CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018
CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.
CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.
20 JAHRE AUSGABE 04/2018 JUNI – JULI – AUGUST 2018 www.crescendo.de 7,90 EURO (D/A) PREMIUM AUSGABE inkl. CD MUSIK & RAUM Eine Liebesgeschichte zwischen Architektur und Klang BENJAMIN SCHMID & ANDREAS MARTIN HOFMEIR Violine und Tuba – ein wohl weltweit einzigartiges Duo John Neumeier „Ich bin hungrig nach emotionalem Erleben“ B47837 Jahrgang 21 / 04_2018 Mit Beihefter CLASS: aktuell und Special musica viva STAATSPHILHARMONIE RHEINLAND-PFALZ Abschied und Aufbruch: Das aktuelle Führungs-Duo des Orchesters geht, sein Feuer und seine musikalische Leidenschaft bleiben.
- Seite 2 und 3: MET OPERA LIVE IM KINO 2018/2019 6.
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- Seite 20 und 21: K Ü N S T L E R GOLDENE TROPFEN Pi
- Seite 22 und 23: K Ü N S T L E R MACHT WAS NEUES! W
- Seite 24 und 25: K Ü N S T L E R Herr Hofmeir, wie
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- Seite 28 und 29: K Ü N S T L E R DIRIGENT MIT INSTR
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- Seite 32 und 33: K Ü N S T L E R Ein Gespräch mit
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- Seite 38 und 39: H Ö R E N & S E H E N Nils Mönkem
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- Seite 42 und 43: H Ö R E N & S E H E N Marie-Elisab
- Seite 44 und 45: H Ö R E N & S E H E N Unerhörtes
- Seite 46 und 47: IMPRESSUM VERLAG Port Media GmbH, R
- Seite 48 und 49: A K U S T I K KLARINETTEN-KRIEGE Bi
- Seite 50 und 51: R Ä T S E L & R E A K T I O N E N
20 JAHRE<br />
AUSGABE 04/20<strong>18</strong> JUNI – JULI – AUGUST 20<strong>18</strong><br />
www.crescendo.de 7,90 EURO (D/A)<br />
PREMIUM<br />
AUSGABE<br />
inkl. CD<br />
MUSIK & RAUM<br />
Eine Liebesgeschichte zwischen<br />
Architektur und Klang<br />
BENJAMIN SCHMID &<br />
ANDREAS MARTIN HOFMEIR<br />
Violine und Tuba – ein wohl<br />
weltweit einzigartiges Duo<br />
John<br />
Neumeier<br />
„Ich bin hungrig nach<br />
emotionalem Erleben“<br />
B47837 Jahrgang 21 / 04_20<strong>18</strong><br />
Mit Beihefter CLASS: aktuell<br />
und Special musica viva<br />
STAATSPHILHARMONIE<br />
RHEINLAND-PFALZ<br />
Abschied und Aufbruch:<br />
Das aktuelle Führungs-Duo<br />
des Orchesters geht, sein<br />
Feuer und seine musikalische<br />
Leidenschaft bleiben.
MET<br />
OPERA<br />
LIVE IM KINO<br />
20<strong>18</strong>/2019<br />
6. Oktober<br />
AIDA<br />
Giuseppe Verdi<br />
20. Oktober<br />
SAMSON ET<br />
DALILA<br />
Camille Saint-Saëns<br />
27. Oktober<br />
LA FANCIULLA<br />
DEL WEST<br />
Giacomo Puccini<br />
10. November<br />
MARNIE<br />
Nico Muhly<br />
15. Dezember<br />
LA TRAVIATA<br />
Giuseppe Verdi<br />
12. Januar<br />
ADRIANA<br />
LECOUVREUR<br />
Francesco Cilea<br />
2. Februar<br />
CARMEN<br />
Georges Bizet<br />
2. März<br />
LA FILLE DU<br />
RÉGIMENT<br />
Gaetano Donizetti<br />
30. März<br />
DIE WALKÜRE<br />
Richard Wagner<br />
11. Mai<br />
DIALOGUES DES<br />
CARMÉLITES<br />
Francis Poulenc<br />
PHOTO: VINCENT PETERS / METROPOLITAN OPERA<br />
Änderungen vorbehalten<br />
C L A S S I C<br />
The Met: Live in HD series is made possible by<br />
a generous grant from its founding sponsor<br />
Digital support of The Met:<br />
Live in HD is provided by<br />
The HD broadcasts are supported by<br />
www.metimkino.de
P R O L O G<br />
FOTOS TITEL: KIRAN WEST; ULRICH OBERST; ARENA DI VERONA / ENNEVI<br />
WINFRIED HANUSCHIK<br />
Herausgeber<br />
WIDERHALL<br />
Liebe Leser,<br />
wahrscheinlich haben Sie die Aufregung<br />
um den Popmusik-Preis ECHO verfolgt:<br />
Zwei einfältige Jungs haben ein paar<br />
geschmacklose Liedzeilen zusammengestopselt<br />
und nuschelnd eingesungen. Das<br />
Musikgenre nennt sich Battle-Rap. Da ist<br />
es das erklärte Ziel, möglichst krasse<br />
Provokationen zu formulieren, ohne<br />
Rücksicht auf Verluste. Das hat geklappt:<br />
Die Auszeichnung ECHO wurde nach fast<br />
40 Jahren abgeschafft, infolge einer<br />
Kaskade massiver Fehlentscheidungen.<br />
Aber warum musste eigentlich der Preis<br />
die Verantwortung übernehmen und nicht<br />
diejenigen, die die Fehlentscheidungen<br />
getroffen haben? Warum lässt man es zu,<br />
dass sich Hunderte zu Recht ausgezeichnete<br />
Künstler nun für ihren Preis schämen,<br />
um ihre verdiente Anerkennung<br />
betrogen werden? Das verstehe ich nicht.<br />
Als ob das nicht genug menschliches<br />
Versagen wäre, wurden in fast trotzigem<br />
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Überschwang der ECHO KLASSIK und<br />
der ECHO JAZZ gleich mit ins Grab<br />
geworfen. Warum? Was haben diese<br />
Auszeichnungen mit dem Pop-Debakel zu<br />
tun? Das weiß keiner so recht. Denn im<br />
Gegensatz zum ECHO POP wurden bei<br />
diesen beiden Veranstaltungen die<br />
Preisträger immer schon mittels Juryentscheid<br />
gewählt.<br />
Gern kritisiert wurde der ECHO POP<br />
dafür, dass er im Wesentlichen die<br />
bestverkauften Künstler auszeichnet.<br />
Warum? „Meistverkauft“ repräsentiert die<br />
„Stimme der vielen“, „die Schwarmintelligenz“,<br />
„das Prinzip der Demokratie“. Die<br />
meisten Rangreihen arbeiten nach dieser<br />
Logik: ob „Top Ten“, „Charts“ oder die<br />
„Spiegel-Bestsellerliste“. Beim ECHO<br />
steckt dieser Widerhall schon im Namen.<br />
Das Ergebnis mag einem persönlich<br />
missfallen. Aber das Urteil der Mehrheit<br />
abzulehnen, würde bedeuten, das Prinzip<br />
der Demokratie abzulehnen.<br />
In der Causa ECHO steckt eine ganze<br />
Reihe längst überfälliger Debatten: Was<br />
machen wir mit der Demokratie, wenn sie<br />
diskriminierend wird? Warum hören und<br />
kaufen eigentlich so viele Menschen<br />
Musik mit menschenfeindlichen Texten?<br />
Warum setzt die gesellschaftliche<br />
Diskussion erst bei Antisemitismus ein?<br />
Sind Rassismus, Sexismus und andere<br />
Diskriminierungen weniger schlimm?<br />
Sind menschenverachtende Aussagen<br />
durch die Presse-, Kunst- oder Meinungsfreiheit<br />
gedeckt? Wer darf/soll/muss<br />
darüber entscheiden? Und was bedeutet<br />
das alles für das Funktionieren und das<br />
Vertrauen in unsere Demokratie?<br />
Lasst uns einen Neuanfang wagen, damit<br />
die ganze Aufregung nicht umsonst war.<br />
Ich freue mich darauf!<br />
Mit herzlichen Grüßen<br />
Ihr Winfried Hanuschik<br />
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w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong> 3
P R O G R A M M<br />
ANTON<br />
BRUCKNER<br />
SYMPHONIE NR. 8<br />
06<br />
BLICKFANG<br />
Im Geiste des japanischen<br />
Butoh-Theaters schafft<br />
Anna-Varney Cantodea eine<br />
Körperästhetik der Verfremdung<br />
und Düsternis.<br />
14<br />
JOHN NEUMEIER<br />
Er malt mit Menschen in Zeit<br />
und Raum! Wohl kaum ein<br />
Künstler prägt die europäi sche<br />
Tanzszene mehr als<br />
John Neumeier.<br />
42<br />
MARIE-ELISABETH<br />
HECKER<br />
Die deutsche Cellistin interpre tiert<br />
Edward Elgars sehnsuchtsvolle<br />
Spätwerke durchdringlich und<br />
voller Feinsinn.<br />
STANDARDS<br />
KÜNSTLER<br />
HÖREN & SEHEN<br />
Foto © Peter Meisel<br />
Die neue CD von BR Klassik<br />
präsentiert die aktuelle<br />
Aufnahme eines Meilensteins<br />
des symphonischen Repertoires:<br />
Mariss Jansons und die Musiker<br />
des Symphonieorchesters<br />
des Bayerischen Rundfunks<br />
widmen sich Anton Bruckners<br />
monumentaler Achter Symphonie<br />
mit einem Höchstmaß an<br />
Spielfreude und Klangkultur.<br />
MARISS JANSONS<br />
Symphonieorchester des<br />
Bayerischen Rundfunks<br />
Im Vertrieb von Naxos Deutschland<br />
br-klassik.de/label<br />
Erhältlich im Handel und im BRshop / br-shop.de<br />
03 PROLOG<br />
Der Herausgeber stellt<br />
die Ausgabe vor<br />
06 BLICKFANG<br />
Anna-Varney Cantodea<br />
08 OUVERTÜRE<br />
Dr. Goeths Kuriosa<br />
Divenkrieg: Maria Callas<br />
gegen Renata Tebaldi<br />
Ein Anruf bei …<br />
Jörg Piringer von The<br />
Vegetable Orchestra<br />
Ensemble<br />
Mit unseren Autoren<br />
hinter den Kulissen<br />
Klassik in Zahlen<br />
Playlist<br />
Greg Anderson und<br />
Elizabeth Joy Roe<br />
46 IMPRESSUM<br />
50 RÄTSEL &<br />
REAKTIONEN<br />
98 HOPE TRIFFT …<br />
Dr. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter<br />
der<br />
Bundesregierung<br />
12 EIN KAFFEE MIT ...<br />
Hans Sigl<br />
14 JOHN NEUMEIER<br />
Die Tanzlegende schöpft<br />
ihre Inspiration aus der<br />
Emotion<br />
<strong>18</strong> DAVID AARON<br />
CARPENTER<br />
Der renommierte<br />
Bratscher handelt auch mit<br />
wertvollsten Instrumenten<br />
20 SOPHIE PACINI<br />
In den Abgründen<br />
Robert Schumanns<br />
22 BENJAMIN SCHMID<br />
UND ANDREAS<br />
MARTIN HOFMEIR<br />
Violine meets Tuba – ein<br />
besonders kurioses Duo<br />
26 SOPHIE<br />
KARTHÄUSER &<br />
MICHAEL VOLLE<br />
Jeder sollte Bach und<br />
Mozart singen!<br />
28 JOSHUA BELL<br />
Warum Konzertmeister die<br />
perfekten Dirigenten sind<br />
30 KOMMENTAR<br />
Axel Brüggemann über<br />
den ECHO-Skandal<br />
32 RAY CHEN<br />
Ein Weltklassegeiger<br />
zwischen Nostalgie und<br />
Social Media<br />
35 DIE WICHTIGSTEN<br />
EMPFEHLUNGEN DER<br />
REDAKTION<br />
36 ATTILAS AUSWAHL<br />
Diese Alben machen richtig<br />
gute Laune!<br />
44 UNERHÖRTES &<br />
NEU ENTDECKTES<br />
Hörenswertes von Cluytens,<br />
Keilberth und anderen<br />
48 KLARINETTEN-<br />
SYSTEME<br />
Französisches versus<br />
deutsches System – mehr als<br />
eine Glaubensfrage<br />
EXKLUSIV<br />
FÜR ABONNENTEN<br />
Hören Sie die Musik zu<br />
unseren Texten auf der<br />
crescendo Abo-CD –<br />
exklusiv für Abonnenten.<br />
Infos auf den Seiten 3 & 80<br />
4 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong><br />
FOTOS: SOPOR AETERNUS; KIRAN WEST; HARALD HOFFMANN
ANDERSON & ROE<br />
Klavierduo<br />
MOTHER -<br />
a musical tribute<br />
EINZIGARTIGE ARRANGEMENTS<br />
WELTBEKANNTER HITS<br />
60<br />
STAATS-<br />
PHILHARMONIE<br />
RHEINLAND-PFALZ<br />
Das Orchester stellt Künstler<br />
wie Pinchas Zukerman<br />
in den Fokus.<br />
73<br />
MUSIK & RAUM<br />
Kulturtempel, Industrieruine<br />
oder Freiluftkulisse – wie<br />
Klang den Raum beeinflusst<br />
und Raum den Klang.<br />
94<br />
GRAZ<br />
Musik, Kunst und Kultur – ein<br />
Spaziergang mit Dirigentin<br />
Oksana Lyniv durch Österreichs<br />
malerische Metropole.<br />
ERLEBEN<br />
SCHWERPUNKT<br />
LEBENSART<br />
51 DIE WICHTIGSTEN<br />
TERMINE UND<br />
VERANSTALTUN-<br />
GEN IM SOMMER<br />
77 MUSIK & RAUM<br />
Die Suche nach der<br />
perfekten Proportion in<br />
Architektur und Musik<br />
88 WEINKOLUMNE<br />
John Axelrod über<br />
Wein aus und Musik an<br />
kuriosen Orten<br />
FOTOS: CHERYL MAZAK; ANDREW KLOTZ; SERHIY HOROBETS UND VIKTOR ANDRIICHENKO<br />
58 FESTIVALS IN<br />
ITALIEN<br />
Sommer, Sonne und<br />
Klanggenuss im Süden<br />
60 STAATS-<br />
PHILHARMONIE<br />
RHEINLAND-PFALZ<br />
Eine ganze Metropolregion<br />
im Musikglück<br />
62 KLAVIER-FESTIVAL<br />
RUHR<br />
Große Künstler gratulieren<br />
zum 30. Geburtstag<br />
64 MARKGRÄFLICHES<br />
OPERNHAUS<br />
BAYREUTH<br />
Das architektonische Juwel<br />
ist wiedereröffnet<br />
musica viva<br />
des Bayerischen Rundfunks<br />
Ein Beihefter mit der<br />
Saison-Vorschau 20<strong>18</strong>/19.<br />
Sir Simon Rattle gibt mit<br />
dem LSO sein erstes<br />
Münchner Gastspiel<br />
ab Seite 65<br />
81 CARILLON<br />
Die Kunst des Glockenspiels<br />
im öffentlichen<br />
Raum<br />
82 KONZERTSAAL-<br />
AKUSTIK<br />
Fassade oder Ohrenschmaus?<br />
Wie baut man<br />
den idealen Konzertsaal?<br />
85 WOHER KOMMEN<br />
EIGENTLICH ...<br />
... die außermusikalischen<br />
Klänge im Raum?<br />
86 MUSIK IN DEN<br />
BERGEN<br />
Immer mehr Festivals<br />
locken in felsige Höhen.<br />
Warum?<br />
90 DIE NEUE<br />
<strong>CRESCENDO</strong>-<br />
WEBSITE<br />
Unsere frischgebackene<br />
Homepage lockt mit vielen<br />
Vorteilen und Neuerungen<br />
91 IOAN HOLENDER<br />
BEI SERVUS TV<br />
Wir begleiteten den<br />
Kulturexperten beim<br />
Filmdreh<br />
92 STARS KOCHEN<br />
FÜR <strong>CRESCENDO</strong><br />
Linus Roth und<br />
Ali Güngörmüş mit<br />
bayerischen Garnelen<br />
auf Taboulehsalat<br />
94 GRAZ<br />
Durch das Herz der<br />
Steiermark mit Dirigentin<br />
Oksana Lyniv<br />
97 VERNISSAGE<br />
MARTIN WIDL<br />
Erstmals lädt crescendo<br />
zu einer Ausstellung<br />
5<br />
SWR19058CD<br />
Das Klavierduo Anderson & Roe ist weltweit<br />
für seine originellen Programmideen und<br />
Arrangements bekannt.<br />
Auf ihrer aktuellen CD zum Thema<br />
„Mutter“ bewegen sich die Arrangements<br />
zwischen Franz Schubert und<br />
Freddie Mercury, Edvard Grieg und Paul<br />
McCartney.<br />
Extrem hörenswert und ein perfektes<br />
Geschenk zum Muttertag!<br />
Im Vertrieb von NAXOS Deutschland<br />
www.naxos.de<br />
www.naxosdirekt.de
O U V E R T Ü R E<br />
6 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Schmerz, Isolation, Depression<br />
Die Transgender-Künstlerin Anna-Varney Cantodea kreiert mit ihrer Gruppe Sopor<br />
Aeternus & the Ensemble of the Shadows eine tiefschwarze Mischung aus Musik,<br />
Lyrik und visuellen Elementen. Musikalisch am ehesten noch der Gothic-Rock-Musik<br />
zuzuordnen, sind ihre Bewegungen vom Butoh-Theater inspiriert – einer Form des<br />
japanischen Ausdruckstanzes, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstand. Als Form<br />
des Protests gegen das aktuelle – insbesondere amerikanische – Tanztheater entstanden,<br />
steht in dessen radikaler und düsterer Ästhetik der ver- und entfremdete,<br />
weiß geschminkte und nackte Körper im Vordergrund, der sich jenseits der gängigen<br />
Schönheitsdeale verbiegt und verrenkt. Anna-Varney Cantodea selbst, die ihren Stil<br />
als „introvertierten Exhibitionismus“ beschreibt, tritt übrigens niemals live auf. Sie<br />
lebt ihr Leben und ihre Kunst abseits alles Menschlichen.<br />
FOTO: SOPOR AETERNUS
O U V E R T Ü R E<br />
Dr. Goeths Kuriosa<br />
BIS DIE RADIESCHEN FLOGEN!<br />
In den 1950ern und 60ern lieferten sich die beiden Super-Primadonnen Maria Callas<br />
und Renata Tebaldi einen filmreifen Zickenkrieg.<br />
„Hörer, Hörer, gelehrt und gespannt,<br />
wer singt am schönsten im<br />
ganzen Land?“ mag wohl die Frage<br />
gewesen sein, die die Gemüter<br />
der Opernfans in den 50er-Jahren<br />
erhitzte. Es wurde wild gefochten,<br />
ob nun Maria Callas oder Renata<br />
Tebaldi die bessere Sängerin<br />
sei. Während die Amerikaner einen<br />
Platz nach der Tebaldi benannten<br />
und die Brasilianer sich darum rangelten,<br />
eine Locke aus ihrer Frisur<br />
zu ergattern, versuchten die italienischen<br />
Anhänger der Callas, die<br />
Tebaldi mit Telefonterror und Drohbriefen mürbe zu machen. Die<br />
Callas selbst setzte sich bei Auftritten der Tebaldi demonstrativ in<br />
die Mittelloge, um die Gegnerin mit bösen Blicken zu durchbohren.<br />
Auf Initiative von Tebaldis Managerin, ihrer Mutter Giuseppina, wurde<br />
die Callas daraufhin in eine Seitenloge verbannt. Die „Tebaldianer“<br />
ihrerseits rächten sich damit, die Callas bei Vorstellungen in der Mailänder<br />
Scala mit Bouquets aus Radieschen und Sellerie zu bewerfen.<br />
Der Schein trügt: Nicht immer lagen sich die Callas<br />
und die Tebaldi in den Armen!<br />
In ihrer Kurzsichtigkeit soll die Callas<br />
einen dieser Radieschen-Sträuße<br />
tatsächlich versehentlich aufgehoben<br />
haben. Ihren Fehler erkennend,<br />
bedankte sie sich geistesgegenwärtig<br />
für den leckeren Salat.<br />
Die Klatschpresse freute sich naturgemäß<br />
über den Primadonnenzwist<br />
und titelte mit Schlagzeilen<br />
wie „Kampf zwischen Adler und<br />
Taube“ oder „Tigerin gegen Engel“.<br />
Die Tebaldi überhaupt mit ihr zu<br />
vergleichen, sei, wie Coca-Cola gegen<br />
Champagner zu halten, war die Callas selbstbewusst überzeugt.<br />
Sowieso: Tebaldi habe kein Rückgrat. Doch die Tebaldi selbst, der<br />
von keinem Geringeren als Arturo Toscanini eine „voce d’angelo“, eine<br />
„Engelsstimme“, bescheinigt wurde, geiferte schlagfertig zurück:<br />
„Frau Callas behauptet, eine Frau von Charakter zu sein, und erklärt<br />
zugleich, dass ich kein Rückgrat habe. Meine Antwort: Ich habe etwas,<br />
was sie nicht hat, nämlich ein Herz.“<br />
ZITAT DES MONATS<br />
„DIE MUSIK HAT VON ALLEN KÜNSTEN DEN TIEFSTEN<br />
EINFLUSS AUF DAS GEMÜT. EIN GESETZGEBER SOLLTE<br />
SIE DESHALB AM MEISTEN UNTERSTÜTZEN.“<br />
NAPOLEON I. BONAPARTE<br />
HÄTTEN SIE’S GEWUSST?<br />
Musikalischer Eierkocher:<br />
In der Zeit vor der Allgegenwart<br />
von Küchenweckern und<br />
Haushalts-Apps konnte Musik<br />
durchaus auch am Herd von<br />
Nutzen sein: Um <strong>18</strong>82 war die<br />
Eier-Polka op. 35 von L. Hardtberg<br />
ein Hit. Bei mittlerem<br />
Tempo dauert sie genau drei Minuten lang. In der Gebrauchsanweisung<br />
heißt es: „Lege Eier in kochendes Waser,<br />
dann spiel’ die Eier-Polka, allegro moderato; wenn die<br />
Musik beendet ist, nimm die Eier aus dem Topf, und sie<br />
sind fertig zum Servieren.“<br />
(Quelle: Rainer Schmitz und Benno Ure: Tasten, Töne und Tumulte. Alles, was Sie über<br />
Musik nicht wissen. München, 2016)<br />
FOTO: JOE SKILLINGTON /<br />
UNSPLASH<br />
8 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
O U V E R T Ü R E<br />
KLASSIK<br />
IN ZAHLEN<br />
300 Betrag,<br />
300<br />
Und noch mal<br />
Millionen Euro<br />
den die Bundesregierung<br />
20<strong>18</strong> im Vergleich zum<br />
Vorjahr mehr für Kultur und<br />
Medien ausgeben will.<br />
Das wäre eine Steigerung um<br />
23 Prozent auf 1,67 Milliarden<br />
Euro gesamt.<br />
Millionen Euro:<br />
Betrag, der maximal für den Bau des<br />
neuen Münchner Konzerthauses ausgegeben<br />
werden soll.<br />
1.074.300.00<br />
Euro:<br />
Umsatz der GEMA 2017<br />
42.000<br />
US-Dollar: Betrag, für den im April ein<br />
Schweizer Jude einen antisemitischen Brief<br />
Richard Wagners ersteigert hat. Darin<br />
warnt Wagner den französischen Philosophen<br />
Edouard Schuré vor dem „zersetzenden<br />
Einfluss des jüdischen Geistes auf<br />
die moderne Kultur“.<br />
NEWSTICKER<br />
Erste Uraufführung bei den Bayreuther Festspielen seit 136 Jahren: Auf die Initiative von Katharina Wagner hin wird dieses Jahr im<br />
Rahmen der Bayreuther Festspiele die Oper der verschwundene hochzeiter des österreichischen Komponisten Klaus Lang uraufgeführt. Es ist die<br />
erste Premiere nach Richard Wagners Parsifal <strong>18</strong>82. +++ Schwangere Pamina gefeuert: Die Staatsoper Hamburg hat die französische Sopranistin<br />
<strong>Juli</strong>e Fuchs aus ihrer aktuellen Zauberflöten-Produktion ausgeladen. Die Inszenierung sei zu riskant für eine werdende Mutter. Die Sängerin<br />
selbst zeigte sich schwer enttäuscht. Ihrer Ansicht nach hätte es andere Lösungen gegeben. +++ Gitarrenhersteller Gibson insolvent: Im<br />
Mai wurde bekannt, dass der legendäre amerikanische Gitarrenbauer Gibson mit rund 500 Millionen Dollar verschuldet ist. Rettung ist wohl nur<br />
noch durch radikale Umschuldung zu erwarten. +++ OJM wird JCOM: Das Orchester Jakobsplatz München heißt jetzt Jewish Chamber Orchestra<br />
Munich. Mit der Namensänderung möchte das Orchester seine Verankerung in der jüdischen Gegenwartskultur noch deutlicher machen.<br />
9
O U V E R T Ü R E<br />
Gemüse-Musik<br />
Ein Anruf bei Jörg Piringer, Musiker bei The Vegetable Orchestra, einem Wiener Ensemble,<br />
das ausschließlich auf frischem Obst und Gemüse musiziert.<br />
crescendo: Herr Piringer, The Vegetable<br />
Orchestra macht ausschließlich Musik auf<br />
Obst und Gemüse? Wie kam es dazu?<br />
Jörg Piringer: Als wir vor 20 Jahren begonnen haben,<br />
wollten wir einfach Musik auf ungewöhnlichen<br />
Gegenständen machen. Da fiel uns Gemüse<br />
ein. Ursprünglich sollte es nur eine einzelne<br />
Performance damit geben, aber es kam so gut an,<br />
dass wir dabei geblieben sind. Es stellte sich heraus,<br />
dass mit Gemüse unheimlich viel anzufangen<br />
ist. Es ermöglicht eine Klangvielfalt, die uns<br />
bis heute interessiert.<br />
Begonnen hat alles ausgerechnet mit Tomaten?<br />
Es gibt ein Stück, bei dem jeder Musiker zwei<br />
Tomaten in der Hand hat, die er gegeneinanderschlägt.<br />
Im Laufe des Stücks werden die Tomaten immer weicher,<br />
wodurch sich der Klang verändert – von perkussiv zu mehr feucht<br />
und matschig. Das Stück endet, wenn die Tomaten kaputt sind.<br />
Wie kommt Ihr Repertoire zustande?<br />
Es gibt nur wenige Stücke, die wir nicht selbst schreiben. Sie werden<br />
von einzelnen Mitglieder unserer zehnköpfigen Ensembles komponiert<br />
oder entstehen aus der Improvisation. Und wenn wir fremde<br />
Stücke spielen, verändern wir diese stark, denn es ist eben Gemüse-<br />
Musik – und die ist sehr speziell.<br />
Ihr persönliches Lieblingsinstrument?<br />
Ich spiele gerne Flöten, die aus Karotten oder Rettichen gemacht sind.<br />
Karotten sind sehr universell, weil sie sehr hart und gut schnitzbar<br />
sind. Aber es gibt so vieles: Zwei aneinandergeriebene Krautblätter<br />
geben einen Quietschklang, der – richtig gespielt – sehr spanned und<br />
subtil sein kann. Wichtig für uns ist auch der Kürbis, der als Paukenersatz<br />
verwendet wird. Generell gibt es viele Perkussions instrumente:<br />
gegeneinandergeschlagene Auberginen, ausgehölte Sellerieknollen.<br />
Dann viele Flötenarten – im Block- oder Panflötenstil. Das Gurkofon<br />
ist eher den Blechblasinstrumenten nachempfunden: ein trompetenartiges<br />
Instrument aus einer Salatgurke. Gemüse ist so vielfältig –<br />
selbst wir kommen bei jeder Probe auf etwas Neues!<br />
Jörg Piringer mit Karottophon<br />
Zu jedem Konzert müssen Sie Ihr Instrumentarium<br />
neu bauen. Ist man da nicht mehr mit<br />
Bauen als mit Musizieren beschäftigt?<br />
Tatsächlich dauert die Vorbereitung immer einen<br />
ganzen Tag: Zum Bauen brauchen wir circa zwei<br />
bis drei Stunden. Danach gibt es einen ausführlichen<br />
Soundcheck, da ja alles immer wieder neu ist.<br />
Wie schaut es mit der „Entsorgung“ des Instrumentariums<br />
aus?<br />
Nach jedem Konzert gibt es für das Publikum<br />
eine Suppe aus dem nicht verwendeten Gemüse.<br />
Die gespielten Instrumente, in die wir teils schon<br />
hi neingeblasen haben, verkochen wir natürlich<br />
nicht, verschenken sie aber ans Publikum. Da<br />
sieht man dann Menschen mit unseren Instrumenten<br />
durch die Straßen gehen. Wir werfen also relativ wenig weg.<br />
Beim Schneiden der Instrumente fällt natürlich, wie in jeder Küche,<br />
ein bisschen Abfall an.<br />
Führt die unterschiedliche Beschaffenheit des Gemüses oft zu<br />
Pannen und Problemen?<br />
Natürlich. Das planen wir zum Teil mit ein, zum anderen merken<br />
wir schon beim Bauen, was weniger haltbar ist. Dann muss man das<br />
Instrument anders bearbeiten oder ersetzen oder baut einfach zwei,<br />
um Ersatz zu haben. Dass der Klang nie perfekt ist, das wissen wir,<br />
und damit spielen wir bewusst.<br />
Sie haben auch Alben aufgenommen, aber kommt es bei Gemüse-Musik<br />
nicht besonders auf die Optik an?<br />
Uns ist sehr wichtig, dass die Musik auch auf rein akustischer Ebene<br />
funktioniert. Aber natürlich ist es spannend, uns auch zu sehen:<br />
Man kennt die Instrumente nicht, und es tritt live ein Verfall ein.<br />
Das sieht man, das hört man, und wenn man in den ersten Reihen<br />
sitzt, dann riecht man das auch. Manche unserer Instrumente geben<br />
einen starken Duft ab. Ein multisensorisches Erlebnis!<br />
Von Maria Goeth<br />
Aktuelle Konzerttermine und Infos zu The Vegetable Orchestra finden<br />
Sie unter www.vegetableorchestra.org<br />
HINTER DER BÜHNE<br />
Die Welt von crescendo lebt von den Künstlern und Mitarbeitern,<br />
die sie mit Leben füllen. Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen der Produktion.<br />
ANNETT FORCIER<br />
In den vergangenen Monaten stand das crescendo-Team vor einem schier unbewältigbaren<br />
Mammutprojekt: dem vollständigen Relaunch unserer Website<br />
(www.crescendo.de; siehe auch S. 90). Doch zum Glück konnten wir Annett Forcier<br />
für die heikle Aufgabe gewinnen. Vor vielen Jahren hatte sie für einige Zeit in München<br />
gelebt und auch für crescendo gearbeitet. Seit 13 Jahren lebt und arbeitet die<br />
