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CRESCENDO 1/19 Januar-März 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Diana Damrau, Max Richter und Wilfried Hiller. Mit Special zum Bauhaus-Jubiläum.

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20 JAHRE<br />

AUSGABE 01/20<strong>19</strong> FEBRUAR – MÄRZ 20<strong>19</strong><br />

WWW.<strong>CRESCENDO</strong>.DE 7,90 EURO (D/A)<br />

mit CD im Heft<br />

SCHWERPUNKT<br />

100 Jahre Bauhaus<br />

LUISA IMORDE<br />

Vom Vexierspiel<br />

der Tastentänzerin<br />

FRIEDRICH ANI<br />

REBEKKA HARTMANN<br />

MAX RICHTER<br />

WILFRIED HILLER<br />

OSKAR LAZNIK<br />

Diana<br />

Damrau<br />

Es muss nicht immer<br />

Schumann sein ...<br />

B47837 Jahrgang 22 / 01_20<strong>19</strong>


WIR SPIELEN<br />

UNTER DIE HAUT.<br />

VERY BRITISH!<br />

„The Young Person’s<br />

Guide to the Orchestra“<br />

von Benjamin Britten<br />

GYPSY<br />

GOES CLASSIC<br />

Sa. 16. Februar 20<strong>19</strong> – Philharmonie im Gasteig<br />

FAMILIENKONZERT AB 6 JAHREN<br />

LEITUNG: SIAN EDWARDS<br />

Mi. 20. Februar 20<strong>19</strong> – Prinzregententheater<br />

MIT SANDRO ROY – VIOLINE<br />

LEITUNG: HENRY RAUDALES<br />

Präsentiert von<br />

PERCUSSION<br />

TIME!<br />

Virtuose SchlagWERKE<br />

PARADISI GLORIA<br />

Werke von<br />

André Caplet und<br />

Heinrich Ignaz Franz Biber<br />

Mi. 10. April 20<strong>19</strong> – Prinzregententheater<br />

MIT SIMONE RUBINO – ARTIST IN RESIDENCE<br />

LEITUNG: ARIEL ZUCKERMANN<br />

Fr. 5. April 20<strong>19</strong> – Herz-Jesu-Kirche München<br />

MIT DEM BR-CHOR<br />

LEITUNG: HOWARD ARMAN<br />

Präsentiert von<br />

Jetzt Tickets sichern! Kartentelefon: 0800 5900 594 • www.shop.br-ticket.de<br />

RUNDFUNKORCHESTER.DE


P R O L O G<br />

<strong>CRESCENDO</strong> LIVE<br />

Liebe Leser,<br />

herzlich willkommen in der ersten <strong>CRESCENDO</strong> Ausgabe 20<strong>19</strong>.<br />

WINFRIED HANUSCHIK<br />

Herausgeber<br />

Wir starten furios ins neue Jahr: mit gleich zwei Veranstaltungen aus der Reihe<br />

<strong>CRESCENDO</strong> LIVE. Zum einen würde ich mich sehr freuen, Sie bald persönlich<br />

begrüßen zu dürfen: in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge am 20. Februar im Prinzregententheater<br />

in München. In Kooperation mit dem Münchner Rundfunkorchester<br />

bieten wir Ihnen nämlich ein exklusives VIP-Paket mit Karten in der besten<br />

Kategorie, einer Backstage-Führung und anschließendem Plausch bei einem Glas<br />

Sekt in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge – und das garantiert ohne Anstehen! Dafür mit<br />

der Gelegenheit, die jeweiligen Künstler des Abends persönlich kennenzulernen.<br />

Im Oktober letzten Jahres plauderten wir fröhlich mit Anna Bonitatibus – ein toller<br />

Abend! Im Februar erwartet Sie der Geiger SANDRO ROY mit seinem spannenden<br />

Programm „Gypsy goes Classic“. (Informationen auf Seite 42. Karten unter<br />

www.crescendo.de/live).<br />

Und dann zeigen wir Ihnen gern, wo <strong>CRESCENDO</strong> gemacht wird: Besuchen Sie<br />

uns! Am 14. <strong>März</strong> zur Vernissage in der Redaktion am Münchner Marienplatz.<br />

Die Künstlerin YO FRANKLIN, die auch das Cover der aktuellen Premium-CD<br />

gestaltet hat, stellt persönlich einige ihrer Werke vor (siehe auch Seite 77). Der<br />

Eintritt ist frei, wir bitten um Anmeldung unter www.crescendo.de/vernissage.<br />

Zu unseren Inhalten: Im Schwerpunkt dieser Ausgabe feiern wir „100 Jahre Bauhaus“.<br />

Was uns daran gefällt: Bauhaus begleitet uns im täglichen Leben, ob wir nun<br />

den kleinen „Eierkoch“ von Wagenfeld oder den berühmten Sessel „Wassily“ von<br />

Breuer zu Hause haben. Und doch ist es viel mehr als eine Revolution von Architektur<br />

und Design: die Blaupause für eine offenere, moderne, ja, „bessere“ Gesellschaft.<br />

Für Aufbruch in der zeitgenössischen Musik steht der Komponist MAX RICHTER,<br />

gewissermassen ein Popstar seiner Zunft. Sein Stück November wurde allein auf<br />

Youtube 8,4 Millionen Mal geklickt und begeistert auch Menschen, die mit klassischer<br />

Musik sonst wenig am Hut haben. Daneben stellen wir Ihnen aufregende<br />

Newcomer wie LUISA IMORDE, JULIA HAGEN und ANNIKA TREUTLER vor.<br />

Noch ein Newcomer, und das sogar in zweierlei Hinsicht, ist Lars Reichardt: Er<br />

schreibt erstmals in <strong>CRESCENDO</strong> – über sein Debüt in der Oper. Wir trafen uns bei<br />

einer Weinverkostung der Tenuta di Trinoro, die ich mit unserer Kolumnistin<br />

PAULA BOSCH besuchte, und er erzählte mir, dass er bislang zufriedener<br />

Verweigerer in Sachen Opernbesuch gewesen sei. Diesen Status seiner neuen,<br />

opernbegeisterten Freundin zuliebe aber tatsächlich ändern wolle. Und weil mich<br />

die Geschichte über „das erste Mal“, und das der Liebe wegen, reizte, probierte ich<br />

das vermeintlich Unmögliche. Und hatte Glück: Die Bayerische Staatsoper spendierte<br />

zwei Karten für Otello, die längst ausverkaufte und aufregendste Inszenierung<br />

der Saison. Wie die Sache ausging? Lesen Sie auf Seite 70.<br />

FOTOS TITEL: JIYANG CHEN<br />

Exklusiv für Käufer und Abonnenten:<br />

die <strong>CRESCENDO</strong> Premium-CD<br />

Viel Inhalt in besonders hochwertiger Ausstattung finden<br />

Sie in dieser Premium- Ausgabe: Reportagen, Porträts,<br />

Interviews, Aspekte und Hintergrundwissen aus der Welt<br />

der Klassik. Außerdem für alle Käufer und Abonnenten<br />

der Premium-Ausgabe:<br />

sechs Mal pro Jahr die <strong>CRESCENDO</strong> CD,<br />

ein exklusives Album mit Werken einiger in der<br />

aktuellen Ausgabe vorgestellter Künstler.<br />

In diesem Heft: die 76. CD der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Premium-Edition.<br />

Fehlt die CD? Dann rufen Sie uns an: 089/85 85 35 48.<br />

Paula Bosch übrigens entdeckte großartige Weine in der Schweiz, die im kleinen<br />

Alpenland niemand erwartet hätte. Und HANS-CHRISTOPH RADEMANN zeigt<br />

uns sein Dresden, das ebenfalls viel mehr ist als Semperoper und Pegida.<br />

In diesem Sinne viel Spaß beim Lesen, und vielleicht sehen wir uns ja bei<br />

<strong>CRESCENDO</strong> LIVE in München,<br />

Ihr Winfried Hanuschik<br />

w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong> 3


P R O G R A M M<br />

11<br />

KLASSIK IN ZAHLEN<br />

„Bohemian Rhapsody“<br />

von Queen – der meist<br />

gestreamte klassische<br />

Rock-Titel aller Zeiten<br />

26<br />

OSKAR LAZNIK<br />

„Ich habe das Saxofon<br />

gesehen und wusste<br />

sofort, dass das<br />

mein Instrument ist!“<br />

39<br />

EDVARD GRIEG<br />

Ein wunderbarer Film über<br />

den Komponisten, der ruhelos<br />

auf der Suche nach seelischem<br />

Frieden war<br />

STANDARDS<br />

KÜNSTLER<br />

HÖREN & SEHEN<br />

03 PROLOG<br />

Der Herausgeber stellt<br />

die Ausgabe vor<br />

06 BLICKFANG<br />

„Der tanzende Blick“ –<br />

hinter den Kulissen<br />

des Balletts<br />

08 OUVERTÜRE<br />

Was hört …<br />

Joseph Moog?<br />

Neues & Notizen<br />

Ein Anruf bei …<br />

Susann Bräcklein,<br />

Juristin mit Schwerpunkt<br />

Verfassungsrecht<br />

Klassik in Zahlen<br />

31 IMPRESSUM<br />

40 KOMMENTAR<br />

Sport oder Musik?<br />

Beides muss gehen!<br />

42 RÄTSEL &<br />

<strong>CRESCENDO</strong> LIVE<br />

82 HOPE TRIFFT<br />

Sebastian Feydt, Pfarrer an<br />

der Dresdner Frauenkirche<br />

12 EIN KAFFEE MIT …<br />

Friedrich Ani<br />

14 MAX RICHTER<br />

Zwischen Pomp und<br />

Minimalismus<br />

18 ANDRÁS ADORJÁN<br />

Der Flötist auf den Spuren<br />

der Doppler-Brüder<br />

20 DIANA DAMRAU<br />

… über ihr neues<br />

Album: „Es war ein<br />

großer Spaß“<br />

23 JULIA HAGEN &<br />

ANNIKA TREUTLER<br />

Sie lieben Brahms<br />

24 WILFRIED HILLER<br />

Der Komponist über<br />

Momo und die<br />

Sache mit der Zeit<br />

Dr. Goeths Kuriosa<br />

Absonderliche<br />

Geräuschkompositionen<br />

26 OSKAR LAZNIK<br />

Der Saxofonist wirbt für<br />

sein Instrument<br />

28 LUISA IMORDE<br />

Die Pianistin enthüllt im<br />

Ungleichen Gleiches<br />

29 DIE WICHTIGSTEN<br />

EMPFEHLUNGEN DER<br />

REDAKTION<br />

30 ATTILAS AUSWAHL<br />

Faszinierende Newcomer<br />

und andere Musikmagier<br />

zum Start ins neue Jahr<br />

33 BORIS GILTBURG<br />

Mehr als bloße<br />

Virtuosenkunst<br />

38 UNERHÖRTES &<br />

NEU ENTDECKTES<br />

Unbekannte Kammermusik<br />

39 LA FURA DELS BAUS<br />

Haydns Schöpfung,<br />

bildgewaltig in Szene gesetzt<br />

FOTOS: QUEEN: UNIVERSAL MUSIC GROUP; ANDREJ GRILC; ARTHAUS<br />

4 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


L’OPÉRA<br />

DES OPÉRAS<br />

Karine DeSHaYeS<br />

KatHerine WatSOn<br />

reinOuD Van MeCHeLen<br />

Le COnCert SPiritueL<br />

HerVÉ niQuet<br />

54<br />

KURT WEILL<br />

FEST<br />

Die herausragende<br />

Weill-Interpretin Ute Lemper<br />

als Artist-in-Residence<br />

55<br />

BAUHAUS 100<br />

Klar, puristisch und<br />

funktional – die Geschichte<br />

einer Design-Revolution<br />

78<br />

DRESDEN<br />

Die Stadt an der Elbe,<br />

neu entdeckt mit<br />

Hans-Christoph Rademann<br />

ALP 442<br />

ERLEBEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

LEBENSART<br />

43 DIE WICHTIGSTEN<br />

TERMINE UND<br />

VERANSTALTUNGEN<br />

50 MUSICA VIVA<br />

Sir Simon Rattle kommt<br />

als neuer Chefdirigent<br />

mit dem LSO<br />

51 IOAN HOLENDER<br />

Gedanken zum<br />

Operngeschäft<br />

52 MICHAEL FRANCIS<br />

Der neue Leiter der<br />

Deutschen Staatsphilharmonie<br />

Rheinland-Pfalz<br />

54 KURT WEILL FEST<br />

„Mut zur Erinnerung“<br />

56 BAUHAUS 100<br />

Eine Kulturgeschichte<br />

59 MUSIK AM<br />

BAUHAUS<br />

„Es war eine<br />

sehr exzessive Zeit“<br />

61 WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH …<br />

der Soundtrack zum<br />

Bauhaus?<br />

62 BAUHAUSBÜHNE<br />

Oskar Schlemmer und das<br />

Triadische Ballett<br />

64 ARCHITEKTUR<br />

„DAS Bauhaus gibt es<br />

nicht!“<br />

68 LIEBLINGSESSEN!<br />

Praline von der Aubergine<br />

von Rebekka Hartmann<br />

70 MEIN ERSTES MAL<br />

Lars Reichardts<br />

Debüt mit Othello<br />

72 EDLE ELEGANZ<br />

Die schönsten<br />

Bauhaus-Klassiker<br />

74 PAULA BOSCHS<br />

WEINKOLUMNE<br />

Die Helden der<br />

Schweizer Nation<br />

77 KUNST AM COVER<br />

Die Künstlerin<br />

Yo Franklin<br />

ALP 440<br />

SIBELIUS<br />

Symphony no.1<br />

En Saga<br />

GOTHENBURG SYMPHONY<br />

Santtu-MatiaS rOuVaLi<br />

FOTOS: ADRIAN BUCKMASTER; WILFRIED HÖSL; WWW.DRESDEN.DE<br />

EXKLUSIV<br />

FÜR ABONNENTEN<br />

Hören Sie die Musik zu<br />

unseren Texten auf der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD –<br />

exklusiv für Abonnenten.<br />

Infos auf den Seiten 3 & 76<br />

78 DRESDEN<br />

Musikalischer Spaziergang<br />

mit Hans-Christoph<br />

Rademann<br />

81 GLOBETROTTER<br />

Termine in Spanien<br />

oFFEnBaCh<br />

CoLoRaTURE<br />

JODie DeVOS<br />

MünCHner<br />

runDfunKOrCHeSter<br />

Laurent CaMPeLLOne<br />

ALP 437<br />

5<br />

Note 1 Music gmbh<br />

Carl-Benz-Str. 1 - 69115 Heidelberg<br />

Tel 06221 / 720226 - Fax 06221 / 720381<br />

info@note1-music.com<br />

www.note1-music.com


O U V E R T Ü R E<br />

6 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Schweiß und Anspannung<br />

Schwerelosigkeit, Grazie, Emotionen – die Fotos von<br />

Roman Novitzky offenbaren das ganze Vokabular des<br />

Tanzes. Mit seiner Kamera fängt der Erste Solist des<br />

Stuttgarter Balletts nicht nur verborgene Momente<br />

in der Probe oder von der Seitenbühne ein, er öffnet<br />

dem Betrachter die Tür zu einem Kosmos aus<br />

Schweiß, Anspannung, Zweifel – und Euphorie. Haben<br />

Tänzer wie die Erste Solistin Alicia Amatriain in Christian<br />

Spucks Le Grand Pas de Deux es auf die Spitze getrieben,<br />

steht am Ende schlicht: der Durst. Und eine<br />

profane, aber rettende Flasche Wasser. Kürzlich erschien<br />

ein Fotoband im Verlag Edition Cantz (s. S. 10).<br />

<br />

7<br />

FOTO: ROMAN NOVITZKY


O U V E R T Ü R E<br />

Was hört …?<br />

Joseph Moog<br />

Der Pianist – nominiert für den Grammy<br />

2016 – verrät uns seine Best-of-Liste<br />

Debussy:<br />

12 Études,<br />

Ravel: Gaspard<br />

de la nuit,<br />

Joseph Moog<br />

(Onyx Classics)<br />

Mannheim<br />

Das Spielhaus des Nationaltheaters<br />

Mannheim soll saniert werden. Das<br />

Konzept in einem Kostenrahmen von<br />

240 Millionen Euro wurde kürzlich<br />

genehmigt, teilte die Stadt mit. Die<br />

Summe enthält die Sanierungskosten in<br />

Höhe von 200 Millionen Euro, die das<br />

interdisziplinäre Planungsteam unter<br />

der Leitung des Mannheimer Architekturbüros<br />

Schmucker und Partner berechnet<br />

hat, sowie 40 Millionen Euro für<br />

notwendige Infrastruktur-Investitionen.<br />

Hierzu gehören unter anderem der Bau<br />

eines neuen Zentrallagers auf einem<br />

Hafengrundstück sowie die Erweiterung<br />

und der Umbau des Probenzentrums in<br />

Neckarau. Die notwendige Anmietung<br />

von Ersatzspielstätten für die Sparten<br />

Schauspiel, Oper und Tanz während des<br />

Sanierungszeitraums werden etwa 12,55<br />

Millionen Euro kosten. Geplant ist die<br />

Sanierung ab dem Spielzeitbeginn<br />

2021/22, die Schließzeit soll vier Jahre<br />

betragen.<br />

Jahr zu erklären. Polen erinnert damit<br />

an den 200. Geburtstag des Komponisten.<br />

Der Warschauer Flughafen übrigens<br />

ist nach Chopin benannt.<br />

Opernball Wien<br />

1<br />

Alexander Skrjabin: Poême de<br />

l’Extase, Chicago Symphony<br />

Orchestra, Pierre Boulez<br />

Poême de l’Extase gehört für mich zu den berauschendsten<br />

und faszinierendsten Musikstücken überhaupt.<br />

Die geheimnisvolle, knisternde Stimmung am<br />

Anfang ist wie ein großes Versprechen, aus dem sich<br />

im Laufe des Stückes wie durch ein kunstvoll gesponnenes<br />

Netz ein verführerischer Sog entwickelt.<br />

2<br />

Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 8,<br />

RSO Saarbrücken,<br />

Stanislaw Skrowaczewskil<br />

Die Einspielung der 8. Sinfonie gibt mir nach dem Hören<br />

das Gefühl, alles Wesentliche über Leben und Tod<br />

erfahren zu haben. Es drängt sich subjektiv der Gedanke<br />

auf, dass alles gesagt worden ist – dass die Welt<br />

untergehen darf.<br />

3<br />

W. A. Mozart: Die Klavierkonzerte,<br />

Salzburger Kammerphilharmonie,<br />

Cyprien Katsaris<br />

Katsaris mit Mozart? Viele können nicht verstehen,<br />

wie der als extravagant bekannte Zypriote sich mit<br />

Urtext und Kadenzenauswahl auseinandersetzen will.<br />

Die Einspielungen der Klavierkonzerte werden diese<br />

Fragen auf verblüffende Art und Weise beantworten.<br />

4<br />

Oscar Peterson: Live at the Blue Note<br />

Wer Jazz und Klaviermusik liebt, kommt an<br />

Oscar nicht vorbei. Seine Auftritte sind legendär.<br />

Wenn ich diese Aufnahme heute höre, blicke ich<br />

als absoluter Fan, ja fast als Groupie auf das Jazz-Universum:<br />

diese Kreativität, Harmonik, dieser Drive!<br />

5<br />

Michael Bolton: Missing You Know<br />

Was soll ich sagen? Ich mag diese Stimme einfach!<br />

Leicht rauchig erinnert sie mich ein wenig an<br />

Sting, dann kommt immer noch etwas Rockiges hinzu<br />

und auch in der Höhe selbstverständlich jede Menge<br />

Power. Vielleicht ist Michael Bolton auch so etwas wie<br />

das männliche Pendant zu Céline Dion? Für mich ein<br />

Muss abseits der Klassik!<br />

Sicher ist sicher<br />

Die Polizei von Calgary beschloss Anfang<br />

des Jahres, den Flughafen der Stadt zu<br />

räumen, nachdem ein Fluggast eine vermeintlich<br />

bewaffnete Person gemeldet<br />

hatte. Wie sich herausstellen sollte, war es<br />

ein Jugendlicher mit seinem Instrument,<br />

der sich auf ein Konzert vorbereitete, das<br />

die Flughafenverwaltung in der Abflughalle<br />

geplant hatte. Dafür war eine lokale<br />

Band eingeladen worden. Eine Klarinette<br />

war mit einem Gewehr verwechselt worden.<br />

Der Flughafen wurde nach kurzzeitiger<br />

Schließung wieder geöffnet.<br />

Warschau<br />

Der Warschauer Hauptbahnhof wurde<br />

kürzlich nach dem polnischen Komponisten<br />

Stanisław Moniuszko (18<strong>19</strong> –1872)<br />

benannt. Der polnische Senat verabschiedete<br />

einstimmig eine Resolution, um<br />

das Jahr 20<strong>19</strong> zum Stanisław-Moniuszko-<br />

Anna Netrebko wird mit Ehemann Yusif<br />

Eyvazov am 28. Februar den 63. Wiener<br />

Opernball musikalisch eröffnen. Für<br />

Netrebko ist es bereits die dritte Opernballeröffnung,<br />

sie wird den Kusswalzer<br />

von Luigi Arditi singen. Eyvazov „debütiert“<br />

mit Nessun dorma von Puccini.<br />

5.000 Besucher sind jährlich beim Opernball<br />

zu Gast. Eintrittskarten gibt es in<br />

diesem Jahr für ca. 315 Euro, Logen kosten<br />

zwischen 13.300 und 23.600 Euro.<br />

Bleikorrosion<br />

Bremer Materialwissenschaftler und das<br />

Arp-Schnitger-Institut für Orgel und<br />

Orgelbau haben herausgefunden, dass<br />

Temperatur und Luftfeuchtigkeit entscheidende<br />

Faktoren für die Bleikorrosion<br />

an Orgelpfeifen sind. Das ergaben<br />

die für eine Studie erfassten Daten. Kirchen<br />

sind heutzutage besser wärmeisoliert,<br />

werden aber zu selten gelüftet.<br />

Dadurch wird es im Inneren der Kirche<br />

zu feucht. Besonders während des Sommers<br />

überschreitet die absolute Feuchtigkeit<br />

einen für die Bleipfeifen kritischen<br />

Wert. Abhilfe können hier automatisierte<br />

Lüftsysteme schaffen. Auch reguläres<br />

Lüften kann bereits zur Verbesserung der<br />

Werte beitragen. Ein weiterer Ansatz<br />

zum Schutz der Pfeifen bildet eine nachträgliche<br />

Passivierung des Bleis durch<br />

den Einsatz von Schwefelsäure. Früher<br />

war dies ein automatischer Prozess, da<br />

die Luft deutlich unreiner war.<br />

FOTOS: RICHARD REINSDORF, MANFRED WERNER WIKI COMMONS<br />

8 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Blumen berühren, knüpfen erste Bande, sie können um Verzeihung bitten oder Aufmerksamkeit<br />

wecken. Seit 111 Jahren liefert Fleurop die schönsten Meisterwerke für Menschen, die ihren Lieben<br />

eine Freude machen wollen. Nicht vergessen: Am 14. Februar ist Valentinstag!<br />

Mit dem Gutscheincode CRESVAL15 erhalten Sie 15 % Rabatt auf www.fleurop.de (bis zum 28.02.20<strong>19</strong>).


O U V E R T Ü R E<br />

Anruf bei Susann Bräcklein<br />

Mädchen im Knabenchor? Warum nicht? Alles andere wäre Diskriminierung, meint Dr. Susann<br />

Bräcklein, Juristin mit Schwerpunkt Verfassungsrecht, am Telefon. Sie hat kürzlich in einer Berliner<br />

Tageszeitung gefordert, auch Mädchen in staatlichen geförderten Knabenchören aufzunehmen.<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Frau Dr. Bräcklein,<br />

wie kommen Sie darauf, dass Mädchen<br />

im Knabenchor auftreten sollen?<br />

Susann Bräcklein: Staatliche Knabenchöre<br />

sind exklusive Musikschulen.<br />

Es ist ein Grundrecht, dass Menschen<br />

nicht wegen ihres Geschlechts oder<br />

anderer persönlicher Merkmale, die<br />

sie nicht ändern können, benachteiligt<br />

werden, ohne dass es dafür zwingende<br />

Gründe gibt. Werden Mädchen wegen<br />

ihres Geschlechts selektiert und von<br />

der musikalischen Ausbildung, dem<br />

Repertoire und den Auftrittsmöglichkeiten, die Knabenchöre bieten,<br />

ausgeschlossen, handelt es sich um eine Diskriminierung nach<br />

Art. 3 Absatz 3 des Grundgesetzes.<br />

Was wären denn zwingende Gründe?<br />

Wenn Probleme zu lösen sind, die ihrer Natur nach nur entweder<br />

bei Männern oder bei Frauen auftreten können, so das Bundesverfassungsgericht.<br />

Das ist zum Beispiel beim Mutterschutz anerkannt;<br />

bei der Feuerwehrabgabe für Männer hingegen nicht.<br />

Was ist mit der Klangveränderung des Chors, wenn Mädchen<br />

mitsingen?<br />

Die aktuellen Forschungsergebnisse ergeben einen minimalen, subtilen<br />

Unterschied in den Ohren von Experten – leicht oberhalb der<br />

Schwelle des Zufälligen. Manche Stimmen oder Gruppen werden<br />

konsequent falsch eingeschätzt. Die Studien ergeben, dass Gesangspädagogik<br />

und Klangideal viel entscheidender für den Klang sind<br />

als das biologische Geschlecht der Kinder.<br />

Die Perspektive der Konsumenten ist auch nur eine Seite. Die kann<br />

auch mit Klischees und Stereotypen behaftet sein. Auf der anderen Seite<br />

muss man sehen, dass es um die Grundrechtsverwirklichung von<br />

Kindern geht. Hierzu gehört die Teilhabe von Mädchen. Künstlerische<br />

und pädagogische Belange erfordern nicht den generellen Ausschluss.<br />

Flexible Auftritts- und Probenformate sind ohne Weiteres denkbar.<br />

Das machen viele Domchöre schon seit 30 Jahren oder länger. Aber<br />

um Ihre Frage zu beantworten: Zwingend wäre der Ausschluss in<br />

Tölzer Knabenchor<br />

Bezug auf den Klang, wenn nachweisbar<br />

ist, dass Mädchen nicht singen können,<br />

dass sie nur brummen oder fiepen und<br />

den Chor verunstalten würden.<br />

Gab es für Ihren Kommentar einen direkten<br />

Auslöser?<br />

Das oberste Finanzgericht in München<br />

hat 2017 bestätigt, dass eine Freimaurerloge<br />

nicht staatlich förderungswürdig ist,<br />

weil sie grundlos Frauen ausschließt. Die<br />

Entscheidung hat einzelne Brauchtumsoder<br />

monogeschlechtliche Sportvereine,<br />

aber auch Vereine in der Chorszene aufgeschreckt.<br />

Das Phänomen Knabenchor hattte sich wohl bislang keiner<br />

unter diesem Aspekt angesehen. Für Knabenchöre in unmittelbarer<br />

staatlicher Trägerschaft gilt das Diskriminierungsverbot unmittelbar;<br />

für andere Organisationsformen mittelbar im Rahmen der<br />

Gemeinnützigkeitsprüfung. Zudem ist die Chancengleichheit von<br />

Mädchen in der musikalischen Ausbildung die „kleine Schwester“<br />

struktureller Benachteiligungen von Frauen in der klassischen, aber<br />

auch der neuen Musik, was zum Beispiel der Anteil von Dirigentinnen<br />

und Komponistinnen belegt. Die aktuelle Studie von Christian<br />

Ahrens zu „Frauen in Berufsorchestern“ zeigt: je renommierter ein<br />

Orchester, desto geringer der Anteil von Frauen. Das gilt für die<br />

Spitzenkinderchöre genauso: je renommierter ein Knabenchor, desto<br />

weniger Mädchen.<br />

Haben Sie die teils heftigen Reaktionen überrascht?<br />

Menschen haben sich an Knabenchöre als exklusive Einrichtungen<br />

gewöhnt, auch durch deren Präsenz und ihre lange Tradition. Allerdings<br />

ist diese lange Tradition auch eng mit dem Auftrittsverbot von<br />

Frauen in der Kirchenmusik verbunden. Das gilt für den säkularen<br />

Bereich entsprechend. Viele Männerchöre sind aus beruflichen und<br />

handwerklichen Traditionen hervorgegangen, die männlich dominiert<br />

waren. Allerdings gibt es kein Sonderrecht der Kunst auf Diskriminierung.<br />

Auch heute schon werden die Knaben in der Zauberflöte<br />

von Mädchen gesungen und keiner nimmt Anstoß daran.<br />

<br />

Klaus Härtel<br />

Die Musik<br />

löst alle Rätsel<br />

des Daseins.<br />

Leo Tolstoi<br />

HINTER DER BÜHNE<br />

Roman Novitzkys erste Monografie umfasst<br />

mehr als 60 Fotos aus dem Stuttgarter Ballettsaal,<br />

der Garderobe und von Gastspielen<br />

des Stuttgarter Balletts. Sein wachsames<br />

Auge fängt Momente absoluter Präzision ein,<br />

zeigt elegante, bis in die Fingerspitzen akkurate<br />

Armbewegungen, durchgestreckte Füße<br />

und virtuoses Muskelspiel. Der in Bratislava<br />

geborene Novitzky tanzt seit 2009 als Erster<br />

Solist beim Stuttgarter Ballett, seit rund sechs Jahren begleitet er den<br />

Tanz auch hinter der Kamera. Daneben etabliert er sich auch als Choreograf,<br />

beginnend mit ersten Stücken im Rahmen des Junge Choreographen-<br />

Abends der Noverre-Gesellschaft, zuletzt beim Ballettabend „Die Fantastischen<br />

Fünf“. Der 96-seitige Bildband ist in der Edition Cantz erschienen.<br />

FOTO: PRIVAT, GEMÄLDE VON ILJA JEFIMOWITSCH REPIN (1887)<br />

10 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


100.000<br />

Dollar hat der Niederländer Joël Bons für<br />

seine interkulturelle Komposition Nomaden<br />

erhalten. Mit dieser Summe ist der Grawemeyer-Preis<br />

– einer der renommiertesten<br />

Preise für zeitgenössische Musik – dotiert.<br />

KLASSIK<br />

IN ZAHLEN<br />

1,6<br />

889<br />

Millionen Euro sind für die Sanierung<br />

von Frankfurter Oper und Schauspiel<br />

veranschlagt – kostspieliger als die Elbphilharmonie.<br />

Frankfurts Kulturdezernentin<br />

Ina Hartwig arbeitet an der Kostensenkung.<br />

Milliarden: Die Single „Bohemian Rhapsody“<br />

von Queen ist mit weltweit mehr als<br />

1,6 Milliarden Streams der meist gestreamte<br />

Song des 20. Jahrhunderts und der meist gestreamte<br />

klassische Rock-Titel aller Zeiten.<br />

FOTOS: OPER FRANKFURT: EPIZENTRUM; QUEEN: UNIVERSAL MUSIC GROUP; STUART & SONS: BROOK PENFOLD<br />

11 verschiedene Musikstücke spielt der neue<br />

Orgel-Audiomat in der Braunschweiger<br />

St. Katharinenkirche, u. a. Bach, Brahms und Reger.<br />

Für 50 Cent gibt es drei Minuten Orgelmusik.<br />

108<br />

21<br />

Klaviere wollten<br />

zwei Schmuggler<br />

kürzlich aus der Schweiz nach<br />

Deutschland bringen. Beamte des<br />

Hauptzollamts Singen witterten<br />

Steuerhinterziehung der musikalischen<br />

Art und konnten dies am<br />

Zollamt Rheinheim verhindern.<br />

Tasten hat das Klavier, das Australiens letzter verbliebener Klavierbauer<br />

Stuart & Sons nun vorgestellt hat. Dieses Neun-Oktaven-Phänomen erreicht<br />

in der Welt der akustischen Klaviere bisher unerreichte Frequenzen.<br />

Ein Standardklavier hat heute 88 Tasten (etwas mehr als sieben Oktaven).<br />

11


K Ü N S T L E R<br />

Auf einen Kaffee mit …<br />

FRIEDRICH ANI<br />

VON BARBARA SCHULZ<br />

FOTO: PRIVAT<br />

12 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Friedrich Ani (*<strong>19</strong>59) ist ein deutscher Schriftsteller, der vor allem für seine<br />

Krimis um Ermittler Tabor Süden bekannt und mehrfach ausgezeichnet wurde.<br />

Geboren in Kochel am See, ist er längst ein Münchner Urgestein, der die Stadt<br />

und ihr Licht am meisten dann liebt, wenn Ferien sind – im August.<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Ani, wie wichtig ist Musik in Ihrem Leben?<br />

Friedrich Ani: Musik ist einer der wesentlichen Pfeiler meines<br />

Lebens. Ich hab sehr früh angefangen, selbst Musik zu machen: erst<br />

auf der Trommel, dann hab ich sehr jung Blockflöte und bald Klavier<br />

gespielt. Aber natürlich hab ich auch viel Musik gehört und schon<br />

früh Songtexte geschrieben, auf Englisch und auf Deutsch. Und<br />

weil ich gern gesungen habe und mich begleiten wollte, hab ich mir<br />

Gitarre beigebracht – obwohl alle meinten, ich könne nicht singen.<br />

Welche Musik hören Sie?<br />

Klassische Musik, Rockmusik, vor allem Folkmusik – da gibt es<br />

Phasen. Aber natürlich sind manche immer da: Bob Dylan, Bach,<br />

Rachmaninow, Schubert … Und die Singer-Songwriter-Szene, die<br />

ist schon meins – immer gewesen, Bob Dylan vor allen Dingen.<br />

Was ist mit Jazz?<br />

Selten. Es kommt vor, dass ich Jazz höre, dann gefällt er mir auch.<br />

Es kommt aber genauso oft vor, dass er mir überhaupt nicht gefällt.<br />

Er erreicht mein Herz nicht. Bach hingegen ist für mich kosmisch.<br />

Einfach ewig. Auch Schubert kann ich unendlich hören.<br />

Was macht die Musik mit Ihnen?<br />

Ohne Musik hätte ich nie angefangen,<br />

intensiv zu schreiben. Musik ist der<br />

Quell meines Schreibens. Das heißt,<br />

wenn ich Musik höre, bin ich inspiriert.<br />

Was nicht bedeutet, dass ich mich<br />

gleich hinsetze und schreibe. Musik ist<br />

wie das Wasser, das ich als Kind in den<br />

Bergen getrunken habe, direkt von der<br />

Quelle. Also reines Wasser. So ist Musik<br />

für mich reine Kunst. Und es ist großartig, was man mit Musik<br />

erreichen kann – an Gefühlen, an inneren Zuständen. Da muss<br />

man sich schon einen Wolf schreiben, um das mit Wörtern<br />

herzustellen. Musik war mein Leben lang Basis, Hilfe und Trost,<br />

auch bei der Arbeit. Ohne Musik kein Leben.<br />

Schreiben Sie, während Sie Musik hören?<br />

Unmöglich! Da mache ich ja selber Musik und versuche, meine<br />

eigenen Töne zu treffen.<br />

Die Inspiration findet also eher abstrakt statt.<br />

Ja, es ist nicht immer so, dass Hören direkt zu etwas Konkretem<br />

führt, aber es ist so, dass Musikstücke mich weiter beschäftigen,<br />

auch wenn sie zu Ende sind.<br />

Wie hören Sie?<br />

Wenn ich eine CD oder Schallplatte auflege, kann ich nur zuhören,<br />

nichts nebenbei machen. Was schwierig ist im Laufe des Lebens,<br />

weil ich viel schreibe. Dann will ich auch noch lesen, und ich kann<br />

beim Lesen keine Musik hören, das wäre total widersinnig. Also<br />

muss ich mir die Zeit gut einteilen.<br />

Verschiedene Stimmungen, verschiedene Richtungen?<br />

Klar, wobei ich schon versuche, mich der jeweiligen Musik anzupassen.<br />

Ich vermeide eher, in dunkler Stimmung dunkle Musik zu<br />

hören. Allerdings habe ich nichts dagegen, mich von der Musik<br />

verdunkeln zu lassen, auch wenn vorher alles weitgehend okay war.<br />

Es braucht viel Fantasie, um sich so spannende Geschichten<br />

auszudenken. Wichtiger ist aber, den richtigen Ton zu finden?<br />

Der eigene Sound ist das, was mich von anderen Autoren unterscheidet.<br />

Was ich schreibe, haben schon Hunderttausende vor mir<br />

ES IST GROSSARTIG,<br />

WAS MAN MIT MUSIK ERREICHEN<br />

KANN AN GEFÜHLEN<br />

UND INNEREN ZUSTÄNDEN<br />

erzählt. Seit den Griechen gibt es ohnehin keine neuen Stoffe. Ich<br />

schreibe über den Menschen in seinem Irrsinn, in seiner Verzweiflung,<br />

seiner Not, seiner Trauer. Aber ich habe lange gebraucht, bis<br />

meine Instrumente so gestimmt waren, dass ich sie spielen konnte.<br />

Und sind sie heute immer verfügbar?<br />

Leider nicht. Ich habe oft das Gefühl, dass sie vollkommen kaputt<br />

in der Garderobe liegen. Vor jedem neuen Roman: komplett<br />

zertrümmert! Ich muss sie jedes Mal erst wieder zusammenbasteln<br />

und neu stimmen, um überhaupt anfangen zu können. Ich hab<br />

30 Romane geschrieben und mehr, aber es wird nicht besser.<br />

Ein elender Zustand?<br />

Wenn ich die erste Fassung meines Romans lese, bin ich manchmal<br />

entsetzt! Als wäre da jemand, der meine Sachen nachts heimlich<br />

umschreibt. Man kann es nicht lesen. Und so muss ich die erste<br />

Fassung neu vertonen, versprachlichen.<br />

Der berühmte erste Satz …<br />

Ja, der kommt oder kommt nicht. Wenn er nicht kommt, ist es<br />

blöd. Dann muss man warten.<br />

Musik hören?<br />

Nein, der Satz kommt aus der Stille.<br />

Würde ich Musik hören, wäre ich in<br />

der Welt der Komponisten. Ich muss<br />

aber in meine Welt kommen.<br />

Mit welchem Komponisten würden<br />

Sie sich vergleichen?<br />

Vielleicht Schostakowitsch …<br />

Warum er?<br />

Die Dramatik, das Erzählerische, das<br />

Poetische – unterschiedliche Ebenen bilden das Ganze. Da hatte<br />

ich früher den Eindruck, dass das etwas mit mir zu tun hat.<br />

Aber es fällt mir schwer, auch bei Schriftstellern – wo könnte ich<br />

andocken? Natürlich gibt es Einflüsse, klar, hoffentlich viele.<br />

Wer wäre das im Wesentlichen?<br />

Georges Simenon, Cornell Woolrich, auch Hans Fallada, Erich<br />

Maria Remarque. Und Derek Raymond, ein englischer Autor, den<br />

ich erst sehr spät entdeckt habe. Obwohl er sehr hart ist, sprachlich<br />

wie inhaltlich, ist es ergreifend, wie er erzählt, mit diesem blutenden<br />

Herzen. Da entdecke ich immer wieder Ähnlichkeiten in der<br />

Sprache, aber auch im Blick auf die Welt.<br />

Ihr nächstes Buch hat auch eine politische Komponente.<br />

Es kommen zwei syrische Kinder vor, die Thematik behandelt<br />

Polizei und Migration. Vor allem aber geht es um drei Kommissare<br />

von mir – Tabor Süden, Polonius Fischer, Jakob Franck – und eine<br />

neue Kommissarin, Fariza Nasri. Insgesamt ist es ein gesellschaftspolitischer<br />

Roman, sehr emotional mit wechselnden Stimmungen.<br />

Hat es damit zu tun, dass Sie syrische Wurzeln haben?<br />

Mein Vater war Syrer, und natürlich habe ich mich mit dem Land<br />

beschäftigt. Ich fand es wichtig, mich dazu zu äußern, aber nur als<br />

Bürger der Stadt. Ich habe keine Botschaft, nur weil<br />

ich einen syrischen Vater hatte. Aber ja, vielleicht<br />

treibt es mich mehr um. Doch eher in meinem<br />

Zimmer und in meinem Herzen als auf der Straße. ■<br />

Friedrich Anis neues Buch „All die unbewohnten Zimmer“<br />

erscheint im Juni 20<strong>19</strong> bei Suhrkamp<br />

13


K Ü N S T L E R<br />

14 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


MAXI-<br />

MALE<br />

NEUGIER<br />

Der Europäische Filmpreis 2008<br />

für die Musik zu „Waltz with<br />

Bashir“, im November 2018 der<br />

Hollywood Music in Media<br />

Award für den Soundtrack zu<br />

„Mary Queen of Scots“ –<br />

darüber hinaus stellt Max<br />

Richter immer wieder in<br />

visionären Soloprojekten seine<br />

unbändige Fantasie unter<br />

Beweis. Im Gespräch verrät er,<br />

was ihn inspiriert.<br />

VON KATHERINA KNEES<br />

Max Richter hat der Stadt den<br />

Rücken gekehrt: „Die Umgebung<br />

hat Einfluss auf das Gehirn“<br />

FOTO: YULIA MAHR<br />

15


K Ü N S T L E R<br />

C<br />

RESCENDO: Sie haben dem Leben in der Großstadt<br />

den Rücken gekehrt und sind aufs Land gezogen. Beeinflusst<br />

das auch Ihre Musik?<br />

Max Richter: Ich glaube, dass sich alles gegenseitig beeinflusst, und die<br />

Umgebung hat natürlich auch Einfluss auf das Gehirn. Trotzdem finde<br />

ich, jedes musikalische Werk hat irgendwie sein eigenes Ökosystem, in<br />

dem es sich entwickelt und aufblüht. Darum glaube ich nicht, dass<br />

Äußerlichkeiten so eine große Rolle spielen. Aber ich genieße zum Beispiel<br />

die Jahreszeiten sehr und nehme sie ganz bewusst wahr. Ich lebe<br />

nun mitten im Nirgendwo auf dem Land, und da bekommt man das<br />

sehr deutlich mit. Und es ist sehr schön,<br />

JEDES MEINER PROJEKTE IST<br />

EIN EXPERIMENT, MIT DEM ICH<br />

ETWAS HERAUSFINDEN ODER ZUM<br />

AUSDRUCK BRINGEN MÖCHTE<br />

dieses gemächliche Tempo zu beobachten,<br />

in dem sich alles verändert. Ich mag<br />

diese Langsamkeit um mich herum.<br />

Wenn man im Inneren und in der Fantasie<br />

viel beschäftigt ist – und das bringt<br />

das Komponieren ja mit sich –, braucht<br />

man viel Zeit für sich, damit sich die<br />

Ideen auch entwickeln können.<br />

Welche Ideen stecken denn in Ihrer preisgekrönten Filmmusik<br />

zu „Mary Queen of Scots“?<br />

Die beiden Frauen, um die es in diesem Film geht, die beiden Königinnen<br />

Maria Stuart und Elisabeth I., leben eigentlich in einer Welt, die<br />

den Männern gehört und in denen ihre Macht sehr eingeschränkt ist.<br />

Deshalb wollte ich mit den Stimmen der Frauen anfangen. Sie bilden<br />

quasi den Hintergrund, vor dem alles passiert. Man kann sich die Partitur<br />

wie ein Renaissancegemälde vorstellen, in dem die Farbe Schicht<br />

für Schicht auf den Untergrund aufgetragen wird, auf dem dann nach<br />

und nach immer mehr Elemente und Figuren im Vordergrund hinzugefügt<br />

werden.<br />

Welche Elemente sind das in diesem Fall?<br />

Es gibt sozusagen ein königliches Thema, das sich die Königinnen<br />

teilen und das vom Englischhorn gespielt wird. Außerdem haben<br />

wir viel Chormusik aufgenommen, die sozusagen die musikalische<br />

Landschaft gestaltet. Und es gibt Musik für die Antagonisten – in<br />

diesem Fall eigentlich alle Männer, die in dem Film vorkommen<br />

(schmunzelt). Diese Ebene wird vor allem durch orchestrale Musik<br />

gestaltet, die allerdings weniger kultiviert ist. Im Vordergrund<br />

erscheinen dann nach und nach weitere Themen und auch zeitgenössische<br />

klangliche Elemente. Außerdem gibt es viele Trommeln,<br />

die in der Musik inhaltlich eine wesentliche Rolle spielen. Sie deuten<br />

quasi an, wo es mit Mary hingehen wird. Sie begleiten ihre Exekution<br />

und die Beerdigung. Aber sie tauchen auch in Form von<br />

Marschmusik auf, im Thema, das für die Ehe steht, oder als königliche<br />

Paukenklänge.<br />

Haben Sie die Musik auf den fertig geschnittenen Film komponiert<br />

oder war er noch in der Entstehung?<br />

Ich habe nur einige Schnipsel gesehen, sodass ich einen Eindruck<br />

von der Atmosphäre und den Personen bekommen konnte. Dann<br />

habe ich mit dem Schreiben angefangen, und der Film hat parallel<br />

Gestalt angenommen. Es war ein sehr organischer Prozess. Es gibt<br />

immer einen eigenen Rhythmus und einen Workflow, und ich habe<br />

immer Interesse daran, den natürlichsten Weg zu finden. Manchmal<br />

muss man sich die ganze Zeit die Bilder anschauen, und manchmal<br />

kann die Musik einfach Musik sein und man nimmt sich dann,<br />

was man braucht. Ich glaube, das ist in jedem Projekt anders.<br />

Lernt man denn über die Filmmusik einen anderen Max Richter<br />

kennen als über eines Ihrer Soloprojekte?<br />

Ja, das sind für mich ganz unterschiedliche Dinge, aber ich könnte<br />

jetzt nicht sagen, dass mir das eine oder das andere mehr oder weniger<br />

Spaß macht. Die Arbeit an einem Kinofilm ist immer ein<br />

Gemeinschaftsprojekt. Es geht dabei grundsätzlich viel um Kommunikation<br />

und Zusammenarbeit. Und die Musik steht quasi im<br />

Dienst der Geschichte, die erzählt wird. Sie ist nur ein Element in<br />

einem großen Kontext, Filmmusik ist keine Sinfonie. Wohingegen<br />

ich bei einer Soloplatte oder in einem Orchesterstück alles genau so<br />

machen kann, wie ich es mir vorstelle, und ich mir dabei nur musikalische<br />

Fragen stellen muss.<br />

Sie haben nicht nur viele Soundtracks, sondern auch völlig unterschiedliche<br />

Soloprojekte realisiert. Was inspiriert Sie?<br />

In allen kreativen Konzepten stecken Fragen. Jede neue Idee von<br />

mir kann man als eine „Was-wäre-wenn-Frage“ verstehen, denn<br />

jedes meiner Projekte ist ein Experiment,<br />

mit dem ich etwas herausfinden<br />

oder zum Ausdruck bringen möchte.<br />

Eigentlich fühlt sich jedes Projekt<br />

unmöglich an, bevor ich loslege. John<br />

Cage hat mal gesagt: „Unsere Aufgabe<br />

als Künstler ist es, neugierig zu sein.“<br />

Das trifft es eigentlich ziemlich genau.<br />

Mit jeder Platte versuche ich herauszufinden,<br />

was es eigentlich ist, was ich da mache. Das klingt vielleicht<br />

paradox, aber das ist meine Vorgehensweise. Wenn ich dann am<br />

Ende zufrieden bin mit dem, was dabei herauskommt, dann ist das<br />

ein riesiger Erfolg, und ich bin sehr glücklich (lacht).<br />

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie eine eigene Version von Vivaldis<br />

