wie Robert Mann<br />
und Rapha el Hil ly er<br />
dabei waren. CK<br />
„The Com ple te Record ings<br />
<strong>19</strong>57 –60“, Juil li ard String<br />
Quar tet (Sony)<br />
André Previn<br />
Spielerische<br />
Frische und Feuer<br />
Para dox genug: Bis heu te steht die vier ak ti ge,<br />
zwei ein halb Stun den lan ge „ori gi na le“ Bal lett mu sik<br />
zu Shake speares Romeo und Julia, die Ser gei Pro kofjew<br />
<strong>19</strong>36 voll ende te, im Schat ten der drei spek taku<br />
lä ren Orches ter sui ten. Jetzt hat War ner eine<br />
Modellauf nah me der 52-tei li gen Bal lett mu sik auf<br />
drei 180-g-Vinyls wie derauf ge legt, die André Previn<br />
<strong>19</strong>73 in Lon don mit dem Lon don Sym pho ny<br />
Orches tra pro du zier te und die bis heu te nichts<br />
ein ge büßt hat von ihrer betö ren den Far ben pracht,<br />
ihrer spie le ri schen Fri sche und ihrem dra ma ti schen<br />
Feu er. Man staunt vor allem über die sti lis ti sche<br />
Viel falt Pro kof jews, der hier stän dig die Hal tung<br />
wech selt zwi schen Klas si zi tät, Moto rik, Lyris mus<br />
und Gro tes ke. Allein für das tra gi sche Lie bes paar<br />
erfin det er mehr als 20 ver schie de ne The men, die<br />
das Werk leit mo ti visch durch zie hen. So konn te der<br />
damals 44-jäh ri ge Musik di rek tor des Lon don Sympho<br />
ny Orches tra des sen unglaub li che Spiel kul tur<br />
punkt ge nau und rhyth misch swin gend auf blü hen<br />
las sen und die Hand lung im rich ti gen Kon text präsen<br />
tie ren. Auch die Klang qua li tät der Auf nah me ist<br />
exzel lent, sodass sie selbst<br />
nach 45 Jah ren kei ne Konkur<br />
renz fürch ten muss. AC<br />
Pro kof jew: „Romeo and Juliet“,<br />
Lon don Sym pho ny Orches tra, André<br />
Pre vin (War ner)<br />
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
Stefan Zweig Trio<br />
Üppige Schwelgerei<br />
Das Ste fan Zweig Trio ist nicht das ers te<br />
Ensem ble, das Alex an der Zem lin skys – für<br />
einen Wett be werb mit Johan nes Brahms als<br />
Jury-Mit glied ent stan de nes – Kla vier trio mit<br />
Vio li ne anstel le der ori gi nal vor ge se he nen<br />
Kla ri net te aufführt. Die se Kom bi na ti on des<br />
Opus Zem lin skys mit dem Debüt werk seines<br />
pro mi nen ten Schü lers Erich Wolf gang<br />
Korn gold hat es in sich. Voll endung und<br />
Auf bruch sind Kate go ri en, die bei de<br />
Schwel len wer ke nur in Teil as pek ten defi nieren,<br />
zumal das Ste fan Zweig Trio sie mit<br />
einer immensen Lust an der Viel falt aller<br />
nur denk ba ren Lega to-Kul tu ren zele briert.<br />
Hier deu tet nichts dar auf hin, dass Arnold<br />
Schön berg als bald die bis dahin gül ti gen<br />
Ton sys te me infra ge stel len wird. Im Gegenteil:<br />
Das Ste fan Zweig Trio ris kiert fast süffi<br />
ge Ele ganz und unver schäm te Run dun gen<br />
mit rei fem bis über rei fem Klang. Die se<br />
„luxu rie ren de Mor bi dez za“ ist gera de für<br />
das Trio des zu sei ner Ent ste hung 13-jäh rigen<br />
Korn golds ide al. DIP<br />
Korn gold: „Kla vier trio<br />
op. 1“, Zem lin sky:<br />
„Kla vier trio op. 3“,<br />
Ste fan Zweig Trio<br />
(Ars Pro duc tion)<br />
Il pomo d’oro<br />
Schönstimmiges<br />
Brüderpaar<br />
Erst nach der Wie der ent de ckung in Göt tin gen<br />
<strong>19</strong>24 wür dig te man, mit welch modern anmuten<br />
der, subtiler Iro nie Hän del die ero ti schen<br />
Ver wir run gen um den Per ser kö nig Arta xer xes<br />
ver tont hat te. Für die 1738 in Lon don wenig<br />
erfolg rei che Oper um das berühm te Lar go<br />
ori en tier te er sich an Sil vio Stam pi gli as Libretto<br />
für Gio van ni Bonon ci ni. Unter Maxim<br />
Emely any chev macht das Ori gi nal klang-<br />
Ensem ble Il pomo d’oro sei nem Namen<br />
alle Ehre. Das gel be Label hat nach Fran co<br />
Fagio lis fas zi nie ren dem Hän del-Album um den<br />
argen ti ni schen Coun ter te nor und Vivi ca<br />
Genaux in den Par ti en der so unter schied lichen<br />
Brü der Ser se und Arsa mene ein stil kundi<br />
ges und mit allen voka len Fines sen agie rendes<br />
Ensem ble arran giert. Inten siv gestal te te<br />
Rezi ta ti ve, ein jugend lich dyna mi scher Vortrag,<br />
dazu opti ma les Gespür für die Spannungsbögen<br />
von Händels Arien-Ketten machen<br />
die se Neu ein spie lung zum Ver gnü gen. DIP<br />
„Han del: Ser se“, Fran co<br />
Fagio li, Vivi ca Genaux, Inga<br />
Kal na u. a., Il pomo d’oro,<br />
Maxim Emely any chev<br />
(Deut sche Gram mo phon)<br />
ALTE<br />
MUSIK<br />
34 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
„It changed my life. It is impacting,<br />
seismic – like an earthquake.“<br />
Zane Zalis, Komponist<br />
„Musik ist der Schlüssel<br />
zu unseren Herzen.“<br />
Rabbi Peretz Weizmann<br />
I<br />
BELIEVE<br />
A HOLOCAUST ORATORIO FOR TODAY<br />
Chor- und Orchesterwerk von Zane Zalis<br />
Solitude Chor © Foto HaWa, Material der Staatsoper Lodz<br />
SA / 9. MRZ 20<strong>19</strong> / 20.00 UHR<br />
HISTORISCHE STADTHALLE / WUPPERTAL<br />
SO / 10. MRZ 20<strong>19</strong> / 18.00 UHR<br />
ERHOLUNGSHAUS / LEVERKUSEN<br />
Kelsey Cowie (Sopran) / Jean-Pierre Quellet (Tenor) / Marko Zeiler (Bass),<br />
Solitude-Chor Stuttgart / Einstudierung: Klaus Breuninger,<br />
Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal / Einstudierung: Georg Leisse,<br />
Leverkusener Kinder- und Jugendchor / Einstudierung: Nicole Jers und<br />
Martin te Laak, Sprecher: Stefan Müller-Ruppert<br />
Bayer-Philharmoniker / Dirigent: Bernhard Steiner<br />
Karten: 26 bis 36 Euro<br />
35
H Ö R E N & S E H E N<br />
4 Wheel Drive<br />
Top-Quartett mit<br />
Pop-Klassikern<br />
4 Wheel Dri ve heißt das ers te Album eines neu en<br />
Quar tetts euro päi scher Jazz-Grö ßen, die ein an der<br />
lan ge ken nen und schon in ver schie de nen For ma tionen<br />
mit ein an der gear bei tet haben: Ange trie ben von<br />
den fet zi gen Soli des schwe di schen Posau nen-Cracks<br />
Nils Land gren, ver zah nen sich Micha el Woll ny (Pia no),<br />
Lars Dani els son (Bass) und Wolf gang Haff ner (Per kussi<br />
on) zu einem musi ka li schen Hoch leis tungs mo tor, der<br />
in vier vir tuo sen Eigen kom po si tio nen und acht klas sischen<br />
Popsongs von Sting, Phil Col lins, Bil ly Joel und<br />
Paul McCart ney die se Ohr wür mer kraft voll neu aufbe<br />
rei tet, wobei Land gren in sechs bal la des ken Titeln<br />
mit rau chig-sanf ter Stim me auch den Vokal part übernimmt.<br />
Ein über wei te Stre cken über ra schend ruhi ges,<br />
besinn lich-inti mes Album ver eint vier star ke Pro fi le in<br />
traum wand le ri scher Homo ge ni tät und bestechen der<br />
Dich te und scheint wie geschaffen für beschau li che<br />
Win ter aben de. Zwi schen drin aber geben die vier auch<br />
wie der mäch tig Gas und las sen ihre Funk- und Rock-<br />
Gene auf blit zen, so in einer kna cki gen 7/8-Ver si on von<br />
Lady Madon na. Ist es womöglich<br />
die Geburt einer neu en<br />
Super-Group? AC<br />
Nils Landgren, Michael Wollny, Lars<br />
Danielsson, Wolfgang Haffner:<br />
„4 Wheel Drive“ (ACT)<br />
JAZZ<br />
FOTO: STEPHEN FREIHEIT<br />
John Cranko<br />
Unerfüllte Liebe<br />
und Leidenschaft<br />
Die Erfolgs ge schich te des Stutt gar ter Bal letts ist<br />
eng mit John Cran ko ver knüpft. In den zwölf Jahren<br />
sei ner Amts zeit als Direk tor von <strong>19</strong>61 bis<br />
<strong>19</strong>73 avan cier te es zu den welt bes ten Com pagni<br />
en. Grund war auch die Cho reo gra fie des<br />
Hand lungs bal letts One gin. Mit ihr über setz te<br />
Cran ko den Vers ro man von Alex an der Pusch kin<br />
in getanz te Bewe gun gen von vier Solis ten und<br />
einem gro ßen Corps de bal let. In drei Akten<br />
erzäh len sie zu Tschai kow sky-Klän gen von unerfüll<br />
ter Lie be und Lei den schaft. Auch 52 Jah re<br />
nach der Urauffüh rung über zeugt die Qua li tät des<br />
Klas si kers bei jeder prä zi sen Pirou et te, jedem virtuo<br />
sen Pas de deux, jedem kraft vol len Sprung. In<br />
ästhe ti schen Kos tü men und dem Büh nen bild von<br />
Jür gen Rose tau chen Ali cia Ama triain als Tat ja na<br />
und Frie de mann Vogel als One gin ein ins Russ land<br />
des <strong>19</strong>. Jahr hun derts. Beson der heit der Aufführung<br />
ist Bal lettlegen de Mar cia Hay dée als Tat ja nas<br />
Kin der mäd chen. Die Bonus-DVD ent hält ein ausgie<br />
bi ges Inter view mit ihr, Jür gen Rose und Reid<br />
Ander son, der das Stutt garter<br />
Bal lett bis Som mer 2018<br />
lei te te. ASK<br />
„The Stuttgart Ballet in John Cranko’s<br />
Onegin“, Stuttgart Ballet, State<br />
Orchestra Stuttgart, James Truggle<br />
(Cmajor)<br />
TANZ<br />
Till Fellner<br />
Eleganz und Ruhe<br />
SOLO<br />
In einer Zeit von gehyp ten, PR-Agen turgestrie<br />
gel ten Instru men ta lis ten sticht Till<br />
Fell ner – ob sei ner zumin dest schein ba ren<br />
Zurück hal tung – eben nicht her aus. Als<br />
Alfred-Bren del-Lieb ling zwar durch aus<br />
mit Vor schuss lor bee ren auf den Solis tenpar<br />
cours ent las sen, scheint sich sei ne Karrie<br />
re etwas ver hal ten ent wi ckelt zu haben<br />
und Fell ner sel ber per ma nent unterschätzt<br />
zu wer den. Da erfreut die se Neuerschei<br />
nung, auch wenn die Ein spie lun gen<br />
schon 16 (Liszts ers tes Buch der Années<br />
de pèle ri na ge) bzw. zehn (Beet ho vens Opus<br />
111) Jah re alt sind. Fell ner ist kein Liszt-<br />
Prüg ler: Sein Liszt ist betö rend, mode rat,<br />
sub til. Sein gla mourfrei er Ansatz, sein feines<br />
Spiel und sein gera de in Val lée d’Obermann<br />
fri scher Zug nach vorn, machen Lust<br />
auf mehr und Neu es von Fell ner. Der<br />
Beet ho ven – eine abtrün ni ge Note zum<br />
Ende des Alle gro con brio sowie Applaus<br />
ver ra ten die Live-Natur der Auf nah me –<br />
besticht durch Ele ganz und Ruhe. JFL<br />
Beet ho ven: „Sona ta<br />
No. 32 op. 111“, Franz<br />
Liszt: „Années de<br />
pèle ri na ge“ u. a.,<br />
Till Fell ner (ECM)<br />
Karim Said<br />
Klangliche<br />
Korrespondenzen<br />
Zwei Stü cke von Wil liam Byrd bil den den Rah men<br />
für das unge wöhn li che Pro gramm die ser Aufnah<br />
me, in dem sich eng li sche Kom po nis ten der<br />
Renais sance neben Ver tre tern der Zwei ten Wiener<br />
Schu le wie der fin den. Die Ers te ren sind allesamt<br />
Schü ler oder Nach fol ger Byrds; das ande re<br />
Ende des Spek trums bil den Arnold Schön berg und<br />
sein Schü ler Anton Webern. Für Karim Said steht<br />
im Zen trum die ser Ver bin dung Johan nes Brahms’<br />
Zwei te Kla vier so na te. Die ses Werk zeich net sich<br />
durch diver se Ver wei se auf den Stil illus trer Kol legen<br />
und Vor bil der aus. Es bil det damit das Programm<br />
die ses Albums im Klei nen ab und ist<br />
gleich zei tig des sen Dreh- und Angel punkt. So<br />
prägt die Sona te auch Saids Inter pre ta ti on der<br />
älte ren und neue ren Wer ke. Der jor da ni sche Pianist<br />
bün delt die se so unter schied li chen Stü cke in<br />
eine homo ge ne Inter pre ta ti on, die Puris ten der<br />
Alten oder Neu en Musik Tole ranz abver langt.<br />
Lässt man sich dar auf ein, erkennt man intui tiv<br />
struk tu rel le und klang li che Kor re spon den zen, und<br />
die Wer ke grup pie ren sich zu einer gro ßen Sui te.<br />
Saids Ver dienst ist es auch, durch die kon tras tieren<br />
de Anord nung der Stü cke deren jewei li ge<br />
Beson der hei ten offen bar<br />
wer den zu las sen. LXR<br />
Byrd, Mor ley, Webern,<br />
Schoe n berg, Brahms u. a.:<br />
„Lega cy“, Karim Said (Rubicon)<br />
36 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
OPER<br />
Vox Luminis<br />
Leuchtende<br />
Stimmen<br />
Beschwingt tän zeln de Chö re, melan cho lisch<br />
abgrün di ge Ari en sowie krie ge risch auf trumpfen<br />
de Pau ken und Trom pe ten: Es sind ungewohn<br />
te Klän ge, die das bel gi sche Vokalensemble<br />
Vox Lumi nis unter der Lei tung seines<br />
Grün ders, des fran zö si schen Flö tis ten und<br />
Trom pe ters Lio nel Meu nier, in sei ner neu en<br />
Ein spie lung prä sen tiert. Liegt der Schwerpunkt<br />
des Ensem bles doch in der geist li chen<br />
Vokal mu sik Deutsch lands und Ita li ens des 17.<br />
und 18. Jahr hun derts. Mit Hen ry Pur cells King<br />
Arthur wen det es sich nun erst ma lig der<br />
Gat tung Oper und der eng li schen Spra che zu.<br />
Den Merk ma len der eng li schen Barock oper<br />
fol gend, besteht das Werk aus gespro che nen<br />
Schau spiel tex ten, die sich aller dings nicht auf<br />
der CD fin den, und kom men tie ren den Musiknum<br />
mern für wech seln de Beset zun gen. Mit<br />
stimm ge wal ti gen, gewitz ten und stel len wei se<br />
auch stark cha rak ter lich gefärb ten Stim men<br />
bie tet das Ensem ble ein durch gän gi ges,<br />
abwechs lungs rei ches Hör ver gnü gen. FA<br />
Pur cell: „King Arthur“, Vox<br />
Lumi nis, Lio nel Meu nier<br />
(Alpha)<br />
Track 3 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />
Abo-CD: Woden, first to thee<br />
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
Amati Quartett<br />
Unerschöpflicher<br />
Einfallsreichtum<br />
Dis zi plin ist eben nicht alles: Sei ne sechs<br />
Quar tet te op. 50 hat Joseph Haydn mit dem<br />
Bei na men „Preu ßisch“ ver se hen. Sie sind<br />
dem instru men tal offen bar nicht ganz unbegab<br />
ten Fried rich Wil helm II. gewid met, der<br />
sich nicht nur der viel apo stro phier ten preußi<br />
schen Tugen den rühm te, son dern als<br />
kunst sin ni ger Mäzen in die His to rie ein ging.<br />
In jeder Hin sicht tugend haft ist auch die se<br />
Dop pel-CD des Ama ti Quar tetts. Die vier<br />
Strei cher wid men sich Haydns mal über aus<br />
humo ri gen, mal ziem lich ver schmitz ten<br />
Quar tett küns ten mit der gebo te nen Ernsthaf<br />
tig keit, aber auch einer gro ßen Leich tigkeit.<br />
Flufg-beschwingt wird etwa das Fina le<br />
des F-Dur-Quar tetts absol viert, mit bur schi kosem<br />
Charme das Menu ett des Es-Dur-Quartetts.<br />
Stets fin det man das rich ti ge Maß für<br />
Haydns schier uner schöpfl i chen Ein falls reichtum<br />
und spielt auf höchs tem Niveau. GK<br />
Haydn: „String Quar tets, op. 50“, Ama ti Quar tett (Solo<br />
Musi ca)<br />
Track 4 auf der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />
Streichquartett op. 50,6<br />
D-Dur Hob. III:49, II.<br />
Poco Adagio, Menuetto<br />
Mariss Jansons<br />
Romantische<br />
Sinnlichkeit<br />
ORCHES-<br />
TER<br />
Beethovens Mes se in C-Dur op. 86 steht von jeher<br />
ein wenig im Schat ten der „gro ßen Schwes ter“<br />
Mis sa Solem nis. Sie offen bart nicht wie jene das<br />
gro ße Rin gen, die künst le ri sche Aus ein an der setzung<br />
mit dem Glau ben, bie tet aber eben falls eine<br />
rei che Palet te an Aus drucks nu an cen und indi vi duel<br />
len Deu tun gen des lit ur gi schen Tex tes. Die se<br />
lässt Mariss Jan sons mit sei nem groß arti gen<br />
BR-Sym pho nie or ches ter und Chor auf fas zi nieren<br />
de Wei se hör bar wer den, vom wie aus dem<br />
Nichts kom men den Beginn über ein dring li che<br />
Pia no-Geflech te bis hin zur gro ßen Klang de monstra<br />
ti on – immer unprä ten ti ös, sinn lich und differen<br />
ziert. Für Jan sons gehört Beet ho ven defi ni tiv<br />
zur Roman tik, den noch ist der Klang schlank, flexi<br />
bel und ohne auf ge setz ten Pomp; eine Les art,<br />
die auch das homo ge ne, kul ti viert sin gen de Solisten<br />
quar tett mit trägt. Als „Raus schmei ßer“ gibt<br />
es eine ful mi nan te, mit sin fo ni schem Feu er atem<br />
gespiel te Leo no re III. FS<br />
Beet ho ven: „Mes se C-Dur op. 86“ u. a., Chor und Sym pho nie -<br />
or ches ter des Baye ri schen<br />
Rund funks, Mariss Jan sons<br />
(BR Klas sik)<br />
Track 10 auf der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Messe<br />
C-Dur op. 86, VI. Agnus Dei<br />
Lunascope<br />
Abnehmend hektisch, zunehmend<br />
himmlisch: die erste MeisterSinger<br />
mit Mondphasenmodul<br />
<br />
37<br />
www.meistersinger.de
H Ö R E N & S E H E N<br />
Unerhörtes & neu Entdecktes<br />
von Christoph Schlüren<br />
HERRLICH RAU UND WILD<br />
Kammermusik von Albert Roussel, Florent Schmitt, Hans Weisse und anderen.<br />
Im April steht der 150. Geburtstag von Albert Roussel (1869–<strong>19</strong>37)<br />
an, jenes ganz großen französischen Meisters im Schatten seiner<br />
Zeitgenossen Debussy und Ravel. Und immer noch mangelt es an<br />
wirklich herausragenden Aufnahmen seiner Musik, insbesondere<br />
auch seiner Kammermusik, die an Originalität und Meisterschaft<br />
unübertroffen ist. Sicher liegt das ein wenig daran, dass Roussel bis<br />
auf sein Frühwerk nicht ins impressionistische Klischee passt und<br />
überhaupt herrlich ungefällig rau und wild ist.<br />
Ein Glücksfall ist daher die neue Duo-CD der Geigerin Hélène<br />
Collerette und der Pianistin Anne Le Bozec bei Signature, die neben<br />
der mit architektonischer Präzision und geradezu klassischer Clarté<br />
bestechenden Zweiten Sonate Roussels noch die gigantisch angelegte,<br />
rauschhaft ornamentierende Sonate libre in zwei Sätzen vom ebenfalls<br />
maßlos unterschätzten Florent Schmitt (1870–<strong>19</strong>58) enthält.<br />
Dieses gut halbstündige Werk ist eine Enescu oder Szymanowski<br />
vergleichbare Herausforderung und dürfte bei Konzerten sensationell<br />
ankommen. Doch bei Schmitt, der in späteren Jahren eine unglückliche<br />
Zuneigung zum Vichy-Vasallenregime gepflegt hatte, kann man<br />
ähnlich wie bei Hans Pfitzner zumindest verstehen, dass es außermusikalische<br />
Gründe für die Vernachlässigung gab.<br />
Das Programm wird abgerundet durch die horrend virtuose<br />
Sonate von <strong>19</strong>61 des Franko-Kanadiers André Prévost (<strong>19</strong>34–2001),<br />
die musikalisch nicht auf derselben Höhe<br />
steht, uns jedoch mit einem weiteren entdeckenswerten<br />
und eigentümlichen Meister<br />
bekannt macht. Hélène Collerette frappiert<br />
nicht nur mit staunenswerter technischer<br />
Makellosigkeit, sie verzaubert mit äußerst<br />
farbenreichem Klang und vielschichtigem,<br />
unendlich nuancenreichem Ausdruck, ohne<br />
in die Niederungen billiger Effekthascherei abzugleiten.<br />
Und Anne Le Bozec mit ihrem groovigen Zugriff<br />
und empathischen Selbstverständnis ist ihr eine grandiose<br />
Partnerin. So wunderbar kann ein<br />
Album für diese Standardbesetzung sein,<br />
wenn nicht nur das Können, sondern auch der<br />
Mut und die Liebe groß genug sind.<br />
Einige weitere aktuelle Kammermusikempfehlungen<br />
seien dem angefügt. Darunter<br />
ragt insbesondere die schöpferische Größe des<br />
Wiener jüdischen Schenker-Schülers Hans<br />
Weisse (1892–<strong>19</strong>40) heraus, dessen dreiviertelstündiges Klarinettenquintett<br />
in vollendeter Weise zeitlos auf Bahnen „junger Klassizität“<br />
(um Busoni zu zitieren) schreitet, die man in ihrer Haltung zu Brahms<br />
zurückverfolgen kann – auch in der introvertiert-dramatischen<br />
Atmosphäre, kontrapunktischen Raffinesse und modulatorischen<br />
Meisterschaft (MDG). Hochinteressant sind drei Streichquartette des<br />
Briten Leonard Salzedo (<strong>19</strong>21–2000), der als Ballett- und Filmkomponist<br />
sehr angesehen war.<br />
Stilistisch könnte man meinen, er sei Spanier – und zugleich liegt<br />
in all dem zündenden Esprit eine Abgeklärtheit, die den Wunsch<br />
nährt, noch viel weitere Musik seines so umfangreichen wie unbekannten<br />
Schaffens kennenzulernen (darunter ein großes rein instrumentales<br />
Requiem für großes Orchester). Arnold Cooke (<strong>19</strong>06–2005)<br />
hingegen ist in England immer wieder aufgenommen worden, und<br />
wer wie ich findet, dass Hindemith auch wertvolle Stilverwandte haben<br />
darf, wird an Cookes kunstreichen Werken für Violine (allein, mit<br />
Klavier, mit Bratsche) große Freude haben (beide CDs bei MPR).<br />
Der gleichen Generation entstammt der Schwede Dag Wirén<br />
(<strong>19</strong>05–<strong>19</strong>86), dessen komplette verfügbare Quartette das Wirén Quartet<br />
für Naxos vorbildlich eingespielt hat: kurzweilige, äußerst vitale<br />
Musik, die zugleich die Reduktion aufs absolut Wesentliche betreibt.<br />
Ein gänzlich Unbekannter tritt uns, wie so oft bei Toccata<br />
Classics, mit Hans Winterberg (<strong>19</strong>01–<strong>19</strong>91) entgegen, einem tschechischen<br />
Juden, der Theresienstadt überlebte und danach in München<br />
wohnte. Eigentlich hätte seine fast minimalistisch<br />
expressive Bläser-Kammermusik, die<br />
ehestens an den Janáček des Concertino<br />
anknüpft, dort ja von Orff und Killmayer als<br />
geistesverwandt erkannt werden müssen. Nun<br />
wird sie erst postum entdeckt.<br />
■<br />
Florent Schmitt, Albert Roussel, André Prévost:<br />
„Sonates“, Hélène Collerette, Anne Le Bozec<br />
(Signature)<br />
Weisse: „Chamber Music“, Berolina Ensemble (MDG)<br />
Leonard Salzedo: „String Quartets 1, 5 and 10“,<br />
Archaeus Quartet (MPR)<br />
Arnold Cooke: „The Complete Violin Sonatas“,<br />
The Pleyel Ensemble (MPR)<br />
Dag Wirén: „String Quartets Nos. 2-5“, Wirén Quartet (Naxos)<br />
Hans Winterberg: „Chamber Music“, Volume One, Arizona Wind<br />
Quintet (Toccata Classics)<br />
38 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
La Fura dels Baus<br />
Schöpfungsspektakel<br />
Die se Kopro duk ti on der Lud wigs bur ger Schloss fest spie le<br />
mit der Elb phil har mo nie prä sen tiert Joseph Haydns Schöpfung<br />
in einer sze ni schen Insze nie rung von Car lus Pad ris sa<br />
von La Fura dels Baus. Die sze ni sche Gestal tung nimmt<br />
sich des Inhalts der Schöp fungs ge schich te an und erwei tert<br />
die sen um eine aktu el le poli ti sche Dimen si on. Im Kon trast<br />
zum Libret to, das als unbe schwer te Lobes hym ne auf die<br />
Erschaffung der Welt vor dem Sün den fall endet, führt die<br />
Insze nie rung dar über hin aus in die sün di ge Rea li tät von<br />
Ver trei bung und Not. Der Chor stellt Flücht lin ge aus verschie<br />
de nen Län dern und Zei ten dar. Am drit ten Tag, als<br />
Gott die Erde vom Was ser schei det, springt ein jun ger<br />
Mann mit Schwimm wes te in einen Was ser tank. Ange sichts<br />
der vie len visu el len Ele men te wie Schrift, Licht, auf wen di ge<br />
Kos tü me, leuch ten de Tablets in den Hän den der Chor sänger<br />
wird die Musik stel len wei se fast zur Film mu sik degradiert,<br />
was der Leis tung der Diri gen tin und der Sän ger<br />
kei nes wegs gerecht wird. Lau rence Equil bey diri giert das<br />
Insu la orches tra sowie den Chor Accen tus und das Sän gerensem<br />
ble mal wuch tig, mal trei bend, mit fei nem Gespür für<br />
den spe zi fi schen Cha rak ter der auf ein an der fol gen den Tage<br />
in Haydns Par ti tur. Beson ders Dani el Schmutz hard als<br />
Raphael/Adam und Mari Eriks mo en als Gabriel/Eva begeistern<br />
mit ihrer far ben rei chen Inter preta<br />
ti on. Die Bild re gie ver mit telt einen<br />
guten Ein druck der bild ge wal ti gen<br />
Insze nie rung. LXR<br />
Haydn: „Die Schöpfung“, Accentus, Marc Korovitch,<br />
Insula orchestra, Laurence Equilbey,<br />
La Fura dels Baus (Naxos)<br />
Jürgen Flimm<br />
Mozart in der<br />
Sommerfrische<br />
FILM<br />
Sel ten erlebt man eine der art beschwing te Auffüh rung<br />
von Mozarts Oper Hoch zeit des Figa ro wie auf die sem<br />
exzel len ten Mit schnitt. Zum Ende sei ner Zeit als Intendant<br />
der Staats oper Unter den Lin den hat Jür gen Flimm<br />
den berühm ten Stoff mit viel Sinn für die komö di an tischen<br />
Zwi schen tö ne insze niert. Das Ergeb nis ist ein<br />
mär chen haf ter Opern rei gen mit hoch ka rä ti ger Besetzung.<br />
Dabei durch le ben die Sän ge rin nen und Sän ger als<br />
„Som mer gäs te“ des Hau ses hin ge bungs voll Lie bes leid<br />
und -freud. Neben Lau ri Vasar als ein drucks vol lem Figaro<br />
sind es ins be son de re die Frau en stim men, die viel seitig<br />
in den Bann zie hen, allen vor an Anna Pro has ka als<br />
gran dio se Susan na und Doro thee Rösch mann als Rosina.<br />
Die Staats ka pel le Ber lin über zeugt unter Lei tung<br />
von Gus ta vo Duda mel mit opu lentem<br />
Klang und voll endet eine Inszenie<br />
rung von eben so gro ßer Ele ganz<br />
wie Leicht fü ßig keit. DW<br />
Mozart: „Le nozze di Figaro“, D’Arcangelo,<br />
Röschmann, Prohaska u. a., Staatsoper Unter<br />
den Linden, Gustavo Dudamel (Accentus)<br />
Edvard Grieg<br />
Fanatische Liebe zur Heimat<br />
Da sitzt er als alter Mann auf einem Boot im Fjord wohl in der Nähe<br />
seines Hauses in Troldhaugen bei Bergen und lässt sein Leben Revue<br />