Digitaldesignerin und Webentwicklerin nun schon in Vancouver. Für uns schwebte sie<br />
extra aus Kanada ein und brachte neben der Website auch den crescendo-Newsletter<br />
auf Vordermann. Noch immer optimieren und überarbeiten wir fleißig und freuen uns<br />
riesig über diesen wunderbaren Neustart!<br />
FOTOS: PRIVAT; ZOEFOTOGRAFIE<br />
10 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
PLAYLIST<br />
Gerade haben die beiden amerikanischen Pianisten<br />
Greg Anderson und Elizabeth Joy Roe ein Album mit<br />
originellen neuen Eigenbearbeitungen herausgebracht.<br />
Aber was hören die beiden Tastenzauberer privat?<br />
Aktuelle<br />
NEUHEITEN<br />
bei Sony Music<br />
Wiener Philharmoniker<br />
Sommernachtskonzert 20<strong>18</strong><br />
Es ist eines der schönsten<br />
Open-Air-Konzerte der Welt.<br />
Das Sommernachtskonzert<br />
der Wiener Philharmoniker<br />
wird in diesem Jahr dirigiert<br />
von Valery Gergiev. Starsolistin<br />
ist Anna Netrebko.<br />
Erhältlich ab 15.6. auf CD und<br />
ab 6.7. auf DVD und Blu-ray.<br />
GREG ANDERSON<br />
1. Francis Poulenc: Tel jour, telle nuit<br />
Ich bin völlig überwältigt von Poulencs unendlichem Einfallsreichtum.<br />
Seine Musik ist mit so großer Wärme, so freudigen Überraschungen<br />
gefüllt! Und Nous avons fait la nuit, aus diesem Liederzyklus<br />
ist vielleicht das unumwunden romantischste Lied des<br />
20. Jahrhunderts. Es berührt mich zutiefst.<br />
2. Gesualdo: Io tacerò / David Lang: wed<br />
Obwohl diese beiden Stücke im Abstand von 403 Jahren komponiert<br />
wurden, warten beide mit überwältigenden harmonischen<br />
Wendungen auf. Ich fühle mich beim Hören, als würde ich durch<br />
kosmische Regenbögen schweben. Diese beiden Stücke lege ich<br />
ein, wenn ich in eine Welt der Tagträume, der Schönheit und der<br />
frei fliegenden Gedanken entschwinden will.<br />
3. Art Tatum: Happy Feet (1938)<br />
Unglaubliches Klavierspiel. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.<br />
www.wienerphilharmoniker.at<br />
Jonas Kaufmann | Verdi: Otello<br />
Jonas Kaufmanns umjubeltes<br />
Rollendebüt am Royal Opera<br />
House in London. Das<br />
hochgelobte Dirigat hatte<br />
Antonio Pappano. „Kaufmann<br />
begeistert mit einem dunklen,<br />
expressionistischen Auftritt“<br />
The Guardian.<br />
Als DVD und Blu-ray erhältlich.<br />
FOTO: ANDREAS ORBAN<br />
ELIZABETH JOY ROE<br />
1. Radiohead: Let Down<br />
Mit dem Album „OK Computer“ lernte ich in meiner Jugend<br />
die Musik von Radiohead kennen, und Let Down ist mein Lieblingstrack<br />
daraus. Er schafft ein geradezu kathartisches Hörerlebnis<br />
und repräsentiert ein Paradox vieler Radiohead-Songs: Der<br />
Text ist desillusionierend, die zugehörigen Klänge schwärmerisch.<br />
2. Sufjan Stevens, Nico Muhly, Bryce<br />
Dessner, James McAlister: Venus<br />
Ich höre mir diese schillernde, weltrauminspirierte<br />
Musik gerne im Flugzeug an. Letzten<br />
Sommer durfte ich Sufjan und Co. in<br />
L. A. erleben – eine überirdische Erfahrung:<br />
Ich aalte mich in den pulsierenden Klängen,<br />
als wäre ich von Venus selbst hypnotisiert.<br />
3. Kendrick Lamar: DAMN.<br />
Gewinner des diesjährigen Pulitzer-<br />
Preises für Musik. Mehr gibt’s dazu nicht<br />
zu sagen.<br />
Greg Anderson und Elizabeth Joy Roe:<br />
„Mother – A Musical Tribute“<br />
(SWR Music)<br />
www.jonaskaufmann.com<br />
Thomas Quasthoff | Nice’N’Easy<br />
Das erste Jazz-Album des<br />
weltweit gefeierten Bass-<br />
Baritons und mehrfachen<br />
Grammy Preisträgers<br />
Thomas Quasthoff, mit der<br />
NDR Bigband, langjährigen<br />
musikalischen Freunden<br />
wie Pianist Frank Chastenier<br />
und Schlagzeuger Wolfgang<br />
Haffner und als Gast<br />
Startrompeter Till Brönner.<br />
www.thomas-quasthoff.com<br />
11<br />
www.sonyclassical.de<br />
www.facebook.com/sonyclassical
K Ü N S T L E R<br />
Auf einen Kaffee mit …<br />
HANS SIGL<br />
VON MARIA GOETH<br />
FOTO: FOTOWUNDER<br />
12 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Hans Sigl (*1969) ist ein österreichischer Schauspieler.<br />
Zunächst am Theater tätig, wurde er ab 2001 als Andreas Blitz in<br />
der Fernsehkrimiserie SOKO Kitzbühel bekannt. Seit 2008<br />
verkörpert er den Bergdoktor in der gleichnamigen ZDF-Serie.<br />
crescendo: Herr Sigl, in Ihrer wilden Jugendzeit haben Sie<br />
Gitarre und Schlagzeug gespielt und sich für AC/DC und Queen<br />
interessiert.<br />
Hans Sigl: Zwei großartige Bands. Musikalisch hat jedoch alles<br />
damit begonnen, dass ich im Jungendchor mitsang. Musik war<br />
schon als Kind ein wichtiger Teil meines Lebens. Meine erste<br />
Trompete bekam ich mit sechs Jahren geschenkt, und darauf zu<br />
spielen, habe ich mir selbst beigebracht.<br />
Sind Sie mit Trompete auch aufgetreten?<br />
So weit kam es nicht, denn das Instrument fand ein jähes Ende:<br />
Im Fernsehen sah ich Dizzy Gillespie spielen, dessen Trompete<br />
vorne so einen hochgezogenen Trichter hatte. Ich dachte: Das will<br />
ich auch und habe den Trichter einfach vorne hochgebogen –<br />
damit war das Thema erledigt!<br />
Sie haben mehrere Meditations-CDs eingespielt. Ihr Entspannungstipp?<br />
Es gibt ein schönes Zitat von Goethe: „Im Atemholen sind<br />
zweierlei Gnaden: Die Luft einzuziehn, sich ihrer entladen“. Wenn<br />
man sich hinsetzt, aufrecht, Hände auf die Knie und einfach zwei<br />
Minuten darauf achtet, wo man hinatmet und was der Atem mit<br />
einem macht, ist man der Entspannung schon sehr nah. Da reichen<br />
wirklich schon zwei Minuten, die man beispielsweise im Auto<br />
sitzen bleibt, anstatt gestresst wieder loszubrausen.<br />
Wenden Sie das selbst an?<br />
Mein Schauspielberuf findet mit dem Bergdoktor viel in der Natur<br />
statt. Immer draußen, mit vielen Leuten um mich rum. Ich<br />
genieße und mag das, aber setze mich doch gerne zwischendurch<br />
irgendwo in den Wald oder in den grünen Benz, unser Filmauto<br />
beim Bergdoktor, und mach die Türen zu. Draußen wuselt<br />
alles herum, ich setze mich hin, Hände auf den Knien und nehme<br />
mir die Zeit.<br />
Neben Stille kann auch Musik entspannen …<br />
Unbedingt. Der erste Schritt zum Menschen ist immer die Musik.<br />
Deshalb haben Sänger die Möglichkeit, ganz anders auf Menschen<br />
einzuwirken, sie zu berühren, als Schauspieler. Bei uns Schauspielern<br />
ist ja immer erst das rationale Verständnis des Textes notwendig.<br />
Bis das im Herzen angekommen ist, ist manchmal schon die<br />
Pause vorbei. In der Oper ist man bereits bei der Ouvertüre in<br />
einer anderen Welt. Das heißt, uns Schauspielern fehlt ein<br />
Medium, welches die Musiker haben, darauf sind viele – mich<br />
eingenommen – sehr neidisch.<br />
Das halbe Jahr drehen Sie naturnah den Bergdoktor, im anderen<br />
leben Sie am Ammersee – zwei idyllische Locations …<br />
Clever, was? Alles richtig gemacht.<br />
Nervt der Kitsch nicht manchmal schon fast?<br />
Nach den ersten zwei, drei Staffeln Bergdoktor-Dreh in Ellmau, bei<br />
denen ich fast ein Dreivierteljahr nur in den Bergen war, kam ich<br />
nach Berlin und bin bei einer vierspurigen Straße mit Fußgängerübergang<br />
richtig erschrocken. Man entwöhnt sich. Meine Frau und<br />
ich machen gerne Städtereisen, aber ich habe nie längere Zeit das<br />
Bedürfnis nach Trubel und Hektik der City. Ich liebe Lagerfeuer,<br />
liebe es, wenn die Vögel zwitschern – das ist meins!<br />
Sie werden stark mit der Rolle des Bergdoktors identifiziert.<br />
Werden Sie als Fernsehdarsteller bei anderen Projekten wie<br />
Ihren Hörbüchern oder bei Lesungen deshalb weniger ernst<br />
genommen?<br />
Menschen, die pauschale Vorurteile haben, unterstütze ich<br />
grundsätzlich gedanklich nicht, überzeuge sie aber sehr gerne.<br />
Menschen, die sagen, das höre ich mir einfach mal an, ich bin<br />
neugierig, finde ich großartig. Bevor ich zum Fernsehen kam, habe<br />
ich zwölf Jahre lang Theater gespielt, und es ist wahrscheinlich,<br />
dass ich nicht bis zur Rente den Arzt verkörpern werde – es gab<br />
und gibt also immer auch etwas anderes in meinem Leben.<br />
Und für Sie selbst? Fällt es nach Monaten des Bergdoktors<br />
schwer, wieder in andere Rollen zurückzuschalten?<br />
Überhaupt nicht, das ist ja meine Arbeit. In den ersten zwei, drei<br />
Jahren hat mich die Figur des Bergdoktors schon sehr gefordert:<br />
Wohin geht die Reise? Wie entwickelt man die Figur? Darauf lagen<br />
Energie und Fokus. Inzwischen hat sich alles im positiven Sinne<br />
eingespielt: Man kennt das Team, die Autoren, die Produzenten –<br />
bespricht gemeinsam, wo es hingeht. Das ist schön. So gibt es<br />
immer mehr Raum für andere Projekte. Etwa mit dem Einsprechen<br />
von Reclam-Hörbüchern oder meinen Lesungen haben sich ganz<br />
neue Felder aufgetan. Da kann man umgekehrt wieder neue Kraft<br />
und Energie für die Fernsehproduktionen schöpfen.<br />
Zum Beispiel, wenn man fünf Stunden Effi Briest eingelesen hat<br />
– weil die Arbeit toll ist und es wunderbar ist, sich mit dieser<br />
Sprache, diesen Texten zu beschäftigen, die man seit seiner<br />
Schulzeit nicht mehr auf dem Schirm hatte. Die Schachnovelle von<br />
Stefan Zweig oder Der Sandmann von E. T. A. Hoffmann, was für<br />
unglaubliche Bücher! Letzteres eine Parabel der künstlichen<br />
Intelligenz, in unserer Zeit also ein hochaktuelles Thema. Oder<br />
Hoffmanns Erzählungen mit der künstlichen Figur der Olympia.<br />
Woher kommt das Verlangen der Menschen nach diesen Roboterwesen?<br />
Dann liest man Hoffmann und versteht es … das nimmt<br />
mich mit und macht mich glücklich.<br />
Nun treten Sie als Sprecher bei einem Melodramenabend bei<br />
der Schubertiade in Schwarzenberg auf. Wie kam es dazu?<br />
Der Pianist Helmut Deutsch hatte mich angesprochen, ob ich<br />
Melodramen kenne. Diese Musik, über die Texte gesprochen –<br />
nicht gesungen – werden, sind ein tiefer, ganz anderer Ansatz von<br />
Liedinterpretation. Und es ist für mich eine große Freude und<br />
Ehre, mit einem der besten Liedbegleiter der Welt zusammenzuarbeiten.<br />
Viele der Werke sind spätromantisch und damit vom Thema her<br />
oft sehr verträumt: Es geht um Ritter, um Natur, um schaurige<br />
Geisterwelten. Ist das heute noch aktuell?<br />
Es spielt zwar in diesen romantischen Welten, geht aber um viele<br />
große und teilweise auch harte Themen des Menschseins.<br />
Tatsächlich sterben in fast jedem Melodram eine oder mehrere<br />
Personen. Andererseits besteht bei vielen Menschen die Sehnsucht,<br />
in eine Märchenwelt einzutauchen. Diese Sehnsucht wird<br />
gerade in unserer hektischen Zeit immer größer und befeuert die<br />
Fantasie.<br />
■<br />
Am 10. <strong>Juni</strong> ist Hans Sigl als Sprecher zusammen mit Pianist Helmut Deutsch in einem<br />
Melodramenabend bei der Schubertiade Schwarzenberg zu erleben.<br />
Weitere Infos unter Telefon +43(0)5576-720 91 oder www.schubertiade.at<br />
13
K Ü N S T L E R<br />
HUNGRIG<br />
NACH<br />
EMOTION<br />
Er ist der Altmeister des Balletts: der Amerikaner<br />
John Neumeier, ehedem selbst Tänzer, vielfach preisgekrönter<br />
Choreograf und seit 45 Jahren Intendant des<br />
Hamburg Ballett. Soeben hat er dort seinen Vertrag für<br />
weitere fünf Jahre unterschrieben.<br />
VON VERENA FISCHER-ZERNIN<br />
14 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
15<br />
FOTO: KIRAN WEST
K Ü N S T L E R<br />
John Neumeier schreibt mit seinen Choreografien seit Jahrzehnten Ballettgeschichte: etwa mit Anna Karenina, der Kleinen Meerjungfrau,<br />
rescendo: Im kommenden Februar werden Sie 80 Jahre<br />
alt. Sie haben Ihre Geburtstagssaison „Lebenslinien“<br />
überschrieben. Gerade ist auch das Ballett Nijinksy auf DVD<br />
erschienen, Ihr Porträt des Tänzers, der in Ihrem Oeuvre eine<br />
zentrale Rolle spielt. Hat er Sie zum Tanz gebracht?<br />
John Neumeier: Das wäre zu viel gesagt. Aber seine Person hat<br />
mich sicherlich sehr inspiriert. Als ich zehn Jahre alt war, habe ich<br />
in der Bibliothek in meiner Heimatstadt Milwaukee ein Buch über<br />
ihn gefunden, das für mich sehr wichtig war. Bis dahin waren<br />
Tänzer für mich mystische Wesen. Das Buch erzählte von einem<br />
sehr begnadeten, aber ganz normalen Menschen. Der Probleme<br />
hatte, der eine Familie hatte, Geschwister und so weiter. Damals<br />
habe ich intuitiv begriffen, dass Tanz etwas mit Menschlichkeit zu<br />
tun hat. Nijinsky beeindruckt mich immer noch. Er gehört für<br />
mich zu den wichtigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.<br />
Sie haben mit zehn begonnen, über Tanz zu lesen? Wie kamen<br />
Sie dazu?<br />
Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, dass ich immer diesen<br />
Drang zum Tanzen hatte. In den Musicalfilmen, die ich mit meiner<br />
Mutter sah, faszinierten mich die Tanzszenen, und ich fand es<br />
jedes Mal langweilig, wenn gesprochen wurde.<br />
Sie waren außerdem malerisch und zeichnerisch begabt.<br />
Das hat man schon früher entdeckt. Es war ein Konflikt in meinen<br />
jungen Jahren, dass ich nicht genau wusste, in welche Richtung ich<br />
gehen sollte. Oder musste.<br />
Wie haben Sie ihn aufgelöst?<br />
Ich glaube, es liegt auch an diesem Konflikt, dass ich Choreograf<br />
geworden bin. Ein Choreograf zeichnet mit Menschen in Raum und<br />
Zeit. An Tanz und Bewegung hat mich von Anfang an fasziniert,<br />
nicht nur zu befolgen, was ich zu lernen hatte oder was mir<br />
vorgegeben wurde, sondern selbst Kompositionen zu erschaffen.<br />
Haben Ihre Eltern es unterstützt, dass Sie so einen ausgesprochen<br />
künstlerischen Werdegang gewählt haben?<br />
Ja. Dafür bin ich sehr dankbar. Niemand in meiner Verwandtschaft<br />
war künstlerisch tätig. Außer meiner Mutter, die sehr gut nähen<br />
und Porzellan bemalen konnte.<br />
Was haben Sie denn für einen familiären Hintergrund?<br />
Mein Vater war Schiffskapitän. Er befuhr die großen Seen Amerikas.<br />
Aber er ist nicht zur Offiziersschule gegangen, sondern hat als<br />
Deckhelfer angefangen. Das war der niedrigste Rang, den es<br />
überhaupt gab. Von da hat er sich hochgearbeitet.<br />
Und dann sehen Ihre Eltern die künstlerische Begabung ihres<br />
Kindes und fördern sie.<br />
Das ist unglaublich. Sie hatten ja nicht den Hintergrund, das zu<br />
beurteilen. Es gab in Amerika zu dieser Zeit insgesamt viel weniger<br />
künstlerisches Bewusstsein als heute. Und trotzdem haben meine<br />
Eltern mir vertraut.<br />
Sie haben dann aber erst einmal Theaterwissenschaft und<br />
englische Literatur studiert.<br />
Ich glaube, ich bin an die Universität gegangen, weil meine Eltern<br />
sich Sorgen um mich gemacht haben. Aber mein Herz war immer<br />
woanders. Unser Schauspiellehrer an der Universität legte sehr viel<br />
Wert auf Bewegung. Gleich in meiner ersten Tanzstunde dort sagte<br />
er zu mir, du bist eigentlich ein Tänzer. In dem Moment war mir<br />
mein Weg klar. Er hat es für mich formuliert.<br />
Ein Instrument haben Sie nicht auch noch gespielt?<br />
Als ich eine Zeit lang nicht tanzen durfte, weil ich Schwierigkeiten<br />
mit dem Rücken hatte, haben meine Eltern gedacht, es wäre<br />
vielleicht gut, wenn ich Klavierunterricht nähme. Aber ich habe es<br />
als Qual empfunden. Leider!<br />
Woher kommt dann Ihre intensive Beschäftigung ausgerechnet<br />
mit absoluter Musik? Sie haben fast alle Sinfonien von Mahler<br />
choreografiert.<br />
Das ist ein ganz subjektives Gefühl des Hingezogenseins. Ich bin<br />
1965 zum ersten Mal intensiv mit Mahler in Berührung gekommen,<br />
als ich beim Stuttgarter Ballett war und Kenneth MacMillan<br />
sein Ballett Das Lied von der Erde machte. Die Musik hat mich<br />
einfach verblüfft. Sie bestätigte mein Gefühl, das später auch mein<br />
Konzept wurde: dass man von einer klassischen Basis ausgehen<br />
muss, aber dass die Inspiration aus der Emotion kommt. Ich habe<br />
dann als Erstes ein Lied von Mahler choreografiert, Ich bin der Welt<br />
abhanden gekommen.<br />
Bevor Sie selbst angefangen haben zu choreografieren: Haben<br />
Sie Musik einfach gehört und sich ergreifen lassen, oder hatten<br />
Sie den Impuls, das Gehörte schöpferisch zu verarbeiten?<br />
Es hat für mich schon immer zwei Arten Musik gegeben: eine, die<br />
man im Sitzen hört, und eine, die einen aus dem Stuhl reißt. Ich<br />
könnte zum Beispiel nie eine Bruckner-Sinfonie choreografieren.<br />
Weil ich sitzen bleibe. Ich kann das bewundern …<br />
… Sie können sich auch von Bruckner ergreifen lassen?<br />
Weniger. Anders. Ich beginne nicht zu tanzen.<br />
Was ist es, was Sie an Mahler speziell berührt?<br />
Mahler ist für mich der Inbegriff des Tanzes. Tanz arbeitet mit dem<br />
menschlichen Körper. Beim Ballett ist der Mensch Sujet und<br />
16 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
seinem aktuellen Projekt Nijinsky oder dem gerade im Entstehen begriffenen Beethoven-Projekt (hier bei der Probenarbeit)<br />
FOTOS: KIRAN WEST<br />
Instrument zugleich. Man kann mit diesem Instrument balancieren<br />
oder lange auf einem Bein stehen oder hochspringen und so<br />
fort. Das entspricht der Sehnsucht des Publikums. In Mahler steckt<br />
für mich etwas davon.<br />
Er benutzt auch oft Tanzformen.<br />
Ja, Ländler oder Walzer oder Märsche. Diese Musik hat Fleisch<br />
und Blut. Ihre einfachen musikalischen Formen sind wie Klangbrücken<br />
in das Sublime, Tiefe oder auch überirdisch Reiche.<br />
Bei jungen Leuten ist Mahlers Musik gerade wegen ihrer<br />
emotionalen Grenzzustände beliebt. Sie haben oft das Gefühl,<br />
von ihm verstanden zu werden.<br />
Wenn man mit jungen Tänzern oder auch Schülern arbeitet, ist es<br />
faszinierend zu sehen, wie sie auf Mahler reagieren, wie sie die<br />
Musik ohne Hemmungen annehmen. Es gibt ja ein Vorurteil, die<br />
Jugend heute sei gefühllos. Ich glaube das Gegenteil. Die digitalen<br />
Möglichkeiten suggerieren ihnen, dass sie überhaupt nicht mehr zu<br />
kommunizieren brauchen. Aber der Hunger nach einem emotionalen<br />
Erlebnis ist immer noch da.<br />
Im <strong>Juni</strong> bringen Sie in Hamburg Ihr Beethoven-Projekt heraus.<br />
Beethoven ist neu für Sie. Was hat Sie an ihm entzündet?<br />
Praktisch gedacht: 2020 kommt das Beethoven-Jahr. Aber es hat<br />
bei mir schon früher angefangen. Ich habe im Urlaub alle Sinfonien<br />
angehört und dachte, es ist an der Zeit, dass ich Beethoven<br />
choreografiere. Außer für das Beethoven-Projekt benutze ich seine<br />
Musik für ein Schulprojekt: Zufällig hatte ich ein Album mit<br />
47 Beethoven-Tänzen: deutsche Tänze, Contredanses, Menuette<br />
und so weiter. Jedes dieser Stücke hat einen ganz besonderen Geist.<br />
Ich dachte, es sei reizvoll, sie zum 40. Jubiläum unserer Ballettschule<br />
tanzen zu lassen. Das war der Anfang.<br />
Beethoven gilt als Rebell, als hochpolitisch. Löst das etwas in<br />
Ihnen aus?<br />
Das Humane eher als das Politische. Politik ist kurz, Humanität ist<br />
lang. Ich glaube, ihn haben eher menschliche Werte interessiert.<br />
Wie kann man das hören in der Musik?<br />
Indem man nicht versucht, es hineinzuhören. Er hat sich öfters<br />
Dinge vorgestellt, um Musik zu schreiben. Geschichten oder<br />
Situationen, das sagt er selbst in Briefen. Er erzählt aber nichts<br />
Genaues darüber. Das finde ich faszinierend. So wird auch dieses<br />
Projekt sein. Ich werde nicht sagen, was es bedeutet.<br />
Das haben Sie ja bei den Mahler-Sinfonien auch nicht gemacht.<br />
Lesen Sie Partituren?<br />
Nicht beim Choreografieren. Wenn ich die Partitur mit einem<br />
Musiker studiere, dann weiß ich, wo die Flöte einsetzt oder die<br />
Violine. Aber am Anfang steht das Hören.<br />
Die Musik wirkt auf Sie. Wie muss ich mir den kreativen Prozess<br />
vorstellen?<br />
Der kreative Prozess beginnt mit einem „Ja.“ Das heißt, ich kann<br />
mir vorstellen, das zu choreografieren. Bei einem so großen Werk<br />
wie der Dritten Sinfonie von Gustav Mahler oder der Matthäuspassion<br />
von Bach hat dieses „Ja“ schon einen ziemlichen Widerhall.<br />
Dann kommt eine Zeit der Zweifel an diesem „Ja“, in der man<br />
studiert und versucht, das Werk in seiner Form, aus seiner Zeit<br />
heraus und in seiner Bedeutung zu verstehen.<br />
Das ist die kognitive Phase.<br />
Genau. Und wenn dann die Premiere naht und wir in den<br />
Ballettsaal gehen und beginnen, dann muss ich diese zweite Phase<br />
abschließen und versuchen, zu der ersten zurückzukommen.<br />
Sie vergessen alles, was Sie sich angeeignet haben?<br />
So gut es geht. Ich versuche, die Musik zu hören, als wäre es das erste<br />
Mal, und improvisiere. Ich deute die Bewegungen an, sodass die<br />
Tänzer, die natürlich jünger sind und physisch viel besser, sie in<br />
spezifische Bewegungen umsetzen können. Manchmal inspiriert sie<br />
das auch, noch weiterzugehen, wo ich dann sage: Ja, das war toll, das<br />
war gut. Oder auch, so habe ich es nicht gemeint. Es ist ein Dialog.<br />
Was auch bedeutet, dass auch Sie sich diesen jungen Menschen,<br />
mit denen Sie arbeiten, ganz ausliefern?<br />
So ist es.<br />
Das muss eine starke Bindung geben.<br />
Das gibt eine sehr starke Bindung. Deswegen habe ich die meisten<br />
Kreationen mit meiner eigenen Compagnie gemacht. Man muss<br />
viel Vertrauen aufbringen in so einer Situation, das macht auch<br />
manchmal Angst.<br />
Wenn Sie so viel mit jungen Leuten arbeiten: Wo sehen Sie die<br />
Zukunft des Genres Ballett?<br />
Dazu müsste ich Wissenschaftler oder Philosoph sein. Ich bin aber<br />
jeden Tag zwölf Stunden im Ballettzentrum. Da bleibt nicht sehr<br />
viel Zeit, um zu reisen und zu sehen, was andere machen. Ich<br />
versuche mich natürlich so gut es geht zu informieren.<br />
Aber in erster Linie bin ich Arbeiter. Ich<br />
bin im Ballettsaal und schwitze.<br />
■<br />
„Nijinsky“, John Neumeier, Hamburg Ballet (C Major)<br />
17
K Ü N S T L E R<br />
„ICH BENUTZE EINE KOPIE MEINES HAUPTINSTRUMENTS, DAMIT ES<br />
NICHT DURCH KRATZER ODER SCHWEISS BESCHÄDIGT WIRD“<br />
DER KLANG<br />
DES GELDES<br />
Der New Yorker Bratschist David Aaron Carpenter tritt als Solist<br />
mit renommierten Orchestern in den USA und Europa auf.<br />
Als Geschäftsmann handelt er zugleich mit teuren Streichinstrumenten.<br />
VON CORINA KOLBE<br />
FOTO: ALIKHAN PHOTOGRAPHY<br />
Die Familie von Geiger David Aaron Carpenter (links) – hier mit seinen Geschwistern Lauren und Sean – musiziert nicht nur,<br />
sondern handelt auch mit wertvollen Instrumenten<br />
<strong>18</strong> w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
„ICH KANN ES NIE ERWARTEN,<br />
VOR PUBLIKUM AUFZUTRETEN.<br />
WARUM MAN VOR KONZERTEN ÜBERHAUPT<br />
LAMPENFIEBER HABEN KANN,<br />
VERSTEHE ICH NICHT“<br />
An internationaler Anerkennung fehlt es David<br />
Aaron Carpenter nicht. Der 32-jährige Bratschist,<br />
auf Long Island bei New York aufgewachsen, gewann Preise bei<br />
mehreren Wettbewerben, wurde von Stars wie Pinchas Zukerman,<br />
Yuri Bashmet und Christoph Eschenbach gefördert und trat<br />
mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker auf. Unter Leitung<br />
von Dirigenten wie Vladimir Jurowski nahm er mit dem London<br />
Philharmonic Orchestra ein kürzlich bei Warner Classics erschienenes<br />
Album mit Werken von Antonín Dvořák, Béla Bartók und<br />
William Walton auf. „Ein überragender Violaspieler unserer<br />
Zeit“, jubelte ein Kritiker der Süddeutschen Zeitung, der ihm<br />
einen „ungemein offensiven,<br />
manchmal verzehrenden Ton<br />
von so lyrischer wie dramatischer<br />
Kraft“ bescheinigte.<br />
Konzerte zu geben und<br />
Alben einzuspielen füllt Carpenters<br />
Leben allerdings nicht<br />
aus. „Musik ist nicht das einzig<br />
Wichtige in meinem Leben.<br />
Mehr als zwei oder drei Stunden<br />
am Tag wollte ich nie üben“,<br />
erklärt er freimütig im Interview.<br />
Statt sich im Hotel auf<br />
Tourneeauftritte vorzubereiten,<br />
schaut er sich in fremden Städten<br />
lieber Museen an. Wie seine<br />
älteren Geschwistern Sean und<br />
Lauren, ebenfalls ausgebildete<br />
Musiker, studierte er an der<br />
Elite-Universität Princeton,<br />
machte einen Abschluss in Politikwissenschaften<br />
und spezialisierte<br />
sich danach auf Wirtschaft.<br />
Gemeinsam betreibt das<br />
Trio inzwischen einen offenbar<br />
florierenden Handel mit wertvollen<br />
Geigen, Violen und Violoncelli<br />
