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CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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Die Hamburger Elbphilharmonie sehen weit mehr Menschen von außen als von innen; das Konzerthaus Dortmund folgt der<br />

„Schuhschachtel“-Bauweise, während die Dresdner Philharmonie in steilem „Weinberg“-Prinzip getaltet ist<br />

„die bessere Elbphilharmonie“. Fünf Jahre lang wurde saniert, der<br />

Konzertsaal völlig neu gestaltet und im April 2017 wieder eingeweiht.<br />

Etwa 100 Millionen Euro hat man sich die Neugestaltung des<br />

Kulturpalasts am Altmarkt kosten lassen, laut Eigenwerbung „ein<br />

Haus der Künste und des Wissens: Der neue Dresdner Kulturpalast<br />

weist in die Zukunft“.<br />

Ob er auch ein Touristenmagnet wird wie die Elbphilharmonie?<br />

Wenn, dann eher nicht, weil er optisch überzeugt. Der als sozialistisch-klassizistischer<br />

Ensemblebau geplante Quader wirkt im Stil<br />

der internationalen Moderne fast schon schmucklos. Der Konzertsaal<br />

aber wurde, was die Akustik betrifft, zur großen Überraschung.<br />

Schon erste Orchesterproben stimmten<br />

die Verantwortlichen euphorisch. Der<br />

IN DER 40. REIHE<br />

HÖRT MAN NOCH GUT,<br />

ABER DIE MUSIKER SCHRUMPFEN<br />

ZUM AMEISENTHEATER<br />

angestrebte „warme Dresdner Klang“<br />

war von dem niederländisch-deutschen<br />

Akustikbüro Peutz erzielt worden.<br />

Als zurzeit führender Fachmann<br />

für Konzertsaal-Akustik gilt der Japaner<br />

Yasuhisa Toyota. Jüngere Großprojekte<br />

waren die Konzertsäle in Katowice<br />

(2014), Paris (2015) und eben Hamburg<br />

(2016). Toyota war auch der verantwortliche<br />

Akustiker für die Suntory Hall in Tokio (1986), die Walt Disney<br />

Concert Hall in Los Angeles (2003) oder das Konzerthaus in<br />

Kopenhagen (2009).<br />

In München wird seit Jahren über die Notwendigkeit eines<br />

neuen Konzertsaals gestritten. So ein Konzertbau ist ja keine Kleinigkeit,<br />

sondern eine millionenteure und städtebaulich oft einschneidende<br />

Entscheidung. Siehe Hamburg. Überhaupt hat man<br />

den Eindruck, das äußere Erscheinungsbild sei der wichtigere<br />

Aspekt – was für den Großteil der Bevölkerung vermutlich auch<br />

stimmt, denn dieser wird den neuen Bau eher von außen denn<br />

von innen erleben. Die Frage muss erlaubt sein: Wie stark kann die<br />

Fassade auch über mindere akustische Qualität „hinwegschönen“?<br />

Denn die Saalakustik bildet ein heikles Thema, zumal die oft neuartige<br />

und gewagte Architektur immer wieder andere Herausforderungen<br />

stellt.<br />

Im 19. Jahrhundert war das alles noch einfacher. Der für seine<br />

Akustik vielfach bewunderte Goldene Saal des Wiener Musikvereins<br />

entstand <strong>18</strong>70 ohne jede akustische Expertise. Man folgte einfach<br />

dem traditionellen Modell der „Schuhschachtel“ oder „Zigarrenkiste“:<br />

Der Saal ist ein länglicher Quader mit der Bühne am<br />

schmalen Ende. Viele Konzertsäle jener Zeit, die bis heute für ihre<br />

gute Akustik bekannt sind, beherzigen dasselbe Prinzip: das Concertgebouw<br />

in Amsterdam (<strong>18</strong>87), die Tonhalle in Zürich (<strong>18</strong>95),<br />

die Symphony Hall in Boston (1900). Auch bei Neubauten dient der<br />

Goldene Saal noch immer als Vorbild, etwa beim Konzerthaus Berlin<br />

am Gendarmenmarkt (1984), beim Konzertsaal im KKL Luzern<br />

(1998) und beim Konzerthaus Dortmund (2002). Physiker aus<br />

Finnland haben aktuell nachgewiesen, dass die „Schuhschachtel“-<br />

Bauweise eine besondere akustische Dynamik besitzt – vor allem<br />

dank der Schallreflexion der Seitenwände. Der Nachteil dieser Bauform<br />

ist ein optischer: Man mag in der<br />

40. Reihe noch gut hören, aber die Musiker<br />

schrumpfen zum Ameisen theater.<br />

Da kann man gleich vor einer HiFi-<br />

Anlage sitzen.<br />

Und die „Schuhschachtel“ hat<br />

ernsthafte Konkurrenz bekommen –<br />

erstmals durch die Berliner Philharmonie<br />

(1963), im Volksmund einst „Zirkus<br />

Karajani“ genannt. In Berlin hat man<br />

versucht, alle Zuhörerplätze möglichst<br />

nahe an die Bühne zu rücken, indem man die Reihen rundum terrassenartig<br />

nach oben zog und die Bühne Richtung Saalmitte verlegte.<br />

Diese Bauform wurde als „Weinberg“-Prinzip bekannt. Sie<br />

liegt heute vielen Neubauten von Konzertsälen zugrunde, auch den<br />

aktuellen Philharmonie-Projekten in Dresden und Hamburg. Der<br />

Trend geht dabei zu immer steileren Rängen, als wolle man die konventionelle<br />

„Schuhschachtel“ hochkant stellen, aber auch zu immer<br />

voluminöseren, „runderen“ Sälen. Das lässt an die modernen Fußballarenen<br />

denken: Auch dort sind die Besucher recht steil und relativ<br />

nahe überm Spielfeld platziert. Nun kann man zwar ein Fußballspiel<br />

aus jeder Richtung betrachten, aber Orchestermusiker spielen<br />

nur in eine Richtung: zum Dirigenten hin. Daher hat auch der<br />

Rundum-„Weinberg“ seine optischen Grenzen – denn wer will den<br />

Musikern zwei Stunden lang von oben auf den Hinterkopf schauen?<br />

Optik und Akustik sollten also Hand in Hand gehen. Und<br />

Architekten ziehen beim Neubau eines Konzertsaals professionelle<br />

Akustiker hinzu. Schließlich ist, wie der der Physiker Donald E. Hall<br />

schreibt, „akustische Planung mindestens ebenso sehr Kunst wie<br />

Wissenschaft“.<br />

■<br />

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