passieren: der Komponist Edvard Grieg (1843–<strong>19</strong>07). Ruhelos war er,<br />
immer auf der Suche nach seelischem Frieden, nach Glück und Perfektion,<br />
geprägt von einer großen Liebe zur Heimat. „Diese fanatische, fast<br />
dämonische Liebe zur Heimat ist die Stärke, aber auch die Begrenzung<br />
Griegs“, schrieb etwa G. Schjelderup <strong>19</strong>07 in seinem Nekrolog auf den<br />
gerade verstorbenen Komponisten. „Meister wie Bach und Beethoven“,<br />
sagte Grieg einmal, „haben auf den Höhen Kirchen und Tempel errichtet,<br />
ich aber will in den Tälern Wohnstätten für Menschen<br />
bauen, in denen sie sich heimisch und glücklich fühlen<br />
sollen.“ Es gelang ihm. Regisseur Olofsson lässt seinen<br />
Protagonisten – verkörpert vom Pianisten Staffan<br />
Scheja – in Musik, Wort und Bild sprechen. Ein<br />
wunderbarer Film! TPR<br />
BUCH<br />
„The Musical Biopic of Edvard Grieg: What Price Immortality?“<br />
A film by Thomas Olofsson und Ture Rangström (Arthaus)<br />
Thomas Bernhard<br />
Paket mit belastenden Themen<br />
Er kann te sei nen Vater nicht, litt unter der feh len den Lie be sei ner<br />
Mut ter und des po ti schen Leh rern, erkrank te mit 18 Jah ren schwer<br />
und lag mona te lang in Ster be zim mern sowie Sana to ri en: Tho mas<br />
Bern hards Kind heit und Jugend waren so schwie rig, dass er schon<br />
früh an Selbst mord dach te. Ent spre chend düs ter ist die Zeit rei se in<br />
sei ne Ver gan gen heit, auf die er sich in fünf auto bio gra fi schen Schriften<br />
begibt. Bedrü cken de Lebens um stän de, aus sichts lo se Exis ten zen,<br />
Schmerz und Trau er rekon stru iert der Autor wort ge wal tig und<br />
foto gra fisch genau; Licht bli cke sind außer Besu chen bei sei nem<br />
Groß va ter und auf einem Bau ern hof drei glück li che Jah re als Lehrling<br />
des Salz bur ger Lebens mit tel händ lers Pod laha, in denen sich<br />
Bern hard nütz lich und ande ren Men schen nahe fühl te.<br />
Nach und nach packt er so „vor Zeu gen“ ein „Paket“<br />
mit belas ten den The men aus, die ihn nach hal tig prägten<br />
und ein Schlüs sel zu sei nem Werk sind. Das Bild<br />
des <strong>19</strong>89 ver stor be nen Autors ver voll stän di gen zar te<br />
Aqua rel le von Erwin Wurm, der wie Bern hard zu den<br />
bedeu tends ten Künst lern Öster reichs zählt. ASK<br />
Thomas Bernhard: „Autobiographische Schriften“ mit Aquarellen von<br />
Erwin Wurm (Residenz Verlag)<br />
FOTO: ARTHAUS<br />
39
M E I N U N G<br />
Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />
AUF EIN WORT,<br />
LIEBE SPORTSFREUNDE<br />
Der Sportbund in Bonn findet, dass zu viel Geld für die Kultur ausgegeben<br />
wird – dabei sitzen Vereine und Orchester im selben Boot.<br />
Plädoyer gegen eine Spaltung der Gesellschaft und für mehr Solidarität.<br />
Vielleicht steht diese Kolumne im falschen Blatt, vielleicht wäre<br />
sie im „Kicker“ besser aufgehoben oder in der Vereinszeitung des<br />
Bonner Sportbundes. Hier in <strong>CRESCENDO</strong> werden wir wahrscheinlich<br />
ziemlich schnell einig sein, dass Sport und Musik<br />
keine Gegner, sondern Partner im Kampf gegen eine vermeintlich<br />
durchoptimierte Gesellschaft sein können – ja, müssen! Umso<br />
wichtiger, ein offenes Wort mit unseren Sportsfreunden zu führen,<br />
um zu merken, dass es viele Parallelen zwischen Noten und Trainingsplänen,<br />
Konzerthäusern und<br />
Stadien gibt.<br />
Konkret geht es darum:<br />
Kürzlich hat der Sportbund Bonn<br />
eine etwas verunglückte Pressemitteilung<br />
herausgegeben. Mit<br />
„großer Aufmerksamkeit“ habe<br />
man zur Kenntnis genommen,<br />
dass der Generalmusikdirektor<br />
des Beethoven Orchesters, Dirk<br />
Kaftan, gesagt hätte, Hochkultur würde bei ihm eine „Art Würgereiz“<br />
auslösen. Der Sportbund ist echauffiert, immerhin flössen<br />
Bonner Steuermillionen in Theater und Beethoven Orchester, ja,<br />
60 Millionen in die Kulturförderung der Stadt insgesamt! Zu viel,<br />
findet der Sportbund nun und rechnet vor: 105,5 Orchesterstellen<br />
und 14 Büroangestellte habe Kaftans Orchester. Wie könne<br />
es sein, dass nur sechs Orchester in Deutschland größer seien als<br />
das in Bonn? Wie, dass ein Ensemble wie das Mozarteumorchester<br />
Salzburg mit 91 Musikern auskommt? Immerhin würde Salzburg<br />
sogar mit „Hochkultur“ werben, die Kaftan so verachte. Fazit der<br />
Sportler: Bonn gibt zu viel Geld für „Hochkultur“ aus, insbesondere<br />
für Oper und Orchester, und würde Kaftan nicht mindestens<br />
EIN ORCHESTER SOLL KEINE ELITÄRE<br />
MUSIKERTRUPPE SEIN, SONDERN<br />
KULTURELLE GRUNDVERSORGUNG<br />
3,5 Millionen sparen, werde man dem Beethoven Orchester vom<br />
Spielfeldrand auch weiterhin zubuhen.<br />
Die Wahrheit sieht etwas differenzierter aus, ist aber längst<br />
nicht so kompliziert wie die Abseitsregel, sollte also auch für die<br />
Sportfreunde verständlich sein! Auf einem Bildungsempfang hat<br />
Dirk Kaftan sich Gedanken über das Wort „Hochkultur“ gemacht.<br />
Sein Gedankengang: Während die Kultur immer mehr unter<br />
gesellschaftlichem Druck steht, viele Politiker erfolgreich argumentieren,<br />
dass mit Orchestersubventionen<br />
lediglich Veranstaltungen<br />
für Reiche gefördert würden,<br />
wolle er gern auf dieses Wort, das<br />
zum gesellschaftlichen Kampfbegriff<br />
geworden sei, verzichten.<br />
Stattdessen schlug Kaftan vor, von<br />
„Tiefen-Kultur“ zu reden. So würde<br />
klar werden, dass sein Orchester<br />
in die tieferen Schichten der Stadt<br />
eindringe, dass das Beethoven Orchester sich auch als Bildungseinrichtung<br />
für Jugendliche verstehe, mit seinen Konzerten in Stadtteile<br />
ziehe, die ansonsten nur wenig mit klassischer Musik zu tun<br />
hätten, und dass sein Orchester keine elitäre Musikertruppe, sondern<br />
eine kulturelle Grundversorgung für alle Bonner sein wolle.<br />
Kaftan argumentiert, dass mit dem Begriff der „Tiefen-Kultur“<br />
klarer würde, warum eine Stadt wie Bonn sich überhaupt<br />
ein Orchester, ein Theater und eine Oper leiste: weil sie allgemein<br />
zugängliche Säulen des Diskurses sind, weil sie dort einspringen,<br />
wo viele Schulen längst aufgegeben haben (etwa im Musikunterricht),<br />
weil sie täglich beweisen, dass Musik das Zuhören, das Miteinander,<br />
die Konzentration und Aufmerksamkeit fördert – all<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
40 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
jene Eigenschaften also, die gerade bei Schülern oft als Defizite<br />
festgestellt werden. Dass sein Orchester nicht elitär ist, nicht im<br />
Elfenbeinturm auf das gut betuchte Publikum wartet, sondern alle<br />
Menschen vor Ort besucht und begeistert.<br />
All das müssen die Leute vom Sportbund irgendwie in den<br />
falschen Hals bekommen haben. Das ist umso absurder, da sie<br />
die eigentlich gleiche Ausgangsposition wie das Orchester haben:<br />
Auch der Sport wird an unseren Schulen schon lange nicht mehr<br />
ernst genommen – neben dem Musikunterricht das Fach, das am<br />
meisten ausfällt. Gleichsam hat der Sport eine ähnliche gesellschaftliche<br />
Kraft wie die Musik: Teamgeist, Integration, Ausdauer,<br />
Konzentration – in Turnhallen, auf Bolzplätzen und Tartanbahnen<br />
werden ebenfalls gesellschaftliche Tugenden gefördert wie auf<br />
Orchesterpodien und in den Rängen eines Konzertes.<br />
Mit Verlaub, lieber Sportbund in Bonn: Wie absurd, bitte<br />
schön, ist eure Argumentation gegen das Theater? Wäre Solidarität<br />
nicht die bessere Positionierung als eine billige Neiddebatte?<br />
Die Kultureinrichtungen der Stadt sind nicht eure Feinde, sie sind<br />
eure natürlichen Freunde, sie haben ähnliche Auswirkungen auf<br />
das Bildungsniveau und den Geist einer Stadt. Es ist wissenschaftlicher<br />
common sense, dass Sport<br />
und Musik dafür sorgen, dass wir<br />
keine Fachidioten werden, dass<br />
wir aufgeschlossene, ausdauernde<br />
und kreativ denkende Mathematiker,<br />
Chemiker und Ärzte ausbilden.<br />
Vorzeige-Bildungssysteme<br />
wie Finnland wissen, dass ihr<br />
gutes Abschneiden in Fächern wie<br />
Mathematik und Naturwissenschaften<br />
darauf zurückzuführen ist, dass an den Schulen des Landes<br />
Musik und Sport gleichberechtigt zu allen anderen Fächern<br />
unterrichtet werden.<br />
Was an der Bonner Debatte wirklich aufregt, ist, dass hier<br />
etwas passiert, das politisch vielleicht sogar gewollt ist. Fragen nach<br />
Steuergeldern werden immer öfter mit Entweder-oder-Fragen vorgelegt:<br />
Schwimmbad oder Kunsthalle? Kindergarten oder Opernhaus?<br />
Neue Straßen oder Schauspielhaus? Und nun eben: Sportverein<br />
oder Orchester? Derartige Zuspitzungen sind Quatsch, fördern<br />
Neid und verhindern Solidarität. Jeder Sportverein und jedes<br />
Orchester sollte derartigen Debatten eine Absage erteilen – sonst<br />
ist er das nächste Opfer.<br />
In Bonn lässt sich der Sport gegen die Kultur ausspielen. Mit<br />
fatalen Folgen. Weil genau das für eine gesellschaftliche Stimmung<br />
sorgt, an deren Ende beide – sowohl der Sport als auch die Kultur<br />
– verlieren werden. Klar, nun könnte man auf Zahlen pochen:<br />
Wie viele Mitglieder haben Bonns Sportvereine? Stimmt es, dass<br />
mehr Menschen Livekonzerte deutscher Orchester besuchen als<br />
Spiele der Fußball-Bundesliga? Aber auch diese Erbsenzählerei<br />
wird nicht viel bringen. Fakt ist: Eine Gesellschaft braucht Kultur<br />
UND Sport!<br />
Gehen wir einen Schritt zurück. Warum subventionieren wir<br />
überhaupt Theater und Orchester? „Hochkultur“ ist vielleicht eine<br />
Kategorie: große Produktionen, die ohne Subventionen nicht zu<br />
stemmen wären. Aufführungen, die den Bürgern der Stadt Bonn<br />
ein professionelles Kulturangebot garantieren, Veranstaltungen,<br />
die Bonn als Kulturstadt strahlen lassen. Aufführungen, die junge<br />
Menschen zum Freidenken inspirieren und anregen – nicht nur<br />
im kulturellen, sondern auch im gesellschaftlichen Denken. Diese<br />
„Hochkultur“-Förderung ist vergleichbar mit der Förderung von<br />
Sportleistungszentren, wo es darum geht, dass Athleten aus Bonn<br />
ES IST WISSENSCHAFTLICHER COMMON<br />
SENSE, DASS SPORT UND MUSIK<br />
DAFÜR SORGEN, DASS WIR KEINE<br />
FACHIDIOTEN WERDEN<br />
die Möglichkeit haben, in nationale Kader aufzurücken, an der<br />
Spitze der Fußball-, der Badminton-, der Handball- oder Eishockey-Bundesliga<br />
mitzuspielen.<br />
Aber der Kulturhaushalt hat – und da liegt Kaftan mit seiner<br />
„Tiefen-Kultur“ durchaus richtig – auch den Zweck, eine kulturelle<br />
Grundversorgung zu garantieren. Noch einmal: Unsere Schulen<br />
schaffen das schon lange nicht mehr. Diese Aufgabe übernehmen<br />
Musikschulen und zunehmend Orchester und Theater. Das wiederum<br />
ist mit der Förderung des Breitensports zu vergleichen: die<br />
Möglichkeit für jeden Menschen, sich einem Verein anzuschließen,<br />
Teamgeist oder eigenen Ehrgeiz zu verfolgen.<br />
Ich glaube, nicht einem Musiker des Beethoven Orchesters<br />
würde es einfallen zu fordern, dass die Stadt weniger Geld für die<br />
Sportförderung ausgeben sollte. Im Gegenteil! Sport und Kultur<br />
haben gleichermaßen gegen eine Politik zu kämpfen, in der ihre<br />
Arbeit gegen den Bau von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern<br />
oder Straßen ausgespielt wird. Werder-Trainer Otto Rehhagel<br />
warb einst für das Bremer Theater, die drei Tenöre eröffneten die<br />
Fußball-WM – Bewegung und Musik schließen einander nicht aus,<br />
sie bedingen sich!<br />
Bonn ist nur ein Einzelbeispiel.<br />
Auch in anderen Städten<br />
wird die Kultur immer öfter politisch<br />
als Kostenfaktor denunziert –<br />
in Linz hat sich die Stadt sogar vollkommen<br />
aus der Förderung ihres<br />
Orchesters zurückgezogen. Da<br />
sollten die Alarmglocken läuten!<br />
Kultur und Sport sollten Seit᾽<br />
an Seit᾽ stehen und miteinander<br />
dafür kämpfen, dass Politik und die Vergabe öffentlicher Gelder<br />
nicht als Entweder-oder-Frage gestellt wird. Dass natürlich Kindergärten,<br />
Krankenhäuser und Straßen gebaut werden, dass sie<br />
alle aber weniger wert sind, wenn eine Stadt ihre Kultur oder ihr<br />
sportliches Image dafür infrage stellt. Es ist wie im finnischen<br />
Schulsystem: Eine Gesellschaft braucht Freiräume des Unkonkreten,<br />
Orte für Spaß und Orte, an denen leidenschaftliche Arbeit<br />
allein der Leidenschaft wegen gefördert wird. Klar, man könnte<br />
eine Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie als ebenso<br />
sinnlos empfinden wie Steuergelder, mit denen das Training<br />
einer Leistungs kanutin gefördert wird. Aber wer so argumentiert,<br />
glaubt auch, dass Schule darin besteht, in möglichst geringer Zeit<br />
möglichst viel Wissen zu anzuhäufen, dass die Liebenswürdigkeit<br />
einer Stadt allein durch die Sauberkeit ihrer Straßen entschieden<br />
wird, dass eine gute Gesellschaft darin besteht, fleißig zu sein,<br />
dass Kreativität, Unterhaltung oder Neudenken keine Standortfaktoren<br />
sind.<br />
Liebe Bonner Sportsfreunde, die Attacke gegen das Beethoven<br />
Orchester und die kulturellen Einrichtungen eurer Stadt ist vielleicht<br />
kein rotwürdiges Foul, aber es war eine unglaublich dumme<br />
Kampfansage! An unseren Schulen sehen wir bereits, welche Auswirkungen<br />
Bildung mit Verzicht auf Sport und Kultur hat: Zwischenmenschliche<br />
Tugenden und Leistungsförderungen wie Aufmerksamkeit,<br />
Zuhören, Kreativität und Ehrgeiz gehen verloren.<br />
Der Verlust von Kultur und Sport bedeutet für eine Stadt Standortnachteile!<br />
Ich weiß nicht, ob es hilft, dass diese Kolumne in einer<br />
Musikzeitschrift steht, wenn sie doch eigentlich die Sportler erreichen<br />
soll. Aber Sport und Musik schließen einander nicht aus, also,<br />
liebe sportliche Musiker und musische Sportler: Lassen wir uns<br />
nicht instrumentalisieren und gegeneinander ausspielen – wir sind<br />
ein Team. Und haben das gleiche Motiv: unsere Leidenschaft! ■<br />
41
R Ä T S E L<br />
& C R E S C E N D O L I V E<br />
GEWINNSPIEL<br />
Wer verbirgt sich hinter diesem Text?<br />
Das Foto stammt aus meinem dritten Leben …<br />
Geboren wurde ich 2637 vor Christus. Zum zweiten Mal lebte ich in<br />
der Zeit Alexanders des Großen. Bei dessen Beerdigungszeremonie<br />
in Babylon im Jahr 323 vor Christus habe ich sogar im Begräbnis-<br />
Orchester mitgespielt. Und zum dritten Mal geboren bin ich im Jahr<br />
<strong>19</strong>05 in Ligurien als ein Conte di Ayala Valva. Als mir im Alter gelegentlich<br />
das Bein wehtat, lag das an einer uralten Verletzung, die ich<br />
vor Tausenden von Jahren als Krieger erlitten habe. Ja, ich glaube an<br />
die Wiedergeburt. Man nennt mich auch einen Meister der Desinformation,<br />
mein Leben ist ein großes Geheimnis. Journalisten, die<br />
Fragen zu meiner Biografie stellen, mag ich grundsätzlich nicht.<br />
Ab <strong>19</strong>29 habe ich komponiert, vor allem Klavierstücke. In<br />
Rom habe ich Konzerte mit zeitgenössischer Musik veranstaltet. Als<br />
das Mussolini-Regime die Werke Schönbergs und anderer jüdischer<br />
Komponisten verbot, ging ich ins Ausland. <strong>19</strong>44 schrieb ich<br />
mein erstes Streichquartett, ein hochkomplexes Zwölftonstück.<br />
Nach einer seelischen Krise inklusive psychiatrischer Behandlung<br />
war ich als Komponist völlig verändert. Ich wurde krank, weil ich zu<br />
viel nachdachte. Jetzt denke ich nicht mehr. Seit <strong>19</strong>52 kreisen die<br />
Musikstücke um einen Ton, eine Tonachse, ein tonales Zentrum.<br />
Ich war gar kein Komponist mehr, sondern nur ein Medium der<br />
Klangenergie. In meinem Nachlass fanden sich beinahe 1.000<br />
bespielte Tonbänder. Erst 2010 wurden die Archive geöffnet, die<br />
Bänder sind inzwischen immerhin digitalisiert.<br />
KH<br />
FOTO: FONDAZIONE ISABELLA SCELSI<br />
HINTER<br />
DEN KULISSEN!<br />
Treffen Sie mit <strong>CRESCENDO</strong><br />
Künstler und Gleichgesinnte.<br />
Dass das Prinzregententheater in München nach Prinzregent<br />
Luitpold benannt wurde, wussten Sie? Vielleicht auch, dass der<br />
von <strong>19</strong>00 bis <strong>19</strong>01 errichtete Bau von dem zu dieser Zeit<br />
äußerst erfolgreichen Architekten Max Littmann entworfen<br />
wurde? Littmann orientierte sich damals am Richard-Wagner-<br />
Festspielhaus in Bayreuth und übernahm beispielsweise den<br />
amphitheatralischen Zuschauerraum. Aber hätten Sie auch<br />
gewusst, dass sich die Bühne über eine Fläche von 29 mal<br />
23 Metern erstreckt und damit insgesamt auf eine Fläche von<br />
667 Quadratmetern inklusive „abtrennbarer Hinterbühne“?<br />
Und hinter diese Kulissen, vor denen einst Werke von Orff<br />
und Hindemith uraufgeführt worden sind, haben <strong>CRESCENDO</strong><br />
Leser die Chance zu blicken: am 20. Februar.<br />
Wenn es nämlich heißt „Mittwochs um halb acht“, dann wird<br />
diese Veranstaltung des Münchner Rundfunkorchesters vom<br />
Magazin <strong>CRESCENDO</strong> in Kooperation mit dem Rundfunkorchester<br />
präsentiert. Das heißt: Exklusivleistungen für seine<br />
Leser! Karten in der besten Kategorie, eine Backstage-Führung<br />
vorab und Künstlergespräche in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge im<br />
Gartensaal.<br />
Bevor der junge Geiger Sandro Roy, Multitalent und Grenzgänger<br />
zwischen den Genres, das Publikum auf eine Reise<br />
„Gypsy goes Classic“ mitnimmt, werden <strong>CRESCENDO</strong> Leser<br />
backstage geführt, also hinter die Kulissen des Prinzregententheaters.<br />
Anschließend ist noch etwas Zeit für einen kurzen<br />
Plausch mit anderen Lesern und den Künstlern in der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Lounge im Gartensaal des Prinzregententheaters.<br />
Das Konzert beginnt um <strong>19</strong>.30 Uhr.<br />
Im Anschluss sind Sie herzlich in die <strong>CRESCENDO</strong> Lounge<br />
im Gartensaal eingeladen, wo wir Sie mit einem Getränk empfangen<br />
– ohne Anstehen! Hier können Sie sich mit anderen<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Lesern austauschen und das Team von<br />
<strong>CRESCENDO</strong> treffen. Später haben Sie zudem die Gelegenheit,<br />
einige Künstler des Abends persönlich kennenzulernen.<br />
www.crescendo.de/live (weitere Termine 10.4. und 8.5.20<strong>19</strong>)<br />
RÄTSEL LÖSEN UND<br />
EINE CD-BOX GEWINNEN!<br />
Wer ist hier gesucht? Wenn Sie<br />
die Antwort kennen, dann nehmen<br />
Sie an der Verlosung teil unter<br />
www.crescendo.de/mitmachen.<br />
Diese CD-Box können Sie gewinnen:<br />
„Bernard Haitink: Portrait“<br />
(BR Klassik). Einsendeschluss ist der 28.02.20<strong>19</strong>. Gewinner unseres<br />
letzten Gewinnspiels ist Thomas Duppe aus Homburg. Die Lösung war<br />
Johann Peter Abraham Schulz.<br />
Nette Leute treffen, gute Musik hören – <strong>CRESCENDO</strong>-Verleger<br />
Winfried Hanuschik mit der Sängerin Anna Bonitatibus<br />
FOTOS: FONDAZIONE ISABELLA SCELSI; PRIVAT<br />
42 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
ERLEBEN<br />
Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im <strong>Januar</strong> und Februar im Überblick (ab Seite 44)<br />
Das London Symphony Orchestra und Sir Simon Rattle bei der musica viva (Seite 50)<br />
Ute Lemper ist Artist-in-Residence beim Kurt Weill Fest in Dessau (Seite 54)<br />
28. Februar bis 26. Mai, Frankfurt am Main<br />
GETRIEBEN<br />
VON FURCHT UND<br />
VERLANGEN<br />
Ein Flur mit Türen, die sich zu weiteren Fluren mit Türen<br />
öffnen, ein Krokodil, das sich lässig eine Zigarette anzündet,<br />
ein Mann, der Scheren und Metallwerkzeuge unter<br />
seinem Mantel trägt – dazu elektronisch generierte und<br />
verzerrte Klänge, die die Absurdität und Unheimlichkeit<br />
der Szene um eine weitere Dimension steigern: One<br />
Need Not Be a House, The Brain Has Corridors – die<br />
jüngste Arbeit des schwedischen Künstlerpaares Nathalie<br />
Djurberg und Hans Berg, deren Titel die Zeile eines<br />
Gedichts der amerikanischen Poetin Emily Dickinson<br />
aufgreift, führt den Betrachter durch skurrile Traum- und<br />
Erinnerungswelten. Seltsame Figuren befinden sich an<br />
abgegrenzten Orten, im Wald, in einer Höhle, in einem<br />
Raum, und sie werden getrieben von Furcht und Verlangen.<br />
Seit 2004 arbeiten die beiden zusammen. 2009 wurden<br />
sie für ihre Rauminstallation The Experiment auf der<br />
Biennale in Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet.<br />
In einem umfangreichen Überblick unter dem<br />
Titel A Journey Through Mud and Confusion with Small Glimpses<br />
of Air wird ihr Werk erstmals in Deutschland vorgestellt.<br />
Zu sehen sind rund 40 Video- und Soundarbeiten<br />
der letzten beiden Jahrzehnte, darunter das frühe Video<br />
Tiger Licking Girl’s Butt, großformatige Rauminstallationen<br />
wie The Potato und The Parade, zahlreiche Skulpturen und<br />
ihre erste Virtual-Reality-Arbeit It Will End in Stars aus<br />
dem Jahr 2018.<br />
Frankfurt am Main, Schirn Kunsthalle, www.schirn.de<br />
Nathalie Djurberg und Hans Berg: Szene aus<br />
dem Stopp-Motion-Film „Worship“, 2016<br />
FOTO: DAVID NEMAN<br />
43
E R L E B E N<br />
Februar / <strong>März</strong> 20<strong>19</strong><br />
DIE WICHTIGSTEN<br />
VERANSTALTUNGEN AUF<br />
EINEN BLICK<br />
Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals<br />
PREMIEREN<br />
2.2. AUGSBURG THEATER<br />
Werther / Jules Massenet<br />
2.2. CHEMNITZ THEATER<br />
Die Zauberflöte / W. A. Mozart<br />
2.2. DARMSTADT STAATSTHEATER<br />
Kiss Me Kate / Cole Porter<br />
2.2. ESSEN AALTO-MUSIKTHEATER<br />
Otello / Giuseppe Verdi<br />
2.2. WUPPERTAL BÜHNEN<br />
Play Europeras 1 & 2 / J. Cage<br />
3.2. HAMBURG STAATSOPER<br />
Orphée et Euridice / Chr. W. Gluck<br />
3.2. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />
Rusalka / Antonín Dvořák<br />
3.2. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />
Le Grand Macabre / György Ligeti<br />
8.2. BASEL (CH) THEATER<br />
Der Kaiser von Atlantis / Viktor Ullmann<br />
8.2. ERFURT THEATER<br />
Der Zauberer von Oz / P. Valtinoni<br />
9.2. DORTMUND THEATER<br />
Turandot / Giacomo Puccini<br />
9.2. HEIDELBERG THEATER<br />
Benjamin / Peter Ruzicka<br />
9.2. KAISERSLAUTERN PFALZ-<br />
THEATER Jenůfa / Leoš Janáček<br />
9.2. OSNABRÜCK PFALZ THEATER<br />
Bauhaus / Mary Wigman, Edward Clug<br />
9.2. WIEN (AT) STAATSOPER<br />
Lucia di Lammermoor / G. Donizetti<br />
10.2. AACHEN THEATER<br />
Trouble in Tahiti und A Quiet Place /<br />
Leonard Bernstein<br />
10.2. GIESSEN STADTTHEATER<br />
Königskinder / Engelbert Humperdinck<br />
10.2. MANNHEIM NATIONAL-<br />
THEATER Der gute Ehemann / Georg<br />
Anton Benda und Herzog Blaubarts<br />
Burg / Béla Bartók<br />
10.2. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />
Porgy and Bess / George Gershwin<br />
15.2. KARLSRUHE BADISCHES<br />
STAATSTHEATER<br />
Serse / Georg Friedrich Händel<br />
15.2. LUDWIGSHAFEN THEATER<br />
IM PFALZBAU<br />
Die Hochzeit des Figaro / W. A. Mozart<br />
16.2. FREIBURG THEATER<br />
Hulda / César Franck<br />
16.2. HANNOVER STAATSOPER<br />
Fausts Verdammnis / Hector Berlioz<br />
16.2. REGENSBURG THEATER<br />
Gefährliche Liebschaften / Yuki Mori<br />
9. und 10. <strong>März</strong>, Wuppertal und Leverkusen<br />
FRAGEN NACH DEM<br />
MENSCHLICHEN SEIN<br />
Solitude-Chor Stuttgart<br />
Der Holocaust habe ihn tief in seiner Seele getroffen, erklärt der<br />
kanadische Komponist Zane Zalis. Je mehr er über das Geschehen<br />
nachgedacht und mit anderen darüber gesprochen habe, desto<br />
deutlicher sei ihm geworden, dass er darüber schreiben müsse.<br />
Dabei waren es allgemeine Fragen nach dem menschlichen Sein,<br />
und was es bedeutet, wenn Menschen einander Derartiges antun,<br />
die ihn umtrieben. Er hatte den Wunsch, eine emotionale Verbindung<br />
zur Vergangenheit herzustellen, und suchte nach einer Darstellungsweise,<br />
die nachfühlbar machen könnte, wie dieses entsetzliche<br />
Ereignis der menschlichen Geschichte sich für jene angefühlt<br />
hat, die sich mittendrin befanden – Opfer wie Täter. Fünf<br />
Jahre verbrachte er damit nachzudenken, zu lesen und Gespräche<br />
zu führen. Auf diesem Wege entstand ein gewaltiges Werk. Von<br />
Bach über Wagner bis zu zeitgenössischem Jazz und elektronischer<br />
Musik erstreckt sich Zalis’ musikalische Palette. I Believe – A Holocaust<br />
Oratorio for Today ist eine vielfältige und emotional überwältigende<br />
Komposition für Orchester, Chöre und Solisten. An der<br />
Aufführung wirken die Sopranistin Kelsey Cowie, der Tenor Jean-<br />