von legendären Instrumentenbauern wie Stradivari, Guadagnini<br />
oder Guarneri Del Gesù. Das 2010 gegründete Familienunternehmen<br />
beziffert den Wert seiner Geschäfte mit Instrumenten<br />
und Kunstwerken auf mehr als 150 Millionen Dollar.<br />
Carpenter, der in seinen extravaganten Designerjacken wie<br />
aus dem Ei gepellt aussieht, zog mit den Geschwistern in das ehemalige<br />
Townhouse des Dirigenten Lorin Maazel am Central Park<br />
und später in das luxuriöse Plaza Hotel. Als Unternehmer knüpfen<br />
die Carpenters seither geschickt Verbindungen zur Finanzund<br />
Musikwelt. Rare Instrumente wie Stradivari-Violinen sollen<br />
etwa bei Hedgefonds-Managern als sichere Kapitalanlagen hoch<br />
im Kurs stehen. Nach erfolgter Transaktion verleihen manche<br />
Käufer ihre Instrumente an Musiker des von den Geschwistern<br />
gegründeten Salome Chamber Orchestra, in dem die Carpenters<br />
zusammen mit Absolventen renommierter Hochschulen wie der<br />
Juilliard School oder dem Curtis Institute of Music spielen. Wie<br />
David Aaron Carpenter erklärt, könnten Nachwuchstalente Instrumente<br />
im Wert von 300.000 bis 500.000 Dollar wohl kaum aus<br />
eigener Tasche bezahlen. Die Erlöse von Benefizkonzerten des<br />
Orchesters, an denen sich beispielsweise auch der damalige Chefdirigent<br />
der New Yorker Philharmoniker, Alan Gilbert, beteiligte,<br />
gehen an gemeinnützige Organisationen. Die Carpenters haben<br />
sich auf diese Weise auch eine öffentlichkeitswirksame Plattform<br />
geschaffen, die ihren Geschäften förderlich ist.<br />
„Ich kann es nie erwarten, vor Publikum aufzutreten.<br />
Warum man vor Konzerten überhaupt Lampenfieber haben kann,<br />
verstehe ich nicht“, erklärt Carpenter mit einer Mischung aus<br />
kindlicher Unbefangenheit und einer gewissen Großspurigkeit.<br />
Wenn er über die Originalstücke und Transkriptionen spricht, die<br />
er auf seiner Viola von Michele Deconet aus dem Jahr 1766 spielt,<br />
zweifelt man nicht an seiner Begeisterung für Musik. Welchen<br />
Spagat er zwischen Kunst und<br />
Kommerz vollführt, zeigt sich<br />
allerdings deutlich, wenn er bei<br />
FOTO: CARRIE BUELL<br />
Werbeveranstaltungen von<br />
Auktionshäusern auftritt, die<br />
Instrumente zu horrenden Preisen<br />
anbieten. In einem Video<br />
auf Youtube spielt er bei<br />
Sotheby’s in New York die 1719<br />
von Stradivari gefertigte<br />
„MacDonald“-Viola. Das einstige<br />
Instrument von Peter<br />
Schid lof, dem 1987 verstorbenen<br />
Gründer des Amadeus<br />
Quartetts, sollte vor einigen<br />
Jahren für schwindelerregende<br />
45 Millionen Dollar den Besitzer<br />
wechseln. Unter dem Motto<br />
„Das teuerste Konzert aller Zeiten!“<br />
postete das Salome Chamber<br />
Orchestra einen Clip, auf<br />
dem Carpenter und andere<br />
Musiker auf insgesamt acht<br />
Stradivaris Astor Piazzollas<br />
Libertango spielen. Obwohl<br />
Carpenter mehrmals im Fernsehen<br />
auftrat, fand die<br />
„MacDonald“-Viola zu dem avisierten Preis keinen Abnehmer.<br />
Kunst hat zweifellos nicht nur einen ideellen, sondern auch<br />
einen materiellen Wert. Doch wie viel künstlerische Freiheit bleibt<br />
erhalten, wenn das Preisetikett stets übergroß sichtbar ist? Seine<br />
wertvolle Deconet-Viola spiele er nur zu seltenen Anlässen, sagt<br />
David Aaron Carpenter. „Auch meine Geschwister reisen nicht<br />
mit ihren Stradivaris und Guarneris durch die Welt, obwohl sie<br />
uns gehören. Bei besonders wichtigen Auftritten oder bei Plattenaufnahmen<br />
mache ich eine Ausnahme. Ansonsten benutze ich<br />
eine Kopie meines Hauptinstruments. Ich möchte ja nicht, dass es<br />
durch Kratzer oder Schweiß beschädigt wird.“ Viele Musiker, die<br />
ihr Instrument täglich spielen, um ihre Interpretationen weiterzuentwickeln,<br />
mögen hier vehement widersprechen. Denn ein<br />
Sammlerstück, das im Museum für die Zukunft konserviert wird,<br />
bleibt von der Gegenwart abgekoppelt. ■<br />
Bartók, Dvořák, Shor, Walton: „Motherland“, David Aaron Carpenter,<br />
London Philharmonic Orchestra (Warner)<br />
Termin: 31.5. Wien (AT), Musikverein<br />
19
K Ü N S T L E R<br />
GOLDENE<br />
TROPFEN<br />
Pianistin Sophie Pacini über ihr musikalisches Schlüsselerlebnis,<br />
die Liebe von Clara und Robert Schumann und Pasta mit Martha Argerich.<br />
VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />
FOTOS: SUSANNE KRAUSS<br />
20 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
A<br />
„DER FLÜGEL WAR IMMER MEIN BESTER FREUND.<br />
DIESER GROSSE SCHWARZE, ELEGANTE PANTHER UND ICH<br />
FANDEN INSTINKTIV ZUEINANDER“<br />
uf der Rückseite des Covers zu Ihrem neuen<br />
Album flattern Sie in gelbem Kleid auf dem Wasser.<br />
Was ging in Ihnen vor? Schließlich stürzte sich ja Robert<br />
Schumann in den Rhein …<br />
Sophie Pacini: Nein, an seinen Selbstmordversuch habe ich nie<br />
gedacht. Seine Abgründe, Hoffnungslosigkeit, Zerrissenheit wie<br />
sein Streben nach vollkommener Harmonie kommen besonders in<br />
den Werken, die ich für das Album wählte, so<br />
deutlich zum Ausdruck, dass es keiner optischen<br />
Unterstreichung bedarf. Das Schweben<br />
im Wasser bedeutet für mich Leichtigkeit,<br />
Transparenz, Grenzenlosigkeit und Gleichgewicht.<br />
Musik von Verwandten und Wahlverwandten<br />
gibt es auf Ihrem Album zu hören. Das<br />
Ehepaar Schumann, die Geschwister Mendelssohn<br />
…<br />
Inspiriert zu diesem Konzept wurde ich von<br />
Chiarina, jenem Stück aus dem Carnaval von<br />
Robert Schumann, in dem er schmerzlich<br />
expressiv seine Clara porträtiert. Das war der<br />
Anlass, mich mit ihr als ganzer Künstlerpersönlichkeit<br />
zu beschäftigen. Ich wollte – um<br />
mit Rainer Maria Rilkes „Liebeslied“ zu sprechen<br />
– herausfinden, wie ihre „zwei Saiten<br />
sich zu einer Stimme ziehen“, welche „Tiefen“<br />
bei Robert „schwingen“, wenn es um Clara geht. Fündig wurde ich<br />
bei Claras aufwühlendem, quälendem Scherzo. Es erinnert sehr an<br />
Chiarina und an die zwei Stücke aus Roberts op. 12 Des Abends und<br />
In der Nacht. Und von …<br />
… Franz Liszt …<br />
… spiele ich seine Bearbeitung von Schumanns Widmung. Liszt war<br />
befreundet mit dem Ehepaar Schumann. Seine h-Moll Sonate widmete<br />
er Robert Schumann, während Clara seine Paganini-Etüden,<br />
deren Widmungsträgerin sie auch war, erstmals aufführte. Clara<br />
war eine große Virtuosin, aber nicht von oberflächlicher Natur. Ihre<br />
Kunst stand im Dienst des Ausdrucks, das ist an der Beschaffenheit<br />
ihres Werkes klar zu erkennen. Sie ließ sich aber auch gerne von den<br />
Werken ihrer Zeitgenossen inspirieren, die sie „in den Fingern<br />
hatte“, wie zum Beispiel Chopin. Diese gegenseitige Inspiration ist ja<br />
bei allen Komponisten zu finden. Es ist immer sehr erquickend, auf<br />
die Suche nach Parallelen zu gehen …<br />
… wie zwischen den Geschwistern Mendelssohn.<br />
Bei Fanny und Felix merkt man ganz klar, dass Fanny mit ihrem<br />
avantgardistischen Kompositionsstil und ihrem Wesen Felix sehr<br />
geprägt und angespornt hat. Der Werkbegriff „Lied ohne Worte“<br />
wurde übrigens von Fanny erfunden. Und Heine beschrieb sie bei<br />
einem seiner Besuche im Hause der Mendelssohns als ein strahlendes<br />
„ganz und gar liedhaftes Wesen“. Auch wenn Felix sich in der<br />
Öffentlichkeit nie dafür einsetzte, dass seine Schwester als<br />
bedeutende Musikerin wahrgenommen wurde, war er ihr größter<br />
Bewunderer und gab ihr oft seine Werke zur Komplettierung, auch<br />
wenn dann manche ihrer Werke gar unter seinem Namen<br />
veröffentlicht wurden. Letztlich eine innige Liebe und inspirierende<br />
Kraft.<br />
Die Liebe von Clara und Robert<br />
Schumann fasziniert Sophie Pacini<br />
Nietzsche fand übrigens, dass Schumann von „kleinem<br />
Geschmack“ war und einen „gefährlichen (sehr deutschen)<br />
Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls“<br />
hatte. Und deshalb „nur noch ein deutsches Ereignis“, aber kein<br />
europäisches wie Beethoven mehr wurde.<br />
Da antworte ich mit einem Zitat Gustav Mahlers, das ich in einem<br />
Essay von Peter Gülke gefunden habe: „Unter dem ganzen Heere<br />
der Nachbeter, die sich bis heute nicht<br />
entblöden, Schumann von oben herab zu<br />
behandeln und zu belächeln, hat Wagners<br />
Irrtum und heftige Parteilichkeit bedauerlichen<br />
Schaden angerichtet“.<br />
Zurück zu Ihnen. Sie wuchsen in der Nähe<br />
von München auf.<br />
Ja. Meine Mutter ist Internistin, mein Vater<br />
Professor für italienische Literatur. Sie lieben<br />
Musik sehr. Mit ihrem ersten Verdienst<br />
schenkte meine Mutter meinem Vater ein<br />
Klavier in der Hoffnung, er beginne wieder<br />
zu spielen. Mein Vater am Klavier … Dieses<br />
Bild gehört zu meiner Kindheit.<br />
Entschieden Sie sich deshalb, Pianistin zu<br />
werden?<br />
Der Flügel war für mich immer mein bester<br />
Freund. Er, dieser große schwarze, elegante<br />
Panther und ich fanden instinktiv den Weg<br />
zueinander. Mit acht Jahren nahm ich an einem Wettbewerb teil.<br />
Für das Finale im Herkulessaal durfte ich an einem großen Steinway-D-Flügel<br />
spielen. Ich konnte das Instrument kaum überblicken,<br />
kam gerade mal so an das Pedal. Ich spielte den zweiten Satz<br />
aus der F-Dur Mozartsonate KV 280. Da gibt es eine Stelle, an der<br />
zum verminderten Akkord oben ein Des erklingt. Für mich der goldene<br />
Ton. Am kleinen Klavier zu Hause klang er ganz nett, aber dort<br />
wurde er zum goldenen Tropfen. Plötzlich umgab mich ein warmes<br />
Gefühl, weil ich spürte, ich kann richtig formen! Und einen Ton<br />
erklingen lassen, so wie ich ihn mir vorstellte! Das war mein Schlüsselmoment.<br />
Unvergesslich sind auch die Begegnungen mit Martha Argerich.<br />
Klar! Als Kind hatte ich sie im Radio gehört, später kaufte ich ihre<br />
Aufnahmen und ging in ihre Konzerte. Eines fand im Gasteig statt.<br />
Ich wollte unbedingt hinter die Bühne und schaffte es auch. Sie<br />
lächelte mich an, vielleicht weil ich sehr zurückhaltend war und<br />
mich nicht aufdrängte. Als ich <strong>18</strong> war, traf ich sie wieder. Wir<br />
verbrachten die Sommerferien in Pietrasanta, dem Geburtsort<br />
meines Vaters, und erfuhren, dass sie ein Konzert geben würde.<br />
Ich tat alles, um ihr vorzuspielen. Sie erinnerte sich an mich, hörte<br />
mich an, und ihre große Begeisterung war der Anbeginn einer<br />
innigen Freundschaft und der Ritterschlag, den ich brauchte, um<br />
diesen Beruf mit Mut, Selbstvertrauen und einem Glanz in den<br />
Augen vollends einzuschlagen. Bei mir daheim<br />
in München gibt’s dann mit ihr Pasta und Musik<br />
– einfach, direkt und ohne Äußerlichkeiten. ■<br />
Schumann, Mendelssohn: „In Between“, Sophie Pacini (Warner)<br />
21
K Ü N S T L E R<br />
MACHT<br />
WAS NEUES!<br />
Was für ein kurioses Duo: Violine und Tuba! Benjamin Schmid und<br />
Andreas Martin Hofmeir wagten eine Instrumentenfusion, die sie<br />
„Stradihumpa“ nennen, eine Mischung aus Stradivari und „Humptata“.<br />
VON KLAUS HÄRTEL<br />
22 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Beim Duo Benjamin Schmid<br />
und Andreas Martin Hofmeir<br />
ist alles möglich<br />
FOTO: WOLFGANG LIENBACHER<br />
23
K Ü N S T L E R<br />
Herr Hofmeir, wie sieht Ihr Klischee eines<br />
Geigers aus?<br />
Andreas Martin Hofmeir: Geiger sind unfassbar strebsam, fleißig<br />
und sehr diszipliniert. Wer als Kind Geige lernt, muss früh<br />
anfangen und wahnsinnig viel üben. Und die Geiger können<br />
nichts anderes. Die können nicht Fußball spielen, nicht kochen<br />
und nicht Schafkopf spielen. Mit fünf Jahren werden Geiger<br />
eingesperrt und werden bis <strong>18</strong> nicht mehr gesehen.<br />
Und wie viel Wahrheit steckt darin?<br />
Benjamin Schmid: Nicht sehr viel. Wie in jedem anderen Klischee.<br />
Ich habe zwar in meinem Leben unglaublich viel geübt,<br />
sicher viel zu viel – aber es hat mir immer riesigen Spaß gemacht<br />
und ich hatte trotzdem Zeit für Dinge wie Bergsteigen, Skifahren<br />
und dergleichen. Denn das Leben ist immer noch wichtiger als die<br />
Karriere.<br />
Welches ist Ihr Lieblingsklischee eines Tubisten?<br />
Schmid: Blechbläser sind sehr trinkfest, spielen immer laut, und<br />
ein Tubist hat ein angeborenes Phlegma, ist von Natur aus<br />
gemütlicher.<br />
Hofmeir: Grundsätzlich kann man sagen, dass die Tubisten zu<br />
einer gemütlicheren Spezies gehören. Ab einem gewissen Niveau<br />
allerdings sind sogar die Tubisten fleißig. Aber im ersten Moment<br />
sind die Leute, die Tuba spielen, nicht unbedingt begierig auf die<br />
große Bühne und auf die große Virtuosität, denn sonst würden<br />
sie was anderes lernen. Trinkfest bin ich im Übrigen überhaupt<br />
nicht. Ich trinke nie viel und auch nicht wahnsinnig gern. Mein<br />
letzter Rausch ist Jahre her …<br />
Schmid: Genau. Ein Oberbayer trinkt wenig, aber oft.<br />
Und dann viel.<br />
Hofmeir: Ein Musiker hat das Problem, dass er oft am Abend<br />
arbeitet und die Leute dann erwarten, dass er nach der Arbeit<br />
feiert. Es gibt Handwerker, die feiern ihre Arbeit schon während<br />
der Arbeit! Was wiederum beim Musiker – sofern er seinen Beruf<br />
halbwegs ernsthaft betreibt – nicht möglich ist.<br />
Ganz ehrlich, Herr Hofmeir, hätten Sie jemals gedacht, dass Sie<br />
mit einem Geiger eine Platte machen würden?<br />
Hofmeir: Nein, nie! Benjamin Schmid hat einmal das Cellokonzert<br />
von Gulda mit der Bläserphilharmonie Mozarteum Salzburg<br />
aufgenommen – ein Stück, das seinem Portfolio wunderbar<br />
entspricht, weil es ein Crossover-Konzert zwischen Klassik und<br />
Jazz ist. Ich habe das zufällig gehört. Wir Professoren treffen uns<br />
natürlich mal auf dem Gang, aber dass wir uns gegenseitig Musik<br />
machen hören, kommt selten vor. Wir haben dann wahnsinnig<br />
FOTO: WOLFGANG LIENBACHER<br />
„Bei einer so<br />
spartanischen<br />
Besetzung zählen<br />
Vielfalt und<br />
Energie!“<br />
viel gespielt und ausprobiert. Wenn eine Besetzung so spartanisch<br />
ist, dann ist man entweder angewiesen auf Vielfalt oder Energie<br />
– im besten Fall auf beides.<br />
Wie wichtig war, dass die Chemie zwischen Ihnen gestimmt<br />
hat?<br />
Schmid: Das ist im Duo vermutlich mit am wichtigsten, weil das<br />
die persönlichste Art ist, musikalisch miteinander zu kommunizieren.<br />
Das muss passen. Wir verstehen uns und haben uns etwas<br />
zu sagen. Das ist eine konstruktive Gaudi.<br />
Ein Album ist – wenn man so will – auch immer eine Botschaft.<br />
Was möchte sie den Tubisten und Geigern da draußen mitteilen?<br />
Hofmeir: Dass nichts unmöglich ist! Gerade für unser Instrument<br />
sind Pionierleistungen wichtig. Wir haben noch nicht genug gutes<br />
Repertoire, um uns darauf auszuruhen. Die Tuba ist auf diesem<br />
Album eher atypisch. Ich spiele die Tuba gerne sehr leichtfüßig und<br />
filigran. Ich glaube, dass die Tuba durch diese Eigenschaften am<br />
interessantesten ist und die größte Wirkung auf das Publikum hat.<br />
Schmid: Andreas ist sicherlich der Tubist, der dem Instrument<br />
eine völlig neue Poesie verliehen hat. Die Botschaft von diesem<br />
Projekt ist, dass musikalisch viel Undenkbares möglich ist. Eben<br />
auch in einem ungewöhnlichen Duo, wenn man es nur mit der<br />
nötigen Ernsthaftigkeit und Leidenschaft betreibt. Macht was<br />
Neues! Probiert was aus! Nehmt es ernst!<br />
Hofmeir: Als Geiger kommt man ja gar nicht in den Genuss, was<br />
Neues zu machen. Es gibt ja so viel Repertoire. Es ist schwieriger,<br />
Geiger zu etwas völlig anderem zu motivieren, weil sie ja alles<br />
haben!<br />
Ihre Tuba, Herr Hofmeir, heißt „Fanny“ – hat Ihre Geige,<br />
Herr Schmid, auch einen Namen?<br />
Schmid: Ja, ich spiele eine Stradivari „ex Viotti“, die Giovanni<br />
Battista Viotti vor knapp 300 Jahren gespielt hat und damit einen<br />
prominenten Vorfahren als Spieler hatte. Wir feiern in diesem<br />
Jahr gemeinsam runde Geburtstage: Sie wird 300, ich werde 50.<br />
Hofmeir: Ich find das jetzt aber schon ein wenig morbid, dass man<br />
eine Geliebte, mit der man viel Zeit verbringt, nach ihrem<br />
vorherigen Liebsten benennt.<br />
Schmid: Aber du bist schon auch verliebt in deine Fanny?<br />
Hofmeir: Ja, schon. Man teilt ja gewisse<br />
Erinnerungen. Und jede Tuba bekommt<br />
irgendwann einmal Dellen. Wenn einen das<br />
stört, dann heiratet man nie. <br />
■<br />
Benjamin Schmid & Andreas Martin Hofmeir: „Stradihumpa“ (ACT)<br />
24 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
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K Ü N S T L E R<br />
BEI BACH GEHT<br />
DER HIMMEL AUF<br />
Der eine probt gerade als Scarpia an der Met, wie er sich von<br />
Tosca Anna Netrebko am eindrucksvollsten erstechen lassen kann, die<br />
andere steht vor einer konzertanten Händel-Aufführung in Wien.<br />
Im Studio nahmen Bassbariton Michael Volle und<br />
Sopranistin Sophie Karthäuser jüngst Musik von Bach auf.<br />
VON WALTER WEIDRINGER<br />
Sophie Karthäuser ist sonst viel bei Mozart, Michael Volle bei Wagner und Verdi zu Hause. Nun vereinen sich ihre Stimmen bei Bach<br />
FOTOS: CARSTEN SANDER; MOLINA VISUALS<br />
crescendo: Herr Volle, Sie stehen meist als Hans Sachs, Wotan<br />
oder Amfortas, als Falstaff oder Scarpia auf der Bühne. Liegt<br />
Bach da nicht in weiter Ferne?<br />
Michael Volle: Ich bin als württembergischer Pfarrerssohn mit<br />
Bach aufgewachsen, ich brauche ihn einfach. Sängerisch hängt es<br />
davon ab, wie wach man im Kopf und wie gesund man in der<br />
Kehle ist. Es soll nicht arrogant klingen, aber ich genieße es,<br />
technisch blitzschnell umschalten zu können: Ich gehe gleich zu<br />
einer Tosca-Probe, könnte aber genauso Ich habe genug oder<br />
Winterreise singen. Es ist wohl eine Frage der Erfahrung. Mit dem<br />
Einatmen muss man schon wissen, wo man ist, in der Met vor<br />
4.000 Leuten oder in intimem Rahmen mit der Akademie für Alte<br />
Musik Berlin für Bach.<br />
Frau Karthäuser, bei Ihnen bildet Mozart das Zentrum des<br />
Repertoires, aber Barock war zugleich immer präsent.<br />
Sophie Karthäuser: Ich habe mit Barockmusik begonnen, der Stil<br />
hat zu meiner Stimme gepasst und tut es hoffentlich immer noch.<br />
Mit wachsender Reife kann ein Sopran wie meiner aber auch in<br />
romantisches Repertoire vorstoßen. Im Kopf und im Herzen muss<br />
man jung bleiben in unserer Profession – eine gesunde Stimme<br />
vorausgesetzt. Mir erscheint das Singen immer mehr wie ein<br />
Sport: Training ist wichtig, um die Elastizität zu erhalten und<br />
verschiedenen Stilen gerecht werden zu können.<br />
Wie empfinden Sie Bachs Schreibweise im Vergleich zu<br />
Mozarts?<br />
Karthäuser: Für mich ist Bach der schwierigste Komponist, er hat<br />
Stimmen wirklich wie Instrumente behandelt. Das macht<br />
natürlich seine Genialität aus, gerade die enorme Zahl und das<br />
Niveau der Kantaten sind unglaublich. Als Sängerin ist es jedoch<br />
nicht einfach, denn meistens gibt es keine Zeit zum Atmen!<br />
Mozart ist für mich die erste Anlaufstelle, zum Beispiel nach<br />
einem Urlaub: Bei ihm fühle ich mich zu Hause. Seine Musik ist<br />
wie Honig, der einem in die Kehle strömt. Und: Bei Mozart ist<br />
man nackt, man kann nicht schummeln.<br />
Volle: Bach schreibt virtuos, man muss die Stimme zurücknehmen<br />
können, leichter singen, Koloraturen formen. Ich bin<br />
26 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
überzeugt, dass mein Singen im sogenannten<br />
großen Fach gewonnen hat durch die<br />
Beschäftigung mit Bach und Mozart – den<br />
ich leider nur noch selten angeboten<br />
bekomme, weil viele Leute denken, man<br />
könne keinen Mozart mehr singen, wenn<br />
man bei Puccini, Verdi, Wagner und Strauss<br />
angelangt ist. So ein Blödsinn! Bei meinem Falstaff-Debüt und<br />
jetzt auch bei Scarpia habe ich gemerkt, wie einen die filigranere,<br />
feinere Behandlung der Stimme bei Bach auch in solchen Partien<br />
unterstützt. Nicht jeder kann alles singen, aber ich glaube, jeder<br />
sollte Lied machen und jeder sollte Bach und Mozart singen. Das<br />
muss nicht unbedingt mit alten Instrumenten sein, aber wenn<br />
jemand nur und dauernd gegen große Orchestermassen ansingen<br />
muss, dann besteht die Gefahr, dass die Stimme an Flexibilität<br />
verliert oder echten Schaden nimmt. Das ist oft genug der Fall.<br />
Bei Ihnen steht die Gräfin in Mozarts Le nozze di Figaro an,<br />
Frau Karthäuser. Haben Sie langsam genug von der Rolle der<br />
Susanna?<br />
Karthäuser: Nein, von ihr könnte ich niemals genug bekommen,<br />
ich werde nur alt! Vor ein paar Jahren habe ich noch abgelehnt –<br />
aber nun konnte ich René Jacobs keinen Korb geben, er ist für<br />
mich der größte Dirigent für diese Musik. Mit ihm findet man<br />
immer etwas Neues. Er weiß so viel, historische Fakten genauso<br />
wie Anekdoten. Es ist, als würde er die Partitur neu erfinden.<br />
Unsere Aufgabe ist es ja, immer weiterzulernen. Ich habe die<br />
Schule geliebt und war traurig, als sie vorbei war! Und so freue ich<br />
mich darüber, mit Dirigenten und Partnern neue Dinge auszuprobieren.<br />
Dazu zählen bei mir aktuell Strauss-Lieder, aber auch<br />
„MOZARTS MUSIK IST WIE<br />
HONIG, DER EINEM IN<br />
DIE KEHLE STRÖMT“<br />
Bach mit der wunderbaren Akademie für<br />
Alte Musik Berlin! Das sind tolle Kollegen,<br />
die genau wissen, wie man phrasiert und so<br />
weiter. Und wir haben wirklich hart<br />
gearbeitet.<br />
Volle: Ich will es nicht überhöhen, aber das<br />
Zusammenkommen der Akamus mit mir<br />
grenzt ans Schicksalshafte, an eine Fügung! Vor ein paar Jahren<br />
habe ich die drei Solokantaten mit anderen Kollegen gemacht,<br />
wollte aber an diesen Werken weiterarbeiten. Ich rief frech bei der<br />
Akamus an – und hörte, dass die gerade über mich gesprochen<br />
hatten! Ich bin überglücklich, dass wir nun dieses Album mit den<br />
Dialogkantaten machen konnten, denn Bach ist das A und O für<br />
mich.<br />
Spielt im Verhältnis des Pfarrerssohns zu Bach die Religion<br />
noch eine Rolle?<br />
Volle: Der Kirche stehe ich fern und bin auch dem herkömmlichen<br />
Glauben nicht mehr eng verbunden. Aber ich würde mich<br />
selber als sehr spirituell bezeichnen. Musikalisch gehören dazu<br />
Mozart, Schubert und Bach! Wenn ich Bach singe, merke ich, dass<br />
es mehr gibt als das, was wir mit Augen sehen und mit Händen<br />
greifen können. In dieser Musik steckt eine Kraft, die unbeschreiblich<br />
ist. Bei Bach geht der Himmel auf.<br />
J. S. Bach: „Dialogkantaten BWV 32, 49 & 57“, Sophie Karthäuser,<br />
Michael Volle, Akademie für Alte Musik Berlin (harmonia mundi)<br />
Termine: Sophie Karthäuser, 9.6. Wien (AT), Musikverein;<br />
Michael Volle, 31.5., 10., 14.6. Berlin, Staatsoper,<br />
16., 19., 22.6. München, Bayerische Staatsoper<br />
■<br />
Samstag, 29. September, 20.00 Uhr<br />
Eröffnungsabend<br />
»Klangerfühlt«<br />
Alliage Quintett, Dr. Franz Alt (Festvortrag)<br />
Sonntag, 30. September, 11.00 Uhr<br />
Matinée I<br />
Werke von Mozart, Liszt, Schumann,<br />
Beethoven, Chopin, Rachmaninov<br />
Viktoria Hirschhuber (Klavier),<br />
Lika Bibileishvili (Klavier)<br />
Sonntag, 30. September, 19.30 Uhr<br />
Grandioser Auftakt<br />
Werke von Psathas, Koppel, Cangelosi /<br />
Grubinger, Jobim, Ishii, Sánches-Verdú,<br />
Aho/arr. Rundberg<br />
Martin Grubinger (Percussion),<br />
Martin Grubinger sen. (Percussion),<br />
Per Rundberg (Klavier)<br />
Montag, 1. Oktober, 19.30 Uhr<br />
STEGREIF.konzert<br />
»Genrefrei« Projekt #freebrahms<br />
Das besondere Orchesterkonzert mit<br />
dem STEGREIF.orchester Berlin<br />
Dienstag, 2. Oktober, 19.30 Uhr<br />
Liederabend mit Chor<br />
Werke von Schubert und Lauridsen<br />
Brigitte Geller (Sopran),<br />
Florian Prey (Bariton),<br />
Birgitta Eila (Klavier),<br />
Ulrich Eisenlohr (Klavier),<br />
Morten Lauridsen (Klavier und Komposition),<br />
Chamber Choir of Europe,<br />
Nicol Matt (Leitung)<br />
Mittwoch, 3. Oktober, 11.00 Uhr<br />
Matinée II<br />
Lyrik von Goethe, Wedekind, Brecht, Kästner,<br />
kombiniert mit Schlagern und Chansons<br />
<strong>Juli</strong>a von Miller (Gesang),<br />
Anatol Regnier (Lesung und Rezitation),<br />
Frederic Hollay (Klavier)<br />
Mittwoch, 3. Oktober, 19.30 Uhr<br />
Kammermusiksoirée<br />
»Klangreicher Forellenteich« Schubert<br />