Die vier Jahreszeiten kreiert haben?<br />

Das Recomposing-Projekt zu den Jahreszeiten war mir ein ganz<br />

persönliches Bedürfnis (lacht). Als Kind habe ich mich in das Stück<br />

verliebt. Es ist ein wunderschönes virtuoses Stück voller Geschichten<br />

und Farben. Aber im Laufe der Jahre habe ich es dann eigentlich<br />

nur noch in der Werbung oder in einer Warteschleife oder im Aufzug<br />

gehört, und ich habe angefangen, das Stück zu hassen. Meine<br />

Bearbeitung war für mich dann sozusagen eine Rettungsmaßnahme<br />

und der Versuch wiederzuentdecken, was ich ursprünglich mal an<br />

dem Stück geliebt habe. Eine derartige Beziehung habe ich aber zu<br />

keinem anderen Stück.<br />

Für Ihr Projekt „Sleep“ haben Sie mal eine achtstündige Musik<br />

komponiert, die man schlafend auf sich wirken lassen soll. War<br />

das auch eine Selbsterfahrung?<br />

Schlaf hatte für mich immer schon eine große Bedeutung. Ich habe<br />

Schlafen immer als wichtigen Bestandteil in einem kreativen Prozess<br />

wahrgenommen, denn unser Geist ist dann ja nicht einfach<br />

ausgeknipst, er arbeitet nur anders. Als ich 2014 mit dem Projekt<br />

„Sleep“ begonnen habe, hatte ich das Gefühl, dass unser Leben im<br />

Alltag von Informationen regelrecht überflutet wird und dass das<br />

sehr anstrengend ist. Ich wollte einen kleinen Urlaub von all den<br />

Eindrücken und Informationen und Daten. Außerdem hat es mich<br />

interessiert, was die Musik aus neurologischer Sicht mit uns macht,<br />

wenn wir schlafen.<br />

Ihre Musik ist oft minimalistisch, die jüngste Filmmusik für<br />

„Mary Queen of Scots“ ist im Kontrast dazu sehr opulent. Gibt<br />

es etwas, das den Kern Ihrer musikalischen Sprache ausmacht?<br />

Sparsamkeit und Minimalismus sind mir sehr wichtig, aber es<br />

stimmt, „Mary Queen of Scots“ ist in gewisser Hinsicht tatsächlich<br />

regelrecht pompös. Das hängt in dem Fall wohl mit der Welt zusammen,<br />

die in dem Film dargestellt wird. Aber wenn man sich meine<br />

Soloplatten anschaut, dann steht im Mittelpunkt immer, dass man<br />

das Maximum aus dem Minimum herausholt. Ich<br />

bin an einer direkten Sprache interessiert, die sich<br />

ganz einfach anfühlt. Sie ist zwar nicht einfach,<br />

aber sie kommt so rüber (lacht).<br />

n<br />

„Mary Queen of Scots. Music by Max Richter“ (DG)<br />

16 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


17<br />

FOTO: YULIA MAHR


K Ü N S T L E R<br />

GEMISCHTES<br />

DOPPEL<br />

András Adorján kennt das Werk der Doppler-Brüder wie kein Zweiter –<br />

als Flötist und Herausgeber. Nun legt er an der Seite von Emmanuel<br />

Pahud unter dem Titel „Doppler Discoveries“ mehrere Ersteinspielungen<br />

von Werken für ein und zwei Flöten zusammen mit Klavier vor.<br />

VON KLAUS KALCHSCHMID<br />

András Adorján,<br />

Emmanuel Pahud und<br />

Jan Philip Schulze<br />

FOTO: ASMUS HENKEL<br />

18 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


FÜR MICH IST ES SEHR WICHTIG,<br />

FLÖTISTEN DIE MÖGLICHKEIT ZU<br />

GEBEN, IHR REPERTOIRE ZU BEREICHERN<br />

Franz und Carl Doppler bereisten ab 1852 als virtuos flötespielendes<br />

Brüderpaar ganz Europa. Franz übersiedelte 1858<br />

nach Wien als Soloflötist der Hofoper und Dirigent fürs Ballett, dem<br />

er jährlich eine Komposition widmen musste. Sein Bruder Carl wurde<br />

1865 für 30 Jahre Königlicher Hofkapellmeister in Stuttgart und spielte<br />

nur noch gelegentlich zusammen mit seinem Bruder in Konzerten.<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Adorján, schon in den <strong>19</strong>60ern haben Sie<br />

begonnen, Unbekanntes der Doppler-Brüder zu suchen – und<br />

zu finden! Wie hat alles angefangen?<br />

András Adorján: Mein Flötenlehrer in Dänemark, wo ich aufgewachsen<br />

bin, wenn auch in Ungarn geboren, gab mir irgendwann<br />

die Fantaisie pastorale hongroise zum Spielen, und für mich als<br />

Ungar war es natürlich etwas Besonderes, fern der Heimat auf<br />

eine Flötenkomposition mit ungarischer Thematik zu treffen.<br />

Als ich dann Jahre später, <strong>19</strong>68, in Freiburg bei Aurèle Nicolet<br />

studiert habe, bin ich in einem Stuttgarter Telefonbuch auf den<br />

Namen „Franz Doppler – Kammermusiker“ gestoßen, der, wie<br />

sich herausstellte, ein Enkel von Carl Doppler war. Meine Frau<br />

und ich haben dann irgendwann ein kleines Konzert mit Werken<br />

für zwei Flöten von Franz und Carl Doppler, die ich in Bibliotheken<br />

gefunden hatte, im Wohnzimmer der Dopplers gespielt.<br />

Hatte der Enkel auch Noten?<br />

Bis dahin hatte der Enkel geglaubt, keine Handschriften zu<br />

besitzen, und kannte auch die Musik des Großvaters überhaupt<br />

nicht. Doch im Speicher fand sich, nach hartnäckigem Insistieren<br />

meinerseits, dann überraschend doch eine Kiste mit meist unvollständigen<br />

Autografen. Aber auch ein ganzes, vollständiges<br />

Konzert für zwei Flöten, das nie gedruckt worden war. Das habe<br />

ich dann herausgegeben und <strong>19</strong>76 mit Jean-Pierre Rampal,<br />

ebenfalls einer meiner Lehrer, aufgenommen.<br />

Kann man den Anteil der beiden Brüder an den gemeinsam<br />

komponierten Stücken unterscheiden, deren Honorar sie – wie<br />

Aufzeichnungen beweisen – auch brüderlich geteilt haben?<br />

Es ist wohl schon so, dass Franz, der bedeutendere Komponist<br />

von beiden, für sich die erste Stimme geschrieben und die zweite<br />

vielleicht skizziert hat. Carl hat sie dann auskomponiert – als<br />

ebenso virtuose, aber eben tiefere Stimme.<br />

Auf Ihrer CD findet sich auch die Erstfassung jener berühmten<br />

Fantaisie pastorale hongroise, als Stück für zwei Flöten, deren<br />

Solostimmen in der besagten Kiste gefunden wurden und die<br />

Sie von den Dopplers geschenkt bekamen. Wie unterscheiden<br />

sich die beiden Versionen?<br />

Der Anfang beider Stücke ist gleich, danach sind sie aber völlig<br />

verschieden. Da hier zum Glück nur die Begleitung fehlte, ließ<br />

sich das Stück als der von den Brüdern oft gespielte, aber nie<br />

veröffentlichte „Ungarische Hirtengesang“ identifizieren. Und<br />

unser Pianist konnte seinen Part dazu rekonstruieren.<br />

Ihr neuester Fund sind die beiden ersten Sätze der Sonate<br />

op. 25, die bislang nur als Andante und Rondo bekannt war.<br />

Wo und wie kam es dazu?<br />

Im Zusammenhang mit der Neuherausgabe der Fantaisie<br />

pastorale hongroise habe ich nicht nur das Manuskript im Archiv des<br />

Schott-Verlags einsehen können, sondern auch die entsprechende<br />

Korrespondenz dazu. In einem Brief erwähnte Franz<br />

eine mir bis dahin unbekannte Sonate, allerdings mit der sehr<br />

bekannten Opusnummer 25. Ich wurde neugierig und bekam eine<br />

Kopie der Titelseite, worauf zu lesen war: „NB. Von dieser Sonate nur<br />

Andante u. Rondo stechen zu lassen und das Stück demgemäß zu<br />

titulieren.“ Ich suchte nach den verworfenen Sätzen und habe sie<br />

gefunden: ein großes, siebeneinhalb Minuten langes Moderato und<br />

ein kürzeres Menuetto. Neben dem Doppelkonzert war dies eine<br />

weitere Flötenkomposition der beiden, die keine Fantasie, kein<br />

Potpourri, keine Variationen und weder eine Opernbearbeitung<br />

noch ein Stück im beliebten Stil „à la hongroise“ darstellt. Welch<br />

toller Zufall, dass wir jetzt auch eine „seriöse“ Doppler-Sonate haben.<br />

Warum denken Sie, sollten diese beiden Sätze nicht veröffentlicht<br />

werden?<br />

Eigentlich kann ich mir darauf keinen rechten Reim machen,<br />

außer dass es vielleicht Franz selbst aufgefallen war, wie sehr er<br />

sich in die Nähe von Schubert, Brahms oder gar Mendelssohn<br />

gewagt hatte.<br />

Was hat es mit Aus der Heimat, einem „Festspiel“ für zwei<br />

Flöten und Klavier auf sich, das die CD abschließt? Das klingt<br />

mit seinen vielen verschiedenen Tänzen ungemein spritzig<br />

und lebendig!<br />

Diese Ballete mit eingewebten Gesängen, wie er es selbst genannt<br />

hat, ist ursprünglich ein Orchesterstück, wurde 1879 zur Silberhochzeit<br />

von Sisi und Kaiser Franz Joseph komponiert und zu<br />

sogenannten „Tableaux vivants“ in der Hofoper aufgeführt. Dem<br />

Regenten-Paar sollten alle musikalischen Facetten der Monarchie<br />

– etwa aus Österreich, Ungarn, Rumänien, der Slowakei oder<br />

Tirol – präsentiert werden. Das Stück war so populär, dass es bis<br />

1881 über 50-mal gespielt und für verschiedene Instrumente<br />

bearbeitet wurde. So gibt es eine Version für zwei Flöten und<br />

Klavier, die aber kaum von den Dopplers sein kann, da hier die<br />

beiden Flöten fast immer unisono spielen. Anhand eines originalen<br />

Klavierauszuges, den ich in der Badischen Staatsbibliothek<br />

gefunden habe, konnten wir die beiden Flötenstimmen „à la<br />

Doppler“ rekonstruieren und was übrig blieb als Klavierbegleitung<br />

belassen. Somit ist nichts neu komponiert, diese Musik<br />

wurde lediglich für zwei Flöten und Klavier eingerichtet.<br />

Sie geben immer gleichzeitig die Noten heraus und gehen mit<br />

den Stücken, die Sie gefunden haben, ins Aufnahmestudio.<br />

Ja, für mich ist es sehr wichtig, Flötisten die Möglichkeit zu<br />

geben, ihr Repertoire zu bereichern. Es gibt tatsächlich Musiker,<br />

die ihre Funde einspielen, sie dann aber lieber nur für sich<br />

behalten. Eine Vorgehensweise, die ganz und gar nicht meiner<br />

Mentalität entspricht.<br />

n<br />

Als neuer Abonnent erhalten<br />

Sie diese CD (siehe S. 76)<br />

„Doppler Discoveries“, András Adorján, Emmanuel Pahud, Jan Philip<br />

Schulze, Arcis Hornquartett (Farao Classics)<br />

Track 5 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Sonate für zwei Flöten und<br />

Klavier op. 25, III. Andante von Franz Doppler<br />

<strong>19</strong>


K Ü N S T L E R<br />

AUS DEM<br />

BAUCH<br />

HERAUS<br />

Diana Damrau und Jonas Kaufmann haben mit dem<br />

Pianisten Helmut Deutsch ein Album mit Liedern<br />

von Hugo Wolf aufgenommen. „Es war ein großer<br />

Spaß“, blickt die Sopranistin zurück. Und verneigt<br />

sich vor dem Komponisten.<br />

VON VERENA FISCHER-ZERNIN<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Hätten Sie Hugo Wolf, den alten<br />

Grantler, gerne persönlich kennengelernt?<br />

Diana Damrau: Auf jeden Fall! Er war kein einfacher Mensch,<br />

weder für seine Mitmenschen, noch für sich selbst. Aber wie er<br />

sich mit den Liedtexten musikalisch auseinandersetzt, das hat<br />

unglaublich viel Esprit.<br />

Sie hätten ihn bestimmt geknackt!<br />

So einen Geist und Künstler zu treffen – das wäre schon toll<br />

gewesen. Ich kenne seine Biografie nicht gut. Mein Eindruck<br />

speist sich aus seinen Kompositionen. Ich habe einen Hang zu<br />

Menschen, die mit geschliffener Zunge sprechen. Es ist spannend,<br />

sie zu erleben. Gerade, wenn ihre Art ein bisschen eckig ist.<br />

Was hat Sie an dem Italienischen Liederbuch gereizt?<br />

Die künstlerische Aussage der Wolf-Lieder ist einfach großartig.<br />

Was er für das Kunstlied geschaffen hat, für die Wort-Ton-Kunst,<br />

sei es mit Orchester oder kammermusikalisch, dafür muss man<br />

20 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Hatten sichtlich Spaß an der<br />

gemeinsamen Arbeit: Diana Damrau,<br />

Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch<br />

FOTO: PARLOPHONE RECORDS LTD<br />

ihm einfach dankbar sein. Ich habe schon als junge Studentin<br />

Lieder daraus gesungen. Auch kleine Dinge können uns entzücken<br />

oder Ich hab’ in Penna einen Liebsten wohnen, das sind Zugabenstücke<br />

per se. Kurz und aussagekräftig. Jedes einzelne Lied ist ein<br />

kleines Juwel, das Liederbuch ist eine Schatztruhe! Das wollte ich<br />

schon immer mal singen.<br />

Und wer hat Sie drei zusammengebracht?<br />

Helmut Deutsch kam auf die Idee, Jonas und mich zusammen-<br />

zuspannen. Ich hatte bis dahin mit Jonas relativ wenig große<br />

gemeinsame Werke auf der Bühne. Aber bei kleinen Konzerten<br />

haben wir gemerkt, das funktioniert gut. Wir waren von Helmuts<br />

Vorschlag sofort begeistert. Es ist natürlich schwer, das mit den<br />

Kalendern zusammenzukriegen. Und dann kam eine ganze<br />

Tournee mit zwölf Liederabenden in 23 Tagen zustande. Da<br />

haben wir uns beide gefragt, schaffen wir das? Und dann auch<br />

noch im <strong>Januar</strong>, Februar, Erkältungswetter! Mit Reisen dazwi-<br />

21


K Ü N S T L E R<br />

schen! Aber Helmut blieb ganz gelassen: „Ach, das schafft ihr.“<br />

Das Italienische Liederbuch ist über einen großen Zeitraum<br />

hinweg entstanden. Es ist eigentlich kein Zyklus, eher eine lose<br />

gefügte Liedsammlung. Von wem stammt die Dramaturgie?<br />

Die Lieder sind wirklich Kondensate, jedes für sich. Der Zufall<br />

wollte, dass es eine gute Balance zwischen eindeutig männlichen<br />

und eindeutig weiblichen Texten gibt, nur einige Lieder sind<br />

ICH HABE EINEN HANG ZU MENSCHEN,<br />

DIE MIT GESCHLIFFENER ZUNGE SPRECHEN<br />

neutral. Vor etwa 50 Jahren haben die Sänger sich das Liederbuch<br />

als Duo-Abend „unter den Nagel gerissen“. Das bietet sich an.<br />

Es sind kleine Dialoge oder Monologe, aus denen man Geschichten<br />

zusammenstellen kann. Helmut beschäftigt sich schon seit<br />

30 Jahren damit und hat immer wieder anderes ausprobiert, um<br />

kleine Geschichten zu finden. Fix war nur das erste Lied.<br />

Wir haben es also nicht mit einem einzigen Paar zu tun.<br />

Es sind immer andere. Wir haben vier Liedgruppen gebildet. Am<br />

Anfang sind sie sehr, sehr jung, sie dürfen nicht mal aus dem<br />

Haus. In der zweiten Gruppe sind sie zusammen. Da kommen die<br />

typischen Eifersüchteleien. Ein falsches Wort kann Streit auslösen.<br />

Sie sind immer noch sehr jung. In den dritten Teil haben wir<br />

Tod, Krieg und Religion genommen und in den vierten die<br />

humoristischen Lieder. In diesem Werk steckt wirklich alles, was<br />

man sich an menschlichen Regungen denken kann.<br />

Harter Tobak für den Mann, was ihm die heimlich Angebetete<br />

im vierten Teil so alles von ihren Liebhabern erzählt.<br />

Er ist der schwärmerische Freund, der nicht wagt, ihr seine<br />

verborgene Liebe zu gestehen. Oder sie hört nicht zu, sie versteht<br />

es nicht. Bis es ihr dann wie Schuppen von den Augen fällt.<br />

Deshalb sind die Empfindlichkeiten sehr groß. Aber es endet ja<br />

gut! Jedenfalls haben wir es so arrangiert.<br />

Waren Sie in den Konzerten versucht, szenisch zu agieren?<br />

Es war ein großer Spaß. Wir haben das nicht szenisch geplant,<br />

sondern einfach auf den anderen reagiert. Auch mimisch und<br />

gestisch, mit kleinen Körperbewegungen. Es ergibt sich alles aus<br />

dem Text. Und aus der Musik. Hugo Wolf stößt einen wirklich<br />

von einem zum nächsten Satz. Es ist alles ins Kleinste hinein<br />

durchdacht und in Harmonien und Klangfarben umgesetzt. Man<br />

kann gar nicht anders, man agiert aus dem Bauch heraus.<br />

Was machen Sie denn so auf der Bühne, während der andere<br />

singt? Wohin mit den Händen?<br />

Wenn Jonas im dritten Teil „Sterb ich“ gesungen hat, wäre ich am<br />

liebsten unsichtbar gewesen. Da wir zu zweit auf der Bühne sind<br />

und den anderen meistens ansprechen, müssen wir aufeinander<br />

reagieren. Nicht wie auf der Opernbühne oder im echten italienischen<br />

Leben, wo dann Teller oder Tomaten fliegen. Aber wir<br />

können auch nicht dastehen wie die Orgelpfeifen, dann hätten wir<br />

das Thema verfehlt! (lacht)<br />

Ich habe mal eine Kollegin erlebt, die sich beim Liederabend<br />

eine Schürze umband und ein Gummihähnchen aus dem Flügel<br />

zog. Für Puristen ein Graus. Wie halten Sie es mit Requisiten?<br />

Kommt immer drauf an, wie man’s anlegt. Ich habe nur die Stola<br />

gewechselt. Durch die Farbe der Stola konnte das Publikum<br />

unbewusst wahrnehmen, jetzt ist sie eine andere, oder jetzt ist<br />

was passiert. Am Schluss war die Stola feuerrot. Mein Kleid war<br />

ganz schlicht, schwarz mit Blumen. Ich wollte kein Divenkleid.<br />

Warum singt eine gefeierte Opernsängerin überhaupt Lieder?<br />

Weil aus dem Lied für mich alles hervorgeht. Lied ist für mich die<br />

IN DIESEM WERK STECKT ALLES,<br />

WAS MAN SICH AN MENSCHLICHEN<br />

REGUNGEN DENKEN KANN<br />

ideale Verbindung von Wort und Ton. Und es ist erzieherisch eine<br />

gute Methode, wenn man lernt, absolut ins Detail zu gehen und<br />

mit einer großen Sorgfalt diese Lieder zu singen und ganz schnell<br />

umzuschalten zwischen den verschiedenen Stimmungen. Und<br />

man kann sich seine eigenen Programme zusammenstellen.<br />

Es muss nicht immer Schubert sein …<br />

… oder Schumann. Das Liedschaffen ist nicht nur im deutschsprachigen<br />

Raum unglaublich reich, es gibt auch ganz<br />

tolle französische, russische und englische Lieder.<br />

Vieles aus diesem immensen Repertoire wird auch gar<br />

nicht so oft aufgeführt. Es ist wie eine Schatztruhe, die<br />

man aufmacht: Das passt gut zusammen und das …<br />

So eine Reise kann manchmal eine richtige Achterbahnfahrt<br />

sein. Ich kann verschiedene Stile zusammenbringen.<br />

Oder ich fange vielleicht mit Schubert an und schließe mit<br />

Zeitgenössischem, oder ich stelle das Zeitgenössische in die Mitte.<br />

Aber auch zwischen Komponisten und den Ländern Verbindungen<br />

zu schaffen, das ist toll, und sich eine eigene Dramaturgie zu<br />

überlegen.<br />

Was machen Sie stimmlich anders als bei der Oper?<br />

Ich kann mehr riskieren, weil ich feiner zeichnen kann. Allein in<br />

den Kompositionen ist das so gegeben. Außerdem habe ich nicht<br />

das Orchester unter mir und die Entfernung vom Zuschauerraum,<br />

da kann ich wirklich mit ganz feinem Pinsel zeichnen.<br />

Das muss man sich trauen …<br />

Es ist eine Herausforderung. Man ist allein und hat nicht die Hilfe<br />

durch Kostüme und Bühne und Licht und Partner. Sondern man<br />

macht nur Musik und lässt Wort und Musik klingen und ihre<br />

Wirkung bringen. Manchmal ist es wie Meditation. Aber man<br />

kann die Menschen auch mitnehmen. Und das ist toll! Wenn man<br />

zwischen den Stücken merkt, oh, jetzt wird’s lustig. Man ist viel<br />

näher an den Menschen dran. Natürlich bin ich beim Liederabend<br />

auf der Bühne ich selber, aber trotzdem steige ich in jedes<br />

Lied ein wie in eine kleine Opernszene. Mal bin ich das lyrische<br />

Ich, mal bin ich der Erzähler. Das heißt, ich kann mit der Stimme<br />

spielen und verschiedene Rollen einnehmen, Vater und Mutter<br />

und Kind darstellen.<br />

Ist Liedgesang also auch eine Art, Ihr Instrument zu pflegen?<br />

Schon. Aber auch meinen Geist. Meinen Geist und mein Instrument.<br />

Damit man einfach fein bleibt und achtsam.<br />

Mit dem musikalischen Partner und auch mit den eigenen<br />

Ressourcen?<br />

Auf jeden Fall. Dass man immer in die Feinheiten zurückgeht<br />

und es auch wagt, diese Feinheiten auf die Opernbühne zu<br />

übertragen. Es geht in der Oper nicht immer nur um Lautstärke<br />

und hohe Töne. Die sind beeindruckend, das ja. Aber es sind doch<br />

die Farben, es sind die Herzenstöne, die transportieren. Oper ist<br />

keine Discomusik, zu der man tanzt und vergisst. Was uns<br />

anspricht, sind die feinen Töne und Worte. Das<br />

Menschliche. Darum geht’s. Und im Lied umso<br />

mehr. <br />

■<br />

Hugo Wolf: „Italienisches Liederbuch“,<br />

Diana Damrau, Jonas Kaufmann, Helmut Deutsch (Erato)<br />

22 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Das Schönste, was es gibt<br />

Die Cellistin Julia Hagen und die Pianistin Annika Treutler sind zwei vielversprechende junge<br />

Solistinnen. Jetzt haben sie ihr erstes gemeinsames Album mit Werken von Johannes Brahms<br />

veröffentlicht. Unsere Autorin, selbst Cellistin, merkte bei dem Treffen mit den Musikerinnen<br />

in einem Berliner Café schnell, dass die beiden sich nicht nur musikalisch bestens verstehen.<br />

VON SINA KLEINEDLER<br />

Julia Hagen<br />

Annika Treutler<br />

FOTOS: NEDA NAVAEE, WWW.ANNIKATREUTLER.DE<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Wieso Brahms?<br />

Julia Hagen: Für mich war immer klar, dass Brahms mein<br />

Debütalbum sein muss, weil diese Musik mich schon seit meiner<br />

Kindheit begleitet. Sein Wiegenlied habe ich – wie viele andere –<br />

schon als Baby gehört. Seine e-Moll Sonate war die erste „richtige“<br />

Cellosonate, die ich gelernt habe. Da war ich ungefähr zwölf,<br />

seitdem habe ich mit jedem meiner Lehrer an den beiden<br />

Brahms-Sonaten gearbeitet.<br />

Annika Treutler: Natürlich stellt sich immer die Frage: Warum<br />

muss man ein tausendstes Brahms-Sonatenalbum aufnehmen?<br />

Sicher ist das keine Aufnahme, bei der alles auf links gedreht ist,<br />

aber dennoch ist es eine sehr persönliche Sicht, und zwar unsere<br />

Sicht, auf diese Stücke. Mit dem besten, reinsten Gewissen und<br />

den ehrlichsten Emotionen, die wir haben.<br />

Was macht Brahms’ Musik so besonders?<br />

Annika Treutler: Es gibt ein Zitat von Brahms: „Es ist nicht<br />

schwer zu komponieren. Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen<br />

Noten unter den Tisch fallen zu lassen.“ Man spürt das in<br />

seiner Musik: Jeder Ton ist wichtig und hat eine Bedeutung. Alles<br />

geht vom Bass aus. Diese Tiefe ist das Fundament seiner gesamten<br />

Musik. Die Musik von Brahms ist einfach das Schönste, was es<br />

gibt. Als ich klein war, bin ich oft mit seinen Liedern eingeschlafen.<br />

Meine Mutter begleitete meinen Vater am Klavier und sie<br />

haben geübt, während wir schon im Bett lagen.<br />

Einige Brahms-Lieder habt ihr jetzt mit aufgenommen. Wie<br />

habt ihr sie ausgesucht?<br />

Julia Hagen: Diese sechs Lieder sind von David Geringas<br />

zusammengestellt und bearbeitet. Ich bin normalerweise skeptisch<br />

bei Transkriptionen, aber das Cello ist nun mal das Instrument,<br />

das der Stimme am ähnlichsten ist …<br />

Annika Treutler: Quatsch! (beide lachen)<br />

Julia Hagen: Doch, schon! Ich habe mir den Text über die Noten<br />

geschrieben und viele Lieder angehört. Gesang zaubert immer die<br />

größten Gänsehautmomente. Einmal habe ich ein Konzert von<br />

András Schiff besucht. Als Zugabe stand das gesamte Orchester<br />

auf und hat ein Lied gesungen – es war das berührendste Erlebnis,<br />

das ich je im Konzert erlebt habe. Das war so ehrlich und pur …<br />

Es ging total unter die Haut.<br />

Wie habt ihr beide euch kennengelernt und als Duo<br />

zusammengefunden?<br />

Annika Treutler: (holt tief Luft) Es war einmal im Sommer …<br />

(beide fangen an zu lachen). Also: Vor zweieinhalb Jahren haben<br />

wir drei Wochen in der Akademie des Verbier Festivals verbracht.<br />

Wir spielten gar nicht miteinander, hörten uns aber gegenseitig<br />

zu, verbrachten die Abende zusammen und verstanden uns<br />

einfach gut – quasi Liebe auf den ersten Blick. Da wir beide in<br />

Berlin wohnen, blieben wir in Kontakt. Zusammengespielt haben<br />

wir erst ein Jahr später.<br />

Ist es wichtig, sich nicht nur musikalisch, sondern auch<br />

persönlich zu verstehen?<br />

Annika Treutler: Für mich untrennbar. Man verbringt so viel Zeit<br />

miteinander, auch neben der Bühne. Könnten wir nur auf der<br />

Bühne kommunizieren, hätten aber sonst keinen Draht, würde es<br />

nicht funktionieren.<br />

Julia Hagen: Das gibt es aber auch, und ich frage mich, wie das<br />

geht. Jeder aus dem Ensemble in einem anderen Hotel …<br />

Annika Treutler: Das hört man so, ich könnte mir das nicht<br />

vorstellen. Für mich ist das Persönliche und das Musikalische<br />

ganz, ganz eng miteinander verbunden.<br />

Inwiefern bereichert ihr euch gegenseitig musikalisch?<br />

Julia Hagen: Es ist einfach schön zu merken, dass man sich beim<br />

Zusammenspiel aufeinander verlassen und fallen lassen kann. Es<br />

macht Spaß weil die Musik so spontan und aufregend bleibt.<br />

Annika Treutler: Wir haben eine gute Basis, und dazu gehört,<br />

dass man den anderen im Spielen schon vorausahnen kann. Ich<br />

glaube, das ist die allerwichtigste Qualität im Kammermusikspiel:<br />

nicht nur zu spüren, was der Partner im selben Moment macht,<br />

sondern was er als Nächstes tun wird. Wir sprechen die gleiche<br />

musikalische Sprache.<br />

■<br />

Brahms: „Cellosonaten Nr.1 & 2, Six Songs“,<br />

Julia Hagen, Annika Treutler (hänssler classic)<br />

Track 8 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Minnelied op. 71/5.<br />

Aus: 6 Lieder op. 86 von Johannes Brahms<br />

23


K Ü N S T L E R<br />

Momo und die Schildkröte<br />

Kassiopeia im Reich der Zeit,<br />

bei Meister Hora<br />

FOTOS: CHRISTIAN POGO ZACH<br />

EINFACH NUR<br />

ZUHÖREN<br />

Im Dezember fand am Münchner Gärtnerplatztheater die Uraufführung der neuen Oper<br />

von Wilfried Hiller statt: Michael Endes Klassiker Momo. Ein Gespräch mit dem<br />

Komponisten und Freund des Autors über das Thema Zeit, das heute aktueller ist denn je.<br />

VON BARBARA SCHULZ<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Sieht man die Menschen heute durch die Straßen<br />

hetzen, denkt man unwillkürlich an Michael Endes Momo ...<br />

Wilfried Hiller: Ja, es ist geradezu beängstigend, wie aktuell das<br />

Buch war, als es <strong>19</strong>73 erschien. Das haben wir damals nicht gesehen.<br />

Der Ende übertreibt mal wieder, hat man gesagt.<br />

Wie kann man das Thema auf die Bühne bringen?<br />

Tatsächlich konnte ich viel aus den Fehlern anderer lernen. Also<br />

zum Beispiel den Geschichtenerzähler Gigi nicht wegzulassen oder<br />

den Straßenkehrer Beppo. Von Anfang an war aber klar: Momo<br />

darf nicht singen. Zum Glück war der Intendant des Gärtnerplatztheaters,<br />

Josef Köpplinger, einverstanden. als ich ihm gesagt habe,<br />

dass die Titelrolle nicht singt.<br />

Momo singt nicht, um zuhören zu können?<br />

Genau! Denn sie entlockt durch ihre Art, einfach zuzuhören, still<br />

zu sein, den Menschen ihre Probleme. In einer Szene singt Gigi<br />

davon. Und im Hintergrund sieht man Leute zu Momo kommen:<br />

den Friseur, den Maurer, die Ehefrauen – und was passiert? Plötzlich<br />

geben sich die Menschen wieder die Hand. Oder als Momo den<br />

24 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Wilfried Hiller bei<br />

den Proben zu Momo<br />

Vogel, der seit Langem stumm war, wieder<br />

zum Singen bringt. „Man muss ihm zuhören,<br />

auch wenn er nicht singt“, erklärt Momo ihr<br />

Geheimnis.<br />

Aber irgendwann wendet sich das Blatt.<br />

Ja, bereits zu Beginn des zweiten Aktes ist diese<br />

kleine heile Welt fest in Händen der grauen<br />

Herren von der Zeitsparkasse. Die Menschen<br />

können nicht mehr zuhören. Sie sind getrieben: schneller, schneller,<br />

weiter, weiter. Sie schauen auf die Uhr, rennen über die Bühne, kreuz<br />

und quer. Dazu die Melodie – übrigens von Michael Ende –, die<br />

immer schneller wird, bis sie Purzelbäume schlägt. Und bis Momo<br />

sagt: „Wir müssen etwas dagegen tun.“ Sie geht zu Meister Hora, der<br />

ihr die Stundenblume gibt. Damit schafft sie, dass die Menschen<br />

wieder zu sich kommen.<br />

Die grauen Herren von heute sind meist digital …<br />

Absolut. Und sie verhindern die direkte Kommunikation. Ich sehe<br />

das oft in Restaurants: Ehepaare, die während des Essens beide mit<br />

ihren Handys hantieren, aber nicht miteinander reden. Manchmal<br />

glaube ich schon, sie schreiben sich gegenseitig. Es ist verrückt.<br />

Was ist Ihre persönliche Erfahrung mit Zeit?<br />

Ich habe irgendwann mein Handy beiseitegelegt und es nie wieder<br />

hervorgeholt. Es hat mich nervös gemacht, auch wegen meines Herzschrittmachers.<br />

Aber es gab in meinem Leben eine Begegnung, die<br />

an Momo erinnert: Für mich war mein Lehrer Carl Orff so etwas<br />

wie der Meister Hora. Er hatte eine so ruhige Ausstrahlung – bei<br />

ihm blieb die Zeit stehen. Es war eine besondere Beziehung: Mein<br />

Vater war ja im Krieg gefallen, und Orff hatte nur eine Tochter. Seine<br />

Frau meinte einmal, ich sei der Sohn, den er nie bekommen habe.<br />

Sie haben viel von ihm übernommen …<br />

Ja, seine Ruhe und Leichtigkeit hatten durchaus auch Auswirkungen<br />

auf mich und meine Musik.<br />

Was an Momo hat Sie thematisch gereizt – die Zeit?<br />

Mich als Musiker hat noch viel mehr das Thema Zuhören und Zuhörenkönnen<br />

gereizt. Und dass es uns heute verloren<br />

gegangen ist.<br />

Wie aber kann man Zuhören hörbar machen?<br />

Die Zeitdauer spielt eine Rolle. Viele Menschen<br />

macht langsame Musik nervös. Dabei ist dieses<br />

Sichausbreiten doch das Schönste. Ich wollte<br />

auch Intervalle komponieren, die Ruhe ausstrahlen,<br />

Naturtöne, also die Töne, die mitklingen,<br />

wenn man einen Ton anschlägt, ich wollte Klangschalen<br />

benutzen. Tatsächlich ist es ja so, dass man die Leute, die ins Theater<br />

kommen, ins Zuhören bringen muss. Sie sind außer Atem, aufgeregt<br />

– und dann geht das Licht aus. Also muss ich sie erst mal runterholen.<br />

Und so beginnt die Musik erst mal ganz, ganz leise.<br />

Die ersten Takte klingen fast japanisch …<br />

Richtig! Ich bin fasziniert vom japanischen No-Theater. Das beginnt<br />

immer mit einer Nokan – eine Flöte, die das Theater eröffnet. Und<br />

so hab ich den ersten Satz, die erste Szene genannt. Die ersten drei<br />

Zeilen: Man hört fast nichts. Nur im Hintergrund die Besenstriche<br />

von Beppo. Bei Olivier Messiaen gibt es eine Fermate über eine ganze<br />

Seite. So hätte ich das auch gern, denn der Dirigent dirigiert das ja<br />

auch ganz anders als eine normale Fermate.<br />

Wie klingen die grauen Herren?<br />

Da ist richtig was los. Genau das Gegenteil von Momos Ausstrahlung<br />

– ständige Dissonanz. Immer Hochspannung, die nicht aufgelöst<br />

wird. Für die grauen Herren hab ich die großen japanischen<br />

Trommeln, die Schamanentrommeln, die staccatoartig gespielt werden.<br />

Es wird heftiger und intensiver. Die Leute bekommen Angst.<br />

Da merkt man, welchen Einfluss Musik auf die Psyche hat.<br />

Begreifen die Kinder, worum es geht?<br />

Ich glaube schon, dass die Musik das vermittelt, aber natürlich bin<br />

ich befangen. Das kriegen die Leute unbewusst mit. Giora Feidman<br />

hat einmal gesagt, als er in einer meiner Opern die Hauptrolle<br />

gespielt hat: „Das Wichtigste bei Hiller ist nicht nur die Musik, sondern<br />

der Raum zwischen den Tönen.“ So ist das wohl. n<br />

Als Gioachino Rossini in seiner Oper Il Signor Bruschino die<br />

zweiten Violinen mit ihren Geigenbögen an die Notenpulte klopfen<br />

ließ, war das ein waschechter Skandal – heute ein Schmunzelgarant.<br />

Dr. Goeths Kuriosa<br />

SINFONIE FÜR<br />

STABMIXER UND SELLERIE<br />

Ein paar exklusive Beispiele ausgewählt<br />

absonderlicher Geräuschkompositionen.<br />

Wer im 18. Jahrhundert die berühmte Kindersinfonie<br />

schrieb, wissen wir bis heute nicht. Sicher hingegen<br />

ist, dass die Besetzung Instrumente aus der Spielzeugkiste<br />

verlangt: Kuckuck, Wachtel, Ratsche, Orgelhenne<br />

(eine Art Wasserpfeife) und Cymbelstern.<br />

Im 20. Jahrhundert entwarf der Italiener Luigi Russolo um <strong>19</strong>13<br />

raumfüllende Lärm- und Geräuschinstrumente, die „Intonarumori“.<br />

George Gershwin ließ in An American in Paris Autohupen quäken,<br />

György Ligeti im Vorspiel zu Le Grand Macabre. John Cages CREDO<br />

IN US braucht eine Türklingel und Konservenbüchsen. Und Leroy<br />

Anderson verpasste <strong>19</strong>50 in The Typewriter einer Schreibmaschine<br />

die Hauptrolle – inklusive Zeilenende-Pling.<br />

Karlheinz Stockhausens Helikopter-Streichquartett erfordert<br />

neben der herkömmlichen Streicherbesetzung vier Hubschrauber,<br />

deren Rotorengeräusche sich mit dem gewohnten Klang mischen.<br />

Das 1. Deutsche Stromorchester musiziert ausschließlich auf Elektrogeräten<br />

wie Laubsaugern, Toastern und Mixern, während sich The<br />

Vegetable Orchestra der Musik auf Gemüse verschrieben hat – vom<br />

Gurkophon bis zur Sellerie-Percussion.<br />

Und wer bei der Verleihung des Ernst von Siemens Komponistenpreises<br />

2018 an Clara Iannotta ganz genau hinsah, konnte einen<br />

Schlagzeuger dabei beobachten, wie er seinen Brummtopf zur Klangerzeugung<br />

mit einem außergewöhnlichen Hilfsmittel traktierte: Es<br />

war ein Dildo!<br />

25


K Ü N S T L E R<br />

„PERFEKTION ALLEIN<br />

HAT KEINEN WERT!“<br />

Der slowenische Saxofonist Oskar Laznik bedauert, dass sein Instrument<br />

in der klassischen Musik immer noch ein Exot ist. Und ist<br />

mit perfektionistischer Verve auf dem besten Weg, das zu ändern.<br />

VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />

Nicht selten entscheidet über den Beginn einer Liebesbeziehung<br />

der Zufall. So war es auch bei Oskar<br />

Laznik. Als das Saxofon in sein Leben trat, war er acht Jahre alt und<br />

lebte in Hrastnik, einer kleinen Gemeinde in Slowenien. Sein Vater<br />

arbeitete in der Computerbranche, seine Mutter in einem Unternehmen<br />

für Dioden und Gleichrichter. Musik fand in der Familie<br />

so gut wie nie statt. „Wir waren weit weg von klassischer Musik und<br />

Konzerten dieser Art“, sagt Laznik, und entsprechend hatte die Welt<br />

der Töne, der Rhythmen und der Harmonien während der ersten<br />

Jahren seines Lebens kaum eine Rolle gespielt. Dann wurden in<br />

Spannender Dialog: Laznik und<br />

sein Pianist Tadej Horvat<br />

seiner Grundschule verschiedene Instrumente vorgestellt – und der<br />

kleine Oskar traf auf das Saxofon. Es war Liebe auf den ersten Blick.<br />

Bis heute kann er nicht genau sagen, was ihn damals so magisch<br />

anzog. War es das glänzende Blech? Der warm singende Ton? Der<br />

elegante Schwung des Korpus? „Ich habe das Saxofon gesehen und<br />

wusste sofort, dass das mein Instrument ist“, sagt Laznik schlicht,<br />

dann lächelt er versonnen und legt die Hände aneinander.<br />

Oskar Laznik ist ein schmaler junger Mann mit kurzen braunen<br />

Haaren und konzentriertem Blick, der oft erst einmal innehält,<br />

bevor er antwortet. Unprätentiös, ernsthaft und reflektiert ist er<br />

FOTO: ANDREJ GRILC<br />

26 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


einer der spannendsten Saxofonisten seiner Generation und lotet<br />

mit seinem Instrument neue Klangdimensionen aus. Gleichwohl ist<br />

der <strong>19</strong>87 geborene slowenische Musiker bislang ein Geheimtipp in<br />

der Welt der Klassik. Sein Album „Légende“, Mitte <strong>Januar</strong> veröffentlicht,<br />

könnte das ändern.<br />

Nachdem der achtjährige Oskar Laznik sich damals für das<br />

Saxofon entschieden hatte, wurde er sechs Jahre lang an der Musikschule<br />

in Hrastnik unterrichtet. Anschließend ging er nach Ljubljana<br />

auf das Konservatorium für Musik und Ballett. Dort lebte er<br />

im Internat und entdeckte im Musikgymnasium<br />

und in der Stadt eine völlig<br />

neue Welt. „Das war sehr befreiend<br />

für mich“, erinnert er sich. „Das kulturelle<br />

Angebot war viel größer. Es gab<br />

viele Konzerte und Veranstaltungen<br />

– damals ging es für mich musikalisch<br />

wirklich los.“ Und genau ab diesem<br />

Zeitpunkt sei ihm klar gewesen: „Das will ich in meinem Leben<br />

machen: Musik, einfach nur Musik.“ Eine Entscheidung, die der<br />

feinsinnige Musiker in Folge nie mehr infrage stellte. Sein weiterer<br />

Weg ist bis heute ebenso konsequent wie stringent. Die Eltern hätten<br />

ihn dabei womöglich manchmal nicht ganz verstanden, meint Laznik,<br />

doch hätten sie ihn immer unterstützt. „Sie haben gesagt: Du<br />

musst etwas für dich finden, das zu dir passt und dir wichtig ist. In<br />

der Musik hab ich das gefunden.“<br />

Von 2006 bis 2010 besuchte Laznik die Musikakademie in Ljubljana,<br />

parallel dazu begann er, an Wettbewerben teilzunehmen und<br />

gewann zahlreiche Preise. 2010 ging er schließlich nach Köln, um<br />

bei Daniel Gauthier zu studieren. Gauthier war schon lange sein<br />

Vorbild gewesen. „Seine klangliche und musikalische Ausdruckskraft<br />

haben mich schon immer fasziniert und ich wollte unbedingt<br />

bei ihm studieren. Ich habe das Gefühl, dass er die Musik wirklich<br />

lebt“, so Laznik. Er selbst hat sich daran ein Beispiel genommen.<br />

Auch sein eigenes Spiel ist erfüllt von zärtlicher Hingabe an den<br />

musikalischen Moment und zeugt von der hoch konzentrierten und<br />

innigen Auseinandersetzung mit den jeweiligen Werken. „Bei Gauthier<br />

habe ich gelernt, dass es um viel mehr geht als nur um die technische<br />

Beherrschung“, sagt Laznik. Viel wichtiger seien die ganz<br />

besondere Ausstrahlung eines Klangs und der musikalische Ausdruck.<br />

„Perfektion allein hat keinen Wert“, ist Laznik überzeugt.<br />

Wenn er selbst ein Konzert besuche, gehe es ihm nicht darum, wie<br />

fehlerlos jemand spiele. Viel entscheidender sei, ob der Musiker ihn<br />

emotional berühre. Nichtsdestotrotz neige er selbst zum Perfektionismus,<br />

gesteht Laznik ein. „Ich bin auch im Alltag ziemlich perfektionistisch,<br />

nicht nur in der Musik. Da bin ich eigentlich ziemlich<br />

deutsch“, sagt der Saxofonist und lacht. Parallel zum Studium bei<br />

Gauthier tauchte Laznik in das Kölner Kulturleben ein. Mindestens<br />

dreimal pro Woche besuchte er Konzerte in der Philharmonie,<br />

außerdem ging er oft ins Museum. „Das habe ich extrem genossen“,<br />

erinnert sich Laznik, und auch deshalb sei es für ihn sehr wichtig<br />

gewesen, im Ausland zu studieren.<br />

Heute lebt Oskar Laznik wieder in Ljubljana und unterrichtet<br />

als Professor am dortigen Konservatorium für Musik und Ballett.<br />

Vom ehemaligen Schüler wurde er direkt nach Studienende mit<br />

einem Mal selbst zum Lehrer – ein Schritt, den er nicht bereut hat.<br />

„Ich wollte schon immer auch unterrichten“, sagt Laznik, und das<br />

slowenische Schulsystem sei gerade im Fach Saxofon eines der besten<br />

in Europa. Am Konservatorium unterrichtet Laznik nun Schüler<br />

ES GEHT NICHT DARUM, WIE<br />

FEHLERLOS JEMAND SPIELT.<br />

ENTSCHEIDEND IST, OB DER<br />

MUSIKER EMOTIONAL BERÜHRT<br />

zwischen 14 und 18 Jahren. Und er versucht ihnen das mitzugeben,<br />

was ihm selbst am wichtigsten ist: „offen zu sein für verschiedene<br />

Stile und Werke. Denn die Musik ist so ein großes Feld“. Parallel<br />

dazu konzertiert er regelmäßig und ist als Saxofonist auch immer<br />

wieder Initiator neuer Kompositionen. „Das Saxofon ist ein so junges<br />

Instrument, dass wir als Interpreten gefordert sind, immer wieder<br />

neue Stücke dafür in Auftrag zu geben“, so Laznik. Umso bedeutender<br />

sei daher die zeitgenössische Musik für ihn und seine Kollegen.<br />

Oft nimmt er intensiv teil an der Entstehung eines neuen<br />

Stückes. Dann tauscht er sich aus mit<br />

dem Komponisten, probiert dessen<br />

Ideen auf dem Instrument und feilt mit<br />

am Stück. „Das Saxofon hat in der<br />

klassischen Welt noch immer einen<br />

gewissen Exotenstatus“, sagt Laznik.<br />

Warum das so sei, wisse er selbst nicht,<br />

aber es sei höchste Zeit, das zu ändern.<br />

Der Jazz als eine der Hauptsparten des Saxofons hat ihn dabei nie<br />

besonders interessiert. „Ich war immer sehr traditionell orientiert<br />

und an die klassische Musik gebunden“, erzählt der Musiker, und<br />

gerade die klassische Kammermusik mit anderen Instrumenten sei<br />

für ihn ein Schlüssel zum eigenen Musikverständnis. Dies spiegelt<br />

sich auch auf seinem Album „Légende“ wider, das er zusammen mit<br />

dem Pianisten Tadej Horvat aufgenommen hat. Dialoghaft, ebenbürtig<br />

und innig verbunden treten Saxofon und Klavier hier miteinander<br />

in Beziehung und erschaffen eine lebendige und spannungsvoll<br />

offene Atmosphäre. Das Album ist für Laznik weit mehr<br />

als eine musikalische Momentaufnahme. Es ist ein künstlerisches<br />

Statement mit Gewicht und Strahlkraft. Für sein Debütalbum hat<br />

er ausschließlich Stücke gewählt, die als Originalwerke für Saxofon<br />

geschrieben wurden. Ein Anliegen war ihm dabei, „ganz verschiedene<br />

ästhetische Klangwelten“ aufzuzeigen. Ob bei Paul Hindemiths<br />

Sonate für Altsaxophon und Klavier, dem titelgebenden Stück<br />

Légende op. 54 von Georges Sporck oder Yvan Markovitchs<br />

Complainte et Danse – es ist ihm gelungen. Laznik zeigt sich als<br />

klangsinnlicher und außerordentlich vielseitiger Interpret, der sein<br />

Publikum mit warm strömendem Ton und kompromissloser Präsenz<br />

in den Bann zieht. Sein Spiel ist hierbei von einnehmender<br />

Eleganz und Dichte und führt den Hörer im Zwiegespräch mit dem<br />

Klavierpart in ungeahnte musikalische Räume.<br />

Bei der Erarbeitung von neuen Werken denkt sich Laznik oft<br />

in Streicher oder Sänger hinein, ganz gleich, für welches Instrument<br />

ein Stück ursprünglich komponiert wurde. „Die Phrasierung, die<br />

richtige Balance aus Spannung und Entspannung, die Bedeutung<br />

der musikalisch passenden Atmung – all das sind Dinge, die ich an<br />

Streichern und Sängern sehr natürlich finde und von denen ich mich<br />

inspirieren lasse“, sagt Laznik. Legt er sich in seiner Freizeit einmal<br />

selbst Musik auf, hört er am liebsten Kompositionen für Streichquartett.<br />

Überhaupt seien ihm die Streichinstrumente sehr nahe,<br />

allen voran die Bratsche, und in gewisser Weise versuche er in seinem<br />

eigenen Spiel immer, den Holzklang auf einem Blechblasinstrument<br />

herzustellen. „Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich<br />

das richtige Instrument ausgewählt habe“, sagt<br />

Laznik und lacht. Seine Liebe zum Saxofon aber<br />

hält bis heute an. Und das Schönste daran: Man<br />

kann sie hören.<br />

n<br />

„Légende“, Oskar Laznik, Tadej Horvat (mdg)<br />

27


K Ü N S T L E R<br />

Virtuoses Vexierspiel<br />

Woelfl oder Mozart? Widmann oder Schumann? Die Pianistin Luisa Imorde entdeckt mit tiefer<br />