Pierre Ouellet und der Bassist Marko Zeiler sowie der Solitude-<br />
Chor Stuttgart, der Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal und<br />
der Leverkusener Kinder- und Jugendchor mit. Es spielen die<br />
Bayer-Philharmoniker unter Bernhard Steiner. Sprecher ist Stefan<br />
Müller-Ruppert.<br />
Wuppertal, Historische Stadthalle, 9.3., Leverkusen, Erholungshaus, 10.3.,<br />
www.kultur.bayer.de<br />
FOTO: HAWA, MATERIAL DER STAATSOPER ŁÓDŹ<br />
16.2. WIEN (AT) THEATER AN DER<br />
WIEN Elias / F. Mendelssohn Bartholdy<br />
17.2. BERLIN STAATSOPER<br />
Die Zauberflöte / W. A. Mozart<br />
17.2. HAMBURG STAATSOPER<br />
All Our Yesterdays / John Neumeier<br />
17.2. MANNHEIM NATIONAL-<br />
THEATER Orpheus in der Unterwelt /<br />
Jacques Offenbach<br />
17.2. MÜNSTER THEATER<br />
Das Tagebuch der Anne Frank / G. Frid<br />
22.2. DESSAU ANHALTISCHES THEA-<br />
TER Im weißen Rössl / Ralph Benatzky<br />
22.2. HALLE OPER<br />
Ariadne auf Naxos / Richard Strauss<br />
22.2. STUTTGART OPER<br />
One of a Kind / Jiři Kylián<br />
23.2. BRAUNSCHWEIG STAATSTHE-<br />
ATER Die lustige Witwe / Franz Lehár<br />
23.2. COTTBUS STAATSTHEATER<br />
Frau Luna / Paul Lincke<br />
23.2. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />
Così fan tutte / W. A. Mozart<br />
24.2. BERN (CH) THEATER<br />
Lotario / G. F. Händel<br />
24.2. ESSEN AALTO-MUSIKTHEATER<br />
Der Ring an einem Abend / Richard<br />
Wagner, Vicco von Bülow<br />
24.2. FRANKFURT AM MAIN OPER<br />
Dalibor / Bedřich Smetana<br />
24.2. GERA LANDESTHEATER ALTEN-<br />
BURG Oedipe / George Enescu<br />
24.2. HAMBURG STAATSOPER<br />
The World of John Neumeier<br />
1.3. GELSENKIRCHEN<br />
MUSIKTHEATER IM REVIER<br />
Eugen Onegin / Peter I. Tschaikowsky<br />
1.3. GELSENKIRCHEN<br />
MUSIK THEATER IM REVIER<br />
Big Fish / Andrew Lippa und John Appelt<br />
2.3. CHEMNITZ THEATER<br />
Drachenherz / Wolfgang Böhmer<br />
2.3. SALZBURG (AT) LANDESTHEA-<br />
TER Der Prozess / Philip Glass<br />
3.3. HILDESHEIM THEATER FÜR<br />
NIEDERSACHSEN<br />
Die Prinzessin von Trapezunt /<br />
Jacques Offenbach<br />
8.3. DRESDEN SEMPEROPER<br />
Die verkaufte Braut / Bedřich Smetana<br />
8.3. GERA LANDESTHEATER<br />
Die Passagierin / Mieczysław Weinberg<br />
8.3. LUDWIGSHAFEN THEATER<br />
IM PFALZBAU<br />
Das Land des Lächelns / Franz Lehár<br />
8.3. LÜBECK THEATER<br />
A Quiet Place / Leonard Bernstein<br />
44 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
FOTOS: ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />
12. und 14. Februar<br />
BERLIN<br />
MUSIK AN DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT<br />
Mit Gustav Mahlers gewaltiger Achter Sinfonie<br />
feiern die Musikensembles der Humboldt-<br />
Universität Jubiläum. Vor 25 Jahren rief der<br />
Universitätsmusikdirektor Constantin Alex<br />
Humboldts Studentische Philharmonie und<br />
Humboldts Philharmonischen Chor ins Leben.<br />
Damit begründete er die Institution Musik an<br />
der Humboldt-Universität. Mittlerweile vereint sie sechs Ensembles<br />
unter ihrem Dach. Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen bietet<br />
sie die Möglichkeit, gemeinsam zu musizieren, über ihr Fachstudium<br />
hinaus Fähigkeiten zu entwickeln und Anschluss an Gleichgesinnte zu<br />
finden. Zu den Jubiläumskonzerten kommen die beiden studentischen<br />
Sinfonieorchester sowie die beiden großen Chöre zusammen. Als Gäste<br />
wirken Solisten sowie der Rundfunk-Kinderchor Berlin und der Kinderchor<br />
„Georg-Friedrich-Händel“ mit. Am Pult steht Constantin Alex.<br />
Berlin, Philharmonie, 12.2., Konzerthaus, 14.2.,<br />
www.musikundmedien.hu-berlin.de/de/umd<br />
9. <strong>März</strong><br />
BERLIN BABYLON<br />
Es war die Frage, ob Babylon nicht doch mehr<br />
gewesen sei als Hurerei und Sprachverwirrung,<br />
die Jörg Widmann (Foto) umtrieb und ihn 2012<br />
zu seiner Oper Babylon anregte. Der Philosoph<br />
Peter Sloterdijk verfasste ihm dazu ein gedankenschweres<br />
Libretto. Jetzt hat Widmann das<br />
Werk überarbeitet. Da die babylonische Sprachverwirrung<br />
im Libretto nicht vorkomme, passiere sie in der Musik,<br />
ebenso der Turmbau zu Babel. „Der Bau der Partitur entspricht der<br />
Form einer Zikkurat, also dem Babelturm“, erläutert Widmann. Bis zum<br />
siebten Bild hin verjünge sich das Werk immer mehr. So werde der Turm<br />
in der Musik gebaut. Die Uraufführung der Neufassung leitet Daniel<br />
Barenboim. Die Inszenierung übernimmt Andreas Kriegenburg. Als Jude<br />
Tammu ist Charles Workman zu erleben. Die Seele ist Mojca Erdmann.<br />
Die Partie der Inanna singt Susanne Elmark, und als Priesterkönig steht<br />
John Tomlinson auf der Bühne.<br />
Berlin, Staatsoper Unter den Linden, 9. (Premiere), 11., 20., 22. und 24.3.,<br />
www.staatsoper-berlin.de<br />
8. <strong>März</strong><br />
MEININGEN SCHLOSS DÜRANDE<br />
Othmar Schoeck war der erste Schweizer Komponist,<br />
der außerhalb seines Landes Beachtung<br />
errang. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieß seine<br />
spätromantische Ästhetik zwar auf wenig<br />
Resonanz. In den <strong>19</strong>80er-Jahren aber wurden<br />
einzelne seiner Werke wiederentdeckt. Schloss<br />
Dürande komponierte Schoeck nach einer<br />
Novelle von Joseph Eichendorff, die ihm 30 Jahre zuvor Hermann Hesse<br />
empfohlen hatte. Sie handelt von der Liebe des Grafen Armand Dürande<br />
zu Gabriele, der Schwester seines Waldhüters Renald. Da dieser jedoch<br />
der Reinheit seiner Liebe misstraut, schließt er sich den Revolutionären<br />
an, stürmt das Schloss und erschießt Armand und seine Schwester. Als er<br />
erkennt, wie unrecht er hatte, legt er Feuer an den Pulverturm und<br />
kommt in der gewaltigen Explosion, die das ganze Schloss zerstört, ums<br />
Leben. Mit dem Libretto wurde der deutsche, dem Nationalsozialismus<br />
anhängende Dichter und Dramatiker Hermann Burte beauftragt. Der<br />
sagte auch zu, wollte jedoch den Schluss ändern: „Ein happy end ist als<br />
Wirkung einem killing around vorzuziehen: Hochzeitsmarsch angenehmer<br />
als Trauermarsch.“ Schoeck aber blieb fest: „Der Stoff ist unbedingt<br />
tragisch.“ Die Uraufführung erfolgte am 1. April <strong>19</strong>43 mitten im<br />
Krieg in Berlin. Das Publikum war begeistert. Die Explosion des Schlosses<br />
am Ende gelang so realistisch, dass sie für einen Bombeneinschlag gehalten<br />
wurde. Der große Erfolg blieb dennoch aus, und nach dem Krieg<br />
geriet die Oper in Vergessenheit. In einem Projekt der Hochschule der<br />
Künste und der Universität Bern wurde nun das nationalsozialistisch geprägte<br />
Libretto restauriert und durch Originaltexte von Joseph Eichendorff<br />
ergänzt. Am Pult steht Philippe Bach. Die Inszenierung mit Ondrej<br />
Šaling (Foto) als Armand übernimmt Ansgar Haag.<br />
Meiningen, Staatstheater, 8. (Premiere), 10., 16. und 29.3., 28.4., 8. und 7.5., 27.<br />
und 30.6. sowie 6.7., www.meininger-staatstheater.de<br />
Ab 5. Februar<br />
ESSEN WILLIAM FORSYTHE<br />
„Ich bin ein Künstler, der im Medium der Choreografie<br />
arbeitet“, erklärt William Forsythe. Von<br />
<strong>19</strong>84 bis 2009 war er Ballettdirektor des Frankfurter<br />
Balletts. 2005 bis 2015 leitete er die von<br />
ihm gegründete Forsythe Company. 20<strong>19</strong> begeht<br />
er seinen 70. Geburtstag, und das Museum<br />
Folkwang feiert ihn das ganze Jahr über. Im Februar<br />
zeigt es im Foyer die interaktive Videoarbeit City of Abstracts (Foto).<br />
Im Frühsommer sind Human Writes Drawings zu sehen, großformatige<br />
Papierarbeiten, die Forsythes choreografische Auseinandersetzung mit<br />
den Menschenrechten ins Genre der Zeichnung übertragen. Im Sommer<br />
installiert Forsythe Aviariation. Das Werk, dessen Titel eine Kombination<br />
aus dem englischen Wort „aviary“ (Voliere) und Variation ist, verwandelt<br />
die Bäume in einem der Lichthöfe des Museums in ein choreografisches<br />
Naturtheater. Und im November gibt es im Rahmen von „100 Jahre Bauhaus<br />
im Westen“ das Projekt Acquisition mit zwei Tänzern zu sehen.<br />
Essen, Museum Folkwang, www.museum-folkwang.de<br />
14. Februar<br />
FRANKFURT AM MAIN<br />
RHAPSODY IN CONCERT<br />
Sich alle Freiheiten zu nehmen, um Geschichten<br />
zu erzählen – das ist die Idee der musikalischen<br />
Gattung Rhapsodie. Die Künstler-Initiative<br />
Rhapsody in School greift diese Idee auf. Über<br />
400 Musiker besuchen in ihrem Rahmen Schulen<br />
und erzählen von ihrer Musik und ihren Instrumenten.<br />
Die Konzertreihe „Rhapsody in Concert“<br />
stellt diese Musiker in Konzerten vor. In der Alten Oper Frankfurt<br />
unternehmen die Pianistin und Rhapsody-Botschafterin Annika Treutler,<br />
der Hornist Felix Klieser, Miljenko Turk, Bariton an der Kölner Oper und<br />
Mitbegründer von „Rhapsody goes Opera“, mit dem Quintett Spark und<br />
dem Signum Saxophone Quartet einen Streifzug durch Rhapsodien vom<br />
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Moderiert wird der Abend von<br />
Schülern, die sich zuvor im Rahmen eines Projekts intensiv mit den Werken<br />
befassten.<br />
Frankfurt am Main, Alte Oper, www.rhapsody-in-school.de<br />
9. Februar<br />
MÜNCHEN NEBENSONNEN<br />
Als Franz Schubert im Herbst 1827 seinen<br />
Freunden die Vertonung des Liederzyklus<br />
Winterreise auf dem Klavier vorspielte, waren sie<br />
erschüttert. Helle Töne fehlten darin komplett.<br />
Andreas Höricht, Bratschist des Voyager<br />
Quartets, hat 12 der 24 Liedkompositionen<br />
Schuberts aus dem Zyklus für sein Streichquartett<br />
arrangiert. Nebensonnen nach dem Titel des 23. Liedes haben<br />
die Violinis ten Nico Christians und Maria Krebs, der Cellist Klaus Kämper<br />
und Andreas Höricht, die 2014 zum Quartett zusammenfanden, den<br />
Abend überschrieben. Beethovens Streichquartett Nr. 14 cis-Moll,<br />
op. 131 widmen sie den zweiten Teil. Es gehört zu den späten, dunklen<br />
Quartetten Beet hovens. Wagner sah darin das „Schwermütigste“, was je<br />
in Tönen ausgesagt wurde. Allein George Bernard Shaw rühmte gerade<br />
die späten Quartette als die schönen, „geradlinigen, unprätentiösen,<br />
vollkommen verständlichen“.<br />
München, Allerheiligen-Hofkirche, www.voyagerquartet.de<br />
45
E R L E B E N<br />
20. Februar, München<br />
BEEINDRUCKENDE KUNSTFERTIGKEIT<br />
Sandro Roy<br />
FOTO: SANDRO ROY<br />
Der Geiger Sandro Roy entstammt einer Sinti-Familie. Bewundert als<br />
Musiker, sind Sinti und Roma in Europa als Menschen allzu oft ausgegrenzt.<br />
Durch wirtschaftliche und soziale Umstände zum Wanderdasein<br />
gezwungen, hat der Musikerberuf eine lange Tradition bei ihnen.<br />
So spielten sie in den jeweiligen Gastländern für die Angehörigen des<br />
Mehrheitsvolkes – und zwar deren Musik. Eine ungeheure Vielfalt an<br />
Musikstilen schufen sie dadurch, und mit beeindruckender Kunstfertigkeit<br />
verstanden sie es, jedem Musikstück ihren Stempel aufzudrücken.<br />
Sandro Roy stellt Werke von Sinti- und Roma-Musikern vor wie Hejre<br />
Kati des ungarischen Komponisten und Violinisten János Bihari, den<br />
auch Beethoven und Liszt bewunderten, Hora mărțișorului des rumänischen<br />
Komponisten und Violinisten Grigoraș Dinicu oder Minor<br />
Swing des legendären Django Reinhardt. Darüber hinaus kommen<br />
Werke von George Enescu, Vittorio Monti, Pablo de Sarasate sowie<br />
des Filmkomponisten Miklós Rózsa zur Aufführung. Deutlich wird der<br />
überwältigende Einfluss der Sinti- und Roma-Musiker auf das europäische<br />
Musikschaffen. Das Konzert „Gypsy goes Classic“, geleitet von<br />
Henry Raudales und moderiert von Antonia Goldhammer, ist Teil der<br />
Reihe „Mittwochs um halb acht“ des Münchner Rundfunkorchesters.<br />
Das Magazin <strong>CRESCENDO</strong> präsentiert es in Kooperation mit dem<br />
Rundfunkorchester und bietet Exklusivleistungen für seine Leser:<br />
Karten in der besten Kategorie, eine Backstage-Führung vorab und<br />
Künstlergespräche in der <strong>CRESCENDO</strong>-Lounge im Gartensaal.<br />
München, Prinzregententheater, www.crescendo.de/live<br />
1. <strong>März</strong><br />
BERLIN LA SYLPHIDE<br />
La Sylphide bildet einen Meilenstein in der Geschichte<br />
des klassischen Balletts. Die Choreografie<br />
Filippo Taglionis folgt einem Libretto über<br />
die unerfüllte Liebe eines schottischen Landjunkers<br />
zu einer Sylphide, einem geflügelten<br />
Geis terwesen. Taglionis Tochter Maria, die bei<br />
der Uraufführung an der Pariser Oper 1832<br />
die Sylphide tanzte, verhalf dem Spitzentanz zur Durchsetzung. Der<br />
Kostümbildner Eugène Lami schuf mit dem weißen, durchschimmernden<br />
Knierock das fortan typische Ballettkostüm. Und das in weiße Tutus gekleidete<br />
Corps de ballet, das die im Wald leichtfüßig dahinschwebenden<br />
Sylphiden darstellte, wurde zum Modell des Ballet blanc. Überliefert ist<br />
La Sylphide in einer Fassung, die August Bournonville 1836 am Königlichen<br />
Theater in Kopenhagen schuf. Frank Andersen, jahrelanger Leiter des<br />
Königlich Dänischen Balletts und Bournonville-Spezialist, hat diese Fassung<br />
rekonstruiert, und das Staatsballett Berlin erweckt sie zu Herman<br />
Severin LØvenskiolds Musik zum Bühnenleben.<br />
Berlin, Deutsche Oper, 1. (Premiere), 3., 12., und 22.3., 4., 22. und 26.4. sowie 26.<br />
und 31.5., www.staatsballett-berlin.de<br />
9. <strong>März</strong><br />
KOBLENZ DOCTOR ATOMIC<br />
Während des Zweiten Weltkriegs bereiteten<br />
in der Wüste New Mexicos Wissenschaftler,<br />
Regierungsbeamte und Militärs die Tests einer<br />
Atombombe vor. Am 6. und 9. August <strong>19</strong>45<br />
wurde sie auf Hiroshima und Nagasaki geworfen.<br />
John Adams (Foto) nahm jenes Manhattan-<br />
Projekt zum Sujet seiner Oper Doctor Atomic, zu<br />
der Peter Sellars das Libretto verfasste. Zu Beginn trägt ein Chor Albert<br />
Einsteins Formel E = mc 2 als apokalyptischen Chor des Schreckens vor.<br />
Der erste Akt spielt <strong>19</strong>45, etwa einen Monat vor den ersten Tests in der<br />
Wüste. Dabei geht es Adams vor allem darum, die Charaktere der Beteiligten<br />
auszuleuchten und ihre Zweifel, Ängste und Anspannung in der<br />
Musik zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich wussten die Physiker damals<br />
nicht, wie die Tests ausgehen würden. Die Aufführung in Koblenz wird<br />
musikalisch von Enrico Delamboye geleitet. Die Inszenierung mit Andrew<br />
Finden als J. Robert Oppenheimer, Jongmon Lim als Edward Teller und<br />
Ilkka Vihavainen als General Leslie Groves besorgt Markus Dietze.<br />
Koblenz, Theater, 17., 28. und 30.3., 7.4., 5. und 24.5. sowie 5., 18. und 20.6.,<br />
www.theater-koblenz.de<br />
46 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
FOTOS: ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />
9.3. KASSEL STAATSTHEATER<br />
Die Walküre / Richard Wagner<br />
9.3. KIEL THEATER<br />
Die Frau ohne Schatten / R. Wagner<br />
9.3. LÜNEBURG THEATER<br />
Der Rosenkavalier / Richard Strauss<br />
9.3. MAINZ STAATSTHEATER<br />
Avis de Tempête / Georges Aperghis<br />
9.3. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />
Der fliegende Holländer / R. Wagner<br />
10.3. BONN THEATER<br />
Elektra / Richard Strauss<br />
10.3. HAMBURG STAATSOPER<br />
Nabucco / Giuseppe Verdi<br />
10.3. KÖLN OPER<br />
Rusalka / Antonín Dvořák<br />
13.3. BERLIN STAATSOPER<br />
Schneewittchen / Wolfgang Mitterer<br />
14.3. BERN (CH) THEATER<br />
Humanoid / Leonard Evers<br />
10. Februar, München<br />
KÜNSTLER<br />
LEIF OVE ANDSNES<br />
7., 8.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />
22.2. Berlin, Konzerthaus<br />
10.3. Essen, Alfried Krupp Saal der<br />
Philharmonie<br />
BENJAMIN APPL<br />
17.2., 2., 8. und 9.3. Hamburg,<br />
Staatsoper<br />
24.2. Münster, Theater<br />
26.2. Dortmund, Konzerthaus<br />
10.3. Hitzacker, Verdo<br />
SALEEM ASHKAR<br />
21.2. Duisburg, Lehmbrück Museum<br />
23.2. Garmisch-Partenkirchen,<br />
Kongresshaus<br />
EIN MENSCH VOLLER<br />
UNENTSCHLOSSENHEIT<br />
Bo Skovhus<br />
Karl V. ist das erste Werk, in dem Ernst Krenek die Zwölftontechnik<br />
anwandte. Clemens Krauss, der Direktor der Wiener Staatsoper,<br />
hatte ihn <strong>19</strong>30 beauftragt, eine Oper zu schreiben. Krenek wählte<br />
den römisch-deutschen Kaiser, der für ihn zu jenen „problematischen,<br />
dunklen Gestalten“ gehörte, die ihn schon immer anzogen,<br />
„ein Mensch voller Zweifel und großer Unentschlossenheit“. Die<br />
Tatsache, dass er beispiellose Macht ausübte und sie aufgab, um<br />
seine letzten Tage in einem entlegenen spanischen Kloster zu verbringen,<br />
faszinierte ihn. Krenek sah in dem Kaiser „einen der letzten<br />
Repräsentanten der mittelalterlichen Vorstellung von Universalität“.<br />
Nach einem Jahr mühseliger Recherchen erarbeitete er sein Libretto,<br />
in dem der sterbende Kaiser im Kloster von San Juste dem jungen<br />
Mönch Juan de Regla sein Leben erzählt. Krenek entwickelte seine<br />
eigene Interpretation der Geschichte. Denn er wollte ein politisches<br />
Drama schaffen. Zu einer Aufführung in Wien kam es allerdings<br />
nicht, denn Krenek musste emigrieren. Erst nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg fand das Werk seine Anerkennung. An der Bayerischen<br />
Staatsoper setzt die Theatergruppe Carlus Padrissa – La Fura dels<br />
Baus es in Szene. Erik Nielsen dirigiert. Die Titelpartie übernimmt<br />
Bo Skovhus (Foto).<br />
München, Nationaltheater, 10. (Premiere), 13., 16., 21. und 23.2. sowie<br />
14.7., www.staatsoper.de<br />
FOTO: ROLAND UNGER<br />
14. Februar 20<strong>19</strong><br />
Die Luft, in der ich atme<br />
Das Künstlerpaar Clara und<br />
Robert Schumann im Portrait<br />
Fatma Said (Sopran)<br />
Malcolm Martineau (Klavier)<br />
Jutta Speidel (Rezitation)<br />
21. Juni 20<strong>19</strong><br />
Meisterpianist<br />
Franz Liszt:<br />
„Années de pèlerinage“<br />
(Auszüge)<br />
Louis Lortie (Klavier)<br />
www.kunstklang-feuchtwangen.de<br />
Kartentelefon 09852 904-44<br />
C-MOLL-MESSE<br />
WOLFGANG AMADEUS MOZART<br />
Sonntag, 17. <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>, 20.00 Uhr<br />
München, Herkulessaal der Residenz<br />
Solisten<br />
Chor und Symphonieorchester der Bayerischen Philharmonie<br />
Mark Mast Dirigent<br />
www.bayerische-philharmonie.de<br />
Karten: 59 / 49 / 39 / 32 / 24 €, ermäßigt 50 %<br />
Telefon +49 89 120 220 320 | info@bayerische-philharmonie.de | www.muenchenticket.de<br />
Foto: Gisela Schenker<br />
47
E R L E B E N<br />
AURYN QUARTETT<br />
6.2. Memmingen, Kreuzherrensaal<br />
7.2. Stuttgart, Liederhalle<br />
9.2. München, Max-Joseph-Saal<br />
17.2. Wiesbaden, Herzog-Friedrich-<br />
August-Saal<br />
AVI AVITAL<br />
10.2. Berlin, Konzerthaus<br />
11.2. Bielefeld, Rudolf-Oetker-Halle<br />
12.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />
13.2. Heidelberg, Stadthalle<br />
16.2. Hannover, NDR Landesfunkhaus<br />
17.2. Darmstadt, Staatstheater<br />
<strong>19</strong>. u. 20.2. Hamburg, Elbphil harmonie<br />
21.2. Wien (AT), Musikverein<br />
22.2. Linz (AT), Brucknerhaus<br />
24.2. Friedrichshafen, Graf-Zeppelin-H.<br />
25.2. Schaffhausen (CH), Kirche<br />
St. Johann<br />
26.2. und 2.3. Zürich (CH),<br />
Tonhalle Maag<br />
27.2. Neumarkt, Reitstadel<br />
Benjamin Appl<br />
SERGEI BABAYAN<br />
22., 24. und 25. 2. Düsseldorf, Tonhalle<br />
2.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />
4.3. Krün, Schloss Elmau<br />
10.3. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />
14.3. Wien (AT), Konzerthaus<br />
17.3. München, Prinzregententheater<br />
CHRISTIAN BENNING<br />
9.2. Dachau, Schloss<br />
13.3. Bonn, Beethoven-Haus<br />
YEFIM BRONFMAN<br />
26.2. Köln, Philharmonie<br />
28.2. München, Prinzregententheater<br />
4.3. Berlin, Pierre Boulez Saal<br />
KHATIA BUNIATISHVILI<br />
23.2. Dresden, Kulturpalast<br />
25.2. Berlin, Philharmonie<br />
SEONG-JIN CHO<br />
22.2. Köln, Philharmonie<br />
23.2. Bielefeld, Rudolf-Oetker-Halle<br />
6. bis 10. Februar, Zürich und Bürgenstock (CH)<br />
FREMDHEIT<br />
UND EINSAMKEIT<br />
Das 7. Winterfestival in dem schweizerischen Bergkurort Bürgenstock<br />
hoch über dem Vierwaldstädtersee widmet sich Franz Schuberts<br />
ergreifendem Liederzyklus Winterreise. Ein Jahr vor seinem<br />
Tod vertonte Schubert die Verse Wilhelm Müllers, die von der existenziellen<br />
Fremdheit und Einsamkeit des Menschen auf Erden erzählen.<br />
Unter der künstlerischen Leitung des Klarinettisten Andreas<br />
Ottensamer und des Pianisten José Gallardio, die auch selbst zu den<br />
Mitwirkenden zählen, werden die Lieder an fünf Konzertabenden<br />
kombiniert mit neuen Arrangements der Lieder ohne Worte von Felix<br />
Mendelssohn Bartholdy sowie Werken von Carl Maria von Weber,<br />
Max Bruch, Johannes Brahms und Leoš Janáček. Als Sänger wurde<br />
der Bariton Benjamin Appl (Foto) gewonnen. <strong>19</strong>82 in Regensburg<br />
geboren, studierte er an der Hochschule für Musik und Theater in<br />
München, an der Juilliard School in New York sowie der Guildhall<br />
School of Music in London und war der letzte Schüler von Dietrich<br />
Fischer-Dieskau. Dessen Tradition lebendig fortführend, hat er sich<br />
leidenschaftlich der Liedkunst hingegeben, die ihr Augenmerk auch<br />
auf die Textausdeutung legt. Im Abschlusskonzert des Festivals gibt<br />
es das neue Album der Bürgenstock Festival CD-Edition zu sehen.<br />
Zürich und Bürgenstock (CH), Kaufleuten und Hotel Villa Honegg,<br />
www.buergenstock-festival.ch<br />
FOTO: UWE ARENS SONY CLASSICAL<br />
16. Februar<br />
DÜSSELDORF<br />
SCHADE, DASS SIE EINE HURE WAR<br />
Ein elisabethanisches Schauerdrama schuf der<br />
Shakespeare-Zeitgenosse John Ford mit seiner<br />
Tragödie ’Tis Pitty Shees a Whore. Inzest, Intrige<br />
und Mord sind die Themen der Handlung, die<br />
Ford allerdings mit psychologischem Gespür<br />
gestaltet. Die geschwisterliche Liebe Giovannis<br />
und Annabellas stellt er als schicksalhafte<br />
Fügung dar, der sich die beiden nur zögernd beugen. Anno Schreier, geschätzt<br />
für die Sinnlichkeit seiner Musik, nimmt das Drama zur Vorlage<br />
seiner Oper Schade, dass sie eine Hure war. In der Uraufführung, dirigiert<br />
von Lukas Beikircher und inszeniert von David Hermann, stehen Lavinia<br />
Dames (Foto) und Jussi Myllys als Geschwisterpaar auf der Bühne.<br />
Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, 16. (Premiere), 23., und 27.2. sowie 8.,<br />
10. und 17.3., www.operamrhein.de<br />
16. und 23. <strong>März</strong><br />
BERLIN UND HAMBURG<br />
SCHAROUN ENSEMBLE BERLIN<br />
Mit einer Uraufführung feiert das Scharoun<br />
Ensemble Berlin sein 35-jähriges Bestehen.<br />
<strong>19</strong>83 wurde es von Mitgliedern der Berliner<br />
Philharmoniker in der klassischen Orchesterbesetzung<br />
mit Klarinette, Fagott, Horn, zwei<br />
Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass gegründet.<br />
Im Jubiläumskonzert stehen Arnold<br />
Schönbergs Zweites Streichquartett sowie Sofia Gubaidulinas Hommage<br />
à T. S. Eliot auf dem Programm, an deren Aufführung die Sopranistin<br />
Rinnat Moriah mitwirkt. Außerdem gibt es das Oktett zu hören, das<br />
George Benjamin, Composer-in-Residence der Berliner Philharmoniker,<br />
nach seinen Studien bei Olivier Messiaen in Paris komponierte. Und zur<br />
Uraufführung kommt ein neues Werk von Mark Andre.<br />
Berlin, Kammermusiksaal der Philharmonie, 16.2., Hamburg, Kleiner Saal der<br />
Elbphilharmonie, 23.2., scharoun-ensemble.com<br />
21. Februar<br />
MÜNCHEN WINTERREISE<br />
Franz Schubert war der Schöpfer des lyrischdramatischen<br />
Liedes. Wie keiner vor ihm<br />
fügte er dichterischen Text, Melodien und stimmungsvolle<br />
Begleitung zu einer Einheit. Gedanken<br />
und Gefühle von Dichtern begegnen den<br />
seinigen und lassen ergreifende Miniaturen des<br />
Lebens entstehen. Eine der berührendsten<br />
Liedkompositionen Schuberts ist die Winterreise. Immer wieder neu stellt<br />
sich in ihr die Frage nach dem Sinn des Lebens. Der Bariton Thomas<br />
Gropper und die Pianistin Maharani Chakrabarti, die seit über 15 Jahren<br />
als Lied-Duo auftreten, bringen die 24 Lieder des Zyklus zur Aufführung.<br />
München, Max-Joseph-Saal, www.muenchenticket.de<br />
16. bis 23. Februar<br />
BERLIN BRAHMS-PERSPEKTIVEN<br />
Lange zögerte Johannes Brahms, ehe er sich auf<br />
das „große Abenteuer“ einließ, eine Sinfonie zu<br />
schreiben. Er sah es als eine „Sache von Leben<br />
und Tod“ an. Erst im Alter von 43 Jahren legte<br />
er nach zahlreichen Vorstudien seine Erste<br />
Sinfonie vor. Robin Ticciati und das Deutsche<br />