Forellen-Quintett, original und reflektiert<br />
Werke von Schumann, Lazic, Cruixent,<br />
Räihälä, Resch, Schachtner, Schubert<br />
Lena Neudauer (Violine), Wen-Xiao Zheng (Viola),<br />
Danjulo Ishizaka (Violoncello),<br />
Rimck Stotijn (Kontrabass), Silke Avenhaus (Klavier)<br />
Donnerstag, 4. Oktober, 19.30 Uhr<br />
Liederabend Kasarova<br />
Werke von Berlioz, Rachmaninoff,<br />
Tchaikovsky<br />
Vesselina Kasarova (Sopran),<br />
Iryna Krasnovska (Klavier)<br />
Freitag, 5. Oktober, 11.00 Uhr<br />
Abschlusskonzert<br />
Meisterkurs für Gesang<br />
Siegfried Jerusalem (Tenor),<br />
Henning Lucius (Klavier)<br />
Freitag, 5. Oktober, 19.00 Uhr<br />
Kirchenkonzert<br />
»Messiah« Oratorium von Georg Friedrich<br />
Händel (in engl. Sprache)<br />
Robin Johannsen (Sopran), Marie-Henriette Reinhold (Alt),<br />
Robin Tritschler (Tenor), Markus Eiche (Bass),<br />
Gaechinger Cantorey, Hans-Christoph Rademann (Leitung)<br />
Künstlerischer Leiter:<br />
Florian Prey<br />
Vorverkauf ab 4. <strong>Juni</strong> 20<strong>18</strong>.<br />
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Telefon 07125 156571<br />
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DIRIGENT<br />
MIT INSTRUMENT<br />
Joshua Bell ist seit Jahrzehnten ein Star der Violine. Seit 2011 leitet er auch die<br />
berühmte Academy of St Martin in the Fields – vom Instrument aus!<br />
VON WALTER WEIDRINGER<br />
rescendo: Herr Bell, immer mehr Solisten dirigieren<br />
auch. Ist diese Doppelfunktion von der Violine aus<br />
schwieriger?<br />
Joshua Bell: Ich finde es sogar leichter! Als Dirigent muss man Informationen<br />
übermitteln. Ob das mit einem Taktstock, mit dem Bogen<br />
oder mit bloßen Händen passiert, ist eigentlich egal. Über 90 Prozent<br />
dieser Informationen kann man in den Proben sprechen, dort<br />
findet die Arbeit statt. Bei der Aufführung<br />
muss man ohne Worte<br />
auskommen. Der Konzertmeister<br />
ist nicht ohne Grund ein Geiger: Er<br />
kann alle wichtigen Dinge anzeigen<br />
– etwa mit der Attacke und<br />
Geschwindigkeit des Bogens. Die<br />
Academy kennt mich sehr gut,<br />
wenn wir zusammen Sinfonien<br />
aufführen, leite ich vom Konzertmeisterpult aus. Als Solist wird<br />
man dann „nur“ zu einer Art von besonderem Konzertmeister.<br />
Ohne Dirigenten hören die Musiker einander besser zu, es fühlt<br />
sich an wie Kammermusik. Und ich kann jetzt jedem wichtigen<br />
Detail selbst nachgehen. Nach so vielen Jahren als Nur-Solist ist das<br />
ein besonderes Vergnügen.<br />
Gibt es musikalische Grenzen, also bestimmte Violinkonzerte,<br />
die kaum mehr möglich sind ohne externen Koordinator?<br />
Letztes Jahr haben wir Tschaikowsky gespielt, mit kleinerem<br />
Orchester finde ich das sogar kraftvoller, pointierter. Dieses Jahr<br />
folgt Henryk Wieniawskis Zweites Violinkonzert, das ich besonders<br />
liebe. Es ist schwierig, aber es funktioniert. Bei den Proms kommt<br />
in diesem Sommer das Dritte Violinkonzert von Camille Saint-<br />
Saëns, außerdem möchte ich Sibelius angehen, vielleicht auch<br />
Barber. Weil die Academy so gut ist, steht uns praktisch alles offen,<br />
wenn wir nur wollen.<br />
Die Basis dafür bildet wohl Ihr kammermusikalisches Selbstverständnis<br />
– das Vermächtnis von Sir Neville Marriner?<br />
Ja, bei uns lehnt sich niemand zurück und spult bloß etwas ab,<br />
damit könnte man gar nicht durchkommen. In einem kleineren<br />
Ensemble ist das Verantwortungsgefühl ungleich höher. Für Sir<br />
Neville, der die Academy 1958 gegründet und mehr als 50 Jahre<br />
lang geleitet hat, war höchste Qualität entscheidend, von Anfang<br />
an. Ich möchte nicht explizit in seine Fußstapfen treten oder mich<br />
mit ihm messen. Mein Zugang ist, das optimal zu verwirklichen,<br />
was ich an Energie und persönlicher Musizierweise einbringen<br />
kann.<br />
Sie haben jetzt mit der Academy Musik von Max Bruch aufgenommen<br />
– ohne Dirigenten. Sein Erstes Violinkonzert haben Sie<br />
schon einmal mit der Academy eingespielt. Wie kam es dazu?<br />
Ach, ich war damals <strong>18</strong> und alles war ganz neu für mich. Es standen<br />
„DER KONZERTMEISTER IST NICHT OHNE<br />
GRUND EIN GEIGER: ER KANN ALLE<br />
WICHTIGEN DINGE ANZEIGEN“<br />
gleich zwei Alben auf dem Plan, eines mit kurzen Virtuosenstücken,<br />
das andere mit Neville Marriner und der Academy. Ich kam<br />
ins Studio, das rote Licht ging an und wir spielten die Konzerte von<br />
Mendelssohn und Bruch – ohne Probe! Das Mendelssohn-Konzert<br />
habe ich Jahre später mit Roger Norrington nochmals aufgenommen,<br />
aber zum Bruch-Konzert, das ich liebe und gerne spiele, bin<br />
ich für eine Aufnahme erst jetzt zurückgekehrt. Ich kombiniere es<br />
diesmal mit einer Aufnahme-Premiere<br />
für mich, seiner Schottischen<br />
Fantasie.<br />
Max Bruch sah sich immer im<br />
Schatten von Brahms und hat<br />
darunter gelitten, dass seine<br />
Violinkonzerte Nr. 2 und 3 nicht<br />
die gleiche Popularität erringen<br />
konnten.<br />
Bruchs Pech war, dass ihm mit dem ersten Konzert ein Geniestreich<br />
gelungen ist. Die anderen sind zwar auch gut, aber ich habe<br />
sie bisher nicht aufgeführt. Vielleicht sollte ich ihnen noch eine<br />
Chance geben – immerhin habe ich die Qualitäten des Schumann-<br />
Konzerts auch erst auf den zweiten Blick entdeckt.<br />
Der Schottischen Fantasie begegnet man dafür nur noch selten.<br />
Meine Idole wie Jascha Heifetz und Bronisław Huberman, dessen<br />
Geige ich spiele, hatten sie selbstverständlich im Repertoire. Ich<br />
weiß nicht, ich vertraue meiner Mutter: Sie sagt, alle jungen Geiger<br />
auf Youtube würden die Fantasie spielen. Aber das ist genau das<br />
Problem: So viele junge Leute lernen dieses und ähnliche Stücke<br />
im Studium. Sobald sie Profis sind, wollen sie etwas anderes<br />
machen. Sogar das Mendelssohn-Konzert leidet ein bisschen<br />
darunter, eines der größten Werke für die Violine überhaupt. Die<br />
Schottische Fantasie rührt mich zu Tränen, durch ihr Sentiment<br />
und ihre Schönheit. Mein Lehrer Josef Gingold, ein Schüler von<br />
Ysaÿe, hat in mir die Zuneigung zu diesem Repertoire geweckt.<br />
Auch Wieniawski oder Fritz Kreisler haben bedeutungsvolle Musik<br />
geschrieben. Natürlich, wenn man es wie Schlagsahne spielt, dann<br />
klingt es auch wie Schlagsahne. Aber musikalische Tiefe gibt es<br />
nicht nur bei Brahms, Mozart oder Beethoven.<br />
Viele Interpreten leiden beim Anhören der eigenen Aufnahmen.<br />
Sie können sich selbst auch noch in einer TV-Serie sehen, in<br />
Mozart in the Jungle. Was ist schlimmer?<br />
Ha ha, wenn ich ehrlich sein soll: Ich habe die Serie nie angeschaut.<br />
Wahrscheinlich ist es wirklich schlimmer, sich<br />
auch noch beim Schauspielen beobachten zu<br />
müssen. Meine Selbstkritik ist gnadenlos!<br />
Bruch: „Scottish Fantasy“, Joshua Bell, Academy of St Martin in the<br />
Fields (Sony)<br />
■<br />
28 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
29<br />
FOTO: BILL PHELPS
M E I N U N G<br />
Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />
SCHADE UM DEN ECHO<br />
Der ECHO ist Vergangenheit. Viele hat diese Nachricht gefreut. Unser Autor befürchtet,<br />
dass eine Chance verpasst wurde, nachhaltig gegen Antisemitismus zu kämpfen.<br />
Wie bigott waren Hohn und Spott im Netz, als die Phono-Akademie<br />
endlich angekündigt hatte, den ECHO – und damit auch den<br />
ECHO JAZZ und den ECHO KLASSIK – abzusagen. Die Absage<br />
kam viel zu spät und war, wie ich finde, auch eine grundlegend falsche<br />
Reaktion auf den Eklat bei der Verleihung des ECHO POP, als<br />
die Musiker Farid Bang und Kollegah mit unerträglichen Sätzen<br />
wie diesem auftraten: „Mach wieder mal ’nen Holocaust, komm an<br />
mit dem Molotow.“<br />
Das wirklich Kniffelige an der aktuellen Debatte ist weniger die<br />
Frage, ob man gegen derartige Ausfälle protestieren soll – natürlich!<br />
was denn sonst? –, sondern, wie man einen Protest gegen Antisemitismus<br />
und Rassismus organisieren kann, der selber nicht populistisch,<br />
sondern nachhaltig ist.<br />
Genau diesen Weg hat die<br />
Phono-Akademie mit der Absage<br />
des ECHO nun allerdings verpasst,<br />
ebenso wie viele Künstler oder Kritiker<br />
des ECHO, denen es nur um<br />
Schadenfreude oder um Häme zu<br />
gehen schien. Wie viele sinnvolle<br />
Reaktionen wären möglich gewesen?<br />
Ein Symposium über Rassismus,<br />
Antisemitismus und Gewalt in der Musik, öffentliche, selbstkritische<br />
Debatten über die Wirkung von Musik auf die Gesellschaft, historische<br />
Einordnungen, eine ernsthafte Debatte darüber, wo die Kunstfreiheit<br />
beginnt und ob sie überhaupt irgendwo aufhört, Streitgespräche<br />
über das Spannungsfeld von Kommerz und Kunst. Was wäre es<br />
für ein Zeichen gewesen, beim ECHO KLASSIK ein Programm mit<br />
sogenannter „entarteter Musik“ aufzuführen und das Thema zum<br />
Leitmotiv in der großen Fernsehshow zu erheben! Ja, es hätte viele<br />
Möglichkeiten gegeben, nur eine Reaktion wäre falsch und feige<br />
gewesen: den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als sei nichts<br />
passiert. Sich zu verstecken und darauf zu hoffen, dass der Sturm der<br />
Empörung irgendwann von allein abflaut. Leider hat die Phono-Akademie<br />
aber genau das getan. Damit wurde die Chance verpasst, den<br />
Eklat für eine öffentliche Debatte zu nutzen, den eigenen Fehler zu<br />
erkennen, zu verstehen und öffentlich zu korrigieren.<br />
Natürlich gab es bereits im Vorfeld keinen einzigen akzeptablen<br />
Grund dafür, dass die Phono-Akademie einen antisemitischen Song<br />
ANTISEMITISMUS IN DER KUNST ALS<br />
KUNST ZU LEGITIMIEREN, IST, ALS WÜRDE<br />
MAN EINEN REALEN MORD IM THEATER<br />
UNGESÜHNT LASSEN<br />
auszeichnet – ausgerechnet am Gedenktag für die Opfer des Holocaust.<br />
Es ist unerträglich genug, dass Farid Bang und Kollegah mit<br />
derartigen Texten so viele Fans erreichen. Dass ein öffentliches Gremium,<br />
das so ziemlich alle Musik-Labels in Deutschland vertritt, derartig<br />
widerwärtigen Texten nun auch noch eine Plattform bietet, ist<br />
schlichtweg unverständlich.<br />
Ich persönlich bin dem ECHO lange verbunden. Seit Jahren<br />
schreibe ich das ECHO KLASSIK-Magazin, habe zunächst im Auftrag<br />
der Phono-Akademie in den letzten Jahren für crescendo Backstage-Interviews<br />
mit dem Preisträgern geführt. Und, um ehrlich zu<br />
sein, mir hat all das großen Spaß gemacht. Ich habe mich immer frei<br />
gefühlt – und wir haben hinter den Kulissen so manch provokantes<br />
Gespräch über Politik, Glauben und<br />
den Markt geführt. Die von mir konzipierte<br />
und produzierte CD-Reihe<br />
„Der Kleine Hörsaal“ wurde ebenfalls<br />
mit dem ECHO KLASSIK ausgezeichnet<br />
– und damals habe ich mich<br />
durchaus über diese Auszeichnung<br />
gefreut. Am Ende halte ich es mit<br />
Thomas Quasthoff, der mir kürzlich<br />
in einer Kneipe sagte: „Ich finde das,<br />
was beim ECHO passiert ist, unakzeptabel und habe auch dagegen<br />
protestiert, meine ECHOS aber habe ich nicht zurückgegeben, die<br />
stehen in einem völlig anderen Kontext.“<br />
Es ist doch Quatsch zu glauben, dass der ECHO so etwas wie<br />
der Nobelpreis der Musik sei. Das war nie sein Anspruch und sein<br />
Auftrag. Der ECHO wurde von der Phono-Akademie verliehen –<br />
also vom Interessenverband der Tonträgerindustrie. Das allein ist<br />
erst einmal nicht schlimm. Gegen einen Preis, der jene feiert, die ihn<br />
verleihen, ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Der ECHO und der<br />
ECHO KLASSIK sind auch deshalb wichtig, weil sie eine Art Branchenfest<br />
sind, weil sich hier jedes Jahr Künstler, Major- und Independent-Labels<br />
treffen, gemeinsam Strategien entwickeln und sich<br />
austauschen. Und all das wird ausführlich vom Fernsehen begleitet<br />
– als Fest der Musikbranche. Das kann man kritisieren. Aber es ist seit<br />
Jahren so gewesen. Jeden Applaus nach dem Aus des ECHO, dass<br />
dieser „falscher Preis“ endlich abgeschafft wird, verstehe ich nicht.<br />
Noch einmal: Es ist nicht der Fehler des ECHO gewesen, dass einige<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
30 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
in ihm einen vollkommen anderen Preis gesehen haben, als er es in<br />
Wirklichkeit war.<br />
Tatsächlich aber hat sich nun gezeigt, dass das pure Marketing<br />
ein Strukturfehler des Preises war. Es war eben nie wirklich wichtig,<br />
was auf der Bühne stattfand. Es ging nicht um Inhalte, sondern<br />
um die Feier an sich. Weder beim ECHO POP noch beim ECHO<br />
KLASSIK standen die spannendsten Preisträger im Rampenlicht,<br />
sondern die populärsten oder jene, auf die man sich bei den Labels<br />
geeinigt hatte – auch das wurde immer wieder kritisiert. Die Präsentation<br />
der einzelnen Auftritte war kein Politikum, sondern mehr<br />
oder weniger gelungene Unterhaltung. Der<br />
ECHO hat sich nie als Veranstaltung verstanden,<br />
in der es um Inhalte geht, sondern<br />
um die Branche an sich. Seit jeher sieht der<br />
ECHO so aus, wie die Branche sich selber<br />
sehen wollte. Vielleicht ist es dieser Ansatz,<br />
der dieser Veranstaltung nun auf die Füße<br />
gefallen ist. Denn in diesem Selbstbild hat<br />
schon der kleinste Hauch von Antisemitismus<br />
nichts zu suchen.<br />
Das ist das Erschreckende: Ausgerechnet<br />
die Auszeichnung von Farid Bang und<br />
Kollegah wurde von einem Gremium verliehen,<br />
das für die gesamte Plattenindustrie<br />
steht. So hat der ECHO den Mitgliedern der<br />
Phono-Industrie einen Bärendienst erwiesen.<br />
Er hat die Branche an sich auf ein Terrain<br />
gestellt, auf dem wohl die wenigsten<br />
Künstler und Produzenten stehen wollen:<br />
im rassistischen Aus. Natürlich verwundert<br />
es – und ist beklemmend –, dass niemand<br />
der Mitglieder der Phono-Akademie wirklich<br />
dagegen protestiert hat.<br />
Bereits die Versuche nach der ersten<br />
Kritik, die eigene Entscheidung zu verteidigen,<br />
wirkten eher hilflos und – mit Verlaub –<br />
dumm. Zunächst versuchte man, den Ethikrat<br />
– eingesetzt von der Akademie selbst<br />
– in die Verantwortung zu nehmen. Später<br />
wurde argumentiert, dass man die künstlerische<br />
Freiheit – auch rechter Musik – als<br />
Industrieverband verteidigen müsse. Das ist<br />
natürlich totaler Quatsch! Zeilen wie „Mein<br />
Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“<br />
können mit bestem Willen nicht als<br />
Kunst durchgehen, sondern sind und bleiben purer, blanker Antisemitismus.<br />
Die Erklärung, dass der ECHO nun vollkommen abgeschafft<br />
werden soll, war der letzte große Fehler in einem schlechten Krisenmanagement<br />
der Phono-Akademie. Welche Erneuerungskraft traut<br />
man jenen Managern noch zu, die nichts getan haben, um die öffentliche<br />
Debatte zu lenken, zu fördern und zu ermöglichen? Jenen Leuten,<br />
die den Kopf in den Sand gesteckt haben, statt aktiv die Kritik<br />
zu debattieren? Die Phono-Akademie ist sich in all ihren Handlungen<br />
treu geblieben: bloß keine Positionierung, bloß kein Inhalt! Und<br />
hat damit auch das letzte Stückchen Vertrauen aufs Spiel gesetzt. Ich<br />
persönlich kann mir inzwischen kaum noch vorstellen, wie eine Neuerfindung<br />
des Musikpreises unter Obhut der Phono-Akademie aussehen<br />
könnte.<br />
Der Druck auf die Veranstalter ist auch deshalb gewachsen,<br />
weil die Musiker plötzlich selber gehandelt haben. Sie haben ihren<br />
ECHO aus Protest zurückgegeben: zunächst Peter Maffay und Marius<br />
Müller- Westenhagen, dann auch Klaus Voormann. Auffällig dabei,<br />
wie viele Klassikkünstler gehandelt haben: Enoch zu Guttenberg, Igor<br />
Levit oder das Notos Quartett – das erste Ensemble, das den Mut zu<br />
diesem konsequenten Schritt hatte. Irgendwann wurde die Rückgabe<br />
zu einer allgemeinen Bewegung. Und auch hier waren die Reaktionen<br />
im Netz eher grenzwertig: Die ECHO-Rückgabe wurde zum „running<br />
gag“ – einem Witz, der gerade beim Thema Antisemitismus fehl<br />
am Platz scheint.<br />
Ich habe die Argumentation all jener Künstler verstanden, die<br />
ihren Preis zurückgegeben haben, und ihr Zeichen des Protests<br />
geschätzt. Auf der anderen Seite ist es eine recht einfache Geste, einen<br />
Preis zurückzugeben, der sowieso im Studioregal verstaubt. Mir persönlich<br />
imponierte die Haltung eines Sängers wie Campino mehr:<br />
Er war der einzige Künstler, der noch am<br />
ANZEIGE<br />
Abend der Aufführung auf offener Bühne<br />
seinen Protest angemeldet hat – und gleichzeitig<br />
seinen ECHO entgegennahm. Campino<br />
hat gezeigt, dass die Anklage nicht die<br />
Vernichtung braucht, sondern dass eine<br />
wirkliche Debatte nur dann geführt werden<br />
kann, wenn man das Gegenüber als solches<br />
akzeptiert – nicht Farid Bang und Kollegah,<br />
wohl aber die Phono-Akademie.<br />
Das Gefährliche am Antisemitismus<br />
ist nicht nur der antisemitische Song an sich,<br />
sondern der kollektive Umgang mit ihm.<br />
Antisemitismus in der Kunst per se als Kunst<br />
zu legitimieren, ist, als würde man einen realen<br />
Mord im Theater ungesühnt lassen, da er<br />
ja auf der Bühne, also im Raum der Kunst,<br />
stattgefunden hat. Diese Argumentation ist<br />
nicht nur dumm, sondern auch feige.<br />
Der ECHO und der Streit um den<br />
ECHO ist ein Momentum unserer Zeit, in<br />
dem wir zeigen können, wie ernst wir es<br />
wirklich mit dem Kampf gegen Antisemitismus<br />
in Deutschland meinen. Ich bin der<br />
festen Überzeugung, dass dieses Zeichen<br />
nur langfristig gesetzt werden kann. Dass<br />
wir gut beraten wären, keine Fronten zu verhärten,<br />
sondern Türen zu öffnen, um auch<br />
jene wieder ins Boot des menschlichen und<br />
vernünftigen Handelns zu holen, die einen<br />
Fehler gemacht haben – dazu hätte auch die<br />
Phono-Akademie gehört.<br />
Nun ist der ECHO – und mit ihm der<br />
ECHO KLASSIK – abgeschafft. Doch letztlich<br />
war er, und gerade der ECHO KLAS-<br />
SIK, auch eine Möglichkeit, Öffentlichkeit für Musik zu schaffen. Was<br />
glauben diejenigen, die sich nun so freuen, denn? Dass in Zukunft<br />
an Stelle des ECHO KLASSIK Neue Musik im Hauptprogramm des<br />
Fernsehens gesendet wird? Wahrscheinlich wird es eher auf einen<br />
Sendeplatz weniger für die Klassik herauslaufen und stattdessen der<br />
„Musikantenstadl“ gezeigt.<br />
Es hätte darum gehen müssen, eine glaubhafte Alternative zum<br />
ECHO zu schaffen. Es hätte darum gehen müssen, Streit- und Debattenkultur<br />
zu etablieren, statt auf den eigenen Fauxpas zu reagieren,<br />
indem man sich unsichtbar macht. All das wäre gerade unter dem<br />
Namen ECHO glaubhaft gewesen. Aber dieser Name ist nun Vergangenheit.<br />
Es ist ein Trugschluss, dass die Probleme mit rassistischer,<br />
frauenfeindlicher, gewaltverherrlichender und antisemitischer Musik<br />
dadurch behoben sind, dass der ECHO als Preis abgeschafft wurde.<br />
Wenn das Ende des ECHO auch das Ende der Debatte über Antisemitismus<br />
sein sollte, wäre das fatal! Derzeit stehen wir, was den Musikpreis<br />
betrifft, vor einen weißen Blatt Papier. Es ist nicht klar, wer das<br />
Heft in die Hand nehmen wird. Aber uns sollte bewusst sein, dass dieses<br />
leere Blatt nur eine Seite aus einem sehr dicken Buch ist, das viele<br />
Seiten vorher hatte und dem viele Seiten folgen werden.<br />
■<br />
31
K Ü N S T L E R<br />
Ein Gespräch mit<br />
Geiger Ray Chen über<br />
die Macht der Gefühle,<br />
Vinyl-Nostalgie und das<br />
Comedy-Potenzial<br />
einer Waschmaschine<br />
FOTO: TOM DOMS<br />
32 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
„ICH WILL NICHT ALS GENIE ANGEBETET,<br />
SONDERN ALS NORMALER MENSCH<br />
WAHRGENOMMEN WERDEN“<br />
CHARISMATISCHER<br />
BRÜCKENBAUER<br />
Der 29-jährige Geiger Ray Chen fesselt nicht<br />
nur mit musikalischer Perfektion, sondern<br />
erreicht mit einem bunten Mix aus Mode,<br />
Musik und Popkultur über die sozialen Medien<br />
ein großes und vor allem junges Publikum.<br />
VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />
Sie haben eine Karriere im Zeitraffer hingelegt: Mit acht Jahren das erste<br />
Konzert, mit neun Jahren ein Auftritt bei der Eröffnungsfeier der Olympischen<br />
Winterspiele in Nagano, mittlerweile haben Sie etliche Wettbewerbe gewonnen<br />
und veröffentlichen gerade Ihr neues Album. Wie haben Sie Ihre musikalische<br />
Stimme gefunden?<br />
Ray Chen: Das war und ist ein Prozess. Im Laufe seines Lebens durchlebt man<br />
verschiedene Kapitel, und immer wieder ändert sich der Blick auf die Musik. Ich bin<br />
ja in Australien aufgewachsen. Mittlerweile ist Berlin meine europäische Heimat, und<br />
gerade das Kennenlernen der deutschen Sprache war sehr wichtig für mich. Da ist<br />
diese besondere Dynamik und Betonung von einem Wort wie „Ach-tung“. Das zu<br />
hören, war tatsächlich Teil meines Interpretationsprozesses und hat mir sehr dabei<br />
geholfen, die Klangwelt zu verstehen, die die Komponisten bewegt hat. Letzten Endes<br />
ist Musik für mich aber eine universelle Sprache. Vielleicht bin ich ein Idealist, aber<br />
ich versuche, in meinem eigenen Spiel das Beste aus jeder Schule herauszugreifen.<br />
Wo fühlen Sie sich auf der musikalischen Landkarte am wohlsten?<br />
Das ist schwer zu sagen. Es gibt so viel wunderbare Musik von so unterschiedlichen<br />
Menschen. Doch ich glaube, dass sich meine Persönlichkeit am intensivsten im<br />
33
K Ü N S T L E R<br />
Ray Chen möchte<br />
dem Publikum mit<br />
seiner Musik zum<br />
Freund werden.<br />
FOTO: SOPHIE ZHAI<br />
romantischen Repertoire widerspiegelt. Ich bin jemand, der mit<br />
dem Herzen entscheidet und lebt. Mein Vater hat mir immer<br />
gesagt: Es geht nicht darum, Recht zu haben. Es geht nicht um<br />
Logik. Es geht um das Gefühl. Und was für Beziehungen gilt, gilt<br />
bei mir auch für die Musik.<br />
Auf Ihrem neuen Album beschwören Sie die Goldenen 20er-<br />
Jahre und spielen neben dem Violinkonzert von Bruch Stücke<br />
wie Summertime von Gershwin oder Schön Rosmarin von<br />
Kreisler. Wie kam es dazu?<br />
Das Goldene Zeitalter hat mich schon<br />
„ICH LIEBE DEN<br />
NOSTALGISCHEN CHARME<br />
EINER VINYL-SCHALLPLATTE,<br />
DAS LEICHTE KRATZEN DER<br />
NADEL, BEVOR DER ERSTE<br />
TON ERKLINGT“<br />
immer fasziniert. David Oistrach, Fritz<br />
Kreisler, Jascha Heifetz … all die großen<br />
Geiger lebten damals. Das war eine Zeit<br />
voller Kreativität und Atmosphäre! Ich<br />
liebe den nostalgischen Charme einer<br />
Vinyl-Schallplatte und das leichte Kratzen<br />
der Nadel, bevor der erste Ton<br />
erklingt. Es hat großen Spaß gemacht,<br />
mich für das Album ganz in diese Klangwelt<br />
hineinzubegeben.<br />
Sie bespielen einen eigenen Youtube-Kanal, haben über 137.000<br />
Follower auf Facebook und 65.000 auf Instagram. Kaum ein<br />
klassischer Musiker nutzt die sozialen Medien so intensiv wie<br />
Sie. Wird Ihnen das nicht manchmal zu viel?<br />
Das Gute an den sozialen Medien ist ja, dass man selbst entscheiden<br />
kann, wie oft man etwas postet. Fakt ist: Die Welt verändert<br />
sich, und die sozialen Medien sind ein Werkzeug, das wir nicht<br />
einfach so ignorieren können. Wir können natürlich darüber<br />
philosophieren, ob das gut ist oder nicht. Aber wenn man die<br />
sozialen Medien außen vor lässt, dann verliert man eine ganze<br />
Generation! Für mich sind die sozialen Medien eine großartige<br />
Möglichkeit, um gerade jüngere Leute zu erreichen. Dazu muss<br />
man erst einmal ihre Aufmerksamkeit gewinnen. Ich spreche auf<br />
meinem Facebook-Profil über Musik, stelle philosophische<br />
Fragen, trete als Lehrer auf oder mache einfach nur Comedy …<br />
Dann stecken Sie zum Beispiel eine Geige in die Waschmaschine<br />
und holen ein geschrumpftes Exemplar wieder heraus.<br />
Haben Sie da manchmal Sorge, nicht mehr als seriös wahrgenommen<br />
zu werden?<br />
Wir klassischen Musiker sind die ganze Zeit über damit beschäftigt,<br />
möglichst seriös zu wirken. Auf der Bühne will ich das natürlich<br />
auch, und ich würde zum Beispiel nie einen Witz über Bruchs<br />
Violinkonzert machen. Aber ich glaube, dass mich die Menschen,<br />
die mich als Musiker lieben, auch als Person kennenlernen<br />
wollen. Und dazu gehört eben auch mein Humor.<br />