Sensibilität, einer ernsthaften Prise Humor und leidenschaftlicher Lust an den Tasten kompositorische<br />

Spiegelbilder. Und bringt damit so manchen Kenner ins Grübeln.<br />

VON STEFAN SELL<br />

Wann ich mit dem Klavierspiel begonnen<br />

habe, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich<br />

nicht erinnern, irgendwann einmal nicht<br />

Klavier gespielt zu haben.“ Klavierspielen ist für<br />

Luisa Imorde ein Synonym für leben. Sie entstammt einer Musikerfamilie<br />

und ist bereits mit 29 vielfach preisgekrönt. Es ist nicht nur<br />

das leidenschaftliche Spiel – ihre Ambition für Kontexte und Konnotationen<br />

begeistert ebenso. Die selbstbestimmte Repertoireauswahl<br />

lässt ausgetretene Pfade wieder grünen.<br />

Auf ihrem Debütalbum „Zirkustänze“ verschachtelte sie die<br />

heitere Suite JörgWidmanns und dessen zauberhaften Klavierzyklus<br />

Elf Humoresken raffiniert mit Klavierwerken Robert Schumanns.<br />

Für Widmann, einen der gefragtesten zeitgenössischen Komponisten,<br />

offenbarte sich damit etwas Neues in seinen Werken, Imordes<br />

Funkenüberschlag zwischen romantischer und zeitgenössischer<br />

Tonwelt ist taghell. „Viele Leute haben mir nach Konzerten gesagt,<br />

sie hätten überhaupt nicht mehr gewusst, was ist Widmann und was<br />

ist Schumann.“<br />

Das Pianisten-Duell des Jahres 1798 lautete: Beethoven versus<br />

Woelfl. 220 Jahre später lässt sich behaupten: And the winner is ...<br />

Luisa Imorde! „L’affaire d’honneur“, eine Sache der Ehre, heißt ihr<br />

verzauberndes Album, auf dem sie sich in beide hineinversetzt und<br />

aus der jeweiligen Perspektive die Wettbewerbsbeiträge spielt.<br />

Musik, die vertraut scheint, darf wieder unvertraut klingen. Durchdacht<br />

und ausgeklügelt hat sie die Werke angeordnet und mit viel<br />

Verve den Tasten übergeben. „Ich möchte die Werke zweier Komponisten<br />

so in Bezug setzen, dass sich daraus etwas Drittes ergibt.<br />

Ich finde es genial, dass man das mit älterer Musik noch machen<br />

kann, wo man doch immer denkt, wir kennen alles, und was man<br />

heute nicht mehr kennt, war eben schlecht und nicht hörenswert.“<br />

Joseph Woelfl war seinerzeit ein Starpianist mit Gagen, von<br />

denen ein Beethoven nur träumen konnte: „Woelfl muss im Schnitt<br />

drei Konzerte pro Woche gespielt haben. Ich weiß nicht, wer das<br />

Newcomer<br />

Pianistin<br />

Luisa Imorde<br />

heute noch macht, Yuja Wang wahrscheinlich oder Lang<br />

Lang in seinen Spitzenzeiten. Woelfl war wahnsinnig fleißig,<br />

hat 60 Klaviersonaten, zehn Klavierkonzerte, Sinfonien und<br />

alles mögliche geschrieben. Dabei ist er nur 38 geworden. Bei Beethoven<br />

lag der Fokus nicht so sehr auf dem Konzertieren, er hatte<br />

vielleicht mehr Zeit zu schreiben.“<br />

Luisa Imorde reproduziert nicht einfach. Sie weiß intelligent<br />

austarierte Nuancen zu setzen, die das Hörerlebnis zur inspirierenden<br />

Freude werden lassen: Der Vorhang öffnet sich, und der Zuhörer<br />

darf dabei sein in diesem Winter 1798 in Wien. Woelfl wie Beethoven<br />

spielen Variationen des Salieri-Duetts La stessa aus der Oper<br />

Falstaff. Woelfls Klaviersonate WoO 113 steht Beethovens Pathétique<br />

ebenbürtig ausgereift gegenüber. All das spielt sie, als seien es<br />

Vexierbilder, von denen Kafka sagt: „Das Versteckte in einem<br />

Vexierbild sei deutlich und unsichtbar.“<br />

Ihre Repertoireauswahl ist ein Dialog, der im Ungleichen Gleiches<br />

enthüllt und Gleichzeitigkeit wie gleich Gültiges in der Musik<br />

demonstriert. Für den Hörer eine Einladung teilzuhaben. Imorde entdeckt<br />

das Versteckte so, dass – wie bei Widmann und Schumann –<br />

selbst Kenner ins Grübeln kommen: „Ich habe im Konzert Beethoven-<br />

und Woelfl-Variationen gespielt, ohne zu verraten, was von<br />

wem ist, und das Publikum lag falsch. Es waren Musikwissenschaftler<br />

im Publikum, die dachten, Woelfl sei Beethoven und Beethoven<br />

sei Woelfl. Das war für mich natürlich der größte Erfolg. Ich dachte,<br />

wie toll, das Konzept funktioniert, der Wettbewerb auch (sie lacht<br />

herzlich). Jeder Musikkenner sagt (und sie imitiert die Seriosität der<br />

Fachsimpler): ‚Natürlich erkenne ich Beethoven!‘ “ Entdecken wir<br />

mit Luisa Imorde Beethoven neu und Woelfl<br />

gleich dazu!<br />

■<br />

Joseph Woelfl: „L’affaire d’honneur“, Luisa Imorde (Berlin Classics)<br />

Track 9 auf der <strong>CRESCENDO</strong>-CD: Sonate précédée d’une introduction<br />

et fugue c-Moll WoO 113. III. Allegro molto von Joseph Woelfl<br />

FOTO: JULIA WESELY<br />

28 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


HÖREN & SEHEN<br />

Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz<br />

Attila Csampais Auswahl (Seite 30)<br />

<strong>CRESCENDO</strong>-Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören?<br />

Kein Problem: Auf www.crescendo.de finden Sie unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören!<br />

Sol Gabetta<br />

Wunderbare Erfüllung<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Gleich zwei ver trau te musi ka li sche Part ner hat die Cel lis tin Sol Gabet ta für ihr neu es Album mit Werken<br />

von Robert Schu mann aus ge wählt. Das im Ori gi nal für Horn kom po nier te Adagio und Alle gro, die drei<br />

Fan ta sie stü cke (ursprüng lich für Kla ri net te) und die Fünf Stü cke im Volks ton präsentiert sie mit ihrem langjäh<br />

ri gen Kam mer mu sik part ner, dem Pia nis ten Bert rand Cha ma y ou. Gemein sam erschaffen sie ein geistrei<br />

ches, bun tes Bild die ser kurz wei li gen Wer ke. Für ihre ers te Ein spie lung des mäch ti gen Cellokonzerts<br />

hat Gabet ta wie der ein mal das Kam mer or ches ter Basel unter der Lei tung von Gio van ni Anto ni ni an<br />

ihrer Sei te. In allen Stü cken besticht sie mit ihrem war men, run den Klang und der sen si blen Phra sen gestal<br />

tung. Durch Satz be zeich nun gen wie „nicht zu schnell“, „mit Humor“ oder „zart und mit Aus druck“<br />

lässt Schu mann wenig Zwei fel an sei nen Vor stel lun gen, die hier eine wun der ba re Erfül lung fin den. Sol<br />

Gabet ta beweist wie der ein mal ihre außer ge wöhn li chen cel lis ti schen und musi ka li schen Fähig kei ten. SK<br />

Robert Schu mann: Sol Gabet ta,<br />

Bert rand Cha ma y ou, Kam mer or ches ter<br />

Basel, Gio van ni Anto ni ni (Sony)<br />

FOTO: DAVID MAUPILE<br />

29


H Ö R E N & S E H E N<br />

Empfehlungen von Attila Csampai<br />

FASZINIERENDE NEWCOMER UND<br />

ANDERE MUSIKMAGIER<br />

… begeistern unseren Chefrezensenten im neuen Jahr.<br />

MOZART: PIANO CON CERTO NO 20 K 466,<br />

SONATAS K 281 & K 332<br />

Seong-Jin Cho, Chamber Orchestra of Europe,<br />

Yannick Nézet-Séguin (DG)<br />

Der große russische Mozart-Experte Georgi W.<br />

Tschitscherin spürte in dessen Musik die „Urkräfte<br />

des Universums“. Was er damit gemeint haben<br />

könnte, kann man jetzt auf dem ersten Mozart-Album der südkoreanischen<br />

Klavier-Hoffnung Seong-Jin Cho im Klang erleben. Selten<br />

entlockte ein junger Pianist im Wechselspiel mit dem ähnlich aufgekratzten<br />

Chamber Orchestra of Europe dem populären d-Moll-Konzert<br />

solche existenzielle Kraft, solche geballte, dramatische Wucht. Hier<br />

treffen, wie im Don Giovanni, stärkster Lebenswille und schicksalshafte<br />

Gegenmächte unvermittelt aufeinander und liefern dem Hörer<br />

ein hochdramatisches, dabei glasklar durchgezeichnetes Szenario<br />

schärfster Gefühlskontraste. Vor wenigen Monaten erst überraschte<br />

uns der 24-jährige Wahl-Berliner durch sein kalligrafisch-feingliedriges<br />

Debussy-Album, das meditativen Klangzauber verströmte. Dagegen<br />

wirkt sein Mozart-Zugriff geradezu energisch und schlackenlos<br />

prägnant und entfacht jugendliches Feuer und ungestüme Lebenskraft.<br />

Diesen klaren, hellwachen Blick auf Mozarts impulsreiche Dramatik<br />

kultiviert Cho dann auch in den beiden Sonaten KV 281 und 332,<br />

denen er einen ähnlichen Reichtum an Gefühlskontrasten abtrotzt.<br />

Hier bezieht ein hochtalentierter Newcomer und ausgeschlafener<br />

Mitstreiter Gegenposition zu den Armeen von blassen<br />

Mozart-Säuslern.<br />

SCHUBERT 1828: PIANO SONATAS D. 958, 959,<br />

960, 3 KLAVIERSTÜCKE D. 946<br />

Alexander Lonquich (Alpha)<br />

Track 2 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />

Klaviersonate Nr. <strong>19</strong> c-Moll, D. 958, II. Adagio<br />

Keine Frage, dass Schuberts letzte drei Klaviersonaten,<br />

die er zwei Monate vor seinem Tod vollendete,<br />

zu den Gipfelwerken der Gattung zählen. Aber nur wenige<br />

Pianisten vermochten deren unglaubliche innovative Substanz und<br />

das Ausmaß des Tragischen überzeugend umzusetzen, da die meisten,<br />

unter dem Eindruck von Schuberts äußeren Lebensumständen, das<br />

Fiebrig-Kränkelnde, Depressiv-Verhangene und die lähmende Todesnähe<br />

in den Vordergrund rückten. Auch der heute 58-jährige Alexander<br />

Lonquich unterstreicht im Booklet-Text seiner neuen, schlackenlos<br />

klaren Einspielung der Trias deren „betont erzählerischen<br />

Charakter“ und deutet sie als „fortlaufende Geschichte eines einzigen<br />

Romans“. Und dennoch durchleuchtet er ihre strukturelle Komplexität,<br />

ihre harmonischen Kühnheiten und emotionalen Abgründe mit<br />

Beethovenscher Rigorosität und einer dem Kompositionsprozess folgenden<br />

Klarheit und Stringenz, die diese letzten Arbeiten als Manifeste<br />

visionärer Modernität und einer mit neuen Inhalten gefüllten Wahrhaftigkeit<br />

ausweisen: Lonquichs faszinierende Anschlagskultur, sein<br />

perfektes, flexibles Timing, seine schlackenlose Prägnanz und sein<br />

dramatisch geschärfter, stets plausibler Erzählstrom enthüllen die tiefe<br />

Trost- und Ausweglosigkeit dieser Werke in ungeschützter, entblößter<br />

Klarheit und verweigern entschieden jede Spur von falscher Gefühligkeit.<br />

Das ist fesselnd und erschütternd zugleich.<br />

MENDELSSOHN: PIANO CONCERTOS 1 & 2,<br />

RONDO BRILLANT, OUVERTURE<br />

„DIE HEBRIDEN“<br />

Roberto Prosseda, Residentie Orkest The Hague,<br />

Jan Willem de Vriend (Decca)<br />

Mendelssohns Ächtung durch die Nazis ist bis<br />

heute nicht überwunden. Noch immer ist das<br />

Interesse des breiten Publikums und vieler Musiker auf wenige Werke<br />

beschränkt, während vieles andere, wie etwa sein umfangreiches Klavierwerk,<br />

ein klägliches Schattendasein fristet. Hier zählt der italienische<br />

Pianist Roberto Prosseda zu den weltweit führenden Mendelssohn-Aktivisten,<br />

denn er hat nicht nur als Erster das gesamte Solo-Klavierwerk<br />

modellhaft eingespielt, sondern auch eine Reihe verschollener<br />

Stücke wiederentdeckt. Jetzt hat er mit dem traditionsreichen Residentie<br />

Orkest aus Den Haag und seinem Chef Jan Willem de Vriend<br />

die beiden reifen Klavierkonzerte in g-Moll und d-Moll in einer elektrisierend<br />

frischen, ungestüm drängenden und historisch herben Interpretation<br />

aufgenommen und so zwei Meisterwerken der frühen<br />

Romantik eine in jedem Moment spannungsreiche und aufregende<br />

Klanggestalt verliehen. Dass er dem derzeit herrschenden Trend zu<br />

historischen Fortepiani widersteht und seine stets prägnante Artikulation<br />

lieber auf einem modernen Fazioli-Flügel glasklar ausformuliert,<br />

unterstreicht die zeitlose Modernität und die virtuose Brillanz dieser<br />

ewig jungen Konzerte, die die Schönheit und das humane Antlitz des<br />

Mozart’schen Erbes in sich tragen und genialisch weiterentwickeln.<br />

Das Rondo Brillant fungiert da als virtuos funkelndes, ähnlich temperamentvolles<br />

Bindeglied zwischen den Konzerten.<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

30 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


IMPRESSUM<br />

BEETHOVEN: SYMPHONY NO. 3 „EROICA“,<br />

BRAHMS: VARIATIONS ON A THEME BY HAYDN<br />

Maxim Emelyanychev, Nizhny Novgorod Soloists<br />

Chamber Orchestra (Aparté)<br />

Maxim Emelyanychev zählt zu den größten Hoffnungen<br />

der russischen Musikszene. Seit 2016 leitet<br />

er das renommierte Barockensemble Il pomo<br />

d’oro. Für sein Dirigenten-Debüt hat er sich zwei sinfonische Kronjuwelen<br />

ausgesucht: Wer sich heute an Beethovens Eroica herantraut,<br />

muss über Zauberkräfte verfügen, um das alte Schlachtross in ein<br />

Rennpferd zu verwandeln. Doch Emelyanychev meistert die Verjüngungskur<br />

mit tänzerischer Unbekümmertheit und Anmut, die alles<br />

heroische Pathos, allen Titanismus, alle romantische Bedeutungsschwere<br />

von ihm abfallen lassen und es in die schlanken, spielerisch<br />

drängenden Bewegungsmuster einer klassischen Sinfonie zurückführen.<br />

Mit historisch orientierter, leichtfüßiger Transparenz verweisen<br />

seine Nizhny Novgorod Soloists wieder auf die strukturelle Logik von<br />

Beethovens revolutionärer Satztechnik und entfachen mit riesigen<br />

Atembögen eine sog artige Stringenz, die ohne äußeren Druck die<br />

Musik selbst sprechen lässt. Mit ähnlich frischem Puls entstaubt Emelyanychev<br />

auch Brahms’ Haydn-Variationen und durchglüht sie mit<br />

jugendlichem Feuer.<br />

SALUT D’AMOUR<br />

Sueye Park, Love Derwinger (BIS)<br />

Dass sie zu den herausstechendsten Begabungen<br />

der gar nicht so dichten jungen Geigerszene<br />

gehört, hat die in Berlin ausgebildete Koreanerin<br />

Sueye Park schon im vergangenen Jahr mit ihrem<br />

musikalisch wie technisch exzellenten Debütalbum<br />

und den 24 Solo-Capricen Paganinis spektakulär unterstrichen.<br />

Jetzt gibt es ein weiteres Manifest geigerischer Perfektion mit ähnlich<br />

unspielbaren romantischen Encores, diesmal mit einfühlsamer Klavierbegleitung<br />

durch Love Derwinger und gespickt mit zwei weiteren<br />

grausamen Solonummern wie Milsteins Paganiniana und Heinrich<br />

Wilhelm Ernsts Die letzte Rose. Was die erst 17 Jahre junge Violinhexe<br />

hier wieder abliefert, ist nicht nur von technischer Makellosigkeit und<br />

virtuoser Brillanz, die einem den Atem rauben, sondern verströmt<br />

eine schier unglaubliche stilistische Souveränität und Reife. Sueye Park<br />

knüpft damit an die großen alten Ikonen des Violinspiels an, die alle<br />

Zauberer waren und in der Lage, auch diese Petitessen in den Rang<br />

von Kunstwerken zu heben. Ihr Album entführt uns in eine längst<br />

vergangene Welt der musikalischen Schönheiten: simply irresistible!<br />

VERDI: MACBETH<br />

Shirley Verett, Piero Cappuccilli, Nicolai Ghiaurov,<br />

Plácido Domingo, Core e Orchestra del Teatro alla<br />

Scala, Claudio Abbado (DG)<br />

Bei Verdis Oper Macbeth ist Maria Callas’ sensationeller<br />

Scala-Auftritt im Jahr <strong>19</strong>52 bis heute der<br />

Maßstab geblieben: Die erste rundum überzeugende<br />

Studioaufnahme gelang Claudio Abbado erst 24 Jahre später,<br />

als er die gefeierte Scala-Produktion Giorgio Strehlers für die Schallplatte<br />

nachproduzierte. Diese auch akustisch exzellente Referenzaufnahme<br />

gibt es jetzt in einem neuen digitalen Remaster, und sie hat<br />

nichts eingebüßt von ihrer jugendlichen Frische, ihrer scharfen, rhythmischen<br />

Attacke und ihrer fesselnden Klarheit. Es ist bis heute die im<br />

Orchesterspiel sorgfältigste, in der vokalen Gesamtleistung homogenste<br />

Einspielung dieser finsteren Oper geblieben, die in den männlichen<br />

Partien mit Piero Cappuccilli (Macbeth), Nicolai Ghiaurov<br />

(Banco) und Plácido Domingo (Macduff) die damals weltweit führenden<br />

Akteure aufbot. Auch Shirley Verett lieferte ein hochdramatisches<br />

Porträt der Lady, wenngleich ihr das entscheidende Quantum vokalen<br />

Gifts fehlte, während der junge Abbado das Kunststück fertigbrachte,<br />

den nötigen theatralischen Furor mit einer an Pedanterie grenzenden<br />

Präzision im Orchester und bei den Chören zu verknüpfen.<br />

VERLAG<br />

Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München<br />

Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11, info@crescendo.de, www.crescendo.de<br />

Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger<br />

und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring<br />

HERAUSGEBER<br />

Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de<br />

VERLAGSLEITUNG<br />

Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />

ART DIRECTOR<br />

Stefan Steitz | steitz@crescendo.de<br />

LEITENDE REDAKTEURIN<br />

Barbara Schulz | schulz@crescendo.de<br />

RESSORT „SCHWERPUNKT“<br />

Dr. Maria Goeth | goeth@crescendo.de<br />

RESSORT „HÖREN & SEHEN“ UND „ERLEBEN“<br />

Ruth Renée Reif | reif@crescendo.de<br />

RESSORT „STANDARDS”<br />

Klaus Härtel | haertel@crescendo.de<br />

RESSORT „KÜNSTLER“ UND „LEBENSART“<br />

Barbara Schulz | schulz@crescendo.de<br />

SCHLUSSREDAKTION<br />

Maike Zürcher<br />

KOLUMNISTEN<br />

Axel Brüggemann, Paula Bosch, Attila Csampai (AC), Ioan Holender,<br />

Daniel Hope, Lars Reichardt, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)<br />

MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />

Florian Amort (FA), Roland H. Dippel (DIP), Alexander Fischerauer (AF),<br />

Verena Fischer-Zernin, Philipp Hontschik, Klaus Kalchschmid (KLK),<br />

Sina Kleinedler (SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Guido Krawinkel (GK),<br />

Jens F. Laurson (JFL), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Alexander Rapp (LXR),<br />

Steffen Schleiermacher, Antoinette Schmelter-Kaiser (ASK), Stefan Sell (SELL),<br />

Fabian Stallknecht (FS), Dorothea Walchshäusl (DW), Walter Weidringer (WW)<br />

VERLAGSREPRÄSENTANTEN<br />

Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />

Kulturbetriebe: Dr. Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de<br />

Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de<br />

Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de<br />

AUFTRAGSMANAGEMENT<br />

Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de<br />

GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE<br />

Nr. 22 vom 09.09.2018<br />

DRUCK<br />

Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig<br />

VERTRIEB<br />

PressUp GmbH, Wandsbeker Allee 1, 22041 Hamburg, www.pressup.de<br />

ERSCHEINUNGSWEISE<br />

<strong>CRESCENDO</strong> ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert häusern, im<br />

Kartenvorkauf und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei träge<br />

bei Port Media GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des<br />

Verfassers, nicht unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung,<br />

auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen.<br />

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Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende Premium-CDs und kostet<br />

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Verbreitete Auflage:<br />

69.680 (lt. IVW-Meldung 1V/2018)<br />

ISSN: 1436-5529<br />

(TEIL-)BEILAGEN / BEIHEFTER:<br />

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks<br />

DAS NÄCHSTE <strong>CRESCENDO</strong><br />

ERSCHEINT AM 15. MÄRZ 20<strong>19</strong>.<br />

<strong>CRESCENDO</strong><br />

unterstützt<br />

31


H Ö R E N & S E H E N<br />

FOTO: NANCY HOROWITZ<br />

Mozarteumorchester<br />

Fragment im Fiebertraum<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Dieser (Uraufführungs-)Mitschnitt aus dem Salzburger<br />

Mozarte um von 2005 ist doppelt spannend. Erstens, weil<br />

Mozarts Requiem ohne jede Ergänzung erklingt und somit<br />

radikal ein Torso bleibt. Das fokussiert das Hörerlebnis<br />

auf das Wesentliche, also das, was Mozart ursprünglich<br />

nie dergeschrieben hat: den vierstimmigen<br />

Vokalsatz. Zweitens, weil Georg Friedrich Haas<br />

in die Leerstellen sie ben Klangräume setzt und<br />

mit seinem Auftragswerk expressiv auf Mozart<br />

reagiert – in der Anmutung, wir würden in die<br />

Fieberträu me des Sterbenden hineinlauschen.<br />

Nach dem Lacrimosa bedeutet das geräuschhafte<br />

Kargheit, ansonsten bildet ein Brieftext von 1791<br />

die Grundlage: jenes in star rem Bürokratendeutsch abgefass<br />

te Schreiben, in dem Mozart eine unbezahlte Stelle<br />

am Stephansdom zugesprochen bekommt. Im Gan zen<br />

klingt das nicht nur historisch und zeitgenössisch informiert,<br />

son dern auch beklem mend, tröst lich<br />

und erha ben zugleich. WW<br />

Mozart: „Requi em KV 626“, Georg Haas: „Sie ben<br />

Klang räu me“, Salz bur ger Bach chor, Mozarteumorchester<br />

Salzburg, Ivor Bol on (Belvedere)<br />

Sabine Devieilhe und Lea Desandre<br />

Liebe in allen<br />

Facetten<br />

GESANG<br />

Als Georg Fried rich Hän del 1707 nach Rom kam, waren Opern auffüh run gen ver boten.<br />

Nach einem Erd be ben hat te der Papst sie für über flüs si gen Luxus erklärt. Doch<br />

welt li che Kan ta ten, kur ze dra ma ti sche Sze nen in klei ner Beset zung waren davon<br />

nicht betroffen. Also kom po nier te Hän del kur zer hand in die ser Form. Sei ne Kan taten<br />

han deln von den ganz gro ßen Gefüh len: Lie be in allen tra gi schen, dra ma ti schen<br />

und glück li chen Facet ten. Drei wun der ba re Künst le rin nen haben sich in die se Wer ke<br />

ver tieft: die Sän ge rin nen Sabi ne Devi eil he und Lea Desand re und die Cem ba lis tin und<br />

Diri gen tin Emma nu el le Haïm mit ihrem Barock ensem ble Le Con cert d’Astrée.<br />

Gemein sam ist ihnen eine Ein spie lung gelun gen, die den Hörer sofort in den Bann<br />

der über 300 Jah re alten Musik zieht. Desand re zeigt beson ders in der tra gi schen<br />

Rol le der Lucre zia eine fas zi nie ren de Kraft und Fle xi bi li tät ihrer Stim me. Devi eil he,<br />

als die von ihrem Gelieb ten Rinal do ver las se ne Zau be rin Armi da, ist aus drucks stark<br />

suchend, seh nend. SK<br />

Hän del: „Ita li an Can ta tas“, Sabi ne Devi eil he, Lea Desand re, Le Con cert d’Astrée,<br />

Emma nu el le Haïm (War ner)<br />

32 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


SOLO<br />

Mel Mercier<br />

Füllhorn des<br />

Lebens<br />

Von Beginn an keimt die Erin ne rung an<br />

John Cages zeit los wun der ba res Hörepos<br />

Roara to rio, des sen Fähr te Mer cier<br />

auf nimmt. Das Album klingt wie aus<br />

einem Guss, obwohl der iri sche Sound-<br />

Desi gner Thea ter mu si ken aus ver schiede<br />

nen Schaffens pe ri oden zusam men gestellt<br />

hat. Jede für sich ist eine Col la ge<br />

von Stim men, Tönen, Rhyth men, Melodi<br />

en und Rezi ta ti ons split tern, die wie<br />

Ton trop fen zu einem Oze an des Klangs<br />

wer den. Der Ver weis auf Cage kommt<br />

nicht von ungefähr,<br />

haben doch<br />

Mel Mer cier und<br />

sein Vater Pea dar<br />

Mer cier, ehe mals<br />

Mit glied der<br />

Chief tains, in<br />

Roara to rio mit<br />

der aus ge wo ge nen Bril lanz ihres<br />

Bodhrán spiels für die ver knüp fen de<br />

Rhyth mik gesorgt. Der Vor gang des<br />

Recom po sing and Remi xing hat die einzel<br />

nen Stü cke aus ihrem frü he ren Kontext<br />

befreit und ihnen ein neu es Eigen leben<br />

ver lie hen, das in kel tisch bud dhis tischer<br />

Lee re das Füll horn des Lebens<br />

zeigt. Groß ar tig und hörens wert. SELL<br />

Mel Mercier: „Testament“ (Hersey)<br />

Elmira Darvarova und Zhen Chen<br />

Gemeinsame<br />

Spielfreude<br />

Dem Duo Elmi ra Dar va ro va und Zhen Chen<br />

gelingt es mühe los, den Brahms-Sona ten einen<br />

leben di gen Atem ein zu hau chen. Die Leich tig keit<br />

in den Alle gro-Sät zen har mo niert wun der bar<br />

mit den melan cho li schen und erns te ren Tei len<br />

wie dem Ada gio der G-Dur-Sona te. In wei ser<br />

Vor aus sicht hütet sich das Duo vor jeg li chem<br />

über trie be nen Pathos. Statt des sen ste hen<br />

gemein sa me Spiel freu de, musi ka li sche Erzählkunst<br />

und melo diö ser Gestal tungs wil le im Vorder<br />

grund. Über haupt ist das Zusam men spiel<br />

zwi schen den bei den Instru men ten ganz besonders<br />

aus ge wo gen. Chen zeigt sich als ein fühl samer<br />

Beglei ter, der einen idea len Klang tep pich<br />

für die gra zi len Kan ti le nen Dar va ro vas aus breitet.<br />

Die se ent lockt ihrer Vio li ne eben so fei ne<br />

wie auch mar kan te Töne und über zeugt besonders<br />

in der span nungs rei chen Aus ge stal tung der<br />

gro ßen Brahms’schen Satz struk tu ren. Da fal len<br />

ein paar klei ne into na to ri sche Eigen wil lig kei ten<br />

nicht wei ter ins Gewicht. Durch gän gig inspi riert<br />

und über zeu gend. AF<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Brahms: „The Com ple te Sona tas<br />

for Vio lin and Pia no“, Elmi ra<br />

Dar va ro va, Zhen Chen (Solo<br />

Musi ca)<br />

Track 6 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />

Abo-CD: Sonate für Geige &<br />

Klavier Nr. 3 d-Moll, II. Adagio<br />

Oscar Peterson<br />

Easy-Listening-Jazz<br />

vom Feinsten<br />

Jazz-Puris ten hal ten Oscar Peter sons LP<br />

„Motions & Emo ti ons“ für einen Fehl tritt.<br />

Nach einer Rei he exzel len ter Trio-Alben produ<br />

zier te der kana di sche Kla vier gi gant im Jahr<br />

<strong>19</strong>69 für das Schwarz wäl der Jazz-Label MPS<br />

ein mit ra f inier ten Blä ser- und Strei cher -<br />

arrangements von Claus Ogerman angereichertes<br />

Album, auf dem er aktu el le Pop- und<br />

Bos sa-Nova-Hits von Tom Jobim, den Beat les<br />

oder Hen ry Man ci ni im typi schen Soft Sound<br />

der Zeit zu ver träum ten oder auch sanft<br />

swin gen den „Easy-Listening“-Appetizern verwan<br />

del te, zugleich aber auch hier sei ne<br />

unglaub li che Krea ti vi tät und Vir tuo si tät aufblit<br />

zen ließ. Jetzt hat Edel die ses Uni kum<br />

remas te rt und Start rom pe ter Till Brön ner als<br />

„Ambassa dor“ gewon nen, der im Book let in<br />

höchs ten Tönen davon schwärmt. Tat säch lich<br />

han delt es sich um ein authen ti sches Dokument<br />

des damals herr schen den musi ka li schen<br />

Zeit geis tes und um ein in sei ner Art per fek tes<br />

Arte fakt nobler Unter hal tung. AC<br />

Oscar Peter son: „Moti ons<br />

& Emo ti ons“ (MPS)<br />

JAZZ<br />

SOLO<br />

Boris Giltburg<br />

Gespür für<br />

Zwischentöne<br />

Boris Gilt burg eröff net sei ne Liszt-Ein spie lung mit<br />

der lyri schen Rigo let to-Para phra se, in der er den<br />

Hörer durch eine bezau bern de Sang lich keit sofort<br />

in den Bann zieht. Sei ne dyna mi sche Gestal tung<br />

wie auch der Umgang mit Klang far ben zeu gen von<br />

einem beson de ren Gespür für fei ne Zwi schentö<br />

ne, nicht zuletzt in den vir tuo sen Pas sa gen der<br />

tech nisch unge heu er her aus for dern den Étu des<br />

d´exécution trans cen dan te. Die Inter pre ta ti on der<br />

zwölf Etü den zeich net sich durch einen feu riglei<br />

den schaft li chen Ges tus aus, wobei Gilt burg es<br />

ver steht, die Klang mög lich kei ten des Kla viers voll<br />

und ganz aus zu schöp fen. Im Lyri schen zärt lich und<br />

bewe gend, im Vir tuo sen auf brau send und lei denschaft<br />

lich – Gilt burg beweist, dass Franz Liszts<br />

berühm te Etü den weit mehr zu bie ten haben als<br />

blo ße Vir tuo senkunst. AF<br />

Liszt: „Étu des d’exécution<br />

trans cen dan te“, Boris Gilt burg (Naxos)<br />

Track 7 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />

No. 12 b-Moll „Chasse-neige“,<br />

Andante con moto<br />

FOTO: SASHA GUSOV<br />

33


H Ö R E N & S E H E N<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

René Jacobs<br />

Farbenreich und<br />

vielschichtig<br />

Mit den Sin fo ni en Nr. 1 und Nr. 6 sind auf diesem<br />

Album zwei packen de Früh wer ke Franz<br />

Schu berts zu erle ben, die die sen als eben so<br />

lebens freu di gen wie rin gen den Men schen<br />

offen ba ren. René Jacobs erweckt sie mit seinem<br />

B’Rock Orches tra far ben reich und vielschich<br />

tig zum Leben und fas zi niert dabei mit<br />

einem erfri schend ande ren und direk ten<br />

Zugang zu den Jugend wer ken. Dabei betont er<br />

eben so humor voll, kon trast reich und hin tersin<br />

nig die kar ne val es ken Sei ten der Stü cke,<br />

wie er die dra ma ti schen und düs te ren Phra sen<br />

aus ge stal tet. Das B’Rock Orches tra über zeugt<br />

unter sei ner Lei tung als inten siv und dicht aufspie<br />

len der Klang kör per mit his to ri schen<br />

Instru men ten, der dabei nie an Trans pa renz<br />

ein büßt. Licht und Schat ten, höchs te Freu de<br />

und tie fe Melan cho lie lie gen bei der packenden<br />

Inter pre ta ti on der zwei Sin fo ni en stets<br />

eng bei ein an der und zei gen Schu bert in sei ner<br />

gan zen musi ka li schen Fül le. DW<br />

Schu bert: „Sym pho ny No. 1<br />

& No. 6“, B’Rock Orches tra,<br />

René Jacobs (Pen ta to ne)<br />

Track 1 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />

Abo-CD: Sinfonie Nr. 6 C-Dur,<br />

D. 589, II. Andante<br />

Concentus Musicus Wien<br />

Vollendet<br />

Nie klang Schu berts Unvoll ende te so vollendet<br />

wie in die ser voll kom me nen Einspie<br />

lung des Con cen tus Musi cus Wien<br />

unter Ste fan Gott fried. Bereits als<br />

Teen ager Fan des Ensem bles, war Gottfried<br />

lan ge Har non courts Assis tent und<br />

lei tet seit 2016 die ein zig ar ti ge Musi kerver<br />

bin dung. Schu bert, der nur zwei Sät ze<br />

zu sei ner h-Moll-Sin fo nie hin ter ließ, lässt<br />

bis heu te die Exper ten rät seln. Auch die<br />

Vari an te, Schu bert selbst hät te sie als<br />

voll endet betrach tet, ist eine der Deu tungen.<br />

Das von Schu bert skizzierte Trio<br />

Scherzo Alle gro wur de oft von frem der<br />

Feder aus kom po niert, sel ten so ra f iniert<br />

und ein fühl sam wie hier vom ita lie ni schen<br />

Kom po nis ten Nico la Sama le und dem<br />

deut schen Musik for scher Ben ja min-<br />

Gun nar Cohrs. Die Krö nung der CD<br />

sind Schu berts von Brahms und Webern<br />

orches trier te Lie der, deren viel sa gen de<br />

Inter pre ta tio nen des Aus nah me-Bass ba ritons<br />

Flo ri an Boesch tief berüh ren. SELL<br />

„Schu bert Unfinished“:<br />

Flo ri an Boesch,<br />

Con cen tus Musi cus<br />

Wien, Stefan Gottfried<br />

(Aparte)<br />

TANZ<br />

Juilliard String Quartet<br />

Meilensteine der<br />

Kammermusik<br />

Das Juil li ard String Quar tet zählt zu den<br />

unbe strit te nen Gigan ten unter den Strei cheren<br />

sem bles. Mit te der <strong>19</strong>40er-Jah re reg te<br />

Wil liam Schu man, Lei ter der renom mier ten<br />

Juil li ard School in New York, die Grün dung<br />

eines Resi denz-Quartetts an. Die Musi ker<br />

soll ten älte res Kernrepertoire mit neu er Frische<br />

prä sen tie ren und sich ernst haft mit<br />

Wer ken aus der Gegen wart befas sen. Den<br />

hohen Erwar tun gen wird das Ensem ble seit<br />

Jahr zehn ten gerecht. Mit Ein spie lun gen von<br />

Wer ken Mozarts, Haydns, Beet ho vens, Schuberts,<br />

Bergs oder Car ters hat es inter na tio nal<br />

Maß stä be gesetzt. In der vor lie gen den Box<br />

sind die Gesamt auf nah men für das Label RCA<br />

zwi schen <strong>19</strong>57 und <strong>19</strong>60 ver sam melt. Mit Elan<br />

und Akku ra tes se inter pre tiert das Quar tett<br />

Schu berts Der Tod und das Mäd chen eben so<br />

wie Stü cke von Debus sy und Ravel. Die elf<br />

CDs umfas sen de Box bie tet einen fas zi nie renden<br />

Rück blick auf eine Zeit, in der noch legendä<br />

re Grün dungs mit glie der wie Robert Mann<br />

und Rapha el Hil ly er<br />

dabei waren. CK<br />

„The Com ple te Record ings<br />

<strong>19</strong>57 –60“, Juil li ard String<br />

Quar tet (Sony)<br />

André Previn<br />

Spielerische<br />

Frische und Feuer<br />

Para dox genug: Bis heu te steht die vier ak ti ge,<br />

zwei ein halb Stun den lan ge „ori gi na le“ Bal lett mu sik<br />

zu Shake speares Romeo und Julia, die Ser gei Pro kofjew<br />

<strong>19</strong>36 voll ende te, im Schat ten der drei spek taku<br />

lä ren Orches ter sui ten. Jetzt hat War ner eine<br />

Modellauf nah me der 52-tei li gen Bal lett mu sik auf<br />

drei 180-g-Vinyls wie derauf ge legt, die André Previn<br />

<strong>19</strong>73 in Lon don mit dem Lon don Sym pho ny<br />

Orches tra pro du zier te und die bis heu te nichts<br />

ein ge büßt hat von ihrer betö ren den Far ben pracht,<br />

ihrer spie le ri schen Fri sche und ihrem dra ma ti schen<br />

Feu er. Man staunt vor allem über die sti lis ti sche<br />

Viel falt Pro kof jews, der hier stän dig die Hal tung<br />

wech selt zwi schen Klas si zi tät, Moto rik, Lyris mus<br />

und Gro tes ke. Allein für das tra gi sche Lie bes paar<br />

erfin det er mehr als 20 ver schie de ne The men, die<br />

das Werk leit mo ti visch durch zie hen. So konn te der<br />

damals 44-jäh ri ge Musik di rek tor des Lon don Sympho<br />

ny Orches tra des sen unglaub li che Spiel kul tur<br />

punkt ge nau und rhyth misch swin gend auf blü hen<br />

las sen und die Hand lung im rich ti gen Kon text präsen<br />

tie ren. Auch die Klang qua li tät der Auf nah me ist<br />

exzel lent, sodass sie selbst<br />

nach 45 Jah ren kei ne Konkur<br />

renz fürch ten muss. AC<br />

Pro kof jew: „Romeo and Juliet“,<br />

Lon don Sym pho ny Orches tra, André<br />

Pre vin (War ner)<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Stefan Zweig Trio<br />

Üppige Schwelgerei<br />

Das Ste fan Zweig Trio ist nicht das ers te<br />

Ensem ble, das Alex an der Zem lin skys – für<br />

einen Wett be werb mit Johan nes Brahms als<br />

Jury-Mit glied ent stan de nes – Kla vier trio mit<br />

Vio li ne anstel le der ori gi nal vor ge se he nen<br />

Kla ri net te aufführt. Die se Kom bi na ti on des<br />

Opus Zem lin skys mit dem Debüt werk seines<br />

pro mi nen ten Schü lers Erich Wolf gang<br />

Korn gold hat es in sich. Voll endung und<br />

Auf bruch sind Kate go ri en, die bei de<br />

Schwel len wer ke nur in Teil as pek ten defi nieren,<br />

zumal das Ste fan Zweig Trio sie mit<br />

einer immensen Lust an der Viel falt aller<br />

nur denk ba ren Lega to-Kul tu ren zele briert.<br />

Hier deu tet nichts dar auf hin, dass Arnold<br />

Schön berg als bald die bis dahin gül ti gen<br />

Ton sys te me infra ge stel len wird. Im Gegenteil:<br />

Das Ste fan Zweig Trio ris kiert fast süffi<br />

ge Ele ganz und unver schäm te Run dun gen<br />

mit rei fem bis über rei fem Klang. Die se<br />

„luxu rie ren de Mor bi dez za“ ist gera de für<br />

das Trio des zu sei ner Ent ste hung 13-jäh rigen<br />

Korn golds ide al. DIP<br />

Korn gold: „Kla vier trio<br />

op. 1“, Zem lin sky:<br />

„Kla vier trio op. 3“,<br />

Ste fan Zweig Trio<br />

(Ars Pro duc tion)<br />

Il pomo d’oro<br />

Schönstimmiges<br />

Brüderpaar<br />

Erst nach der Wie der ent de ckung in Göt tin gen<br />

<strong>19</strong>24 wür dig te man, mit welch modern anmuten<br />

der, subtiler Iro nie Hän del die ero ti schen<br />

Ver wir run gen um den Per ser kö nig Arta xer xes<br />

ver tont hat te. Für die 1738 in Lon don wenig<br />

erfolg rei che Oper um das berühm te Lar go<br />

ori en tier te er sich an Sil vio Stam pi gli as Libretto<br />

für Gio van ni Bonon ci ni. Unter Maxim<br />

Emely any chev macht das Ori gi nal klang-<br />

Ensem ble Il pomo d’oro sei nem Namen<br />

alle Ehre. Das gel be Label hat nach Fran co<br />

Fagio lis fas zi nie ren dem Hän del-Album um den<br />

argen ti ni schen Coun ter te nor und Vivi ca<br />

Genaux in den Par ti en der so unter schied lichen<br />

Brü der Ser se und Arsa mene ein stil kundi<br />

ges und mit allen voka len Fines sen agie rendes<br />

Ensem ble arran giert. Inten siv gestal te te<br />

Rezi ta ti ve, ein jugend lich dyna mi scher Vortrag,<br />

dazu opti ma les Gespür für die Spannungsbögen<br />

von Händels Arien-Ketten machen<br />

die se Neu ein spie lung zum Ver gnü gen. DIP<br />

„Han del: Ser se“, Fran co<br />

Fagio li, Vivi ca Genaux, Inga<br />

Kal na u. a., Il pomo d’oro,<br />

Maxim Emely any chev<br />

(Deut sche Gram mo phon)<br />

ALTE<br />

MUSIK<br />

34 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


„It changed my life. It is impacting,<br />

seismic – like an earthquake.“<br />

Zane Zalis, Komponist<br />

„Musik ist der Schlüssel<br />

zu unseren Herzen.“<br />

Rabbi Peretz Weizmann<br />

I<br />

BELIEVE<br />

A HOLOCAUST ORATORIO FOR TODAY<br />

Chor- und Orchesterwerk von Zane Zalis<br />

Solitude Chor © Foto HaWa, Material der Staatsoper Lodz<br />

SA / 9. MRZ 20<strong>19</strong> / 20.00 UHR<br />

HISTORISCHE STADTHALLE / WUPPERTAL<br />

SO / 10. MRZ 20<strong>19</strong> / 18.00 UHR<br />

ERHOLUNGSHAUS / LEVERKUSEN<br />

Kelsey Cowie (Sopran) / Jean-Pierre Quellet (Tenor) / Marko Zeiler (Bass),<br />

Solitude-Chor Stuttgart / Einstudierung: Klaus Breuninger,<br />

Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal / Einstudierung: Georg Leisse,<br />