Symphonie-Orchester Berlin widmen sich in<br />
einem Festival allen vier Brahms-Sinfonien. Unter dem Motto „Brahms-<br />
Perspektiven“ spüren sie historischen Linien nach, die zu Brahms führen<br />
und von ihm ausgehen. Zum Abschluss gibt es einen literarisch-musikalischen<br />
Abend mit Klavierstücken und Briefen Brahms’.<br />
Berlin, verschiedene Spielorte, www.dso-berlin.de<br />
48 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
FOTOS: MAX BRUNNERT; ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />
24.2. Berlin, Philharmonie<br />
27.2. Wuppertal, Hist. Stadthalle<br />
1.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />
15.3. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />
LUCAS DEBARGUE<br />
10., 11.2. Hamburg, Elbphil harmonie<br />
17.2. München, Prinzregententheater<br />
FAURÉ QUARTETT<br />
16.2. Geseke, Rittergut Störmede<br />
17.2. Marburg, Erwin-Piscator-Haus<br />
23.2. Gschwend, Evangelische Kirche<br />
SOL GABETTA<br />
2.2. Freiburg, Konzerthaus<br />
3.2. Frankfurt, Alte Oper<br />
11.2. Rheinfelden (CH), Kurbrunnensaal<br />
12.2. Vaduz (CH), Vaduzer Saal<br />
14.2. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />
15.2. Bern (CH), Kursaal<br />
<strong>19</strong>.2. Winterthur (CH), Stadthaus<br />
HÉLÈNE GRIMAUD<br />
2.2. Mannheim, Rosengarten<br />
3.2. Bremen, Die Glocke<br />
6.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />
8.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />
MARTIN GRUBINGER<br />
21.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />
24.2. Köln, Philharmonie<br />
26.2. Wien (AT), Konzerthaus<br />
28.2., 1.3. Berlin, Philharmonie<br />
5.3. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
6.3. Düsseldorf, Tonhalle<br />
7.3. Ludwigshafen, Feierabendhaus<br />
8.3. Reutlingen, Stadthalle<br />
9., 10.3. Hannover, Gr. Sendesaal<br />
13., 14.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />
FOTO: ASTRID ACKERMANN<br />
BORIS GILTBURG<br />
10.3. Hitzacker, Verdo<br />
11.3. Magdeburg, Johanniskirche<br />
JULIA HAGEN<br />
6.3. Salzburg (AT), Großes Festspielh.<br />
9.3. Aue, Kulturhaus<br />
11.3. Annaberg-Buchholz, Eduard-von-<br />
Winterstein-Theater<br />
HILARY HAHN<br />
28.2. Stuttgart, Liederhalle<br />
1.3. Freiburg, Konzerthaus<br />
3.3. Mannheim, Rosengarten<br />
SIMON HÖFELE<br />
3.2. Halle, Steintor-Varieté<br />
11. bis 13.2. Schwerin, Mecklenburgisches<br />
Staatstheater<br />
17.2. Basel (CH), Casino<br />
3.3. München, Prinzregententheater<br />
16.3. Leipzig, Gewandhaus<br />
DANIEL HOPE<br />
12., 16.2. Dresden, Frauenkirche<br />
10.3. Baden-Baden, Festspielhaus<br />
12.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />
15. bis 17.3. Berlin, Konzerthaus<br />
MAXIMILIAN HORNUNG<br />
2.2. Ludwigshafen, Pfalzbau<br />
3.2. Northeim, Stadthalle<br />
15.2. Grünwald, August Everding Saal<br />
16.2. Donaueschingen, Donauhallen<br />
17.2. Bonn, Trinitatiskirche<br />
<strong>19</strong>.2. Köln, Deutschlandfunk<br />
23.2. Freinsheim, Von-Busch-Hof<br />
3., 4.3. Karlsruhe, Staatstheater<br />
14., 15.3. Bremen, Glocke<br />
16.3. Heidelberg, Stadthalle<br />
2. <strong>März</strong>, München<br />
LUISA IMORDE<br />
7.2. Köln, Steinway Galerie<br />
8.2. Bonn, Historischer Gemeindesaal<br />
Bad Godesberg<br />
13.2. Bremen, Die Glocke<br />
15.2. Wels (AT), Klavierhaus<br />
ARTHUR UND LUCAS JUSSEN<br />
3.2. Oldenburg, Staatstheater<br />
12.2. Heidelberg, Alte Aula<br />
JONAS KAUFMANN<br />
7.2. Berlin, Philharmonie<br />
10.2. Frankfurt, Alte Oper<br />
14.2. München, Philharmonie<br />
17.2. Hannover, Kuppelsaal<br />
KLANGFORUM WIEN<br />
6., 8.2. Stuttgart, Theaterhaus<br />
15.2. Graz (AT), Helmut List Halle<br />
22., 23.2. Wien (AT),<br />
MuseumsQuartier<br />
4.3. Wien (AT), Konzerthaus<br />
9.3. München, Allerheiligen-Hofkirche<br />
JAN LISIECKI<br />
1.2. Essen, Philharmonie<br />
4.2. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
5.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />
6.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />
7.2. Nürnberg, Meistersingerhalle<br />
8.2. Hannover, Congress Zentrum<br />
ALICE SARA OTT<br />
<strong>19</strong>.2. Berlin, Philharmonie<br />
20.2. München, Philharmonie<br />
27.2. bis 1.3. Salzburg (AT)<br />
Felsen reitschule<br />
8.3. Wien (AT), Musikverein<br />
11.3. St. Pölten (AT), Festspielhaus<br />
SANDRO ROY<br />
3.3. Augsburg, Brechthaus<br />
MARIA SOLOZOBOVA<br />
3.2. München, Prinzregententheater<br />
2.3. Ulm, Haus der Begegnung<br />
3.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />
4.3. München, Herkulessaal<br />
MARTIN STADTFELD<br />
2.2. München, Prinzregententheater<br />
3.2. Berlin, Kammermusiksaal der<br />
Philharmonie<br />
17.2. Delmenhorst, Theater<br />
24.2. Frankfurt am Main, Holzhausenschlösschen<br />
9.3. Boppard, Stadthalle<br />
STEFAN ZWEIG TRIO<br />
27.2. Berlin, Konzerthaus<br />
4 TIMES BAROQUE<br />
3.2. Magdeburg, Gesellschaftshaus<br />
5.2. Erlangen, Wohnstift Rathsberg<br />
ANNIKA TREUTLER<br />
25.2. Dortmund, Konterhaus<br />
10.3. Friedrichshafen, Kiesel im k42<br />
DANIIL TRIFONOV<br />
9., 23.2. Wien (AT), Musikverein<br />
12.2. München, Herkulessaal<br />
14.2. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
21.2. Berlin, Philharmonie<br />
VOGLER QUARTETT<br />
10.2. Neubrandenburg, Alte Gießerei<br />
20.2. Fürth, Stadttheater<br />
2. bis 7.3. Kassel, Nordhessische<br />
Kammermusiktage<br />
16.3. Berlin, Konzerthaus<br />
STABAT MATER VON DVOŘÁK UND ĽUBICA ČEKOVSKÁ<br />
Chor des<br />
Bayerischen Rundfunks<br />
Antonín Dvořák liebte seine Kinder<br />
über alles. Der Tod seiner Tochter<br />
Josefa 1875, der zwei Jahre darauf<br />
Tochter Růžena und Sohn Otakar<br />
folgten, hatte ihm deutlich gezeigt,<br />
wie fragil dieses Glück war. 1876<br />
nahm Dvořák die geistliche Kantate<br />
Stabat mater für Soli, Chor und Klavier<br />
in Angriff, die er 1877 orchestrierte.<br />
Der Chor des Bayerischen<br />
Rundfunks unter seinem künstlerischen<br />
Leiter Howard Arman<br />
bringt mit Julius Drake am Klavier<br />
die frühe Fassung zur Aufführung,<br />
ergänzt von Neukompositionen<br />
Ľubica Čekovskás. Die mit zahlreichen<br />
Preisen ausgezeichnete<br />
Komponistin, die auch Opern und<br />
Filmmusik schreibt, studierte u. a.<br />
bei Robert Saxton, Thomas Adès,<br />
Harrison Birtwistle und Arvo Pärt.<br />
Von diesem stammt das dritte<br />
Werk des Abends, der Chorsatz<br />
And I Heard a Voice.<br />
München, Prinzregententheater,<br />
www.br-chor.de<br />
49
E R L E B E N<br />
Kommt mit Musik des 20. und 21. Jahrhunderts nach München: das London Symphony Orchestra<br />
FOTO: RANALD MACKECHNIE<br />
MUSIK ZWEIER<br />
JAHRHUNDERTWENDEN<br />
Die räsonanz – Stifterkonzertinitiative der Ernst von Siemens Musikstiftung –<br />
macht es möglich: Das London Symphony Orchestra und sein neuer<br />
Chefdirigent, Sir Simon Rattle, geben bei der musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />
in der Philharmonie im Gasteig ihr erstes Münchner Gastspiel.<br />
VON RUTH RENÉE REIF<br />
Heftig stampfende Moll-Akkorde eröffnen John Adams’ Harmonielehre.<br />
Sie wecken Assoziationen an die düsteren Streicher und<br />
Oboenklänge am Beginn von Jean Sibelius’ Vierter Sinfonie. Sein<br />
Werk richte den Blick in die Vergangenheit, erläutert Adams. „Die<br />
Schatten von Mahler, Sibelius, Debussy und dem jungen Schönberg“<br />
seien darin überall. Harmonielehre ist eine imposante orchestrale<br />
Auseinandersetzung mit der sinfonischen Musik der Wende vom<br />
<strong>19</strong>. zum 20. Jahrhundert. Der Titel bezieht sich auf das gleichnamige<br />
Lehrbuch, das Schönberg <strong>19</strong>11, also just in jenem Jahr veröffentlichte,<br />
als er selbst sich von der Tonalität<br />
abwandte. Adams, der bei Leon Kirchner, einem<br />
Schüler Schönbergs in Los Angeles, studierte,<br />
kostete es „einen Akt enormer Willenskraft“,<br />
sich dem Einfluss Schönbergs zu entziehen. Er<br />
RÄSONANZ –<br />
STIFTERKONZERT<br />
2. Mai, München, Philharmonie im Gasteig,<br />
www.br-musica-viva.de<br />
empfindet es daher nicht als überraschend, dass seine Zurückweisung<br />
häufig „die Form einer Parodie“ annahm. Adams <strong>19</strong>85 entstandenes<br />
dreisätziges Orchesterwerk beschreibt er als Verbindung<br />
minimalistischer Techniken mit „der harmonischen und expressiven<br />
Welt“ der Spätromantik.<br />
Sir Simon Rattle, seit September 2017 künstlerischer Leiter des<br />
London Symphony Orchestra, setzt das Werk auf das Programm<br />
seines ersten Münchner Gastspiels, das von der musica viva, einer<br />
Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks, veranstaltet wird. Möglich<br />
wird das Gastspiel durch eine Initiative der<br />
Ernst von Siemens Musikstiftung. Unter dem<br />
Titel räsonanz – Stifterkonzert ermöglicht die<br />
Stiftung jährlich je ein Konzert zeitgenössischer<br />
Werke mit internationalen Gastorchestern und<br />
50 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Ioan-Holender-Kolumne<br />
Oper ist ein<br />
schweres Geschäft<br />
Sir Simon Rattle<br />
Solisten in München bei der musica viva und in der Schweiz bei<br />
Lucerne Festival. Den ersten Teil des Programms gestaltet Rattle<br />
mit Musik aus Großbritannien. Die Trompeter Philip Cobb und<br />
Gábor Tarkövi sind die Solisten in Dispelling the Fears aus den Jahren<br />
<strong>19</strong>94–<strong>19</strong>95 von Mark-Anthony Turnage, dem Rattle seit Jahrzehnten<br />
eng verbunden ist. Turnage schätzt Rattles Einsatz für<br />
zeitgenössische Musik. „Simon macht sich für das Neue stark“,<br />
betont er. Neue Werke probe er unwahrscheinlich gründlich. Das<br />
Entscheidende sei jedoch, „dass er Komponisten wirklich achtet“.<br />
Zu Dispelling the Fears ließ sich Turnage von dem düsteren Gemälde<br />
der australischen Malerin Heather Betts anregen, auf dem ein kleines<br />
weißes „Lichtfenster“ den Blick anzieht. Dieses Gefühl des Übergangs<br />
vom Dunkel zum Licht bringt er in der Komposition zum<br />
Ausdruck. So wird der letzte Satz zu einer bewegenden Meditation<br />
der Trompete, deren zarte Klänge all die vorausgegangene Bedrohlichkeit<br />
und Angst zu besänftigen scheinen.<br />
In seinem Orchesterwerk The Shadow of Night aus dem Jahr<br />
2001 erkundet Sir Harrison Birtwistle die nächtliche Melancholie,<br />
von der elisabethanische Dichter erzählen. Der Titel stammt von<br />
einem Gedicht George Chapmans aus dem 16. Jahrhundert, das<br />
Melancholie nicht als depressive Gemütslage, sondern als eine inspirierte<br />
Gestimmtheit der Nacht darstellt. Anregung suchte Birtwistle<br />
zudem in Albrecht Dürers rätselhaftem Stich Melencolia I<br />
und John Dowlands Lautenlied In darkness let me dwell. Die ersten<br />
drei Noten daraus zitiert er in einem Solo der Piccoloflöte gleich<br />
nach Beginn seines Werks. Sodann webt er das Motiv, mal in höherer,<br />
mal in tieferer Tonlage, in dessen Struktur ein. Lange melodische<br />
Linien werden unterbrochen und wieder aufgenommen wie<br />
die Strahlen des Mondlichts, das hinter vorbeiziehenden Wolken<br />
langsam zum Vorschein kommt. Raunende Streicher- und Fagottklänge<br />
steigern sich immer wieder zu emotionaler Spannung, die<br />
sich in schrillen Bläserstößen entlädt, bis sich melodisch sanft der<br />
Morgen ankündigt.<br />
■<br />
Ohne sich in die nähere Geschichte zu vertiefen,<br />
wissen wir, dass das bis in die <strong>19</strong>70er- und<br />
<strong>19</strong>80er-Jahre gepflegte Ensemblesystem, in dem<br />
jedes Opernhaus – ob klein oder groß – den Spielplan vornehmlich<br />
durch seine eigenen Sänger bestritt, qualitativ<br />
besser ist als der heute, leider sogar in den kleinen Stadttheatern<br />
praktizierte Weg mit Gastsängern. Eine langsame,<br />
organische Entwicklung eines angehenden Gesangssolisten<br />
ist äußerst schwierig geworden. Man debütiert in den<br />
allergrößten Häusern gleich mit neuen Partien, ohne sich<br />
davor selbst ausprobieren und Erfahrung sammeln zu können,<br />
wie man sich zum Beispiel lange Partien einteilt. Es<br />
gibt keine Möglichkeit mehr, Fehler zu machen und aus<br />
ihnen zu lernen.<br />
Die mediale Ankündigung beherrscht ebenso wie die<br />
Berichte der Vorankündigung alles, zur Freude des jeweiligen<br />
Intendanten, aber auch des Künstlers. Die Regisseure<br />
sind derzeit immer hausfremde Gastregisseure. Sie kennen<br />
weder die Mitarbeiter noch das Haus und oft auch nicht<br />
die Stadt, in der sie arbeiten. Die Wahl eines Regisseurs ist<br />
genauso schwierig wie jene des Sängers, denn wenn der<br />
Regisseur das Werk, für das man ihn sucht, schon irgendwo<br />
inszeniert hat, ist er oder sie sowieso schon nicht mehr<br />
inter essant. Alles muss schnell gehen, und nichts, was<br />
schon war, soll wieder sein. Manche Länder oder manche<br />
Orte geben enorme Honorare aus, um ein Ereignis, pardon,<br />
ein Event, zu feiern. Es geht schon lange nicht mehr<br />
um Kunst, auch nicht um Unterhaltung, sondern nur noch<br />
ums Geschäft.<br />
Oper zu gestalten, ist heute sehr teuer geworden.<br />
Einen Regisseur zu engagieren, bedeutet, noch mindestens<br />
fünf Mitarbeiter dazu zu beschäftigen, einen Assistenten,<br />
den Lichtarchitekten, den Videobetreuer, den persönlichen<br />
Assistenten und einen Dramaturgen. Ein Theaterleiter<br />
braucht neben sich einen Berater, einen Besetzungschef,<br />
den Dramaturgen und, und, und … Doch der arme Sänger<br />
bleibt allein, er muss alles machen, was man von ihm<br />
wünscht und was er oftmals nicht möchte, und dazu soll<br />
er noch gut singen. Es kommt bald die Zeit der öffentlichen<br />
Playbacks, der Mikrofonierung, und wer weiß was noch<br />
alles, um endlich den Störfaktor Sänger zu ersetzen.<br />
„kulTOUR mit Holender“ auf<br />
ServusTV Deutschland:<br />
7. und 10.2. „Dresden“ | 21. und 24.2. „Krim“ |<br />
7.3. Porträt des Schauspielers Philipp Hochmair<br />
51
E R L E B E N<br />
FOTOS: CHRISTIAN KLEINER<br />
Vollendete Technik, psychologisches Verstehen und Empathie zeichnen Michael Francis am Pult aus<br />
52 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
MUSIK FÜR ALLE<br />
Michael Francis übernimmt mit Beginn der Jubiläumssaison 20<strong>19</strong>/2020 die Leitung<br />
der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz.<br />
VON RUTH RENÉE REIF<br />
„Es ist ein wunderbarer Beruf “, schwärmt Michael Francis. Erlebt man<br />
ihn bei der Arbeit am Pult, ist man versucht, von Berufung zu sprechen.<br />
Francis besitzt jene Gabe, die das Dirigieren immer wieder so<br />
geheimnisvoll erscheinen lässt und die doch wenig mit Magie und viel<br />
mit Empathie zu tun hat. Er vermag es, akribische Partituranalyse,<br />
vollendete Dirigiertechnik und psychologisches Verstehen in beglückende<br />
Dimensionen musikalischen Ausdrucks umzusetzen. Im<br />
Dezember 2018 unterschrieb er einen Fünfjahresvertrag als neuer<br />
Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. „Mit<br />
Francis ist es gelungen, einen herausragenden und weltweit gefragten<br />
Dirigenten zu gewinnen“, freut sich Intendant Beat Fehlmann. Francis<br />
war der Wunschkandidat des Orchesters. Als er 2016 zum ersten Mal<br />
vor ihm stand, spürte man sogleich die besondere Beziehung, die sich<br />
zwischen ihm und den Musikern einstellte.<br />
Seine Laufbahn begann Francis als Kontrabassist wie sein<br />
Vater, der auch sein erster Lehrer wurde. Als sich im Alter von 17,<br />
18 Jahren sein Wunsch zu dirigieren festigte, entschied er sich für<br />
eine breit angelegte Vorbereitung. An der Universität Cardiff absolvierte<br />
er ein Studium der Musikgeschichte. Anschließend studierte<br />
er an der Royal Academy of Music Kontrabass. Dieses Instrument<br />
eignete sich seiner Einschätzung nach am besten, um dem Dirigieren<br />
auf den Grund zu kommen. Da die Aufgabe des Bassisten hauptsächlich<br />
darin bestehe zu begleiten, sei er gezwungen, den anderen<br />
zuzuhören, und befinde sich „auf dem Boden der Harmonie“. Er<br />
habe alles über Musik erfahren und danach eine Musikerstelle im<br />
besten Orchester bekommen wollen, erläutert Francis seinen Plan.<br />
Tatsächlich erhielt er eine Anstellung beim London Symphony<br />
Orchestra. Zehn Jahre arbeitete er als Orchestermusiker. Auch im<br />
Rückblick sieht er es als den besten Weg an, ein Orchester dirigieren<br />
zu lernen, ihm anzugehören. Es eröffnete ihm die Möglichkeit, verschiedene<br />
Dirigenten zu erleben und ein Gefühl für die psychologischen<br />
Vorgänge im Inneren eines Orchesterapparates zu<br />
entwickeln.<br />
Eine erste Chance, sich als Dirigent zu beweisen, erhielt er 2007.<br />
Valery Gergiev musste krankheitsbedingt eine Probe absagen. Auf<br />
dem Programm standen Dmitri<br />
Schostakowitsch und Sofia Gubaidulina.<br />
Francis übernahm die Probe und<br />
dirigierte erfolgreich die Aufführung.<br />
Einzuspringen für John Adams und<br />
André Previn, waren weitere Meilensteine<br />
auf seinem Weg zum international<br />
gefragten Dirigenten. Von 2012 bis<br />
2016 war Francis Chefdirigent des<br />
Norrköping Symphony Orchestra.<br />
Zudem gastierte er bei zahlreichen<br />
Orchestern in Europa, Asien sowie<br />
den USA und arbeitete mit Solisten<br />
DEUTSCHE STAATSPHILHARMONIE<br />
RHEINLAND-PFALZ, MICHAEL FRANCIS<br />
Informationen und Kartenservice:<br />
Worms, 1.2., Ludwigshafen, 2.2., Neustadt, 7.3.,<br />
Wörth am Rhein, 8.3., Mannheim, 9.3.<br />
Konzerte mit dem Dirigenten und Violinisten<br />
Pinchas Zukerman: Wörth am Rhein, 17.4., Pirmasens,<br />
18.4., Heidelberg, 20.4., Karlsruhe, 21.4.<br />
Konzerte mit Pinchas Zukerman und<br />
Michael Francis am Pult: Ludwigshafen, 25.4.,<br />
Kaiserslautern, 26.4., Worms, 27.4., Mainz, 28.4.<br />
www.staatsphilharmonie.de<br />
wie Ian Bostridge, Lang Lang, Daniel Müller-Schott, Itzhak Perlman,<br />
Christian Tetzlaff und Arcadi Volodos zusammen. Seit 2015<br />
ist er künstlerischer Leiter des Mostly Mozart Festivals in San Diego<br />
sowie Chefdirigent des Florida Orchestra.<br />
Seine Position als Chefdirigent in Ludwigshafen tritt er am<br />
1. September 20<strong>19</strong> zu Beginn der Saison an, in der die Deutsche<br />
Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ihr 100-jähriges Bestehen feiert.<br />
In mehreren deutschen Städten fanden nach dem Ersten Weltkrieg<br />
Orchestergründungen statt. Die Auflösung der Militärkapellen hatte<br />
viele Musiker ihrer Existenzgrundlage beraubt. Sie versuchten, sich<br />
neue Spielmöglichkeiten zu schaffen. Dieses rege musikalische Leben<br />
veranlasste einige pfälzische Städte, Musikvereine und Mäzene, sich<br />
zu einem Orchesterverein zusammenzuschließen, der <strong>19</strong><strong>19</strong> in Landau<br />
das Landes-Sinfonie-Orchester für Pfalz und Saarland ins Leben<br />
rief. Mehrfach änderte der Klangkörper in der Folge seinen Namen,<br />
bewältigte Krisen und wuchs an Erfolgen. <strong>19</strong>83 wurde Leif Segerstam<br />
zum Leiter berufen, der die Orchesterkultur durch die Aufführung<br />
Neuer Musik nachhaltig bereicherte. Seit 2014 bringt die<br />
Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter dem Titel<br />
„Modern Times“ beim Label Capriccio Porträts von Komponistinnen<br />
des 20. Jahrhunderts heraus. Gleich für die erste Veröffentlichung<br />
„Bernd Alois Zimmermann“ wurde sie als „Orchester des Jahres“<br />
mit dem Echo Klassik 2015 ausgezeichnet. 2018 erhielt sie für ihre<br />
Einspielung „George Antheil“ den Opus Klassik. Aktuell fördert<br />
auch die Bundeskulturstiftung das Orchester im Rahmen des Programms<br />
„360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“.<br />
Francis zeigt sich beeindruckt von dem hohen Stellenwert, den<br />
das Orchester innerhalb der Gesellschaft einnimmt. Als Privileg<br />
empfinde er es, dass die Staatsphilharmonie auch nach 100 zurückliegenden<br />
Spielzeiten die Musik zu den Menschen in Rheinland-Pfalz<br />
bringe, um sie für alle zugänglich zu machen, und er an diesem<br />
Auftrag mitwirken dürfe. Bereits in der aktuellen Saison ist er mit<br />
dem Orchester zu erleben. Das Repertoire bereichert er mit Kompositionen<br />
aus seinem Geburtsland. So setzt er das wundervoll<br />
romantische Violinkonzert h-Moll von Edward Elgar sowie die Ritual<br />
Dances aus Michael Tippetts Oper<br />
Mittsommerhochzeit aufs Programm.<br />
Er bringt die sinfonische Totenmesse<br />
Sinfonia da Requiem, die Benjamin<br />
Britten <strong>19</strong>40 zum Gedenken an seinen<br />
im Ersten Weltkrieg getöteten Vater<br />
schrieb, und er dirigiert die London<br />
Symphony, in der Ralph Vaughan Williams<br />
mit den Glocken von Westminster<br />
und den Melodien der Straßenausrufer<br />
von Bloomsbury ein musikalisches<br />
Porträt der Stadt an der Themse<br />
entwirft.<br />
■<br />
53
E R L E B E N<br />
„HEUTE SCHREIBE ICH<br />
FÜR HEUTE“<br />
Die international gefeierte Weill-Interpretin Ute Lemper ist Artist-in-Residence des<br />
27. Kurt Weill Fests vom 1. bis 17. <strong>März</strong> in Dessau und Umgebung.<br />
VON RUTH RENÉE REIF<br />
Berühmte Künstler aus aller<br />
Welt bereichern das Fest: Die<br />
Chansonsängerin Ute Lemper<br />
und der Trompeter Frank London<br />
kommen aus New York<br />
FOTOS: ADRIAN BUCKMASTER; ADRIAN BUCKMASTER<br />
„Wir müssen mit dem Musiktheater Weills<br />
im Dialog bleiben“, forderte Luciano Berio<br />
<strong>19</strong>99. Er sah in ihm „eines der wichtigsten<br />
Phänomene des 20. Jahrhunderts“. Das<br />
Kurt Weill Fest hält diesen Dialog aufrecht<br />
und verleiht ihm immer wieder neue<br />
Impulse. 48 Veranstaltungen mit bedeutsamen<br />
Künstlern wie den Schauspielerinnen<br />
Katja Riemann und Katharina Thalbach,<br />
der Sängerin Helen Schneider, dem<br />
Trompeter Frank London, dem Posaunisten<br />
Nils Landgren und dem Dirigenten<br />
Karl-Heinz Steffens feiern den Komponisten,<br />
der sich wünschte, nur Musik zu sein.<br />
Zur Eröffnung gastieren die Sopra nistin<br />
Dagmar Pecková und der Tenor Jiří Hájek<br />
mit ihrer Revue Wanted im Anhaltischen<br />
Theater. Songs wie die Zuhälterballade aus<br />
der Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht in<br />
Berlin, Der Abschiedsbrief, den Weill im<br />
September <strong>19</strong>33 nach einem Text von Erich<br />
Kästner in Paris komponierte, und Buddy<br />
on the Nightshift aus den Songs for the War<br />
Effort, die <strong>19</strong>42 im New Yorker Exil entstanden,<br />
lassen Stationen aus dem Leben<br />
Weills Revue passieren. Die Dreigroschenoper,<br />
der unvergessliche Klassiker, der aus<br />
Weills Zusammenarbeit mit Brecht hervorging,<br />
steht in der Inszenierung von Ezio<br />
Toffolutti und mit Markus L. Frank am Pult erneut auf dem Spielplan<br />
des Anhaltischen Theaters Dessau.<br />
Artist-in-Residence ist Ute Lemper, eine der vielseitigsten<br />
Künstlerinnen des Musiktheaters. Seit Beginn ihrer Karriere, als<br />
sie in Berlin mit Nicole Heesters und Ingrid Caven in einer Kurt-<br />
Weill-Revue auftrat, ist sie eine herausragende, international gefeierte<br />
Weill-Interpretin. In einem Galakonzert mit der Anhaltischen<br />
Philharmonie Dessau singt sie Songs wie Surabaya Johnny aus dem<br />
Songspiel Happy End oder den Tango Youkali aus der Operette Marie<br />
galante nach Jacques Devals gleichnamigem Roman, die Weill<br />
bereits auf der Flucht in Frankreich schrieb. Das<br />
Orchester unter Markus L. Frank spielt die Suite<br />
aus der Musiquette Silbersee, Weills letztes in<br />
Deutschland komponiertes Werk, das <strong>19</strong>32/33<br />
KURT WEILL FEST<br />
Informationen und Kartenservice:<br />
www.kurt-weill-fest.de<br />
aus der Zusammenarbeit mit dem Dramatiker<br />
Georg Kaiser entstand. Über ihr<br />
bewegtes Leben auf zwei Kontinenten, ihre<br />
Arbeit und ihre Liebe zu Weill unterhält<br />
sich Ute Lemper mit Intendant Gerhard<br />
Kämpfe im Festivalcafé. Als „eine zweite<br />
Marlene Dietrich“ wurde Ute Lemper<br />
gefeiert, und „von der Wurzel her“ sieht sie<br />
sich auch von ihr und ihrer Zeit inspiriert.<br />
In der Show Rendezvous mit Marlene<br />
erzählt sie die Geschichte Marlene Dietrichs<br />
und trägt ihre Lieder vor, von den<br />
Berliner Kabarettjahren bis zur Zusammenarbeit<br />
mit Kurt Weill und anderen<br />
Komponisten. „Am Broadway geht’s härter<br />
zu als am Kurfürstendamm“, musste Weill<br />
der Dietrich <strong>19</strong>42 erklären.<br />
„Mut zur Erneuerung“ lautet das<br />
Motto des Festes. Weills Streben war es,<br />
ein neues Genre des Musiktheaters zu<br />
schaffen, das „die völlig veränderten<br />
