CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

P R O L O G
FOTOS TITEL: KIRAN WEST; ULRICH OBERST; ARENA DI VERONA / ENNEVI
WINFRIED HANUSCHIK
Herausgeber
WIDERHALL
Liebe Leser,
wahrscheinlich haben Sie die Aufregung
um den Popmusik-Preis ECHO verfolgt:
Zwei einfältige Jungs haben ein paar
geschmacklose Liedzeilen zusammengestopselt
und nuschelnd eingesungen. Das
Musikgenre nennt sich Battle-Rap. Da ist
es das erklärte Ziel, möglichst krasse
Provokationen zu formulieren, ohne
Rücksicht auf Verluste. Das hat geklappt:
Die Auszeichnung ECHO wurde nach fast
40 Jahren abgeschafft, infolge einer
Kaskade massiver Fehlentscheidungen.
Aber warum musste eigentlich der Preis
die Verantwortung übernehmen und nicht
diejenigen, die die Fehlentscheidungen
getroffen haben? Warum lässt man es zu,
dass sich Hunderte zu Recht ausgezeichnete
Künstler nun für ihren Preis schämen,
um ihre verdiente Anerkennung
betrogen werden? Das verstehe ich nicht.
Als ob das nicht genug menschliches
Versagen wäre, wurden in fast trotzigem
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Überschwang der ECHO KLASSIK und
der ECHO JAZZ gleich mit ins Grab
geworfen. Warum? Was haben diese
Auszeichnungen mit dem Pop-Debakel zu
tun? Das weiß keiner so recht. Denn im
Gegensatz zum ECHO POP wurden bei
diesen beiden Veranstaltungen die
Preisträger immer schon mittels Juryentscheid
gewählt.
Gern kritisiert wurde der ECHO POP
dafür, dass er im Wesentlichen die
bestverkauften Künstler auszeichnet.
Warum? „Meistverkauft“ repräsentiert die
„Stimme der vielen“, „die Schwarmintelligenz“,
„das Prinzip der Demokratie“. Die
meisten Rangreihen arbeiten nach dieser
Logik: ob „Top Ten“, „Charts“ oder die
„Spiegel-Bestsellerliste“. Beim ECHO
steckt dieser Widerhall schon im Namen.
Das Ergebnis mag einem persönlich
missfallen. Aber das Urteil der Mehrheit
abzulehnen, würde bedeuten, das Prinzip
der Demokratie abzulehnen.
In der Causa ECHO steckt eine ganze
Reihe längst überfälliger Debatten: Was
machen wir mit der Demokratie, wenn sie
diskriminierend wird? Warum hören und
kaufen eigentlich so viele Menschen
Musik mit menschenfeindlichen Texten?
Warum setzt die gesellschaftliche
Diskussion erst bei Antisemitismus ein?
Sind Rassismus, Sexismus und andere
Diskriminierungen weniger schlimm?
Sind menschenverachtende Aussagen
durch die Presse-, Kunst- oder Meinungsfreiheit
gedeckt? Wer darf/soll/muss
darüber entscheiden? Und was bedeutet
das alles für das Funktionieren und das
Vertrauen in unsere Demokratie?
Lasst uns einen Neuanfang wagen, damit
die ganze Aufregung nicht umsonst war.
Ich freue mich darauf!
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Winfried Hanuschik
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