Leverkusener Kinder- und Jugendchor / Einstudierung: Nicole Jers und<br />

Martin te Laak, Sprecher: Stefan Müller-Ruppert<br />

Bayer-Philharmoniker / Dirigent: Bernhard Steiner<br />

Karten: 26 bis 36 Euro<br />

35


H Ö R E N & S E H E N<br />

4 Wheel Drive<br />

Top-Quartett mit<br />

Pop-Klassikern<br />

4 Wheel Dri ve heißt das ers te Album eines neu en<br />

Quar tetts euro päi scher Jazz-Grö ßen, die ein an der<br />

lan ge ken nen und schon in ver schie de nen For ma tionen<br />

mit ein an der gear bei tet haben: Ange trie ben von<br />

den fet zi gen Soli des schwe di schen Posau nen-Cracks<br />

Nils Land gren, ver zah nen sich Micha el Woll ny (Pia no),<br />

Lars Dani els son (Bass) und Wolf gang Haff ner (Per kussi<br />

on) zu einem musi ka li schen Hoch leis tungs mo tor, der<br />

in vier vir tuo sen Eigen kom po si tio nen und acht klas sischen<br />

Popsongs von Sting, Phil Col lins, Bil ly Joel und<br />

Paul McCart ney die se Ohr wür mer kraft voll neu aufbe<br />

rei tet, wobei Land gren in sechs bal la des ken Titeln<br />

mit rau chig-sanf ter Stim me auch den Vokal part übernimmt.<br />

Ein über wei te Stre cken über ra schend ruhi ges,<br />

besinn lich-inti mes Album ver eint vier star ke Pro fi le in<br />

traum wand le ri scher Homo ge ni tät und bestechen der<br />

Dich te und scheint wie geschaffen für beschau li che<br />

Win ter aben de. Zwi schen drin aber geben die vier auch<br />

wie der mäch tig Gas und las sen ihre Funk- und Rock-<br />

Gene auf blit zen, so in einer kna cki gen 7/8-Ver si on von<br />

Lady Madon na. Ist es womöglich<br />

die Geburt einer neu en<br />

Super-Group? AC<br />

Nils Landgren, Michael Wollny, Lars<br />

Danielsson, Wolfgang Haffner:<br />

„4 Wheel Drive“ (ACT)<br />

JAZZ<br />

FOTO: STEPHEN FREIHEIT<br />

John Cranko<br />

Unerfüllte Liebe<br />

und Leidenschaft<br />

Die Erfolgs ge schich te des Stutt gar ter Bal letts ist<br />

eng mit John Cran ko ver knüpft. In den zwölf Jahren<br />

sei ner Amts zeit als Direk tor von <strong>19</strong>61 bis<br />

<strong>19</strong>73 avan cier te es zu den welt bes ten Com pagni<br />

en. Grund war auch die Cho reo gra fie des<br />

Hand lungs bal letts One gin. Mit ihr über setz te<br />

Cran ko den Vers ro man von Alex an der Pusch kin<br />

in getanz te Bewe gun gen von vier Solis ten und<br />

einem gro ßen Corps de bal let. In drei Akten<br />

erzäh len sie zu Tschai kow sky-Klän gen von unerfüll<br />

ter Lie be und Lei den schaft. Auch 52 Jah re<br />

nach der Urauffüh rung über zeugt die Qua li tät des<br />

Klas si kers bei jeder prä zi sen Pirou et te, jedem virtuo<br />

sen Pas de deux, jedem kraft vol len Sprung. In<br />

ästhe ti schen Kos tü men und dem Büh nen bild von<br />

Jür gen Rose tau chen Ali cia Ama triain als Tat ja na<br />

und Frie de mann Vogel als One gin ein ins Russ land<br />

des <strong>19</strong>. Jahr hun derts. Beson der heit der Aufführung<br />

ist Bal lettlegen de Mar cia Hay dée als Tat ja nas<br />

Kin der mäd chen. Die Bonus-DVD ent hält ein ausgie<br />

bi ges Inter view mit ihr, Jür gen Rose und Reid<br />

Ander son, der das Stutt garter<br />

Bal lett bis Som mer 2018<br />

lei te te. ASK<br />

„The Stuttgart Ballet in John Cranko’s<br />

Onegin“, Stuttgart Ballet, State<br />

Orchestra Stuttgart, James Truggle<br />

(Cmajor)<br />

TANZ<br />

Till Fellner<br />

Eleganz und Ruhe<br />

SOLO<br />

In einer Zeit von gehyp ten, PR-Agen turgestrie<br />

gel ten Instru men ta lis ten sticht Till<br />

Fell ner – ob sei ner zumin dest schein ba ren<br />

Zurück hal tung – eben nicht her aus. Als<br />

Alfred-Bren del-Lieb ling zwar durch aus<br />

mit Vor schuss lor bee ren auf den Solis tenpar<br />

cours ent las sen, scheint sich sei ne Karrie<br />

re etwas ver hal ten ent wi ckelt zu haben<br />

und Fell ner sel ber per ma nent unterschätzt<br />

zu wer den. Da erfreut die se Neuerschei<br />

nung, auch wenn die Ein spie lun gen<br />

schon 16 (Liszts ers tes Buch der Années<br />

de pèle ri na ge) bzw. zehn (Beet ho vens Opus<br />

111) Jah re alt sind. Fell ner ist kein Liszt-<br />

Prüg ler: Sein Liszt ist betö rend, mode rat,<br />

sub til. Sein gla mourfrei er Ansatz, sein feines<br />

Spiel und sein gera de in Val lée d’Obermann<br />

fri scher Zug nach vorn, machen Lust<br />

auf mehr und Neu es von Fell ner. Der<br />

Beet ho ven – eine abtrün ni ge Note zum<br />

Ende des Alle gro con brio sowie Applaus<br />

ver ra ten die Live-Natur der Auf nah me –<br />

besticht durch Ele ganz und Ruhe. JFL<br />

Beet ho ven: „Sona ta<br />

No. 32 op. 111“, Franz<br />

Liszt: „Années de<br />

pèle ri na ge“ u. a.,<br />

Till Fell ner (ECM)<br />

Karim Said<br />

Klangliche<br />

Korrespondenzen<br />

Zwei Stü cke von Wil liam Byrd bil den den Rah men<br />

für das unge wöhn li che Pro gramm die ser Aufnah<br />

me, in dem sich eng li sche Kom po nis ten der<br />

Renais sance neben Ver tre tern der Zwei ten Wiener<br />

Schu le wie der fin den. Die Ers te ren sind allesamt<br />

Schü ler oder Nach fol ger Byrds; das ande re<br />

Ende des Spek trums bil den Arnold Schön berg und<br />

sein Schü ler Anton Webern. Für Karim Said steht<br />

im Zen trum die ser Ver bin dung Johan nes Brahms’<br />

Zwei te Kla vier so na te. Die ses Werk zeich net sich<br />

durch diver se Ver wei se auf den Stil illus trer Kol legen<br />

und Vor bil der aus. Es bil det damit das Programm<br />

die ses Albums im Klei nen ab und ist<br />

gleich zei tig des sen Dreh- und Angel punkt. So<br />

prägt die Sona te auch Saids Inter pre ta ti on der<br />

älte ren und neue ren Wer ke. Der jor da ni sche Pianist<br />

bün delt die se so unter schied li chen Stü cke in<br />

eine homo ge ne Inter pre ta ti on, die Puris ten der<br />

Alten oder Neu en Musik Tole ranz abver langt.<br />

Lässt man sich dar auf ein, erkennt man intui tiv<br />

struk tu rel le und klang li che Kor re spon den zen, und<br />

die Wer ke grup pie ren sich zu einer gro ßen Sui te.<br />

Saids Ver dienst ist es auch, durch die kon tras tieren<br />

de Anord nung der Stü cke deren jewei li ge<br />

Beson der hei ten offen bar<br />

wer den zu las sen. LXR<br />

Byrd, Mor ley, Webern,<br />

Schoe n berg, Brahms u. a.:<br />

„Lega cy“, Karim Said (Rubicon)<br />

36 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


OPER<br />

Vox Luminis<br />

Leuchtende<br />

Stimmen<br />

Beschwingt tän zeln de Chö re, melan cho lisch<br />

abgrün di ge Ari en sowie krie ge risch auf trumpfen<br />

de Pau ken und Trom pe ten: Es sind ungewohn<br />

te Klän ge, die das bel gi sche Vokalensemble<br />

Vox Lumi nis unter der Lei tung seines<br />

Grün ders, des fran zö si schen Flö tis ten und<br />

Trom pe ters Lio nel Meu nier, in sei ner neu en<br />

Ein spie lung prä sen tiert. Liegt der Schwerpunkt<br />

des Ensem bles doch in der geist li chen<br />

Vokal mu sik Deutsch lands und Ita li ens des 17.<br />

und 18. Jahr hun derts. Mit Hen ry Pur cells King<br />

Arthur wen det es sich nun erst ma lig der<br />

Gat tung Oper und der eng li schen Spra che zu.<br />

Den Merk ma len der eng li schen Barock oper<br />

fol gend, besteht das Werk aus gespro che nen<br />

Schau spiel tex ten, die sich aller dings nicht auf<br />

der CD fin den, und kom men tie ren den Musiknum<br />

mern für wech seln de Beset zun gen. Mit<br />

stimm ge wal ti gen, gewitz ten und stel len wei se<br />

auch stark cha rak ter lich gefärb ten Stim men<br />

bie tet das Ensem ble ein durch gän gi ges,<br />

abwechs lungs rei ches Hör ver gnü gen. FA<br />

Pur cell: „King Arthur“, Vox<br />

Lumi nis, Lio nel Meu nier<br />

(Alpha)<br />

Track 3 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />

Abo-CD: Woden, first to thee<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Amati Quartett<br />

Unerschöpflicher<br />

Einfallsreichtum<br />

Dis zi plin ist eben nicht alles: Sei ne sechs<br />

Quar tet te op. 50 hat Joseph Haydn mit dem<br />

Bei na men „Preu ßisch“ ver se hen. Sie sind<br />

dem instru men tal offen bar nicht ganz unbegab<br />

ten Fried rich Wil helm II. gewid met, der<br />

sich nicht nur der viel apo stro phier ten preußi<br />

schen Tugen den rühm te, son dern als<br />

kunst sin ni ger Mäzen in die His to rie ein ging.<br />

In jeder Hin sicht tugend haft ist auch die se<br />

Dop pel-CD des Ama ti Quar tetts. Die vier<br />

Strei cher wid men sich Haydns mal über aus<br />

humo ri gen, mal ziem lich ver schmitz ten<br />

Quar tett küns ten mit der gebo te nen Ernsthaf<br />

tig keit, aber auch einer gro ßen Leich tigkeit.<br />

Flufg-beschwingt wird etwa das Fina le<br />

des F-Dur-Quar tetts absol viert, mit bur schi kosem<br />

Charme das Menu ett des Es-Dur-Quartetts.<br />

Stets fin det man das rich ti ge Maß für<br />

Haydns schier uner schöpfl i chen Ein falls reichtum<br />

und spielt auf höchs tem Niveau. GK<br />

Haydn: „String Quar tets, op. 50“, Ama ti Quar tett (Solo<br />

Musi ca)<br />

Track 4 auf der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />

Streichquartett op. 50,6<br />

D-Dur Hob. III:49, II.<br />

Poco Adagio, Menuetto<br />

Mariss Jansons<br />

Romantische<br />

Sinnlichkeit<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Beethovens Mes se in C-Dur op. 86 steht von jeher<br />

ein wenig im Schat ten der „gro ßen Schwes ter“<br />

Mis sa Solem nis. Sie offen bart nicht wie jene das<br />

gro ße Rin gen, die künst le ri sche Aus ein an der setzung<br />

mit dem Glau ben, bie tet aber eben falls eine<br />

rei che Palet te an Aus drucks nu an cen und indi vi duel<br />

len Deu tun gen des lit ur gi schen Tex tes. Die se<br />

lässt Mariss Jan sons mit sei nem groß arti gen<br />

BR-Sym pho nie or ches ter und Chor auf fas zi nieren<br />

de Wei se hör bar wer den, vom wie aus dem<br />

Nichts kom men den Beginn über ein dring li che<br />

Pia no-Geflech te bis hin zur gro ßen Klang de monstra<br />

ti on – immer unprä ten ti ös, sinn lich und differen<br />

ziert. Für Jan sons gehört Beet ho ven defi ni tiv<br />

zur Roman tik, den noch ist der Klang schlank, flexi<br />

bel und ohne auf ge setz ten Pomp; eine Les art,<br />

die auch das homo ge ne, kul ti viert sin gen de Solisten<br />

quar tett mit trägt. Als „Raus schmei ßer“ gibt<br />

es eine ful mi nan te, mit sin fo ni schem Feu er atem<br />

gespiel te Leo no re III. FS<br />

Beet ho ven: „Mes se C-Dur op. 86“ u. a., Chor und Sym pho nie -<br />

or ches ter des Baye ri schen<br />

Rund funks, Mariss Jan sons<br />

(BR Klas sik)<br />

Track 10 auf der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Messe<br />

C-Dur op. 86, VI. Agnus Dei<br />

Lunascope<br />

Abnehmend hektisch, zunehmend<br />

himmlisch: die erste MeisterSinger<br />

mit Mondphasenmodul<br />

<br />

37<br />

www.meistersinger.de


H Ö R E N & S E H E N<br />

Unerhörtes & neu Entdecktes<br />

von Christoph Schlüren<br />

HERRLICH RAU UND WILD<br />

Kammermusik von Albert Roussel, Florent Schmitt, Hans Weisse und anderen.<br />

Im April steht der 150. Geburtstag von Albert Roussel (1869–<strong>19</strong>37)<br />

an, jenes ganz großen französischen Meisters im Schatten seiner<br />

Zeitgenossen Debussy und Ravel. Und immer noch mangelt es an<br />

wirklich herausragenden Aufnahmen seiner Musik, insbesondere<br />

auch seiner Kammermusik, die an Originalität und Meisterschaft<br />

unübertroffen ist. Sicher liegt das ein wenig daran, dass Roussel bis<br />

auf sein Frühwerk nicht ins impressionistische Klischee passt und<br />

überhaupt herrlich ungefällig rau und wild ist.<br />

Ein Glücksfall ist daher die neue Duo-CD der Geigerin Hélène<br />

Collerette und der Pianistin Anne Le Bozec bei Signature, die neben<br />

der mit architektonischer Präzision und geradezu klassischer Clarté<br />

bestechenden Zweiten Sonate Roussels noch die gigantisch angelegte,<br />

rauschhaft ornamentierende Sonate libre in zwei Sätzen vom ebenfalls<br />

maßlos unterschätzten Florent Schmitt (1870–<strong>19</strong>58) enthält.<br />

Dieses gut halbstündige Werk ist eine Enescu oder Szymanowski<br />

vergleichbare Herausforderung und dürfte bei Konzerten sensationell<br />

ankommen. Doch bei Schmitt, der in späteren Jahren eine unglückliche<br />

Zuneigung zum Vichy-Vasallenregime gepflegt hatte, kann man<br />

ähnlich wie bei Hans Pfitzner zumindest verstehen, dass es außermusikalische<br />

Gründe für die Vernachlässigung gab.<br />

Das Programm wird abgerundet durch die horrend virtuose<br />

Sonate von <strong>19</strong>61 des Franko-Kanadiers André Prévost (<strong>19</strong>34–2001),<br />

die musikalisch nicht auf derselben Höhe<br />

steht, uns jedoch mit einem weiteren entdeckenswerten<br />

und eigentümlichen Meister<br />

bekannt macht. Hélène Collerette frappiert<br />

nicht nur mit staunenswerter technischer<br />

Makellosigkeit, sie verzaubert mit äußerst<br />

farbenreichem Klang und vielschichtigem,<br />

unendlich nuancenreichem Ausdruck, ohne<br />

in die Niederungen billiger Effekthascherei abzugleiten.<br />

Und Anne Le Bozec mit ihrem groovigen Zugriff<br />

und empathischen Selbstverständnis ist ihr eine grandiose<br />

Partnerin. So wunderbar kann ein<br />

Album für diese Standardbesetzung sein,<br />

wenn nicht nur das Können, sondern auch der<br />

Mut und die Liebe groß genug sind.<br />

Einige weitere aktuelle Kammermusikempfehlungen<br />

seien dem angefügt. Darunter<br />

ragt insbesondere die schöpferische Größe des<br />

Wiener jüdischen Schenker-Schülers Hans<br />

Weisse (1892–<strong>19</strong>40) heraus, dessen dreiviertelstündiges Klarinettenquintett<br />

in vollendeter Weise zeitlos auf Bahnen „junger Klassizität“<br />

(um Busoni zu zitieren) schreitet, die man in ihrer Haltung zu Brahms<br />

zurückverfolgen kann – auch in der introvertiert-dramatischen<br />

Atmosphäre, kontrapunktischen Raffinesse und modulatorischen<br />

Meisterschaft (MDG). Hochinteressant sind drei Streichquartette des<br />

Briten Leonard Salzedo (<strong>19</strong>21–2000), der als Ballett- und Filmkomponist<br />

sehr angesehen war.<br />

Stilistisch könnte man meinen, er sei Spanier – und zugleich liegt<br />

in all dem zündenden Esprit eine Abgeklärtheit, die den Wunsch<br />

nährt, noch viel weitere Musik seines so umfangreichen wie unbekannten<br />

Schaffens kennenzulernen (darunter ein großes rein instrumentales<br />

Requiem für großes Orchester). Arnold Cooke (<strong>19</strong>06–2005)<br />

hingegen ist in England immer wieder aufgenommen worden, und<br />

wer wie ich findet, dass Hindemith auch wertvolle Stilverwandte haben<br />

darf, wird an Cookes kunstreichen Werken für Violine (allein, mit<br />

Klavier, mit Bratsche) große Freude haben (beide CDs bei MPR).<br />

Der gleichen Generation entstammt der Schwede Dag Wirén<br />

(<strong>19</strong>05–<strong>19</strong>86), dessen komplette verfügbare Quartette das Wirén Quartet<br />

für Naxos vorbildlich eingespielt hat: kurzweilige, äußerst vitale<br />

Musik, die zugleich die Reduktion aufs absolut Wesentliche betreibt.<br />

Ein gänzlich Unbekannter tritt uns, wie so oft bei Toccata<br />

Classics, mit Hans Winterberg (<strong>19</strong>01–<strong>19</strong>91) entgegen, einem tschechischen<br />

Juden, der Theresienstadt überlebte und danach in München<br />

wohnte. Eigentlich hätte seine fast minimalistisch<br />

expressive Bläser-Kammermusik, die<br />

ehestens an den Janáček des Concertino<br />

anknüpft, dort ja von Orff und Killmayer als<br />

geistesverwandt erkannt werden müssen. Nun<br />

wird sie erst postum entdeckt.<br />

■<br />

Florent Schmitt, Albert Roussel, André Prévost:<br />

„Sonates“, Hélène Collerette, Anne Le Bozec<br />

(Signature)<br />

Weisse: „Chamber Music“, Berolina Ensemble (MDG)<br />

Leonard Salzedo: „String Quartets 1, 5 and 10“,<br />

Archaeus Quartet (MPR)<br />

Arnold Cooke: „The Complete Violin Sonatas“,<br />

The Pleyel Ensemble (MPR)<br />

Dag Wirén: „String Quartets Nos. 2-5“, Wirén Quartet (Naxos)<br />

Hans Winterberg: „Chamber Music“, Volume One, Arizona Wind<br />

Quintet (Toccata Classics)<br />

38 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


La Fura dels Baus<br />

Schöpfungsspektakel<br />

Die se Kopro duk ti on der Lud wigs bur ger Schloss fest spie le<br />

mit der Elb phil har mo nie prä sen tiert Joseph Haydns Schöpfung<br />

in einer sze ni schen Insze nie rung von Car lus Pad ris sa<br />

von La Fura dels Baus. Die sze ni sche Gestal tung nimmt<br />

sich des Inhalts der Schöp fungs ge schich te an und erwei tert<br />

die sen um eine aktu el le poli ti sche Dimen si on. Im Kon trast<br />

zum Libret to, das als unbe schwer te Lobes hym ne auf die<br />

Erschaffung der Welt vor dem Sün den fall endet, führt die<br />

Insze nie rung dar über hin aus in die sün di ge Rea li tät von<br />

Ver trei bung und Not. Der Chor stellt Flücht lin ge aus verschie<br />

de nen Län dern und Zei ten dar. Am drit ten Tag, als<br />

Gott die Erde vom Was ser schei det, springt ein jun ger<br />

Mann mit Schwimm wes te in einen Was ser tank. Ange sichts<br />

der vie len visu el len Ele men te wie Schrift, Licht, auf wen di ge<br />

Kos tü me, leuch ten de Tablets in den Hän den der Chor sänger<br />

wird die Musik stel len wei se fast zur Film mu sik degradiert,<br />

was der Leis tung der Diri gen tin und der Sän ger<br />

kei nes wegs gerecht wird. Lau rence Equil bey diri giert das<br />

Insu la orches tra sowie den Chor Accen tus und das Sän gerensem<br />

ble mal wuch tig, mal trei bend, mit fei nem Gespür für<br />

den spe zi fi schen Cha rak ter der auf ein an der fol gen den Tage<br />

in Haydns Par ti tur. Beson ders Dani el Schmutz hard als<br />

Raphael/Adam und Mari Eriks mo en als Gabriel/Eva begeistern<br />

mit ihrer far ben rei chen Inter preta<br />

ti on. Die Bild re gie ver mit telt einen<br />

guten Ein druck der bild ge wal ti gen<br />

Insze nie rung. LXR<br />

Haydn: „Die Schöpfung“, Accentus, Marc Korovitch,<br />

Insula orchestra, Laurence Equilbey,<br />

La Fura dels Baus (Naxos)<br />

Jürgen Flimm<br />

Mozart in der<br />

Sommerfrische<br />

FILM<br />

Sel ten erlebt man eine der art beschwing te Auffüh rung<br />

von Mozarts Oper Hoch zeit des Figa ro wie auf die sem<br />

exzel len ten Mit schnitt. Zum Ende sei ner Zeit als Intendant<br />

der Staats oper Unter den Lin den hat Jür gen Flimm<br />

den berühm ten Stoff mit viel Sinn für die komö di an tischen<br />

Zwi schen tö ne insze niert. Das Ergeb nis ist ein<br />

mär chen haf ter Opern rei gen mit hoch ka rä ti ger Besetzung.<br />

Dabei durch le ben die Sän ge rin nen und Sän ger als<br />

„Som mer gäs te“ des Hau ses hin ge bungs voll Lie bes leid<br />

und -freud. Neben Lau ri Vasar als ein drucks vol lem Figaro<br />

sind es ins be son de re die Frau en stim men, die viel seitig<br />

in den Bann zie hen, allen vor an Anna Pro has ka als<br />

gran dio se Susan na und Doro thee Rösch mann als Rosina.<br />

Die Staats ka pel le Ber lin über zeugt unter Lei tung<br />

von Gus ta vo Duda mel mit opu lentem<br />

Klang und voll endet eine Inszenie<br />

rung von eben so gro ßer Ele ganz<br />

wie Leicht fü ßig keit. DW<br />

Mozart: „Le nozze di Figaro“, D’Arcangelo,<br />

Röschmann, Prohaska u. a., Staatsoper Unter<br />

den Linden, Gustavo Dudamel (Accentus)<br />

Edvard Grieg<br />

Fanatische Liebe zur Heimat<br />

Da sitzt er als alter Mann auf einem Boot im Fjord wohl in der Nähe<br />

seines Hauses in Troldhaugen bei Bergen und lässt sein Leben Revue<br />

passieren: der Komponist Edvard Grieg (1843–<strong>19</strong>07). Ruhelos war er,<br />

immer auf der Suche nach seelischem Frieden, nach Glück und Perfektion,<br />

geprägt von einer großen Liebe zur Heimat. „Diese fanatische, fast<br />

dämonische Liebe zur Heimat ist die Stärke, aber auch die Begrenzung<br />

Griegs“, schrieb etwa G. Schjelderup <strong>19</strong>07 in seinem Nekrolog auf den<br />

gerade verstorbenen Komponisten. „Meister wie Bach und Beethoven“,<br />

sagte Grieg einmal, „haben auf den Höhen Kirchen und Tempel errichtet,<br />

ich aber will in den Tälern Wohnstätten für Menschen<br />

bauen, in denen sie sich heimisch und glücklich fühlen<br />

sollen.“ Es gelang ihm. Regisseur Olofsson lässt seinen<br />

Protagonisten – verkörpert vom Pianisten Staffan<br />

Scheja – in Musik, Wort und Bild sprechen. Ein<br />

wunderbarer Film! TPR<br />

BUCH<br />

„The Musical Biopic of Edvard Grieg: What Price Immortality?“<br />

A film by Thomas Olofsson und Ture Rangström (Arthaus)<br />

Thomas Bernhard<br />

Paket mit belastenden Themen<br />

Er kann te sei nen Vater nicht, litt unter der feh len den Lie be sei ner<br />

Mut ter und des po ti schen Leh rern, erkrank te mit 18 Jah ren schwer<br />

und lag mona te lang in Ster be zim mern sowie Sana to ri en: Tho mas<br />

Bern hards Kind heit und Jugend waren so schwie rig, dass er schon<br />

früh an Selbst mord dach te. Ent spre chend düs ter ist die Zeit rei se in<br />

sei ne Ver gan gen heit, auf die er sich in fünf auto bio gra fi schen Schriften<br />

begibt. Bedrü cken de Lebens um stän de, aus sichts lo se Exis ten zen,<br />

Schmerz und Trau er rekon stru iert der Autor wort ge wal tig und<br />

foto gra fisch genau; Licht bli cke sind außer Besu chen bei sei nem<br />

Groß va ter und auf einem Bau ern hof drei glück li che Jah re als Lehrling<br />

des Salz bur ger Lebens mit tel händ lers Pod laha, in denen sich<br />

Bern hard nütz lich und ande ren Men schen nahe fühl te.<br />

Nach und nach packt er so „vor Zeu gen“ ein „Paket“<br />

mit belas ten den The men aus, die ihn nach hal tig prägten<br />

und ein Schlüs sel zu sei nem Werk sind. Das Bild<br />

des <strong>19</strong>89 ver stor be nen Autors ver voll stän di gen zar te<br />

Aqua rel le von Erwin Wurm, der wie Bern hard zu den<br />

bedeu tends ten Künst lern Öster reichs zählt. ASK<br />

Thomas Bernhard: „Autobiographische Schriften“ mit Aquarellen von<br />

Erwin Wurm (Residenz Verlag)<br />

FOTO: ARTHAUS<br />

39


M E I N U N G<br />

Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />

AUF EIN WORT,<br />

LIEBE SPORTSFREUNDE<br />

Der Sportbund in Bonn findet, dass zu viel Geld für die Kultur ausgegeben<br />

wird – dabei sitzen Vereine und Orchester im selben Boot.<br />

Plädoyer gegen eine Spaltung der Gesellschaft und für mehr Solidarität.<br />

Vielleicht steht diese Kolumne im falschen Blatt, vielleicht wäre<br />

sie im „Kicker“ besser aufgehoben oder in der Vereinszeitung des<br />

Bonner Sportbundes. Hier in <strong>CRESCENDO</strong> werden wir wahrscheinlich<br />

ziemlich schnell einig sein, dass Sport und Musik<br />

keine Gegner, sondern Partner im Kampf gegen eine vermeintlich<br />

durchoptimierte Gesellschaft sein können – ja, müssen! Umso<br />

wichtiger, ein offenes Wort mit unseren Sportsfreunden zu führen,<br />

um zu merken, dass es viele Parallelen zwischen Noten und Trainingsplänen,<br />

Konzerthäusern und<br />

Stadien gibt.<br />

Konkret geht es darum:<br />

Kürzlich hat der Sportbund Bonn<br />

eine etwas verunglückte Pressemitteilung<br />

herausgegeben. Mit<br />

„großer Aufmerksamkeit“ habe<br />

man zur Kenntnis genommen,<br />

dass der Generalmusikdirektor<br />

des Beethoven Orchesters, Dirk<br />

Kaftan, gesagt hätte, Hochkultur würde bei ihm eine „Art Würgereiz“<br />

auslösen. Der Sportbund ist echauffiert, immerhin flössen<br />

Bonner Steuermillionen in Theater und Beethoven Orchester, ja,<br />

60 Millionen in die Kulturförderung der Stadt insgesamt! Zu viel,<br />

findet der Sportbund nun und rechnet vor: 105,5 Orchesterstellen<br />

und 14 Büroangestellte habe Kaftans Orchester. Wie könne<br />

es sein, dass nur sechs Orchester in Deutschland größer seien als<br />

das in Bonn? Wie, dass ein Ensemble wie das Mozarteumorchester<br />

Salzburg mit 91 Musikern auskommt? Immerhin würde Salzburg<br />

sogar mit „Hochkultur“ werben, die Kaftan so verachte. Fazit der<br />

Sportler: Bonn gibt zu viel Geld für „Hochkultur“ aus, insbesondere<br />

für Oper und Orchester, und würde Kaftan nicht mindestens<br />

EIN ORCHESTER SOLL KEINE ELITÄRE<br />

MUSIKERTRUPPE SEIN, SONDERN<br />

KULTURELLE GRUNDVERSORGUNG<br />

3,5 Millionen sparen, werde man dem Beethoven Orchester vom<br />

Spielfeldrand auch weiterhin zubuhen.<br />

Die Wahrheit sieht etwas differenzierter aus, ist aber längst<br />

nicht so kompliziert wie die Abseitsregel, sollte also auch für die<br />

Sportfreunde verständlich sein! Auf einem Bildungsempfang hat<br />

Dirk Kaftan sich Gedanken über das Wort „Hochkultur“ gemacht.<br />

Sein Gedankengang: Während die Kultur immer mehr unter<br />

gesellschaftlichem Druck steht, viele Politiker erfolgreich argumentieren,<br />

dass mit Orchestersubventionen<br />

lediglich Veranstaltungen<br />

für Reiche gefördert würden,<br />

wolle er gern auf dieses Wort, das<br />

zum gesellschaftlichen Kampfbegriff<br />

geworden sei, verzichten.<br />

Stattdessen schlug Kaftan vor, von<br />

„Tiefen-Kultur“ zu reden. So würde<br />

klar werden, dass sein Orchester<br />

in die tieferen Schichten der Stadt<br />

eindringe, dass das Beethoven Orchester sich auch als Bildungseinrichtung<br />

für Jugendliche verstehe, mit seinen Konzerten in Stadtteile<br />

ziehe, die ansonsten nur wenig mit klassischer Musik zu tun<br />

hätten, und dass sein Orchester keine elitäre Musikertruppe, sondern<br />

eine kulturelle Grundversorgung für alle Bonner sein wolle.<br />

Kaftan argumentiert, dass mit dem Begriff der „Tiefen-Kultur“<br />

klarer würde, warum eine Stadt wie Bonn sich überhaupt<br />

ein Orchester, ein Theater und eine Oper leiste: weil sie allgemein<br />

zugängliche Säulen des Diskurses sind, weil sie dort einspringen,<br />

wo viele Schulen längst aufgegeben haben (etwa im Musikunterricht),<br />

weil sie täglich beweisen, dass Musik das Zuhören, das Miteinander,<br />

die Konzentration und Aufmerksamkeit fördert – all<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

40 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


jene Eigenschaften also, die gerade bei Schülern oft als Defizite<br />

festgestellt werden. Dass sein Orchester nicht elitär ist, nicht im<br />

Elfenbeinturm auf das gut betuchte Publikum wartet, sondern alle<br />

Menschen vor Ort besucht und begeistert.<br />

All das müssen die Leute vom Sportbund irgendwie in den<br />

falschen Hals bekommen haben. Das ist umso absurder, da sie<br />

die eigentlich gleiche Ausgangsposition wie das Orchester haben:<br />

Auch der Sport wird an unseren Schulen schon lange nicht mehr<br />

ernst genommen – neben dem Musikunterricht das Fach, das am<br />

meisten ausfällt. Gleichsam hat der Sport eine ähnliche gesellschaftliche<br />

Kraft wie die Musik: Teamgeist, Integration, Ausdauer,<br />

Konzentration – in Turnhallen, auf Bolzplätzen und Tartanbahnen<br />

werden ebenfalls gesellschaftliche Tugenden gefördert wie auf<br />

Orchesterpodien und in den Rängen eines Konzertes.<br />

Mit Verlaub, lieber Sportbund in Bonn: Wie absurd, bitte<br />

schön, ist eure Argumentation gegen das Theater? Wäre Solidarität<br />

nicht die bessere Positionierung als eine billige Neiddebatte?<br />

Die Kultureinrichtungen der Stadt sind nicht eure Feinde, sie sind<br />

eure natürlichen Freunde, sie haben ähnliche Auswirkungen auf<br />

das Bildungsniveau und den Geist einer Stadt. Es ist wissenschaftlicher<br />

common sense, dass Sport<br />

und Musik dafür sorgen, dass wir<br />

keine Fachidioten werden, dass<br />

wir aufgeschlossene, ausdauernde<br />

und kreativ denkende Mathematiker,<br />

Chemiker und Ärzte ausbilden.<br />

Vorzeige-Bildungssysteme<br />

wie Finnland wissen, dass ihr<br />

gutes Abschneiden in Fächern wie<br />

Mathematik und Naturwissenschaften<br />

darauf zurückzuführen ist, dass an den Schulen des Landes<br />

Musik und Sport gleichberechtigt zu allen anderen Fächern<br />

unterrichtet werden.<br />

Was an der Bonner Debatte wirklich aufregt, ist, dass hier<br />

etwas passiert, das politisch vielleicht sogar gewollt ist. Fragen nach<br />

Steuergeldern werden immer öfter mit Entweder-oder-Fragen vorgelegt:<br />

Schwimmbad oder Kunsthalle? Kindergarten oder Opernhaus?<br />

Neue Straßen oder Schauspielhaus? Und nun eben: Sportverein<br />

oder Orchester? Derartige Zuspitzungen sind Quatsch, fördern<br />

Neid und verhindern Solidarität. Jeder Sportverein und jedes<br />

Orchester sollte derartigen Debatten eine Absage erteilen – sonst<br />

ist er das nächste Opfer.<br />

In Bonn lässt sich der Sport gegen die Kultur ausspielen. Mit<br />

fatalen Folgen. Weil genau das für eine gesellschaftliche Stimmung<br />

sorgt, an deren Ende beide – sowohl der Sport als auch die Kultur<br />

– verlieren werden. Klar, nun könnte man auf Zahlen pochen:<br />

Wie viele Mitglieder haben Bonns Sportvereine? Stimmt es, dass<br />

mehr Menschen Livekonzerte deutscher Orchester besuchen als<br />

Spiele der Fußball-Bundesliga? Aber auch diese Erbsenzählerei<br />

wird nicht viel bringen. Fakt ist: Eine Gesellschaft braucht Kultur<br />

UND Sport!<br />

Gehen wir einen Schritt zurück. Warum subventionieren wir<br />

überhaupt Theater und Orchester? „Hochkultur“ ist vielleicht eine<br />

Kategorie: große Produktionen, die ohne Subventionen nicht zu<br />

stemmen wären. Aufführungen, die den Bürgern der Stadt Bonn<br />

ein professionelles Kulturangebot garantieren, Veranstaltungen,<br />

die Bonn als Kulturstadt strahlen lassen. Aufführungen, die junge<br />

Menschen zum Freidenken inspirieren und anregen – nicht nur<br />

im kulturellen, sondern auch im gesellschaftlichen Denken. Diese<br />

„Hochkultur“-Förderung ist vergleichbar mit der Förderung von<br />

Sportleistungszentren, wo es darum geht, dass Athleten aus Bonn<br />

ES IST WISSENSCHAFTLICHER COMMON<br />

SENSE, DASS SPORT UND MUSIK<br />

DAFÜR SORGEN, DASS WIR KEINE<br />

FACHIDIOTEN WERDEN<br />

die Möglichkeit haben, in nationale Kader aufzurücken, an der<br />

Spitze der Fußball-, der Badminton-, der Handball- oder Eishockey-Bundesliga<br />

mitzuspielen.<br />

Aber der Kulturhaushalt hat – und da liegt Kaftan mit seiner<br />

„Tiefen-Kultur“ durchaus richtig – auch den Zweck, eine kulturelle<br />

Grundversorgung zu garantieren. Noch einmal: Unsere Schulen<br />

schaffen das schon lange nicht mehr. Diese Aufgabe übernehmen<br />

Musikschulen und zunehmend Orchester und Theater. Das wiederum<br />

ist mit der Förderung des Breitensports zu vergleichen: die<br />

Möglichkeit für jeden Menschen, sich einem Verein anzuschließen,<br />

Teamgeist oder eigenen Ehrgeiz zu verfolgen.<br />

Ich glaube, nicht einem Musiker des Beethoven Orchesters<br />

würde es einfallen zu fordern, dass die Stadt weniger Geld für die<br />

Sportförderung ausgeben sollte. Im Gegenteil! Sport und Kultur<br />

haben gleichermaßen gegen eine Politik zu kämpfen, in der ihre<br />

Arbeit gegen den Bau von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern<br />

oder Straßen ausgespielt wird. Werder-Trainer Otto Rehhagel<br />

warb einst für das Bremer Theater, die drei Tenöre eröffneten die<br />

Fußball-WM – Bewegung und Musik schließen einander nicht aus,<br />

sie bedingen sich!<br />

Bonn ist nur ein Einzelbeispiel.<br />

Auch in anderen Städten<br />

wird die Kultur immer öfter politisch<br />

als Kostenfaktor denunziert –<br />

in Linz hat sich die Stadt sogar vollkommen<br />

aus der Förderung ihres<br />

Orchesters zurückgezogen. Da<br />

sollten die Alarmglocken läuten!<br />

Kultur und Sport sollten Seit᾽<br />

an Seit᾽ stehen und miteinander<br />

dafür kämpfen, dass Politik und die Vergabe öffentlicher Gelder<br />

nicht als Entweder-oder-Frage gestellt wird. Dass natürlich Kindergärten,<br />

Krankenhäuser und Straßen gebaut werden, dass sie<br />

alle aber weniger wert sind, wenn eine Stadt ihre Kultur oder ihr<br />

sportliches Image dafür infrage stellt. Es ist wie im finnischen<br />

Schulsystem: Eine Gesellschaft braucht Freiräume des Unkonkreten,<br />

Orte für Spaß und Orte, an denen leidenschaftliche Arbeit<br />

allein der Leidenschaft wegen gefördert wird. Klar, man könnte<br />

eine Aufführung von Beethovens Neunter Sinfonie als ebenso<br />

sinnlos empfinden wie Steuergelder, mit denen das Training<br />

einer Leistungs kanutin gefördert wird. Aber wer so argumentiert,<br />

glaubt auch, dass Schule darin besteht, in möglichst geringer Zeit<br />

möglichst viel Wissen zu anzuhäufen, dass die Liebenswürdigkeit<br />

einer Stadt allein durch die Sauberkeit ihrer Straßen entschieden<br />

wird, dass eine gute Gesellschaft darin besteht, fleißig zu sein,<br />

dass Kreativität, Unterhaltung oder Neudenken keine Standortfaktoren<br />

sind.<br />

Liebe Bonner Sportsfreunde, die Attacke gegen das Beethoven<br />

Orchester und die kulturellen Einrichtungen eurer Stadt ist vielleicht<br />

kein rotwürdiges Foul, aber es war eine unglaublich dumme<br />

Kampfansage! An unseren Schulen sehen wir bereits, welche Auswirkungen<br />

Bildung mit Verzicht auf Sport und Kultur hat: Zwischenmenschliche<br />

Tugenden und Leistungsförderungen wie Aufmerksamkeit,<br />

Zuhören, Kreativität und Ehrgeiz gehen verloren.<br />

Der Verlust von Kultur und Sport bedeutet für eine Stadt Standortnachteile!<br />

Ich weiß nicht, ob es hilft, dass diese Kolumne in einer<br />

Musikzeitschrift steht, wenn sie doch eigentlich die Sportler erreichen<br />

soll. Aber Sport und Musik schließen einander nicht aus, also,<br />

liebe sportliche Musiker und musische Sportler: Lassen wir uns<br />

nicht instrumentalisieren und gegeneinander ausspielen – wir sind<br />

ein Team. Und haben das gleiche Motiv: unsere Leidenschaft! ■<br />

41


R Ä T S E L<br />

& C R E S C E N D O L I V E<br />

GEWINNSPIEL<br />

Wer verbirgt sich hinter diesem Text?<br />

Das Foto stammt aus meinem dritten Leben …<br />

Geboren wurde ich 2637 vor Christus. Zum zweiten Mal lebte ich in<br />

der Zeit Alexanders des Großen. Bei dessen Beerdigungszeremonie<br />

in Babylon im Jahr 323 vor Christus habe ich sogar im Begräbnis-<br />

Orchester mitgespielt. Und zum dritten Mal geboren bin ich im Jahr<br />

<strong>19</strong>05 in Ligurien als ein Conte di Ayala Valva. Als mir im Alter gelegentlich<br />

das Bein wehtat, lag das an einer uralten Verletzung, die ich<br />

vor Tausenden von Jahren als Krieger erlitten habe. Ja, ich glaube an<br />

die Wiedergeburt. Man nennt mich auch einen Meister der Desinformation,<br />

mein Leben ist ein großes Geheimnis. Journalisten, die<br />

Fragen zu meiner Biografie stellen, mag ich grundsätzlich nicht.<br />

Ab <strong>19</strong>29 habe ich komponiert, vor allem Klavierstücke. In<br />

Rom habe ich Konzerte mit zeitgenössischer Musik veranstaltet. Als<br />

das Mussolini-Regime die Werke Schönbergs und anderer jüdischer<br />

Komponisten verbot, ging ich ins Ausland. <strong>19</strong>44 schrieb ich<br />

mein erstes Streichquartett, ein hochkomplexes Zwölftonstück.<br />

Nach einer seelischen Krise inklusive psychiatrischer Behandlung<br />

war ich als Komponist völlig verändert. Ich wurde krank, weil ich zu<br />

viel nachdachte. Jetzt denke ich nicht mehr. Seit <strong>19</strong>52 kreisen die<br />

Musikstücke um einen Ton, eine Tonachse, ein tonales Zentrum.<br />

Ich war gar kein Komponist mehr, sondern nur ein Medium der<br />

Klangenergie. In meinem Nachlass fanden sich beinahe 1.000<br />

bespielte Tonbänder. Erst 2010 wurden die Archive geöffnet, die<br />

Bänder sind inzwischen immerhin digitalisiert.<br />

KH<br />

FOTO: FONDAZIONE ISABELLA SCELSI<br />

HINTER<br />

DEN KULISSEN!<br />

Treffen Sie mit <strong>CRESCENDO</strong><br />

Künstler und Gleichgesinnte.<br />

Dass das Prinzregententheater in München nach Prinzregent<br />

Luitpold benannt wurde, wussten Sie? Vielleicht auch, dass der<br />

von <strong>19</strong>00 bis <strong>19</strong>01 errichtete Bau von dem zu dieser Zeit<br />

äußerst erfolgreichen Architekten Max Littmann entworfen<br />

wurde? Littmann orientierte sich damals am Richard-Wagner-<br />

Festspielhaus in Bayreuth und übernahm beispielsweise den<br />

amphitheatralischen Zuschauerraum. Aber hätten Sie auch<br />

gewusst, dass sich die Bühne über eine Fläche von 29 mal<br />

23 Metern erstreckt und damit insgesamt auf eine Fläche von<br />

667 Quadratmetern inklusive „abtrennbarer Hinterbühne“?<br />

Und hinter diese Kulissen, vor denen einst Werke von Orff<br />

und Hindemith uraufgeführt worden sind, haben <strong>CRESCENDO</strong><br />

Leser die Chance zu blicken: am 20. Februar.<br />

Wenn es nämlich heißt „Mittwochs um halb acht“, dann wird<br />

diese Veranstaltung des Münchner Rundfunkorchesters vom<br />

Magazin <strong>CRESCENDO</strong> in Kooperation mit dem Rundfunkorchester<br />

präsentiert. Das heißt: Exklusivleistungen für seine<br />

Leser! Karten in der besten Kategorie, eine Backstage-Führung<br />

vorab und Künstlergespräche in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge im<br />

Gartensaal.<br />

Bevor der junge Geiger Sandro Roy, Multitalent und Grenzgänger<br />

zwischen den Genres, das Publikum auf eine Reise<br />

„Gypsy goes Classic“ mitnimmt, werden <strong>CRESCENDO</strong> Leser<br />

backstage geführt, also hinter die Kulissen des Prinzregententheaters.<br />

Anschließend ist noch etwas Zeit für einen kurzen<br />

Plausch mit anderen Lesern und den Künstlern in der<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Lounge im Gartensaal des Prinzregententheaters.<br />

Das Konzert beginnt um <strong>19</strong>.30 Uhr.<br />

Im Anschluss sind Sie herzlich in die <strong>CRESCENDO</strong> Lounge<br />

im Gartensaal eingeladen, wo wir Sie mit einem Getränk empfangen<br />

– ohne Anstehen! Hier können Sie sich mit anderen<br />

<strong>CRESCENDO</strong> Lesern austauschen und das Team von<br />

<strong>CRESCENDO</strong> treffen. Später haben Sie zudem die Gelegenheit,<br />

einige Künstler des Abends persönlich kennenzulernen.<br />

www.crescendo.de/live (weitere Termine 10.4. und 8.5.20<strong>19</strong>)<br />

RÄTSEL LÖSEN UND<br />

EINE CD-BOX GEWINNEN!<br />

Wer ist hier gesucht? Wenn Sie<br />

die Antwort kennen, dann nehmen<br />

Sie an der Verlosung teil unter<br />

www.crescendo.de/mitmachen.<br />

Diese CD-Box können Sie gewinnen:<br />

„Bernard Haitink: Portrait“<br />

(BR Klassik). Einsendeschluss ist der 28.02.20<strong>19</strong>. Gewinner unseres<br />

letzten Gewinnspiels ist Thomas Duppe aus Homburg. Die Lösung war<br />

Johann Peter Abraham Schulz.<br />

Nette Leute treffen, gute Musik hören – <strong>CRESCENDO</strong>-Verleger<br />

Winfried Hanuschik mit der Sängerin Anna Bonitatibus<br />

FOTOS: FONDAZIONE ISABELLA SCELSI; PRIVAT<br />

42 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


ERLEBEN<br />

Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im <strong>Januar</strong> und Februar im Überblick (ab Seite 44)<br />

Das London Symphony Orchestra und Sir Simon Rattle bei der musica viva (Seite 50)<br />

Ute Lemper ist Artist-in-Residence beim Kurt Weill Fest in Dessau (Seite 54)<br />