Lebensäußerungen unserer Zeit in einer<br />
entsprechenden Form“ behandle. „Man<br />
komme mir nicht mit der Nachwelt“, erwiderte<br />
er auf die Frage nach den Zukunftsaussichten<br />
seiner Musik, „heute schreibe<br />
ich für heute“. Zugleich spiegelt sich in dem<br />
Motto die vor 100 Jahren geborene Idee des<br />
Bauhauses, die Welt neu zu denken. Im<br />
Jubiläumsjahr des Bauhauses greift die neue Reihe „Neues Hören<br />
durch Sehen“ das Bauhaus-Ziel der „Sammlung alles künstlerischen<br />
Schaffens zur Einheit“ auf. Im nächtlichen Kammerkonzert des<br />
Perkussionisten Andreas Hepp und des Lichtdesigners Björn Schneider<br />
finden musikalische Handlungsfäden, die sich in Klangfarbe,<br />
Tempo, Rhythmus und Melodie unterscheiden, mit Lichtgestaltung<br />
und der architektonischen Umgebung zu einem großen Gesamterlebnis<br />
zusammen. Kunst und Technik vereint die Konzertsuite<br />
Trains Bound for Glory. Sie enthält populäre Nummern aus der Show<br />
Railroads in Parade, die Weill für den Eisenbahnpavillon der New<br />
Yorker Weltausstellung <strong>19</strong>39–<strong>19</strong>40 schrieb.<br />
Markus L. Frank leitet im DB-Werk die Anhaltische<br />
Philharmonie Dessau bei ihrer deutschen<br />
Erstaufführung.<br />
■<br />
54 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
SCHWERPUNKT<br />
BAUHAUS<br />
Weimar, Dessau, Berlin. Gropius, Itten, Schlemmer. Was hat die neue Formensprache geprägt? (Seite 56)<br />
Eine Revolution der Architektur: Was hat es in die Neuzeit geschafft? (Seite 64)<br />
200 (!) Jahre BAUHAUS<br />
VON STEFAN SELL<br />
41 Jahre<br />
BAUHAUS Band<br />
59 Jahre<br />
BAUHAUS Baumarkt<br />
100 Jahre<br />
BAUHAUS Kunst<br />
wahr<br />
Vor 41 Jahren hoben vier Kunststudenten<br />
in Northampton mit<br />
Bauhaus die erste Gothic-Band<br />
aus der Taufe. Mit vielen Genrebezeichnungen<br />
versuchte man<br />
ihren Musikstil zu fassen: von<br />
Dark Wave und Post Punk bis<br />
zu funkigem Psychodelic-Noise-Glamrock-Dub.<br />
Bis heute<br />
genießt die Band Kultstatus.<br />
Der aus Schriesheim<br />
stammende<br />
Schreiner<br />
und Glaser<br />
Heinz-Georg<br />
Baus war 26 Jahre<br />
alt, als er in Mannheim das Bauhaus-Unternehmen<br />
gründete. Sein<br />
Name war dabei hilfreich, fehlte<br />
ihm zwischen der ersten Silbe und<br />
dem Konsonanten „s“ doch nur der<br />
richtige Hau: Bau-hau-s, Europas<br />
größte Baumarktkette.<br />
<strong>19</strong>22 fand Ludwig Mies,<br />
er wolle mehr als<br />
nur „Mies“ sein und<br />
fügte seinem<br />
Mies den Geburtsnamen seiner<br />
Mutter hinzu. Das Ganze krönte<br />
er durch ein adelig klingendes<br />
„van der“ und hieß von nun an<br />
„Mies van der Rohe“.<br />
unwahr<br />
interessant<br />
<strong>19</strong>80 landeten Bauhaus<br />
mit einer düsteren<br />
Coverversion<br />
von Mike Krügers<br />
„Mein Gott, Walter“<br />
einen Hit. 23 Wochen führten<br />
sie die deutschen Charts an. Ihre<br />
stark vereinfachte Variante war<br />
eine Platte im Plattenbaustil. Der<br />
Titel bezog sich auf Gropius’ Ehe<br />
mit Alma Mahler, die nur fünf<br />
Jahre dauerte.<br />
Peter Murphy, alias „Godfather of<br />
Goth“, dessen Gesang an David<br />
Bowie erinnert, eröffnete mit<br />
dem Bauhaus-Debüt Bela Lugosi’s<br />
Dead einprägsam und finster<br />
Tony Scott’s modernen Vampirfilm<br />
„Begierde“ mit Catherine<br />
Deneuve und David Bowie in den<br />
Hauptrollen.<br />
Als Bauhausgründer Baus davon<br />
hörte, dass sein Konkurrent<br />
Albrecht Hornbach eine eigene<br />
Firmenband namens „Herzblut“<br />
betrieb, beschloss der öffentlichkeitsscheue<br />
Großunternehmer,<br />
eigene Kompositionen einzuspielen.<br />
Nach seinem Tod 2016<br />
wurden sie unter dem Titel „Bau<br />
Haus des Geldes“ veröffentlicht.<br />
Die exzellente Schlagwerkerin<br />
Leonie Klein ist im Baumarkt<br />
anzutreffen, wenn sie auf<br />
experimenteller Klangsuche<br />
nach „Sachen, die sonst<br />
keiner benutzt“ Scharniere<br />
und Pfostenträger anschlägt.<br />
Ob sie dies im Bauhaus tut,<br />
wird – um dem Vorwurf<br />
der Schleichwerbung zu entgehen<br />
– nicht verraten.<br />
Mies van der Rohe wollte den von<br />
ihm geforderten Minimalismus<br />
für die Architektur auch für die<br />
Preisgestaltung der Honorare einlösen.<br />
Er diskutierte mit seinen<br />
Kollegen, wie hoch der Preis für<br />
die Arbeit eines Bauhäuslers sein<br />
darf, und schlug vor, „Weniger<br />
ist mehr“ für alle verbindlich zu<br />
machen.<br />
Walter Gropius (Foto) schlug <strong>19</strong>20<br />
seinen Bauhauslehrern, den<br />
„Herren Meistern“,<br />
vor: „… bei den Aufnahmen<br />
für absehbare<br />
Zeit Damen nur mit<br />
ganz außerordentlicher<br />
Begabung aufnehmen zu<br />
wollen“. Daraus könnte<br />
man schließen, dass<br />
Herren auch minderbegabt<br />
Aufnahme am Bauhaus<br />
finden konnten.<br />
FOTOS: CLOUIS HELD; FRANK VINCENTZ; WIKIMEDIA COMMONS; DANIEL ASH / C PFIG<br />
55
B A U H A U S 1 0 0<br />
Grafische Elemente bestimmten das Design in der Zeit des Bauhauses:<br />
das Bauhaus-Logo, entworfen <strong>19</strong>22 von Oskar Schlemmer<br />
56 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
BAU<br />
HAUS<br />
Klar, puristisch, funktional.<br />
Seit 100 Jahren beeinflusst das Bauhaus alle Künste.<br />
VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />
D„er ele gan te Frei schwin ger aus Stahl rohr von Mar cel Breu er im Arztzim<br />
mer, die halb ku gel för mi ge Tisch lam pe von Wil helm Wagen feld<br />
im hip pen Sin gle-Haus halt, die Wei ßen hof sied lung in Stutt gart mit<br />
ihren hell verputzten, kubischen Flachdachwohnungen – alles minima<br />
lis tisch und funk tio nal: die Klas si ker des Bau hauses. „Form fol lows func tion“<br />
hat te sich der Archi tekt Wal ter Gro pi us auf die Fah nen geschrie ben, als er <strong>19</strong><strong>19</strong><br />
sein Amt als Direk tor einer neu en Kunst hoch schu le in Wei mar antrat.<br />
Es ging um weit mehr als puris ti sches Design. Der Ers te Welt krieg hat te die<br />
alte Ord nung hin weg ge fegt. Eine jun ge, nicht sel ten im Schüt zen gra ben trau mati<br />
sier te und in jedem Fall erwerbs lo se Genera ti on such te Halt und Sinn. Auch der<br />
damals 36-jäh ri ge Gro pi us hat te im Krieg Schlim mes erlebt. Er for der te einen<br />
mora li schen Neu an fang, eine „neue Bau kunst“. Vor bild für sein „Staat li ches Bauhaus“,<br />
wie er die Hoch schu le nann te, waren ihm die mit tel al ter li chen Bau hüt ten<br />
der Kathe dra len, wo sei ner zeit Bild hau er, Maler, Archi tek ten, Kunst ge werb ler<br />
und Hand wer ker zusam menarbei te ten und es kei ne Tren nung zwi schen künst leri<br />
scher Kon zep ti on und Ver wirk li chung gab.<br />
Zugleich träumte Gropius von der Überwindung gesellschaftlicher Ungleichheit.<br />
Sei ne Sozi aluto pie zog nicht nur hoch be gab te Künst ler wie Paul Klee, Was si ly<br />
Kan din sky, Lyo nel Fei nin ger und Oskar Schlem mer an, son dern auch eso te ri sche<br />
Heils leh rer dubio ser Cou leur: Astro lo gen, Spi ri tis ten, Wan der apos tel und sek tie-<br />
57
B A U H A U S 1 0 0<br />
re ri sche Pro phe ten sowie Anthro po so phen, Sozia listen<br />
und Kommunisten. Ein explosiver schöpferischer<br />
Mix. „Glau ben Sie ja nicht, dass das Leben am Bau haus<br />
einfach oder unkompliziert gewesen wäre!“, erinnerte<br />
sich Tut Schlem mer, die Frau Oskars. „Man fühl te sich<br />
viel mehr wie auf einem vul ka ni schen Gelän de, und<br />
man muss te sehr auf pas sen, all zu sehr hin und her<br />
geris sen zu wer den von all dem, was auf uns einstürm<br />
te.“ Und: „Man war ja andau ern den Wand lungen<br />
preis ge ge ben: Wir fin gen ja fast mit tel al ter lich an<br />
mit unse ren Sat zun gen von Form meis tern, Handwerks<br />
meis tern und Lehr lin gen und ende ten doch am<br />
Schluss (<strong>19</strong>33) mit einer Avant gar de auf allen<br />
Gebie ten.“<br />
Im gut bür ger li chen Wei mar ent wi ckel ten sich<br />
die Bau häus ler zum Bür ger schreck. „Wenn ihr euch<br />
nicht benehmt“, droh ten Eltern ihren Kin dern, „dann<br />
ste cken wir euch ins Bau haus!“, zu den „Zucht häuslern“,<br />
wie sie ihrer lan gen Haa re wegen genann t wurden.<br />
Oft zogen sie durch die Gas sen in Rus sen kit tel<br />
und Trich ter ho se, an den Hüften ganz weit und den<br />
Knö cheln ganz eng, und begrüß ten sich mit dem<br />
„Bauhauspfiff “, einer 13-töni gen Melo die, die jetzt,<br />
im Jubi lä ums jahr, täg lich um zwölf Uhr vom Rat hausturm<br />
in Des sau tönt, der zwei ten Bau haus-Stät te.<br />
Ein Cha rak ter kopf der ers ten Stun de war Lothar<br />
Schrey er, ein Freund kul ti scher Wei he bot schaften<br />
und Erlö sungs vi sio nen. Über troffen wur de er von<br />
dem exzen tri schen Johan nes Itten, der sich als<br />
erleuch te ter „Meis ter“ ver stand und kahl köp fig im<br />
pseu do pries ter li chen Ornat, im „Anzug aus pur purvio<br />
let tem kost ba ren Tuch“ auftrat, wie Schrey er sich<br />
erinnert. Als überzeugter Anhänger der Mazdaznan-<br />
Lehre, einer esoterischen Heilslehre, vertrat Itten eine<br />
rigide Ernährungs-, Atem- und Wiedergeburtslehre,<br />
mit der er nicht nur Klee nerv te. Der ließ ihm bestellen,<br />
er den ke nicht dar an „auf dem Weg über den<br />
gerei nig ten Darm in den Him mel“ zu kom men. Ittens<br />
Form- und Farbstudien allerdings, seine „übersinnliche“<br />
Farbenlehre, derzufolge jeder Mensch von einer<br />
farbigen Aura umgeben sei, faszinierte Klee. Auch<br />
Kan din sky sah die Men schen in sei nen Bil dern in Rot,<br />
Blau und Gelb.<br />
Die Bau häus ler fei er ten gern. Gele gen heit gab es immer, ob<br />
beim Later nen-, Son nen wend-, Dra chen- oder Julklapp-Fest (Weihnach<br />
ten). Dann spiel te die Bau haus ka pel le auf mit Lux Fei nin ger an<br />
der Kla ri net te oder dem Ban jo. Man tanz te Charles ton und erfand<br />
sogar einen Bau haus-Tanz. Wenn der Abend zur Nei ge ging, wur den<br />
gern Thea ter ex pe ri men te zum Bes ten gege ben. Wie in Möbeln und<br />
der Archi tek tur soll ten auch die Akteu re auf der Bau haus-Büh ne<br />
nichts Indi vi du el les aus strah len. Durch „Tri kots und Mas ken ver einheitlicht“<br />
stellten sie eine „Synthese von Mensch und Marionette, von<br />
Natur- und Kunst fi gur“ dar.<br />
Musik war am Bau haus kei ne eigen e Dis zi plin und doch immer<br />
präsent. Feininger musizierte, auch Klee wollte ursprünglich Geiger<br />
werden. In seinen Werken finden sich abstrahierte Noten, Notenzeilen<br />
und Vio li n schlüs sel. Musik sei ihm die Gelieb te, sag te er, Male rei<br />
die „ölrie chen de Pin sel göt tin, die ich bloss umar me, weil sie eben<br />
mei ne Frau ist“. Kan din sky war über die Musik zur Male rei gekommen.<br />
Bei einer Auffüh rung von Wag ners Lohengrin hat te er Far ben<br />
„gese hen“. Aus Paris kam Igor Stra win sky, um die Auffüh rung sei ner<br />
Geschichte vom Soldaten zu erle ben. Aus Ber lin Fer ruc cio Buso ni. Mit<br />
ihm sein Schü ler Kurt Weill. Auch Paul Hin de mith, ein Freund Oskar<br />
Von oben: László Moholy-<br />
Nagy, Perpe, <strong>19</strong><strong>19</strong>; Grundlagen<br />
der Farbtheorie und<br />
Farbkreis nach Johannes<br />
Itten; dreidimensionales<br />
Seh- und Hörerlebnis:<br />
„Das totale Tanztheater<br />
360°“; Teekanne von<br />
Naum Slutzky<br />
Schlemmers, der ihm einige Bühnenbilder geschaffen<br />
hat te, war oft da.<br />
Das Bau haus war der Ort, wo moder ne Kunst<br />
gelehrt wur de, wo man sie auch aus pro bier te. Wo Gropi<br />
us lehr te, wo Klee lehr te, wo Kan din sky lehr te …<br />
und Mondrian zu Vorlesungen kam.“ Auf Anweisung<br />
von Itten, erin nert sich Wol pe, „gin gen wir alle raus<br />
mit einem klei nen Koffer und sam mel ten alles, was<br />
wir fan den – von Ziga ret ten kip pen bis zu klei nen Feilen,<br />
kleinen Schrauben, Briefschnipseln, Brotkrümeln,<br />
toten Vögeln, Federn, Milch fla schen … (wir) muss ten<br />
diese Dinge unabhängig von ihrer subjektiven Bedeutung<br />
ver wen den … als for ma le Ele men te wur den sie<br />
neu tra li siert, so exis tier te ein toter Vogel nur in sei ner<br />
for ma len struk tu rel len Bezie hung …“<br />
Die neu aufkommende Dodekaphonie (= Zwölfton<br />
mu sik) spal te te die Gemü ter. Das Lager von Erwin<br />
Ratz ver trat die Auffas sung von Arnold Schön berg,<br />
das von Itten fühl te sich der Phi lo so phie von Josef<br />
Mat thi as Hau er ver bun den. Klee, den man wegen seiner<br />
stil len Art auch „Bau haus bud dha“ nann te, hielt<br />
sich zurück. Für ihn schien nach Mozart ohne hin<br />
schon fast alles gesagt. <strong>19</strong>09 kari kier te er einen Pianisten<br />
bei der Interpretation Neuer Musik: angekettet<br />
an sein Instru ment, auf einem Nacht topf sit zend,<br />
„dabei ‚durch schau bar‘ bis auf die Kno chen (in sei ner<br />
Inno va ti ons sucht) und ‚bedürftig‘ in einem ganz elemen<br />
ta ren Sin ne“.<br />
Doch die Sucht nach Neu em war nicht auf zuhal<br />
ten. Fas zi niert expe ri men tier te Bau haus-Leh rer<br />
László Moholy-Nagy mit Schellack-Schallplatten, ließ<br />
sie rück wärts abspie len, schnitt mit Lin ol schnitt messern<br />
und Nadeln neue Struk tu ren hin ein, um Klangeffek<br />
te zu gewin nen. Der ers te DJ der Geschich te! Das<br />
alles half nicht, die chronischen finanziellen Probleme<br />
der Lehr an stalt in den Griff zu bekom men. Das Bauhaus<br />
schien zu eli tär, kaum einer konn te sich die<br />
schmuck lo sen, aber teu ren Lam pen, Kan nen und Sessel<br />
leisten, die nun standardisiert in größeren Mengen<br />
pro du ziert wer den konn ten. Erst in den <strong>19</strong>80ern wurden<br />
sie zu begehr ten Designklas si kern.<br />
<strong>19</strong>24 strich die Thü rin ger Regie rung die Sub ventio<br />
nen und man zog in die Indus trie stadt Dessau. Die<br />
Aus ein an der set zun gen und die pre kä re Lage blie ben. <strong>19</strong>28 gab Gropi<br />
us sei nen Direk tor pos ten auf, Schlem mer folg te ihm <strong>19</strong>29. Auch<br />
Kan din sky, den man wegen sei nes diplo ma ti schen Geschicks „Gropi<br />
us’ Kanz ler“ nann te, wur de nicht mehr gese hen. Mies van der Rohe<br />
ver such te, das Bau haus als Pri vat in sti tut in einer ver las se nen Telefon<br />
fa brik in Ber lin-Ste glitz weiterzuführen.<strong>19</strong>33 wurde der Lehr betrieb<br />
endgültig eingestellt durch die Nazis, denen die „Brand fa ckel<br />
Moskaus“ ohnehin nie geheuer war. Gropius und andere emigrierten<br />
in die USA. In Chi ca go ent stand ein „New Bau haus“.<br />
In Deutsch land aber konn te man mit den Bau ten der „Wei ßen<br />
Göt ter“ aus Wei mar mit ihren engen Flu ren, nied ri gen Decken, ohne<br />
Stuck und Far be lan ge nichts anfan gen. Ador no sprach von „Konser<br />
ven büch sen“, Brecht von „Kaser nen“, Bloch mokier te sich über die<br />
geschichts lo sen „Stahl mö bel, Beton ku ben, Flachdachwesen“. <strong>19</strong>60<br />
kam das end gül ti ge Aus für den Kul tur be griff „Bau haus“. Ein Großmarkt<br />
für Schrau ben, Pin sel und Klo sett de ckel hat te sich den Namen<br />
gesichert. Seitdem darf auch kein Muse um mehr ein Pro dukt unter<br />
der Namen „Bau haus“ ver kau fen.<br />
n<br />
Die Infos zu den wich tigs ten Ver an stal tun gen rund um das Bau haus-Jubi lä um fin den Sie<br />
unter www.bauhaus100.de<br />
58 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
MUSIK AM BAUHAUS<br />
Mechanisches Ballett, ekstatische Klaviermusik und<br />
selbst gebaute Geräuschinstrumente – die Musik am Bauhaus<br />
war so innovativ wie seine Architektur.<br />
VON STEFFEN SCHLEIERMACHER<br />
Die Bauhauskapelle mit Lux Feininger<br />
Musik war am Bau haus kein Lehr fach, einen „Musik meister“<br />
hat es nie gege ben. Zwar fan den am Bau haus neben<br />
offen bar recht schrä gen Tanz aben den mit der Bau hauskapel<br />
le durch aus klas si sche Kon zer te statt, doch ein<br />
Hort der musi ka li schen Avant gar de war es im Grun de nie. Zumindest<br />
ein mal stand jedoch die aktu el le Musik im Mit tel punkt: Anlässlich<br />
der Bau haus wo che <strong>19</strong>23 erklan gen in einem Kon zert Wer ke<br />
von Buso ni, Schön berg, Bar tók, Hin de mith und Stra win sky.<br />
Der wesent lichs te und päd ago gisch prä gends te „Meis ter“ der<br />
ers ten Jah re war zwei fel los Johan nes Itten, der mit der Ein füh rung<br />
seines „Vorkurses“ Maßstäbe in der Kunstpädagogik setzte, die noch<br />
heu te wirk sam sind. Teil die ses Kon zepts waren neben Zei chen unter<br />
richt, Mate ri al- und For men kun de auch Wahr neh mungs stu di en<br />
und musi ka li sche Übun gen, die Ger trud Gru now – als ein zi ge<br />
„Musik leh re rin“, die das Bau haus je hat te – anlei te te. Hier ging es<br />
jedoch nicht um Musik un ter richt im enge ren Sin ne, son dern vielmehr<br />
um Ent span nungs übun gen, um Har mo ni sie rung, um das<br />
Umset zen von Klän gen in Bewe gun gen, in Ges ten oder auch in<br />
Hal tun gen.<br />
Itten hat te in sei ner Wie ner Zeit engen Kon takt zu Josef Matthi<br />
as Hau er gefun den. Die Künst ler fühl ten sich wesens ver wandt,<br />
bei de arbei te ten an einem Syn äs the sie-Kon zept, der Zuord nung<br />
von Far ben zu Klän gen, des Ent wi ckelns von Far ben- und Tonkreisen.<br />
Der Musik schrift stel ler und Kom po nist Hans Heinz Stu ckenschmidt,<br />
dem wir einen Zeit zeu gen be richt über die Musik am Bauhaus<br />
ver dan ken, berich tet davon, dass Kom po si tio nen von Hau er<br />
in Wei mar auch nach Ittens Weg gang noch bekannt waren und dass<br />
Vor trä ge über des sen Musik auf gro ßes Inter es se stie ßen. Itten und<br />
Hau er hat ten offen bar sogar erwo gen, in Wei mar als Ergän zung des<br />
Bau hau ses eine Musik schu le zu grün den. Doch die ser Plan hat te<br />
FOTO: MARKUS HAWLIK / BAUHAUS100<br />
59
B A U H A U S 1 0 0<br />
sich eben so wie Kan din skys Plan, Schön berg<br />
als Rek tor für die Wei ma rer Musik hochschu<br />
le zu gewin nen, sehr schnell<br />
zer schla gen.<br />
„Ich wuchs in Ber lin her an, doch Weimar<br />
liegt nicht sehr weit von Ber lin, und wir<br />
alle fuh ren nach Wei mar, wie Pil ger nach<br />
Jeru sa lem oder Mekka.“ Stefan Wol pe war<br />
vermutlich der einzige professionelle Kompo<br />
nist, der je am Bau haus war – jedoch nicht<br />
als Leh rer oder Meis ter, son dern als Schü ler.<br />
Als sol cher nahm er an Ele men tarkur sen bei Itten und Klee teil.<br />
Hans Heinz Stu cken schmidt schreibt in sei nem bereits erwähnten<br />
Arti kel über sei nen Besuch am Bau haus: „Wol pe saß meis tens<br />
ein sam in einer Ecke und schrieb wie der ein mal eines sei ner ekstati<br />
schen Kla vier stü cke, das er Friedl Dicker wid me te, einer hoch begab<br />
ten Bau häus le rin, die aus Wien kam und Johan nes Itten<br />
nahestand.“<br />
Stu cken schmidt selbst kam <strong>19</strong>23 für eini ge Zeit auf Ein la dung<br />
von Moho ly-Nagy ans Bau haus. Er arbei te te gemein sam mit Kurt<br />
Schmidt an des sen „Mecha ni schem Bal lett“. Die Musik zu dem<br />
Bal lett ist ver schol len – soweit sie über haupt je auf ge zeich net war,<br />
denn die Erin ne run gen von Stu cken schmidt legen die Ver mu tung<br />
nahe, dass die Musik über wei te Stre cken impro vi siert war. Die ser<br />
ver stand sich aller dings weni ger als Kom po nist, son dern schrieb<br />
vor allem Kri ti ken und Bücher, von denen vie le noch heu te zu den<br />
Stan dard wer ken der Musik ge schich te des 20. Jahr hun derts<br />
gehören.<br />
Ob Geor ge Ant heil, der ame ri ka ni sche Pia nist und Kom ponist,<br />
der durch sei ne futu ris ti schen Kon zer te immer wie der für<br />
Skan da le und Sen sa tio nen sorg te, jemals in Wei mar war, lässt sich<br />
heu te nicht mehr rekon stru ie ren. Und doch muss es Kon tak te zum<br />
Bau haus gege ben haben. Xan ti Scha win ski schreibt in sei nen Erinne<br />
run gen an die Bau haus ka pel le, die sich um Andor Wei nin ger<br />
gebildet hatte und aus musikalischen Amateuren bestand, die Tänze<br />
und „Kon zer te“ auf zum Teil selbst ge bau ten Geräusch in stru menten<br />
impro vi sier ten, dass mit der „Musik von Bach, Hän del, Mozart,<br />
Ant heil, Stu cken schmidt, Strawin<br />
sky, Hin de mith oder den<br />
Impro vi sa tio nen der Kapel le“<br />
das Tanzgelage in eine atemlose<br />
Zuhö rer schaft ver wan delt<br />
wurde.<br />
In einer Annon ce zu den<br />
soge nann ten „Bau haus-<br />
Büchern“ wur de auch ein Buch<br />
von Geor ge Ant heil, „musi co<br />
mechanico“, angekündigt. Dieses<br />
Buch ist jedoch nie erschienen.<br />
Unter glei chem Titel hat te<br />
Ant heil in der Zeit schrift „De<br />
Sti jl“ bereits einen Arti kel veröffent<br />
licht, in dem es um die<br />
Musik der Zukunft ging, um<br />
den Ein satz der Maschi ne in der<br />
Musik, um die Erfah rung des<br />
Mög li chen, des Scho ckie renden,<br />
um sei ne „strom li ni en förmi<br />
ge Musik“. Der Her aus ge ber<br />
die ser Zeit schrift, der Lite rat,<br />
DER EIGENTLICHE ERFINDER DER<br />
ZWÖLFTONMUSIK: JOSEF MATTHIAS HAUER<br />
Sein Leben stand im Schat ten „die ses Sch.“, die ser „Rari tät von einem<br />
Schwind ler“, wie Josef Mat thi as Hau er Arnold Schön berg nann te. Fakt ist:<br />
Drei Jah re bevor Schön berg <strong>19</strong>22 sei ne „Metho de, mit zwölf Tönen“<br />
anwandte, erschien Hauers Nomos op. <strong>19</strong>, das ers te Zwölfton-Stück von<br />
1.100 Wer ken, dar un ter zwei Opern. „Dumm froz zelnd“ hat te Hau er<br />
<strong>19</strong>17 den Riva len emp fun den, dem er den noch <strong>19</strong>22 Neun Etü den op. 22<br />
für Klavier wid me te. „Stel len wir unse re Ide en unter genau er Abgren zung<br />
des Unterscheidenden, mit Zuhilfenahme sachlicher (aber höfl icher) Polemik<br />
dar“, schlug Schön berg <strong>19</strong>23 vor. Doch der kau zi ge Hau er, Sohn eines<br />
zitherspielenden Gefängniswärters, lehnte ab und wetterte beim Heurigen<br />
lie ber gegen die Kol le gen. Wag ner war ihm ein „Bor dell-Musi kant“,<br />
Strauss und Beet ho ven „Nar ko ti kum für das Volk“.<br />
Während Schönberg seine expressive Klangsprache auch mit klassischen<br />
Mit teln wie Phra sie rung und Dyna mik gewann, ord ne te Hau er die zwölf<br />
Töne der chromatischen Tonleiter wie ein „Uhrmacher“ (Adorno)<br />
mechanistisch-mathematisch aneinander. 479.001.600 Möglichkeiten<br />
errech ne te er, die er in 44 Grup penrei hen – „Tro pen“– unter teil te. Bis zu<br />
sei nem Tod <strong>19</strong>59 poch te er dar auf, der „Inven tor der Zwölf-Töne-Technik“<br />
(Paul Hin de mith) zu sein. Ver ge bens.<br />
Alle auf einmal: von Antheil bis<br />
Wolpe. Und unser Autor Steffen<br />
Schleiermacher am Klavier (mdg)<br />
Maler, Theo re ti ker und Künst ler Theo van<br />
Does burg, leb te von <strong>19</strong>21 bis <strong>19</strong>23 in Weimar,<br />
zwar ohne unmit tel bar am Bau haus zu<br />
unterrichten, doch gab es zweifelsohne Kontak<br />
te zwi schen ihm und den Bau häus lern.<br />
Lyo nel Fei ni gers oft zitier tes musi ka lisches<br />
Schaffen beschränkt sich auf 14 Fugen<br />
für Orgel. Er war von sei nen Eltern zwar<br />
ursprüng lich nach Euro pa geschickt wor den,<br />
um sein musi ka li sches Kön nen zu ver vollkomm<br />
nen – galt er doch als eine Art Wunder<br />
kind, als begab ter und früh rei fer Violin vir tuo se. Doch mehr und<br />
mehr wand te sich Fei nin ger der bil den den Kunst zu, mar gi nal blieb<br />
sei ne Aus ein an der set zung mit Musik. An neu es ter Musik war Feinig<br />
ner para do xer wei se nicht inter es siert, genau so wenig übri gens<br />
wie Paul Klee.<br />
Die Expe ri men te, die Moho ly-Nagy am Bau haus – wahr scheinlich<br />
ange regt durch die Ide en von Piet Mon dri an und des sen Schrift<br />
„Neu es Gestal ten“ – mit Schall plat ten mach te, in die er direkt Muster,<br />
Lini en oder ande re Gebil de ritz te, um sie dann abzu spie len,<br />
lassen sich heute nicht mehr rekonstruieren; ebensowenig die Filmarbei<br />
ten von Hirsch feld-Mack oder Alex an der László, die recht<br />
schlich te Kla vier mu sik zu ihren „Licht spie len“ kom po nier ten, welche<br />
aber ein ge stan de ner ma ßen die Funk ti on hat te, die Stil le während<br />
der Vor füh run gen zu über de cken und die Geräu sche der Projek<br />
to ren zu kaschie ren.<br />
Musik am Bau haus. Obwohl es kei nen „Musik meis ter“ gab,<br />
haben die Ide en des Bau hau ses doch auf die Musik ein ge wirkt, wenn<br />
auch eher mit tel bar: Ste fan Wol pe emi grier te über Paläs ti na nach<br />
Ame ri ka, wur de dort in New York ein gesuch ter Leh rer und Anreger,<br />