Wie wichtig ist das Publikum für Sie?<br />
Das Publikum begleitet mich Tag für Tag auf meinem Weg und<br />
ist sehr wichtig für mich. Viele Künstler<br />
wollen keine Schwäche zeigen. Ich sehe<br />
das anders. Ich wende mich an mein<br />
Publikum und sage: Was ihr da hört, ist<br />
die beste Version von mir – heute – und<br />
ihr könnt mich begleiten, wenn ich mich<br />
weiterentwickele. Im Laufe dieses<br />
Prozesses wachsen das Publikum und<br />
ich immer enger zusammen. Das<br />
Schlimmste wäre es für mich, stehen zu<br />
bleiben. Sei du selbst, entwickle dich<br />
weiter und kopiere dich nicht – das ist mein Motto. Natürlich<br />
könnte ich auch einfach nur meinen Job machen, auf die Bühne<br />
gehen, spielen und wieder gehen. Aber das ist mir zu wenig.<br />
Welches Ziel verfolgen Sie stattdessen?<br />
Das hat sich geändert. Am Anfang meiner Karriere habe ich<br />
hauptsächlich gespielt und geübt. Mittlerweile denke ich immer<br />
mehr über meine Rolle nach. Warum bin ich hier? Welchen Sinn<br />
hat das, was ich tue? Das beschäftigt mich sehr. Ich will mit der<br />
Musik etwas Größeres erreichen und für die Menschen, die mir<br />
zuhören, zum Freund werden, der versteht, wie sie sich fühlen.<br />
Ich will nicht als Genie angebetet, sondern als normaler Mensch<br />
wahrgenommen werden, der gerne lacht, dem das Üben auch mal<br />
keinen Spaß macht und der intensiv an sich<br />
arbeitet. Im besten Fall kann ich dadurch ein<br />
Vorbild sein.<br />
„The Golden Age“, Ray Chen (DECCA)<br />
■<br />
34 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
HÖREN & SEHEN<br />
Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz<br />
Attila Csampais Auswahl (Seite 36)<br />
crescendo-Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören?<br />
Kein Problem: Auf www.crescendo.de finden Sie unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören!<br />
Christian Tetzlaff<br />
Magische Intimität<br />
Die Einspielung dieser beiden Violinkonzerte fesselt<br />
von der ersten bis zur letzten Note. Christian Tetzlaff<br />
und Hannu Lintu gelingt es, die kaleidoskopische Klangsprache<br />
Bartóks zu ungewöhnlich farbenreichem Leben<br />
zu erwecken. Tetzlaffs Interpretation des Zweiten Konzerts<br />
ist durchgehend impulsiv und inspirierend: Überschäumende<br />
Spielfreude, kraftvolles Temperament,<br />
zartsinnige Melancholie – man wird regelrecht in die<br />
Musik hineingezogen. In der Kantilene zu Beginn des<br />
Ersten Violinkonzerts erzeugt Tetzlaff eine Stimmung<br />
magischer Intimität. Mit außergewöhnlicher Klangschönheit<br />
gestaltet er auch im weiteren Verlauf die<br />
großen Melodiebögen. Alles wirkt wie aus einem Guss<br />
und kommt dem Charakter eines Livekonzerts sehr<br />
nahe. Das Zusammenspiel der Solovioline mit dem feinfühlig<br />
begleitenden Orchester sowie der hervorragende<br />
Klang der Aufnahme machen diese Album zu<br />
einem echten Hörgenuss. Absolut empfehlenswert! AF<br />
SOLO<br />
B. Bartók: „Violin Concertos<br />
Nos 1 & 2“, Christian Tetzlaff,<br />
Hannu Lintu (Ondine)<br />
Track 7 auf der crescendo<br />
Abo-CD: Violinkonzert Nr. 1,<br />
Sz 36. I. Andante<br />
FOTO: GIORGIA BERTAZZI<br />
35
H Ö R E N & S E H E N<br />
Empfehlungen von Attila Csampai<br />
GUTE<br />
UNTERHALTUNG!<br />
… wünscht unser Chefrezensent mit neuen Alben,<br />
die gute Laune verbreiten.<br />
G. F. HÄNDEL:<br />
WATER MUSIC & ROYAL FIREWORKS<br />
La Simphonie du Marais, Hugo Reyne<br />
(Musiques à la Chabotterie)<br />
Händels Wassermusik-Suiten erklangen zum<br />
ersten Mal bei einer Bootsfahrt, die König<br />
George I. am 17. <strong>Juli</strong> 1717 auf der Themse nach<br />
Chelsea unternahm, um dort an einem Abendessen teilzunehmen.<br />
32 Jahre später feierte sein Sohn George II. den Frieden von<br />
Aachen mit einem riesigen Feuerwerk im Londoner Hyde Park, zu<br />
dem der betagte Händel eine weitere prächtige Suite beisteuerte.<br />
Jetzt hat das von dem französischen Flötisten und Oboisten Hugo<br />
Reyne gegründete Barockensemble La Simphonie du Marais beide<br />
Freiluftmusiken in einer Kirche in der Vendée in überschaubarer<br />
Besetzung eingespielt. Und es hat dabei einen neuen Standard an<br />
Frische, Spielfreude und französischer Klarheit gesetzt, der sich<br />
wohltuend abhebt von der Schärfe und Sprödigkeit vieler Originalklang-Konkurrenten,<br />
zugleich aber auch den aufgemotzten<br />
Glanz der älteren Händel-Tradition meidet: So locker, so anmutig<br />
elegant, so tänzerisch beschwingt und farbig hat man diese ewig<br />
jungen Festmusiken selten zu hören bekommen. Zugleich glänzen<br />
seine 28 Topmusiker mit punktgenauer Präzision und einer virtuosen<br />
Rasanz, die in manchen Stücken sogar die Jazz-Gene Händels<br />
freilegt. Höfische Etikette verwandeln sie in swingende Bewegungsmuster<br />
und verbreiten ansteckende positive Energie: Swinging<br />
London vor 300 Jahren!<br />
W. A.MOZART: MASONIC WORKS<br />
John Heuzenroeder, Die Kölner Akadamie,<br />
Michael Alexander Willens (BIS)<br />
Von den Auftragsarbeiten Mozarts für die<br />
Wiener Freimaurer konnte sich nur die Maurerische<br />
Trauermusik im Repertoire halten. Die<br />
acht kürzeren Vokalwerke sind unbekannt.<br />
Lediglich mit der Zauberflöte, seiner populärsten Oper, konnte<br />
sich der Freimaurer Mozart ein dauerhaftes Denkmal setzen. Jetzt<br />
hat die Kölner Akademie unter ihrem Leiter Michael Alexander<br />
Willens alle „echten“ Freimaurer-Musiken Mozarts in einem<br />
Album zusammengefasst und für den Solopart den exzellenten<br />
australischen Tenor John Heuzenroeder verpflichtet. Die zwischen<br />
1784 und 1791 für verschiedene Wiener Logen komponierten<br />
Vokalsätze, die zumeist für Tenor, Männerchor und Instrumentalbegleitung<br />
gesetzt sind, vertonen aktuelle, feierlich-erbauliche<br />
Texte, die die Tugenden, Ideale und die neue brüderliche<br />
Moral des Geheimbundes in den schönsten Farben preisen und<br />
fast als religiöses Ritual zelebrieren. Es fällt auf, dass Mozart die<br />
Sache sehr ernst nimmt und sich hier auf dem Niveau seiner Wiener<br />
Opern bewegt. Die lyrische Emphase der Lieder erinnert an<br />
Opernfiguren wie Belmonte oder Tamino. Den Höhepunkt des<br />
Albums aber bildet die Schauspielmusik zu Thamos aus dem Jahr<br />
1778, die als dramatische Sturm-und-Drang-Sinfonie durchgehen<br />
könnte und die hier von der hochmotivierten Kölner Truppe mit<br />
glasklar durchgezeichneter, attackierender Verve unter Strom<br />
gesetzt wird: So rabiat klingt Mozart selten.<br />
GERSHWIN, COPLAND, CARTER U. A.:<br />
I GOT RHYTHM<br />
David Lively (La Musica)<br />
David Livelys Karriere verlief atypisch. Der<br />
1953 in Ohio geborene Pianist gab bereits mit<br />
14 sein US-Orchesterdebüt, übersiedelte aber<br />
bereits mit 16 nach Paris, wo er seinen neuen<br />
Lebensmittelpunkt fand: Er wurde Franzose, unterrichtete am<br />
Pariser Konservatorium, blieb aber im Herzen eng mit seiner<br />
alten Heimat verbunden. Seine US-Gene prägen jetzt eine vor<br />
Spielfreude überquellende Revue amerikanischer Klaviermusik,<br />
die in 28 ausgewählten Miniaturen den alles entscheidenden Einfluss<br />
der afroamerikanischen Musikkultur, also des Blues und<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
36 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
des Jazz, bei neun „seriösen“ Komponisten von Gottschalk,<br />
Gershwin, über Copland, Barber, Carter und Ives bis zu den<br />
postmodernen Zeitgenossen Albright und Bolcom nachspürt.<br />
Im Mittelpunkt stehen zwölf Evergreens aus dem legendären<br />
Songbook George Gershwins, die Lively in den lakonisch-kurzen<br />
Originalversionen und mit einer für die Roaring Twenties<br />
typischen marionettenhaft-eckigen Ragtime-Attacke dem Hörer<br />
so aufreizend und trocken-prägnant um die Ohren schlägt, dass<br />
man wie von Taranteln gestochen unweigerlich mittanzen<br />
möchte. Das ist das Gegenteil von zuckersüßer Nostalgie, vielmehr<br />
eine elektrisierende, rigoros klare, lustvoll sprühende<br />
Wiederbelebung der subversiven Energien dieser niemals alternden<br />
Musik: simply irresistible!<br />
TOLDRÀ, RESPIGHI, KOMITAS, ROTA:<br />
SOUTHERN TUNES<br />
Ensemble Esperanza (Ars Produktion)<br />
Das Ensemble Esperanza ist ein international<br />
besetztes junges Streichorchester, das erst<br />
Ende 2015 in Liechtenstein gegründet wurde<br />
und das schon ein Jahr später mit seinem<br />
Debütalbum „Nordic Suites“ weltweit für Furore sorgte. Die mit<br />
15 Damen und vier Herren im Alter von 17 bis 29 Jahren besetzte<br />
Formation unter der Leitung der französischen Top-Geigerin<br />
Chouchane Siranossian hat jetzt seine zweite SACD veröffentlicht.<br />
Und wieder verzaubert sie auf Anhieb durch ihre Präzision,<br />
ihre warme sinnliche Klangkultur und ein jugendliches Feuer,<br />
das geballte positive Energie verströmt. Diesmal wendet das<br />
Ensemble den Blick nach Süden und hat die erst vor Kurzem entdeckte<br />
Suite per archi Respighis und das 1966 komponierte Concerto<br />
per archi von Nino Rota mit kaum bekannten Werken der<br />
Katalanen Eduard Toldrà (<strong>18</strong>95–1962) und des armenischen<br />
Komponisten Komitas (<strong>18</strong>69–1935) kombiniert. Beide Funde<br />
beschwören mit klassizistischer Eleganz die musikalischen Traditionen<br />
ihrer Regionen, wobei die magischen Miniaturen des<br />
vergessenen Armeniers intime Einblicke geben in eine fast ausgelöschte<br />
Kultur. Ein weiteres Top-Album einer mehr als hoffnungsvollen<br />
Formation.<br />
ACTITUD TANGUERA<br />
Luis Bacalov (Urania Records)<br />
Im November 2017 starb in Rom der große<br />
argentinische Filmkomponist Luis Bacalov.<br />
Er schrieb die Musik zu zahlreichen Italo-<br />
Western, aber auch zu Fellinis Stadt der<br />
Frauen, zu Pasolinis Matthäus-Passion und<br />
zu Radfords The Postman. Seine besondere Liebe galt dem argentinischen<br />
Tango, dem er diverse großformatige Werke widmete.<br />
Zwei Jahre vor seinem Tod spielte Bacalov im Alter von acht Jahren<br />
bei einem kleinen italienischen Musikfestival ein Klavierrecital<br />
mit einer Auswahl seiner liebsten Tangos und spannte<br />
einen Bogen von den „Klassikern“ wie Ignacio Cervantes und<br />
Isaac Albéniz über Carlos Gardel und Angel Villoldo bis zu den<br />
Reformern Astor Piazzolla, Ennio Morricone und ihm selbst. Es<br />
ist eines der schönsten, bewegendsten, musikalisch und pianistisch<br />
herausragendsten Tango-Alben, die ich je gehört habe, eine<br />
faszinierende Traumreise in den Seelenkern des Tango, dargeboten<br />
mit einer Zärtlichkeit, einer schneidigen Eleganz, einer<br />
schlackenlosen Prägnanz und einer inneren Glut, die einen vom<br />
ersten Akkord an fesselt, elektrisiert und fast zu Tränen rührt.<br />
Es ist unfassbar, welche humanen Lebensenergien der exzellente<br />
Pianist Bacalov diesen Miniaturen abtrotzt, wie er ohne jegliche<br />
Attitüde, ganz geradlinig und punktgenau die Leidenschaft, das<br />
Drama und den Schmerz des Tango auf seinem Steinway choreografiert<br />
und dabei immer nobel, präzis und gespannt bleibt: eine<br />
Sternstunde, ohne jeden Zweifel.<br />
STÄNDCHEN DER DINGE.<br />
„GEHT ES IMMER SO WEITER?“<br />
Franui (col legno)<br />
Mit herkömmlicher, seicht dröhnender<br />
Volksmusik hat Franui nichts zu tun. Die<br />
1993 in einem Osttiroler Bergdorf gegründete<br />
„Musicbanda“ adaptiert mit Vorliebe klassisches<br />
Liedgut von Schubert und Mahler und befreit sie mit der<br />
rustikalen Besetzung von sieben Bläsern, Zither, Hackbrett und<br />
Geige von allem zivilisatorischen Müll, von allem Konzertsaal-<br />
Mief. Zum 25. Jubiläum ziehen die zehn Bergvirtuosen eine Art<br />
Bilanz: Es ist eine aufregende Nabelschau mit rezitierenden Gästen,<br />
Erfolgstiteln und unveröffentlichten Raritäten – kurzum,<br />
der ganze Horizont ihres himmelblauen Alpenpanoramas. Trauermarsch<br />
und Polka bilden den Lebensrahmen dieser glasklaren,<br />
hart konturierten Musikkultur – „denn wenn man einen Trauermarsch<br />
viermal so schnell spielt, wird er zu einer Polka“. Bald<br />
merkt man, dass der bäuerliche Sound den wahren subversiven<br />
Kern der Truppe nur schützt und wie eine Tracht ihre ungezügelte<br />
Fantasie bemäntelt. So entsteht bei Franui aus der Asche<br />
der längst verbrannten „Volksmusik“ eine völlig neue Art von<br />
artifizieller Archaik, die auf raffinierte Weise Authentisches aus<br />
den unterschiedlichsten Quellen zusammenbraut: Dieser Zaubertrank<br />
berauscht und elektrisiert und verpasst dem geschundenen<br />
Genre einen unglaublichen Qualitätsschub.<br />
J. S. BACH: DIE KUNST DER FUGE<br />
Austrian Art Gang (Gramola)<br />
Von Bachs spätem Gipfelwerk Die Kunst der<br />
Fuge gibt es eine Unzahl von Adaptionen,<br />
aber eine Jazzversion war mir bisher nicht<br />
bekannt: Fünf klassisch ausgebildete österreichische<br />
Topmusiker, The Austrian Art<br />
Gang, haben nach langer Vorbereitung das Experiment gewagt,<br />
Bachs kunstvollsten Kontrapunkt-Zyklus in eine intim anmutende<br />
Kammermusiksphäre von Gitarre, Fagott, Cello, Kontrabass<br />
und wechselnden Vertretern der Saxofon- und Klarinettenfamilie<br />
zu versetzen und dabei diese Exempel der Strenge und<br />
Komplexität ganz zärtlich und respektvoll mit Leben zu füllen.<br />
Durch feine, behutsam eingearbeitete Improvisationslinien<br />
lockern sie in acht ausgewählten Fugen die engen Fesseln des<br />
strengen Kontrapunkts und verleihen den nunmehr frei atmenden<br />
Einzelstimmen menschliche Züge, ohne aber die strukturelle<br />
Logik von Bachs Architekturen anzutasten. So entsteht ein<br />
neues, sehr intimes und innerlich pulsierendes Spannungsfeld<br />
von Form und Freiheit, von Struktur und Impuls und eine Art<br />
menschlich durchlebter, atmender Kontrapunkt: Man spürt so<br />
in besonderer Weise die spirituelle Tiefe und die humane Kraft<br />
dieser Musik.<br />
37
H Ö R E N & S E H E N<br />
Nils Mönkemeyer<br />
Barocke Tiefe<br />
Sie scheint direkt mit der Seele zu sprechen, die barocke<br />
Bratsche. Mit warmem Klang und leiser Melancholie hat Nils<br />
Mönkemeyer auf seinem Instrument Werke eingespielt, die<br />
ursprünglich für Gitarre, Laute oder Theorbe gedacht waren.<br />
Der Bratschist knüpft wunderbar an die barocken Traditionen<br />
an und bringt in den Kompositionen von Robert de<br />
Visée, Johann Sebastian Bach, Silvius Leopold Weiss und<br />
Michel Lambert dennoch sein ganz eigenes Klangverständnis<br />
zum Ausdruck. Eine reizvolle Ergänzung erfährt das Album<br />
durch die Sopranistin Dorothee Mields, den Lautisten<br />
Andreas Arend sowie Sara Kim und Niklas Trüstedt an Bratsche<br />
und Gambe, mit denen Nils Mönkemeyer versierte<br />
Alte-Musik-Spezialisten um sich versammelt hat. So sind die<br />
Aufnahmen von einem tiefen Verständnis für die Feinheiten<br />
einer gelungenen historischen Aufführungspraxis durchdrungen,<br />
die das barocke Album zu einer durch und durch runden<br />
Sache machen. KK<br />
Bach, Lambert, de Visée, Weiss: „Baroque“,<br />
Nils Mönkemeyer, Dorothee Mields, Andreas Arend,<br />
Sara Kim, Niklas Trüstedt (Sony)<br />
FOTO: IRENE ZANDEL<br />
SOLO<br />
Jacqueline du Pré und Mstislav Rostropovich<br />
Cello-Exzess<br />
Zwei legendäre Cellisten als Interpreten zweier monumentaler Cellokonzerte<br />
auf einem Album. Doch das Spannendste daran: Es sind nicht<br />
die berühmt gewordenen perfektionierten Studioaufnahmen. Diese beiden<br />
1962 entstandenen Konzertmitschnitte haben vor allem eines<br />
gemein: ihre Emotionsgeladenheit. Die gerade einmal 17-jährige Jacqueline<br />
du Pré studierte zum Zeitpunkt der Aufnahme bei Paul Tortelier in<br />
Paris. Und so spielte sie an diesem Abend in der Londoner Royal Festival<br />
Hall auch die von ihm komponierte Kadenz zum Schumann-Konzert, die<br />
in der berühmteren Version von 1968 nicht mehr zu hören ist. Du Prés<br />
Spiel ist bereits unverkennbar: Voller Energie und mit einer gehörigen<br />
Portion Risiko stürzt sich die junge Cellistin in Schumanns Klangwelt,<br />
dabei geht durchaus nicht alles glatt, aber gerade das versprüht einen<br />
besonderen Reiz. Mit gleicher Verve ist Mstislav Rostropovich als Solist<br />
des Dvořák-Konzerts im Mitschnitt einer Radioübertragung vom Edinburgh<br />
Festival 1962 zu hören. Geradezu massiv erscheint der berühmte<br />
erste Celloeinsatz, die groß angelegten Spannungsbögen erlauben kein<br />
Weghören. Auffallend sind die flott gewählten Tempi. Auch in der Zugabe,<br />
der Aria aus Villa-Lobos’ Bachianas Brasileiras reißt der Cello-Gigant seine<br />
Frau, Sopranistin Galina Vischnevskaja, mit in eine<br />
energiesprudelnde Interpretation. Beinahe<br />
wünscht man sich, dass dieser Exzess wieder ein<br />
wenig mehr in Mode kommen möge. SK<br />
R. Schumann: „Cello Concerto in A minor“, A. Dvořák: „Cello<br />
Concerto in B minor“, Jacqueline du Pré, Mstislav Rostropovich<br />
(ICA Classics)<br />
Jonathan Crow, Douglas McNabney,<br />
Matt Haimovitz<br />
Kontemplative Innigkeit<br />
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
Das Album mit Mozarts Divertimento für Streichtrio<br />
und seinen Preludes to Bach widmet sich der Tonsprache<br />
des Komponisten auf ausgesprochen intime Art und<br />
Weise. Mit kontemplativer Innigkeit und wacher Sensibilität<br />
durchdringen Jonathan Crow an der Geige, Douglas<br />
McNabney an der Bratsche und Matt Haimovitz am<br />
Cello die verschiedenen Schöpfungen und leuchten<br />
ihren filigranen Klangkosmos eindrucksvoll aus. Dabei<br />
ziehen die drei Musiker mit einem fein austarierten<br />
Trioklang und großer Präsenz im kammermusikalischen<br />
Dialog in den Bann und zeugen in ihrem Spiel von<br />
ebenso großer Demut wie tiefsinniger Ausein an dersetzung<br />
mit den besonderen Werken. Nicht die brillante<br />
Außenwirkung und bravouröse Virtuosität stehen<br />
hier im Vordergrund. Vielmehr richtet das Trio den<br />
Blick konzentriert nach innen und durchdringt die polyfonen<br />
Kompositionen mit bestechender Ernsthaftigkeit<br />
und Tiefe. DW<br />
„Mozart Divertimento & Preludes to<br />
Bach“, Jonathan Crow, Douglas McNabney,<br />
Matt Haimovitz (Pentatone)<br />
Track 2 auf der crescendo Abo-CD:<br />
Fuge VIII, WTC I. Aus: Präludien und<br />
Fugen KV 404a<br />
38 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Peter Kofler<br />
Im Orgelversum<br />
Darth Bach im Orgelversum – so „spacig“ sieht das Cover der<br />
Gesamteinspielung aller Orgelwerke des Thomaskantors durch den<br />
Münchner Organisten Peter Kofler aus. Und Folge zwei der Einspielung<br />
beweist: Kofler spielt absolut solide, virtuos, brillant – und<br />
zuweilen überraschend. Bachs Bearbeitung des d-Moll-Konzerts von<br />
Antonio Vivaldi durcheilt er unfassbar flott, drei Choralvorspiele<br />
über Nun kommt der Heiden Heiland dagegen präsentiert er äußerst<br />
gravitätisch. Was aber stets deutlich wird: Koflers in vielen Details<br />
sehr differenzierte Interpretationen sind durchdacht, stringent, aus<br />
einem Guss. Wirklich „spacig“ ist dagegen die Aufnahmetechnik:<br />
10-kanaliges Auro 3D. Das klingt himmlisch, aber Stereo tut’s auch. In<br />
jedem Fall ist alles glasklar durchhörbar, denn die Balance von Instrument<br />
und Raum ist trotz der extrem halligen<br />
Akustik ausgezeichnet. GK<br />
J. S. Bach: „Opus Bach“, Peter Kofler (Horos, IFO Classics)<br />
Track 4 auf der crescendo Abo-CD:<br />
Triosonate C-Dur, BWV 529. II. Largo<br />
SOLO<br />
Martin Klett<br />
Zwischen Tango und Chopin<br />
Die Tonsprache des Komponisten Carlos Guastavino (1912–2000) ist<br />
unbeeinflusst von der Moderne. In seinen Werken verwebt der<br />
Argentinier Einflüsse von Komponisten wie Chopin, Debussy oder<br />
Rachmaninow mit Elementen argentinischer Folklore. Der deutsche<br />
Pianist Martin Klett (*1987) hat nun einige seiner Stücke ausgewählt<br />
und zusammen mit Sergei Rachmaninows Zweiter Klaviersonate in der<br />
überarbeiteten Version von 1931 eingespielt. Darunter finden sich<br />
eine Sonatine sowie eine Reihe von folkloristisch geprägten Cantos,<br />
„Liedern ohne Worte auf Argentinisch“, wie sie Klett treffend<br />
bezeichnet. Das ist originelle Musik, die zwischen Kunst und Unterhaltung<br />
pendelt, was ihren speziellen Reiz ausmacht. Klett interpretiert<br />
sie mit dem nötigen Tangoschwung, zeigt jedoch auch hohe<br />
Klangkultur und kantables Linienspiel, wenn es verlangt wird. Auch<br />
die Deutung von Rachmaninows hochvirtuoser<br />
Zweiter Klaviersonate überzeugt durch kultiviert<br />
temperamentvolles Spiel in den Ecksätzen<br />
und einen lyrisch schlichten Ton im<br />
langsamen Satz. MV<br />
„Gustavino, Rachmaninoff“, Martin Klett (SWR2)<br />
Münchner Philharmoniker<br />
Magische<br />
Klangrede<br />
ORCHES-<br />
TER<br />
In seinen beiden letzten Orchesterwerken, dem<br />
1943 entstandenen Konzert für Orchester und in dem<br />
kurz vor seinem Tod (fast) vollendeten Klavierkonzert<br />
Nr. 3 hat Béla Bartók ein durchaus versöhnliches und<br />
hoffnungsvolles Resümee seiner musikalischen<br />
Ästhetik und seiner tief humanen, völkerverbindenden<br />
Botschaft gegeben: Beide verdichten die<br />
Weite seines musikalischen Horizonts und die Tiefe<br />
seiner Empfindung in verständliche, auf festem<br />
Boden stehende und doch magische Klangrede. Jetzt<br />
hat der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado<br />
beide Werke mit den Münchner Philharmonikern<br />
eingespielt und seinem Landsmann Javier Perianes<br />
den Klavierpart anvertraut: Sie bieten einen ganz<br />
neuen, feinsinnig differenzierten, prägnant frischen,<br />
vom beschwörenden Pathos ungarischer Interpreten<br />
klar abgesetzten Blick auf Bartóks komplexe Strukturen<br />
und lassen so auch den Klangfarbenzauber, die<br />
filigrane Feinmechanik und Bartóks abgeklärtes Spiel<br />
mit dem sinfonischen und konzertanten Vokabular<br />
präzise und doch beseelt aufleuchten: Man spürt<br />
hier, wie sich in Vorahnung seines nahenden Endes<br />
Hoffnung, Verzweiflung und Sehnsucht empfindsam<br />
vermischen. Perianes’ Noblesse und schlichte Klarheit<br />
verleihen dem Klavierkonzert fast Mozart’sche<br />
Wahrhaftigkeit. AC<br />
Béla Bartók: „Konzert für Orchester, Klavierkonzert Nr. 3“, Javier Perianes, Münchner Philharmoniker, Pablo Heras-Casado (Harmonia Mundi)<br />
Track 8 auf der crescendo Abo-CD: Orchesterkonzert BB 123, Sz 116. III. Elegia. Andante non troppo<br />
Lika Bibileishvili<br />
Hinreißend musiziert<br />
Die junge, in München lebende Georgierin Lika Bibileishvili debütiert<br />
bei Farao Classics mit einem hoch anspruchsvollen Programm:<br />
Prokofjews 6. Sonate, Ravels Gaspard de la nuit und den<br />
Sonaten von Sibelius und Bartók. Am wunderbarsten gelingen die<br />
zehn aus Opus 76 ausgewählten Stücke von Jean Sibelius. Hier<br />
offenbart sich Bibileishvili nicht nur als makellose Pianistin, sondern<br />
als innig beseelte, flexibel sich verwandelnde, schalkhafte und<br />
feinsinnige Musikerin. Selten hört man diese unterschätzten Miniaturen<br />
so hinreißend charakteristisch musiziert! Bei Prokofjew und<br />
Bartók, und vor allem bei Ravel, stellt sich noch kein bezwingendes<br />
Gesamterleben der größeren Formen ein. Auch das ist pianistisch<br />
auf sehr hohem Niveau gespielt, und sie steht dabei vielen,<br />
die bereits Karriere gemacht haben, in nichts nach. Doch bei ihrer<br />
Sensitivität und Unmittelbarkeit ist<br />
Großes zu erhoffen. CS<br />
SOLO<br />
FOTO: PRIVAT<br />
„Prokofjew, Ravel, Sibelius, Bartók“, Lika Bibileishvili<br />
(Farao Classics)<br />
Track 3 auf der crescendo Abo-CD: Gaspard de la Nuit.<br />
III. Scarbo von Ravel<br />
39
H Ö R E N & S E H E N<br />
FOTO: SIMON FOWLER<br />
SOLO<br />
Renaud Capuçon<br />
Betörender Bartók<br />
Unglücklich in die Geigerin Stefi Geyer verliebt, komponierte<br />
Béla Bartók als Student zwischen 1907 und 1908<br />
sein erstes Violinkonzert. Genau 30 Jahre später schrieb<br />
er ein zweites Konzert, das zu den besten seiner Gattung<br />
gerechnet wird. In einer neuen Aufnahme mit dem London<br />
Symphony Orchestra unter seinem Ersten Gastdirigenten<br />
François-Xavier Roth nähert sich der französische<br />
Violinvirtuose Renaud Capuçon beiden Stücken mit berückender<br />
Sensibilität. Das leidenschaftliche Jugendwerk<br />