28. Februar bis 26. Mai, Frankfurt am Main<br />

GETRIEBEN<br />

VON FURCHT UND<br />

VERLANGEN<br />

Ein Flur mit Türen, die sich zu weiteren Fluren mit Türen<br />

öffnen, ein Krokodil, das sich lässig eine Zigarette anzündet,<br />

ein Mann, der Scheren und Metallwerkzeuge unter<br />

seinem Mantel trägt – dazu elektronisch generierte und<br />

verzerrte Klänge, die die Absurdität und Unheimlichkeit<br />

der Szene um eine weitere Dimension steigern: One<br />

Need Not Be a House, The Brain Has Corridors – die<br />

jüngste Arbeit des schwedischen Künstlerpaares Nathalie<br />

Djurberg und Hans Berg, deren Titel die Zeile eines<br />

Gedichts der amerikanischen Poetin Emily Dickinson<br />

aufgreift, führt den Betrachter durch skurrile Traum- und<br />

Erinnerungswelten. Seltsame Figuren befinden sich an<br />

abgegrenzten Orten, im Wald, in einer Höhle, in einem<br />

Raum, und sie werden getrieben von Furcht und Verlangen.<br />

Seit 2004 arbeiten die beiden zusammen. 2009 wurden<br />

sie für ihre Rauminstallation The Experiment auf der<br />

Biennale in Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet.<br />

In einem umfangreichen Überblick unter dem<br />

Titel A Journey Through Mud and Confusion with Small Glimpses<br />

of Air wird ihr Werk erstmals in Deutschland vorgestellt.<br />

Zu sehen sind rund 40 Video- und Soundarbeiten<br />

der letzten beiden Jahrzehnte, darunter das frühe Video<br />

Tiger Licking Girl’s Butt, großformatige Rauminstallationen<br />

wie The Potato und The Parade, zahlreiche Skulpturen und<br />

ihre erste Virtual-Reality-Arbeit It Will End in Stars aus<br />

dem Jahr 2018.<br />

Frankfurt am Main, Schirn Kunsthalle, www.schirn.de<br />

Nathalie Djurberg und Hans Berg: Szene aus<br />

dem Stopp-Motion-Film „Worship“, 2016<br />

FOTO: DAVID NEMAN<br />

43


E R L E B E N<br />

Februar / <strong>März</strong> 20<strong>19</strong><br />

DIE WICHTIGSTEN<br />

VERANSTALTUNGEN AUF<br />

EINEN BLICK<br />

Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals<br />

PREMIEREN<br />

2.2. AUGSBURG THEATER<br />

Werther / Jules Massenet<br />

2.2. CHEMNITZ THEATER<br />

Die Zauberflöte / W. A. Mozart<br />

2.2. DARMSTADT STAATSTHEATER<br />

Kiss Me Kate / Cole Porter<br />

2.2. ESSEN AALTO-MUSIKTHEATER<br />

Otello / Giuseppe Verdi<br />

2.2. WUPPERTAL BÜHNEN<br />

Play Europeras 1 & 2 / J. Cage<br />

3.2. HAMBURG STAATSOPER<br />

Orphée et Euridice / Chr. W. Gluck<br />

3.2. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />

Rusalka / Antonín Dvořák<br />

3.2. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />

Le Grand Macabre / György Ligeti<br />

8.2. BASEL (CH) THEATER<br />

Der Kaiser von Atlantis / Viktor Ullmann<br />

8.2. ERFURT THEATER<br />

Der Zauberer von Oz / P. Valtinoni<br />

9.2. DORTMUND THEATER<br />

Turandot / Giacomo Puccini<br />

9.2. HEIDELBERG THEATER<br />

Benjamin / Peter Ruzicka<br />

9.2. KAISERSLAUTERN PFALZ-<br />

THEATER Jenůfa / Leoš Janáček<br />

9.2. OSNABRÜCK PFALZ THEATER<br />

Bauhaus / Mary Wigman, Edward Clug<br />

9.2. WIEN (AT) STAATSOPER<br />

Lucia di Lammermoor / G. Donizetti<br />

10.2. AACHEN THEATER<br />

Trouble in Tahiti und A Quiet Place /<br />

Leonard Bernstein<br />

10.2. GIESSEN STADTTHEATER<br />

Königskinder / Engelbert Humperdinck<br />

10.2. MANNHEIM NATIONAL-<br />

THEATER Der gute Ehemann / Georg<br />

Anton Benda und Herzog Blaubarts<br />

Burg / Béla Bartók<br />

10.2. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />

Porgy and Bess / George Gershwin<br />

15.2. KARLSRUHE BADISCHES<br />

STAATSTHEATER<br />

Serse / Georg Friedrich Händel<br />

15.2. LUDWIGSHAFEN THEATER<br />

IM PFALZBAU<br />

Die Hochzeit des Figaro / W. A. Mozart<br />

16.2. FREIBURG THEATER<br />

Hulda / César Franck<br />

16.2. HANNOVER STAATSOPER<br />

Fausts Verdammnis / Hector Berlioz<br />

16.2. REGENSBURG THEATER<br />

Gefährliche Liebschaften / Yuki Mori<br />

9. und 10. <strong>März</strong>, Wuppertal und Leverkusen<br />

FRAGEN NACH DEM<br />

MENSCHLICHEN SEIN<br />

Solitude-Chor Stuttgart<br />

Der Holocaust habe ihn tief in seiner Seele getroffen, erklärt der<br />

kanadische Komponist Zane Zalis. Je mehr er über das Geschehen<br />

nachgedacht und mit anderen darüber gesprochen habe, desto<br />

deutlicher sei ihm geworden, dass er darüber schreiben müsse.<br />

Dabei waren es allgemeine Fragen nach dem menschlichen Sein,<br />

und was es bedeutet, wenn Menschen einander Derartiges antun,<br />

die ihn umtrieben. Er hatte den Wunsch, eine emotionale Verbindung<br />

zur Vergangenheit herzustellen, und suchte nach einer Darstellungsweise,<br />

die nachfühlbar machen könnte, wie dieses entsetzliche<br />

Ereignis der menschlichen Geschichte sich für jene angefühlt<br />

hat, die sich mittendrin befanden – Opfer wie Täter. Fünf<br />

Jahre verbrachte er damit nachzudenken, zu lesen und Gespräche<br />

zu führen. Auf diesem Wege entstand ein gewaltiges Werk. Von<br />

Bach über Wagner bis zu zeitgenössischem Jazz und elektronischer<br />

Musik erstreckt sich Zalis’ musikalische Palette. I Believe – A Holocaust<br />

Oratorio for Today ist eine vielfältige und emotional überwältigende<br />

Komposition für Orchester, Chöre und Solisten. An der<br />

Aufführung wirken die Sopranistin Kelsey Cowie, der Tenor Jean-<br />

Pierre Ouellet und der Bassist Marko Zeiler sowie der Solitude-<br />

Chor Stuttgart, der Chor der Konzertgesellschaft Wuppertal und<br />

der Leverkusener Kinder- und Jugendchor mit. Es spielen die<br />

Bayer-Philharmoniker unter Bernhard Steiner. Sprecher ist Stefan<br />

Müller-Ruppert.<br />

Wuppertal, Historische Stadthalle, 9.3., Leverkusen, Erholungshaus, 10.3.,<br />

www.kultur.bayer.de<br />

FOTO: HAWA, MATERIAL DER STAATSOPER ŁÓDŹ<br />

16.2. WIEN (AT) THEATER AN DER<br />

WIEN Elias / F. Mendelssohn Bartholdy<br />

17.2. BERLIN STAATSOPER<br />

Die Zauberflöte / W. A. Mozart<br />

17.2. HAMBURG STAATSOPER<br />

All Our Yesterdays / John Neumeier<br />

17.2. MANNHEIM NATIONAL-<br />

THEATER Orpheus in der Unterwelt /<br />

Jacques Offenbach<br />

17.2. MÜNSTER THEATER<br />

Das Tagebuch der Anne Frank / G. Frid<br />

22.2. DESSAU ANHALTISCHES THEA-<br />

TER Im weißen Rössl / Ralph Benatzky<br />

22.2. HALLE OPER<br />

Ariadne auf Naxos / Richard Strauss<br />

22.2. STUTTGART OPER<br />

One of a Kind / Jiři Kylián<br />

23.2. BRAUNSCHWEIG STAATSTHE-<br />

ATER Die lustige Witwe / Franz Lehár<br />

23.2. COTTBUS STAATSTHEATER<br />

Frau Luna / Paul Lincke<br />

23.2. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />

Così fan tutte / W. A. Mozart<br />

24.2. BERN (CH) THEATER<br />

Lotario / G. F. Händel<br />

24.2. ESSEN AALTO-MUSIKTHEATER<br />

Der Ring an einem Abend / Richard<br />

Wagner, Vicco von Bülow<br />

24.2. FRANKFURT AM MAIN OPER<br />

Dalibor / Bedřich Smetana<br />

24.2. GERA LANDESTHEATER ALTEN-<br />

BURG Oedipe / George Enescu<br />

24.2. HAMBURG STAATSOPER<br />

The World of John Neumeier<br />

1.3. GELSENKIRCHEN<br />

MUSIKTHEATER IM REVIER<br />

Eugen Onegin / Peter I. Tschaikowsky<br />

1.3. GELSENKIRCHEN<br />

MUSIK THEATER IM REVIER<br />

Big Fish / Andrew Lippa und John Appelt<br />

2.3. CHEMNITZ THEATER<br />

Drachenherz / Wolfgang Böhmer<br />

2.3. SALZBURG (AT) LANDESTHEA-<br />

TER Der Prozess / Philip Glass<br />

3.3. HILDESHEIM THEATER FÜR<br />

NIEDERSACHSEN<br />

Die Prinzessin von Trapezunt /<br />

Jacques Offenbach<br />

8.3. DRESDEN SEMPEROPER<br />

Die verkaufte Braut / Bedřich Smetana<br />

8.3. GERA LANDESTHEATER<br />

Die Passagierin / Mieczysław Weinberg<br />

8.3. LUDWIGSHAFEN THEATER<br />

IM PFALZBAU<br />

Das Land des Lächelns / Franz Lehár<br />

8.3. LÜBECK THEATER<br />

A Quiet Place / Leonard Bernstein<br />

44 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


FOTOS: ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />

12. und 14. Februar<br />

BERLIN<br />

MUSIK AN DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT<br />

Mit Gustav Mahlers gewaltiger Achter Sinfonie<br />

feiern die Musikensembles der Humboldt-<br />

Universität Jubiläum. Vor 25 Jahren rief der<br />

Universitätsmusikdirektor Constantin Alex<br />

Humboldts Studentische Philharmonie und<br />

Humboldts Philharmonischen Chor ins Leben.<br />

Damit begründete er die Institution Musik an<br />

der Humboldt-Universität. Mittlerweile vereint sie sechs Ensembles<br />

unter ihrem Dach. Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen bietet<br />

sie die Möglichkeit, gemeinsam zu musizieren, über ihr Fachstudium<br />

hinaus Fähigkeiten zu entwickeln und Anschluss an Gleichgesinnte zu<br />

finden. Zu den Jubiläumskonzerten kommen die beiden studentischen<br />

Sinfonieorchester sowie die beiden großen Chöre zusammen. Als Gäste<br />

wirken Solisten sowie der Rundfunk-Kinderchor Berlin und der Kinderchor<br />

„Georg-Friedrich-Händel“ mit. Am Pult steht Constantin Alex.<br />

Berlin, Philharmonie, 12.2., Konzerthaus, 14.2.,<br />

www.musikundmedien.hu-berlin.de/de/umd<br />

9. <strong>März</strong><br />

BERLIN BABYLON<br />

Es war die Frage, ob Babylon nicht doch mehr<br />

gewesen sei als Hurerei und Sprachverwirrung,<br />

die Jörg Widmann (Foto) umtrieb und ihn 2012<br />

zu seiner Oper Babylon anregte. Der Philosoph<br />

Peter Sloterdijk verfasste ihm dazu ein gedankenschweres<br />

Libretto. Jetzt hat Widmann das<br />

Werk überarbeitet. Da die babylonische Sprachverwirrung<br />

im Libretto nicht vorkomme, passiere sie in der Musik,<br />

ebenso der Turmbau zu Babel. „Der Bau der Partitur entspricht der<br />

Form einer Zikkurat, also dem Babelturm“, erläutert Widmann. Bis zum<br />

siebten Bild hin verjünge sich das Werk immer mehr. So werde der Turm<br />

in der Musik gebaut. Die Uraufführung der Neufassung leitet Daniel<br />

Barenboim. Die Inszenierung übernimmt Andreas Kriegenburg. Als Jude<br />

Tammu ist Charles Workman zu erleben. Die Seele ist Mojca Erdmann.<br />

Die Partie der Inanna singt Susanne Elmark, und als Priesterkönig steht<br />

John Tomlinson auf der Bühne.<br />

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, 9. (Premiere), 11., 20., 22. und 24.3.,<br />

www.staatsoper-berlin.de<br />

8. <strong>März</strong><br />

MEININGEN SCHLOSS DÜRANDE<br />

Othmar Schoeck war der erste Schweizer Komponist,<br />

der außerhalb seines Landes Beachtung<br />

errang. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieß seine<br />

spätromantische Ästhetik zwar auf wenig<br />

Resonanz. In den <strong>19</strong>80er-Jahren aber wurden<br />

einzelne seiner Werke wiederentdeckt. Schloss<br />

Dürande komponierte Schoeck nach einer<br />

Novelle von Joseph Eichendorff, die ihm 30 Jahre zuvor Hermann Hesse<br />

empfohlen hatte. Sie handelt von der Liebe des Grafen Armand Dürande<br />

zu Gabriele, der Schwester seines Waldhüters Renald. Da dieser jedoch<br />

der Reinheit seiner Liebe misstraut, schließt er sich den Revolutionären<br />

an, stürmt das Schloss und erschießt Armand und seine Schwester. Als er<br />

erkennt, wie unrecht er hatte, legt er Feuer an den Pulverturm und<br />

kommt in der gewaltigen Explosion, die das ganze Schloss zerstört, ums<br />

Leben. Mit dem Libretto wurde der deutsche, dem Nationalsozialismus<br />

anhängende Dichter und Dramatiker Hermann Burte beauftragt. Der<br />

sagte auch zu, wollte jedoch den Schluss ändern: „Ein happy end ist als<br />

Wirkung einem killing around vorzuziehen: Hochzeitsmarsch angenehmer<br />

als Trauermarsch.“ Schoeck aber blieb fest: „Der Stoff ist unbedingt<br />

tragisch.“ Die Uraufführung erfolgte am 1. April <strong>19</strong>43 mitten im<br />

Krieg in Berlin. Das Publikum war begeistert. Die Explosion des Schlosses<br />

am Ende gelang so realistisch, dass sie für einen Bombeneinschlag gehalten<br />

wurde. Der große Erfolg blieb dennoch aus, und nach dem Krieg<br />

geriet die Oper in Vergessenheit. In einem Projekt der Hochschule der<br />

Künste und der Universität Bern wurde nun das nationalsozialistisch geprägte<br />

Libretto restauriert und durch Originaltexte von Joseph Eichendorff<br />

ergänzt. Am Pult steht Philippe Bach. Die Inszenierung mit Ondrej<br />

Šaling (Foto) als Armand übernimmt Ansgar Haag.<br />

Meiningen, Staatstheater, 8. (Premiere), 10., 16. und 29.3., 28.4., 8. und 7.5., 27.<br />

und 30.6. sowie 6.7., www.meininger-staatstheater.de<br />

Ab 5. Februar<br />

ESSEN WILLIAM FORSYTHE<br />

„Ich bin ein Künstler, der im Medium der Choreografie<br />

arbeitet“, erklärt William Forsythe. Von<br />

<strong>19</strong>84 bis 2009 war er Ballettdirektor des Frankfurter<br />

Balletts. 2005 bis 2015 leitete er die von<br />

ihm gegründete Forsythe Company. 20<strong>19</strong> begeht<br />

er seinen 70. Geburtstag, und das Museum<br />

Folkwang feiert ihn das ganze Jahr über. Im Februar<br />

zeigt es im Foyer die interaktive Videoarbeit City of Abstracts (Foto).<br />

Im Frühsommer sind Human Writes Drawings zu sehen, großformatige<br />

Papierarbeiten, die Forsythes choreografische Auseinandersetzung mit<br />

den Menschenrechten ins Genre der Zeichnung übertragen. Im Sommer<br />

installiert Forsythe Aviariation. Das Werk, dessen Titel eine Kombination<br />

aus dem englischen Wort „aviary“ (Voliere) und Variation ist, verwandelt<br />

die Bäume in einem der Lichthöfe des Museums in ein choreografisches<br />

Naturtheater. Und im November gibt es im Rahmen von „100 Jahre Bauhaus<br />

im Westen“ das Projekt Acquisition mit zwei Tänzern zu sehen.<br />

Essen, Museum Folkwang, www.museum-folkwang.de<br />

14. Februar<br />

FRANKFURT AM MAIN<br />

RHAPSODY IN CONCERT<br />

Sich alle Freiheiten zu nehmen, um Geschichten<br />

zu erzählen – das ist die Idee der musikalischen<br />

Gattung Rhapsodie. Die Künstler-Initiative<br />

Rhapsody in School greift diese Idee auf. Über<br />

400 Musiker besuchen in ihrem Rahmen Schulen<br />

und erzählen von ihrer Musik und ihren Instrumenten.<br />

Die Konzertreihe „Rhapsody in Concert“<br />

stellt diese Musiker in Konzerten vor. In der Alten Oper Frankfurt<br />

unternehmen die Pianistin und Rhapsody-Botschafterin Annika Treutler,<br />

der Hornist Felix Klieser, Miljenko Turk, Bariton an der Kölner Oper und<br />

Mitbegründer von „Rhapsody goes Opera“, mit dem Quintett Spark und<br />

dem Signum Saxophone Quartet einen Streifzug durch Rhapsodien vom<br />

18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Moderiert wird der Abend von<br />

Schülern, die sich zuvor im Rahmen eines Projekts intensiv mit den Werken<br />

befassten.<br />

Frankfurt am Main, Alte Oper, www.rhapsody-in-school.de<br />

9. Februar<br />

MÜNCHEN NEBENSONNEN<br />

Als Franz Schubert im Herbst 1827 seinen<br />

Freunden die Vertonung des Liederzyklus<br />

Winterreise auf dem Klavier vorspielte, waren sie<br />

erschüttert. Helle Töne fehlten darin komplett.<br />

Andreas Höricht, Bratschist des Voyager<br />

Quartets, hat 12 der 24 Liedkompositionen<br />

Schuberts aus dem Zyklus für sein Streichquartett<br />

arrangiert. Nebensonnen nach dem Titel des 23. Liedes haben<br />

die Violinis ten Nico Christians und Maria Krebs, der Cellist Klaus Kämper<br />

und Andreas Höricht, die 2014 zum Quartett zusammenfanden, den<br />

Abend überschrieben. Beethovens Streichquartett Nr. 14 cis-Moll,<br />

op. 131 widmen sie den zweiten Teil. Es gehört zu den späten, dunklen<br />

Quartetten Beet hovens. Wagner sah darin das „Schwermütigste“, was je<br />

in Tönen ausgesagt wurde. Allein George Bernard Shaw rühmte gerade<br />

die späten Quartette als die schönen, „geradlinigen, unprätentiösen,<br />

vollkommen verständlichen“.<br />

München, Allerheiligen-Hofkirche, www.voyagerquartet.de<br />

45


E R L E B E N<br />

20. Februar, München<br />

BEEINDRUCKENDE KUNSTFERTIGKEIT<br />

Sandro Roy<br />

FOTO: SANDRO ROY<br />

Der Geiger Sandro Roy entstammt einer Sinti-Familie. Bewundert als<br />

Musiker, sind Sinti und Roma in Europa als Menschen allzu oft ausgegrenzt.<br />

Durch wirtschaftliche und soziale Umstände zum Wanderdasein<br />

gezwungen, hat der Musikerberuf eine lange Tradition bei ihnen.<br />

So spielten sie in den jeweiligen Gastländern für die Angehörigen des<br />

Mehrheitsvolkes – und zwar deren Musik. Eine ungeheure Vielfalt an<br />

Musikstilen schufen sie dadurch, und mit beeindruckender Kunstfertigkeit<br />

verstanden sie es, jedem Musikstück ihren Stempel aufzudrücken.<br />

Sandro Roy stellt Werke von Sinti- und Roma-Musikern vor wie Hejre<br />

Kati des ungarischen Komponisten und Violinisten János Bihari, den<br />

auch Beethoven und Liszt bewunderten, Hora mărțișorului des rumänischen<br />

Komponisten und Violinisten Grigoraș Dinicu oder Minor<br />

Swing des legendären Django Reinhardt. Darüber hinaus kommen<br />

Werke von George Enescu, Vittorio Monti, Pablo de Sarasate sowie<br />

des Filmkomponisten Miklós Rózsa zur Aufführung. Deutlich wird der<br />

überwältigende Einfluss der Sinti- und Roma-Musiker auf das europäische<br />

Musikschaffen. Das Konzert „Gypsy goes Classic“, geleitet von<br />

Henry Raudales und moderiert von Antonia Goldhammer, ist Teil der<br />

Reihe „Mittwochs um halb acht“ des Münchner Rundfunkorchesters.<br />

Das Magazin <strong>CRESCENDO</strong> präsentiert es in Kooperation mit dem<br />

Rundfunkorchester und bietet Exklusivleistungen für seine Leser:<br />

Karten in der besten Kategorie, eine Backstage-Führung vorab und<br />

Künstlergespräche in der <strong>CRESCENDO</strong>-Lounge im Gartensaal.<br />

München, Prinzregententheater, www.crescendo.de/live<br />

1. <strong>März</strong><br />

BERLIN LA SYLPHIDE<br />

La Sylphide bildet einen Meilenstein in der Geschichte<br />

des klassischen Balletts. Die Choreografie<br />

Filippo Taglionis folgt einem Libretto über<br />

die unerfüllte Liebe eines schottischen Landjunkers<br />

zu einer Sylphide, einem geflügelten<br />

Geis terwesen. Taglionis Tochter Maria, die bei<br />

der Uraufführung an der Pariser Oper 1832<br />

die Sylphide tanzte, verhalf dem Spitzentanz zur Durchsetzung. Der<br />

Kostümbildner Eugène Lami schuf mit dem weißen, durchschimmernden<br />

Knierock das fortan typische Ballettkostüm. Und das in weiße Tutus gekleidete<br />

Corps de ballet, das die im Wald leichtfüßig dahinschwebenden<br />

Sylphiden darstellte, wurde zum Modell des Ballet blanc. Überliefert ist<br />

La Sylphide in einer Fassung, die August Bournonville 1836 am Königlichen<br />

Theater in Kopenhagen schuf. Frank Andersen, jahrelanger Leiter des<br />

Königlich Dänischen Balletts und Bournonville-Spezialist, hat diese Fassung<br />

rekonstruiert, und das Staatsballett Berlin erweckt sie zu Herman<br />

Severin LØvenskiolds Musik zum Bühnenleben.<br />

Berlin, Deutsche Oper, 1. (Premiere), 3., 12., und 22.3., 4., 22. und 26.4. sowie 26.<br />

und 31.5., www.staatsballett-berlin.de<br />

9. <strong>März</strong><br />

KOBLENZ DOCTOR ATOMIC<br />

Während des Zweiten Weltkriegs bereiteten<br />

in der Wüste New Mexicos Wissenschaftler,<br />

Regierungsbeamte und Militärs die Tests einer<br />

Atombombe vor. Am 6. und 9. August <strong>19</strong>45<br />

wurde sie auf Hiroshima und Nagasaki geworfen.<br />

John Adams (Foto) nahm jenes Manhattan-<br />

Projekt zum Sujet seiner Oper Doctor Atomic, zu<br />

der Peter Sellars das Libretto verfasste. Zu Beginn trägt ein Chor Albert<br />

Einsteins Formel E = mc 2 als apokalyptischen Chor des Schreckens vor.<br />

Der erste Akt spielt <strong>19</strong>45, etwa einen Monat vor den ersten Tests in der<br />

Wüste. Dabei geht es Adams vor allem darum, die Charaktere der Beteiligten<br />

auszuleuchten und ihre Zweifel, Ängste und Anspannung in der<br />

Musik zum Ausdruck zu bringen. Tatsächlich wussten die Physiker damals<br />

nicht, wie die Tests ausgehen würden. Die Aufführung in Koblenz wird<br />

musikalisch von Enrico Delamboye geleitet. Die Inszenierung mit Andrew<br />

Finden als J. Robert Oppenheimer, Jongmon Lim als Edward Teller und<br />

Ilkka Vihavainen als General Leslie Groves besorgt Markus Dietze.<br />

Koblenz, Theater, 17., 28. und 30.3., 7.4., 5. und 24.5. sowie 5., 18. und 20.6.,<br />

www.theater-koblenz.de<br />

46 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


FOTOS: ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />

9.3. KASSEL STAATSTHEATER<br />

Die Walküre / Richard Wagner<br />

9.3. KIEL THEATER<br />

Die Frau ohne Schatten / R. Wagner<br />

9.3. LÜNEBURG THEATER<br />

Der Rosenkavalier / Richard Strauss<br />

9.3. MAINZ STAATSTHEATER<br />

Avis de Tempête / Georges Aperghis<br />

9.3. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />

Der fliegende Holländer / R. Wagner<br />

10.3. BONN THEATER<br />

Elektra / Richard Strauss<br />

10.3. HAMBURG STAATSOPER<br />

Nabucco / Giuseppe Verdi<br />

10.3. KÖLN OPER<br />

Rusalka / Antonín Dvořák<br />

13.3. BERLIN STAATSOPER<br />

Schneewittchen / Wolfgang Mitterer<br />

14.3. BERN (CH) THEATER<br />

Humanoid / Leonard Evers<br />

10. Februar, München<br />

KÜNSTLER<br />

LEIF OVE ANDSNES<br />

7., 8.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

22.2. Berlin, Konzerthaus<br />

10.3. Essen, Alfried Krupp Saal der<br />

Philharmonie<br />

BENJAMIN APPL<br />

17.2., 2., 8. und 9.3. Hamburg,<br />

Staatsoper<br />

24.2. Münster, Theater<br />

26.2. Dortmund, Konzerthaus<br />

10.3. Hitzacker, Verdo<br />

SALEEM ASHKAR<br />

21.2. Duisburg, Lehmbrück Museum<br />

23.2. Garmisch-Partenkirchen,<br />

Kongresshaus<br />

EIN MENSCH VOLLER<br />

UNENTSCHLOSSENHEIT<br />

Bo Skovhus<br />

Karl V. ist das erste Werk, in dem Ernst Krenek die Zwölftontechnik<br />

anwandte. Clemens Krauss, der Direktor der Wiener Staatsoper,<br />

hatte ihn <strong>19</strong>30 beauftragt, eine Oper zu schreiben. Krenek wählte<br />

den römisch-deutschen Kaiser, der für ihn zu jenen „problematischen,<br />

dunklen Gestalten“ gehörte, die ihn schon immer anzogen,<br />

„ein Mensch voller Zweifel und großer Unentschlossenheit“. Die<br />

Tatsache, dass er beispiellose Macht ausübte und sie aufgab, um<br />

seine letzten Tage in einem entlegenen spanischen Kloster zu verbringen,<br />

faszinierte ihn. Krenek sah in dem Kaiser „einen der letzten<br />

Repräsentanten der mittelalterlichen Vorstellung von Universalität“.<br />

Nach einem Jahr mühseliger Recherchen erarbeitete er sein Libretto,<br />

in dem der sterbende Kaiser im Kloster von San Juste dem jungen<br />

Mönch Juan de Regla sein Leben erzählt. Krenek entwickelte seine<br />

eigene Interpretation der Geschichte. Denn er wollte ein politisches<br />

Drama schaffen. Zu einer Aufführung in Wien kam es allerdings<br />

nicht, denn Krenek musste emigrieren. Erst nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg fand das Werk seine Anerkennung. An der Bayerischen<br />

Staatsoper setzt die Theatergruppe Carlus Padrissa – La Fura dels<br />

Baus es in Szene. Erik Nielsen dirigiert. Die Titelpartie übernimmt<br />

Bo Skovhus (Foto).<br />

München, Nationaltheater, 10. (Premiere), 13., 16., 21. und 23.2. sowie<br />

14.7., www.staatsoper.de<br />

FOTO: ROLAND UNGER<br />

14. Februar 20<strong>19</strong><br />

Die Luft, in der ich atme<br />

Das Künstlerpaar Clara und<br />

Robert Schumann im Portrait<br />

Fatma Said (Sopran)<br />

Malcolm Martineau (Klavier)<br />

Jutta Speidel (Rezitation)<br />

21. Juni 20<strong>19</strong><br />

Meisterpianist<br />

Franz Liszt:<br />

„Années de pèlerinage“<br />

(Auszüge)<br />

Louis Lortie (Klavier)<br />

www.kunstklang-feuchtwangen.de<br />

Kartentelefon 09852 904-44<br />

C-MOLL-MESSE<br />

WOLFGANG AMADEUS MOZART<br />

Sonntag, 17. <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>, 20.00 Uhr<br />

München, Herkulessaal der Residenz<br />

Solisten<br />

Chor und Symphonieorchester der Bayerischen Philharmonie<br />

Mark Mast Dirigent<br />

www.bayerische-philharmonie.de<br />

Karten: 59 / 49 / 39 / 32 / 24 €, ermäßigt 50 %<br />

Telefon +49 89 120 220 320 | info@bayerische-philharmonie.de | www.muenchenticket.de<br />

Foto: Gisela Schenker<br />

47


E R L E B E N<br />

AURYN QUARTETT<br />

6.2. Memmingen, Kreuzherrensaal<br />

7.2. Stuttgart, Liederhalle<br />

9.2. München, Max-Joseph-Saal<br />

17.2. Wiesbaden, Herzog-Friedrich-<br />

August-Saal<br />

AVI AVITAL<br />

10.2. Berlin, Konzerthaus<br />

11.2. Bielefeld, Rudolf-Oetker-Halle<br />

12.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />

13.2. Heidelberg, Stadthalle<br />

16.2. Hannover, NDR Landesfunkhaus<br />

17.2. Darmstadt, Staatstheater<br />

<strong>19</strong>. u. 20.2. Hamburg, Elbphil harmonie<br />

21.2. Wien (AT), Musikverein<br />

22.2. Linz (AT), Brucknerhaus<br />

24.2. Friedrichshafen, Graf-Zeppelin-H.<br />

25.2. Schaffhausen (CH), Kirche<br />

St. Johann<br />

26.2. und 2.3. Zürich (CH),<br />

Tonhalle Maag<br />

27.2. Neumarkt, Reitstadel<br />

Benjamin Appl<br />

SERGEI BABAYAN<br />

22., 24. und 25. 2. Düsseldorf, Tonhalle<br />

2.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

4.3. Krün, Schloss Elmau<br />

10.3. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

14.3. Wien (AT), Konzerthaus<br />

17.3. München, Prinzregententheater<br />

CHRISTIAN BENNING<br />

9.2. Dachau, Schloss<br />

13.3. Bonn, Beethoven-Haus<br />

YEFIM BRONFMAN<br />

26.2. Köln, Philharmonie<br />

28.2. München, Prinzregententheater<br />

4.3. Berlin, Pierre Boulez Saal<br />

KHATIA BUNIATISHVILI<br />

23.2. Dresden, Kulturpalast<br />

25.2. Berlin, Philharmonie<br />

SEONG-JIN CHO<br />

22.2. Köln, Philharmonie<br />

23.2. Bielefeld, Rudolf-Oetker-Halle<br />

6. bis 10. Februar, Zürich und Bürgenstock (CH)<br />

FREMDHEIT<br />

UND EINSAMKEIT<br />

Das 7. Winterfestival in dem schweizerischen Bergkurort Bürgenstock<br />

hoch über dem Vierwaldstädtersee widmet sich Franz Schuberts<br />

ergreifendem Liederzyklus Winterreise. Ein Jahr vor seinem<br />

Tod vertonte Schubert die Verse Wilhelm Müllers, die von der existenziellen<br />

Fremdheit und Einsamkeit des Menschen auf Erden erzählen.<br />

Unter der künstlerischen Leitung des Klarinettisten Andreas<br />

Ottensamer und des Pianisten José Gallardio, die auch selbst zu den<br />

Mitwirkenden zählen, werden die Lieder an fünf Konzertabenden<br />

kombiniert mit neuen Arrangements der Lieder ohne Worte von Felix<br />

Mendelssohn Bartholdy sowie Werken von Carl Maria von Weber,<br />

Max Bruch, Johannes Brahms und Leoš Janáček. Als Sänger wurde<br />

der Bariton Benjamin Appl (Foto) gewonnen. <strong>19</strong>82 in Regensburg<br />

geboren, studierte er an der Hochschule für Musik und Theater in<br />

München, an der Juilliard School in New York sowie der Guildhall<br />

School of Music in London und war der letzte Schüler von Dietrich<br />

Fischer-Dieskau. Dessen Tradition lebendig fortführend, hat er sich<br />

leidenschaftlich der Liedkunst hingegeben, die ihr Augenmerk auch<br />

auf die Textausdeutung legt. Im Abschlusskonzert des Festivals gibt<br />

es das neue Album der Bürgenstock Festival CD-Edition zu sehen.<br />

Zürich und Bürgenstock (CH), Kaufleuten und Hotel Villa Honegg,<br />

www.buergenstock-festival.ch<br />

FOTO: UWE ARENS SONY CLASSICAL<br />

16. Februar<br />

DÜSSELDORF<br />

SCHADE, DASS SIE EINE HURE WAR<br />

Ein elisabethanisches Schauerdrama schuf der<br />

Shakespeare-Zeitgenosse John Ford mit seiner<br />

Tragödie ’Tis Pitty Shees a Whore. Inzest, Intrige<br />

und Mord sind die Themen der Handlung, die<br />

Ford allerdings mit psychologischem Gespür<br />

gestaltet. Die geschwisterliche Liebe Giovannis<br />

und Annabellas stellt er als schicksalhafte<br />

Fügung dar, der sich die beiden nur zögernd beugen. Anno Schreier, geschätzt<br />

für die Sinnlichkeit seiner Musik, nimmt das Drama zur Vorlage<br />

seiner Oper Schade, dass sie eine Hure war. In der Uraufführung, dirigiert<br />

von Lukas Beikircher und inszeniert von David Hermann, stehen Lavinia<br />

Dames (Foto) und Jussi Myllys als Geschwisterpaar auf der Bühne.<br />

Düsseldorf, Deutsche Oper am Rhein, 16. (Premiere), 23., und 27.2. sowie 8.,<br />

10. und 17.3., www.operamrhein.de<br />

16. und 23. <strong>März</strong><br />

BERLIN UND HAMBURG<br />

SCHAROUN ENSEMBLE BERLIN<br />

Mit einer Uraufführung feiert das Scharoun<br />

Ensemble Berlin sein 35-jähriges Bestehen.<br />

<strong>19</strong>83 wurde es von Mitgliedern der Berliner<br />

Philharmoniker in der klassischen Orchesterbesetzung<br />

mit Klarinette, Fagott, Horn, zwei<br />

Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass gegründet.<br />

Im Jubiläumskonzert stehen Arnold<br />

Schönbergs Zweites Streichquartett sowie Sofia Gubaidulinas Hommage<br />

à T. S. Eliot auf dem Programm, an deren Aufführung die Sopranistin<br />

Rinnat Moriah mitwirkt. Außerdem gibt es das Oktett zu hören, das<br />

George Benjamin, Composer-in-Residence der Berliner Philharmoniker,<br />

nach seinen Studien bei Olivier Messiaen in Paris komponierte. Und zur<br />

Uraufführung kommt ein neues Werk von Mark Andre.<br />

Berlin, Kammermusiksaal der Philharmonie, 16.2., Hamburg, Kleiner Saal der<br />

Elbphilharmonie, 23.2., scharoun-ensemble.com<br />

21. Februar<br />

MÜNCHEN WINTERREISE<br />

Franz Schubert war der Schöpfer des lyrischdramatischen<br />

Liedes. Wie keiner vor ihm<br />

fügte er dichterischen Text, Melodien und stimmungsvolle<br />

Begleitung zu einer Einheit. Gedanken<br />

und Gefühle von Dichtern begegnen den<br />

seinigen und lassen ergreifende Miniaturen des<br />

Lebens entstehen. Eine der berührendsten<br />

Liedkompositionen Schuberts ist die Winterreise. Immer wieder neu stellt<br />

sich in ihr die Frage nach dem Sinn des Lebens. Der Bariton Thomas<br />

Gropper und die Pianistin Maharani Chakrabarti, die seit über 15 Jahren<br />

als Lied-Duo auftreten, bringen die 24 Lieder des Zyklus zur Aufführung.<br />

München, Max-Joseph-Saal, www.muenchenticket.de<br />

16. bis 23. Februar<br />

BERLIN BRAHMS-PERSPEKTIVEN<br />

Lange zögerte Johannes Brahms, ehe er sich auf<br />

das „große Abenteuer“ einließ, eine Sinfonie zu<br />

schreiben. Er sah es als eine „Sache von Leben<br />

und Tod“ an. Erst im Alter von 43 Jahren legte<br />

er nach zahlreichen Vorstudien seine Erste<br />

Sinfonie vor. Robin Ticciati und das Deutsche<br />

Symphonie-Orchester Berlin widmen sich in<br />

einem Festival allen vier Brahms-Sinfonien. Unter dem Motto „Brahms-<br />

Perspektiven“ spüren sie historischen Linien nach, die zu Brahms führen<br />

und von ihm ausgehen. Zum Abschluss gibt es einen literarisch-musikalischen<br />

Abend mit Klavierstücken und Briefen Brahms’.<br />

Berlin, verschiedene Spielorte, www.dso-berlin.de<br />

48 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


FOTOS: MAX BRUNNERT; ROLAND UNGER; BERNHARD SCHMIDT; CITY OF ABSTRACT; MARCO BORGGREVE; ACHIM REISSNER; VOYAGER QUARTET; SEBASTIAN STOLZ, FILMWILD.DE; FELIX BROEDE; YAN REVAZOV; THOMAS GROPPER; DEBORAH O‘GRADY; KAI BIENERT<br />

24.2. Berlin, Philharmonie<br />

27.2. Wuppertal, Hist. Stadthalle<br />

1.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

15.3. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

LUCAS DEBARGUE<br />

10., 11.2. Hamburg, Elbphil harmonie<br />

17.2. München, Prinzregententheater<br />

FAURÉ QUARTETT<br />

16.2. Geseke, Rittergut Störmede<br />

17.2. Marburg, Erwin-Piscator-Haus<br />

23.2. Gschwend, Evangelische Kirche<br />

SOL GABETTA<br />

2.2. Freiburg, Konzerthaus<br />

3.2. Frankfurt, Alte Oper<br />

11.2. Rheinfelden (CH), Kurbrunnensaal<br />

12.2. Vaduz (CH), Vaduzer Saal<br />

14.2. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

15.2. Bern (CH), Kursaal<br />

<strong>19</strong>.2. Winterthur (CH), Stadthaus<br />

HÉLÈNE GRIMAUD<br />

2.2. Mannheim, Rosengarten<br />

3.2. Bremen, Die Glocke<br />

6.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

8.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />

MARTIN GRUBINGER<br />

21.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

24.2. Köln, Philharmonie<br />

26.2. Wien (AT), Konzerthaus<br />

28.2., 1.3. Berlin, Philharmonie<br />

5.3. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

6.3. Düsseldorf, Tonhalle<br />

7.3. Ludwigshafen, Feierabendhaus<br />

8.3. Reutlingen, Stadthalle<br />

9., 10.3. Hannover, Gr. Sendesaal<br />

13., 14.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

FOTO: ASTRID ACKERMANN<br />

BORIS GILTBURG<br />

10.3. Hitzacker, Verdo<br />

11.3. Magdeburg, Johanniskirche<br />

JULIA HAGEN<br />

6.3. Salzburg (AT), Großes Festspielh.<br />

9.3. Aue, Kulturhaus<br />

11.3. Annaberg-Buchholz, Eduard-von-<br />

Winterstein-Theater<br />

HILARY HAHN<br />

28.2. Stuttgart, Liederhalle<br />

1.3. Freiburg, Konzerthaus<br />

3.3. Mannheim, Rosengarten<br />

SIMON HÖFELE<br />

3.2. Halle, Steintor-Varieté<br />

11. bis 13.2. Schwerin, Mecklenburgisches<br />

Staatstheater<br />

17.2. Basel (CH), Casino<br />

3.3. München, Prinzregententheater<br />

16.3. Leipzig, Gewandhaus<br />

DANIEL HOPE<br />

12., 16.2. Dresden, Frauenkirche<br />

10.3. Baden-Baden, Festspielhaus<br />

12.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

15. bis 17.3. Berlin, Konzerthaus<br />

MAXIMILIAN HORNUNG<br />

2.2. Ludwigshafen, Pfalzbau<br />

3.2. Northeim, Stadthalle<br />

15.2. Grünwald, August Everding Saal<br />

16.2. Donaueschingen, Donauhallen<br />

17.2. Bonn, Trinitatiskirche<br />

<strong>19</strong>.2. Köln, Deutschlandfunk<br />

23.2. Freinsheim, Von-Busch-Hof<br />

3., 4.3. Karlsruhe, Staatstheater<br />

14., 15.3. Bremen, Glocke<br />

16.3. Heidelberg, Stadthalle<br />

2. <strong>März</strong>, München<br />

LUISA IMORDE<br />

7.2. Köln, Steinway Galerie<br />

8.2. Bonn, Historischer Gemeindesaal<br />

Bad Godesberg<br />

13.2. Bremen, Die Glocke<br />

15.2. Wels (AT), Klavierhaus<br />

ARTHUR UND LUCAS JUSSEN<br />

3.2. Oldenburg, Staatstheater<br />

12.2. Heidelberg, Alte Aula<br />

JONAS KAUFMANN<br />

7.2. Berlin, Philharmonie<br />

10.2. Frankfurt, Alte Oper<br />

14.2. München, Philharmonie<br />

17.2. Hannover, Kuppelsaal<br />

KLANGFORUM WIEN<br />

6., 8.2. Stuttgart, Theaterhaus<br />

15.2. Graz (AT), Helmut List Halle<br />

22., 23.2. Wien (AT),<br />

MuseumsQuartier<br />

4.3. Wien (AT), Konzerthaus<br />

9.3. München, Allerheiligen-Hofkirche<br />

JAN LISIECKI<br />

1.2. Essen, Philharmonie<br />

4.2. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

5.2. Frankfurt am Main, Alte Oper<br />

6.2. Düsseldorf, Tonhalle<br />

7.2. Nürnberg, Meistersingerhalle<br />

8.2. Hannover, Congress Zentrum<br />

ALICE SARA OTT<br />

<strong>19</strong>.2. Berlin, Philharmonie<br />

20.2. München, Philharmonie<br />

27.2. bis 1.3. Salzburg (AT)<br />

Felsen reitschule<br />

8.3. Wien (AT), Musikverein<br />

11.3. St. Pölten (AT), Festspielhaus<br />

SANDRO ROY<br />

3.3. Augsburg, Brechthaus<br />

MARIA SOLOZOBOVA<br />

3.2. München, Prinzregententheater<br />

2.3. Ulm, Haus der Begegnung<br />

3.3. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />

4.3. München, Herkulessaal<br />

MARTIN STADTFELD<br />

2.2. München, Prinzregententheater<br />

3.2. Berlin, Kammermusiksaal der<br />

Philharmonie<br />

17.2. Delmenhorst, Theater<br />

24.2. Frankfurt am Main, Holzhausenschlösschen<br />

9.3. Boppard, Stadthalle<br />

STEFAN ZWEIG TRIO<br />

27.2. Berlin, Konzerthaus<br />

4 TIMES BAROQUE<br />

3.2. Magdeburg, Gesellschaftshaus<br />

5.2. Erlangen, Wohnstift Rathsberg<br />

ANNIKA TREUTLER<br />

25.2. Dortmund, Konterhaus<br />

10.3. Friedrichshafen, Kiesel im k42<br />

DANIIL TRIFONOV<br />

9., 23.2. Wien (AT), Musikverein<br />

12.2. München, Herkulessaal<br />

14.2. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

21.2. Berlin, Philharmonie<br />

VOGLER QUARTETT<br />

10.2. Neubrandenburg, Alte Gießerei<br />

20.2. Fürth, Stadttheater<br />

2. bis 7.3. Kassel, Nordhessische<br />

Kammermusiktage<br />

16.3. Berlin, Konzerthaus<br />

STABAT MATER VON DVOŘÁK UND ĽUBICA ČEKOVSKÁ<br />

Chor des<br />

Bayerischen Rundfunks<br />

Antonín Dvořák liebte seine Kinder<br />

über alles. Der Tod seiner Tochter<br />

Josefa 1875, der zwei Jahre darauf<br />

Tochter Růžena und Sohn Otakar<br />

folgten, hatte ihm deutlich gezeigt,<br />

wie fragil dieses Glück war. 1876<br />

nahm Dvořák die geistliche Kantate<br />

Stabat mater für Soli, Chor und Klavier<br />

in Angriff, die er 1877 orchestrierte.<br />

Der Chor des Bayerischen<br />

Rundfunks unter seinem künstlerischen<br />

Leiter Howard Arman<br />

bringt mit Julius Drake am Klavier<br />

die frühe Fassung zur Aufführung,<br />

ergänzt von Neukompositionen<br />

Ľubica Čekovskás. Die mit zahlreichen<br />

Preisen ausgezeichnete<br />

Komponistin, die auch Opern und<br />

Filmmusik schreibt, studierte u. a.<br />

bei Robert Saxton, Thomas Adès,<br />

Harrison Birtwistle und Arvo Pärt.<br />

Von diesem stammt das dritte<br />

Werk des Abends, der Chorsatz<br />

And I Heard a Voice.<br />

München, Prinzregententheater,<br />

www.br-chor.de<br />

49


E R L E B E N<br />

Kommt mit Musik des 20. und 21. Jahrhunderts nach München: das London Symphony Orchestra<br />

FOTO: RANALD MACKECHNIE<br />

MUSIK ZWEIER<br />

JAHRHUNDERTWENDEN<br />

Die räsonanz – Stifterkonzertinitiative der Ernst von Siemens Musikstiftung –<br />

macht es möglich: Das London Symphony Orchestra und sein neuer<br />

Chefdirigent, Sir Simon Rattle, geben bei der musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />

in der Philharmonie im Gasteig ihr erstes Münchner Gastspiel.<br />

VON RUTH RENÉE REIF<br />

Heftig stampfende Moll-Akkorde eröffnen John Adams’ Harmonielehre.<br />

Sie wecken Assoziationen an die düsteren Streicher und<br />

Oboenklänge am Beginn von Jean Sibelius’ Vierter Sinfonie. Sein<br />

Werk richte den Blick in die Vergangenheit, erläutert Adams. „Die<br />

Schatten von Mahler, Sibelius, Debussy und dem jungen Schönberg“<br />

seien darin überall. Harmonielehre ist eine imposante orchestrale<br />

Auseinandersetzung mit der sinfonischen Musik der Wende vom<br />

<strong>19</strong>. zum 20. Jahrhundert. Der Titel bezieht sich auf das gleichnamige<br />

Lehrbuch, das Schönberg <strong>19</strong>11, also just in jenem Jahr veröffentlichte,<br />

als er selbst sich von der Tonalität<br />

abwandte. Adams, der bei Leon Kirchner, einem<br />

Schüler Schönbergs in Los Angeles, studierte,<br />

kostete es „einen Akt enormer Willenskraft“,<br />

sich dem Einfluss Schönbergs zu entziehen. Er<br />

RÄSONANZ –<br />

STIFTERKONZERT<br />

2. Mai, München, Philharmonie im Gasteig,<br />

www.br-musica-viva.de<br />

empfindet es daher nicht als überraschend, dass seine Zurückweisung<br />

häufig „die Form einer Parodie“ annahm. Adams <strong>19</strong>85 entstandenes<br />

dreisätziges Orchesterwerk beschreibt er als Verbindung<br />

minimalistischer Techniken mit „der harmonischen und expressiven<br />

Welt“ der Spätromantik.<br />

Sir Simon Rattle, seit September 2017 künstlerischer Leiter des<br />

London Symphony Orchestra, setzt das Werk auf das Programm<br />

seines ersten Münchner Gastspiels, das von der musica viva, einer<br />

Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks, veranstaltet wird. Möglich<br />

wird das Gastspiel durch eine Initiative der<br />

Ernst von Siemens Musikstiftung. Unter dem<br />

Titel räsonanz – Stifterkonzert ermöglicht die<br />

Stiftung jährlich je ein Konzert zeitgenössischer<br />

Werke mit internationalen Gastorchestern und<br />

50 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Ioan-Holender-Kolumne<br />