unter ande rem von Mor ton Feld man und David Tudor. Mor ton<br />
Feld man sei ner seits schätz te die Musik von Josef Mat thi as Hau er<br />
außerordentlich.<br />
László Moholy-Nagy emigrierte ebenfalls nach Amerika, eröffnete<br />
nacheinander mehrere Kunstschulen in Chicago, die auch John<br />
Cage besuch te. Cage hat sich immer wie der in sei nen Arti keln über<br />
den gro ßen Ein fluss und die Fas zi na ti on, die von Moho ly-Nagy ausging,<br />
geäu ßert. Und viel leicht<br />
ste hen auch vie le Expe ri men te<br />
von Cage in mit tel ba rer Nachfolge<br />
zu den frühen Experimenten<br />
von Moho ly-Nagy in<br />
Weimar.<br />
Josef Albers, erst Bau hausstudent,<br />
dann Bauhausmeister,<br />
emigrierte ebenfalls nach Ameri<br />
ka, wirk te als eine der Vater figu<br />
ren der Maler des abs trak ten<br />
Expressionismus wie Willem de<br />
Kooning, Jackson Pollock oder<br />
Mark Roth ko. Er wur de Direktor<br />
am legen dä ren Col le ge in<br />
Black Moun tain, wel ches in vielen<br />
Din gen dem Bau haus nachemp<br />
fun den war. Hier fand das<br />
erste Happening – so zumindest<br />
stellt es sich im Rück blick dar<br />
– der Kunst ge schich te statt, mit<br />
Robert Rau schen berg, Mer ce<br />
Cun ning ham und John Cage.n<br />
60 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
WOHER KOMMT<br />
EIGENTLICH …<br />
… der Soundtrack zum Bauhaus ?<br />
VON STEFAN SELL<br />
Piet Mondrians „Victory Boogie<br />
Woogie“ – es wurde getanzt ohne<br />
Ende, gern bis zur Erschöpfung<br />
Ob Kurt Weill Brecht ver ton te<br />
oder Ope ret ten wie Leo<br />
Falls Die Stra ßen sängerin<br />
Pre mie re hat ten,<br />
die Ber li ner Luft vor 100 Jah ren war<br />
musikgeschwängert. Der Jazzpionier Eric<br />
Bor chard war all ge gen wär tig, in Falls<br />
Ope ret te von <strong>19</strong>21 eben so wie in Fritz Langs<br />
„Dr. Mabuse“. Hindemith, Schönberg, Busoni und<br />
Schreier lehrten in Berlin. Klaus Mann charakterisiert<br />
Deutsch land zu Beginn der Bau hau s epo che als „zugleich<br />
erschöpft und hek tisch auf ge kratzt“. Der Ers te Welt krieg<br />
war eben erst vor bei, und die Men schen sehn ten sich nach<br />
„Won ne, Erleb nis, Eksta se und Erhe bung“, wie Har ry Hal ler ali as<br />
Her mann Hes se im Roman „Der Step pen wolf“ beschreibt. Har ry<br />
kommt zum Tanz auf dem Vul kan in die „Höl le“, das Kel ler ge schoss<br />
eines Tanz pa las tes. „Von der Men ge gescho ben, gelang te ich in diesen<br />
und jenen Raum, Trep pen hin auf, Trep pen hin un ter; ein Gang<br />
im Kel ler ge schoß war von den Künst lern als Höl le aus ge stat tet, und<br />
eine Musik ban de von Teu feln pauk te dar in wie rasend.“ Klaus Mann<br />
im Rück blick: „Das Ber li ner Nacht le ben, Jun ge-Jun ge, so was hat<br />
die Welt noch nicht gese hen!“<br />
„The Roaring Twen ties“, die „Gol de nen 20er“, waren eine Zeitspan<br />
ne zwi schen Wirt schafts auf schwung und Welt wirt schafts kri se,<br />
ein rau schen des Fest für die Kunst. Über all in der Musik, im Film,<br />
in der Lite ra tur, der Kunst und Archi tek tur blüh ten neue For men<br />
auf. Es war eine Ära des Jazz, der Ope ret te, des Schla gers und der<br />
Neu en Musik. Der Sound track zum Bau haus: ein Remix aus all dem.<br />
Paul Klee trat mit sei ner Gei ge auf, zeich ne te eine Tran skrip ti on der<br />
ers ten Tak te aus Bachs Sechster Sonate für Violine und Cembalo, und<br />
Feininger komponierte Fugen. Musik verwandelte sich in Bauhauskunst,<br />
Gren zen wur den über schrit ten. Kurt Schmidt schuf <strong>19</strong>23 die<br />
„Form- und Farbor gel“, Oskar Schlem mer expe ri men tier te mit dem<br />
Tria di schen Bal lett, Johann Itten bau te den Turm des Feu ers, László<br />
Moholy-Nagy entwarf die Partiturskizze zur Mecha ni schen Exzentrik,<br />
Kan din sky tausch te sich mit Schön berg aus und schöpfte den<br />
„gelben Klang“, Piet Mondrian tanzte Boogie-Woogie und brachte<br />
ihn auf Lein wand. Gab es eine Bau haus-Ver samm lung, hieß es:<br />
„Musiker, bitte Instrumente und Noten mitbringen!“ Das Gleiche<br />
galt für Wochen end aus flü ge: „Musik geht mit!“<br />
Im Hexen kes sel der „Höl le“ hört Har ry Hal ler das Stück<br />
Year ning von den Cali for niacs: „Ein neu er Tanz, ein Fox trott,<br />
erober te sich in jenem Win ter die Welt,<br />
mit dem Titel Year ning. Year ning wurde<br />
ein s ums and re Mal gespielt und<br />
immer neu begehrt, alle waren wir<br />
von ihm durch tränkt und berauscht,<br />
alle summ ten wir sei ne Melo die<br />
mit. Ich tanz te unun ter bro chen“. Wei ter<br />
heißt es: „Ein Erleb nis wur de mir in die ser<br />
Ball nacht zuteil: das Erleb nis des Fes tes, der<br />
Rausch der Fest ge mein schaft, das Geheim nis vom<br />
Unter gang der Per son in der Men ge, von der Unio mysti<br />
ca der Freu de.“ Hes se fängt das Lebens ge fühl ein, das<br />
suchen de Künst ler beflü gelt haben muss. Das Bau haus hat<br />
vie les unter sei nem Dach ver eint, der inspi rie ren de Sound track<br />
war stets prä sent.<br />
<strong>19</strong>24 wur de eine eige ne Bau haus ka pel le ins Leben geru fen,<br />
dar in spiel ten Andor Wei nin ger Kla vier, Hanns Hoff mann-Lede rer<br />
Schlag zeug, Hein rich Koch Teu fels gei ge und Rudolf Paris Schlagzeug.<br />
Am liebsten konzertierten sie auf selbst gebauten Instrumenten.<br />
Spä ter kamen wei te re Musi ker und Instru men te hin zu, die<br />
Bau haus-Jazz-Kapel le war in den 20er-Jah ren eine der belieb tes ten<br />
Bands. Dabei waren unter ande rem Lux Fei nin ger, Lyo nel Fei ningers<br />
jüngs ter Sohn, der Ban jo und Kla ri net te spiel te, und – als einzige<br />
Frau – die damalige Bauhausstudentin, spätere Fotografin und<br />
Archi tek tin Lot te Gerson mit ihrem Saxo fon.<br />
Lux erin nert sich: „Ein hin rei ßen der Tanz des Namens ‚Der<br />
Chromatische‘ muss aus dem Repertoire einer längst verschollenen<br />
Mili tär ka pel le ent nom men sein, so wie die bekann tes te aller Bauhaus<br />
me lo di en, der Bau haus Marsch, des sen Anfang zu den Wor ten<br />
‚Itten-Muche-Maz daz nan‘ gesun gen wer den konn te und als ‚Bauhaus<br />
pfiff‘ inter na tio nal bekannt war.“ Lux Fei nin ger, der das biblische<br />
Alter von 101 erreich te, schwärm te von der Eksta se, mit der<br />
die Kapel le spiel te, die einem „Veits tanz“ gleich kam. Har ry Hal ler<br />
wuss te, es gibt kein Ent kom men: „Als die Musik abbrach, blie ben<br />
wir umschlun gen ste hen, alle die ent zün de ten Paa re rings um uns<br />
klatsch ten, stampften, schrien, peitsch ten die erschöpfte Kapel le<br />
zur Wie der ho lung des Year ning auf.“ In der Erin ne rung des Bauhaus<br />
stu den ten Far kas Molnár klingt das so: „Der Tanz nimmt kein<br />
Ende. Die Jazz-Kapel le zer bricht ihre Instru men te. Der Knei per<br />
ver liert sei ne Geduld … jetzt ist der Höhe punkt erreicht. Baro meter<br />
365 Grad. Span nungs ma xi mum. Zap fen streich, der Hen ker<br />
erscheint. Roter Pfeil. Not aus gang.“<br />
n<br />
FOTO: GEMEENTEMUSEUM DEN HAAG<br />
61
B A U H A U S 1 0 0<br />
NEUES WELTTHEATER –<br />
OSKAR SCHLEMMER<br />
UND DIE BAUHAUSBÜHNE<br />
Begeistert huldigten Bauhäusler wie Oskar Schlemmer der Idee des<br />
Gesamtkunstwerks, des Zusammenwirkens der einzelnen Kunstdisziplinen.<br />
Und verweigerten sich jedem vorschriftsmäßig abgegrenzten „Lager“.<br />
VON PHILIPP HONTSCHIK<br />
FOTO: WILFRIED HOESL<br />
Triadisches Ballett an der Bayerischen Staatsoper, 2014<br />
Wien, <strong>19</strong>87. Die Gründung der Bauhausbühne liegt<br />
66 Jahre zurück. Am Burgtheater inszenieren<br />
Achim Freyer und Urs Toller ein Stück mit dem<br />
Titel Metamorphosen des Ovid oder die Bewegung<br />
von den Rändern hin zur Mitte und umgekehrt. Die Musik und Teile<br />
des Texts stammen von Dieter Schnebel, dem unlängst verstorbenen<br />
großen Komponisten zeitgenössischer experimenteller Musik. Auch<br />
Freyer und Toller haben mitgetextet.<br />
Im Publikum sitzt offenbar ein organisierter Block von Störern.<br />
„Die Burg“ will sich das einfach nicht bieten lassen: Ein hölzerner<br />
bunter, großer Schmetterling bewegt sich quälend langsam von links<br />
unten nach rechts oben, hin zur Mitte der schräg erhöhten Holzbühne.<br />
Ein Mädchen auf einem hölzernen Tretroller. Eine Frau<br />
kommt von links auf die Bühne, zieht einen Schuh aus, geht einen<br />
Schritt, wieder einen zurück, zieht den Schuh wieder an, geht zwei<br />
Schritte weiter, zieht den anderen Schuh aus … Derweil kommt vom<br />
Band Sprechtext, der die Dame als ziemlich unerschrockene Prostituierte<br />
ausweist: „Na, freilich setz’ ich mich ihm aufs G’sicht, bin<br />
ja ka Snob.“ In Endlosschleife. „Braucht ma da lang, bis ma des<br />
kann?“, kommt’s im tiefsten Wienerisch aus dem Parkett. „Halt’s<br />
Maul, Faschist!“, kommt rüde die Antwort. „Kamma des studier’n?“<br />
„Nach Haus geh’, wem’s nicht g’fallt!“ „Zum Fernsehen, ihr Deppn!“<br />
Und heute? Wer die klassische Sprechbühne des Theaters<br />
„zweckentfremdet“, erzielt immer noch schockierende oder freund-<br />
62 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
lich gesagt: durchschlagende Wirkung. Mal mehr und mal weniger<br />
schlüssig, aber warum soll das Gegenwartstheater darauf verzichten?<br />
Schon Gründgens stellte die Filmsequenz der Hiroshima-<br />
Bombe mitten in die Faustische Walpurgisnacht – ein dramaturgischer<br />
Glücksgriff. Bezüge auf die bildende Kunst, Zitate<br />
aus oder von Gemälden, Filmbildeinspielungen, Überblendungen,<br />
Liveaufnahmen von der Bühne selbst – all<br />
das setzt Theater heute ein, in einem von Bildern gefluteten<br />
„Heute“.<br />
Dabei denken wir über unsere eigene Verortung nach<br />
und finden einen humanoiden Roboter auf der Bühne, dessen<br />
Gesicht dem eines bekannten Schauspielers gleicht.<br />
Was Digitalisierung und künstliche Intelligenz für uns<br />
sind, war für die der Bauhausbühne die plötzlich technologisierte,<br />
beschleunigte und von Maschinen geprägte<br />
Umwelt des frühen 20. Jahrhunderts. „Verortung des Ich“,<br />
das klingt schwülstig. Aber als Walter Gropius <strong>19</strong>21 die<br />
Bauhausbühne ins Leben rief, hatten Einstein und Planck<br />
neue Weltmodelle vorgelegt: Raum und Zeit krümmen<br />
sich, abhängig von der beteiligten Masse. Und Teilchen,<br />
noch viel kleiner als Atome, geben entweder ihren Impuls oder ihren<br />
Ort zu erkennen, aber nicht beides. Hinzu kam, dass nicht wenige<br />
der bestimmenden Bauhausfiguren den Ersten Weltkrieg an der<br />
Front erlebt hatten, den Menschen im Zeitalter seiner maschinellen<br />
Vernichtbarkeit. Die Verstörung, die Erschütterung, die hieraus<br />
stammten, sollten in Fragen<br />
DAS TRIADISCHE<br />
BALLETT BLEIBT<br />
EIN MEILENSTEIN<br />
DER THEATER-<br />
GESCHICHTE<br />
münden nach dem Bezugsfeld<br />
zwischen Menschen und ihrer<br />
seelisch-körperlichen Befindlichkeit<br />
und den von menschlichen<br />
Gehirnen erdachten und<br />
erbauten Maschinen, die den<br />
Alltag immer stärker prägen.<br />
Gemessen an der Furcht<br />
der Heutigen davor, dass uns<br />
die künstliche Intelligenz womöglich um die Ohren fliegt, bevor<br />
wir es verhindern können, hegten die Bauhausleute Vertrauen in<br />
die Zukunft, Zuversicht und Technikbegeisterung. Auf Standortsuche<br />
gehen sollte „der Mensch“, den der literarische Expressionismus<br />
vor allem in der Lyrik ständig an- und aufruft, auf der Bauhausbühne<br />
gleichwohl: Das Triadische Ballett hat nichts mit der<br />
hegelianisch-marxistischen „dialektischen Triade“ aus These, Antithese<br />
und Synthese zu tun. Vielmehr stand diese Triade (Dreiklang)<br />
für Beziehungen wie Kostüm – Bewegung – Musik als choreografische<br />
Grundsäulen oder Raum – Form – Farbe als physische Attribute,<br />
Höhe – Breite – Tiefe als klassische Dimensionen des Raums.<br />
Die geometrischen Grundformen Kreis – Quadrat – Dreieck kommen<br />
zum Tragen, und die Grundfarben Rot – Gelb – Blau, das alles<br />
übertragen auf die Bewegungen dreier Akteursfiguren.<br />
Arnold Schönberg lehnte eine Zusammenarbeit ab. Angeklopft<br />
hatte bei Schönberg ein gewisser Albert Burger, Tänzer an der<br />
Königlichen Hofoper Stuttgart. Burger und seine Frau Elsa Hötzel<br />
waren <strong>19</strong>12 die Ersten, die sich auf die Suche nach „Neuem Ballett“<br />
machten. Noch im selben Jahr fanden sie den Maler Oskar Schlemmer<br />
als inspirierten Partner. Die drei ahnten, welche Epoche sie<br />
damit machten: Gleich nach der Uraufführung des Triadischen<br />
Balletts <strong>19</strong>22 in Stuttgart zerstritt sich das Ehepaar mit Schlemmer<br />
heillos. So wie sich Oskar Schlemmers Erben überwarfen, was der<br />
Bekanntheit des Triadischen Balletts, dieses Aushängeschilds der<br />
Bauhausbühne, schwer geschadet hat. Was Schlemmer als Beginn<br />
neuer „deutscher Tanzkunst“ sah, auch als Gegenentwurf zum russischen<br />
oder schwedischen Ballett, bleibt vorerst, was es schon lange<br />
ist: ein Meilenstein der Theatergeschichte, den kaum jemand je zu<br />
sehen kriegt. <br />
n<br />
Oskar Schlemmer<br />
Als Oskar Schlemmer zwölf Jahre alt war, waren beide Eltern<br />
gestorben. Wer psychologisieren möchte, wird es rührend<br />
finden, dass sich der Kunstprofessor<br />
Schlemmer Jahrzehnte später in die Frage<br />
nach dem „Menschen im Raum“ so sehr<br />
vertiefen konnte. Als jüngstes von sechs<br />
Kindern hätte er es ja auch mit dem zeitgenössischen<br />
Pathos der Expressionisten<br />
halten können: Deren „Oh, Mensch!“-Lyrik<br />
zielte auf das Verhältnis zwischen Mensch<br />
und Gesellschaft. Die „soziale Frage“ wurde<br />
damals überhaupt immer lauter: in der<br />
Politik wie in allen Sparten der Kunst. Das<br />
Epigonale, Harmlose hatte sich verbraucht.<br />
Notwendig war eine grundlegende Erweiterung<br />
der künstlerischen Ausdrucksmittel.<br />
Die Malerei machte sich auf, weg vom<br />
Figürlichen hin zur höchsten Abstraktion.<br />
Den Niederländer Piet Mondrian sollte Oskar Schlemmer<br />
später einmal den „eigentlichen Gott des Bauhauses“<br />
nennen.<br />
Aber zunächst kommt ein 15-jähriger Waise aus Göppingen,<br />
wo er aus Geldgründen die Realschule verlassen hatte,<br />
zurück in seine Geburtsstadt Stuttgart, findet Zugang zu einer<br />
renommierten Werkstatt, erfüllt dort Vorlagen für Intarsien<br />
und andere gewerbliche, vorkünstlerische Aufgaben. Nebenher<br />
bildet er sich in Figurenzeichnen und Stillehre weiter.<br />
<strong>19</strong>06 nimmt die Stuttgarter Akademie für Bildende Künste<br />
ihn 18-jährig auf. Drei Jahre später: Meisterklasse in Komposition<br />
bei Friedrich von Keller. Anschließend, in Berlin, trifft<br />
er Kubisten, die Avantgarde. Der Kubismus schlägt sich deutlich<br />
in seiner Malerei nieder. Deswegen rücken ihn viele in<br />
die Nähe von George Grosz oder Giorgio de Chirico. Aber<br />
Grosz ist selbstbewusster Kritiker der Kaiserzeit wie der Weimarer<br />
Republik. Politische Stellungnahmen waren aber Oskar<br />
Schlemmers Sache nicht. Und im Vergleich zu de Chiricos<br />
„metaphysischer Malerei“ springt bei aller Ähnlichkeit ein<br />
Unterschied ins Auge: De Chiricos Stadtlandschaften sind<br />
menschenleer, Schlemmer sucht nach dem Ort des Menschen<br />
im Raum und seiner Wirkung darin.<br />
Es bleibt dabei: Oskar Schlemmers Schaffen lässt sich<br />
nur schwer einer Kunstrichtung angliedern. Auch weil er der<br />
Idee des Gesamtkunstwerks, des Zusammenwirkens der einzelnen<br />
Kunstdisziplinen huldigte und sich nicht zu einem der<br />
vorschriftsmäßig abgegrenzten Lager bekennen wollte.<br />
Schlemmer hatte sich bei Kriegsbeginn <strong>19</strong>14 freiwillig<br />
gemeldet, eine Verwundung ermöglichte, dass er überlebte<br />
und weitermalen konnte. <strong>19</strong>20 berief Walter Gropius Schlemmer<br />
ans Bauhaus Weimar, wo er die Klasse für Wandmalerei,<br />
bald auch für Holz- und Steinbildhauerei übernahm. <strong>19</strong>22<br />
gelang in Stuttgart die Uraufführung des Triadischen Balletts<br />
– das nie auf der Bauhausbühne aufgeführt wurde. Deren Leitung<br />
übernahm Schlemmer mit dem Umzug des Bauhauses<br />
nach Dessau <strong>19</strong>25. Das Triadische Ballett erlebte Aufführungen<br />
im In- und Ausland, der Erfolg hatte sich eingestellt, ein<br />
schöpferischer Mensch seinen Ort im Raum gefunden. Aber<br />
bis zum Regime des Unmenschen dauerte es nicht mehr lange.<br />
<strong>19</strong>30 ließ man von oberster Stelle in Weimar ein Wandgemälde<br />
Schlemmers übermalen. In der Nazi-Schmäh-Ausstellung<br />
„Entartete Kunst“ hingen schließlich fünf seiner Bilder<br />
„Bauhaustreppe“ von Oskar<br />
Schlemmer, <strong>19</strong>32<br />
als undeutsch. Oskar Schlemmer starb im April <strong>19</strong>43 in einem<br />
Sanatorium in Baden-Baden. <br />
n<br />
FOTO: BAUHAUS100<br />
63
B A U H A U S 1 0 0<br />
GEFÜHLTE<br />
ARCHITEKTUR<br />
FOTOS: SASCHA KLETZSCH<br />
Bauhaus heute: zwei Privathäuser<br />
in München vom Büro Stenger2<br />
64 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Eine Bewegung machte Furore und veränderte das Gesicht<br />
ganzer Städte: Mit dem Bauhaus hielt die Moderne endgültig<br />
Einzug in die Architektur. Wie nachhaltig war und ist ihr Einfluss<br />
auf die kommenden Jahre? Ein Gespräch mit dem Architekten<br />
Markus Stenger, der in der Wiege des Bauhauses studiert hat.<br />
VON BARBARA SCHULZ<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Stenger, welche Bedeutung hat das Bauhaus<br />
für die Architektur heute?<br />
Mar kus Sten ger: Die Fra ge, die vor ab gestellt wer den muss, ist<br />
doch: Wel ches Bau haus meint man? Das ursprüng lich sen si ble,<br />
sensuelle, fühlende Bauhaus? Oder das rationale Bauhaus von<br />
Mies van der Rohe, das am Ende stand? Wir haben es ja, allein<br />
auf Deutsch land bezo gen, mit einem Drei ak ter zu tun: Die ers te<br />
Epi so de spielt <strong>19</strong><strong>19</strong> in Wei mar, die zwei te <strong>19</strong>25 in Des sau und die<br />
drit te schließ lich um <strong>19</strong>33 in Ber lin.<br />
Wie kam es zu dieser Dreiteilung?<br />
Das muss man im jewei li gen Kon text sehen: Wal ter Gro pi us hatte<br />
<strong>19</strong><strong>19</strong> das Staat li che Bau haus in Wei mar gegrün det. Dass sich<br />
ein so frei heit li ches Gut in dem stren gen Kor sett die ser kon servativen<br />
Stadt entwickeln konnte, war bemerkenswert. Schließlich<br />
drängte Wei mar das Bau haus doch aus der Stadt. Das sozia listisch<br />
ein ge stell te Des sau nahm es ger ne auf, stellte ein Grundstück<br />
und Mit tel zur Ver fü gung. Das war der Umbruch: Die<br />
Bauhäusler suchten nun nach Möglichkeiten, Architektur in Teilen<br />
seri ell zu pro du zie ren – ab die sem Zeit punkt Haupt the ma<br />
am Bau haus. Dann ver dräng ten die Nazis das Bau haus aus Dessau.<br />
Die Flucht nach Ber lin geschah bereits in dem Wis sen, dass<br />
das nicht mehr lan ge gehen wür de.<br />
Sie haben in Weimar Architektur studiert. War für Sie das<br />
Bauhaus noch spürbar?<br />
Ich kam <strong>19</strong>92 nach Wei mar. Es war eine Welt, die sich noch in<br />
der herr li chen Aufbruchs stim mung der letz ten Jah re der DDR<br />
und der ers ten Jah re des ver ei nig ten Deutsch land befand. Der<br />
Osten war noch sehr gegen wär tig, aber auch das ori gi na le Bauhaus.<br />
Der „Vor kurs“ war noch Teil unse rer Aus bil dung.<br />
Was beinhaltet der „Vorkurs“?<br />
Gro pi us hat te ja ein Lay out fest ge legt, das ers te Bau haus-Manifest.<br />
Inter es sant ist, dass es zunächst kein Text, son dern eine<br />
Gra fik war: ein Kreis mo dell, das sich auf einen Punkt hin zentriert.<br />
Ganz außen steht der Vor kurs des Schwei zer Malers und<br />
Kunst päd ago gen Johan nes Itten: indi vi du el les Emp fin den, subjek<br />
ti ves Erken nen und objek ti ves Erfas sen als Grund la ge aller<br />
Krea ti vi tät. Im nächs ten Ring dann die Leh re von der Kon strukti<br />
on und Dar stel lung, die Mate ri al-, Natur-, Raum- und Stoffleh<br />
re, im drit ten Ring schließ lich das Mate ri al selbst. Es ging<br />
ganz stark um die Wer tig keit der sinn li chen Erfah rung von Materi<br />
al. Und das alles mün de te schließ lich im Bau.<br />
Sensibilisierung also …<br />
Ja, Füh len, Tas ten, Hören, Sehen … Sen so rik ent wi ckeln, Oberflä<br />
chen struk tu ren ver in ner li chen. Dafür wur de extrem viel Zeit<br />
auf ge wen det, auch dar über zu reden und zu reflek tie ren. Heu te<br />
ist die Kom mu ni ka ti on zur Archi tek tur ganz anders. Zum einen<br />
gibt es die mit dem Auftrag ge ber des Archi tek ten: Pri vat mann,<br />
Inves tor, öffent li cher Auftrag ge ber. Dane ben die auf einer zwei-<br />
65
B A U H A U S 1 0 0<br />
Das Bauhaus-Manifest:<br />
Alles konzentriert sich hin zum Bau<br />
FOTO: SASCHA KLETZSCH<br />
ten, viel öffent li che ren Ebe ne: wenn das Pro dukt fer tig<br />
ist. Das Voka bu lar der bei den ist völ lig unter schiedlich.<br />
Spricht man mit einem Bau her rn, wäre man oft<br />
froh, das ursprüng li che Bau haus vo ka bu lar zur Ver fügung<br />
zu haben. Bei die ser unmit tel ba ren Annä he rung an<br />
Architektur geht es – sobald wirtschaftliche und raumplanerische<br />
Fra gen geklärt sind – dar um, wie Archi tek tur spä ter ange fasst, wie<br />
sie gese hen, gespürt, gefühlt wird. Inves to ren kann man mit die sem<br />
Voka bu lar bei brin gen, qua li tät voll zu bau en. Ich hät te gern, dass<br />
die Schu le der gefühls mä ßi gen Annä he rung an Archi tek tur aus<br />
dem Bau haus zum Pflicht fach in jeder Schu le wird.<br />
Bestehende Architektur muss anders kommuniziert werden?<br />
Ja. Der Mensch ist mit einer sol chen Geschwin dig keit in Rich tung<br />
urba ner Agglo me ra ti on unter wegs, dass das Leben auf dem Land<br />
beziehungsweise im nicht Urba nen immer mehr zur Aus nah me -<br />
si tua ti on wird. Das bedeu tet im Umkehr schluss, wir haben uns<br />
damit abge fun den, dass unser Kon text Archi tek tur ist, weil die Stadt<br />
im sicht ba ren Bereich zu 90 Pro zent aus Archi tek tur besteht. Wir<br />
leben also in einem Umfeld, das wir nie gelernt haben zu eva lu ieren,<br />
son dern „nur“ nut zen. Weil wir auf gefähr lich dog ma ti sche<br />
Sät ze ver trau en wie den von Mies van der Rohe, „Form fol lows<br />
func tion“. Die wich ti ge Arbeit wäre nun, stän dig neu zu ergrün den<br />
und zu kom mu ni zie ren, was das Poten zi al<br />
gebau ter Struk tur ist, wie ich das Wer te gerüst<br />
einer Struk tur ändern oder ver bes sern<br />
kann, wie etwas Archi tek tur wer den kann …<br />
Dafür braucht man das Voka bu lar: um mündig<br />
zu wer den. Das war die immense Leistung<br />
die ser Schu le.<br />
Irgendwann nahm die Bedeutung der Sensorik<br />
aber ab.<br />
Ja, die Mit te des Krei ses, der Bau, wur de<br />
immer her me ti scher. Man kann es Fokussie<br />
rung nen nen. Oder als extre men Ver lust<br />
bezeich nen, was da auf der Stre cke geblie ben<br />
ist. Fas zi nie rend ist, dass unter einer Mar ke<br />
„Bau haus“ die se völ lig wider sprüch li chen<br />
Bewegungen zusammengefasst sind: Weimar,<br />
das die Ein heit von Kunst und Handwerk<br />
such te, und Des sau, das völ lig offen zur<br />
Indus trie war. In Des sau war wich tig, einen<br />
Ent wurf so strin gent zu machen, dass man<br />
mit Stan dard pro duk ten aus der Indus trie<br />
ein gan zes Haus pro du zie ren konn te.<br />
Massenfertigung also?<br />
Nicht ganz, dafür ist das Bau haus-Gebäu de viel zu poe tisch und<br />
qua li tät voll. Zwar war das Haus sehr zweck mä ßig, man hat aber<br />
nicht sim pli fi ziert, eher stan dar di siert. Und auch pro vo ziert. Da<br />
war ein guter Schuss Humor dabei bei die ser Archi tek tur. Irgendwie<br />
war Bau haus weni ger Bus si Bus si, Bau haus war mehr Sex. Die se<br />
Lust spürt man in der Anfangs zeit. Und aus die ser Lust wur de<br />
immer mehr Leis tung und Arbeit, es wur de immer erns ter.<br />
Bedeutet Standardisierung, dass Dessau vorbereitend für die<br />
Fertigbauarchitektur war?<br />
Das wür de ich nicht sagen. Ein Fer tig haus bie tet kei ner lei Mög lichkeit,<br />
meh re re Dis zi pli nen an einem Objekt zu ver sam meln. Des sau<br />
woll te sicher nicht, dass ein Gebäu de, das ein mal ent wor fen war,<br />
belie big oft repro du ziert wer den soll te. Eher so: vie le ähn li che Fenster,<br />
Türen etc., die man seri ell her stellt. Das Meis ter haus zum Beispiel<br />
war noch indi vi dua li siert. Für den Ort, für den Kon text, für<br />
die Auf ga be. Das Fer tig haus ist das Gegen teil davon.<br />
Hat es das Dessauer Bauhaus in die Gegenwart geschafft?<br />