des Komponisten interpretiert der Solist mit zartem<br />
lyrischen Schmelz. In dem späteren Werk, in dem Bartók<br />
auch mit Zwölftonreihen experimentiert, kontrastieren<br />
kantable, von Melancholie geprägte Passagen mit vehementen,<br />
schroffen Ausbrüchen. Besonders eindrücklich<br />
gestaltet Capuçon den langsamen Variationssatz<br />
Andante tranquillo – Allegro scherzando – Tempo I, in<br />
dem der Klang seines Instruments eine intensive<br />
Strahlkraft entfaltet. CK<br />
Béla Bartók: „Violin Concertos Nos. 1 & 2“, Renaud Capuçon,<br />
London Symphony Orchestra, François-Xavier Roth (Erato)<br />
Breslauer Philharmonie<br />
Pärts<br />
Ästhetik-Zeitreise<br />
ORCHES-<br />
TER<br />
Diese erste Gesamteinspielung der vier Sinfonien<br />
von Arvo Pärt ist eine ästhetische Zeitreise. Die<br />
ersten beiden (1963, 1966) schrieb Pärt noch von<br />
Zwölftonmusik beeinflusst, doch findet sich<br />
inmitten kunstvoller Kontrapunktik (Nr. 1) schon<br />
ein langsamer Spannungsaufbau, der an Schostakowitsch<br />
und den späteren Pärt erinnert. Der<br />
Mittelsatz der Zweiten Sinfonie klingt wie die<br />
Karikatur einer „modernen“ Komposition. Doch<br />
endet die Sinfonie nach krabbelnder, wuselnder<br />
Musik mit einem unironischen Tschaikowsky-<br />
Zitat geradezu harmoniesüchtig. Die Sinfonien<br />
drei und vier entstanden nach Pärts religiöser wie<br />
ästhetischer Wende. Auf Sozialistischen Realismus<br />
pfiff Pärt schon immer, nun auch auf die<br />
Avantgarde. Die populäre, schlichte Dritte (1971)<br />
bedient sich gregorianischer Stilmittel. In der<br />
Vierten (2008) heben und senken sich große<br />
Klangflächen langsam, wie ein großes, aber<br />
ruhiges Schiff auf hoher See, allen Stürmen trotzend.<br />
Der mit diesen Aufnahmen betraute Freund<br />
Pärts, Tõnu Kaljuste, nimmt die vier Werke „wie<br />
eine einzige, große Symphonie“: deswegen die<br />
fließenden Übergänge zwischen den Tracks. Das<br />
Breslauer Orchester kann sich mit jeder Konkurrenz<br />
messen . JL<br />
Arvo Pärt: „The Symphonies“,<br />
NFM Wrocław Philharmonic,<br />
Tõnu Kaljuste (ECM New Series)<br />
Lucas & Arthur Jussen<br />
Hommage an<br />
Willemsen<br />
Viele Kinder kennen und lieben ihn: den<br />
Karneval der Tiere. In der Version, die Katja<br />
Riemann mit dem hervorragenden niederländischen<br />
Klavierduo Lucas und Arthur<br />
Jussen und Mitgliedern des Concertgebouw-Orchesters<br />
Amsterdam veröffentlicht<br />
hat, richtet er sich hingegen eher an<br />
erwachsene Zuhörer. Saint-Saëns’ Zwischentexte<br />
nämlich werden hier durch<br />
Verse des 2016 verstorbenen Roger<br />
Willemsen ersetzt. Riemann – einst eng<br />
mit Willemsen befreundet – trägt dessen<br />
pointenreiche Miniaturen, in denen Tiere<br />
und Menschen augenzwinkernd porträtiert<br />
werden, engagiert und nuancenreich<br />
vor. Nun muss man diese Art von Lyrik, bei<br />
der „Kieler Sprotte“ auf „Gavotte“ und<br />
„pro forma“ auf „Nessun dorma“ gereimt<br />
wird, freilich mögen; spätestens dem finalen<br />
Aufruf zur Offenheit gegenüber allen<br />
Musikstilen und Epochen aber kann man<br />
nur zustimmen. Und in musikalischer Hinsicht<br />
ist das Album definitiv ein Genuss! JH<br />
Als neuer Abonnent erhalten<br />
Sie diese CD (siehe S. 80)<br />
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
Camille Saint-Saëns: „Der<br />
Karneval der Tiere“, Katja<br />
Riemann, Lucas & Arthur<br />
Jussen (Deutsche Grammophon)<br />
OPER<br />
Wiener Staatsoper<br />
Großer Bahnhof für<br />
die alte Dame<br />
So trotzig „antimodern“ Gottfried von<br />
Einems Dürrenmatt-Vertonung bei der<br />
Uraufführung an der Wiener Staatsoper<br />
1971 auch geklungen haben mag, so wirksam<br />
ist sie bis heute geblieben – als atmosphärische,<br />
das Drama verstärkende Theatermusik,<br />
die großen Singschauspielern Raum<br />
zur Entfaltung bietet. Und solche waren<br />
unter Horst Stein wahrlich versammelt:<br />
Hans Beirers heldentenorale Bürgermeisteransprachen<br />
wackeln passend zwischen<br />
Realismus und Parodie hin und her, Hans<br />
Hotter und Manfred Jungwirth steuern als<br />
Lehrer und Pfarrer Wotan-Autorität und<br />
öliges Salbadern bei, Heinz Zednik brilliert<br />
mit anklagender Schärfe, Eberhard<br />
Waechter verleiht dem Ill angestrengtflehentlichen<br />
Wohlklang – und über allem<br />
schwebt die vibrierende, spöttisch unterfütterte<br />
Sinnlichkeit von Christa Ludwig, eine<br />
keineswegs alt klingende Claire Zachanassian.<br />
Ein faszinierendes Dokument zu Einems<br />
Hunderter und Ludwigs Neunziger. WW<br />
G. v. Einem: „Der Besuch<br />
der alten Dame“, Christa<br />
Ludwig, Eberhard<br />
Waechter, Heinz Zednik,<br />
Hans Hotter, Manfred Jungwirth,<br />
Orchester der Wiener<br />
Staatsoper, Horst Stein<br />
(Orfeo)<br />
40 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
OPER<br />
Radio-Symphonieorchester Wien<br />
Feinsinniges<br />
Beziehungsdrama<br />
Bertrand de Billys Sicht auf Puccinis ersten Teil<br />
des Trittico steht dem Tristan weitaus ferner als<br />
andere Aufnahmen. Ganz abgesehen davon,<br />
dass der 2016 viel zu früh verstorbene Johan<br />
Botha einen bei aller Leidenschaft auch feinstimmigen<br />
Arbeiter Luigi gibt: Die Tragödie<br />
vollzieht sich hier packend, auch weil das ORF-<br />
Radio-Symphonieorchester Wien Puccinis<br />
Modernität in der düsteren Milieustudie auf<br />
dem Seine-Schleppkahn pointiert ausspielt. Die<br />
vielen Details, aus denen der Walzer, der Liederverkäufer<br />
und das Liebespaar das Beziehungsdrama<br />
mit dem so fernen schöneren Pariser<br />
Leben durchduften, bekommen allen Stimmen<br />
bestens. Elza van den Heever gibt eine<br />
noch mädchenhafte Giorgetta, also darf sogar<br />
Wolfgang Koch als Michele neben heldischhochdramatischen<br />
Tönen mit hier ungewohnter<br />
Lyrik leiden. Bei aller Kraft für die eruptiven<br />
Melodien besticht die Aufnahme vor allem<br />
durch feinstufige Geschmeidigkeit. DIP<br />
G. Puccini: „Il tabarro“, Johan<br />
Botha, Elza van den Heever,<br />
Wolfgang Koch, Wiener Singakademie,<br />
ORF Vienna Radio<br />
Symphony Orchestra, Bertrand<br />
de Billy (Capriccio)<br />
Track 10 auf der crescendo<br />
Abo-CD: T’ho colto!<br />
Katharina Konradi<br />
Gedankenvoll<br />
„Gedankenverloren“ heißt das Debütalbum<br />
der Sopranistin Katharina Konradi.<br />
Darauf widmet sie sich einer Auswahl<br />
von Liedern von der Romantik bis ins<br />
20. Jahrhundert. Diese Lieder sind teilweise<br />
seit ihrer Schulzeit Wegbegleiter<br />
der Sopranistin. Sie ist jung und trägt deshalb<br />
das Nachwuchs-Etikett. Umso unbefangener<br />
kann man sich für die Musik dieser<br />
Aufnahme öffnen, es lohnt sich!<br />
„Gedankenverloren“ ist ein guter Titel<br />
für den Liederabend „zu Hause“: Vom<br />
Programm und den so ruhig geführten<br />
und im besten Sinne eindeutigen Interpretationen<br />
– am Klavier wird Konradi<br />
von Gerold Huber begleitet – kann man<br />
sich wunderbar in andere Gedankenwelten<br />
entführen lassen. Andererseits<br />
muten Titel und Programm für ein<br />
Debüt album fast schon zu bescheiden an:<br />
Ja, Katharina Konradi ist jung, auch ihre<br />
Stimme, aber dafür wirkt sie unverfälscht,<br />
authentisch, anziehend – und<br />
schlichtweg zuhörensbegehrenswert. UH<br />
Schubert, Krenek,<br />
Strauss, Trojahn u. a.:<br />
„Gedankenverloren“,<br />
Katharina Konradi,<br />
Gerold Huber (Genuin)<br />
GESANG<br />
Mary-Ellen Nesi<br />
Griechische<br />
Girlpower<br />
Auf ihrem neuen Soloalbum „Archetypon“ hat<br />
sich Mary-Ellen Nesi mit dem Mythos der Primadonna<br />
auseinandergesetzt und spürt gemeinsam<br />
mit dem Ensemble Armonia Atenea unter der<br />
Leitung von George Petrou den Einflüssen der<br />
griechischen Tragödie nach, die sowohl die<br />
Barockzeit als auch die frühe Klassik musikalisch<br />
geprägt hat. Dafür schlüpft die griechische Mezzosopranistin<br />
in die Rollen faszinierender Frauengestalten,<br />
denen sie eine große Portion Charisma<br />
einhaucht, indem sie ihre beeindruckende stimmliche<br />
Wandlungsfähigkeit voll ausschöpft. Die<br />
musikalischen Handschriften von Georg Friedrich<br />
Händel und Christoph Willibald Gluck werden<br />
durch Arien von Andrea Stefano Fiorè, Luigi Cherubini,<br />
Johann Adolf Hasse, Giovanni Paisiello und<br />
Nicola Antonio Porpora ergänzt, sodass ein komplexer<br />
Eindruck der musikalischen Auseinandersetzung<br />
mit der Antike im <strong>18</strong>. Jahrhundert entsteht.<br />
Mary-Ellen Nesi erweist sich als glänzende<br />
Vermittlerin des spannenden Sujets. KK<br />
Händel, Cherubini, Porpora u. a.:<br />
„Archetypon“, Mary-Ellen Nesi,<br />
Armonia Atenea, George Petrou<br />
(MDG)<br />
Track 5 auf der crescendo<br />
Abo-CD: Non vi turbate, no. Aus:<br />
Alceste von Gluck<br />
Bestbesetzung<br />
Mehr als 80 Engelmusikanten mit ihren legendären<br />
elf weißen Punkten auf grünen Flügeln gehören<br />
zum weltberühmten Grünhainichener Orchester.<br />
Kult seit 1923. Zum Sammeln und Verschenken.<br />
Damit das Konzerterlebnis nie zu Ende geht.<br />
Erhältlich über autorisierte Fachhändler auf dem<br />
Online-Marktplatz von Wendt & Kühn unter<br />
WWW.WENDT-KUEHN.DE<br />
Wendt & Kühn KG<br />
Chemnitzer Str. 40 · 09579 Grünhainichen<br />
Telefon (037294) 86 286
H Ö R E N & S E H E N<br />
Marie-Elisabeth Hecker<br />
Schmerz und<br />
Sehnsucht<br />
Wer sich entscheidet, Edward Elgars Cellokonzert<br />
einzuspielen, läuft stets Gefahr, mit der<br />
unvergessenen Aufnahme der jungen Jacqueline<br />
du Pré verglichen zu werden, die das spätromantische<br />
Werk 1965 wieder populär machte.<br />
Das Konzert sei „ein Schwanengesang, von<br />
seltener und vergänglicher Schönheit“ urteilte<br />
der Kritiker Neville Cardus. Zum Glück ist<br />
diese Schönheit nur so vergänglich, dass es immer<br />
wieder gelingt, sie zu erwecken. Cellistin<br />
Marie-Elisabeth Hecker vermag dies auf ihrer<br />
neuen Aufnahme hervorragend. In Kombination<br />
mit dem selten gespielten Klavierquintett,<br />
das mit hochkarätigen Kammermusikpartnern<br />
besetzt ist, gelingt ihr ein feinsinniges Porträt<br />
des späten Elgar. Die beiden Stücke sind seine<br />
letzten vollendeten Werke, beide entstanden<br />
im Frühjahr 1919, einer schweren Zeit im Leben<br />
des Komponisten. Seine Frau war schwer<br />
krank und der Erste Weltkrieg hatte ihn stark<br />
mitgenommen. Diese Musik ist der Schwanengesang<br />
eines Mannes, der voller Schmerz und<br />
Sehnsucht zurückblickt – und hier unglaublich<br />
durchdringend interpretiert wird. SK<br />
E. Elgar: „Cello Concert, Piano<br />
Quintet“, Marie-Elisabeth<br />
Hecker, Antwerp Symphony<br />
Orchestra (Alpha)<br />
Track 6 auf der crescendo<br />
Abo-CD: Sospiri, op. 70<br />
Lili Boulanger<br />
Vergessene<br />
Komponistin<br />
Der 100. Todestag<br />
von Claude Debussy<br />
steht in diesem Jahr<br />
weltweit im Fokus.<br />
Weitaus weniger<br />
Aufmerksamkeit<br />
erhält Lili Boulanger,<br />
die 19<strong>18</strong> im Alter<br />
von nur 24 Jahren starb. Dabei hielt der<br />
Dirigent Igor Markevitch sie sogar für die<br />
„größte Komponistin der Musikgeschichte“.<br />
Für das Label Carus haben das Orpheus<br />
Vokalensemble und der Pianist Antonii<br />
Baryshevskyi unter Leitung von Michael<br />
Alber mystische Chorwerke und an Klangfarben<br />
reiche Klavierstücke aufgenommen.<br />
Boulanger ließ vom Symbolismus inspirierte<br />
Landschaften erstehen, in denen sich flötespielende<br />
Hirten und Sirenen tummeln. Subtil<br />
perlende Melodien verraten den Einfluss<br />
zeitgenössischer Vorbilder wie Debussy.<br />
An dessen Klavierkomposition La cathédrale<br />
engloutie aus dem ersten Band seiner<br />
Préludes erinnern die dramatischen Steigerungen<br />
in Boulangers Hymne au soleil. Dieses<br />
Album lädt dazu ein, das eindrucksvolle<br />
Oeuvre einer viel zu wenig beachteten<br />
Künstlerin zu entdecken. CK<br />
Lili Boulanger: „Hymne au Soleil“, Orpheus Vokalensemble,<br />
Antonii Baryshevskyi, Michael Alber (Carus)<br />
SOLO<br />
Caroline Goulding<br />
Wunderkinder<br />
unter sich<br />
Wolfgang Amadeus<br />
Mozart ist das beliebteste<br />
Wunderkind der<br />
Musikgeschichte. Gut<br />
150 Jahre nach seinem<br />
Tod wurde dem jungen<br />
Erich Wolfgang Korngold<br />
in Wien ebenfalls eine<br />
musikalische Hochbegabung attestiert. Heute<br />
verbindet man Korngold vor allem mit seiner<br />
Oper Die tote Stadt und seinen oscarprämierten<br />
Filmmusikkompositionen. Auf Caroline Gouldings<br />
Album reichen sich die beiden Komponisten<br />
über die Jahrhunderte hinweg die Hand.<br />
Die Interpretationen von Mozarts Violinkonzert<br />
Nr. 5 und Korngolds Violinkonzert Nr. 1 erscheinen<br />
trotz aller stilistischen Unterschiede wie aus<br />
einem Guss und offenbaren die immense klangliche<br />
Vorstellungskraft der jungen Künstlerin, die<br />
2017 im Rahmen der Sommets Musicaux de<br />
Gstaad mit dem Prix Thierry Scherz ausgezeichnet<br />
wurde. Das Album ist das klangvolle Ergebnis<br />
der Preisvergabe und wurde im Zusammenspiel<br />
mit dem Berner Symphonieorchester unter<br />
der Leitung von Kevin John Edusei eingespielt.<br />
KK<br />
E. W. Korngold, W. A. Mozart: „Violin Concertos“, Caroline Goulding,<br />
Berner Symphonieorchester, Kevin John Edusei (Claves)<br />
Track 1 auf der crescendo Abo-CD:<br />
Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219. I. Allegro aperto von Mozart<br />
JAZZ<br />
esbjörn svensson trio<br />
Drei Körper, ein Gehirn<br />
Auch zehn Jahre nach seinem tragischen Tod mit nur 44 Jahren<br />
ist die Faszination des schwedischen Jazzpianisten<br />
Esbjörn Svensson um keine Spur verblasst: Sein legendäres<br />
Trio e.s.t. gilt immer noch als wegweisende Formation eines<br />
neuen, weltoffenen, aus Klassik, Rock, Minimalismus schöpfenden<br />
europäischen Jazz, der sich endgültig emanzipiert<br />
hat von allen amerikanischen Vorbildern und auf geradezu<br />
magische Weise Verständliches zu höchster Komplexität<br />
verdichtet. Zu den Höhepunkten ihrer allzu kurzen Karriere<br />
zählt das Livekonzert in der Londoner Barbican Hall im<br />
Jahr 2005, das jetzt in audiophiler Qualität auf einem Doppelalbum<br />
veröffentlicht wurde: Es dokumentiert in zehn<br />
teilweise bekannten Titeln den charismatischen Zauber der<br />
drei geradezu symbiotisch interagierenden Topmusiker und<br />
verwandelt das Riesenauditorium für knapp zwei Stunden<br />
in ein Obdach höchster Intimität, einen Sehnsuchtsort der<br />
Klarheit, der Zärtlichkeit, der inneren Ruhe und unendlich<br />
ausströmender Linien: e.s.t. glich<br />
einem Fabelwesen aus drei Körpern<br />
und einem kreativen Motor. Es<br />
hat das Triospiel neu definiert. AC<br />
„e.s.t. live in london“, esbjörn svensson trio<br />
(ACT)<br />
Jacqueline du Pré<br />
Versengende Glut<br />
VINYL<br />
Als Jacqueline du Pré und Daniel Barenboim im Jahr 1967 heirateten,<br />
waren sie „das“ Traumpaar der internationalen Klassikszene.<br />
Doch dauerte der kometenhafte Höhenflug der 1945 in<br />
Oxford geborenen Cellistin nur wenige Jahre: Denn bereits<br />
Anfang der 70er-Jahre beendete eine Multiple-Sklerose-Erkrankung<br />
ihre kurze Karriere. Sie wurde nur 42 Jahre alt. Einen Höhepunkt<br />
ihrer schmalen Diskografie bildete im November 1970 das<br />
Dvořák-Konzert, das sie mit dem Chicago Symphony Orchestra<br />
und Barenboim im berühmten Medinah Temple aufnahm. Während<br />
der damals 27 Jahre junge Barenboim und das CSO sie „auf<br />
Händen trugen“ , spielte sie ihren Solopart mit einer inneren Glut,<br />
einer lyrischen Kraft und einer herzzerreißenden Intensität, die<br />
existenziell anmuteten und charismatischen Zauber verströmten.<br />
Das ganze Konzert wirkte wie eine große, schmerzlich-schöne<br />
Arie, wie ein unendliches Ausatmen einer starken, zwischen Leidenschaft,<br />
Verzweiflung und Sanftmut<br />
wogenden Seele. Es hat bis<br />
heute nichts von seiner betörenden<br />
Magie eingebüßt. AC<br />
Dvořák: „Cello Concerto in B Minor,<br />
Silent Woods“, Jaqueline du Pré,<br />
Chicago Symphony Orchestra, Daniel<br />
Barenboim (Warner)<br />
42 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
MIT STRAWINSKY IN DEN ZIRKUS<br />
HÖRREIHEN FÜR JUNGE LEUTE<br />
Abenteuer Klassik<br />
Lausch-Rätsel und<br />
Informations-Expedition<br />
Ob Bach, Beethoven, Händel oder Mozart: Vielen Kindern sind<br />
Werke dieser Komponisten vertraut. In ihrer Serie „Abenteuer<br />
Klassik“ begnügt sich Cosima Breidenstein nicht damit, ein Bestof-Album<br />
zusammenzustellen. Es geht ihr auch darum,<br />
Persönlichkeit, Biografie und Lebensumstände dieser<br />
Berühmtheiten anschaulich zu schildern. Umrahmt von<br />
passenden Musikbeispielen, die sie selbst mit Begleitung<br />
einspielt, nimmt sie ihre Zuhörer mit auf eine ebenso<br />
unterhaltsame wie informative Zeitreise. Denn wer weiß<br />
schon, dass Adelige ihr Gesicht früher wegen kariöser<br />
Zähne hinter Fächern verbargen? Oder dass Mädchen zu<br />
Zeiten von Johann Sebastian Bach selten zur Schule gingen<br />
und nur die Hälfte seiner 20 Nachkommen wegen der<br />
hohen Kindersterblichkeit damals älter wurde als vier<br />
Jahre? Genaues Hinhören ist in Fall von Vivaldi gefragt:<br />
Zu den Vier Jahreszeiten hat sich Cosima Breidenstein als<br />
Bonus-Track ein Lausch-Rätsel einfallen lassen, das die<br />
Symbolkraft von Klängen erklärt. ASK<br />
Reihe von Cosima Breidenstein: „Abenteuer Klassik“ (Sauerländer Audio)<br />
FÜR<br />
KINDER<br />
SWR Young CLASSIX<br />
Fantastische Reisen<br />
„Applaus! Applaus!“ Mit der Reihe Young CLASSIX<br />
ist dem SWR ein vergnüglich farbenprächtiger Hörbilderbogen<br />
der Musikvermittlung gelungen. Das<br />
stimmige Klangkonzept führt junge Hörer von 6 bis<br />
12 Jahren feinfühlig auf eine „fantastische Reise“ in<br />
die Welt der Klassik. Mit Strawinsky geht es in den<br />
Zirkus, mit Mendelssohn ins „Land, wo die Zitronen<br />
blüh’n“, mit Dvořák nach New York und mit Humperdinck<br />
in die Märchenwelt. Jedesmal gibt es über die<br />
Geschichte hinaus viel zu erzählen. Humperdinck hört<br />
man mit ganz neuen Ohren, so wundervoll hat<br />
Andreas N. Tarkmann seine Musik für Akkordeon,<br />
Cembalo und Streichquintett neu arrangiert. Namhafte<br />
Erzähler, das RSO und dessen Vokalensemble<br />
entführen in eine Hörkulisse, die auch ältere Zuhörer<br />
verführt. Bei „Des Kaisers Nachtigall“ erweist sich die<br />
kurzweilige Vielstimmigkeit im Erzählton von Malte<br />
Arkona zur schichtig sphärischen Musik des Letten Ugis<br />
Praulins als kongenial. SELL<br />
Reihe SWR Young CLASSIX (Helbling Verlag)<br />
BUCH<br />
Große Sänger<br />
Ins Stimmenparadies<br />
„Auf Flügeln des Gesanges,/Herzliebchen, trag ich dich fort,/<br />
Fort nach den Fluren des Ganges,/Dort weiß ich den schönsten<br />
Ort“, dichtete einst Heinrich Heine, und mit diesen Reimen öffnet<br />
das Buch Singen der Germanistin, Romanistin und Kunstgeschichtlerin<br />
Ulrike Roos von Rosen. Auf gut 200 Seiten hat sie<br />
einen – auch oder gerade für Laien – gut bekömmlichen Mix aus<br />
Künstlerinterviews, Fakten zur Funktion der Stimme und einprägsame<br />
Zitate akkumuliert. Mit dabei sind etwa Jonas Kaufmann,<br />
Anja Harteros, Diana Damrau oder André Schuen. Es geht um<br />
Fragen wie „Was unterscheidet Sprechen und Singen?“, „Wie<br />
haben die großen Sänger zum Gesang gefunden oder ihr Studium<br />
erlebt?“, „Wie gewinnt man Bühnenerfahrung?“, „Wie laufen Proben-<br />
und Aufführungsprozesse ab?“<br />
oder „Was hat das Chorsängerdasein<br />
für Vorzüge?“. Auch praktische Fragen<br />
nach Künstlergagen, Casting-Experten<br />
oder Kostümen als „Berufskleidung“<br />
werden in kleinen Frage-Antwort-<br />
Häppchen angerissen. Alles in allem<br />
ein netter, unterhaltsamer, auch als<br />
Zwischendurch-Lektüre gut konsumierbarer<br />
Band, der reich und großzügig<br />
bebildert ist. MG<br />
Die Biographie zum 100. Geburtstag<br />
Geb. mit Schutzumschlag · 302 S. · 26 Abb.<br />
ISBN 978-3-15-011095-9 · € 28,–<br />
Sven Oliver Müller zeigt Leonard Bernstein als Dirigenten<br />
und Komponisten, als Bürgerrechtler, Unternehmer und<br />
charismatischen Selbstdarsteller – und verschweigt auch<br />
nicht die schwierigen Seiten dieser Ausnahmepersönlichkeit.<br />
Ulrike Roos von Rosen: „Singen. Diana Damrau,<br />
Anja Harteros, Jonas Kaufmann und viele andere<br />
geben Auskunft“ (Königshausen & Neumann)<br />
www.reclam.de<br />
Reclam<br />
43
H Ö R E N & S E H E N<br />
Unerhörtes & neu Entdecktes<br />
von Christoph Schlüren<br />
NICHTS FÜR ASKETEN!<br />
Große Dirigenten in großen Editionen: Cluytens, Keilberth, Rosbaud und Stokowski<br />
in umfangreichen Klangporträts.<br />
Was sich bei heutigen Dirigenten in kaum einem Fall<br />
lohnen dürfte, ist bei den großen Maestri des<br />
20. Jahrhunderts von großem Reiz – nicht nur für<br />
Sammler, sondern für alle, die sich für die einst so<br />
vielfältig blühende Kunst des Dirigierens interessieren: Kompletteditionen,<br />
wie sie vor allem von den Major Labels Sony, Universal<br />
und Warner zunehmend auf den Markt gebracht werden. Da findet<br />
sich dann vieles erstmals auf CD, darunter einiges an echten Repertoire-Raritäten,<br />
und so manche Aufnahme wird überhaupt zum ersten<br />
Mal veröffentlicht.<br />
Nach den umfassenden RCA-Editionen der beiden in den USA<br />
zu überragendem Erfolg gekommenen französischen Meisterdirigenten<br />
Pierre Monteux und Charles Munch ist es nun der in Antwerpen<br />
geborene Belgier André Cluytens (1905–67), den Warner mit<br />
seinen kompletten Orchester- und Konzertaufnahmen vorstellt (also<br />
auch mit Vokalwerken jenseits der Opern). Cluytens war eine mitreißende,<br />
extrovertiert humorvolle Persönlichkeit, und im französischen<br />
Repertoire zählt er – mit einer Grundtendenz zu aufgeraut<br />
dunklem Klang und wilder Geradlinigkeit – besonders bei Roussel<br />
und Ravel, aber auch bei Berlioz und Franck zu den zeitlosen Klassikern.<br />
Darüber hinaus hat sein Beethoven-Sinfonien-<br />
Zyklus – der erste komplette, den die Berliner Philharmoniker<br />
auf Platte einspielten – mit seiner eleganten<br />
Frische Geschichte geschrieben. Auch die<br />
russische Musik des „Mächtigen Häufleins“ war bei<br />
ihm in idiomsicheren Händen. Und dann finden sich<br />
in dieser mit einem exzellenten Einführungs-Essay<br />
ausgestatteten 65-CD-Box viele hochkarätige<br />
Spezialitäten wie die beiden Schostakowitsch-<br />
Klavierkonzerte mit dem Komponisten am Klavier,<br />
überwältigende Aufnahmen mit Emil<br />
Gilels oder David Oistrach und vielleicht als<br />
eigentlicher Höhepunkt die einzige Komplettaufnahme<br />
von Debussy/D’Annunzios Le Martyre<br />
de St. Sébastien mit den gesamten Rezitationen,<br />
zum Glück in der etwas entkitschten Version<br />
von Véra Korène. Das ganze französische Pathos<br />
der Empörungskunst wird mit entflammter Leidenschaft<br />
aufgefahren, dazwischen darf Debussys geniale<br />
Musik ihre Lichtstrahlen aussenden. Man kann<br />
diese Anthologie nur rundweg empfehlen.<br />
Weniger mit Ruhm bekleckert sich Warner mit der Sammlung<br />
„The Telefunken Recordings 1953–63“ des großen deutschen Dirigenten<br />
Joseph Keilberth, denn: Der Titel ist irreführend, es ist keine<br />
komplette Kompilation, und leider fehlen vor allem wichtige Raritäten<br />
von Hans Pfitzner oder Jakov Gotovac. Eine vertane Chance. Die<br />
vorhandenen 22 CDs zeugen von einer Höhe klassisch ausgewogenen,<br />
hingebungsvoll brillanten Musizierens, die in ihrer lebendigen<br />
Kraft und Feinheit andere Kapellmeisterkollegen wie Günter Wand<br />
oder Wolfgang Sawallisch auf ihre Plätze verweist. Keilberth muss in<br />
Sinfonien Mozarts, Beethovens oder Brahms’ als einer der Großen<br />
gelten. Auch für die Interpretation der Musik Dvořáks, die seine aus<br />
Böhmen mit ihm emigrierten Bamberger Symphoniker so herrlich<br />
ursprünglich verstanden, und besonders für Reger oder Hindemith<br />
sind seine Beiträge geradezu epochal.<br />
Ähnliches ist auch über die Konzertmitschnitte des großen<br />
Hans Rosbaud am Pult des Sinfonieorchesters des Südwestfunks in<br />
Baden-Baden zu sagen, die nun von SWR Classic veröffentlicht werden,<br />