Oper ist ein<br />

schweres Geschäft<br />

Sir Simon Rattle<br />

Solisten in München bei der musica viva und in der Schweiz bei<br />

Lucerne Festival. Den ersten Teil des Programms gestaltet Rattle<br />

mit Musik aus Großbritannien. Die Trompeter Philip Cobb und<br />

Gábor Tarkövi sind die Solisten in Dispelling the Fears aus den Jahren<br />

<strong>19</strong>94–<strong>19</strong>95 von Mark-Anthony Turnage, dem Rattle seit Jahrzehnten<br />

eng verbunden ist. Turnage schätzt Rattles Einsatz für<br />

zeitgenössische Musik. „Simon macht sich für das Neue stark“,<br />

betont er. Neue Werke probe er unwahrscheinlich gründlich. Das<br />

Entscheidende sei jedoch, „dass er Komponisten wirklich achtet“.<br />

Zu Dispelling the Fears ließ sich Turnage von dem düsteren Gemälde<br />

der australischen Malerin Heather Betts anregen, auf dem ein kleines<br />

weißes „Lichtfenster“ den Blick anzieht. Dieses Gefühl des Übergangs<br />

vom Dunkel zum Licht bringt er in der Komposition zum<br />

Ausdruck. So wird der letzte Satz zu einer bewegenden Meditation<br />

der Trompete, deren zarte Klänge all die vorausgegangene Bedrohlichkeit<br />

und Angst zu besänftigen scheinen.<br />

In seinem Orchesterwerk The Shadow of Night aus dem Jahr<br />

2001 erkundet Sir Harrison Birtwistle die nächtliche Melancholie,<br />

von der elisabethanische Dichter erzählen. Der Titel stammt von<br />

einem Gedicht George Chapmans aus dem 16. Jahrhundert, das<br />

Melancholie nicht als depressive Gemütslage, sondern als eine inspirierte<br />

Gestimmtheit der Nacht darstellt. Anregung suchte Birtwistle<br />

zudem in Albrecht Dürers rätselhaftem Stich Melencolia I<br />

und John Dowlands Lautenlied In darkness let me dwell. Die ersten<br />

drei Noten daraus zitiert er in einem Solo der Piccoloflöte gleich<br />

nach Beginn seines Werks. Sodann webt er das Motiv, mal in höherer,<br />

mal in tieferer Tonlage, in dessen Struktur ein. Lange melodische<br />

Linien werden unterbrochen und wieder aufgenommen wie<br />

die Strahlen des Mondlichts, das hinter vorbeiziehenden Wolken<br />

langsam zum Vorschein kommt. Raunende Streicher- und Fagottklänge<br />

steigern sich immer wieder zu emotionaler Spannung, die<br />

sich in schrillen Bläserstößen entlädt, bis sich melodisch sanft der<br />

Morgen ankündigt.<br />

■<br />

Ohne sich in die nähere Geschichte zu vertiefen,<br />

wissen wir, dass das bis in die <strong>19</strong>70er- und<br />

<strong>19</strong>80er-Jahre gepflegte Ensemblesystem, in dem<br />

jedes Opernhaus – ob klein oder groß – den Spielplan vornehmlich<br />

durch seine eigenen Sänger bestritt, qualitativ<br />

besser ist als der heute, leider sogar in den kleinen Stadttheatern<br />

praktizierte Weg mit Gastsängern. Eine langsame,<br />

organische Entwicklung eines angehenden Gesangssolisten<br />

ist äußerst schwierig geworden. Man debütiert in den<br />

allergrößten Häusern gleich mit neuen Partien, ohne sich<br />

davor selbst ausprobieren und Erfahrung sammeln zu können,<br />

wie man sich zum Beispiel lange Partien einteilt. Es<br />

gibt keine Möglichkeit mehr, Fehler zu machen und aus<br />

ihnen zu lernen.<br />

Die mediale Ankündigung beherrscht ebenso wie die<br />

Berichte der Vorankündigung alles, zur Freude des jeweiligen<br />

Intendanten, aber auch des Künstlers. Die Regisseure<br />

sind derzeit immer hausfremde Gastregisseure. Sie kennen<br />

weder die Mitarbeiter noch das Haus und oft auch nicht<br />

die Stadt, in der sie arbeiten. Die Wahl eines Regisseurs ist<br />

genauso schwierig wie jene des Sängers, denn wenn der<br />

Regisseur das Werk, für das man ihn sucht, schon irgendwo<br />

inszeniert hat, ist er oder sie sowieso schon nicht mehr<br />

inter essant. Alles muss schnell gehen, und nichts, was<br />

schon war, soll wieder sein. Manche Länder oder manche<br />

Orte geben enorme Honorare aus, um ein Ereignis, pardon,<br />

ein Event, zu feiern. Es geht schon lange nicht mehr<br />

um Kunst, auch nicht um Unterhaltung, sondern nur noch<br />

ums Geschäft.<br />

Oper zu gestalten, ist heute sehr teuer geworden.<br />

Einen Regisseur zu engagieren, bedeutet, noch mindestens<br />

fünf Mitarbeiter dazu zu beschäftigen, einen Assistenten,<br />

den Lichtarchitekten, den Videobetreuer, den persönlichen<br />

Assistenten und einen Dramaturgen. Ein Theaterleiter<br />

braucht neben sich einen Berater, einen Besetzungschef,<br />

den Dramaturgen und, und, und … Doch der arme Sänger<br />

bleibt allein, er muss alles machen, was man von ihm<br />

wünscht und was er oftmals nicht möchte, und dazu soll<br />

er noch gut singen. Es kommt bald die Zeit der öffentlichen<br />

Playbacks, der Mikrofonierung, und wer weiß was noch<br />

alles, um endlich den Störfaktor Sänger zu ersetzen.<br />

„kulTOUR mit Holender“ auf<br />

ServusTV Deutschland:<br />

7. und 10.2. „Dresden“ | 21. und 24.2. „Krim“ |<br />

7.3. Porträt des Schauspielers Philipp Hochmair<br />

51


E R L E B E N<br />

FOTOS: CHRISTIAN KLEINER<br />

Vollendete Technik, psychologisches Verstehen und Empathie zeichnen Michael Francis am Pult aus<br />

52 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


MUSIK FÜR ALLE<br />

Michael Francis übernimmt mit Beginn der Jubiläumssaison 20<strong>19</strong>/2020 die Leitung<br />

der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz.<br />

VON RUTH RENÉE REIF<br />

„Es ist ein wunderbarer Beruf “, schwärmt Michael Francis. Erlebt man<br />

ihn bei der Arbeit am Pult, ist man versucht, von Berufung zu sprechen.<br />

Francis besitzt jene Gabe, die das Dirigieren immer wieder so<br />

geheimnisvoll erscheinen lässt und die doch wenig mit Magie und viel<br />

mit Empathie zu tun hat. Er vermag es, akribische Partituranalyse,<br />

vollendete Dirigiertechnik und psychologisches Verstehen in beglückende<br />

Dimensionen musikalischen Ausdrucks umzusetzen. Im<br />

Dezember 2018 unterschrieb er einen Fünfjahresvertrag als neuer<br />

Chefdirigent der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. „Mit<br />

Francis ist es gelungen, einen herausragenden und weltweit gefragten<br />

Dirigenten zu gewinnen“, freut sich Intendant Beat Fehlmann. Francis<br />

war der Wunschkandidat des Orchesters. Als er 2016 zum ersten Mal<br />

vor ihm stand, spürte man sogleich die besondere Beziehung, die sich<br />

zwischen ihm und den Musikern einstellte.<br />

Seine Laufbahn begann Francis als Kontrabassist wie sein<br />

Vater, der auch sein erster Lehrer wurde. Als sich im Alter von 17,<br />

18 Jahren sein Wunsch zu dirigieren festigte, entschied er sich für<br />

eine breit angelegte Vorbereitung. An der Universität Cardiff absolvierte<br />

er ein Studium der Musikgeschichte. Anschließend studierte<br />

er an der Royal Academy of Music Kontrabass. Dieses Instrument<br />

eignete sich seiner Einschätzung nach am besten, um dem Dirigieren<br />

auf den Grund zu kommen. Da die Aufgabe des Bassisten hauptsächlich<br />

darin bestehe zu begleiten, sei er gezwungen, den anderen<br />

zuzuhören, und befinde sich „auf dem Boden der Harmonie“. Er<br />

habe alles über Musik erfahren und danach eine Musikerstelle im<br />

besten Orchester bekommen wollen, erläutert Francis seinen Plan.<br />

Tatsächlich erhielt er eine Anstellung beim London Symphony<br />

Orchestra. Zehn Jahre arbeitete er als Orchestermusiker. Auch im<br />

Rückblick sieht er es als den besten Weg an, ein Orchester dirigieren<br />

zu lernen, ihm anzugehören. Es eröffnete ihm die Möglichkeit, verschiedene<br />

Dirigenten zu erleben und ein Gefühl für die psychologischen<br />

Vorgänge im Inneren eines Orchesterapparates zu<br />

entwickeln.<br />

Eine erste Chance, sich als Dirigent zu beweisen, erhielt er 2007.<br />

Valery Gergiev musste krankheitsbedingt eine Probe absagen. Auf<br />

dem Programm standen Dmitri<br />

Schostakowitsch und Sofia Gubaidulina.<br />

Francis übernahm die Probe und<br />

dirigierte erfolgreich die Aufführung.<br />

Einzuspringen für John Adams und<br />

André Previn, waren weitere Meilensteine<br />

auf seinem Weg zum international<br />

gefragten Dirigenten. Von 2012 bis<br />

2016 war Francis Chefdirigent des<br />

Norrköping Symphony Orchestra.<br />

Zudem gastierte er bei zahlreichen<br />

Orchestern in Europa, Asien sowie<br />

den USA und arbeitete mit Solisten<br />

DEUTSCHE STAATSPHILHARMONIE<br />

RHEINLAND-PFALZ, MICHAEL FRANCIS<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

Worms, 1.2., Ludwigshafen, 2.2., Neustadt, 7.3.,<br />

Wörth am Rhein, 8.3., Mannheim, 9.3.<br />

Konzerte mit dem Dirigenten und Violinisten<br />

Pinchas Zukerman: Wörth am Rhein, 17.4., Pirmasens,<br />

18.4., Heidelberg, 20.4., Karlsruhe, 21.4.<br />

Konzerte mit Pinchas Zukerman und<br />

Michael Francis am Pult: Ludwigshafen, 25.4.,<br />

Kaiserslautern, 26.4., Worms, 27.4., Mainz, 28.4.<br />

www.staatsphilharmonie.de<br />

wie Ian Bostridge, Lang Lang, Daniel Müller-Schott, Itzhak Perlman,<br />

Christian Tetzlaff und Arcadi Volodos zusammen. Seit 2015<br />

ist er künstlerischer Leiter des Mostly Mozart Festivals in San Diego<br />

sowie Chefdirigent des Florida Orchestra.<br />

Seine Position als Chefdirigent in Ludwigshafen tritt er am<br />

1. September 20<strong>19</strong> zu Beginn der Saison an, in der die Deutsche<br />

Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ihr 100-jähriges Bestehen feiert.<br />

In mehreren deutschen Städten fanden nach dem Ersten Weltkrieg<br />

Orchestergründungen statt. Die Auflösung der Militärkapellen hatte<br />

viele Musiker ihrer Existenzgrundlage beraubt. Sie versuchten, sich<br />

neue Spielmöglichkeiten zu schaffen. Dieses rege musikalische Leben<br />

veranlasste einige pfälzische Städte, Musikvereine und Mäzene, sich<br />

zu einem Orchesterverein zusammenzuschließen, der <strong>19</strong><strong>19</strong> in Landau<br />

das Landes-Sinfonie-Orchester für Pfalz und Saarland ins Leben<br />

rief. Mehrfach änderte der Klangkörper in der Folge seinen Namen,<br />

bewältigte Krisen und wuchs an Erfolgen. <strong>19</strong>83 wurde Leif Segerstam<br />

zum Leiter berufen, der die Orchesterkultur durch die Aufführung<br />

Neuer Musik nachhaltig bereicherte. Seit 2014 bringt die<br />

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter dem Titel<br />

„Modern Times“ beim Label Capriccio Porträts von Komponistinnen<br />

des 20. Jahrhunderts heraus. Gleich für die erste Veröffentlichung<br />

„Bernd Alois Zimmermann“ wurde sie als „Orchester des Jahres“<br />

mit dem Echo Klassik 2015 ausgezeichnet. 2018 erhielt sie für ihre<br />

Einspielung „George Antheil“ den Opus Klassik. Aktuell fördert<br />

auch die Bundeskulturstiftung das Orchester im Rahmen des Programms<br />

„360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“.<br />

Francis zeigt sich beeindruckt von dem hohen Stellenwert, den<br />

das Orchester innerhalb der Gesellschaft einnimmt. Als Privileg<br />

empfinde er es, dass die Staatsphilharmonie auch nach 100 zurückliegenden<br />

Spielzeiten die Musik zu den Menschen in Rheinland-Pfalz<br />

bringe, um sie für alle zugänglich zu machen, und er an diesem<br />

Auftrag mitwirken dürfe. Bereits in der aktuellen Saison ist er mit<br />

dem Orchester zu erleben. Das Repertoire bereichert er mit Kompositionen<br />

aus seinem Geburtsland. So setzt er das wundervoll<br />

romantische Violinkonzert h-Moll von Edward Elgar sowie die Ritual<br />

Dances aus Michael Tippetts Oper<br />

Mittsommerhochzeit aufs Programm.<br />

Er bringt die sinfonische Totenmesse<br />

Sinfonia da Requiem, die Benjamin<br />

Britten <strong>19</strong>40 zum Gedenken an seinen<br />

im Ersten Weltkrieg getöteten Vater<br />

schrieb, und er dirigiert die London<br />

Symphony, in der Ralph Vaughan Williams<br />

mit den Glocken von Westminster<br />

und den Melodien der Straßenausrufer<br />

von Bloomsbury ein musikalisches<br />

Porträt der Stadt an der Themse<br />

entwirft.<br />

■<br />

53


E R L E B E N<br />

„HEUTE SCHREIBE ICH<br />

FÜR HEUTE“<br />

Die international gefeierte Weill-Interpretin Ute Lemper ist Artist-in-Residence des<br />

27. Kurt Weill Fests vom 1. bis 17. <strong>März</strong> in Dessau und Umgebung.<br />

VON RUTH RENÉE REIF<br />

Berühmte Künstler aus aller<br />

Welt bereichern das Fest: Die<br />

Chansonsängerin Ute Lemper<br />

und der Trompeter Frank London<br />

kommen aus New York<br />

FOTOS: ADRIAN BUCKMASTER; ADRIAN BUCKMASTER<br />

„Wir müssen mit dem Musiktheater Weills<br />

im Dialog bleiben“, forderte Luciano Berio<br />

<strong>19</strong>99. Er sah in ihm „eines der wichtigsten<br />

Phänomene des 20. Jahrhunderts“. Das<br />

Kurt Weill Fest hält diesen Dialog aufrecht<br />

und verleiht ihm immer wieder neue<br />

Impulse. 48 Veranstaltungen mit bedeutsamen<br />

Künstlern wie den Schauspielerinnen<br />

Katja Riemann und Katharina Thalbach,<br />

der Sängerin Helen Schneider, dem<br />

Trompeter Frank London, dem Posaunisten<br />

Nils Landgren und dem Dirigenten<br />

Karl-Heinz Steffens feiern den Komponisten,<br />

der sich wünschte, nur Musik zu sein.<br />

Zur Eröffnung gastieren die Sopra nistin<br />

Dagmar Pecková und der Tenor Jiří Hájek<br />

mit ihrer Revue Wanted im Anhaltischen<br />

Theater. Songs wie die Zuhälterballade aus<br />

der Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht in<br />

Berlin, Der Abschiedsbrief, den Weill im<br />

September <strong>19</strong>33 nach einem Text von Erich<br />

Kästner in Paris komponierte, und Buddy<br />

on the Nightshift aus den Songs for the War<br />

Effort, die <strong>19</strong>42 im New Yorker Exil entstanden,<br />

lassen Stationen aus dem Leben<br />

Weills Revue passieren. Die Dreigroschenoper,<br />

der unvergessliche Klassiker, der aus<br />

Weills Zusammenarbeit mit Brecht hervorging,<br />

steht in der Inszenierung von Ezio<br />

Toffolutti und mit Markus L. Frank am Pult erneut auf dem Spielplan<br />

des Anhaltischen Theaters Dessau.<br />

Artist-in-Residence ist Ute Lemper, eine der vielseitigsten<br />

Künstlerinnen des Musiktheaters. Seit Beginn ihrer Karriere, als<br />

sie in Berlin mit Nicole Heesters und Ingrid Caven in einer Kurt-<br />

Weill-Revue auftrat, ist sie eine herausragende, international gefeierte<br />

Weill-Interpretin. In einem Galakonzert mit der Anhaltischen<br />

Philharmonie Dessau singt sie Songs wie Surabaya Johnny aus dem<br />

Songspiel Happy End oder den Tango Youkali aus der Operette Marie<br />

galante nach Jacques Devals gleichnamigem Roman, die Weill<br />

bereits auf der Flucht in Frankreich schrieb. Das<br />

Orchester unter Markus L. Frank spielt die Suite<br />

aus der Musiquette Silbersee, Weills letztes in<br />

Deutschland komponiertes Werk, das <strong>19</strong>32/33<br />

KURT WEILL FEST<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

www.kurt-weill-fest.de<br />

aus der Zusammenarbeit mit dem Dramatiker<br />

Georg Kaiser entstand. Über ihr<br />

bewegtes Leben auf zwei Kontinenten, ihre<br />

Arbeit und ihre Liebe zu Weill unterhält<br />

sich Ute Lemper mit Intendant Gerhard<br />

Kämpfe im Festivalcafé. Als „eine zweite<br />

Marlene Dietrich“ wurde Ute Lemper<br />

gefeiert, und „von der Wurzel her“ sieht sie<br />

sich auch von ihr und ihrer Zeit inspiriert.<br />

In der Show Rendezvous mit Marlene<br />

erzählt sie die Geschichte Marlene Dietrichs<br />

und trägt ihre Lieder vor, von den<br />

Berliner Kabarettjahren bis zur Zusammenarbeit<br />

mit Kurt Weill und anderen<br />

Komponisten. „Am Broadway geht’s härter<br />

zu als am Kurfürstendamm“, musste Weill<br />

der Dietrich <strong>19</strong>42 erklären.<br />

„Mut zur Erneuerung“ lautet das<br />

Motto des Festes. Weills Streben war es,<br />

ein neues Genre des Musiktheaters zu<br />

schaffen, das „die völlig veränderten<br />

Lebensäußerungen unserer Zeit in einer<br />

entsprechenden Form“ behandle. „Man<br />

komme mir nicht mit der Nachwelt“, erwiderte<br />

er auf die Frage nach den Zukunftsaussichten<br />

seiner Musik, „heute schreibe<br />

ich für heute“. Zugleich spiegelt sich in dem<br />

Motto die vor 100 Jahren geborene Idee des<br />

Bauhauses, die Welt neu zu denken. Im<br />

Jubiläumsjahr des Bauhauses greift die neue Reihe „Neues Hören<br />

durch Sehen“ das Bauhaus-Ziel der „Sammlung alles künstlerischen<br />

Schaffens zur Einheit“ auf. Im nächtlichen Kammerkonzert des<br />

Perkussionisten Andreas Hepp und des Lichtdesigners Björn Schneider<br />

finden musikalische Handlungsfäden, die sich in Klangfarbe,<br />

Tempo, Rhythmus und Melodie unterscheiden, mit Lichtgestaltung<br />

und der architektonischen Umgebung zu einem großen Gesamterlebnis<br />

zusammen. Kunst und Technik vereint die Konzertsuite<br />

Trains Bound for Glory. Sie enthält populäre Nummern aus der Show<br />

Railroads in Parade, die Weill für den Eisenbahnpavillon der New<br />

Yorker Weltausstellung <strong>19</strong>39–<strong>19</strong>40 schrieb.<br />

Markus L. Frank leitet im DB-Werk die Anhaltische<br />

Philharmonie Dessau bei ihrer deutschen<br />

Erstaufführung.<br />

■<br />

54 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


SCHWERPUNKT<br />

BAUHAUS<br />

Weimar, Dessau, Berlin. Gropius, Itten, Schlemmer. Was hat die neue Formensprache geprägt? (Seite 56)<br />

Eine Revolution der Architektur: Was hat es in die Neuzeit geschafft? (Seite 64)<br />

200 (!) Jahre BAUHAUS<br />

VON STEFAN SELL<br />

41 Jahre<br />

BAUHAUS Band<br />

59 Jahre<br />

BAUHAUS Baumarkt<br />

100 Jahre<br />

BAUHAUS Kunst<br />

wahr<br />

Vor 41 Jahren hoben vier Kunststudenten<br />

in Northampton mit<br />

Bauhaus die erste Gothic-Band<br />

aus der Taufe. Mit vielen Genrebezeichnungen<br />

versuchte man<br />

ihren Musikstil zu fassen: von<br />

Dark Wave und Post Punk bis<br />

zu funkigem Psychodelic-Noise-Glamrock-Dub.<br />

Bis heute<br />

genießt die Band Kultstatus.<br />

Der aus Schriesheim<br />

stammende<br />

Schreiner<br />

und Glaser<br />

Heinz-Georg<br />

Baus war 26 Jahre<br />

alt, als er in Mannheim das Bauhaus-Unternehmen<br />

gründete. Sein<br />

Name war dabei hilfreich, fehlte<br />

ihm zwischen der ersten Silbe und<br />

dem Konsonanten „s“ doch nur der<br />

richtige Hau: Bau-hau-s, Europas<br />

größte Baumarktkette.<br />

<strong>19</strong>22 fand Ludwig Mies,<br />

er wolle mehr als<br />

nur „Mies“ sein und<br />

fügte seinem<br />

Mies den Geburtsnamen seiner<br />

Mutter hinzu. Das Ganze krönte<br />

er durch ein adelig klingendes<br />

„van der“ und hieß von nun an<br />

„Mies van der Rohe“.<br />

unwahr<br />

interessant<br />

<strong>19</strong>80 landeten Bauhaus<br />

mit einer düsteren<br />

Coverversion<br />

von Mike Krügers<br />

„Mein Gott, Walter“<br />

einen Hit. 23 Wochen führten<br />

sie die deutschen Charts an. Ihre<br />

stark vereinfachte Variante war<br />

eine Platte im Plattenbaustil. Der<br />

Titel bezog sich auf Gropius’ Ehe<br />

mit Alma Mahler, die nur fünf<br />

Jahre dauerte.<br />

Peter Murphy, alias „Godfather of<br />

Goth“, dessen Gesang an David<br />

Bowie erinnert, eröffnete mit<br />

dem Bauhaus-Debüt Bela Lugosi’s<br />

Dead einprägsam und finster<br />

Tony Scott’s modernen Vampirfilm<br />

„Begierde“ mit Catherine<br />

Deneuve und David Bowie in den<br />

Hauptrollen.<br />

Als Bauhausgründer Baus davon<br />

hörte, dass sein Konkurrent<br />

Albrecht Hornbach eine eigene<br />

Firmenband namens „Herzblut“<br />

betrieb, beschloss der öffentlichkeitsscheue<br />

Großunternehmer,<br />

eigene Kompositionen einzuspielen.<br />

Nach seinem Tod 2016<br />

wurden sie unter dem Titel „Bau<br />

Haus des Geldes“ veröffentlicht.<br />

Die exzellente Schlagwerkerin<br />

Leonie Klein ist im Baumarkt<br />

anzutreffen, wenn sie auf<br />

experimenteller Klangsuche<br />

nach „Sachen, die sonst<br />

keiner benutzt“ Scharniere<br />

und Pfostenträger anschlägt.<br />

Ob sie dies im Bauhaus tut,<br />

wird – um dem Vorwurf<br />

der Schleichwerbung zu entgehen<br />

– nicht verraten.<br />

Mies van der Rohe wollte den von<br />

ihm geforderten Minimalismus<br />

für die Architektur auch für die<br />

Preisgestaltung der Honorare einlösen.<br />

Er diskutierte mit seinen<br />

Kollegen, wie hoch der Preis für<br />

die Arbeit eines Bauhäuslers sein<br />

darf, und schlug vor, „Weniger<br />

ist mehr“ für alle verbindlich zu<br />

machen.<br />

Walter Gropius (Foto) schlug <strong>19</strong>20<br />

seinen Bauhauslehrern, den<br />

„Herren Meistern“,<br />

vor: „… bei den Aufnahmen<br />

für absehbare<br />

Zeit Damen nur mit<br />

ganz außerordentlicher<br />

Begabung aufnehmen zu<br />

wollen“. Daraus könnte<br />

man schließen, dass<br />

Herren auch minderbegabt<br />

Aufnahme am Bauhaus<br />

finden konnten.<br />

FOTOS: CLOUIS HELD; FRANK VINCENTZ; WIKIMEDIA COMMONS; DANIEL ASH / C PFIG<br />

55


B A U H A U S 1 0 0<br />

Grafische Elemente bestimmten das Design in der Zeit des Bauhauses:<br />

das Bauhaus-Logo, entworfen <strong>19</strong>22 von Oskar Schlemmer<br />

56 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


BAU<br />

HAUS<br />

Klar, puristisch, funktional.<br />

Seit 100 Jahren beeinflusst das Bauhaus alle Künste.<br />

VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />

D„er ele gan te Frei schwin ger aus Stahl rohr von Mar cel Breu er im Arztzim<br />

mer, die halb ku gel för mi ge Tisch lam pe von Wil helm Wagen feld<br />

im hip pen Sin gle-Haus halt, die Wei ßen hof sied lung in Stutt gart mit<br />

ihren hell verputzten, kubischen Flachdachwohnungen – alles minima<br />

lis tisch und funk tio nal: die Klas si ker des Bau hauses. „Form fol lows func tion“<br />

hat te sich der Archi tekt Wal ter Gro pi us auf die Fah nen geschrie ben, als er <strong>19</strong><strong>19</strong><br />

sein Amt als Direk tor einer neu en Kunst hoch schu le in Wei mar antrat.<br />

Es ging um weit mehr als puris ti sches Design. Der Ers te Welt krieg hat te die<br />

alte Ord nung hin weg ge fegt. Eine jun ge, nicht sel ten im Schüt zen gra ben trau mati<br />

sier te und in jedem Fall erwerbs lo se Genera ti on such te Halt und Sinn. Auch der<br />

damals 36-jäh ri ge Gro pi us hat te im Krieg Schlim mes erlebt. Er for der te einen<br />

mora li schen Neu an fang, eine „neue Bau kunst“. Vor bild für sein „Staat li ches Bauhaus“,<br />

wie er die Hoch schu le nann te, waren ihm die mit tel al ter li chen Bau hüt ten<br />

der Kathe dra len, wo sei ner zeit Bild hau er, Maler, Archi tek ten, Kunst ge werb ler<br />

und Hand wer ker zusam menarbei te ten und es kei ne Tren nung zwi schen künst leri<br />

scher Kon zep ti on und Ver wirk li chung gab.<br />

Zugleich träumte Gropius von der Überwindung gesellschaftlicher Ungleichheit.<br />

Sei ne Sozi aluto pie zog nicht nur hoch be gab te Künst ler wie Paul Klee, Was si ly<br />

Kan din sky, Lyo nel Fei nin ger und Oskar Schlem mer an, son dern auch eso te ri sche<br />

Heils leh rer dubio ser Cou leur: Astro lo gen, Spi ri tis ten, Wan der apos tel und sek tie-<br />

57


B A U H A U S 1 0 0<br />

re ri sche Pro phe ten sowie Anthro po so phen, Sozia listen<br />

und Kommunisten. Ein explosiver schöpferischer<br />

Mix. „Glau ben Sie ja nicht, dass das Leben am Bau haus<br />

einfach oder unkompliziert gewesen wäre!“, erinnerte<br />

sich Tut Schlem mer, die Frau Oskars. „Man fühl te sich<br />

viel mehr wie auf einem vul ka ni schen Gelän de, und<br />

man muss te sehr auf pas sen, all zu sehr hin und her<br />

geris sen zu wer den von all dem, was auf uns einstürm<br />

te.“ Und: „Man war ja andau ern den Wand lungen<br />

preis ge ge ben: Wir fin gen ja fast mit tel al ter lich an<br />

mit unse ren Sat zun gen von Form meis tern, Handwerks<br />

meis tern und Lehr lin gen und ende ten doch am<br />

Schluss (<strong>19</strong>33) mit einer Avant gar de auf allen<br />

Gebie ten.“<br />

Im gut bür ger li chen Wei mar ent wi ckel ten sich<br />

die Bau häus ler zum Bür ger schreck. „Wenn ihr euch<br />

nicht benehmt“, droh ten Eltern ihren Kin dern, „dann<br />

ste cken wir euch ins Bau haus!“, zu den „Zucht häuslern“,<br />

wie sie ihrer lan gen Haa re wegen genann t wurden.<br />

Oft zogen sie durch die Gas sen in Rus sen kit tel<br />

und Trich ter ho se, an den Hüften ganz weit und den<br />

Knö cheln ganz eng, und begrüß ten sich mit dem<br />

„Bauhauspfiff “, einer 13-töni gen Melo die, die jetzt,<br />

im Jubi lä ums jahr, täg lich um zwölf Uhr vom Rat hausturm<br />

in Des sau tönt, der zwei ten Bau haus-Stät te.<br />

Ein Cha rak ter kopf der ers ten Stun de war Lothar<br />

Schrey er, ein Freund kul ti scher Wei he bot schaften<br />

und Erlö sungs vi sio nen. Über troffen wur de er von<br />

dem exzen tri schen Johan nes Itten, der sich als<br />

erleuch te ter „Meis ter“ ver stand und kahl köp fig im<br />

pseu do pries ter li chen Ornat, im „Anzug aus pur purvio<br />

let tem kost ba ren Tuch“ auftrat, wie Schrey er sich<br />

erinnert. Als überzeugter Anhänger der Mazdaznan-<br />

Lehre, einer esoterischen Heilslehre, vertrat Itten eine<br />

rigide Ernährungs-, Atem- und Wiedergeburtslehre,<br />

mit der er nicht nur Klee nerv te. Der ließ ihm bestellen,<br />

er den ke nicht dar an „auf dem Weg über den<br />

gerei nig ten Darm in den Him mel“ zu kom men. Ittens<br />

Form- und Farbstudien allerdings, seine „übersinnliche“<br />

Farbenlehre, derzufolge jeder Mensch von einer<br />

farbigen Aura umgeben sei, faszinierte Klee. Auch<br />

Kan din sky sah die Men schen in sei nen Bil dern in Rot,<br />

Blau und Gelb.<br />

Die Bau häus ler fei er ten gern. Gele gen heit gab es immer, ob<br />

beim Later nen-, Son nen wend-, Dra chen- oder Julklapp-Fest (Weihnach<br />

ten). Dann spiel te die Bau haus ka pel le auf mit Lux Fei nin ger an<br />

der Kla ri net te oder dem Ban jo. Man tanz te Charles ton und erfand<br />

sogar einen Bau haus-Tanz. Wenn der Abend zur Nei ge ging, wur den<br />

gern Thea ter ex pe ri men te zum Bes ten gege ben. Wie in Möbeln und<br />

der Archi tek tur soll ten auch die Akteu re auf der Bau haus-Büh ne<br />

nichts Indi vi du el les aus strah len. Durch „Tri kots und Mas ken ver einheitlicht“<br />

stellten sie eine „Synthese von Mensch und Marionette, von<br />

Natur- und Kunst fi gur“ dar.<br />

Musik war am Bau haus kei ne eigen e Dis zi plin und doch immer<br />

präsent. Feininger musizierte, auch Klee wollte ursprünglich Geiger<br />

werden. In seinen Werken finden sich abstrahierte Noten, Notenzeilen<br />

und Vio li n schlüs sel. Musik sei ihm die Gelieb te, sag te er, Male rei<br />

die „ölrie chen de Pin sel göt tin, die ich bloss umar me, weil sie eben<br />

mei ne Frau ist“. Kan din sky war über die Musik zur Male rei gekommen.<br />

Bei einer Auffüh rung von Wag ners Lohengrin hat te er Far ben<br />

„gese hen“. Aus Paris kam Igor Stra win sky, um die Auffüh rung sei ner<br />

Geschichte vom Soldaten zu erle ben. Aus Ber lin Fer ruc cio Buso ni. Mit<br />

ihm sein Schü ler Kurt Weill. Auch Paul Hin de mith, ein Freund Oskar<br />

Von oben: László Moholy-<br />

Nagy, Perpe, <strong>19</strong><strong>19</strong>; Grundlagen<br />

der Farbtheorie und<br />

Farbkreis nach Johannes<br />

Itten; dreidimensionales<br />

Seh- und Hörerlebnis:<br />

„Das totale Tanztheater<br />

360°“; Teekanne von<br />

Naum Slutzky<br />

Schlemmers, der ihm einige Bühnenbilder geschaffen<br />

hat te, war oft da.<br />

Das Bau haus war der Ort, wo moder ne Kunst<br />

gelehrt wur de, wo man sie auch aus pro bier te. Wo Gropi<br />

us lehr te, wo Klee lehr te, wo Kan din sky lehr te …<br />

und Mondrian zu Vorlesungen kam.“ Auf Anweisung<br />

von Itten, erin nert sich Wol pe, „gin gen wir alle raus<br />

mit einem klei nen Koffer und sam mel ten alles, was<br />

wir fan den – von Ziga ret ten kip pen bis zu klei nen Feilen,<br />

kleinen Schrauben, Briefschnipseln, Brotkrümeln,<br />

toten Vögeln, Federn, Milch fla schen … (wir) muss ten<br />

diese Dinge unabhängig von ihrer subjektiven Bedeutung<br />

ver wen den … als for ma le Ele men te wur den sie<br />

neu tra li siert, so exis tier te ein toter Vogel nur in sei ner<br />

for ma len struk tu rel len Bezie hung …“<br />

Die neu aufkommende Dodekaphonie (= Zwölfton<br />

mu sik) spal te te die Gemü ter. Das Lager von Erwin<br />

Ratz ver trat die Auffas sung von Arnold Schön berg,<br />

das von Itten fühl te sich der Phi lo so phie von Josef<br />

Mat thi as Hau er ver bun den. Klee, den man wegen seiner<br />

stil len Art auch „Bau haus bud dha“ nann te, hielt<br />

sich zurück. Für ihn schien nach Mozart ohne hin<br />

schon fast alles gesagt. <strong>19</strong>09 kari kier te er einen Pianisten<br />

bei der Interpretation Neuer Musik: angekettet<br />

an sein Instru ment, auf einem Nacht topf sit zend,<br />

„dabei ‚durch schau bar‘ bis auf die Kno chen (in sei ner<br />

Inno va ti ons sucht) und ‚bedürftig‘ in einem ganz elemen<br />

ta ren Sin ne“.<br />

Doch die Sucht nach Neu em war nicht auf zuhal<br />

ten. Fas zi niert expe ri men tier te Bau haus-Leh rer<br />

László Moholy-Nagy mit Schellack-Schallplatten, ließ<br />

sie rück wärts abspie len, schnitt mit Lin ol schnitt messern<br />

und Nadeln neue Struk tu ren hin ein, um Klangeffek<br />

te zu gewin nen. Der ers te DJ der Geschich te! Das<br />

alles half nicht, die chronischen finanziellen Probleme<br />

der Lehr an stalt in den Griff zu bekom men. Das Bauhaus<br />

schien zu eli tär, kaum einer konn te sich die<br />

schmuck lo sen, aber teu ren Lam pen, Kan nen und Sessel<br />

leisten, die nun standardisiert in größeren Mengen<br />

pro du ziert wer den konn ten. Erst in den <strong>19</strong>80ern wurden<br />

sie zu begehr ten Designklas si kern.<br />

<strong>19</strong>24 strich die Thü rin ger Regie rung die Sub ventio<br />

nen und man zog in die Indus trie stadt Dessau. Die<br />

Aus ein an der set zun gen und die pre kä re Lage blie ben. <strong>19</strong>28 gab Gropi<br />

us sei nen Direk tor pos ten auf, Schlem mer folg te ihm <strong>19</strong>29. Auch<br />

Kan din sky, den man wegen sei nes diplo ma ti schen Geschicks „Gropi<br />

us’ Kanz ler“ nann te, wur de nicht mehr gese hen. Mies van der Rohe<br />

ver such te, das Bau haus als Pri vat in sti tut in einer ver las se nen Telefon<br />

fa brik in Ber lin-Ste glitz weiterzuführen.<strong>19</strong>33 wurde der Lehr betrieb<br />

endgültig eingestellt durch die Nazis, denen die „Brand fa ckel<br />

Moskaus“ ohnehin nie geheuer war. Gropius und andere emigrierten<br />

in die USA. In Chi ca go ent stand ein „New Bau haus“.<br />

In Deutsch land aber konn te man mit den Bau ten der „Wei ßen<br />

Göt ter“ aus Wei mar mit ihren engen Flu ren, nied ri gen Decken, ohne<br />

Stuck und Far be lan ge nichts anfan gen. Ador no sprach von „Konser<br />

ven büch sen“, Brecht von „Kaser nen“, Bloch mokier te sich über die<br />

geschichts lo sen „Stahl mö bel, Beton ku ben, Flachdachwesen“. <strong>19</strong>60<br />

kam das end gül ti ge Aus für den Kul tur be griff „Bau haus“. Ein Großmarkt<br />

für Schrau ben, Pin sel und Klo sett de ckel hat te sich den Namen<br />

gesichert. Seitdem darf auch kein Muse um mehr ein Pro dukt unter<br />

der Namen „Bau haus“ ver kau fen.<br />

n<br />

Die Infos zu den wich tigs ten Ver an stal tun gen rund um das Bau haus-Jubi lä um fin den Sie<br />

unter www.bauhaus100.de<br />

58 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


MUSIK AM BAUHAUS<br />

Mechanisches Ballett, ekstatische Klaviermusik und<br />

selbst gebaute Geräuschinstrumente – die Musik am Bauhaus<br />

war so innovativ wie seine Architektur.<br />

VON STEFFEN SCHLEIERMACHER<br />

Die Bauhauskapelle mit Lux Feininger<br />

Musik war am Bau haus kein Lehr fach, einen „Musik meister“<br />

hat es nie gege ben. Zwar fan den am Bau haus neben<br />

offen bar recht schrä gen Tanz aben den mit der Bau hauskapel<br />

le durch aus klas si sche Kon zer te statt, doch ein<br />

Hort der musi ka li schen Avant gar de war es im Grun de nie. Zumindest<br />

ein mal stand jedoch die aktu el le Musik im Mit tel punkt: Anlässlich<br />

der Bau haus wo che <strong>19</strong>23 erklan gen in einem Kon zert Wer ke<br />

von Buso ni, Schön berg, Bar tók, Hin de mith und Stra win sky.<br />

Der wesent lichs te und päd ago gisch prä gends te „Meis ter“ der<br />

ers ten Jah re war zwei fel los Johan nes Itten, der mit der Ein füh rung<br />

seines „Vorkurses“ Maßstäbe in der Kunstpädagogik setzte, die noch<br />

heu te wirk sam sind. Teil die ses Kon zepts waren neben Zei chen unter<br />

richt, Mate ri al- und For men kun de auch Wahr neh mungs stu di en<br />

und musi ka li sche Übun gen, die Ger trud Gru now – als ein zi ge<br />

„Musik leh re rin“, die das Bau haus je hat te – anlei te te. Hier ging es<br />

jedoch nicht um Musik un ter richt im enge ren Sin ne, son dern vielmehr<br />

um Ent span nungs übun gen, um Har mo ni sie rung, um das<br />

Umset zen von Klän gen in Bewe gun gen, in Ges ten oder auch in<br />

Hal tun gen.<br />

Itten hat te in sei ner Wie ner Zeit engen Kon takt zu Josef Matthi<br />

as Hau er gefun den. Die Künst ler fühl ten sich wesens ver wandt,<br />

bei de arbei te ten an einem Syn äs the sie-Kon zept, der Zuord nung<br />

von Far ben zu Klän gen, des Ent wi ckelns von Far ben- und Tonkreisen.<br />

Der Musik schrift stel ler und Kom po nist Hans Heinz Stu ckenschmidt,<br />

dem wir einen Zeit zeu gen be richt über die Musik am Bauhaus<br />

ver dan ken, berich tet davon, dass Kom po si tio nen von Hau er<br />

in Wei mar auch nach Ittens Weg gang noch bekannt waren und dass<br />

Vor trä ge über des sen Musik auf gro ßes Inter es se stie ßen. Itten und<br />

Hau er hat ten offen bar sogar erwo gen, in Wei mar als Ergän zung des<br />

Bau hau ses eine Musik schu le zu grün den. Doch die ser Plan hat te<br />

FOTO: MARKUS HAWLIK / BAUHAUS100<br />

59


B A U H A U S 1 0 0<br />

sich eben so wie Kan din skys Plan, Schön berg<br />

als Rek tor für die Wei ma rer Musik hochschu<br />

le zu gewin nen, sehr schnell<br />

zer schla gen.<br />

„Ich wuchs in Ber lin her an, doch Weimar<br />

liegt nicht sehr weit von Ber lin, und wir<br />

alle fuh ren nach Wei mar, wie Pil ger nach<br />

Jeru sa lem oder Mekka.“ Stefan Wol pe war<br />

vermutlich der einzige professionelle Kompo<br />

nist, der je am Bau haus war – jedoch nicht<br />

als Leh rer oder Meis ter, son dern als Schü ler.<br />

Als sol cher nahm er an Ele men tarkur sen bei Itten und Klee teil.<br />

Hans Heinz Stu cken schmidt schreibt in sei nem bereits erwähnten<br />

Arti kel über sei nen Besuch am Bau haus: „Wol pe saß meis tens<br />

ein sam in einer Ecke und schrieb wie der ein mal eines sei ner ekstati<br />

schen Kla vier stü cke, das er Friedl Dicker wid me te, einer hoch begab<br />

ten Bau häus le rin, die aus Wien kam und Johan nes Itten<br />

nahestand.“<br />

Stu cken schmidt selbst kam <strong>19</strong>23 für eini ge Zeit auf Ein la dung<br />

von Moho ly-Nagy ans Bau haus. Er arbei te te gemein sam mit Kurt<br />

Schmidt an des sen „Mecha ni schem Bal lett“. Die Musik zu dem<br />

Bal lett ist ver schol len – soweit sie über haupt je auf ge zeich net war,<br />

denn die Erin ne run gen von Stu cken schmidt legen die Ver mu tung<br />

nahe, dass die Musik über wei te Stre cken impro vi siert war. Die ser<br />

ver stand sich aller dings weni ger als Kom po nist, son dern schrieb<br />

vor allem Kri ti ken und Bücher, von denen vie le noch heu te zu den<br />

Stan dard wer ken der Musik ge schich te des 20. Jahr hun derts<br />

gehören.<br />

Ob Geor ge Ant heil, der ame ri ka ni sche Pia nist und Kom ponist,<br />

der durch sei ne futu ris ti schen Kon zer te immer wie der für<br />

Skan da le und Sen sa tio nen sorg te, jemals in Wei mar war, lässt sich<br />

heu te nicht mehr rekon stru ie ren. Und doch muss es Kon tak te zum<br />

Bau haus gege ben haben. Xan ti Scha win ski schreibt in sei nen Erinne<br />

run gen an die Bau haus ka pel le, die sich um Andor Wei nin ger<br />

gebildet hatte und aus musikalischen Amateuren bestand, die Tänze<br />

und „Kon zer te“ auf zum Teil selbst ge bau ten Geräusch in stru menten<br />

impro vi sier ten, dass mit der „Musik von Bach, Hän del, Mozart,<br />

Ant heil, Stu cken schmidt, Strawin<br />

sky, Hin de mith oder den<br />

Impro vi sa tio nen der Kapel le“<br />

das Tanzgelage in eine atemlose<br />

Zuhö rer schaft ver wan delt<br />

wurde.<br />

In einer Annon ce zu den<br />

soge nann ten „Bau haus-<br />

Büchern“ wur de auch ein Buch<br />

von Geor ge Ant heil, „musi co<br />

mechanico“, angekündigt. Dieses<br />

Buch ist jedoch nie erschienen.<br />

Unter glei chem Titel hat te<br />

Ant heil in der Zeit schrift „De<br />

Sti jl“ bereits einen Arti kel veröffent<br />

licht, in dem es um die<br />

Musik der Zukunft ging, um<br />

den Ein satz der Maschi ne in der<br />

Musik, um die Erfah rung des<br />

Mög li chen, des Scho ckie renden,<br />

um sei ne „strom li ni en förmi<br />

ge Musik“. Der Her aus ge ber<br />

die ser Zeit schrift, der Lite rat,<br />

DER EIGENTLICHE ERFINDER DER<br />

ZWÖLFTONMUSIK: JOSEF MATTHIAS HAUER<br />

Sein Leben stand im Schat ten „die ses Sch.“, die ser „Rari tät von einem<br />

Schwind ler“, wie Josef Mat thi as Hau er Arnold Schön berg nann te. Fakt ist:<br />

Drei Jah re bevor Schön berg <strong>19</strong>22 sei ne „Metho de, mit zwölf Tönen“<br />

anwandte, erschien Hauers Nomos op. <strong>19</strong>, das ers te Zwölfton-Stück von<br />

1.100 Wer ken, dar un ter zwei Opern. „Dumm froz zelnd“ hat te Hau er<br />

<strong>19</strong>17 den Riva len emp fun den, dem er den noch <strong>19</strong>22 Neun Etü den op. 22<br />

für Klavier wid me te. „Stel len wir unse re Ide en unter genau er Abgren zung<br />

des Unterscheidenden, mit Zuhilfenahme sachlicher (aber höfl icher) Polemik<br />

dar“, schlug Schön berg <strong>19</strong>23 vor. Doch der kau zi ge Hau er, Sohn eines<br />

zitherspielenden Gefängniswärters, lehnte ab und wetterte beim Heurigen<br />

lie ber gegen die Kol le gen. Wag ner war ihm ein „Bor dell-Musi kant“,<br />

Strauss und Beet ho ven „Nar ko ti kum für das Volk“.<br />

Während Schönberg seine expressive Klangsprache auch mit klassischen<br />

Mit teln wie Phra sie rung und Dyna mik gewann, ord ne te Hau er die zwölf<br />

Töne der chromatischen Tonleiter wie ein „Uhrmacher“ (Adorno)<br />

mechanistisch-mathematisch aneinander. 479.001.600 Möglichkeiten<br />

errech ne te er, die er in 44 Grup penrei hen – „Tro pen“– unter teil te. Bis zu<br />

sei nem Tod <strong>19</strong>59 poch te er dar auf, der „Inven tor der Zwölf-Töne-Technik“<br />