Ich wür de eher sagen, die ers te Epi so de, Wei mar. Weil es alles ande re<br />
Mar kus Sten ger und sei ne Frau Annet te<br />
leben und arbei ten in Mün chen. Unter dem<br />
Titel „fearless“ stell ten sie u. a. in Vene dig<br />
zur Archi tek tur bi en na le 2016 mit ihrem<br />
Büro „Stenger2 Archi tek ten und Part ner“<br />
ihre bis lang wich tigs te Arbeit vor: die Wie derbe<br />
le bung des <strong>19</strong>90 still ge leg ten Gas-Versuchs<br />
kraft werks in Mün chen-Ober send ling<br />
und das Erleb nis empi ri schen Bau ens.<br />
Infos unter s2lab.de<br />
her vor ge ru fen hat. Man tut dem Bau haus sicher einen<br />
Gefal len, wenn man es ver ket tet mit sei ner eige nen<br />
Geburts ge schich te. Zu sagen, das ist Bau haus und jenes<br />
ist jetzt die Fol ge davon, ist schwie rig. Die se zehn Jah re<br />
nach Bau haus, von <strong>19</strong>33 bis <strong>19</strong>43: Da ist für mich mehr die<br />
Fra ge, wie hat die Indus tria li sie rung oder die se kriegs ge trie be ne<br />
Mas sen pro duk ti on das Fer tig teil bau en ermög licht? Die hoch ge rüste<br />
ten Indus trie zwei ge hat ten ja plötz lich kei nen Zweck mehr. So<br />
fand man zivi le Ein satz ge bie te. Fens ter la cke zum Bei spiel, die das<br />
eigent lich viel lang le bi ge re und zudem bio lo gi sche Lein öl<br />
ablösten.<br />
Es gab aber auch sinnvolle neue Materialien.<br />
Gemeinsam mit anderen Architekturströmungen dieser Zeit wandte<br />
sich das Bau haus früh Stahl und Stahl be ton zu. Und das ist wohl<br />
der wich tigs te Ein fluss auf heu te: dass über die Rän der der Pro fessi<br />
on geschaut wur de und das Gute, das man jen seits fand, über nommen<br />
hat. Man hat sich hin be wegt zum Hand wer ker, zum Künst ler,<br />
spä ter zum Trag werksinge nieur. Und hat Syn er gi en genutzt.<br />
Das bedeutet auch flache Hierarchien …<br />
Ganz genau, in der Pra xis kann man so – wie übri gens in der für das<br />
Bauhaus namensgebenden mittelalterlichen Dom-Bauhütte auch –<br />
allen die Mög lich keit geben, Glei cher unter Glei chen zu sein. Und<br />
so jedes Werk zum klei nen Bau haus<br />
machen. Dann ist die Archi tek tur nicht die<br />
Mut ter aller Küns te, der sich alle unter zuord<br />
nen haben. Viel mehr gibt es eine Erfahrungs<br />
hier ar chie aller Betei lig ten. Ein Mitarbeiter<br />
oder Handwerker kann zu gegebener<br />
Zeit in eine lei ten de Funk ti on wech seln,<br />
wenn er mehr Erfah rung hat. Da muss es<br />
kein objek ti ves Füh ren geben. Der Architekt<br />
schließt im Ide al fall nur die Lücken<br />
zwi schen den Dis zi pli nen. Hät te ich eine<br />
Fra ge ans Bau haus, dann wüss te ich gern,<br />
wie die Kom mu ni ka ti on funk tio niert hat.<br />
Wie haben sie sich gegen sei tig den Raum<br />
gelas sen, ihren Platz gefun den? Das gab es<br />
vorher lange nicht.<br />
Es ist ja auch eine Form gegenseitiger<br />
Inspiration.<br />
Unbe dingt. Es gibt ja eigent lich viel weniger<br />
Gren zen in den Kul tur ka te go ri en, als<br />
man denkt. Man kann rhe to ri sche Stil mittel<br />
auf Fas sa den anwen den, kann ein Stück<br />
Lite ra tur, ein Stück Musik und ein Stück<br />
Archi tek tur mit den sel ben Augen und Mit teln lesen. Aber wir tun<br />
es nicht. Dabei ist es so beglü ckend.<br />
Es gibt ein Buch: „Please show me how to do Bauhaus“.<br />
Ein wun der bar iro ni scher Titel. Aber hilf rei che Lek tü re für den<br />
Bau herrn, der kommt und sagt, er hät te gern ein Haus in „so einer<br />
Art Bauhausstil“.<br />
Was meint er damit?<br />
Meist nutzt er die sen Begriff als Trä ger für das ande re, das A-Kontextuelle.<br />
Natürlich schweben ihm auch konkrete Stilmittel vor: die<br />
Far be Weiß, gro ße Fens ter, glat te Fas sa de, ein Flach dach, kein Dachüber<br />
stand. Aber eigent lich möch te er Des in te gra ti on. Sich abhe ben<br />
von der Nach bar schaft. Das Beson de re in sei nem neu en Umfeld<br />
sein. Ich sehe das zum Teil sehr kri tisch. Das ist nicht mei ne Auffassung<br />
von Bauhaus.<br />
Welche Antwort geben Sie ihm?<br />
Dass er Glück hat! Weil er bei einem gelan det ist, der immer Bauhaus<br />
macht, weil er am Bau haus war. Er kann von mir gar kein anderes<br />
Stück Archi tek tur bekom men. Ob er will oder nicht! n<br />
66 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
LEBENSART<br />
Von edler Eleganz: Diese Klassiker des Bauhauses möbeln unseren Alltag auf (Seite 72)<br />
Die Schweiz hat mehr als Berge, Schnee und Schoki:<br />
Weine zum Niederknien, vorgestellt von Paula Bosch (Seite 74)<br />
Ein Spaziergang durch Dresden mit dem Schütz-Experten Hans-Christoph Rademann (Seite 78)<br />
Ein Spiel mit Licht und Schatten:<br />
Schlicht und pur will Bauhausarchitektur<br />
sein, um mit der Natur<br />
verschmelzen zu können, sie<br />
zuzulassen, ihr Raum zu geben und<br />
sie zu integrieren. Ein Treppenhaus<br />
kann so viel mehr als ein<br />
Treppenhaus sein – wahre Kunst.<br />
FOTO: PIXABAY<br />
67
L E B E N S A R T<br />
Lieblingsessen!<br />
HIER VERRATEN DIE STARS IHRE BESTEN REZEPTE.<br />
UND MANCHMAL AUCH KLEINE GESCHICHTEN,<br />
DIE DAZUGEHÖREN ...<br />
„DAS AUS ZWEI FAST LEEREN KÜHLSCHRÄNKEN<br />
ENTSTANDENE AMUSE-GUEULE IST LÄNGST EIN KLASSIKER AUF PARTYS“<br />
REBEKKA HARTMANN<br />
FOTO: PRIVAT<br />
68 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
REBEKKA HARTMANN VIOLINISTIN<br />
„Vor wenigen Jahren saß ich mit meinem besten Freund beim Essen im Restaurant und wir<br />
ärgerten uns: Für wenig Geschmack muss man einen Kredit aufnehmen! Wir beschlossen also, selbst<br />
und gemeinsam zu kochen. Zähneknirschend muss ich hier zugeben, dass ich, außer ein paar Eier in die<br />
Pfanne zu hauen, nicht wirklich kochen kann – Berufsmusiker haben wenig Zeit. Mein Freund bot sich<br />
an, mir das Kochen beizubringen. Eines sonntags also warfen wir die eher spärlichen Inhalte unserer<br />
Kühlschränke zusammen: eine Aubergine, ein Stück Mozzarella von mir, sein Vorrat bestand aus<br />
Tomatenmark, Knoblauch, Sardellen und Zitronen. Daraus entstand die Idee, eine Praline aus der<br />
Aubergine zu kreieren, die mich derart begeisterte, dass dieses Amuse-Gueule bei unseren Partys zum<br />
beliebtesten Gericht wurde. Und immer, wenn uns jemand nach dem Rezept fragt, schmunzeln wir –<br />
und erinnern uns an diesen denkwürdigen Tag!“<br />
FOTO: ULRIKE VON LOEPER<br />
Rebekka Hartmann hat nationale und internationale Auszeichnungen erhalten. Ihr Repertoire umfasst das<br />
ganze Spektrum der Violinliteratur vom Frühbarock bis zur zeitgenössischen Musik und neuen Kompositionen,<br />
von denen sie auch Erstaufnahmen und Uraufführungen wie Werke für Solovioline von Håkan Larsson und<br />
Anders Eliasson aufführte. 2012 erhielt Rebekka Hartmann für ihre CD „Birth of the Violin“ (2011, Solo<br />
Musica) den ECHO Klassik-Preis in der Kategorie „Beste solistische Einspielung des Jahres auf der Violine“.<br />
•<br />
PRALINE VON DER AUBERGINE<br />
2 Auberginen, 1 Zitrone, Olivenöl, 2 Tuben Tomatenmark, 1 Glas Sardellen in Öl,<br />
8 Knoblauchzehen, Salz, Pfeffer, 2 Mozzarella, 1 Bund Basilikum<br />
•<br />
1. Auberginen in 0,5 cm dicke Scheiben schneiden, mit Zitrone beträufeln und in reichlich heißem Olivenöl<br />
anbraten, bis sie leicht gebräunt sind. Auf Küchenkrepp abtropfen lassen.<br />
2. Für die Tomatenpaste das Tomatenmark in einen tiefen Teller drücken. Die Sardellenfilets aus<br />
dem Glas nehmen und fein hacken. Restliches Öl aus dem Glas in die Tomatenpaste rühren.<br />
Die Knoblauchzehen schälen, fein hacken und auf ein wenig Salz zerdrücken, ebenfalls in die Paste geben.<br />
Zitronensaft nach Geschmack zugeben und alles mit Salz und Pfeffer abschmecken.<br />
3. Backofen auf 220 Grad Umluft vorheizen. Die Auberginenscheiben auf ein mit Backpapier belegtes<br />
Backblech legen, mit der Paste bestreichen.<br />
4. Den Mozzarella in so viele Scheiben schneiden, wie Auberginenscheiben da sind, und<br />
darauf verteilen. Im heißen Ofen etwa 10 Minuten backen. Mit Basilikumblättchen belegen.<br />
Das aktuelle Album: „Out of the shadow“, Rebekka Hartmann,<br />
Salzburg Chamber Soloists (Solo Musica)<br />
69
L E B E N S A R T<br />
Mein erstes Mal<br />
Prunk, Pomp, Pathos – ein bisschen viel von allem, findet unser Kolumnist.<br />
Um nach einem Opernbesuch schließlich festzustellen: Es ist nie zu spät.<br />
VON LARS REICHARDT<br />
Die Oper ist für Zuschauer<br />
ein rauschendes Fest.<br />
Und das bedeutet offenbar<br />
auch Überfluss, Verschwendung.<br />
Allein diese<br />
Türen: riesige Flügeltüren auf der<br />
Bühne, sicher sechs, sieben Meter hoch.<br />
Wo gibt’s denn so was?<br />
Dieser Pomp fällt einem Anfänger<br />
als Erstes ins Auge. Der brennende<br />
Kamin bei Familie Othello zu Hause, zu Beginn rechts auf der<br />
Bühne, im dritten Akt dann links, so, als ob ein halbstarker Bühnenbildner<br />
ins Publikum krakeelt: „Was kümmert mich eure Brandschutzordnung?<br />
Ich kann überall.“ Der riesige Chor, die schwülstige<br />
Sprache, in der es den Menschen noch dünkt und deucht. Und wie<br />
theatralisch sich Desdemona im ersten Akt auf dem plüschigen Sofa<br />
windet, als sie die Berichte von Othellos Seeschlacht verfolgt. Wirkt<br />
so übertrieben, wie im schlechten Theater. Und die Musik? Singen<br />
Anja Harteros und Jonas Kaufmann wirklich so gut, wie die Leute<br />
raunen, die sich selbstbewusst als Kenner bezeichnen? Warum gilt<br />
Kirill Petrenko als Stardirigent? Und wie hört man den Unterschied<br />
zwischen einem Star und einem nur ganz passablen Sänger heraus?<br />
Trifft der etwa die Töne nicht? Tut mir leid, mir fehlen einfach die<br />
Vergleichsmöglichkeiten.<br />
Wer sich nie ernsthaft mit klassischer Musik beschäftigt, wer<br />
nie versucht hat, dem vielbeschworenen Zauber einer Oper nachzuspüren,<br />
der braucht das auch im fortgeschrittenen Alter nicht mehr<br />
probieren. Irgendwann ist es eben doch zu spät, dachte ich immer.<br />
Habe ich nie bereut. Bis zu dieser Freundin, die sagt, nur Film könne<br />
bei ihr eine ähnlich kathartische Wirkung haben, Bücher nicht,<br />
auch kein Theaterstück. Dabei gehen wir gern ins Theater. Aber<br />
gleich beim zweiten Stück redete sie von Kriegenburg. Ein Bühnenbild<br />
erinnerte sie an den, ob ich denn seine letzte Operninszenierung<br />
gesehen hätte? Nein? „Ach, wie schade.“<br />
Musik und Geschichte einer Oper sollten bei jedem wirken<br />
können, unabhängig von seinem Vorwissen. Die Wahl will gut<br />
überlegt sein, wenn man einer Freundin zuliebe in die Oper geht.<br />
Ein Bekannter, den ich um Rat bat, überlegte nicht lang: auf keinen<br />
Fall Wagner. Die Soft-Oper für Anfänger heißt Othello. Die neue<br />
Münchner Inszenierung mit Harteros und Kaufmann, Otello, ohne<br />
h. „Das wird sie lieben, das verstehst du, und zwei Stunden hältst du<br />
aus.“ Also gut, ich schlage Othello vor.<br />
Volltreffer. „In Othello ist alles vorhanden, was das Leben ausmacht“,<br />
sagt sie. Othellos rasende Eifersucht, die Gier nach Macht<br />
von Jago, die bis in den Tod treue Liebe<br />
Desdemonas. Freundschaft, Trunkenheit,<br />
Verzweiflung, Verrat. Ein weißes<br />
und ein schwarzes Zimmer auf der<br />
Bühne spiegeln die Seelenzustände der<br />
Figuren. Die deutschen und englischen<br />
Untertitel, die inzwischen so gut wie<br />
überall an der Decke mitlaufen, sind<br />
ein Segen für mich. Wir haben tolle<br />
Plätze. Reihe 16. Ein Herr vor mir, im<br />
Goldknopfsakko, dreht sich dreimal mit strenger Miene um, weil<br />
ich kurz mit meinem Schmierzettel geraschelt hatte. Ich vergaß: Wir<br />
sind hier alle nicht zum Spaß.<br />
Jago wirkt von Anfang an wie einer, der schon mal Theater<br />
gemacht hat. Othello und Desdemona singen sich bald so zärtlich<br />
an, dass man ihre Liebe zu spüren vermag. Schließlich die Szene, in<br />
der sich Desdemona von ihrer Zofe verabschiedet. Anrührend, sagt<br />
die Freundin. Ja, einverstanden. Auch ich bin plötzlich ergriffen.<br />
Von der Musik, von Harteros’ Gesang – für einen Augenblick vergesse<br />
ich, dass Desdemona ja nicht in Wirklichkeit sterben muss.<br />
Die Handlung nach ihrem Tod zieht sich für meinen Geschmack.<br />
Muss man denn wirklich noch sehen, dass Jagos Schindluder endlich<br />
enttarnt wird?<br />
Am Ende trampelt das Publikum mit den Füßen vor Begeisterung.<br />
Übertrieben, schon wieder. Habe ich nie erlebt im Theater.<br />
Nur früher in der Schule, wenn Schüler einen Applaus eher karikieren<br />
wollten. Die Sänger springen auf die Bühne. Kaufmann und<br />
Harteros glücklich Hand in Hand. Erlöst von der Anstrengung und<br />
Anspannung. Keine arroganten Popstars. Jago bedankt sich für seinen<br />
Applaus mit einer Hand auf dem Herzen und spielt den Bescheidenen.<br />
Sechs, sieben Mal kommen sie alle auf die Bühne, niemand<br />
im Parkett will gehen. Ich habe bei Othello wohl etwas Großem beigewohnt,<br />
ohne es zur Gänze verstanden zu haben. Ganz untheatralisch<br />
bescheiden huscht dann auch noch Kirill Petrenko auf die<br />
Bühne. Mit kleinen Händen winkt er ins Publikum, als ob er sich<br />
schon verabschiede. Was für ein sympathischer Mensch.<br />
Der Vater meiner Freundin, ein ausgewiesener Musikliebhaber,<br />
hatte mir frei nach Goethe auf den Weg gegeben: „Wenn es<br />
nicht berührt, nützt es nichts.“ Ja, da hat wirklich was berührt. Ist<br />
nur fraglich, was? Die Musik? Der Stoff? Oder doch nur die berührte<br />
Freundin neben mir?<br />
Eine Woche später sang Jonas Kaufmann bei der Weihnachtsfeier<br />
nach dem letzten Bayernspiel im Fußballstadion. Ich habe ihn<br />
tatsächlich an seiner Stimme erkannt. Ist nie zu spät für die Oper.■<br />
FOTO: PRIVAT<br />
70 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
16.03.–14.04.<strong>19</strong><br />
17.03.–21.04.18<br />
internationales<br />
musikfestival internationales<br />
musikfestival<br />
heidelberger frühling 18<br />
Amsterdam Sinfonietta I Benjamin Appl I Avi Avital I Sven-Eric Bechtolf I Daniel Behle I Rafał Blechacz<br />
Yefim Bronfman I Khatia Buniatishvili I Renaud Capuçon I Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern<br />
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen I Leonard Elschenbroich I Alexej Gerassimez I Valery Gergiev<br />
Thomas Hampson I Anja Harteros I Markus Hinterhäuser I Maximilian Hornung I Bomsori Kim I Sebastian Koch<br />
Harriet Krijgh I Elisabeth Kulman I Igor Levit I Daniel Libeskind I Mahler Chamber Orchestra I Alexander Melnikov<br />
Nils Mönkemeyer I Münchner Philharmoniker I Truls Mørk I Olga Pashchenko I Julian Prégardien I Thomas Quasthoff<br />
Quatuor Ébène I Tatjana Ruhland I Valer Sabadus I Mitsuko Uchida I Tianwa Yang u.v.a.<br />
Kostenloses Programmbuch Gründungspartner: & Tickets: 06221 - 584 00 44 I www.heidelberger-fruehling.de<br />
Gründungspartner:<br />
Alte
L E B E N S A R T<br />
EINFACH SCHÖN!<br />
Metall, Holz, Glas, Ton – nie vorher und nie nachher verwob eine Stilrichtung Design,<br />
Handwerk und Material so eng miteinander wie das Bauhaus. Schlicht in der Form und funktional<br />
in der Verwendung sind die Objekte längst zeitlose Klassiker von purer Eleganz.<br />
Reingerutscht<br />
Einer der spektakulärsten Bauhaus-<br />
Entwürfe: „Wassily“ (eine Hommage<br />
an Kandinsky) des Österreichers Marcel<br />
Breuer. Stahlrohrkonstruktionen<br />
waren das Markenzeichen des von<br />
Walter Gropius berufenen Jungmeisters<br />
und Leiters der Dessauer Möbelwerkstatt,<br />
der hier zum ersten Mal<br />
einen Sessel auf seine Grundform<br />
reduziert. Breuer entwarf den Clubsessel<br />
B3 <strong>19</strong>26 als Vorzeigeobjekt des<br />
Neuen Wohnens, entprechend gehörte<br />
er zum Mobiliar des <strong>19</strong>26 eröffneten<br />
Dessauer Bauhaus-Gebäudes.<br />
www.vitra.com<br />
Angeknipst<br />
In Wilhelm Wagenfelds respektablem, über 600 Nummern<br />
umfassendem Werkverzeichnis ist die Leuchte die<br />
Nummer 1. Und wirklich hat nichts Wagenfelds Ruf so stark<br />
geprägt wie diese frühe Studentenarbeit von <strong>19</strong>24, der in<br />
ihrem geometrischen Aufbau die Auffassung seines Lehrers<br />
László Moholy-Nagy noch deutlich anzusehen ist. Längst ist<br />
die Ikone des Bauhauses, die erst seit <strong>19</strong>80 wieder auf dem<br />
Markt ist, einer der Designklassiker des 20. Jahrhunderts.<br />
www.prediger.de<br />
Weichgekocht<br />
Noch ein Wagenfeld, noch ein Kultobjekt: der Eierkoch, der<br />
als Prototyp moderner Glasgestaltung Design-Geschichte<br />
schrieb. Entstanden ist der Eierkoch <strong>19</strong>33 im Rahmen der Entwürfe<br />
für das berühmte Teeservice Edition Wagenfeld für die<br />
Jenaer Glaswerke. Und hier das Grundrezept: 1 Ei in den Eierkoch<br />
schlagen, mit Salz und Kräutern würzen. Deckel und<br />
Spange aufsetzen, im heißen Wasserbad 4–6 Minuten kochen.<br />
www.jenaerglas-shop.de<br />
72 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Abgerundet<br />
Die kluge und ausgewogene Kombination verschiedener<br />
geometrischer Grundformen macht die Arbeiten von<br />
Marianne Brandt so unverwechselbar: Das elegante<br />
Tee-Extraktkännchen MT 49 entstand in ihrem ersten<br />
Studienjahr <strong>19</strong>24. Das reduzierte Design des Aschenbechers<br />
legt eine serielle Fertigung nahe, ist aber ein in<br />
aufwendiger Handarbeit hergestelltes Einzelstück.<br />
Verschaukelt<br />
Erst 20-jährig, entwarf der Bauhaus-Lehrling<br />
Peter Keler <strong>19</strong>22 diese Bauhaus-Wiege, die ganz<br />
deutlich seinen Lehrmeister Wassily Kandinsky<br />
verrät. Zum Klassiker wurde sie wegen ihrer<br />
Grundfarben Gelb, Rot und Blau und der ihnen<br />
von Kandinsky zugeordneten Formen Dreieck,<br />
Quadrat und Kreis. Die Wiege wurde zur Ausstellung<br />
<strong>19</strong>23 im „Haus am Horn“ präsentiert.<br />
Pendelleuchte von<br />
Alfred Schäfer,<br />
Werkstattmeister im<br />
Bauhaus Dessau<br />
Rumgespielt<br />
Eberhard Schrammen leitete die bauhauseigene<br />
Drechslerei und entwarf um <strong>19</strong>23<br />
die bunt bemalten Handpuppen aus Holz –<br />
Stabfiguren für ein Puppenspiel.<br />
Ursprünglich gibt es drei Figurenpärchen,<br />
je zwei in Weiß, Gelb und Grau, die sich<br />
vor allem in ihrer Haltung unterscheiden.<br />
Allerdings fehlt der weißen Figur heute ihr<br />
Gegenstück.<br />
Aufbewahrt<br />
Die Vorratsgefäße für die Küchengarnitur des Weimarer<br />
Modellhauses „Haus am Horn“ von Georg Muche stammen<br />
von Theodor Bogler und waren das erste Referenzobjekt<br />
der keramischen Werkstatt des Bauhauses.<br />
Walter Gropius beauftragte die Steingutbetriebe von<br />
Hermann Harkort in Velten-Vordamm bei Berlin, um<br />
Prototypen für die serielle Produktion zu entwickeln.<br />
73
L E B E N S A R T<br />
Die Paula-Bosch-Kolumne<br />
DIE HELDEN<br />
DER NATION<br />
Zugegeben, es ist ein kleines Weinland, die schweizerische<br />
Eidgenossenschaft. Aber wie es aussieht, gilt der von ihr selbst<br />
gewählte Begriff der Willensnation für mehr als nur die staatliche<br />
Einordnung. Denn einzigartige Rebsorten und Winzer<br />
beweisen, dass Einsatz und Leidenschaft alles möglich machen.<br />
Die Besonderheit des gebirgsreichsten Weinlandes in<br />
Europa, der Schweiz, liegt nicht in der Größe seiner<br />
Rebflächen oder der produzierten Mengen, sondern<br />
in der Schönheit der alpinen Weinregionen. Allen<br />
voran das Wallis im Herzen der Alpen mit seinen<br />
halsbrecherischen Steillagen in bis zu 1.100 Höhenmetern, dann das<br />
Waadland mit den unzähligen Kleinstterrassen am Ufer des Genfer<br />
Sees. Im Süden beeindruckt das mediterran angehauchte Tessin,<br />
und in der Deutschschweiz ist Graubünden ein Beispiel für die relevanten<br />
Schönheiten der Schweizer Weinwelt. Weit mehr als drei<br />
Viertel aller Weine des Landes werden hier produziert.<br />
Für den guten Ruf der Schweizer Weine zeichnen etwa zwei<br />
Dutzend Winzer verantwortlich, die weltweit anerkannte und mit<br />
höchsten Preisen ausgezeichnete Weine produzieren. Sie liefern<br />
regelmäßig überragende Qualitäten aus internationalen wie autochthonen<br />
Rebsorten; daneben auch Raritäten, die nur noch in der<br />
Schweiz angebaut werden.<br />
Ermöglicht wird ihnen der partiell<br />
extreme Weinbau durch das günstige sonnenreiche<br />
und trockene Klima, die warmen<br />
Föhnwinde, die steinreichen Höhenlagen<br />
sowie die von Parzelle zu Parzelle<br />
wechselnde Bodenbeschaffenheit.<br />
Die Kleinstmengen der produzierten<br />
Besonderheiten, die internationale Vergleiche<br />
nicht scheuen, sind mit ein Grund<br />
für die ambitionierte Preispolitik, die in<br />
der Schweiz als angemessen betrachtet und<br />
akzeptiert wird. Die besten Weingüter haben alle lange Wartelisten<br />
für eventuelle Neukunden, die irgendwann ein paar der wenigen<br />
Flaschen erwerben möchten. So gelten heute schon bestimmte<br />
Weine als nationale Weinhelden, ähnlich wie Heidi, Wilhelm Tell,<br />
die Uhrenbranche, Schweizer Käse oder Schokolade.<br />
WINZER MIT BESONDEREN WEINEN<br />
Ganz nach dem Motto „Ladies first“ kommt die Königin des Weinbaus<br />
im Wallis, MARIE-THÉRÈSE CHAPPAZ, an erster Stelle. Wer das<br />
Glück hat, mit ihr durch ihre steilen, gepflegten, seit 2003 biodynamisch<br />
bewirtschafteten Kleinparzellen zu gehen, lernt, was es bedeutet, Freude<br />
und Verantwortung gleichermaßen an einem Weinberg und dessen<br />
Früchten zu haben. Alle Weine, aber ganz besonders ihre Preziosen, die<br />
weiße Petite Arvine, Ermitage Blanc oder Humagne Rouge, versprühen<br />
großzügig den Duft, die ganze Aromatik des Weingartens, in dem sie gewachsen<br />
sind. Fazit: Die kraftvollen, harmonischen Urgesteine der Grande<br />
Dame sind beeindruckend, und die Süßweine schmecken umwerfend gut.<br />
Bezug: www.gute-weine.de<br />
Die Kellerei CHANTON im Walliser Visp hat sich ganz und gar dem<br />
Schutz alter, autochthoner Rebsorten, dem ampelografischen Schatz<br />
des Schweizer Weinbaus verschrieben. Es lohnt ungemein, die seltenen<br />
Sorten wie Gwäss, Himbertscha, Lafnetscha oder Rèze mit ganz eigenem<br />
Charakter neben den Klassikern Chasselas, Savagnin, Gamay und Pinot<br />
Noir zu verkosten – hier öffnet sich eine völlig neue Weindimension.<br />
Bezug: www.schweizerweineonline.de<br />
74 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Château d’Aigle, im Herzen der Weinberge<br />
von Chablais, südlich des Genfer Sees<br />
FOTO: JÖRG LEHMANN; SWISSWINE.CH<br />
JEAN-RENÉ GERMANIER Gilles Besse, Mitinhaber und Önologe bei<br />
Germanier in Vétroz, war früher ein Jazz-Saxofonist und ist es, so ganz<br />
nebenbei, heute immer noch. Der Neffe von Jean-René Germanier, dem<br />
ehemaligen Nationalrat, treibt das Weingut nicht nur in der Schweiz<br />
voran. Ob New York, Singapur, Hongkong, Oslo, Paris, London oder Berlin<br />
– Gilles kann in seiner Mission als Botschafter für die beeindruckenden<br />
Weine von Germanier auf der ganzen Welt angetroffen werden. Cayas,<br />
sein Paradewein aus Syrah, genießt auch im 20. Jahrgang 2015 – und das<br />
mit vollem Recht – Kultstatus.<br />
Bezug: www.linke-weine.de<br />
MARTHA & DANIEL GANTENBEIN sind meine Helden der Präzision<br />
und des Bündner Rheintals. Mit ihrem Chardonnay und Pinot Noir<br />
haben sie Maßstäbe für Weine aus der Schweiz in der internationalen<br />
Weinszene gesetzt. Sie kennen die Heimat dieser Traubensorten, das<br />
Burgund, wie ihre Westentasche, sind in der ganzen Welt stets auf der<br />
Suche nach dem Allerbesten und streben danach, es in ihrem mustergültigen,<br />
auf jedes Detail des Produktionsprozesses eingerichteten<br />
Weinkeller zu integrieren.<br />
Bezug: www.moevenpick-wein.de<br />
LOUIS-PHILIPPE BOVARD aus Cully am Genfer See ist nicht nur der<br />
Grandseigneur des Dézaley, für mich ist er der Monsieur du Chasselas.<br />
Trotz seines hohen Alters ist sein Einsatz für die Qualität<br />
der Rebsorte, die auch massenweise angebaut wird, unermüdlich.<br />
Immer noch reist er um die Welt, um für die<br />
besten Chasselas von Dézaley, Aigle, Epesses, St. Saphorin<br />
bis Yvorne eine Lanze zu brechen. Sein Dézaley Médinette<br />
Réserve wird zu Recht als Grand Cru gefeiert.<br />
Bezug: www.linke-weine.de<br />
Die Familie DONATSCH betreibt in Malans, Graubünden,<br />
ein Weingut mit Winzerstube wie aus dem Bilderbuch.<br />
Chardonnay und Pinot Noir sind die Hauptakteure<br />
im Programm, sie räumen Jahr für Jahr höchste Noten<br />
in den Weingazetten ab, was ich doppelt unterstreichen<br />
kann. Dabei benötigen beide viel Zeit zur Reife, nicht anders<br />
als die größten Vorbilder des Burgund. Die uralte<br />
weiße Malanserrebe Completer spielt dabei eine Nebenrolle<br />