darunter eine Haydn-Box (7 CDs) und die Sinfonien Nr. 2–9<br />
von Bruckner. Kein späterer Chefdirigent hat dieses Niveau erreicht.<br />
Universal hatte zuletzt wunderbare Anthologien von Victor de<br />
Sabata (Deutsche Grammophon) und Carl Schuricht<br />
(Decca) veröffentlicht, und nun sind in adäquat mondäner<br />
Aufmachung sämtliche Decca-Aufnahmen von Leopold<br />
Stokowski in Phase-4-Stereo auf 22 CDs erschienen. Vieles<br />
davon gehört zum Besten in der Schallplattengeschichte,<br />
so vor allem die Mussorgsky-Orchestrationen des unübertroffenen<br />
Klangzauberers, aber auch Beethovens<br />
7. und 9. Sinfonie, Elgars Enigma<br />
Variations, Skriabins Poème de l’extase, Strawinsky,<br />
Rimsky-Korsakov, Borodin, Tschaikowsky,<br />
Messiaen und die so umstrittenen<br />
wie mitreißenden Bach-Transkriptionen für<br />
großes Orchester. Wer kein strenger<br />
Asket ist, sollte hier unbedingt<br />
zugreifen.<br />
n<br />
A. Cluytens: „The Complete Orchestral & Concerto<br />
Recordings“ (Erato); J. Keilberth: „The Telefunken Recordings<br />
1953–63“ (Warner); H. Rosbaud: „Haydn/<br />
Bruckner Sinfonien“ (SWR Classic); L. Stokowski:<br />
„Complete Decca Recordings“ (Decca)<br />
44 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Große Tenöre<br />
Ära des Belcanto<br />
Belcanto: Jeder glaubt zu wissen, was er bedeutet.<br />
Und beschreibt damit meist einen Tenor<br />
von schöner Stimme, der das hohe C beherrscht<br />
und die Oper des 19. Jahrhunderts. Doch Belcanto<br />
ist mehr als das. Als Idealtyp des Belcantisten<br />
galten zunächst die Kastraten im <strong>18</strong>. Jahrhundert<br />
mit ihrer „Geschicklichkeit“ in den<br />
Verzierungen und der Fähigkeit „den Ton aufs<br />
feinste abzutheilen“, wie Nikolaus Forkel 1783<br />
verlangt. Dem Filmemacher Jan Schmidt-Garre<br />
war dies bewusst, als er 1997 die Tenöre aus<br />
der Schellackzeit porträtierte, die das „Latein<br />
des Singens“ (Jürgen Kesting) im historischen<br />
Sinne nicht beherrschten und dennoch den Belcanto-Begriff<br />
erweiterten. Deshalb sind<br />
Garres Porträts, nun im Format 16/9 HD wiederaufgelegt<br />
und um einen aufschlussreichen<br />
Essay-Band erweitert, ein Muss. Trotz<br />
Schwarz-Weiß und Kratzgeräuschen: Immer<br />
noch scheint das durch, was Caruso, Tauber,<br />
Gigli, Björling und andere zu Stars machte.<br />
Charisma und Stimmcharakter,<br />
um die mancher<br />
Tenor heute sie<br />
beneidet. TPR<br />
FOTO: OPERNHAUS ZÜRICH_HERWIG PRAMMER<br />
„Belcanto. The Tenors of the 78<br />
Era“, Enrico Caruso, John Mc-<br />
Cormack, Leo Slezak u. a. (Naxos)<br />
FILM<br />
Oper Zürich<br />
Absolutheit der Liebe<br />
Maria Callas<br />
Mythos Callas<br />
Nach zweijähriger Bühnenpause und der<br />
medial ausgeschlachteten Trennung von<br />
Aris toteles Onassis gelang Maria Callas 1964<br />
am Londoner Opernhaus Covent Garden als<br />
Tosca ein triumphales Comeback, wobei<br />
glücklicherweise der zweite Akt dieser Zeffirelli-Inszenierung<br />
vom Fernsehen mitgeschnitten<br />
wurde. Die Idee von Filmemacher<br />
Holger Preusse, anhand dieses Schwarz-<br />
Weiß-Dokuments den Mythos Callas mit<br />
Interviewpartnern zu erklären, geht auf<br />
spannende Weise auf. So kann man das Lob<br />
von Callas-Biograf Jürgen Kesting, „sie hatte<br />
die Fähigkeit, Extreme der Empfindung im<br />
Klang deutlich zu machen“, direkt überprüfen<br />
oder sich seinen eigenen Reim darauf<br />
machen, wie heutige Opernstars die „Primadonna<br />
assoluta“ sehen. Der Mehrwert dieser<br />
DVD liegt im angefügten und untertitelten<br />
legendären Tosca-Mitschnitt. Er ist –<br />
so Dirigent Antonio Pappano – „technisch<br />
prähistorisch und<br />
gleichzeitig so zeitlos.<br />
Und er zeigt, warum<br />
Oper mehr ist als<br />
schöne Klänge“. AR<br />
„Maria Callas – Magic Moments<br />
of Music. Tosca 1964“<br />
(Cmajor)<br />
In Gestaltung und Inhalt ist diese DVD eine feine Visitenkarte für das Opernhaus Zürich:<br />
Massenets Werther in erstklassiger Besetzung mit einem hinreißend singenden und traumwandlerisch<br />
sicher agierenden Juan Diego Flórez in der Titelrolle und damit im für ihn<br />
neuen französischen Repertoire. Am Dirigentenpult überzeugt Cornelius Meister mit<br />
Gespür für die Romantik, Farben und Stimmungen des lyrischen Dramas. Regisseurin<br />
Tatjana Gürbaca dagegen verweigert sich der Romantik, versetzt die Handlung aus der<br />
Goethezeit in die Mitte des 20. Jahrhunderts: Schon das (Einheits-)Bühnenbild, ein raumfüllender<br />
Einbauschrank in Eiche Natur, entlarvt Spießigkeit und Enge<br />
von Charlottes Welt. In ihren bürgerlichen Lebensentwurf bricht<br />
Außenseiter Werther ein, durch seinen Gefühlsüberschwang, sein<br />
unbedingtes Lieben von Anfang an gleichermaßen Gefährder wie<br />
Gefährdeter. Charlottes Zerrissenheit zwischen Pflicht und Liebe<br />
endet erst in Werthers Sterbeszene. AR<br />
J. Massenet: „Werther“, Juan Diego Flórez, Anna Stéphany, Cornelius Meister,<br />
Opernhaus Zürich (Accentus)<br />
45<br />
Foto: © Holger Schneider<br />
Wir gratulieren …<br />
HELMUTH<br />
RILLING<br />
zum 85. Geburtstag<br />
H elmuth Rilling verdanken wir die erste Gesamtaufnahme<br />
der Werke Johann Sebastian Bachs.<br />
Sowohl als Dirigent bei sämtlichen Kantaten, als auch<br />
als Spiritus Rector der kompletten Edition hat er damit<br />
ein Monument geschaffen, das getrost als Jahrhundertprojekt<br />
in der Schallplattengeschichte bezeichnet<br />
werden darf.<br />
Wir gratulieren dem Meister zum 85. Geburtstag.<br />
Die komplette Bach-Edition<br />
der Bachakademie Stuttgart<br />
Das Jahrhundertprojekt unter der Leitung<br />
des Bachexperten Helmuth Rilling<br />
Leidenschaft für Musik<br />
www.jpc.de<br />
Norbert Richter, jpc-Klassik<br />
Sonderpreis<br />
172 CDs<br />
€ 149, 99<br />
jpc-Bestellnummer<br />
347 95 25
IMPRESSUM<br />
VERLAG<br />
Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München<br />
Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11<br />
info@crescendo.de, www.crescendo.de<br />
Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger<br />
und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring<br />
HERAUSGEBER<br />
Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de<br />
VERLAGSLEITUNG<br />
Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />
ART DIRECTOR<br />
Stefan Steitz<br />
REDAKTIONSLEITUNG<br />
Dr. Maria Goeth (MG)<br />
REDAKTION „ERLEBEN“<br />
Ruth Renée Reif (RR)<br />
SCHLUSSREDAKTION<br />
Maike Zürcher<br />
KOLUMNISTEN<br />
John Axelrod, Axel Brüggemann, Attila Csampai (AC),<br />
Daniel Hope, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)<br />
MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />
Roland H. Dippel (DIP), Verena Fischer-Zernin (VFZ), Alexander Fischerauer (AF), Jasmin<br />
Goll (JG), Ute Elena Hamm (UH), Klaus Härtel (KH), <strong>Juli</strong>a Hartel (JH), Sina Kleinedler<br />
(SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Guido Krawinkel (GK), Jens Laurson (JL),<br />
Anna Mareis (AM), Angelika Rahm(AR), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Antoinette<br />
Schmelter-Kaiser (ASK), Uta Swora (US), Mario Vogt (MV), Dorothea Walchshäusl (DW),<br />
Walter Weidringer (WW)<br />
VERLAGSREPRÄSENTANTEN<br />
Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />
Kulturbetriebe: Dr. Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de<br />
Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de<br />
Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de<br />
AUFTRAGSMANAGEMENT<br />
Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de<br />
GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE<br />
Nr. 21 vom 09.09.2017<br />
DRUCK<br />
Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig<br />
VERTRIEB<br />
PressUp GmbH, Wandsbeker Allee 1, 22041 Hamburg<br />
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ERSCHEINUNGSWEISE<br />
crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert häusern, im Kartenvorkauf<br />
und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei träge bei Port Media<br />
GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht<br />
unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise,<br />
nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />
und Fotos wird keine Gewähr übernommen.<br />
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Verbreitete Auflage:<br />
67.234 (lt. IVW-Meldung 1V/2017)<br />
ISSN: 1436-5529<br />
geprüfte Auflage<br />
(TEIL-)BEILAGEN / BEIHEFTER:<br />
CLASS: aktuell; Tiroler Festspiele Erl; musica viva<br />
DAS NÄCHSTE <strong>CRESCENDO</strong><br />
ERSCHEINT AM 7. SEPTEMBER 20<strong>18</strong>.<br />
crescendo<br />
unterstützt<br />
Münchner Rundfunkorchester<br />
Liebe, Tod und Intrige<br />
Die Oper ohne Giuseppe Verdi? Nicht auszudenken. Wie kaum ein<br />
anderer beherrschte es der Großmeister der Bühnendramatik, Beziehungsreigen<br />
aller Art in mitreißende Musik zu übersetzen. Was bei<br />
Friedrich Schiller Kabale und Liebe, heißt bei Verdi Luisa Miller und wird<br />
auf diesem Album mit virtuosem Schmelz und einer ordentlichen Portion<br />
Pathos in Szene gesetzt. Liebe und Intrige, Leidenschaft und Tod<br />
prägen die dramatische Handlung, die, interpretiert durch das Münchner<br />
Rundfunkorchester und den Chor des Bayerischen Rundfunks,<br />
musikalisch farbenreich zum Klingen kommt. Unter dem Dirigat von<br />
Ivan Repušić wird Verdi hier mit musikantischer Präsenz und kontrastreicher<br />
Dynamik gehuldigt, gelingt eine spannungsreiche und lebendige<br />
Deutung des hoch emotionalen Werks. Als Solisten überzeugen unter<br />
anderem Ivan Magrì, George Petean und allen voran Marina Rebeka<br />
mit reifer Tongebung und virtuoser Stimmtechnik.<br />
DW<br />
G. Verdi: „Luisa Miller“, Marina Rebeka, Judit Kutasi, Münchner<br />
Rundfunkorchester, Ivan Repušić (BR Klassik)<br />
Track 9 auf der crescendo Abo-CD: Sinfonia 1. Akt<br />
Tiburtina Ensemble & Capella de la Torre<br />
Samtiges Klangbad<br />
Welch edler Klang! Und das nicht nur, weil hier zwei zweifellos anmutig<br />
klingende Frauenensembles musizieren. Die Klangkultur der<br />
Capella de la Torre und des Tiburtina Ensembles ist superb, sie produzieren<br />
einzeln wie gemeinsam nicht nur himmlischen Schönklang, sondern<br />
ebensolchen mit Substanz. Auch der programmatische Gedanke<br />
ist bestens unterfüttert: Rekonstruiert wird hier eine Messe, so wie<br />
sie in spanischen Frauenklöstern des 16. Jahrhunderts erklungen sein<br />
könnte, mit passender Instrumentalmusik für Bläser, semiologisch<br />
schön differenziert gesungener Gregorianik und Motetten. Kaum<br />
jemals hat man Schalmei, Dulzian und Pommer samtiger schnarren<br />
hören, haben Frauenstimmen liebreizender, körperloser, engelsgleicher<br />
geklungen. Das gibt nicht nur ein klangliches<br />
Vollbad, sondern eines mit Extraschaum.<br />
Ein Hochgenuss, in jeder Hinsicht. GK<br />
Bassano, Victoria, Torre u. a.: „Vidi Speciosam.<br />
A Lady Mass from the 16th Century“, Tiburtina Ensemble,<br />
Capella de la Torre (dhm)<br />
Constance Heller<br />
Mit Wärme und Leidenschaft<br />
Als Komponist gehört Hans Sommer eher zu den Geheimtipps für<br />
Kenner des Liedrepertoires. Die Aufnahme von Constanze Heller und<br />
Gerold Huber, die sich auf hohem künstlerischen Niveau Vertonungen<br />
von Goethe, Eichendorff und Keller widmen, könnte jedoch dazu beitragen,<br />
seine Beliebtheit zu erhöhen und sein Werk einer breiteren<br />
Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bemerkenswert ist die Fähigkeit<br />
der Sängerin, den Text mit einer Klarheit zu artikulieren, die jedes<br />
Wort verständlich macht, und gleichzeitig ein Höchstmaß an intonatorischer<br />
Sicherheit zu erreichen. Die charakteristische Wärme ihrer<br />
Klangfarbe, mit der sie in jeder Lage den passenden emotionalen Ausdruck<br />
erzeugt, mischt sich hervorragend mit der Klavierbegleitung<br />
Hubers, der es schafft, die vielfältigen Stimmungen<br />
in Sommers Liedern von dramatischer<br />
Leidenschaft bis hin zu melancholischer Wehmut<br />
meisterhaft einzufangen. US<br />
„Mignons Sehnen. Lieder von Hans Sommer“, Constance Heller,<br />
Gerold Huber (Solo Musica)<br />
OPER<br />
ALTE<br />
MUSIK<br />
LIED<br />
46 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
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A K U S T I K<br />
KLARINETTEN-KRIEGE<br />
Bis heute hängt der deutsch-französische Haussegen ausgerechnet in einem<br />
musikalischen Belang schief: Über die Frage des Klarinettensystems ist keine Einigung in Sicht.<br />
Ein Besuch am „Kriegsschauplatz“.<br />
VON KLAUS HÄRTEL<br />
Matthias Schorn und Laura Ruiz Ferreres gehören zu den wenigen Klarinettisten, die sich sowohl auf dem deutschen<br />
als auch auf dem Böhm-System zu Hause fühlen<br />
Beatles oder Stones? Mac oder PC? McDonalds oder Burger<br />
King? Es gibt im Leben diese Fragen, die scheinbar nur ein<br />
„Entweder-oder“ zulassen. Das ist in der Musik nicht<br />
anders. Auch bei den Klarinetten muss man sich entscheiden.<br />
Oehler oder Böhm? Deutsch oder französisch? Beides geht<br />
nicht. Ist durch diese Systemfrage am Ende gar die deutsch-französische<br />
Freundschaft in Gefahr?<br />
So dramatisch ist es nicht, doch in der Tat verläuft die Trennungslinie<br />
dieses Systems zwischen Deutschland, Österreich und<br />
der deutschsprachigen Schweiz auf der einen Seite und dem „Rest<br />
der Welt“ auf der anderen. In den „deutschsprachigen“ Orchestern<br />
hält man auch aus Tradition am deutschen System fest. Das hat<br />
durchaus Charme, weil damit – wie in der Sprache – ein bestimmter<br />
Dialekt bewahrt wird und diese regionale Eigenheit zu Unverwechselbarkeit<br />
und Diversität beiträgt.<br />
„Entweder-oder“ ist also die Devise. Und doch gibt es Musiker,<br />
die die hohe Kunst der Systemumstellung beherrschen. Die<br />
Spanierin Laura Ruiz Ferreres etwa – von 2006 bis 2010 Soloklarinettistin<br />
im Orchester der Komischen Oper Berlin und heute Professorin<br />
an der Frankfurter Musikhochschule – gehört zu den<br />
wenigen Künstlern, die beide Systeme beherrschen und lehren.<br />
Das Böhm-System von klein auf gelernt, war Laura Ruiz Ferreres<br />
seinerzeit gewarnt worden, das System nicht zu wechseln.<br />
„Aber ich war neugierig und ehrgeizig“, erzählt sie, „und ich habe<br />
es geschafft. Ich erinnere mich immer an meine Zeit als Akademistin<br />
bei der Staatskapelle Berlin, wo ich manchmal in Opern mit<br />
französischer A-Klarinette und deutscher B-Klarinette gespielt<br />
habe …“<br />
Auch Matthias Schorn, Soloklarinettist der Wiener Staatsoper<br />
bzw. der Wiener Philharmoniker „muss“ von Berufs wegen<br />
„deutsch“ spielen, obwohl er dereinst auf der Böhm gelernt hat.<br />
Voraussetzung aber, um ein Studium beginnen zu können, war das<br />
Umlernen auf das deutsche System. „In der Nachbetrachtung bin<br />
ich sehr glücklich, beide Klarinettensysteme kennengelernt zu<br />
FOTO: LUKAS BECK; AGENTUR<br />
48 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
haben. Bis heute spiele ich gerne Böhmsystem, wenn ich Bassklarinette spiele.“<br />
Worin aber liegt nun der Unterschied? Am offensichtlichsten ist die Klappenkonstruktion.<br />
Manche Töne sind auf den Klarinetten unterschiedlich zu<br />
greifen und – vereinfacht formuliert – auf der Böhmklarinette stehen für einen<br />
Ton oftmals mehrere Griffmöglichkeiten zur Verfügung. Ein weiterer Unterschied<br />
ist die Innenbohrung der beiden Klarinettensysteme, die beim Böhmsystem<br />
deutlich weiter ist als bei der deutschen Klarinette. Ebenso werden zum<br />
Teil völlig andere Mundstücke und Blätter verwendet, was auch klangliche<br />
Unterschiede hervorbringt und gewisse Spieltechniken wie etwa das Lippenvibrato<br />
auf dem deutschen System schwieriger macht. Denn auf der deutschen<br />
Klarinette werden schwerere Blätter gespielt, was zunächst deutlich anstrengender<br />
ist.<br />
Warum aber gibt es überhaupt zwei Systeme? Ein kleiner historischer<br />
Exkurs soll Licht ins Dunkel bringen: Als<br />
Erfinder der Klarinette gilt der deutsche<br />
Instrumentenbauer Johann Christoph<br />
Denner (1655–1707). Seine Modernisierung<br />
des Chalumeaus, eines einfachen<br />
Volksinstruments, stieß wegen des besonderen<br />
Klangs auf großen Zuspruch. Ab<br />
1732 wurde das Instrument als Klarinette,<br />
also kleine Clarin-Trompete, bezeichnet.<br />
Viele Jahre lang wurde an der Klarinette<br />
weitergetüftelt, aber erst etwa 100<br />
Jahre nach Denner machte Iwan Müller<br />
(1786–<strong>18</strong>54) einen entscheidenden Schritt:<br />
<strong>18</strong>12 stellte er ein Instrument mit 13 luftdichten<br />
Klappen und Blattschraube vor,<br />
auf dem es nun endlich möglich war, auch<br />
„DAS FESTHALTEN<br />
AN DEN BEIDEN SYSTEMEN<br />
HAT DURCHAUS<br />
CHARME, WEIL DAMIT<br />
– WIE IN DER SPRACHE –<br />
EIN BESTIMMTER<br />
UNVERWECHSELBARER<br />
DIALEKT<br />
BEWAHRT WIRD“<br />
chromatisch zu spielen. Trotz eines negativen Gutachtens des Pariser Konservatoriums<br />
setzte sich das Instrument schon wenige Jahre später andernorts<br />
immer mehr durch.<br />
In Frankreich ging man um <strong>18</strong>40 andere Wege: Hyacinthe Klosé und<br />
Louis Buffet übertrugen das Ringklappensystem der Böhm-Flöte auf die Klarinette<br />
und präsentierten so ein Instrument mit 17 Klappen. Spieltechnische<br />
Erleichterungen und auch Verbesserungen der Intonation waren das Ergebnis.<br />
Die vereinfachte Technik und die akustischen Verbesserungen galten hier als<br />
entscheidendes Kriterium für die Qualität des Instruments.<br />
Die Müller-Klarinette wurde dagegen nur sehr langsam und in kleinen<br />
Schritten weiterentwickelt. Man bemühte sich besonders, das romantische<br />
Klangideal zu wahren. Etwa 20 Jahre lang war die Böhm-Klarinette deutschen<br />
Instrumenten technisch überlegen. Carl Baermann erkannte schließlich, dass<br />
das System der Böhm-Klarinette wohl die einzige Möglichkeit sei, eine „Überladung<br />
des Instruments mit Klappen und Hebeln“ zu vermeiden.<br />
Auch der Belgier Eugène Albert behalf sich bei seinem Instrument mit<br />
Elementen der Böhm-Klarinette, allerdings war seine Klarinette intonationsgenauer.<br />
<strong>18</strong>90 entwickelte Oskar Oehler dann die letzten großen Neuerungen am<br />
deutschen System: Sein Instrument mit 22 Klappen zeichneten vor allem klangliche<br />
Verbesserungen aus.<br />
Bis heute ungeschlichtet ist der „Streit“ zwischen Böhm- und deutschem<br />
System. Die Böhm klingt schärfer, heller, vielfältiger, begünstigt das Vibrato,<br />
die Virtuosität, die schnellen Läufe, die Eleganz – und den Geldbeutel. Die<br />
„deutsche“ klingt wärmer, dunkler, obertonärmer, begünstigt die Tonbeugung<br />
und das Glissando, verlangt Gabelgriffe, Zungen- und Fingertricks. Und es gibt<br />
einen klanglichen Unterschied. Dieser ist allerdings sehr stark von Blatt, Mundstück<br />
und Anblasart abhängig. Der Zuhörer kann nicht unbedingt zuordnen,<br />
welches System gespielt wird. Es kommt sehr auf den Spieler und das verwendete<br />
Material an, wie eine Klarinette klingt. Die Schule, aus der der Spieler<br />
kommt, ist sehr viel entscheidender dafür als das Instrument selbst. Die<br />
Schwachstellen sind letztlich bei beiden Systemen die gleichen – und meistens<br />
ist der Spieler eine davon.<br />
■<br />
49
R Ä T S E L<br />
& R E A K T I O N E N<br />
GEWINNSPIEL<br />
Wer verbirgt sich hinter diesem Text?<br />
WANN FÄHRT HIER<br />
DER NÄCHSTE<br />
SCHWAN?<br />
Auf crescendo-Facebook hatten wir Sie jüngst nach Ihren<br />
liebsten Bühnenpannen gefragt. Einige der Antworten wollen<br />
wir Ihnen nicht vorenthalten. Das Zitat „Wann fährt hier<br />
der nächste Schwan?“ stammt übrigens von Leo Slezak. In<br />
einem Theater in Oberösterreich zogen die Bühnenarbeiter<br />
den Lohengrin-Schwan davon, bevor der Tenor aufsteigen<br />
konnte. Daraufhin entfuhr ihm der legendäre Satz.<br />
„Meine Orgelsachen sind schwer, es gehört ein über die Technik<br />
souverän herrschender geistvoller Spieler dazu“.<br />
„Als der liebe Gott den Humor verteilte, habe ich zweimal „hier!“<br />
gerufen“. Ich kam als Sohn eines musikalischen Dorfschullehrers<br />
zur Welt, der für mich sogar eine kleine Hausorgel bastelte. Ehrfürchtig<br />
hörte ich schon in jungen Jahren Wagners Parsifal in<br />
Bayreuth, was mich so beeindruckte, dass ich entschied, Komponist<br />
zu werden, Unterricht zu nehmen und zwei Komponisten<br />
entdeckte, die mich am meisten beeinflusst haben: Bach und<br />
Brahms.<br />
Als meine „Sturm- und Trankzeit“ sich gelegt hatte, wurde ich<br />
schnell als angesehener Komponist, Pianist und Lehrer schon zu<br />
Lebzeiten gefeiert. Das große Arbeitspensum zwischen Lehrverpflichtungen<br />
und Tourneen forderte seinen Tribut, was mich leider<br />
immer öfter zur Flasche greifen ließ. Dennoch arbeitete ich mit<br />
einer unglaublichen Schnelligkeit und Leichtigkeit und gab mitunter<br />
100 Konzerte im Jahr.<br />
Auch das Ausland wurde auf mich aufmerksam, und ich hatte<br />
die Ehre, mit äußerst hervorragenden Künstlern in ganz Europa<br />
zusammenzuarbeiten. Darunter auch eine beleibte Sängerin, die ich<br />
liebevoll „Venus von Kilo“ nannte.<br />
In meiner Musik übernahm ich klare Formen aus dem Barock,<br />
die aber durch raffinierte Klangfarben und technisch herausfordernde<br />
Harmonien mit romantischem Gefühlsausdruck verbunden<br />
wurden. Es entstanden zahlreiche Werke für mein Lieblingsinstrument,<br />
für das viel zu lange wenig geschrieben wurde. Ich habe ihm<br />
dafür die Vielfarbigkeit des modernen Orchesters gegeben! AM<br />
RÄTSEL LÖSEN UND<br />
GUSTAV MAHLER GEWINNEN!<br />
Was ist hier gesucht? Wenn Sie die Antwort<br />
kennen, dann nehmen Sie an der Verlosung teil<br />
unter www.crescendo.de/mitmachen.<br />
Sie können die CD-Box gewinnen: „Mahler.<br />
Symphonien 1–9. Symphonie orchester des BR.<br />
Colin Davis, Daniel Harding u. a. (BR Klassik)“. Einsendeschluss ist der<br />
31.7.20<strong>18</strong>. Die Gewinnerin unseres letzten Gewinnspiels ist Irmgard Paulus<br />
aus München. Die Lösung lautete: Edith Piaf.<br />
Benjamin L. Mein Vater erzählt gern von einer Tosca-Aufführung<br />
in Augsburg. Die dort besetzte Hauptdarstellerin war wohl<br />
etwas beleibter, und als sie im 3. Akt von der Engelsburg sprang,<br />
beförderte sie das Trampolin, das sie backstage auffangen sollte,<br />
kurzerhand für einen kurzen Moment wieder nach oben. Die<br />
Sängerin kreischte wie wild. Ob sie „Mario, Mario“ schrie, ist leider<br />
nicht überliefert<br />
Florian H. Probe zu Meistersingern, 2. Akt in Essen, ca. 2004:<br />
Die Bratschen „vergurken“ das Wahnmotiv, der Dirigent bricht<br />
ab und hebt zum Donnerwetter an, Sachs hat nichts mitbekommen<br />
und singt: „Üble Dinge, die ich da merk!“ Das Donnerwetter<br />
fiel aus …<br />
Gisela R. Bayreuther Festspiele 1978, Generalprobe Siegfried,<br />
letzter Akt, Szene Siegfried – Wanderer. Als der Speer zerschlagen<br />
war, sollte Bühnennebel sein. Aber bei dieser Probe war er<br />
übermäßig dicht, sodass des Wanderers (Donald McIntyres)<br />
letzte Worte waren: „Zieh hin, ich kann dich nicht sehen.“<br />
Joachim J. Vor wenigen Tagen: Dernière Zauberflöte an der Musikhochschule<br />
Köln. Großartige Aufführung, aber: Pamino wird<br />
Paminas Bildnis in einem Umschlag überreicht, und er kriegt und<br />
kriegt ihn nicht auf. Endlich, nach gefühlten Minuten, das erlösende<br />
und nicht zu überhörende „Aaaaahhh“ des Dirigenten und<br />
der Einsatz zu Dies Bildnis ist bezaubernd schön …<br />
Die Lieblingspanne unserer leitenden Redakteurin Maria Goeth:<br />
eine Aufführung von Ariodante an der Bayerischen Staatsoper. In<br />
einer Szene wird eine spiegelnde Zwischenwand heruntergefahren.<br />
Sie hängt leicht schief, sodass der in der Gasse sitzende,<br />
sich völlig unbeobachtet fühlende Feuerwehrmann sichtbar wird<br />
– sich seelenruhig fläzend, kratzend, Grimassen schneidend.<br />
Wie die Protagonistin sang, ist vergessen, denn 2.000 Augenpaare<br />
starren auf den Brandwächter.<br />
50 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
ERLEBEN<br />
Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im <strong>Juni</strong>, <strong>Juli</strong> und <strong>August</strong> im Überblick (ab Seite 52)<br />