(Paul Hin de mith) zu sein. Ver ge bens.<br />

Alle auf einmal: von Antheil bis<br />

Wolpe. Und unser Autor Steffen<br />

Schleiermacher am Klavier (mdg)<br />

Maler, Theo re ti ker und Künst ler Theo van<br />

Does burg, leb te von <strong>19</strong>21 bis <strong>19</strong>23 in Weimar,<br />

zwar ohne unmit tel bar am Bau haus zu<br />

unterrichten, doch gab es zweifelsohne Kontak<br />

te zwi schen ihm und den Bau häus lern.<br />

Lyo nel Fei ni gers oft zitier tes musi ka lisches<br />

Schaffen beschränkt sich auf 14 Fugen<br />

für Orgel. Er war von sei nen Eltern zwar<br />

ursprüng lich nach Euro pa geschickt wor den,<br />

um sein musi ka li sches Kön nen zu ver vollkomm<br />

nen – galt er doch als eine Art Wunder<br />

kind, als begab ter und früh rei fer Violin vir tuo se. Doch mehr und<br />

mehr wand te sich Fei nin ger der bil den den Kunst zu, mar gi nal blieb<br />

sei ne Aus ein an der set zung mit Musik. An neu es ter Musik war Feinig<br />

ner para do xer wei se nicht inter es siert, genau so wenig übri gens<br />

wie Paul Klee.<br />

Die Expe ri men te, die Moho ly-Nagy am Bau haus – wahr scheinlich<br />

ange regt durch die Ide en von Piet Mon dri an und des sen Schrift<br />

„Neu es Gestal ten“ – mit Schall plat ten mach te, in die er direkt Muster,<br />

Lini en oder ande re Gebil de ritz te, um sie dann abzu spie len,<br />

lassen sich heute nicht mehr rekonstruieren; ebensowenig die Filmarbei<br />

ten von Hirsch feld-Mack oder Alex an der László, die recht<br />

schlich te Kla vier mu sik zu ihren „Licht spie len“ kom po nier ten, welche<br />

aber ein ge stan de ner ma ßen die Funk ti on hat te, die Stil le während<br />

der Vor füh run gen zu über de cken und die Geräu sche der Projek<br />

to ren zu kaschie ren.<br />

Musik am Bau haus. Obwohl es kei nen „Musik meis ter“ gab,<br />

haben die Ide en des Bau hau ses doch auf die Musik ein ge wirkt, wenn<br />

auch eher mit tel bar: Ste fan Wol pe emi grier te über Paläs ti na nach<br />

Ame ri ka, wur de dort in New York ein gesuch ter Leh rer und Anreger,<br />

unter ande rem von Mor ton Feld man und David Tudor. Mor ton<br />

Feld man sei ner seits schätz te die Musik von Josef Mat thi as Hau er<br />

außerordentlich.<br />

László Moholy-Nagy emigrierte ebenfalls nach Amerika, eröffnete<br />

nacheinander mehrere Kunstschulen in Chicago, die auch John<br />

Cage besuch te. Cage hat sich immer wie der in sei nen Arti keln über<br />

den gro ßen Ein fluss und die Fas zi na ti on, die von Moho ly-Nagy ausging,<br />

geäu ßert. Und viel leicht<br />

ste hen auch vie le Expe ri men te<br />

von Cage in mit tel ba rer Nachfolge<br />

zu den frühen Experimenten<br />

von Moho ly-Nagy in<br />

Weimar.<br />

Josef Albers, erst Bau hausstudent,<br />

dann Bauhausmeister,<br />

emigrierte ebenfalls nach Ameri<br />

ka, wirk te als eine der Vater figu<br />

ren der Maler des abs trak ten<br />

Expressionismus wie Willem de<br />

Kooning, Jackson Pollock oder<br />

Mark Roth ko. Er wur de Direktor<br />

am legen dä ren Col le ge in<br />

Black Moun tain, wel ches in vielen<br />

Din gen dem Bau haus nachemp<br />

fun den war. Hier fand das<br />

erste Happening – so zumindest<br />

stellt es sich im Rück blick dar<br />

– der Kunst ge schich te statt, mit<br />

Robert Rau schen berg, Mer ce<br />

Cun ning ham und John Cage.n<br />

60 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH …<br />

… der Soundtrack zum Bauhaus ?<br />

VON STEFAN SELL<br />

Piet Mondrians „Victory Boogie<br />

Woogie“ – es wurde getanzt ohne<br />

Ende, gern bis zur Erschöpfung<br />

Ob Kurt Weill Brecht ver ton te<br />

oder Ope ret ten wie Leo<br />

Falls Die Stra ßen sängerin<br />

Pre mie re hat ten,<br />

die Ber li ner Luft vor 100 Jah ren war<br />

musikgeschwängert. Der Jazzpionier Eric<br />

Bor chard war all ge gen wär tig, in Falls<br />

Ope ret te von <strong>19</strong>21 eben so wie in Fritz Langs<br />

„Dr. Mabuse“. Hindemith, Schönberg, Busoni und<br />

Schreier lehrten in Berlin. Klaus Mann charakterisiert<br />

Deutsch land zu Beginn der Bau hau s epo che als „zugleich<br />

erschöpft und hek tisch auf ge kratzt“. Der Ers te Welt krieg<br />

war eben erst vor bei, und die Men schen sehn ten sich nach<br />

„Won ne, Erleb nis, Eksta se und Erhe bung“, wie Har ry Hal ler ali as<br />

Her mann Hes se im Roman „Der Step pen wolf“ beschreibt. Har ry<br />

kommt zum Tanz auf dem Vul kan in die „Höl le“, das Kel ler ge schoss<br />

eines Tanz pa las tes. „Von der Men ge gescho ben, gelang te ich in diesen<br />

und jenen Raum, Trep pen hin auf, Trep pen hin un ter; ein Gang<br />

im Kel ler ge schoß war von den Künst lern als Höl le aus ge stat tet, und<br />

eine Musik ban de von Teu feln pauk te dar in wie rasend.“ Klaus Mann<br />

im Rück blick: „Das Ber li ner Nacht le ben, Jun ge-Jun ge, so was hat<br />

die Welt noch nicht gese hen!“<br />

„The Roaring Twen ties“, die „Gol de nen 20er“, waren eine Zeitspan<br />

ne zwi schen Wirt schafts auf schwung und Welt wirt schafts kri se,<br />

ein rau schen des Fest für die Kunst. Über all in der Musik, im Film,<br />

in der Lite ra tur, der Kunst und Archi tek tur blüh ten neue For men<br />

auf. Es war eine Ära des Jazz, der Ope ret te, des Schla gers und der<br />

Neu en Musik. Der Sound track zum Bau haus: ein Remix aus all dem.<br />

Paul Klee trat mit sei ner Gei ge auf, zeich ne te eine Tran skrip ti on der<br />

ers ten Tak te aus Bachs Sechster Sonate für Violine und Cembalo, und<br />

Feininger komponierte Fugen. Musik verwandelte sich in Bauhauskunst,<br />

Gren zen wur den über schrit ten. Kurt Schmidt schuf <strong>19</strong>23 die<br />

„Form- und Farbor gel“, Oskar Schlem mer expe ri men tier te mit dem<br />

Tria di schen Bal lett, Johann Itten bau te den Turm des Feu ers, László<br />

Moholy-Nagy entwarf die Partiturskizze zur Mecha ni schen Exzentrik,<br />

Kan din sky tausch te sich mit Schön berg aus und schöpfte den<br />

„gelben Klang“, Piet Mondrian tanzte Boogie-Woogie und brachte<br />

ihn auf Lein wand. Gab es eine Bau haus-Ver samm lung, hieß es:<br />

„Musiker, bitte Instrumente und Noten mitbringen!“ Das Gleiche<br />

galt für Wochen end aus flü ge: „Musik geht mit!“<br />

Im Hexen kes sel der „Höl le“ hört Har ry Hal ler das Stück<br />

Year ning von den Cali for niacs: „Ein neu er Tanz, ein Fox trott,<br />

erober te sich in jenem Win ter die Welt,<br />

mit dem Titel Year ning. Year ning wurde<br />

ein s ums and re Mal gespielt und<br />

immer neu begehrt, alle waren wir<br />

von ihm durch tränkt und berauscht,<br />

alle summ ten wir sei ne Melo die<br />

mit. Ich tanz te unun ter bro chen“. Wei ter<br />

heißt es: „Ein Erleb nis wur de mir in die ser<br />

Ball nacht zuteil: das Erleb nis des Fes tes, der<br />

Rausch der Fest ge mein schaft, das Geheim nis vom<br />

Unter gang der Per son in der Men ge, von der Unio mysti<br />

ca der Freu de.“ Hes se fängt das Lebens ge fühl ein, das<br />

suchen de Künst ler beflü gelt haben muss. Das Bau haus hat<br />

vie les unter sei nem Dach ver eint, der inspi rie ren de Sound track<br />

war stets prä sent.<br />

<strong>19</strong>24 wur de eine eige ne Bau haus ka pel le ins Leben geru fen,<br />

dar in spiel ten Andor Wei nin ger Kla vier, Hanns Hoff mann-Lede rer<br />

Schlag zeug, Hein rich Koch Teu fels gei ge und Rudolf Paris Schlagzeug.<br />

Am liebsten konzertierten sie auf selbst gebauten Instrumenten.<br />

Spä ter kamen wei te re Musi ker und Instru men te hin zu, die<br />

Bau haus-Jazz-Kapel le war in den 20er-Jah ren eine der belieb tes ten<br />

Bands. Dabei waren unter ande rem Lux Fei nin ger, Lyo nel Fei ningers<br />

jüngs ter Sohn, der Ban jo und Kla ri net te spiel te, und – als einzige<br />

Frau – die damalige Bauhausstudentin, spätere Fotografin und<br />

Archi tek tin Lot te Gerson mit ihrem Saxo fon.<br />

Lux erin nert sich: „Ein hin rei ßen der Tanz des Namens ‚Der<br />

Chromatische‘ muss aus dem Repertoire einer längst verschollenen<br />

Mili tär ka pel le ent nom men sein, so wie die bekann tes te aller Bauhaus<br />

me lo di en, der Bau haus Marsch, des sen Anfang zu den Wor ten<br />

‚Itten-Muche-Maz daz nan‘ gesun gen wer den konn te und als ‚Bauhaus<br />

pfiff‘ inter na tio nal bekannt war.“ Lux Fei nin ger, der das biblische<br />

Alter von 101 erreich te, schwärm te von der Eksta se, mit der<br />

die Kapel le spiel te, die einem „Veits tanz“ gleich kam. Har ry Hal ler<br />

wuss te, es gibt kein Ent kom men: „Als die Musik abbrach, blie ben<br />

wir umschlun gen ste hen, alle die ent zün de ten Paa re rings um uns<br />

klatsch ten, stampften, schrien, peitsch ten die erschöpfte Kapel le<br />

zur Wie der ho lung des Year ning auf.“ In der Erin ne rung des Bauhaus<br />

stu den ten Far kas Molnár klingt das so: „Der Tanz nimmt kein<br />

Ende. Die Jazz-Kapel le zer bricht ihre Instru men te. Der Knei per<br />

ver liert sei ne Geduld … jetzt ist der Höhe punkt erreicht. Baro meter<br />

365 Grad. Span nungs ma xi mum. Zap fen streich, der Hen ker<br />

erscheint. Roter Pfeil. Not aus gang.“<br />

n<br />

FOTO: GEMEENTEMUSEUM DEN HAAG<br />

61


B A U H A U S 1 0 0<br />

NEUES WELTTHEATER –<br />

OSKAR SCHLEMMER<br />

UND DIE BAUHAUSBÜHNE<br />

Begeistert huldigten Bauhäusler wie Oskar Schlemmer der Idee des<br />

Gesamtkunstwerks, des Zusammenwirkens der einzelnen Kunstdisziplinen.<br />

Und verweigerten sich jedem vorschriftsmäßig abgegrenzten „Lager“.<br />

VON PHILIPP HONTSCHIK<br />

FOTO: WILFRIED HOESL<br />

Triadisches Ballett an der Bayerischen Staatsoper, 2014<br />

Wien, <strong>19</strong>87. Die Gründung der Bauhausbühne liegt<br />

66 Jahre zurück. Am Burgtheater inszenieren<br />

Achim Freyer und Urs Toller ein Stück mit dem<br />

Titel Metamorphosen des Ovid oder die Bewegung<br />

von den Rändern hin zur Mitte und umgekehrt. Die Musik und Teile<br />

des Texts stammen von Dieter Schnebel, dem unlängst verstorbenen<br />

großen Komponisten zeitgenössischer experimenteller Musik. Auch<br />

Freyer und Toller haben mitgetextet.<br />

Im Publikum sitzt offenbar ein organisierter Block von Störern.<br />

„Die Burg“ will sich das einfach nicht bieten lassen: Ein hölzerner<br />

bunter, großer Schmetterling bewegt sich quälend langsam von links<br />

unten nach rechts oben, hin zur Mitte der schräg erhöhten Holzbühne.<br />

Ein Mädchen auf einem hölzernen Tretroller. Eine Frau<br />

kommt von links auf die Bühne, zieht einen Schuh aus, geht einen<br />

Schritt, wieder einen zurück, zieht den Schuh wieder an, geht zwei<br />

Schritte weiter, zieht den anderen Schuh aus … Derweil kommt vom<br />

Band Sprechtext, der die Dame als ziemlich unerschrockene Prostituierte<br />

ausweist: „Na, freilich setz’ ich mich ihm aufs G’sicht, bin<br />

ja ka Snob.“ In Endlosschleife. „Braucht ma da lang, bis ma des<br />

kann?“, kommt’s im tiefsten Wienerisch aus dem Parkett. „Halt’s<br />

Maul, Faschist!“, kommt rüde die Antwort. „Kamma des studier’n?“<br />

„Nach Haus geh’, wem’s nicht g’fallt!“ „Zum Fernsehen, ihr Deppn!“<br />

Und heute? Wer die klassische Sprechbühne des Theaters<br />

„zweckentfremdet“, erzielt immer noch schockierende oder freund-<br />

62 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


lich gesagt: durchschlagende Wirkung. Mal mehr und mal weniger<br />

schlüssig, aber warum soll das Gegenwartstheater darauf verzichten?<br />

Schon Gründgens stellte die Filmsequenz der Hiroshima-<br />

Bombe mitten in die Faustische Walpurgisnacht – ein dramaturgischer<br />

Glücksgriff. Bezüge auf die bildende Kunst, Zitate<br />

aus oder von Gemälden, Filmbildeinspielungen, Überblendungen,<br />

Liveaufnahmen von der Bühne selbst – all<br />

das setzt Theater heute ein, in einem von Bildern gefluteten<br />

„Heute“.<br />

Dabei denken wir über unsere eigene Verortung nach<br />

und finden einen humanoiden Roboter auf der Bühne, dessen<br />

Gesicht dem eines bekannten Schauspielers gleicht.<br />

Was Digitalisierung und künstliche Intelligenz für uns<br />

sind, war für die der Bauhausbühne die plötzlich technologisierte,<br />

beschleunigte und von Maschinen geprägte<br />

Umwelt des frühen 20. Jahrhunderts. „Verortung des Ich“,<br />

das klingt schwülstig. Aber als Walter Gropius <strong>19</strong>21 die<br />

Bauhausbühne ins Leben rief, hatten Einstein und Planck<br />

neue Weltmodelle vorgelegt: Raum und Zeit krümmen<br />

sich, abhängig von der beteiligten Masse. Und Teilchen,<br />

noch viel kleiner als Atome, geben entweder ihren Impuls oder ihren<br />

Ort zu erkennen, aber nicht beides. Hinzu kam, dass nicht wenige<br />

der bestimmenden Bauhausfiguren den Ersten Weltkrieg an der<br />

Front erlebt hatten, den Menschen im Zeitalter seiner maschinellen<br />

Vernichtbarkeit. Die Verstörung, die Erschütterung, die hieraus<br />

stammten, sollten in Fragen<br />

DAS TRIADISCHE<br />

BALLETT BLEIBT<br />

EIN MEILENSTEIN<br />

DER THEATER-<br />

GESCHICHTE<br />

münden nach dem Bezugsfeld<br />

zwischen Menschen und ihrer<br />

seelisch-körperlichen Befindlichkeit<br />

und den von menschlichen<br />

Gehirnen erdachten und<br />

erbauten Maschinen, die den<br />

Alltag immer stärker prägen.<br />

Gemessen an der Furcht<br />

der Heutigen davor, dass uns<br />

die künstliche Intelligenz womöglich um die Ohren fliegt, bevor<br />

wir es verhindern können, hegten die Bauhausleute Vertrauen in<br />

die Zukunft, Zuversicht und Technikbegeisterung. Auf Standortsuche<br />

gehen sollte „der Mensch“, den der literarische Expressionismus<br />

vor allem in der Lyrik ständig an- und aufruft, auf der Bauhausbühne<br />

gleichwohl: Das Triadische Ballett hat nichts mit der<br />

hegelianisch-marxistischen „dialektischen Triade“ aus These, Antithese<br />

und Synthese zu tun. Vielmehr stand diese Triade (Dreiklang)<br />

für Beziehungen wie Kostüm – Bewegung – Musik als choreografische<br />

Grundsäulen oder Raum – Form – Farbe als physische Attribute,<br />

Höhe – Breite – Tiefe als klassische Dimensionen des Raums.<br />

Die geometrischen Grundformen Kreis – Quadrat – Dreieck kommen<br />

zum Tragen, und die Grundfarben Rot – Gelb – Blau, das alles<br />

übertragen auf die Bewegungen dreier Akteursfiguren.<br />

Arnold Schönberg lehnte eine Zusammenarbeit ab. Angeklopft<br />

hatte bei Schönberg ein gewisser Albert Burger, Tänzer an der<br />

Königlichen Hofoper Stuttgart. Burger und seine Frau Elsa Hötzel<br />

waren <strong>19</strong>12 die Ersten, die sich auf die Suche nach „Neuem Ballett“<br />

machten. Noch im selben Jahr fanden sie den Maler Oskar Schlemmer<br />

als inspirierten Partner. Die drei ahnten, welche Epoche sie<br />

damit machten: Gleich nach der Uraufführung des Triadischen<br />

Balletts <strong>19</strong>22 in Stuttgart zerstritt sich das Ehepaar mit Schlemmer<br />

heillos. So wie sich Oskar Schlemmers Erben überwarfen, was der<br />

Bekanntheit des Triadischen Balletts, dieses Aushängeschilds der<br />

Bauhausbühne, schwer geschadet hat. Was Schlemmer als Beginn<br />

neuer „deutscher Tanzkunst“ sah, auch als Gegenentwurf zum russischen<br />

oder schwedischen Ballett, bleibt vorerst, was es schon lange<br />

ist: ein Meilenstein der Theatergeschichte, den kaum jemand je zu<br />

sehen kriegt. <br />

n<br />

Oskar Schlemmer<br />

Als Oskar Schlemmer zwölf Jahre alt war, waren beide Eltern<br />

gestorben. Wer psychologisieren möchte, wird es rührend<br />

finden, dass sich der Kunstprofessor<br />

Schlemmer Jahrzehnte später in die Frage<br />

nach dem „Menschen im Raum“ so sehr<br />

vertiefen konnte. Als jüngstes von sechs<br />

Kindern hätte er es ja auch mit dem zeitgenössischen<br />

Pathos der Expressionisten<br />

halten können: Deren „Oh, Mensch!“-Lyrik<br />

zielte auf das Verhältnis zwischen Mensch<br />

und Gesellschaft. Die „soziale Frage“ wurde<br />

damals überhaupt immer lauter: in der<br />

Politik wie in allen Sparten der Kunst. Das<br />

Epigonale, Harmlose hatte sich verbraucht.<br />

Notwendig war eine grundlegende Erweiterung<br />

der künstlerischen Ausdrucksmittel.<br />

Die Malerei machte sich auf, weg vom<br />

Figürlichen hin zur höchsten Abstraktion.<br />

Den Niederländer Piet Mondrian sollte Oskar Schlemmer<br />

später einmal den „eigentlichen Gott des Bauhauses“<br />

nennen.<br />

Aber zunächst kommt ein 15-jähriger Waise aus Göppingen,<br />

wo er aus Geldgründen die Realschule verlassen hatte,<br />

zurück in seine Geburtsstadt Stuttgart, findet Zugang zu einer<br />

renommierten Werkstatt, erfüllt dort Vorlagen für Intarsien<br />

und andere gewerbliche, vorkünstlerische Aufgaben. Nebenher<br />

bildet er sich in Figurenzeichnen und Stillehre weiter.<br />

<strong>19</strong>06 nimmt die Stuttgarter Akademie für Bildende Künste<br />

ihn 18-jährig auf. Drei Jahre später: Meisterklasse in Komposition<br />

bei Friedrich von Keller. Anschließend, in Berlin, trifft<br />

er Kubisten, die Avantgarde. Der Kubismus schlägt sich deutlich<br />

in seiner Malerei nieder. Deswegen rücken ihn viele in<br />

die Nähe von George Grosz oder Giorgio de Chirico. Aber<br />

Grosz ist selbstbewusster Kritiker der Kaiserzeit wie der Weimarer<br />

Republik. Politische Stellungnahmen waren aber Oskar<br />

Schlemmers Sache nicht. Und im Vergleich zu de Chiricos<br />

„metaphysischer Malerei“ springt bei aller Ähnlichkeit ein<br />

Unterschied ins Auge: De Chiricos Stadtlandschaften sind<br />

menschenleer, Schlemmer sucht nach dem Ort des Menschen<br />

im Raum und seiner Wirkung darin.<br />

Es bleibt dabei: Oskar Schlemmers Schaffen lässt sich<br />

nur schwer einer Kunstrichtung angliedern. Auch weil er der<br />

Idee des Gesamtkunstwerks, des Zusammenwirkens der einzelnen<br />

Kunstdisziplinen huldigte und sich nicht zu einem der<br />

vorschriftsmäßig abgegrenzten Lager bekennen wollte.<br />

Schlemmer hatte sich bei Kriegsbeginn <strong>19</strong>14 freiwillig<br />

gemeldet, eine Verwundung ermöglichte, dass er überlebte<br />

und weitermalen konnte. <strong>19</strong>20 berief Walter Gropius Schlemmer<br />

ans Bauhaus Weimar, wo er die Klasse für Wandmalerei,<br />

bald auch für Holz- und Steinbildhauerei übernahm. <strong>19</strong>22<br />

gelang in Stuttgart die Uraufführung des Triadischen Balletts<br />

– das nie auf der Bauhausbühne aufgeführt wurde. Deren Leitung<br />

übernahm Schlemmer mit dem Umzug des Bauhauses<br />

nach Dessau <strong>19</strong>25. Das Triadische Ballett erlebte Aufführungen<br />

im In- und Ausland, der Erfolg hatte sich eingestellt, ein<br />

schöpferischer Mensch seinen Ort im Raum gefunden. Aber<br />

bis zum Regime des Unmenschen dauerte es nicht mehr lange.<br />

<strong>19</strong>30 ließ man von oberster Stelle in Weimar ein Wandgemälde<br />

Schlemmers übermalen. In der Nazi-Schmäh-Ausstellung<br />

„Entartete Kunst“ hingen schließlich fünf seiner Bilder<br />

„Bauhaustreppe“ von Oskar<br />

Schlemmer, <strong>19</strong>32<br />

als undeutsch. Oskar Schlemmer starb im April <strong>19</strong>43 in einem<br />

Sanatorium in Baden-Baden. <br />

n<br />

FOTO: BAUHAUS100<br />

63


B A U H A U S 1 0 0<br />

GEFÜHLTE<br />

ARCHITEKTUR<br />

FOTOS: SASCHA KLETZSCH<br />

Bauhaus heute: zwei Privathäuser<br />

in München vom Büro Stenger2<br />

64 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Eine Bewegung machte Furore und veränderte das Gesicht<br />

ganzer Städte: Mit dem Bauhaus hielt die Moderne endgültig<br />

Einzug in die Architektur. Wie nachhaltig war und ist ihr Einfluss<br />

auf die kommenden Jahre? Ein Gespräch mit dem Architekten<br />

Markus Stenger, der in der Wiege des Bauhauses studiert hat.<br />

VON BARBARA SCHULZ<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Stenger, welche Bedeutung hat das Bauhaus<br />

für die Architektur heute?<br />

Mar kus Sten ger: Die Fra ge, die vor ab gestellt wer den muss, ist<br />

doch: Wel ches Bau haus meint man? Das ursprüng lich sen si ble,<br />

sensuelle, fühlende Bauhaus? Oder das rationale Bauhaus von<br />

Mies van der Rohe, das am Ende stand? Wir haben es ja, allein<br />

auf Deutsch land bezo gen, mit einem Drei ak ter zu tun: Die ers te<br />

Epi so de spielt <strong>19</strong><strong>19</strong> in Wei mar, die zwei te <strong>19</strong>25 in Des sau und die<br />

drit te schließ lich um <strong>19</strong>33 in Ber lin.<br />

Wie kam es zu dieser Dreiteilung?<br />

Das muss man im jewei li gen Kon text sehen: Wal ter Gro pi us hatte<br />

<strong>19</strong><strong>19</strong> das Staat li che Bau haus in Wei mar gegrün det. Dass sich<br />

ein so frei heit li ches Gut in dem stren gen Kor sett die ser kon servativen<br />

Stadt entwickeln konnte, war bemerkenswert. Schließlich<br />

drängte Wei mar das Bau haus doch aus der Stadt. Das sozia listisch<br />

ein ge stell te Des sau nahm es ger ne auf, stellte ein Grundstück<br />

und Mit tel zur Ver fü gung. Das war der Umbruch: Die<br />

Bauhäusler suchten nun nach Möglichkeiten, Architektur in Teilen<br />

seri ell zu pro du zie ren – ab die sem Zeit punkt Haupt the ma<br />

am Bau haus. Dann ver dräng ten die Nazis das Bau haus aus Dessau.<br />

Die Flucht nach Ber lin geschah bereits in dem Wis sen, dass<br />

das nicht mehr lan ge gehen wür de.<br />

Sie haben in Weimar Architektur studiert. War für Sie das<br />

Bauhaus noch spürbar?<br />

Ich kam <strong>19</strong>92 nach Wei mar. Es war eine Welt, die sich noch in<br />

der herr li chen Aufbruchs stim mung der letz ten Jah re der DDR<br />

und der ers ten Jah re des ver ei nig ten Deutsch land befand. Der<br />

Osten war noch sehr gegen wär tig, aber auch das ori gi na le Bauhaus.<br />

Der „Vor kurs“ war noch Teil unse rer Aus bil dung.<br />

Was beinhaltet der „Vorkurs“?<br />

Gro pi us hat te ja ein Lay out fest ge legt, das ers te Bau haus-Manifest.<br />

Inter es sant ist, dass es zunächst kein Text, son dern eine<br />

Gra fik war: ein Kreis mo dell, das sich auf einen Punkt hin zentriert.<br />

Ganz außen steht der Vor kurs des Schwei zer Malers und<br />

Kunst päd ago gen Johan nes Itten: indi vi du el les Emp fin den, subjek<br />

ti ves Erken nen und objek ti ves Erfas sen als Grund la ge aller<br />

Krea ti vi tät. Im nächs ten Ring dann die Leh re von der Kon strukti<br />

on und Dar stel lung, die Mate ri al-, Natur-, Raum- und Stoffleh<br />

re, im drit ten Ring schließ lich das Mate ri al selbst. Es ging<br />

ganz stark um die Wer tig keit der sinn li chen Erfah rung von Materi<br />

al. Und das alles mün de te schließ lich im Bau.<br />

Sensibilisierung also …<br />

Ja, Füh len, Tas ten, Hören, Sehen … Sen so rik ent wi ckeln, Oberflä<br />

chen struk tu ren ver in ner li chen. Dafür wur de extrem viel Zeit<br />

auf ge wen det, auch dar über zu reden und zu reflek tie ren. Heu te<br />

ist die Kom mu ni ka ti on zur Archi tek tur ganz anders. Zum einen<br />

gibt es die mit dem Auftrag ge ber des Archi tek ten: Pri vat mann,<br />

Inves tor, öffent li cher Auftrag ge ber. Dane ben die auf einer zwei-<br />

65


B A U H A U S 1 0 0<br />

Das Bauhaus-Manifest:<br />

Alles konzentriert sich hin zum Bau<br />

FOTO: SASCHA KLETZSCH<br />

ten, viel öffent li che ren Ebe ne: wenn das Pro dukt fer tig<br />

ist. Das Voka bu lar der bei den ist völ lig unter schiedlich.<br />

Spricht man mit einem Bau her rn, wäre man oft<br />

froh, das ursprüng li che Bau haus vo ka bu lar zur Ver fügung<br />

zu haben. Bei die ser unmit tel ba ren Annä he rung an<br />

Architektur geht es – sobald wirtschaftliche und raumplanerische<br />

Fra gen geklärt sind – dar um, wie Archi tek tur spä ter ange fasst, wie<br />

sie gese hen, gespürt, gefühlt wird. Inves to ren kann man mit die sem<br />

Voka bu lar bei brin gen, qua li tät voll zu bau en. Ich hät te gern, dass<br />

die Schu le der gefühls mä ßi gen Annä he rung an Archi tek tur aus<br />

dem Bau haus zum Pflicht fach in jeder Schu le wird.<br />

Bestehende Architektur muss anders kommuniziert werden?<br />

Ja. Der Mensch ist mit einer sol chen Geschwin dig keit in Rich tung<br />

urba ner Agglo me ra ti on unter wegs, dass das Leben auf dem Land<br />

beziehungsweise im nicht Urba nen immer mehr zur Aus nah me -<br />

si tua ti on wird. Das bedeu tet im Umkehr schluss, wir haben uns<br />

damit abge fun den, dass unser Kon text Archi tek tur ist, weil die Stadt<br />

im sicht ba ren Bereich zu 90 Pro zent aus Archi tek tur besteht. Wir<br />

leben also in einem Umfeld, das wir nie gelernt haben zu eva lu ieren,<br />

son dern „nur“ nut zen. Weil wir auf gefähr lich dog ma ti sche<br />

Sät ze ver trau en wie den von Mies van der Rohe, „Form fol lows<br />

func tion“. Die wich ti ge Arbeit wäre nun, stän dig neu zu ergrün den<br />

und zu kom mu ni zie ren, was das Poten zi al<br />

gebau ter Struk tur ist, wie ich das Wer te gerüst<br />

einer Struk tur ändern oder ver bes sern<br />

kann, wie etwas Archi tek tur wer den kann …<br />

Dafür braucht man das Voka bu lar: um mündig<br />

zu wer den. Das war die immense Leistung<br />

die ser Schu le.<br />

Irgendwann nahm die Bedeutung der Sensorik<br />

aber ab.<br />

Ja, die Mit te des Krei ses, der Bau, wur de<br />

immer her me ti scher. Man kann es Fokussie<br />

rung nen nen. Oder als extre men Ver lust<br />

bezeich nen, was da auf der Stre cke geblie ben<br />

ist. Fas zi nie rend ist, dass unter einer Mar ke<br />

„Bau haus“ die se völ lig wider sprüch li chen<br />

Bewegungen zusammengefasst sind: Weimar,<br />

das die Ein heit von Kunst und Handwerk<br />

such te, und Des sau, das völ lig offen zur<br />

Indus trie war. In Des sau war wich tig, einen<br />

Ent wurf so strin gent zu machen, dass man<br />

mit Stan dard pro duk ten aus der Indus trie<br />

ein gan zes Haus pro du zie ren konn te.<br />

Massenfertigung also?<br />

Nicht ganz, dafür ist das Bau haus-Gebäu de viel zu poe tisch und<br />

qua li tät voll. Zwar war das Haus sehr zweck mä ßig, man hat aber<br />

nicht sim pli fi ziert, eher stan dar di siert. Und auch pro vo ziert. Da<br />

war ein guter Schuss Humor dabei bei die ser Archi tek tur. Irgendwie<br />

war Bau haus weni ger Bus si Bus si, Bau haus war mehr Sex. Die se<br />

Lust spürt man in der Anfangs zeit. Und aus die ser Lust wur de<br />

immer mehr Leis tung und Arbeit, es wur de immer erns ter.<br />

Bedeutet Standardisierung, dass Dessau vorbereitend für die<br />

Fertigbauarchitektur war?<br />

Das wür de ich nicht sagen. Ein Fer tig haus bie tet kei ner lei Mög lichkeit,<br />

meh re re Dis zi pli nen an einem Objekt zu ver sam meln. Des sau<br />

woll te sicher nicht, dass ein Gebäu de, das ein mal ent wor fen war,<br />

belie big oft repro du ziert wer den soll te. Eher so: vie le ähn li che Fenster,<br />

Türen etc., die man seri ell her stellt. Das Meis ter haus zum Beispiel<br />

war noch indi vi dua li siert. Für den Ort, für den Kon text, für<br />

die Auf ga be. Das Fer tig haus ist das Gegen teil davon.<br />

Hat es das Dessauer Bauhaus in die Gegenwart geschafft?<br />

Ich wür de eher sagen, die ers te Epi so de, Wei mar. Weil es alles ande re<br />

Mar kus Sten ger und sei ne Frau Annet te<br />

leben und arbei ten in Mün chen. Unter dem<br />

Titel „fearless“ stell ten sie u. a. in Vene dig<br />

zur Archi tek tur bi en na le 2016 mit ihrem<br />

Büro „Stenger2 Archi tek ten und Part ner“<br />

ihre bis lang wich tigs te Arbeit vor: die Wie derbe<br />

le bung des <strong>19</strong>90 still ge leg ten Gas-Versuchs<br />

kraft werks in Mün chen-Ober send ling<br />

und das Erleb nis empi ri schen Bau ens.<br />

Infos unter s2lab.de<br />

her vor ge ru fen hat. Man tut dem Bau haus sicher einen<br />

Gefal len, wenn man es ver ket tet mit sei ner eige nen<br />

Geburts ge schich te. Zu sagen, das ist Bau haus und jenes<br />

ist jetzt die Fol ge davon, ist schwie rig. Die se zehn Jah re<br />

nach Bau haus, von <strong>19</strong>33 bis <strong>19</strong>43: Da ist für mich mehr die<br />

Fra ge, wie hat die Indus tria li sie rung oder die se kriegs ge trie be ne<br />

Mas sen pro duk ti on das Fer tig teil bau en ermög licht? Die hoch ge rüste<br />

ten Indus trie zwei ge hat ten ja plötz lich kei nen Zweck mehr. So<br />

fand man zivi le Ein satz ge bie te. Fens ter la cke zum Bei spiel, die das<br />

eigent lich viel lang le bi ge re und zudem bio lo gi sche Lein öl<br />

ablösten.<br />

Es gab aber auch sinnvolle neue Materialien.<br />

Gemeinsam mit anderen Architekturströmungen dieser Zeit wandte<br />

sich das Bau haus früh Stahl und Stahl be ton zu. Und das ist wohl<br />

der wich tigs te Ein fluss auf heu te: dass über die Rän der der Pro fessi<br />

on geschaut wur de und das Gute, das man jen seits fand, über nommen<br />

hat. Man hat sich hin be wegt zum Hand wer ker, zum Künst ler,<br />

spä ter zum Trag werksinge nieur. Und hat Syn er gi en genutzt.<br />

Das bedeutet auch flache Hierarchien …<br />

Ganz genau, in der Pra xis kann man so – wie übri gens in der für das<br />

Bauhaus namensgebenden mittelalterlichen Dom-Bauhütte auch –<br />

allen die Mög lich keit geben, Glei cher unter Glei chen zu sein. Und<br />

so jedes Werk zum klei nen Bau haus<br />

machen. Dann ist die Archi tek tur nicht die<br />

Mut ter aller Küns te, der sich alle unter zuord<br />

nen haben. Viel mehr gibt es eine Erfahrungs<br />

hier ar chie aller Betei lig ten. Ein Mitarbeiter<br />

oder Handwerker kann zu gegebener<br />

Zeit in eine lei ten de Funk ti on wech seln,<br />

wenn er mehr Erfah rung hat. Da muss es<br />

kein objek ti ves Füh ren geben. Der Architekt<br />

schließt im Ide al fall nur die Lücken<br />

zwi schen den Dis zi pli nen. Hät te ich eine<br />

Fra ge ans Bau haus, dann wüss te ich gern,<br />

wie die Kom mu ni ka ti on funk tio niert hat.<br />

Wie haben sie sich gegen sei tig den Raum<br />

gelas sen, ihren Platz gefun den? Das gab es<br />

vorher lange nicht.<br />

Es ist ja auch eine Form gegenseitiger<br />

Inspiration.<br />

Unbe dingt. Es gibt ja eigent lich viel weniger<br />

Gren zen in den Kul tur ka te go ri en, als<br />

man denkt. Man kann rhe to ri sche Stil mittel<br />

auf Fas sa den anwen den, kann ein Stück<br />

Lite ra tur, ein Stück Musik und ein Stück<br />

Archi tek tur mit den sel ben Augen und Mit teln lesen. Aber wir tun<br />

es nicht. Dabei ist es so beglü ckend.<br />

Es gibt ein Buch: „Please show me how to do Bauhaus“.<br />

Ein wun der bar iro ni scher Titel. Aber hilf rei che Lek tü re für den<br />

Bau herrn, der kommt und sagt, er hät te gern ein Haus in „so einer<br />

Art Bauhausstil“.<br />

Was meint er damit?<br />

Meist nutzt er die sen Begriff als Trä ger für das ande re, das A-Kontextuelle.<br />

Natürlich schweben ihm auch konkrete Stilmittel vor: die<br />

Far be Weiß, gro ße Fens ter, glat te Fas sa de, ein Flach dach, kein Dachüber<br />

stand. Aber eigent lich möch te er Des in te gra ti on. Sich abhe ben<br />

von der Nach bar schaft. Das Beson de re in sei nem neu en Umfeld<br />

sein. Ich sehe das zum Teil sehr kri tisch. Das ist nicht mei ne Auffassung<br />

von Bauhaus.<br />

Welche Antwort geben Sie ihm?<br />

Dass er Glück hat! Weil er bei einem gelan det ist, der immer Bauhaus<br />

macht, weil er am Bau haus war. Er kann von mir gar kein anderes<br />

Stück Archi tek tur bekom men. Ob er will oder nicht! n<br />

66 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


LEBENSART<br />

Von edler Eleganz: Diese Klassiker des Bauhauses möbeln unseren Alltag auf (Seite 72)<br />

Die Schweiz hat mehr als Berge, Schnee und Schoki:<br />

Weine zum Niederknien, vorgestellt von Paula Bosch (Seite 74)<br />

Ein Spaziergang durch Dresden mit dem Schütz-Experten Hans-Christoph Rademann (Seite 78)<br />

Ein Spiel mit Licht und Schatten:<br />

Schlicht und pur will Bauhausarchitektur<br />

sein, um mit der Natur<br />

verschmelzen zu können, sie<br />

zuzulassen, ihr Raum zu geben und<br />

sie zu integrieren. Ein Treppenhaus<br />

kann so viel mehr als ein<br />

Treppenhaus sein – wahre Kunst.<br />

FOTO: PIXABAY<br />

67


L E B E N S A R T<br />

Lieblingsessen!<br />

HIER VERRATEN DIE STARS IHRE BESTEN REZEPTE.<br />

UND MANCHMAL AUCH KLEINE GESCHICHTEN,<br />

DIE DAZUGEHÖREN ...<br />

„DAS AUS ZWEI FAST LEEREN KÜHLSCHRÄNKEN<br />

ENTSTANDENE AMUSE-GUEULE IST LÄNGST EIN KLASSIKER AUF PARTYS“<br />

REBEKKA HARTMANN<br />

FOTO: PRIVAT<br />

68 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


REBEKKA HARTMANN VIOLINISTIN<br />

„Vor wenigen Jahren saß ich mit meinem besten Freund beim Essen im Restaurant und wir<br />

ärgerten uns: Für wenig Geschmack muss man einen Kredit aufnehmen! Wir beschlossen also, selbst<br />

und gemeinsam zu kochen. Zähneknirschend muss ich hier zugeben, dass ich, außer ein paar Eier in die<br />

Pfanne zu hauen, nicht wirklich kochen kann – Berufsmusiker haben wenig Zeit. Mein Freund bot sich<br />

an, mir das Kochen beizubringen. Eines sonntags also warfen wir die eher spärlichen Inhalte unserer<br />

Kühlschränke zusammen: eine Aubergine, ein Stück Mozzarella von mir, sein Vorrat bestand aus<br />

Tomatenmark, Knoblauch, Sardellen und Zitronen. Daraus entstand die Idee, eine Praline aus der<br />

Aubergine zu kreieren, die mich derart begeisterte, dass dieses Amuse-Gueule bei unseren Partys zum<br />

beliebtesten Gericht wurde. Und immer, wenn uns jemand nach dem Rezept fragt, schmunzeln wir –<br />

und erinnern uns an diesen denkwürdigen Tag!“<br />

FOTO: ULRIKE VON LOEPER<br />

Rebekka Hartmann hat nationale und internationale Auszeichnungen erhalten. Ihr Repertoire umfasst das<br />

ganze Spektrum der Violinliteratur vom Frühbarock bis zur zeitgenössischen Musik und neuen Kompositionen,<br />

von denen sie auch Erstaufnahmen und Uraufführungen wie Werke für Solovioline von Håkan Larsson und<br />

Anders Eliasson aufführte. 2012 erhielt Rebekka Hartmann für ihre CD „Birth of the Violin“ (2011, Solo<br />

Musica) den ECHO Klassik-Preis in der Kategorie „Beste solistische Einspielung des Jahres auf der Violine“.<br />

•<br />

PRALINE VON DER AUBERGINE<br />

2 Auberginen, 1 Zitrone, Olivenöl, 2 Tuben Tomatenmark, 1 Glas Sardellen in Öl,<br />

8 Knoblauchzehen, Salz, Pfeffer, 2 Mozzarella, 1 Bund Basilikum<br />

•<br />

1. Auberginen in 0,5 cm dicke Scheiben schneiden, mit Zitrone beträufeln und in reichlich heißem Olivenöl<br />

anbraten, bis sie leicht gebräunt sind. Auf Küchenkrepp abtropfen lassen.<br />

2. Für die Tomatenpaste das Tomatenmark in einen tiefen Teller drücken. Die Sardellenfilets aus<br />

dem Glas nehmen und fein hacken. Restliches Öl aus dem Glas in die Tomatenpaste rühren.<br />

Die Knoblauchzehen schälen, fein hacken und auf ein wenig Salz zerdrücken, ebenfalls in die Paste geben.<br />

Zitronensaft nach Geschmack zugeben und alles mit Salz und Pfeffer abschmecken.<br />

3. Backofen auf 220 Grad Umluft vorheizen. Die Auberginenscheiben auf ein mit Backpapier belegtes<br />

Backblech legen, mit der Paste bestreichen.<br />

4. Den Mozzarella in so viele Scheiben schneiden, wie Auberginenscheiben da sind, und<br />

darauf verteilen. Im heißen Ofen etwa 10 Minuten backen. Mit Basilikumblättchen belegen.<br />

Das aktuelle Album: „Out of the shadow“, Rebekka Hartmann,<br />

Salzburg Chamber Soloists (Solo Musica)<br />

69


L E B E N S A R T<br />

Mein erstes Mal<br />

Prunk, Pomp, Pathos – ein bisschen viel von allem, findet unser Kolumnist.<br />

Um nach einem Opernbesuch schließlich festzustellen: Es ist nie zu spät.<br />

VON LARS REICHARDT<br />

Die Oper ist für Zuschauer<br />

ein rauschendes Fest.<br />

Und das bedeutet offenbar<br />

auch Überfluss, Verschwendung.<br />

Allein diese<br />

Türen: riesige Flügeltüren auf der<br />

Bühne, sicher sechs, sieben Meter hoch.<br />

Wo gibt’s denn so was?<br />

Dieser Pomp fällt einem Anfänger<br />

als Erstes ins Auge. Der brennende<br />

Kamin bei Familie Othello zu Hause, zu Beginn rechts auf der<br />

Bühne, im dritten Akt dann links, so, als ob ein halbstarker Bühnenbildner<br />

ins Publikum krakeelt: „Was kümmert mich eure Brandschutzordnung?<br />

Ich kann überall.“ Der riesige Chor, die schwülstige<br />

Sprache, in der es den Menschen noch dünkt und deucht. Und wie<br />

theatralisch sich Desdemona im ersten Akt auf dem plüschigen Sofa<br />

windet, als sie die Berichte von Othellos Seeschlacht verfolgt. Wirkt<br />

so übertrieben, wie im schlechten Theater. Und die Musik? Singen<br />

Anja Harteros und Jonas Kaufmann wirklich so gut, wie die Leute<br />

raunen, die sich selbstbewusst als Kenner bezeichnen? Warum gilt<br />

Kirill Petrenko als Stardirigent? Und wie hört man den Unterschied<br />

zwischen einem Star und einem nur ganz passablen Sänger heraus?<br />

Trifft der etwa die Töne nicht? Tut mir leid, mir fehlen einfach die<br />

Vergleichsmöglichkeiten.<br />

Wer sich nie ernsthaft mit klassischer Musik beschäftigt, wer<br />

nie versucht hat, dem vielbeschworenen Zauber einer Oper nachzuspüren,<br />

der braucht das auch im fortgeschrittenen Alter nicht mehr<br />

probieren. Irgendwann ist es eben doch zu spät, dachte ich immer.<br />

Habe ich nie bereut. Bis zu dieser Freundin, die sagt, nur Film könne<br />

bei ihr eine ähnlich kathartische Wirkung haben, Bücher nicht,<br />

auch kein Theaterstück. Dabei gehen wir gern ins Theater. Aber<br />

gleich beim zweiten Stück redete sie von Kriegenburg. Ein Bühnenbild<br />

erinnerte sie an den, ob ich denn seine letzte Operninszenierung<br />

gesehen hätte? Nein? „Ach, wie schade.“<br />

Musik und Geschichte einer Oper sollten bei jedem wirken<br />

können, unabhängig von seinem Vorwissen. Die Wahl will gut<br />

überlegt sein, wenn man einer Freundin zuliebe in die Oper geht.<br />

Ein Bekannter, den ich um Rat bat, überlegte nicht lang: auf keinen<br />

Fall Wagner. Die Soft-Oper für Anfänger heißt Othello. Die neue<br />

Münchner Inszenierung mit Harteros und Kaufmann, Otello, ohne<br />

h. „Das wird sie lieben, das verstehst du, und zwei Stunden hältst du<br />

aus.“ Also gut, ich schlage Othello vor.<br />

Volltreffer. „In Othello ist alles vorhanden, was das Leben ausmacht“,<br />

sagt sie. Othellos rasende Eifersucht, die Gier nach Macht<br />

von Jago, die bis in den Tod treue Liebe<br />

Desdemonas. Freundschaft, Trunkenheit,<br />

Verzweiflung, Verrat. Ein weißes<br />

und ein schwarzes Zimmer auf der<br />

Bühne spiegeln die Seelenzustände der<br />

Figuren. Die deutschen und englischen<br />

Untertitel, die inzwischen so gut wie<br />

überall an der Decke mitlaufen, sind<br />

ein Segen für mich. Wir haben tolle<br />

Plätze. Reihe 16. Ein Herr vor mir, im<br />

Goldknopfsakko, dreht sich dreimal mit strenger Miene um, weil<br />

ich kurz mit meinem Schmierzettel geraschelt hatte. Ich vergaß: Wir<br />

sind hier alle nicht zum Spaß.<br />

Jago wirkt von Anfang an wie einer, der schon mal Theater<br />

gemacht hat. Othello und Desdemona singen sich bald so zärtlich<br />

an, dass man ihre Liebe zu spüren vermag. Schließlich die Szene, in<br />

der sich Desdemona von ihrer Zofe verabschiedet. Anrührend, sagt<br />

die Freundin. Ja, einverstanden. Auch ich bin plötzlich ergriffen.<br />

Von der Musik, von Harteros’ Gesang – für einen Augenblick vergesse<br />

ich, dass Desdemona ja nicht in Wirklichkeit sterben muss.<br />

Die Handlung nach ihrem Tod zieht sich für meinen Geschmack.<br />

Muss man denn wirklich noch sehen, dass Jagos Schindluder endlich<br />

enttarnt wird?<br />

Am Ende trampelt das Publikum mit den Füßen vor Begeisterung.<br />

Übertrieben, schon wieder. Habe ich nie erlebt im Theater.<br />

Nur früher in der Schule, wenn Schüler einen Applaus eher karikieren<br />

wollten. Die Sänger springen auf die Bühne. Kaufmann und<br />

Harteros glücklich Hand in Hand. Erlöst von der Anstrengung und<br />

Anspannung. Keine arroganten Popstars. Jago bedankt sich für seinen<br />

Applaus mit einer Hand auf dem Herzen und spielt den Bescheidenen.<br />

Sechs, sieben Mal kommen sie alle auf die Bühne, niemand<br />

im Parkett will gehen. Ich habe bei Othello wohl etwas Großem beigewohnt,<br />

ohne es zur Gänze verstanden zu haben. Ganz untheatralisch<br />

bescheiden huscht dann auch noch Kirill Petrenko auf die<br />

Bühne. Mit kleinen Händen winkt er ins Publikum, als ob er sich<br />

schon verabschiede. Was für ein sympathischer Mensch.<br />

Der Vater meiner Freundin, ein ausgewiesener Musikliebhaber,<br />

hatte mir frei nach Goethe auf den Weg gegeben: „Wenn es<br />

nicht berührt, nützt es nichts.“ Ja, da hat wirklich was berührt. Ist<br />

nur fraglich, was? Die Musik? Der Stoff? Oder doch nur die berührte<br />

Freundin neben mir?<br />

Eine Woche später sang Jonas Kaufmann bei der Weihnachtsfeier<br />

nach dem letzten Bayernspiel im Fußballstadion. Ich habe ihn<br />

tatsächlich an seiner Stimme erkannt. Ist nie zu spät für die Oper.■<br />

FOTO: PRIVAT<br />

70 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


16.03.–14.04.<strong>19</strong><br />

17.03.–21.04.18<br />

internationales<br />

musikfestival internationales<br />

musikfestival<br />

heidelberger frühling 18<br />

Amsterdam Sinfonietta I Benjamin Appl I Avi Avital I Sven-Eric Bechtolf I Daniel Behle I Rafał Blechacz<br />