– aber was für eine. Unbedingt probieren!<br />
Bezug: www.gute-weine.de<br />
75
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der Klassik für nur 55 EUR*:<br />
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*) Abo-Preis Inland bei Zahlung per Bankeinzug. Sollten Sie Bezahlung per Rechnung wünschen, fallen zusätzlich 5 EUR Bearbeitungsgebühr an. Versand ins Ausland gegen Gebühr. Das Abo läuft zunächst für ein Jahr und kann dann gekündigt<br />
werden. Das Angebot ist nur in Deutschland, der Schweiz und im EU-Ausland verfügbar und nicht wiederholbar. Geschenk-CD und Prämien: solange der Vorrat reicht. Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb der folgenden<br />
zwei Wochen ohne Begründung bei Abo-Service <strong>CRESCENDO</strong> in Textform (z. B. per Mail oder Brief) oder durch Rücksendung der Zeitschrift widerrufen. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.<br />
Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com<br />
76 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
L E B E N S A R T<br />
DIE KÜNSTLERIN YO FRANKLIN<br />
GESTALTETE DAS COVER UNSERER PREMIUM-CD.<br />
Der Dialog der Farben<br />
Springtime Rock ’n’ Roll, 90 x 180 cm<br />
FOTOS: PRIVAT<br />
Seit sie einen Farbstift halten kann, malt Yo<br />
Franklin. Es scheint, als habe sie ihr Leben<br />
der Kunst verschrieben. Sie ist Knechtin<br />
ihrer Kreativität und Vielseitigkeit. Vom<br />
Figurativen zum Plakativen zum Abstrakten –<br />
und wieder zurück. So könnte man den Schaffensweg<br />
der Künstlerin beschreiben. Zunächst<br />
autodidaktisch, dann an den Kunstakademien,<br />
fand Yo Franklin ihren Weg zu Kunst und Farben,<br />
die sie virtuos beherrscht.<br />
Überhaupt bestimmt der Dialog der Farben Franklins Arbeiten.<br />
Ihre Werke folgen keinem konsequenten, systematischen stilistischen<br />
Muster, sondern entstehen aus der Spontaneität. Sie folgen<br />
dem Prinzip der Formlosigkeit und Prozessen des Unbewussten. In<br />
Franklins Arbeiten werden im Spannungsfeld von Formwerdung<br />
und Formauflösung Lebensgeschichten erzählt, die Energie und<br />
Dynamik ausstrahlen.<br />
Die Künstlerin arbeitet bevorzugt in Serien oder Bildfolgen,<br />
wobei die einzelnen Motive einer thematischen Folge stets in sich<br />
geschlossene Arbeiten sind und sowohl allein als auch in beliebiger<br />
Kombination wahrgenommen werden können.<br />
Yo Franklins bisheriges Œuvre zeigt Dimensionen<br />
auf, die jenseits der Sichtbarkeit einer fotogenerierten<br />
und technologischen Bilderflut unseres<br />
Alltagslebens liegen. Dabei ist ihr immer der<br />
Moment wichtig, der Augenblick eines Bildes.<br />
Durchaus experimentierfreudig zeigt sie sich im<br />
Umgang mit Materialien. Marmormehl findet<br />
sich in dem hier gezeigten Bild, im Mai letzten<br />
Jahres hat sie in ihrer Ausstellung „Viscardi“ Pigmente<br />
in Öl auf Stahl aufgetragen. Die Stahlplatte<br />
wurde von ihr gebürstet und gelaugt, ehe sie das Gemälde in Öl mit<br />
Pigmenten statt auf Leinwand auf den glatten Stahl gemalt hat.<br />
Auch ihrer Liebe zu Wein verleiht die Künstlerin Ausdruck in<br />
ihrer Arbeit: In den Bildern zur Ausstellung LOVE/LIVE mischt Yo<br />
Franklin ihre eigenen Ölfarben mit Wein. Ein kräftiger Weißwein<br />
mit etwa 13 Prozent Alkohol ist die Basis zum Anrühren der Pigmente,<br />
ehe sie mit Leinöl zur gebrauchsfertigen Ölfarbe gemischt<br />
werden. Beide Bilderfolgen sind übrigens Teil einer bisher neunteiligen<br />
Serie „Münchener Augenblicke“, die im Mai 2018 erstmals als<br />
Ganzes ausgestellt wurde.<br />
n<br />
Mehr über die Künstlerin auf www.yo-franklin.de<br />
77
L E B E N S A R T<br />
1 2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6 7<br />
8 9<br />
FOTOS: WWW.DRESDEN.DE; PIXABAY; WWW.KREUZCHOR.DE<br />
1) Innenraum der barocken Frauenkirche 2) Weltbekannt: der Dresdner Kreuzchor 3) Der Goldene Reiter mit dem Turm der Frauenkirche<br />
4) Augustusbrücke und Stadtansicht 5) Elbwiesen mit Canaletto-Blick 6) Hof der Elemente (Wasser) in der Kunsthofpassage 7) Echter Fürstenzug<br />
und Fürstenzug-Fassade, weltgrößtes keramisches Wandbild 8) Luther-Denkmal mit Frauenkirche 9) Szeneviertel Äußere Neustadt<br />
78 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
DIE STADT AN DER ELBE PUNKTET MIT KULTUR<br />
UND EINER VIELZAHL VON KIRCHEN,<br />
DEREN AKUSTIK JEDEN MUSIKER BEGEISTERT.<br />
Dresden<br />
Mit Hans-Christoph Rademann, Heinrich-Schütz-Experte und Leiter der Internationalen<br />
Bachakademie Stuttgart, auf Spuren der Alten Musik in Dresden.<br />
VON ROLAND H. DIPPEL<br />
FOTO: MARTIN FÖRSTER<br />
Dieser Mann atmet mit der Musik<br />
der Stadt, die ihn künstlerisch<br />
prägte: Hans-Christoph Rademann<br />
ist gebürtiger Dresdner, wuchs jedoch<br />
im erzgebirgischen Schwarzenberg<br />
auf wie der Countertenor und Regisseur<br />
Axel Köhler, der neue Rektor der Hochschule für<br />
Musik Carl Maria von Weber. Mit ihm könnte der<br />
<strong>19</strong>65 geborene Rademann eine zu wenig erschlossene<br />
Farbe im Profil der Musikstadt stärken: mehr Barock neben<br />
der Spätromantik. Treffpunkt: Bahnhof Dresden-Neustadt. Sofort<br />
empfiehlt Rademann, Leiter der Internationalen Bachakademie<br />
Stuttgart, eine Strecke entlang seiner musikalischen Herzensangelegenheiten:<br />
durch die innere Neustadt zur Dreikönigskirche, kurz<br />
an das östliche Elbeufer zum „Canaletto-Blick“ auf die Brühlsche<br />
Terrasse, Schloss und Zwinger, über die Augustusbrücke zur<br />
Hochschule für Musik. Dort wird Rademann, Nachfolger Helmuth<br />
Rillings an der Internationalen Bachakademie Stuttgart,<br />
später seine erste Lehrstunde im Jahr 20<strong>19</strong> halten.<br />
An diesem <strong>Januar</strong>morgen herrscht Aprilwetter. Schon beim<br />
Karl-May-Ort Radebeul, wo Rademann mit seiner Frau, der Tänzerin<br />
Friederike Rademann, lebt, wechseln Sonne und eisiger<br />
Regen. In dieser milden Weinregion sehr selten, kommt es geradezu<br />
der Aufforderung zu einem Perspektivenwechsel gleich.<br />
Denn heute geht es um Abenteuerlicheres als die sächsische<br />
Strauss- und Wagner-Stadt mit ihren berühmten Kunstschätzen.<br />
Hans-Christoph<br />
Rademann<br />
„Dresden hat als Zentrum der Alten Musik leider<br />
noch nicht die gebührende Ausstrahlungskraft“,<br />
bedauert Rademann. Das ist nicht die Schwärmerei<br />
eines Enthusiasten, sondern basiert auf seinem<br />
in kritischer Auseinandersetzung gewachsenen<br />
Repertoire und dem heutigen wissenschaftlichen<br />
Kenntnisstand: Die Notenarchive der Sächsischen<br />
Landesbibliothek Dresden sind eine unerschöpfliche<br />
Schatztruhe des 17. und 18. Jahrhunderts.<br />
Rademann legt ein beredtes Koordinatennetz von Fakten und<br />
Anreizen über die Stadt. Wir sitzen im Schwarzmarkt-Café an der<br />
Neustädter Markthalle. „Den Zwinger kennen alle. Aber das wahre<br />
Dresden erlebt man nur in der Äußeren Neustadt zwischen Albertplatz<br />
und Alaunpark.“ Die Stadt wirbt mit dem Lockwort „Szeneviertel“<br />
für das pittoreske und siegreich der Gentrifizierung trotzende<br />
Quartier: eine multikulturelle Insel für Hipster, Studierende,<br />
Bohemiens und Kleinfamilien, die Rademann immer<br />
wieder neu entdeckt. Daran zeigt sich, wie in der Musik auch, seine<br />
Vorliebe für kleinere, unspezifische Formen. Rademanns Aufführungen<br />
von Orffs Carmina burana mit der Singakademie Dresden<br />
und dem Tanzforum Köln waren bei den sommerlichen Zwingerkonzerten<br />
ein Highlight. Der persönlichen Berufung aber folgte er<br />
mit dem von ihm <strong>19</strong>85 gegründeten Dresdner Kammerchor, einem<br />
Vokalensemble von stilistisch unbestechlichen Qualitäten. Eine<br />
Pionierleistung dieses meisterhaften Chors, die CD-Edition des<br />
Gesamtwerks von Heinrich Schütz, steht kurz vor der Vollendung.<br />
79
L E B E N S A R T<br />
Soeben erschien die <strong>19</strong>. Folge, „Madrigale<br />
und Hochzeitsmusiken“. In der Dreikönigskirche<br />
nahe dem Albertplatz liegen die<br />
Wurzeln des sich über fast 15 Jahre erstreckenden<br />
Projekts: „Über ihr arbeitete mein<br />
Schwiegervater im Kirchlichen Kunstdienst<br />
Sachsen. Das ist, neben vielen Konzerten,<br />
ein weiterer Grund für meine Verbundenheit<br />
zu ihr. Dort dirigierte ich zum<br />
ersten Mal Schütz’ Schwanengesang und<br />
wagte erstmals ein Konzert nur mit Schütz-<br />
Werken. Beim Wiederaufbau in der DDR<br />
wurde das Kirchenschiff verkürzt – sicher<br />
nicht zum Vorteil der Kirchenakustik.“<br />
Mit dem Dresdner Kammerchor und dessen umfangreicher<br />
Diskografie setzt sich Rademann für Werke aller Epochen und<br />
Uraufführungen ein. Besonders intensiv für den „Kirchen-Compositeur“<br />
Jan Dismas Zelenka und Johann David Heinichen. Er<br />
kennt aus eigener Konzerterfahrung weitaus mehr Dresdner Kirchen<br />
und Säle als die Dirigenten und Musiker der Staatskapelle<br />
und der Dresdner Philharmonie. Eine eigene Konzertreihe veranstaltet<br />
Rademann zum Beispiel mit Studierenden im barocken<br />
Festsaal des Marcolini-Palais auf dem Gelände des Städtischen<br />
Klinikums. Ein Ort, der mit maximal 140 Plätzen ein absoluter<br />
Geheimtipp für Kulturreisende ist!<br />
Leider mischt sich während dieses Kulturspaziergangs eine<br />
weitere Koordinate ins Gespräch: die Zeit. Inzwischen versucht<br />
Hans-Christoph Rademann, den Zugang zur Schlosskapelle zwischen<br />
Schlosskirche und Fürstenzug für uns zu erfragen. Leider<br />
vergeblich – die Bausanierung ist gerade in der entscheidenden<br />
Phase. „Sie ist deshalb so interessant, weil die Dresdner Hofkapelle<br />
neben der von Versailles die wichtigste hinsichtlich europäischer<br />
Besetzungen und weltoffener Interaktionen war“, merkt er an.<br />
Bleibt aber, bevor die Wege sich wieder trennen, noch eine<br />
entscheidende Frage, nämlich welche der Dresdner Kirchen denn<br />
Stadtfest vor der kirchenreichen<br />
Silhouette Dresdens<br />
FOTO: WWW.DRESDEN.DE<br />
die beste Akustik hat? Die Frauenkirche?<br />
Natürlich lässt sie sich nicht mit einem Satz<br />
beantworten. „Sie eignet sich mehr für<br />
Neue Musik und Werke mit Raumwirkungen,<br />
weniger für strukturelle Musik wie die<br />
von Bach.“ Und was ist mit der Kreuzkirche?<br />
„Barocke Werke in großer Besetzung<br />
und romantische Oratorien passen ideal in<br />
das große Kuppelschiff mit 3.000 Plätzen.<br />
Die allerbeste Akustik für Barockmusik<br />
aber hat die Annenkirche“, gerät Rademann<br />
ins Schwärmen. Wir verzichten also<br />
auf den Gang zum Kulturpalast und schlagen<br />
einen kleinen Bogen zu der klassizistisch umgestalteten<br />
Renaissancekirche zwischen Fußgängerzone und dem Kraftwerk<br />
Mitte mit den Spielstätten Staatsoperette und Theater der jungen<br />
Generation. „Der Klang der Annenkirche ist von sagenhafter Rundung<br />
und Transparenz. Das schätzen nicht nur wir, sondern zum<br />
Beispiel auch das tschechische Collegium 1704.“<br />
Der Spaziergang muss hier leider schon enden – bald beginnt<br />
der Unterricht. Zwei Stunden waren zu kurz, Hans-Christoph<br />
Rademann würde gern noch zu den musikalischen Orten jenseits<br />
der Stadtgrenze aufbrechen: Hinter Radebeul, wo die Landesbühnen<br />
Sachsen einen anspruchsvollen Spielplan kultivieren, liegen<br />
das Sächsische Staatsweingut Schloss Wackerbarth, die Villa<br />
Teresa in Coswig, Schloss Moritzburg. Allesamt Orte der Musik.<br />
Schließlich geht es noch einmal um die wichtigste Säule im musikalischen<br />
Kosmos Rademanns: „Ich bin überzeugt, dass Schütz in<br />
seiner Motette ‚Ich bin ein rechter Weinstock‘ die Terrassenstrukturen<br />
der Radebeuler Weinberge musikalisch abgebildet hat.“<br />
Insofern ist nicht nur Richard Wagner, der seine Inspirationsquellen<br />
um Schloss Pillnitz wortreich dokumentierte, ein Maler für die<br />
Ohren, sondern auch Heinrich Schütz, der im nordwestlich von<br />
Dresden gelegenen Renaissance-Juwel Torgau die erste, leider nicht<br />
erhaltene deutsche Oper Dafne komponierte.<br />
■<br />
Musik & Kunst<br />
Dresdner Musikfestspiele 20<strong>19</strong> „Visionen“<br />
vom 16. Mai bis 10. Juni 20<strong>19</strong>: www.musikfestspiele.com<br />
| Konzerte im Marcolini-Palais<br />
(Geheimtipp, hier logierten Napoleon<br />
und Wagner): www.klinikum-dresden.de |<br />
Dresdner Kammerchor: www.dresdnerkammerchor.de<br />
| Landesbühnen Sachsen<br />
mit der legendären Felsenbühne Rathen:<br />
www.landesbuehnen-sachsen.de |<br />
Tipps, Infos & Adressen<br />
Reiseinformationen rund um Ihren Besuch in Dresden.<br />
Essen & Trinken<br />
Sächsische Spezialitäten, unverwechselbare regionale<br />
Weine und Sekt in der Idylle des Elbtals:<br />
www.schloss-wackerbarth.de | Traditionswirtschaft<br />
im Stadtteil Weißer Hirsch mit 140<br />
Jahren Tradition: www.hubertusgarten.de |<br />
Schwarzmarkt-Café an der Neustädter Markthalle<br />
gegenüber der Dreikönigskirche mit<br />
Kuchen- und Torten-Spezialitäten:<br />
www.cafe-eisold.de/schwarzmarkt-cafe.html<br />
Übernachten<br />
Dresden bietet in verschiedenen Preiskategorien<br />
Übernachtungen in historischen<br />
Schmuckstücken, z. B. Hotel Schloss Eckberg<br />
mit Park auf dem Höhenzug der Elbschlösser:<br />
www.schloss-eckberg.de |<br />
Das Taschenbergpalais direkt neben dem<br />
Schloss, vis-à-vis von Zwinger und Semperoper:<br />
www.kempinski.com/de/<br />
dresden/hotel-taschenbergpalais<br />
FOTOS: ALEXANDRA WELLENSIEK; WWW.SCHLOSS-WACKERBARTH.DE; WWW.SCHLOSS-ECKBERG.DE<br />
80 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
Termine<br />
FÜR GLOBETROTTER<br />
Spanien<br />
FOTOS: MERCE RIAL; ANTONI BOFILL; PIXABAY<br />
Barcelona<br />
Die Sopranistin Nuria Rial entführt<br />
ins 16. Jahrhundert. Nach ihrer Ausbildung<br />
in Barcelona und an der Musikhochschule<br />
Basel spezialisierte sie<br />
sich auf Barockmusik. Ihr Auftritt in<br />
Barcelona bietet Gelegenheit, sie in ihrer<br />
spanischen Heimat mit spanischer<br />
Musik zu erleben. Mit dem Ensemble Accademia del Piacere, geleitet<br />
von dem Gambisten Fahmi Alqhai, stellt sie den Komponisten Sebastián<br />
Durón vor und singt Arien und Kantaten aus wiederentdeckten und rekonstruierten<br />
Kompositionen von ihm. Durón kam 1660 in der zentralspanischen<br />
Provinz Guadalajara zur Welt. Seine Bühnenstücke, die er neben<br />
geistlichen Werken als Mitglied der Capilla Real in Madrid schuf,<br />
markieren jene zeitliche Schwelle, ab der spanische Komponisten sich<br />
dem italienischen Opernstil öffneten. Duróns Zarzuellas, typische spanische<br />
Stücke im Stil einer Operette, die vom unerschöpflichen Thema der<br />
Liebe erzählen, zeigen in ihrer Musiksprache bereits die Einflüsse italienischer<br />
Barockmeister.<br />
Barcelona, 7.2., L’Auditori, www.auditori.cat<br />
Madrid<br />
Raquel García-Tomás ist eine der bekanntesten<br />
Komponistinnen Spaniens.<br />
In Madrid kommt ihre neue Opera<br />
buffa zur Uraufführung: Je suis narcissiste,<br />
ein Stück von schwarzem Humor,<br />
dessen Libretto Helena Tornero<br />
verfasste. Im Mittelpunkt steht eine<br />
Eventmanagerin aus dem Kulturbetrieb, für die jeder Tag zu einem Hindernislauf<br />
zwischen ihr und ihrem Glück wird. Die Events überfluten<br />
sie, bis all die Künstler und Bosse, die auf sie einstürmen und die lieber<br />
reden als zuhören, sie in einem Gefühl großer Einsamkeit zurücklassen.<br />
Als sie schließlich den kompletten emotionalen Zusammenbruch<br />
erleidet, landet sie in der Praxis eines Psychiaters, der ihr alle möglichen<br />
Theorien, so skurril wie er selbst, unterbreitet. In Szene gesetzt wird die<br />
Oper von Marta Pazos. Die musikalische Leitung hat Vinicius Kattah.<br />
Zu den Mitwirkenden gehören Elena Copons, Toni Marsol, Maria Hinojosa<br />
und Joan Ribalta. Das Teatro Real gastiert mit der Inszenierung im<br />
Teatro Español.<br />
Madrid, Teatro Español, 7. bis 10.3., www.teatro-real.com<br />
Barcelona<br />
Die Werke des spanischen Komponisten<br />
Benet Casablancas Domingo werden<br />
auf der ganzen Welt gespielt. Nach<br />
seinem Studium bei Friedrich Cerha<br />
in Wien fand er zu einer Musiksprache,<br />
die sich durch radikale ästhetische Unabhängigkeit<br />
auszeichnet. Im prachtvollen<br />
Gran Teatre del Liceu von Barcelona, das dieses Jahr den zehnten<br />
Jahrestag seines Wiederaufbaus feiern kann, findet die Weltpremiere seiner<br />
ersten Opernkomposition statt. L’enigma di Lea (Leas Geheimnis),<br />
zu der der Schriftsteller und Dichter Rafael Argullol Murgadas das Libretto<br />
schreibt, setzt sich mit der letzten romantischen Utopie auseinander:<br />
der Berührung des Absoluten. Lea, verkörpert von Allison Cook, ein<br />
Geschöpf göttlicher Lust in einem Raum ohne Zeit, darf ihr Geheimnis<br />
nicht lüften. Als Trägerin der Unsterblichkeit steht sie unter der Bewachung<br />
zweier monströser Wesen, die Moral statt individueller Freiheit<br />
gewähren. Regie führt Carme Portaceli, und die musikalische Leitung<br />
übernimmt Josep Pons.<br />
Barcelona, Gran Teatre del Liceu, 9. (Premiere), 10., 12. und 13.2.,<br />
www.liceubarcelona.cat<br />
81<br />
81
H O P E T R I F F T<br />
Daniel-Hope-Kolumne<br />
DIE POLITIK DER MUSIK<br />
Sie verbindet, sie vermittelt, sie versöhnt: Musik, die die Menschen erreicht, kann, darf und soll<br />
politisch sein. Daniel Hope spricht mit Sebastian Feydt, Pfarrer an der Dresdner Frauenkirche.<br />
Daniel Hope: Pfarrer Feydt, 2007 wurden<br />
Sie an die Dresdner Frauenkirche berufen.<br />
Als einer der beiden Pfarrer des Gotteshauses<br />
zählen neben dem regelmäßigen<br />
Predigtdienst, der Ausgestaltung verschiedener<br />
geistlicher Formate auch Amtshandlungen<br />
wie Trauungen und Taufen<br />
sowie die Koordination des vielfältigen<br />
geistlichen Lebens der Frauenkirche.<br />
Welche Rolle spielt die Musik für Sie?<br />
Sebastian Feydt: Die Frauenkirche ist ohne<br />
Musik nicht denkbar. Als Pfarrer in dieser<br />
Kirche werde ich jeden Tag mit wunderbarer<br />
Musik beschenkt. In jeder der beiden<br />
tägli chen Andachten erklingt die Orgel: Ganz<br />
groß wird es, wenn die Stiftung Frauenkirche<br />
Dresden von Ostern bis Neujahr immer<br />
samstags zu herausgehobenen Konzerten<br />
mit Spitzenmusikern aus aller Welt einlädt.<br />
Noch nie in meinem Berufsleben habe ich<br />
so viel Kraft aus der Musik, insbesondere<br />
der sakralen, schöpfen können. Die Musik<br />
wurde mir zu einer Quelle der Inspiration.<br />
Über die „Peace Academy“ der Frauenkirche<br />
sagten Sie: „Begeisterte Jugendliche<br />
geben ein Friedenszeichen aus Dresden.<br />
Ihr Engagement für Verständigung,<br />
Versöhnung und Frieden macht die Welt<br />
wertvoller.“ Wie zuversichtlich sind Sie,<br />
dass dieses Jahrhundert friedlich verläuft?<br />
Leider gestaltet sich das 21. Jahrhundert<br />
nicht friedlich. Aber das hindert uns nicht<br />
daran, selbst zu Friedensstiftern zu werden.<br />
Zusammen mit jungen Menschen fragen<br />
wir: „Was können wir heute dafür tun, dass<br />
unsere Welt in zehn Jahren friedvoller ist?“<br />
Unter dieser Leitfrage steht auch die jährliche<br />
Einladung an Friedensnobelpreisträger,<br />
in die Dresdner Frauenkirche zu kommen<br />
und ihre Vorstellung einer demokratischen<br />
und die Menschenrechte achtenden Welt<br />
mit uns zu teilen. Insbesondere junge Men-<br />
Pfarrer Sebastian Feydt mit Daniel Hope<br />
schen zeigen uns, wie groß ihr Engagement<br />
für eine friedvolle, nachhaltig und gerecht<br />
gestaltete Zukunft ist.<br />
Wie gehen Sie mit dem aktuellen negativen<br />
Image Sachsens in den Medien um?<br />
Ich versuche, positive Akzente zu setzen,<br />
den Trend umzukehren: berührende Bilder<br />
des weltoffenen und engagierten Dresden in<br />
die Welt zu senden, wie mit der weihnachtlichen<br />
Vesper vor der Frauenkirche am Tag<br />
vor Heiligabend. Jährlich kommen da ca.<br />
20.000 Menschen zusammen und offenbaren<br />
ihre Sehnsucht: nicht nur vom „Frieden<br />
auf Erden“ zu hören, sondern selbst dafür<br />
einzustehen. Auch die aus der Kirche<br />
übertragenen Gottesdienste und Konzerte<br />
schaffen ein positives Bild unserer Stadt.<br />
Seit Anfang des Jahres bin ich künstlerischer<br />
Leiter der Frauenkirche Dresden.<br />
War die Frauenkirche immer auch als<br />
Konzertort vorgesehen?<br />
Die Frauenkirche ist ein sakraler Raum.<br />
Und unter der Kuppel der Kirche gilt, was<br />
Sie, Daniel Hope, immer mit Blick nach<br />
oben sagen: Wir haben noch einen anderen<br />
„Chef “. In der Kirche erklingt Musik zur<br />
Ehre Gottes. Und um Menschen Kraft- und<br />
Inspirationsquelle zu sein. Mit diesem Ziel<br />
ist das Gotteshaus im 18. Jahrhundert<br />
gebaut und später wiederaufgebaut worden:<br />
Um Wort und Musik zusammen klingen zu<br />
lassen. Und um viele Menschen einen<br />
Resonanzraum für ganz eigene, spirituelle<br />
Erfahrungen entdecken zu lassen.<br />
2017 sorgte ein Kunstwerk des syrischdeutschen<br />
Künstlers Manaf Halbouni auf<br />
dem Dresdner Neumarkt unweit der<br />
Frauenkirche teilweise für Irritationen.<br />
Wie politisch darf Kunst heutzutage sein?<br />
Wo Kunst Menschen anspricht, vermag sie<br />
politische Kraft zu entfalten. Geschieht sie<br />
nur um ihrer selbst willen, entzieht sie sich<br />
ihre eigentliche Kraft. Kunst in der wiedererrichteten<br />
Frauenkirche ist immer<br />
politisch. Das bringt der Ort mit sich. Der<br />
Wiederaufbau der Frauenkirche erfolgte mit<br />
dem ausdrücklichen Ziel, einen Ort der<br />
Verständigung zu schaffen, der als Wahrzeichen<br />
zu Toleranz und Frieden mahnt.<br />
Ali al-Abdali gilt als einer der besten<br />
Oud-Bauer Arabiens (Anm.: Oud ist eine<br />
Kurzhalslaute aus dem Vorderen Orient).<br />
Im Interview sagte er: „Im Irak darf man<br />
eine Rakete tragen, aber keine Oud. (...)<br />
Die Religion hat die irakische Straße fest<br />
im Griff. Für sie ist die Oud tabu – eine<br />
Sünde, die dich vom Beten ablenkt.“ Kann<br />
und darf Musik vermitteln?<br />
Viele Konflikte und politische Krisen<br />
weltweit werden mit Religionen in Verbindung<br />
gebracht. Musik ist eine starke Sprache<br />
der Verständigung und kann eine Brücke<br />
zwischen Religionen und Konfessionen<br />
schlagen. Mit ihrer versöhnenden Kraft ist<br />
sie unabdingbar für das Miteinander von<br />
Menschen unterschiedlicher Glaubens- und<br />
Lebenshaltungen. Sei es Beethovens Neunte<br />
Sinfonie, Brittens War Requiem, Schostakowitschs<br />
Leningrader Sinfonie oder eben die<br />
Musik der Oud-Spieler – wenn Musik<br />
Versöhnung und Völkerverständigung<br />
voranbringt, kommt sie ihrer wahren<br />
Bestimmung nach. Wann laden wir diesen<br />
Oud-Spieler denn ein? <br />
n<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
FOTO: THOMAS SCHLORKE<br />
82 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>
20<strong>19</strong><br />
01.11.<strong>19</strong><br />
München<br />
02.11.<strong>19</strong><br />
Stuttgart<br />
06.11.<strong>19</strong><br />
Frankfurt<br />
22.11.<strong>19</strong><br />
Hamburg<br />
29.11.<strong>19</strong><br />
Hannover<br />
06.12.<strong>19</strong><br />
Augsburg<br />
13.12.<strong>19</strong><br />
Berlin<br />
18.12.<strong>19</strong><br />
Nürnberg<br />
Tickets unter www.klassikradio.de
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AUS DEM ARCHIV DER DEUTSCHEN GRAMMOPHON<br />
WIEDERENTDECKT UND REMASTERED!<br />
The Shellac Project<br />
mit Erich Kleiber | Pietro Mascagni | Hans Pfitzner | Heinrich Schlusnus<br />
Fritz Kreisler | Thomanerchor Leipzig | Louis Armstrong | Lale Andersen<br />
Johannes Heesters | Otto Reuter u. v. a.<br />
THE SHELLAC ERA<br />
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DAS GALAKONZERT ZUM 120. GEBURTSTAG<br />
DER DEUTSCHEN GRAMMOPHON<br />
CARL ORFF’S CARMINA BURANA<br />
GESPIELT VOM SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA · DIRIGIERT VON LONG YU<br />
DIE DVD/BLU-RAY UND DAS E-ALBUM ENTHALTEN ZUDEM BEITRÄGE VON MARI SAMUELSEN (MAX RICHTER)<br />
UND DANIIL TRIFONOV (RACHMANINOV)<br />
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LIVE FROM THE FORBIDDEN CITY<br />
ORFF: CARMINA BURANA<br />
GARIFULLINA · SPENCE · TÉZIER · WIENER SINGAKADEMIE<br />
SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA · LONG YU<br />
LIVE FROM THE FORBIDDEN NC<br />
CITY<br />
ORFF<br />
CARMINA BURANA<br />
RACHMANINOV · RICHTER<br />
AIDA GARIFULLINA · TOBY SPENCE · LUDOVIC TÉZIER<br />
DANIIL TRIFONOV · MARI SAMUELSEN<br />
SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA<br />
WIENER SINGAKADEMIE<br />
LONG YU