Yefim Bronfman I Khatia Buniatishvili I Renaud Capuçon I Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern<br />

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen I Leonard Elschenbroich I Alexej Gerassimez I Valery Gergiev<br />

Thomas Hampson I Anja Harteros I Markus Hinterhäuser I Maximilian Hornung I Bomsori Kim I Sebastian Koch<br />

Harriet Krijgh I Elisabeth Kulman I Igor Levit I Daniel Libeskind I Mahler Chamber Orchestra I Alexander Melnikov<br />

Nils Mönkemeyer I Münchner Philharmoniker I Truls Mørk I Olga Pashchenko I Julian Prégardien I Thomas Quasthoff<br />

Quatuor Ébène I Tatjana Ruhland I Valer Sabadus I Mitsuko Uchida I Tianwa Yang u.v.a.<br />

Kostenloses Programmbuch Gründungspartner: & Tickets: 06221 - 584 00 44 I www.heidelberger-fruehling.de<br />

Gründungspartner:<br />

Alte


L E B E N S A R T<br />

EINFACH SCHÖN!<br />

Metall, Holz, Glas, Ton – nie vorher und nie nachher verwob eine Stilrichtung Design,<br />

Handwerk und Material so eng miteinander wie das Bauhaus. Schlicht in der Form und funktional<br />

in der Verwendung sind die Objekte längst zeitlose Klassiker von purer Eleganz.<br />

Reingerutscht<br />

Einer der spektakulärsten Bauhaus-<br />

Entwürfe: „Wassily“ (eine Hommage<br />

an Kandinsky) des Österreichers Marcel<br />

Breuer. Stahlrohrkonstruktionen<br />

waren das Markenzeichen des von<br />

Walter Gropius berufenen Jungmeisters<br />

und Leiters der Dessauer Möbelwerkstatt,<br />

der hier zum ersten Mal<br />

einen Sessel auf seine Grundform<br />

reduziert. Breuer entwarf den Clubsessel<br />

B3 <strong>19</strong>26 als Vorzeigeobjekt des<br />

Neuen Wohnens, entprechend gehörte<br />

er zum Mobiliar des <strong>19</strong>26 eröffneten<br />

Dessauer Bauhaus-Gebäudes.<br />

www.vitra.com<br />

Angeknipst<br />

In Wilhelm Wagenfelds respektablem, über 600 Nummern<br />

umfassendem Werkverzeichnis ist die Leuchte die<br />

Nummer 1. Und wirklich hat nichts Wagenfelds Ruf so stark<br />

geprägt wie diese frühe Studentenarbeit von <strong>19</strong>24, der in<br />

ihrem geometrischen Aufbau die Auffassung seines Lehrers<br />

László Moholy-Nagy noch deutlich anzusehen ist. Längst ist<br />

die Ikone des Bauhauses, die erst seit <strong>19</strong>80 wieder auf dem<br />

Markt ist, einer der Designklassiker des 20. Jahrhunderts.<br />

www.prediger.de<br />

Weichgekocht<br />

Noch ein Wagenfeld, noch ein Kultobjekt: der Eierkoch, der<br />

als Prototyp moderner Glasgestaltung Design-Geschichte<br />

schrieb. Entstanden ist der Eierkoch <strong>19</strong>33 im Rahmen der Entwürfe<br />

für das berühmte Teeservice Edition Wagenfeld für die<br />

Jenaer Glaswerke. Und hier das Grundrezept: 1 Ei in den Eierkoch<br />

schlagen, mit Salz und Kräutern würzen. Deckel und<br />

Spange aufsetzen, im heißen Wasserbad 4–6 Minuten kochen.<br />

www.jenaerglas-shop.de<br />

72 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Abgerundet<br />

Die kluge und ausgewogene Kombination verschiedener<br />

geometrischer Grundformen macht die Arbeiten von<br />

Marianne Brandt so unverwechselbar: Das elegante<br />

Tee-Extraktkännchen MT 49 entstand in ihrem ersten<br />

Studienjahr <strong>19</strong>24. Das reduzierte Design des Aschenbechers<br />

legt eine serielle Fertigung nahe, ist aber ein in<br />

aufwendiger Handarbeit hergestelltes Einzelstück.<br />

Verschaukelt<br />

Erst 20-jährig, entwarf der Bauhaus-Lehrling<br />

Peter Keler <strong>19</strong>22 diese Bauhaus-Wiege, die ganz<br />

deutlich seinen Lehrmeister Wassily Kandinsky<br />

verrät. Zum Klassiker wurde sie wegen ihrer<br />

Grundfarben Gelb, Rot und Blau und der ihnen<br />

von Kandinsky zugeordneten Formen Dreieck,<br />

Quadrat und Kreis. Die Wiege wurde zur Ausstellung<br />

<strong>19</strong>23 im „Haus am Horn“ präsentiert.<br />

Pendelleuchte von<br />

Alfred Schäfer,<br />

Werkstattmeister im<br />

Bauhaus Dessau<br />

Rumgespielt<br />

Eberhard Schrammen leitete die bauhauseigene<br />

Drechslerei und entwarf um <strong>19</strong>23<br />

die bunt bemalten Handpuppen aus Holz –<br />

Stabfiguren für ein Puppenspiel.<br />

Ursprünglich gibt es drei Figurenpärchen,<br />

je zwei in Weiß, Gelb und Grau, die sich<br />

vor allem in ihrer Haltung unterscheiden.<br />

Allerdings fehlt der weißen Figur heute ihr<br />

Gegenstück.<br />

Aufbewahrt<br />

Die Vorratsgefäße für die Küchengarnitur des Weimarer<br />

Modellhauses „Haus am Horn“ von Georg Muche stammen<br />

von Theodor Bogler und waren das erste Referenzobjekt<br />

der keramischen Werkstatt des Bauhauses.<br />

Walter Gropius beauftragte die Steingutbetriebe von<br />

Hermann Harkort in Velten-Vordamm bei Berlin, um<br />

Prototypen für die serielle Produktion zu entwickeln.<br />

73


L E B E N S A R T<br />

Die Paula-Bosch-Kolumne<br />

DIE HELDEN<br />

DER NATION<br />

Zugegeben, es ist ein kleines Weinland, die schweizerische<br />

Eidgenossenschaft. Aber wie es aussieht, gilt der von ihr selbst<br />

gewählte Begriff der Willensnation für mehr als nur die staatliche<br />

Einordnung. Denn einzigartige Rebsorten und Winzer<br />

beweisen, dass Einsatz und Leidenschaft alles möglich machen.<br />

Die Besonderheit des gebirgsreichsten Weinlandes in<br />

Europa, der Schweiz, liegt nicht in der Größe seiner<br />

Rebflächen oder der produzierten Mengen, sondern<br />

in der Schönheit der alpinen Weinregionen. Allen<br />

voran das Wallis im Herzen der Alpen mit seinen<br />

halsbrecherischen Steillagen in bis zu 1.100 Höhenmetern, dann das<br />

Waadland mit den unzähligen Kleinstterrassen am Ufer des Genfer<br />

Sees. Im Süden beeindruckt das mediterran angehauchte Tessin,<br />

und in der Deutschschweiz ist Graubünden ein Beispiel für die relevanten<br />

Schönheiten der Schweizer Weinwelt. Weit mehr als drei<br />

Viertel aller Weine des Landes werden hier produziert.<br />

Für den guten Ruf der Schweizer Weine zeichnen etwa zwei<br />

Dutzend Winzer verantwortlich, die weltweit anerkannte und mit<br />

höchsten Preisen ausgezeichnete Weine produzieren. Sie liefern<br />

regelmäßig überragende Qualitäten aus internationalen wie autochthonen<br />

Rebsorten; daneben auch Raritäten, die nur noch in der<br />

Schweiz angebaut werden.<br />

Ermöglicht wird ihnen der partiell<br />

extreme Weinbau durch das günstige sonnenreiche<br />

und trockene Klima, die warmen<br />

Föhnwinde, die steinreichen Höhenlagen<br />

sowie die von Parzelle zu Parzelle<br />

wechselnde Bodenbeschaffenheit.<br />

Die Kleinstmengen der produzierten<br />

Besonderheiten, die internationale Vergleiche<br />

nicht scheuen, sind mit ein Grund<br />

für die ambitionierte Preispolitik, die in<br />

der Schweiz als angemessen betrachtet und<br />

akzeptiert wird. Die besten Weingüter haben alle lange Wartelisten<br />

für eventuelle Neukunden, die irgendwann ein paar der wenigen<br />

Flaschen erwerben möchten. So gelten heute schon bestimmte<br />

Weine als nationale Weinhelden, ähnlich wie Heidi, Wilhelm Tell,<br />

die Uhrenbranche, Schweizer Käse oder Schokolade.<br />

WINZER MIT BESONDEREN WEINEN<br />

Ganz nach dem Motto „Ladies first“ kommt die Königin des Weinbaus<br />

im Wallis, MARIE-THÉRÈSE CHAPPAZ, an erster Stelle. Wer das<br />

Glück hat, mit ihr durch ihre steilen, gepflegten, seit 2003 biodynamisch<br />

bewirtschafteten Kleinparzellen zu gehen, lernt, was es bedeutet, Freude<br />

und Verantwortung gleichermaßen an einem Weinberg und dessen<br />

Früchten zu haben. Alle Weine, aber ganz besonders ihre Preziosen, die<br />

weiße Petite Arvine, Ermitage Blanc oder Humagne Rouge, versprühen<br />

großzügig den Duft, die ganze Aromatik des Weingartens, in dem sie gewachsen<br />

sind. Fazit: Die kraftvollen, harmonischen Urgesteine der Grande<br />

Dame sind beeindruckend, und die Süßweine schmecken umwerfend gut.<br />

Bezug: www.gute-weine.de<br />

Die Kellerei CHANTON im Walliser Visp hat sich ganz und gar dem<br />

Schutz alter, autochthoner Rebsorten, dem ampelografischen Schatz<br />

des Schweizer Weinbaus verschrieben. Es lohnt ungemein, die seltenen<br />

Sorten wie Gwäss, Himbertscha, Lafnetscha oder Rèze mit ganz eigenem<br />

Charakter neben den Klassikern Chasselas, Savagnin, Gamay und Pinot<br />

Noir zu verkosten – hier öffnet sich eine völlig neue Weindimension.<br />

Bezug: www.schweizerweineonline.de<br />

74 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Château d’Aigle, im Herzen der Weinberge<br />

von Chablais, südlich des Genfer Sees<br />

FOTO: JÖRG LEHMANN; SWISSWINE.CH<br />

JEAN-RENÉ GERMANIER Gilles Besse, Mitinhaber und Önologe bei<br />

Germanier in Vétroz, war früher ein Jazz-Saxofonist und ist es, so ganz<br />

nebenbei, heute immer noch. Der Neffe von Jean-René Germanier, dem<br />

ehemaligen Nationalrat, treibt das Weingut nicht nur in der Schweiz<br />

voran. Ob New York, Singapur, Hongkong, Oslo, Paris, London oder Berlin<br />

– Gilles kann in seiner Mission als Botschafter für die beeindruckenden<br />

Weine von Germanier auf der ganzen Welt angetroffen werden. Cayas,<br />

sein Paradewein aus Syrah, genießt auch im 20. Jahrgang 2015 – und das<br />

mit vollem Recht – Kultstatus.<br />

Bezug: www.linke-weine.de<br />

MARTHA & DANIEL GANTENBEIN sind meine Helden der Präzision<br />

und des Bündner Rheintals. Mit ihrem Chardonnay und Pinot Noir<br />

haben sie Maßstäbe für Weine aus der Schweiz in der internationalen<br />

Weinszene gesetzt. Sie kennen die Heimat dieser Traubensorten, das<br />

Burgund, wie ihre Westentasche, sind in der ganzen Welt stets auf der<br />

Suche nach dem Allerbesten und streben danach, es in ihrem mustergültigen,<br />

auf jedes Detail des Produktionsprozesses eingerichteten<br />

Weinkeller zu integrieren.<br />

Bezug: www.moevenpick-wein.de<br />

LOUIS-PHILIPPE BOVARD aus Cully am Genfer See ist nicht nur der<br />

Grandseigneur des Dézaley, für mich ist er der Monsieur du Chasselas.<br />

Trotz seines hohen Alters ist sein Einsatz für die Qualität<br />

der Rebsorte, die auch massenweise angebaut wird, unermüdlich.<br />

Immer noch reist er um die Welt, um für die<br />

besten Chasselas von Dézaley, Aigle, Epesses, St. Saphorin<br />

bis Yvorne eine Lanze zu brechen. Sein Dézaley Médinette<br />

Réserve wird zu Recht als Grand Cru gefeiert.<br />

Bezug: www.linke-weine.de<br />

Die Familie DONATSCH betreibt in Malans, Graubünden,<br />

ein Weingut mit Winzerstube wie aus dem Bilderbuch.<br />

Chardonnay und Pinot Noir sind die Hauptakteure<br />

im Programm, sie räumen Jahr für Jahr höchste Noten<br />

in den Weingazetten ab, was ich doppelt unterstreichen<br />

kann. Dabei benötigen beide viel Zeit zur Reife, nicht anders<br />

als die größten Vorbilder des Burgund. Die uralte<br />

weiße Malanserrebe Completer spielt dabei eine Nebenrolle<br />

– aber was für eine. Unbedingt probieren!<br />

Bezug: www.gute-weine.de<br />

75


Abonnieren Sie die schönsten Seiten<br />

der Klassik für nur 55 EUR*:<br />

❚ sechs Ausgaben <strong>CRESCENDO</strong><br />

❚ Festspiel-Guide ❚ Geschenk-CD<br />

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schenken<br />

Ihnen<br />

Doppler Discoveries.<br />

András Adorján & Emmanuel Pahud<br />

(Farao Classics)<br />

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*) Abo-Preis Inland bei Zahlung per Bankeinzug. Sollten Sie Bezahlung per Rechnung wünschen, fallen zusätzlich 5 EUR Bearbeitungsgebühr an. Versand ins Ausland gegen Gebühr. Das Abo läuft zunächst für ein Jahr und kann dann gekündigt<br />

werden. Das Angebot ist nur in Deutschland, der Schweiz und im EU-Ausland verfügbar und nicht wiederholbar. Geschenk-CD und Prämien: solange der Vorrat reicht. Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb der folgenden<br />

zwei Wochen ohne Begründung bei Abo-Service <strong>CRESCENDO</strong> in Textform (z. B. per Mail oder Brief) oder durch Rücksendung der Zeitschrift widerrufen. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.<br />

Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com<br />

76 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


L E B E N S A R T<br />

DIE KÜNSTLERIN YO FRANKLIN<br />

GESTALTETE DAS COVER UNSERER PREMIUM-CD.<br />

Der Dialog der Farben<br />

Springtime Rock ’n’ Roll, 90 x 180 cm<br />

FOTOS: PRIVAT<br />

Seit sie einen Farbstift halten kann, malt Yo<br />

Franklin. Es scheint, als habe sie ihr Leben<br />

der Kunst verschrieben. Sie ist Knechtin<br />

ihrer Kreativität und Vielseitigkeit. Vom<br />

Figurativen zum Plakativen zum Abstrakten –<br />

und wieder zurück. So könnte man den Schaffensweg<br />

der Künstlerin beschreiben. Zunächst<br />

autodidaktisch, dann an den Kunstakademien,<br />

fand Yo Franklin ihren Weg zu Kunst und Farben,<br />

die sie virtuos beherrscht.<br />

Überhaupt bestimmt der Dialog der Farben Franklins Arbeiten.<br />

Ihre Werke folgen keinem konsequenten, systematischen stilistischen<br />

Muster, sondern entstehen aus der Spontaneität. Sie folgen<br />

dem Prinzip der Formlosigkeit und Prozessen des Unbewussten. In<br />

Franklins Arbeiten werden im Spannungsfeld von Formwerdung<br />

und Formauflösung Lebensgeschichten erzählt, die Energie und<br />

Dynamik ausstrahlen.<br />

Die Künstlerin arbeitet bevorzugt in Serien oder Bildfolgen,<br />

wobei die einzelnen Motive einer thematischen Folge stets in sich<br />

geschlossene Arbeiten sind und sowohl allein als auch in beliebiger<br />

Kombination wahrgenommen werden können.<br />

Yo Franklins bisheriges Œuvre zeigt Dimensionen<br />

auf, die jenseits der Sichtbarkeit einer fotogenerierten<br />

und technologischen Bilderflut unseres<br />

Alltagslebens liegen. Dabei ist ihr immer der<br />

Moment wichtig, der Augenblick eines Bildes.<br />

Durchaus experimentierfreudig zeigt sie sich im<br />

Umgang mit Materialien. Marmormehl findet<br />

sich in dem hier gezeigten Bild, im Mai letzten<br />

Jahres hat sie in ihrer Ausstellung „Viscardi“ Pigmente<br />

in Öl auf Stahl aufgetragen. Die Stahlplatte<br />

wurde von ihr gebürstet und gelaugt, ehe sie das Gemälde in Öl mit<br />

Pigmenten statt auf Leinwand auf den glatten Stahl gemalt hat.<br />

Auch ihrer Liebe zu Wein verleiht die Künstlerin Ausdruck in<br />

ihrer Arbeit: In den Bildern zur Ausstellung LOVE/LIVE mischt Yo<br />

Franklin ihre eigenen Ölfarben mit Wein. Ein kräftiger Weißwein<br />

mit etwa 13 Prozent Alkohol ist die Basis zum Anrühren der Pigmente,<br />

ehe sie mit Leinöl zur gebrauchsfertigen Ölfarbe gemischt<br />

werden. Beide Bilderfolgen sind übrigens Teil einer bisher neunteiligen<br />

Serie „Münchener Augenblicke“, die im Mai 2018 erstmals als<br />

Ganzes ausgestellt wurde.<br />

n<br />

Mehr über die Künstlerin auf www.yo-franklin.de<br />

77


L E B E N S A R T<br />

1 2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

6 7<br />

8 9<br />

FOTOS: WWW.DRESDEN.DE; PIXABAY; WWW.KREUZCHOR.DE<br />

1) Innenraum der barocken Frauenkirche 2) Weltbekannt: der Dresdner Kreuzchor 3) Der Goldene Reiter mit dem Turm der Frauenkirche<br />

4) Augustusbrücke und Stadtansicht 5) Elbwiesen mit Canaletto-Blick 6) Hof der Elemente (Wasser) in der Kunsthofpassage 7) Echter Fürstenzug<br />

und Fürstenzug-Fassade, weltgrößtes keramisches Wandbild 8) Luther-Denkmal mit Frauenkirche 9) Szeneviertel Äußere Neustadt<br />

78 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


DIE STADT AN DER ELBE PUNKTET MIT KULTUR<br />

UND EINER VIELZAHL VON KIRCHEN,<br />

DEREN AKUSTIK JEDEN MUSIKER BEGEISTERT.<br />

Dresden<br />

Mit Hans-Christoph Rademann, Heinrich-Schütz-Experte und Leiter der Internationalen<br />

Bachakademie Stuttgart, auf Spuren der Alten Musik in Dresden.<br />

VON ROLAND H. DIPPEL<br />

FOTO: MARTIN FÖRSTER<br />

Dieser Mann atmet mit der Musik<br />

der Stadt, die ihn künstlerisch<br />

prägte: Hans-Christoph Rademann<br />

ist gebürtiger Dresdner, wuchs jedoch<br />

im erzgebirgischen Schwarzenberg<br />

auf wie der Countertenor und Regisseur<br />

Axel Köhler, der neue Rektor der Hochschule für<br />

Musik Carl Maria von Weber. Mit ihm könnte der<br />

<strong>19</strong>65 geborene Rademann eine zu wenig erschlossene<br />

Farbe im Profil der Musikstadt stärken: mehr Barock neben<br />

der Spätromantik. Treffpunkt: Bahnhof Dresden-Neustadt. Sofort<br />

empfiehlt Rademann, Leiter der Internationalen Bachakademie<br />

Stuttgart, eine Strecke entlang seiner musikalischen Herzensangelegenheiten:<br />

durch die innere Neustadt zur Dreikönigskirche, kurz<br />

an das östliche Elbeufer zum „Canaletto-Blick“ auf die Brühlsche<br />

Terrasse, Schloss und Zwinger, über die Augustusbrücke zur<br />

Hochschule für Musik. Dort wird Rademann, Nachfolger Helmuth<br />

Rillings an der Internationalen Bachakademie Stuttgart,<br />

später seine erste Lehrstunde im Jahr 20<strong>19</strong> halten.<br />

An diesem <strong>Januar</strong>morgen herrscht Aprilwetter. Schon beim<br />

Karl-May-Ort Radebeul, wo Rademann mit seiner Frau, der Tänzerin<br />

Friederike Rademann, lebt, wechseln Sonne und eisiger<br />

Regen. In dieser milden Weinregion sehr selten, kommt es geradezu<br />

der Aufforderung zu einem Perspektivenwechsel gleich.<br />

Denn heute geht es um Abenteuerlicheres als die sächsische<br />

Strauss- und Wagner-Stadt mit ihren berühmten Kunstschätzen.<br />

Hans-Christoph<br />

Rademann<br />

„Dresden hat als Zentrum der Alten Musik leider<br />

noch nicht die gebührende Ausstrahlungskraft“,<br />

bedauert Rademann. Das ist nicht die Schwärmerei<br />

eines Enthusiasten, sondern basiert auf seinem<br />

in kritischer Auseinandersetzung gewachsenen<br />

Repertoire und dem heutigen wissenschaftlichen<br />

Kenntnisstand: Die Notenarchive der Sächsischen<br />

Landesbibliothek Dresden sind eine unerschöpfliche<br />

Schatztruhe des 17. und 18. Jahrhunderts.<br />

Rademann legt ein beredtes Koordinatennetz von Fakten und<br />

Anreizen über die Stadt. Wir sitzen im Schwarzmarkt-Café an der<br />

Neustädter Markthalle. „Den Zwinger kennen alle. Aber das wahre<br />

Dresden erlebt man nur in der Äußeren Neustadt zwischen Albertplatz<br />

und Alaunpark.“ Die Stadt wirbt mit dem Lockwort „Szeneviertel“<br />

für das pittoreske und siegreich der Gentrifizierung trotzende<br />

Quartier: eine multikulturelle Insel für Hipster, Studierende,<br />

Bohemiens und Kleinfamilien, die Rademann immer<br />

wieder neu entdeckt. Daran zeigt sich, wie in der Musik auch, seine<br />

Vorliebe für kleinere, unspezifische Formen. Rademanns Aufführungen<br />

von Orffs Carmina burana mit der Singakademie Dresden<br />

und dem Tanzforum Köln waren bei den sommerlichen Zwingerkonzerten<br />

ein Highlight. Der persönlichen Berufung aber folgte er<br />

mit dem von ihm <strong>19</strong>85 gegründeten Dresdner Kammerchor, einem<br />

Vokalensemble von stilistisch unbestechlichen Qualitäten. Eine<br />

Pionierleistung dieses meisterhaften Chors, die CD-Edition des<br />

Gesamtwerks von Heinrich Schütz, steht kurz vor der Vollendung.<br />

79


L E B E N S A R T<br />

Soeben erschien die <strong>19</strong>. Folge, „Madrigale<br />

und Hochzeitsmusiken“. In der Dreikönigskirche<br />

nahe dem Albertplatz liegen die<br />

Wurzeln des sich über fast 15 Jahre erstreckenden<br />

Projekts: „Über ihr arbeitete mein<br />

Schwiegervater im Kirchlichen Kunstdienst<br />

Sachsen. Das ist, neben vielen Konzerten,<br />

ein weiterer Grund für meine Verbundenheit<br />

zu ihr. Dort dirigierte ich zum<br />

ersten Mal Schütz’ Schwanengesang und<br />

wagte erstmals ein Konzert nur mit Schütz-<br />

Werken. Beim Wiederaufbau in der DDR<br />

wurde das Kirchenschiff verkürzt – sicher<br />

nicht zum Vorteil der Kirchenakustik.“<br />

Mit dem Dresdner Kammerchor und dessen umfangreicher<br />

Diskografie setzt sich Rademann für Werke aller Epochen und<br />

Uraufführungen ein. Besonders intensiv für den „Kirchen-Compositeur“<br />

Jan Dismas Zelenka und Johann David Heinichen. Er<br />

kennt aus eigener Konzerterfahrung weitaus mehr Dresdner Kirchen<br />

und Säle als die Dirigenten und Musiker der Staatskapelle<br />

und der Dresdner Philharmonie. Eine eigene Konzertreihe veranstaltet<br />

Rademann zum Beispiel mit Studierenden im barocken<br />

Festsaal des Marcolini-Palais auf dem Gelände des Städtischen<br />

Klinikums. Ein Ort, der mit maximal 140 Plätzen ein absoluter<br />

Geheimtipp für Kulturreisende ist!<br />

Leider mischt sich während dieses Kulturspaziergangs eine<br />

weitere Koordinate ins Gespräch: die Zeit. Inzwischen versucht<br />

Hans-Christoph Rademann, den Zugang zur Schlosskapelle zwischen<br />

Schlosskirche und Fürstenzug für uns zu erfragen. Leider<br />

vergeblich – die Bausanierung ist gerade in der entscheidenden<br />

Phase. „Sie ist deshalb so interessant, weil die Dresdner Hofkapelle<br />

neben der von Versailles die wichtigste hinsichtlich europäischer<br />

Besetzungen und weltoffener Interaktionen war“, merkt er an.<br />

Bleibt aber, bevor die Wege sich wieder trennen, noch eine<br />

entscheidende Frage, nämlich welche der Dresdner Kirchen denn<br />

Stadtfest vor der kirchenreichen<br />

Silhouette Dresdens<br />

FOTO: WWW.DRESDEN.DE<br />

die beste Akustik hat? Die Frauenkirche?<br />

Natürlich lässt sie sich nicht mit einem Satz<br />

beantworten. „Sie eignet sich mehr für<br />

Neue Musik und Werke mit Raumwirkungen,<br />

weniger für strukturelle Musik wie die<br />

von Bach.“ Und was ist mit der Kreuzkirche?<br />

„Barocke Werke in großer Besetzung<br />

und romantische Oratorien passen ideal in<br />

das große Kuppelschiff mit 3.000 Plätzen.<br />

Die allerbeste Akustik für Barockmusik<br />

aber hat die Annenkirche“, gerät Rademann<br />

ins Schwärmen. Wir verzichten also<br />

auf den Gang zum Kulturpalast und schlagen<br />

einen kleinen Bogen zu der klassizistisch umgestalteten<br />

Renaissancekirche zwischen Fußgängerzone und dem Kraftwerk<br />

Mitte mit den Spielstätten Staatsoperette und Theater der jungen<br />

Generation. „Der Klang der Annenkirche ist von sagenhafter Rundung<br />

und Transparenz. Das schätzen nicht nur wir, sondern zum<br />

Beispiel auch das tschechische Collegium 1704.“<br />

Der Spaziergang muss hier leider schon enden – bald beginnt<br />

der Unterricht. Zwei Stunden waren zu kurz, Hans-Christoph<br />

Rademann würde gern noch zu den musikalischen Orten jenseits<br />

der Stadtgrenze aufbrechen: Hinter Radebeul, wo die Landesbühnen<br />

Sachsen einen anspruchsvollen Spielplan kultivieren, liegen<br />

das Sächsische Staatsweingut Schloss Wackerbarth, die Villa<br />

Teresa in Coswig, Schloss Moritzburg. Allesamt Orte der Musik.<br />

Schließlich geht es noch einmal um die wichtigste Säule im musikalischen<br />

Kosmos Rademanns: „Ich bin überzeugt, dass Schütz in<br />

seiner Motette ‚Ich bin ein rechter Weinstock‘ die Terrassenstrukturen<br />

der Radebeuler Weinberge musikalisch abgebildet hat.“<br />

Insofern ist nicht nur Richard Wagner, der seine Inspirationsquellen<br />

um Schloss Pillnitz wortreich dokumentierte, ein Maler für die<br />

Ohren, sondern auch Heinrich Schütz, der im nordwestlich von<br />

Dresden gelegenen Renaissance-Juwel Torgau die erste, leider nicht<br />

erhaltene deutsche Oper Dafne komponierte.<br />

■<br />

Musik & Kunst<br />

Dresdner Musikfestspiele 20<strong>19</strong> „Visionen“<br />

vom 16. Mai bis 10. Juni 20<strong>19</strong>: www.musikfestspiele.com<br />

| Konzerte im Marcolini-Palais<br />

(Geheimtipp, hier logierten Napoleon<br />

und Wagner): www.klinikum-dresden.de |<br />

Dresdner Kammerchor: www.dresdnerkammerchor.de<br />

| Landesbühnen Sachsen<br />

mit der legendären Felsenbühne Rathen:<br />

www.landesbuehnen-sachsen.de |<br />

Tipps, Infos & Adressen<br />

Reiseinformationen rund um Ihren Besuch in Dresden.<br />

Essen & Trinken<br />

Sächsische Spezialitäten, unverwechselbare regionale<br />

Weine und Sekt in der Idylle des Elbtals:<br />

www.schloss-wackerbarth.de | Traditionswirtschaft<br />

im Stadtteil Weißer Hirsch mit 140<br />

Jahren Tradition: www.hubertusgarten.de |<br />

Schwarzmarkt-Café an der Neustädter Markthalle<br />

gegenüber der Dreikönigskirche mit<br />

Kuchen- und Torten-Spezialitäten:<br />

www.cafe-eisold.de/schwarzmarkt-cafe.html<br />

Übernachten<br />

Dresden bietet in verschiedenen Preiskategorien<br />

Übernachtungen in historischen<br />

Schmuckstücken, z. B. Hotel Schloss Eckberg<br />

mit Park auf dem Höhenzug der Elbschlösser:<br />

www.schloss-eckberg.de |<br />

Das Taschenbergpalais direkt neben dem<br />

Schloss, vis-à-vis von Zwinger und Semperoper:<br />

www.kempinski.com/de/<br />

dresden/hotel-taschenbergpalais<br />

FOTOS: ALEXANDRA WELLENSIEK; WWW.SCHLOSS-WACKERBARTH.DE; WWW.SCHLOSS-ECKBERG.DE<br />

80 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


Termine<br />

FÜR GLOBETROTTER<br />

Spanien<br />

FOTOS: MERCE RIAL; ANTONI BOFILL; PIXABAY<br />

Barcelona<br />

Die Sopranistin Nuria Rial entführt<br />

ins 16. Jahrhundert. Nach ihrer Ausbildung<br />

in Barcelona und an der Musikhochschule<br />

Basel spezialisierte sie<br />

sich auf Barockmusik. Ihr Auftritt in<br />

Barcelona bietet Gelegenheit, sie in ihrer<br />

spanischen Heimat mit spanischer<br />

Musik zu erleben. Mit dem Ensemble Accademia del Piacere, geleitet<br />

von dem Gambisten Fahmi Alqhai, stellt sie den Komponisten Sebastián<br />

Durón vor und singt Arien und Kantaten aus wiederentdeckten und rekonstruierten<br />

Kompositionen von ihm. Durón kam 1660 in der zentralspanischen<br />

Provinz Guadalajara zur Welt. Seine Bühnenstücke, die er neben<br />

geistlichen Werken als Mitglied der Capilla Real in Madrid schuf,<br />

markieren jene zeitliche Schwelle, ab der spanische Komponisten sich<br />

dem italienischen Opernstil öffneten. Duróns Zarzuellas, typische spanische<br />

Stücke im Stil einer Operette, die vom unerschöpflichen Thema der<br />

Liebe erzählen, zeigen in ihrer Musiksprache bereits die Einflüsse italienischer<br />

Barockmeister.<br />

Barcelona, 7.2., L’Auditori, www.auditori.cat<br />

Madrid<br />

Raquel García-Tomás ist eine der bekanntesten<br />

Komponistinnen Spaniens.<br />

In Madrid kommt ihre neue Opera<br />

buffa zur Uraufführung: Je suis narcissiste,<br />

ein Stück von schwarzem Humor,<br />

dessen Libretto Helena Tornero<br />

verfasste. Im Mittelpunkt steht eine<br />

Eventmanagerin aus dem Kulturbetrieb, für die jeder Tag zu einem Hindernislauf<br />

zwischen ihr und ihrem Glück wird. Die Events überfluten<br />

sie, bis all die Künstler und Bosse, die auf sie einstürmen und die lieber<br />

reden als zuhören, sie in einem Gefühl großer Einsamkeit zurücklassen.<br />

Als sie schließlich den kompletten emotionalen Zusammenbruch<br />

erleidet, landet sie in der Praxis eines Psychiaters, der ihr alle möglichen<br />

Theorien, so skurril wie er selbst, unterbreitet. In Szene gesetzt wird die<br />

Oper von Marta Pazos. Die musikalische Leitung hat Vinicius Kattah.<br />

Zu den Mitwirkenden gehören Elena Copons, Toni Marsol, Maria Hinojosa<br />

und Joan Ribalta. Das Teatro Real gastiert mit der Inszenierung im<br />

Teatro Español.<br />

Madrid, Teatro Español, 7. bis 10.3., www.teatro-real.com<br />

Barcelona<br />

Die Werke des spanischen Komponisten<br />

Benet Casablancas Domingo werden<br />

auf der ganzen Welt gespielt. Nach<br />

seinem Studium bei Friedrich Cerha<br />

in Wien fand er zu einer Musiksprache,<br />

die sich durch radikale ästhetische Unabhängigkeit<br />

auszeichnet. Im prachtvollen<br />

Gran Teatre del Liceu von Barcelona, das dieses Jahr den zehnten<br />

Jahrestag seines Wiederaufbaus feiern kann, findet die Weltpremiere seiner<br />

ersten Opernkomposition statt. L’enigma di Lea (Leas Geheimnis),<br />

zu der der Schriftsteller und Dichter Rafael Argullol Murgadas das Libretto<br />

schreibt, setzt sich mit der letzten romantischen Utopie auseinander:<br />

der Berührung des Absoluten. Lea, verkörpert von Allison Cook, ein<br />

Geschöpf göttlicher Lust in einem Raum ohne Zeit, darf ihr Geheimnis<br />

nicht lüften. Als Trägerin der Unsterblichkeit steht sie unter der Bewachung<br />

zweier monströser Wesen, die Moral statt individueller Freiheit<br />

gewähren. Regie führt Carme Portaceli, und die musikalische Leitung<br />

übernimmt Josep Pons.<br />

Barcelona, Gran Teatre del Liceu, 9. (Premiere), 10., 12. und 13.2.,<br />

www.liceubarcelona.cat<br />

81<br />

81


H O P E T R I F F T<br />

Daniel-Hope-Kolumne<br />

DIE POLITIK DER MUSIK<br />

Sie verbindet, sie vermittelt, sie versöhnt: Musik, die die Menschen erreicht, kann, darf und soll<br />

politisch sein. Daniel Hope spricht mit Sebastian Feydt, Pfarrer an der Dresdner Frauenkirche.<br />

Daniel Hope: Pfarrer Feydt, 2007 wurden<br />

Sie an die Dresdner Frauenkirche berufen.<br />

Als einer der beiden Pfarrer des Gotteshauses<br />

zählen neben dem regelmäßigen<br />

Predigtdienst, der Ausgestaltung verschiedener<br />

geistlicher Formate auch Amtshandlungen<br />

wie Trauungen und Taufen<br />

sowie die Koordination des vielfältigen<br />

geistlichen Lebens der Frauenkirche.<br />

Welche Rolle spielt die Musik für Sie?<br />

Sebastian Feydt: Die Frauenkirche ist ohne<br />

Musik nicht denkbar. Als Pfarrer in dieser<br />

Kirche werde ich jeden Tag mit wunderbarer<br />

Musik beschenkt. In jeder der beiden<br />

tägli chen Andachten erklingt die Orgel: Ganz<br />

groß wird es, wenn die Stiftung Frauenkirche<br />

Dresden von Ostern bis Neujahr immer<br />

samstags zu herausgehobenen Konzerten<br />

mit Spitzenmusikern aus aller Welt einlädt.<br />

Noch nie in meinem Berufsleben habe ich<br />

so viel Kraft aus der Musik, insbesondere<br />

der sakralen, schöpfen können. Die Musik<br />

wurde mir zu einer Quelle der Inspiration.<br />

Über die „Peace Academy“ der Frauenkirche<br />

sagten Sie: „Begeisterte Jugendliche<br />

geben ein Friedenszeichen aus Dresden.<br />

Ihr Engagement für Verständigung,<br />

Versöhnung und Frieden macht die Welt<br />

wertvoller.“ Wie zuversichtlich sind Sie,<br />

dass dieses Jahrhundert friedlich verläuft?<br />

Leider gestaltet sich das 21. Jahrhundert<br />

nicht friedlich. Aber das hindert uns nicht<br />

daran, selbst zu Friedensstiftern zu werden.<br />

Zusammen mit jungen Menschen fragen<br />

wir: „Was können wir heute dafür tun, dass<br />

unsere Welt in zehn Jahren friedvoller ist?“<br />

Unter dieser Leitfrage steht auch die jährliche<br />

Einladung an Friedensnobelpreisträger,<br />

in die Dresdner Frauenkirche zu kommen<br />

und ihre Vorstellung einer demokratischen<br />

und die Menschenrechte achtenden Welt<br />

mit uns zu teilen. Insbesondere junge Men-<br />

Pfarrer Sebastian Feydt mit Daniel Hope<br />

schen zeigen uns, wie groß ihr Engagement<br />

für eine friedvolle, nachhaltig und gerecht<br />

gestaltete Zukunft ist.<br />

Wie gehen Sie mit dem aktuellen negativen<br />

Image Sachsens in den Medien um?<br />

Ich versuche, positive Akzente zu setzen,<br />

den Trend umzukehren: berührende Bilder<br />

des weltoffenen und engagierten Dresden in<br />

die Welt zu senden, wie mit der weihnachtlichen<br />

Vesper vor der Frauenkirche am Tag<br />

vor Heiligabend. Jährlich kommen da ca.<br />

20.000 Menschen zusammen und offenbaren<br />

ihre Sehnsucht: nicht nur vom „Frieden<br />

auf Erden“ zu hören, sondern selbst dafür<br />

einzustehen. Auch die aus der Kirche<br />

übertragenen Gottesdienste und Konzerte<br />

schaffen ein positives Bild unserer Stadt.<br />

Seit Anfang des Jahres bin ich künstlerischer<br />

Leiter der Frauenkirche Dresden.<br />

War die Frauenkirche immer auch als<br />

Konzertort vorgesehen?<br />

Die Frauenkirche ist ein sakraler Raum.<br />

Und unter der Kuppel der Kirche gilt, was<br />

Sie, Daniel Hope, immer mit Blick nach<br />

oben sagen: Wir haben noch einen anderen<br />

„Chef “. In der Kirche erklingt Musik zur<br />

Ehre Gottes. Und um Menschen Kraft- und<br />

Inspirationsquelle zu sein. Mit diesem Ziel<br />

ist das Gotteshaus im 18. Jahrhundert<br />

gebaut und später wiederaufgebaut worden:<br />

Um Wort und Musik zusammen klingen zu<br />

lassen. Und um viele Menschen einen<br />

Resonanzraum für ganz eigene, spirituelle<br />

Erfahrungen entdecken zu lassen.<br />

2017 sorgte ein Kunstwerk des syrischdeutschen<br />

Künstlers Manaf Halbouni auf<br />

dem Dresdner Neumarkt unweit der<br />

Frauenkirche teilweise für Irritationen.<br />

Wie politisch darf Kunst heutzutage sein?<br />

Wo Kunst Menschen anspricht, vermag sie<br />

politische Kraft zu entfalten. Geschieht sie<br />

nur um ihrer selbst willen, entzieht sie sich<br />

ihre eigentliche Kraft. Kunst in der wiedererrichteten<br />

Frauenkirche ist immer<br />

politisch. Das bringt der Ort mit sich. Der<br />

Wiederaufbau der Frauenkirche erfolgte mit<br />

dem ausdrücklichen Ziel, einen Ort der<br />

Verständigung zu schaffen, der als Wahrzeichen<br />

zu Toleranz und Frieden mahnt.<br />

Ali al-Abdali gilt als einer der besten<br />

Oud-Bauer Arabiens (Anm.: Oud ist eine<br />

Kurzhalslaute aus dem Vorderen Orient).<br />

Im Interview sagte er: „Im Irak darf man<br />

eine Rakete tragen, aber keine Oud. (...)<br />

Die Religion hat die irakische Straße fest<br />

im Griff. Für sie ist die Oud tabu – eine<br />

Sünde, die dich vom Beten ablenkt.“ Kann<br />

und darf Musik vermitteln?<br />

Viele Konflikte und politische Krisen<br />

weltweit werden mit Religionen in Verbindung<br />

gebracht. Musik ist eine starke Sprache<br />

der Verständigung und kann eine Brücke<br />

zwischen Religionen und Konfessionen<br />

schlagen. Mit ihrer versöhnenden Kraft ist<br />

sie unabdingbar für das Miteinander von<br />

Menschen unterschiedlicher Glaubens- und<br />

Lebenshaltungen. Sei es Beethovens Neunte<br />

Sinfonie, Brittens War Requiem, Schostakowitschs<br />

Leningrader Sinfonie oder eben die<br />

Musik der Oud-Spieler – wenn Musik<br />

Versöhnung und Völkerverständigung<br />

voranbringt, kommt sie ihrer wahren<br />

Bestimmung nach. Wann laden wir diesen<br />

Oud-Spieler denn ein? <br />

n<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

FOTO: THOMAS SCHLORKE<br />

82 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>19</strong>


20<strong>19</strong><br />

01.11.<strong>19</strong><br />

München<br />

02.11.<strong>19</strong><br />

Stuttgart<br />

06.11.<strong>19</strong><br />

Frankfurt<br />

22.11.<strong>19</strong><br />

Hamburg<br />

29.11.<strong>19</strong><br />

Hannover<br />

06.12.<strong>19</strong><br />

Augsburg<br />

13.12.<strong>19</strong><br />

Berlin<br />

18.12.<strong>19</strong><br />

Nürnberg<br />

Tickets unter www.klassikradio.de


VERGESSENE SCHÄTZE<br />

AUS DEM ARCHIV DER DEUTSCHEN GRAMMOPHON<br />

WIEDERENTDECKT UND REMASTERED!<br />

The Shellac Project<br />

mit Erich Kleiber | Pietro Mascagni | Hans Pfitzner | Heinrich Schlusnus<br />

Fritz Kreisler | Thomanerchor Leipzig | Louis Armstrong | Lale Andersen<br />

Johannes Heesters | Otto Reuter u. v. a.<br />

THE SHELLAC ERA<br />

HISTORICAL RECORDINGS <strong>19</strong>12 – <strong>19</strong>36<br />

BESUCHEN SIE DIE PLAYLIST MIT ÜBER 120 TITELN:<br />

dg.lnk.to/theshellacproject<br />

In Kooperation mit EBENFALLS ERHÄLTLICH: THE SHELLAC ERA<br />

VINYL | 483 5896<br />

THE GOLDEN AGE OF SHELLAC<br />

CD | 483 6174<br />

LIVE AUS DER VERBOTENEN STADT<br />

DAS GALAKONZERT ZUM 120. GEBURTSTAG<br />

DER DEUTSCHEN GRAMMOPHON<br />

CARL ORFF’S CARMINA BURANA<br />

GESPIELT VOM SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA · DIRIGIERT VON LONG YU<br />

DIE DVD/BLU-RAY UND DAS E-ALBUM ENTHALTEN ZUDEM BEITRÄGE VON MARI SAMUELSEN (MAX RICHTER)<br />

UND DANIIL TRIFONOV (RACHMANINOV)<br />

AB 18.01. IM HANDEL<br />

LIVE FROM THE FORBIDDEN CITY<br />

ORFF: CARMINA BURANA<br />

GARIFULLINA · SPENCE · TÉZIER · WIENER SINGAKADEMIE<br />

SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA · LONG YU<br />

LIVE FROM THE FORBIDDEN NC<br />

CITY<br />

ORFF<br />

CARMINA BURANA<br />

RACHMANINOV · RICHTER<br />

AIDA GARIFULLINA · TOBY SPENCE · LUDOVIC TÉZIER<br />

DANIIL TRIFONOV · MARI SAMUELSEN<br />

SHANGHAI SYMPHONY ORCHESTRA<br />

WIENER SINGAKADEMIE<br />

LONG YU

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