Sommer, Sonne, Klanggenuss – die lohnenswertesten Festivals in Italien (Seite 58)<br />
Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz: Vielfalt von Bruckner über Jazz bis in die entspannte Moderne (Seite 60)<br />
17. und <strong>18</strong>. <strong>August</strong>, Potsdam<br />
20. POTSDAMER SCHLÖSSERNACHT<br />
„… und er sagt: ‚Fräulein Therese!‘ – und tut einen letzten Seufzer und stirbt. Gebe Gott uns allen,<br />
uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod!“ Max Moor liest aus Joseph Roths Novelle<br />
Die Legende vom Heiligen Trinker aus dem Jahr 1939. „Leise Töne, markante Stimmen, spannende<br />
Geschichte(n)!“ heißt das Motto, unter dem Schauspieler Texte von E. T. A. Hoffmann, Joachim Ringelnatz,<br />
Lion Feuchtwanger und anderen präsentieren. Die Compagnie Transe Express (Foto) lässt<br />
sechs Meter hohe Diven in ausladenden Reifröcken durch die Menge schweben, während Teatro Só<br />
ergreifende Geschichten von der Liebe eines alten Paares erzählt und die Gänsekapelle spielt. Auch<br />
die berühmte Bildergalerie im Schlosspark kehrt in der Jubiläumsnacht ihr Inneres nach außen und<br />
„hängt“ ihre Meisterwerke mittels Großbildprojektionen an die Fassade.<br />
Potsdam, Schlossanlage Sanssouci, www.potsdamer-schloessernacht.de<br />
FOTO: TRANSE EXPRESS<br />
51
E R L E B E N<br />
<strong>Juni</strong> / <strong>Juli</strong> / <strong>August</strong> 20<strong>18</strong><br />
DIE WICHTIGSTEN<br />
VERANSTALTUNGEN AUF<br />
EINEN BLICK<br />
Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals<br />
PREMIEREN<br />
1.6. ERFURT THEATER<br />
Agnes von Hohenstaufen / G. Spontini<br />
1.6. LÜBECK THEATER<br />
Otello / G. Verdi<br />
2.6. CHEMNITZ THEATER<br />
Die Fledermaus / J. Strauss<br />
2.6. HANNOVER STAATSOPER<br />
Dialoge der Karmelitinnen / F. Poulenc<br />
2.6. LEIPZIG OPER<br />
Casanova / A. Lortzing<br />
2.6. WEIMAR NATIONALTHEATER<br />
Ein Maskenball / G. Verdi<br />
2.6. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />
Gasparone / C. Millöcker<br />
3.6. ESSEN AALTO-THEATER<br />
Eine Nacht in Venedig / J. Strauss<br />
3.6. HAMBURG STAATSOPER<br />
Benjamin / P. Ruzicka<br />
3.6. KARLSRUHE STAATSTHEATER<br />
Anna Bolena / G. Donizetti<br />
3.6. MAINZ STAATSTHEATER<br />
Antikrist / R. Langgaard<br />
3.6. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />
Die Rückkehr des Odysseus /<br />
C. Monteverdi<br />
7.6. ULM THEATER<br />
Rock of Ages / E. Popp<br />
8.6. DESSAU ANHALTISCHES THEA-<br />
TER Giulio Cesare / G. F. Händel<br />
8.6. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />
THEATER Je suis Faust / P. Weiß<br />
9.6. FREIBURG THEATER<br />
Coraline / M. Turnage<br />
9.6. KIEL THEATER<br />
Die Aufteilung der Welt / G. Legrenzi<br />
10.6. AACHEN THEATER<br />
Maria Stuarda / G. Donizetti<br />
10.6. FRANKFURT OPER<br />
Norma / V. Bellini<br />
10.6. LINZ (AT) LANDESTHEATER<br />
Così fan tutte / W. A. Mozart<br />
11.6. WIEN (AT) STAATSOPER<br />
Der Freischütz / C. M. v. Weber<br />
14.6. BERLIN NEUKÖLLNER OPER<br />
Orpheus Optimal / Y. Halpern<br />
14.6. GRAZ OPER<br />
María de Buenos Aires / A. Piazzolla<br />
14.6. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />
THEATER Der tapfere Soldat / O. Straus<br />
15.6. BERLIN DEUTSCHE OPER<br />
Il viaggio a Reims / G. Rossini<br />
15.6. MEININGEN STAATSTHEATER<br />
Die Piraten von Penzance / A. Sullivan<br />
3. bis 26. <strong>August</strong>, Erfurt<br />
Bewundernswerte<br />
Selbstbehauptung<br />
Domberg in Erfurt<br />
Romantisch verklärt und zugleich ausgegrenzt und verfolgt, das ist<br />
das Schicksal der Roma. Wirtschaftliche und soziale Umstände<br />
zwangen sie zum ständigen Wandern und drängten sie in Berufe,<br />
die sich mit der nomadischen Lebensweise vereinbaren ließen.<br />
Dass sie dabei große Flexibilität, Geschicklichkeit und Fantasie bewiesen,<br />
um dennoch zu überleben, zeugt von bewundernswerter<br />
Selbstbehauptung. Diese beeindruckende Kraft und den steten<br />
Kampf um Freiheit einer an den Rand gedrängten Frau nimmt Guy<br />
Montavon zur Grundlage seiner Carmen-Inszenierung. Zum 25. Jubiläum<br />
der DomStufen-Festspiele Erfurt lässt er auf der asymmetrischen<br />
Treppe zum Domberg Bizets Skandaloper wieder als solche<br />
erlebbar werden. Montavon ist seit 2002 Generalintendant<br />
des Theaters Erfurt und künstlerischer Leiter der Festspiele. Er<br />
studierte Musiktheaterregie bei Götz Friedrich, für den Carmen<br />
der gelebte und nur im Tod lösbare Widerspruch von Eros und<br />
Freiheit war. Ausstatter Hank Irwin Kittel entwirft für die 70 Stufen<br />
zwischen Mariendom und Severikirche ein spektakuläres Bühnenbild.<br />
Als Carmen sind wechselnd Katja Bildt, <strong>Juli</strong>a Stein und Miroslava<br />
Yordanova zu erleben. Zu den weiteren Mitwirkenden zählen<br />
das Philharmonische Orchester Erfurt sowie der Opernchor.<br />
Die musikalische Leitung übernimmt Myron Michailidis, der mit<br />
dieser Festspielproduktion sein Amt als Generalmusikdirektor in<br />
Erfurt antritt.<br />
Erfurt, Domberg, www.domstufen-festspiele.de<br />
FOTO: LUTZ EDELHOFF / THEATER ERFURT<br />
16.6. BERLIN KOMISCHE OPER<br />
Die Nase / D. Schostakowitsch<br />
16.6. HEIDELBERG THEATER<br />
Anatevka / J. Bock<br />
16.6. HOF THEATER<br />
Alcina / G. F. Händel<br />
16.6. LEIPZIG OPER<br />
Lulu / A. Berg<br />
16.6. LÜNEBURG THEATER<br />
Wiener Blut / J. Strauss<br />
16.6. OSNABRÜCK THEATER<br />
Doktor Faust / F. Busoni<br />
16.6. REGENSBURG THEATER<br />
Don Giovanni / W. A. Mozart<br />
17.6. BERLIN STAATSOPER<br />
Macbeth / G. Verdi<br />
17.6. WIESBADEN STAATSTHEATER<br />
Don Giovanni / W. A. Mozart<br />
19.6. BERLIN DEUTSCHE OPER<br />
Wir aus Glas / Y. Inamori<br />
21.6. BRAUNSCHWEIG STAATSTHE-<br />
ATER Originale / K. Stockhausen<br />
22.6. COBURG LANDESTHEATER<br />
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny /<br />
K. Weill<br />
22.6. LÜBECK THEATER<br />
Der Drachenreiter / J. Pezold<br />
22.6. SCHWERIN STAATSTHEATER<br />
Tosca / G. Puccini<br />
23.6. BADEN (AT) STADTTHEATER<br />
Die lustige Witwe / F. Lehár<br />
23.6. COTTBUS STAATSTHEATER<br />
Die Csárdásfürstin / E. Kálmán<br />
24.6. KÖLN OPER<br />
Il matrimonio segreto / D. Cimarosa<br />
24.6. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />
L’incoronazione di Poppea / Monteverdi<br />
26.6. BRAUNSCHWEIG<br />
STAATSTHEATER tanzwärts / G. Zöllig<br />
26.6. MÜNCHEN BAYERISCHE<br />
STAATSOPER Zeig mir deine Wunder /<br />
N. Rimski- Korsakow<br />
28.6. BERLIN STAATSOPER<br />
Ein Porträt des Künstlers als Toter /<br />
F. Bridarolli<br />
28.6. MÜNCHEN BAYERISCHE<br />
STAATSOPER Parsifal / R. Wagner<br />
30.6. AACHEN THEATER<br />
Das schlaue Füchslein / L. Janáček<br />
30.6. AUGSBURG THEATER<br />
Herz aus Gold / S. Kanyar<br />
30.6. DRESDEN SEMPEROPER<br />
Oedipus Rex / Il prigioniero / I. Strawinsky<br />
5.7. MÜNCHEN STAATSOPER<br />
Die Vorübergehenden / N. Brass<br />
7.7. BERLIN STAATSOPER<br />
52 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLORIAN MIEDL; DR. RENÉ MEYER; BAYERISCHE PHILHARMONIE; TRANSE EXPRESS; TRANSE EXPRESS; MARTIN SIGMUND; STOFLETH; ASTRID ACKERMANN; GISELA SCHENKER; DOMINIK ODENKIRCHEN; UWE ARENS;<br />
HTTP://SCHEWIG.AT/MUSIKERPORTRAITS-ALESSANDRO-QUARTA/<br />
23. <strong>Juni</strong> bis 1. September<br />
RHEINGAU MUSIK FESTIVAL<br />
Brett Dean (Foto) lernte bei den Großen.<br />
15 Jahre war er Bratscher bei den Berliner Philharmonikern<br />
und spielte Beethoven, Brahms,<br />
Bruckner und viele andere. Kurioserweise war<br />
es ein Rockmusiker, der ihn ermutigte, sich ganz<br />
dem Komponieren zu widmen. 2000 kehrte<br />
Dean in sein Geburtsland Australien zurück.<br />
Das Festival präsentiert ihn am Pult, an der Bratsche und mit seinen Kompositionen<br />
als Künstler im Fokus. Im Projekt mit dem Swedish Chamber<br />
Orchestra übersetzt Dean mit seinem Approach (Prelude to a Canon) Bachs<br />
Brandenburgisches Konzert Nr. 6 ins Heute. Mit Baiba Skride, Gergana<br />
Gergova, Hélène Clement und Alban Gerhardt stellt er sein Streichquintett<br />
Epitaphs vor und erinnert an Freunde und Weggefährten.<br />
„Freundschaft“ lautet denn auch der Leitgedanke des Festivals, das zu den<br />
größten Europas gehört. Über 170 Konzerte stehen auf dem Programm.<br />
Region Frankfurt, verschiedene Spielorte, www.rheingau-musikfestival.de<br />
5. <strong>Juni</strong> bis 2. September<br />
WUNSIEDEL LUISENBURG-FESTSPIELE<br />
Das Musical aller Musicals kommt auf die Felsenbühne<br />
im Fichtelgebirge. Tim Zimmermann,<br />
Gewinner des Musical-Choreography-Award<br />
2010 in Dänemark, inszeniert Frederick Loewes<br />
My Fair Lady. „Bei der Besetzung ist mir ein<br />
Coup gelungen“, freut sich die neue Festspiel-<br />
Intendantin Birgit Simmler: „Ich habe Zodwa<br />
K. M. Selele für die Hauptrolle der Eliza Doolittle engagiert.“ Die Rolle<br />
von Professor Henry Higgins, der mit Oberst Pickering wettet, dass es<br />
ihm gelingen werde, aus dem ordinären Blumenmädchen Eliza eine Dame<br />
zu machen, übernimmt Markus Pol (auf dem Foto mit Selele). Außerdem<br />
gibt es Verdis La Traviata und als Gastspiel der Operettenbühne Wien<br />
Gräfin Mariza von Emmerich Kálmán zu erleben.<br />
Wunsiedel, Felsenbühne, www.luisenburg-aktuell.de<br />
22. bis 28. <strong>Juni</strong><br />
REMAGEN 13. ROLANDSECK-FESTIVAL<br />
Rolandseck habe als Ort der Künste eine wunderbare<br />
Tradition, schwärmt die Violinistin<br />
Mihaela Martin. 2017 übernahm sie die künstlerische<br />
Leitung des Festivals. Im Arp Museum<br />
konzertiert sie mit der Pianistin Plamena Mangova<br />
und dem Streichorchester Camerata Regala<br />
aus Bukarest, das auch Werke der rumänischen<br />
Komponisten Constantin Silvestri und Paul Constantinescu vorstellt.<br />
„Im Farbenrausch“ steht als Motto über dem Festival. Das Arp<br />
Museum widmet das Jahr 20<strong>18</strong> der Farbe. Der Galerist und Kunstsammler<br />
Johannes Wasmuth baute den klassizistischen Bahnhof zum Museum<br />
aus. Dabei strebte er eine enge Verknüpfung von Kunst, Literatur und<br />
Musik an. Die Musiker berauschen ihr Publikum mit Klangfarben. Das Michelangelo<br />
String Quartet spielt Werke von Mozart, Haydn, Schumann,<br />
Schubert sowie Tschaikowsky, Schostakowitsch und anderen. Das Foto<br />
zeigt die Cellistin Jing Zhao und den Pianisten Itamar Golan.<br />
Remagen, Bahnhof Rolandseck, www.wasmuthgesellschaft.de<br />
4. <strong>Juli</strong><br />
MÜNCHEN SYMPHONIC AMERICA<br />
Als „ungeniert tonal, unkompliziert und mit einer<br />
Menge Spaß“ beschreibt der amerikanische<br />
Komponist Peter Boyer sein Werk für Streichorchester<br />
Three Olympians. Gemeint sind damit<br />
die Bewohner des antiken Olymp: Apollon,<br />
Aphrodite und Ares. Jedem widmet Boyer einen<br />
Satz. „Apollon, der Gott der Vernunft, der<br />
Musik und der Weissagung, inspiriert mich zu klassischer Harmonie.<br />
Ti vedo, ti sento, mi perdo / S. Sciarrino<br />
12.7. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />
THEATER La Strada / M. Goecke<br />
14.7. BADEN (AT) STADTTHEATER<br />
Der Bettelstudent / C. Millöcker<br />
14.7. MANNHEIM NATIONAL-<br />
THEATER Don Giovanni / W. A. Mozart<br />
19.7. MÜNCHEN STAATSOPER<br />
Vanitas / S. Sciarrino<br />
23.7. MÜNCHEN STAATSOPER<br />
Orlando Paladino / J. Haydn<br />
28.7. BADEN (AT) STADTTHEATER<br />
Bonnie & Clyde / F. Wildhorn<br />
<strong>18</strong>.8. BRAUNSCHWEIG<br />
STAATSTHEATER Carmen / G. Bizet<br />
<strong>18</strong>.8. KOBLENZ THEATER<br />
Chess / B. Andersson<br />
KÜNSTLER<br />
PIOTR ANDERSZEWSKI<br />
10.6. Baden Baden, Festspielhaus<br />
28., 29., 30.6. München, Philharmonie<br />
BENJAMIN APPL<br />
10., 11.8. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
MARTHA ARGERICH<br />
25., 26., 27., 28., 29., 30.,6., 1.7.<br />
Hamburg, Laeiszhalle<br />
2.7. Hamburg, Schmidt Theater<br />
23.7. Verbier (CH), Église<br />
25., 29.7. Verbier (CH), Salle des Combins<br />
KIT ARMSTRONG<br />
12.7. Mülheim, Stadthalle<br />
13.7. Ludwigsburg, Residenzschloss<br />
15.7. Passau, Rathaus<br />
25.7. Hasenwinkel, Schloss<br />
26.7. Rühn, Klosterkirche<br />
27.7. Hohen Luckow, Schloss<br />
28.7. Greifswald, Aula der Universität<br />
29.7., 23.8. Wismar, Hl.-Geist-Kirche<br />
11.8. Trier, St. Paulin<br />
ARTEMIS QUARTETT<br />
24.6. Zürich (CH), Tonhalle<br />
10.8. Glückstadt, Stadtkirche<br />
11.8. Lübeck, Oberschule zum Dom<br />
12.8. Altenhof, Kuhhaus<br />
16.8. Geisenheim, Johannisberg<br />
19.8. Schwiessel, Schloss<br />
28.8. Schwarzenberg (AT),<br />
Angelika-Kauffmann-Saal<br />
EMŐKE BARÁTH<br />
30.7. Salzburg (AT), Haus für Mozart<br />
31.7. Innsbruck (AT), Schloss Ambras<br />
BERTRAND DE BILLY<br />
22., 23.6. Dresden, Kulturpalast<br />
29.6., 2.7. München, Staatsoper<br />
IAN BOSTRIDGE<br />
5.6. Wien (AT), Musikverein<br />
25.6. Berlin, Philharmonie<br />
26.6. Berlin, Staatsoper<br />
28.6., 27.8. Schwarzenberg (AT),<br />
Angelika-Kauffmann-Saal<br />
30. <strong>Juni</strong> bis 21. Oktober, Potsdam<br />
„GERHARD RICHTER.<br />
ABSTRAKTION“<br />
„So ein Bild wird in verschiedenen<br />
Schichten gemalt, die<br />
zeitlich voneinander getrennt<br />
sind“, erläutert Gerhard Richter<br />
den Entstehungsprozess<br />
seiner Abstrakten Bilder. Richter<br />
gilt als bedeutendster Maler<br />
der Welt und seit 2013<br />
auch als der teuerste. Sein<br />
Werk bewegt sich ab der<br />
zweiten Hälfte der 60er-Jahre<br />
stufenweise zur Abstraktion.<br />
Den Abstrakten Bildern liegt eine<br />
Folge aufbauender und wieder<br />
zerstörender Prozesse zugrunde. Als erste Schicht malt Richter<br />
einen Hintergrund fotoähnlicher Wirkung. „Und diese glatte, ineinander<br />
verschwimmende Fläche ist dann erst mal wie ein fertiges<br />
Bild, das ich nach einiger Zeit verstehe.“ In einem nächsten Malgang<br />
beginnt Richter mit der Zerstörung und Ergänzung des Bildes. Diesen<br />
Prozess setzt er mit zeitlichen Abständen fort, „bis es nichts<br />
mehr daran zu tun gibt, das Bild also fertig ist“. Der Titel eines solchen<br />
Bildes bezieht sich dann rein assoziativ auf die Entstehung, wie<br />
das abgebildete Abstrakte Bild, Still aus dem Jahr 1986. Die Potsdamer<br />
Ausstellung zeigt abstrakte Werke Richters von den 60er-Jahren bis<br />
in die Gegenwart. Sie wirft ein Schlaglicht auf die monochrome,<br />
graue Werkgruppe der 70er-Jahre, die schwarz-weißen Malereien in<br />
Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Dokumenten sowie die<br />
Abstrakten Bilder mit ihren Pinsel-, Rakel- und Spachtelspuren im<br />
Farbauftrag.<br />
Potsdam, Museum Barberini, www.museum-barberini.com<br />
GERHARD RICHTER: „ABSTRAKTES BILD, STILL“, 1986, FOTO: MUSEUM BARBERINI © GERHARD RICHTER 20<strong>18</strong><br />
53
E R L E B E N<br />
17. <strong>Juli</strong> bis 27. <strong>August</strong>, Innsbruck<br />
„IMMER IN BEWEGUNG“<br />
Anna Fusek<br />
Spielfreude zeichnet die Interpretationen von Anna Fusek aus. Seit<br />
ihrer Kindheit spielt sie Violine, Blockflöte und Klavier und setzt die<br />
barocke Tradition des vielseitigen Musizierens fort. Mit ihrem Ensemble<br />
Kavka gastiert sie erstmals auf Schloss Ambras. Im Gepäck<br />
hat sie höfische Musik aus Neapel und Innsbruck. „Bewegte<br />
Welten“ lautet das Motto des Originalklang-Festivals Innsbrucker<br />
Festwochen unter der Leitung von Intendant Alessandro De Marchi.<br />
Für ihn ist die Alte Musik ein lebendiges Klanggebilde und immer in<br />
Bewegung. Die einzige Konstante beim Festival sei es, „die Musik im<br />
Klang und in der Gestaltung auf der Grundlage unserer historischen<br />
Informationen und auf Instrumenten in der Bauweise der jeweiligen<br />
Zeit aufzuführen“. Das Konzertprogramm, das mit dem Ensemble<br />
Armoniosa, der Accademia Ottoboni, der Violinistin Leila Schayegh<br />
und dem Daedalus Ensemble Spezialisten auf ihren Streichinstrumenten<br />
versammelt, erinnert an den Tiroler Instrumentenbauer<br />
Jacobus Stainer. Er wurde vor 400 Jahren geboren, und seine<br />
Streichinstrumente werden noch heute für ihren besonderen Obertonreichtum<br />
und einzigartigen Klang bewundert. Das casalQuartett<br />
spielt sein Konzertprojekt „Das goldene Zeitalter“ über die Blütezeit<br />
des Streichquartetts in der Hofburg komplett auf einem Original-Instrumentarium<br />
von Stainer.<br />
Innsbruck, verschiedene Spielorte, www.altemusik.at<br />
Junge Stimmen zur Bühne!<br />
Bundeswettbewerb Gesang Berlin 20<strong>18</strong><br />
für Oper, Operette und Konzert<br />
Anmeldung online bis 1. September<br />
Repertoireanforderungen schlanker und flexibler!<br />
www.bwgesang.de<br />
FOTO: FELIX BROEDE<br />
KHATIA BUNIATISHVILI<br />
6.6. Ingolstadt, Festsaal<br />
22.6. Bad Kissingen, Regentenbau<br />
6.7. Geisenheim, Schloss Johannisberg<br />
25.8. Salzburg (AT), Haus für Mozart<br />
CAMERON CARPENTER<br />
3.6. Wolfsburg, Theater<br />
22., 23., 24.6. Berlin, Konzerthaus<br />
<strong>18</strong>., 19.8. Rendsburg-Büdelsdorf,<br />
NordArt<br />
CAPELLA DE LA TORRE<br />
13.7. Münster, Palais Droste-Hülshoff<br />
28.7. Auhausen, Klosterkirche<br />
29.7. Schwäbisch Hall, Großcomburg<br />
RENAUD CAPUÇON<br />
27.6. Schwarzenberg (AT),<br />
Angelika-Kauffmann-Saal<br />
2.7. Bad Berleburg, Schloss<br />
3.9. Bremen, Handelskammer<br />
DAVID AARON CARPENTER<br />
31.5. Wien (AT), Musikverein<br />
MARIANNE CREBASSA<br />
3.6. Berlin, Pierre Boulez Saal<br />
10., 14.6. Berlin, Staatsoper<br />
<strong>18</strong>.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
5., 6.8. Salzburg (AT), Festspielhaus<br />
TEODOR CURRENTZIS<br />
15.8. Salzburg (AT), Felsenreitschule<br />
17., 19., 22., 23.8. Salzburg (AT),<br />
Stiftung Mozarteum<br />
25.8. Bremen, Die Glocke<br />
DIANA DAMRAU<br />
4.6. Wien (AT), Musikverein<br />
10.6. Luzern (CH), KKL<br />
23., 26., 29.6. Berlin, Deutsche Oper<br />
13.7. München, Odeonsplatz<br />
22.7. Regensburg, Schloss<br />
25.,28.7. München, Staatsoper<br />
LUCAS DEBARGUE<br />
23., 25.6. Bremen, Die Glocke<br />
JOYCE DIDONATO<br />
15.6. Linz (AT), Brucknerhaus<br />
17.6. München, Philharmonie<br />
KEVIN JOHN EDUSEI<br />
1., 14., 16., 19.6. Bern (CH), Theater<br />
10.6. Kempten, bigBOX<br />
22.6. Germering, Stadthalle<br />
29.6. Bern (CH), Theater<br />
JUAN DIEGO FLÓREZ<br />
16.6. Wien (AT), Musikverein<br />
23.6. Linz (AT), Dom<br />
21.7. Bad Hofgastein (AT), Alpenarena<br />
31.8. Gstaad (CH), Festivalzelt<br />
2.9. Grafenegg (AT), Auditorium<br />
VILDE FRANG<br />
15., 16.6. Berlin, Konzerthaus<br />
19., 20.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
25., 27.7. Verbier (CH),<br />
Salle des Combins<br />
29.7. Verbier (CH), Église<br />
11., 12.8. Salzburg (AT), Mozarteum<br />
DAVID FRAY<br />
13.,14.7. Hohenems,<br />
Markus Sittikus Saal<br />
SOL GABETTA<br />
30.6., 1.7. Lübeck, Kongresshalle<br />
CHRISTIAN GERHAHER<br />
28.6., 1., 5., 8., 15., 17., 31.7. München,<br />
Bayerische Staatsoper<br />
20.7. Gmund, Gut Kaltenbrunn<br />
16.8. Kiel, Schloss<br />
17.8. Wiesbaden, Kurhaus<br />
RAPHAELA GROMES<br />
15.7. Leipzig, Schloss Sondershausen<br />
22.7. Bernkastel-Wehen,<br />
Kloster Machern<br />
PABLO HERAS-CASADO<br />
14., 15., 16., 17.6. Hamburg,<br />
Elbphilharmonie<br />
ELZA VAN DEN HEEVER<br />
10., 14., 17., 20., 23., 27.6.<br />
Frankfurt, Oper<br />
ANDREAS MARTIN HOFMEIR<br />
10.6. Ingolstadt, Halle 9<br />
23.6. München, Alte Kongresshalle<br />
27.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
15.7. München, Cuvilliés-Theater<br />
26.8. Salzburg (AT), Stift Nonnberg<br />
DANIEL HOPE<br />
4.6. Berlin, Konzerthaus<br />
23.6. Essen, Philharmonie<br />
25.6. Aurich, Lambertikirche<br />
29.6. Berlin, Komische Oper<br />
19.7. Eberach, Kloster<br />
21.7. Ulrichshusen, Schloss<br />
MAXIMILIAN HORNUNG<br />
10.6. Kempten, bigBOX<br />
3.7. München, Schloss Nymphenburg<br />
22.8. Beidendorf, Dorfkirche<br />
23.8. Wismar, Heiligen-Geist-Kirche<br />
24.8. Schwerin, Schelfkirche<br />
GEROLD HUBER<br />
9.6. Elmau, Schloss<br />
11.6. Berlin, Philharmonie<br />
14.6. Graz (AT), Musikverein<br />
14.7. München, Prinzregententheater<br />
20.7. Gmund am Tegernsee,<br />
Gut Kaltenbrunn<br />
PHILIPPE JAROUSSKY<br />
30.7. Salzburg (AT), Haus für Mozart<br />
PAAVO JÄRVI<br />
9., 10., 11.6. Dresden, Semperoper<br />
31.7. Lübeck, Musik- und Kongresshalle<br />
1.8. Kiel, Schloss<br />
2.8. Rendsburg, Christkirche<br />
23., 24.8. Wiesbaden, Kurhaus<br />
LUCAS & ARTHUR JUSSEN<br />
12.6. Hagen, Arcadeon<br />
17.6. Essen, Philharmonie<br />
26.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
30.6. Köln, Philharmonie<br />
3.8. Bernkastel-Wehlen,<br />
Kloster Machern<br />
4.8. Eisenach, Wartburg<br />
KAMMERAKADEMIE POTSDAM<br />
10.6. Berlin, Konzerthaus<br />
14.6. Berlin, Philharmonie<br />
16.6. Potsdam, Nikolaisaal<br />
SOPHIE KARTHÄUSER<br />
9.6. Wien (AT), Musikverein<br />
SIMONE KERMES<br />
26., 27. 6. Fürth, Stadttheater<br />
THE KING‘S SINGERS<br />
16.6. Düsseldorf, Tonhalle<br />
17.6. Hannover, NDR-Sendesaal<br />
20.6. Berlin, Konzerthaus<br />
21.6. Darmstadt, Staatstheater<br />
24.6. Oldenburg, St. Lamberti<br />
MARTIN KLETT<br />
19.6. Berlin, Piano Salon Christophori<br />
54 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLORIAN MIEDL; DR. RENÉ MEYER; BAYERISCHE PHILHARMONIE; TRANSE EXPRESS; TRANSE EXPRESS; MARTIN SIGMUND; STOFLETH; ASTRID ACKERMANN; GISELA SCHENKER; DOMINIK ODENKIRCHEN; UWE ARENS;<br />
HTTP://SCHEWIG.AT/MUSIKERPORTRAITS-ALESSANDRO-QUARTA/<br />
Aphrodite, die Göttin der Liebe und Schönheit, verführt mich zu lyrischen<br />
Melodien. Und Ares, der Kriegsgott, treibt mich zu unerbittlichem<br />
Rhythmus und jenen bedrohlichen Effekten, zu denen Streicher in<br />
der Lage sind.“ Umrahmt von Werken Griegs und Tschaikowskys, steht<br />
Three Olympians auf dem Programm des Konzerts „Symphonic American“.<br />
Im Zeichen deutsch-amerikanischer Partnerschaft zwischen<br />
dem Denver Philharmonic Orchestra und der Bayerischen Philharmonie<br />
musizieren die beiden Klangkörper unter Lawrence Golan.<br />
München, TonHalle im Werksviertel, www.bayerische-philharmonie.de<br />
1. <strong>Juli</strong><br />
STUTTGART ERDBEBEN.TRÄUME<br />
Toshio Hosokawa konzipiert nach Kleists rätselhafter<br />
Novelle Das Erdbeben von Chili eine<br />
neue Oper. Das Libretto verfasst Marcel Beyer.<br />
Der aus einer alten japanischen Familie stammende<br />
Komponist wurde 1998 mit Visions of<br />
Lear zum Schöpfer der modernen japanischen<br />
Oper. „Ich empfinde mich ganz der japanischen<br />
Tradition zugehörig und schaffe meine Musik auf der Grundlage der langen<br />
kulturellen Tradition Japans“, sagte er einmal im Gespräch. „Meine<br />
Musik orientiert sich in ihren rhythmischen Proportionen an der Atemlehre<br />
der Zen-Meditation. Jeder Atemzug beinhaltet Leben und Tod, Tod<br />
und Leben. Im Sinne dieser kreisenden Zeit muss jeder Spieler atmen.“<br />
Zu den Sängern gehören Esther Dierkes und Dominic Große. Am Pult<br />
steht Sylvain Cambreling. Für Regie und Dramaturgie zeichnen Jossi<br />
Wieler und Sergio Morabito (Foto) verantwortlich.<br />
Stuttgart, Oper, 1. (Premiere), 6., 11., 13., <strong>18</strong>. und 23.7., www.oper-stuttgart.de<br />
10. bis 29. <strong>August</strong><br />
BERLIN TANZ IM AUGUST<br />
Mit Trois Grandes Fugues des Ballet de l’Opéra de<br />
Lyon eröffnet das Tanzfestival seine Jubiläumssaison.<br />
Lucinda Childs, Maguy Marin und Anne<br />
Teresa De Keersmaeker interpretieren choreografisch<br />
Beethovens Große Fuge und setzen sich<br />
mit dem komplexen Verhältnis zwischen klassischer<br />
Musik und zeitgenössischem Tanz auseinander.<br />
Zum 30. Mal kommen Tanzgruppen aus aller Welt in Berlin zusammen.<br />
Das Big Dance Theater aus New York zeigt erstmals in Deutschland<br />
17c, ein Tanzprojekt über die geheimen Tagebücher des englischen Marinesekretärs<br />
Samuel Pepys aus dem 17. Jahrhundert. Die Choreografin<br />
Constanza Macras bringt mit ihrem interdisziplinären Ensemble Dorkypark<br />
Chatsworth zur Uraufführung, ein Projekt über die Township von Durban,<br />
in der indische Immigranten während der Apartheid isoliert waren.<br />
Wie 1988 das Festival seinen Anfang fand, erzählt die Onlinepublikation<br />
Für immer Tanz – 30 Jahre Tanz im <strong>August</strong>.<br />
Berlin, verschiedene Spielorte, www.tanzimaugust.de<br />
2. und 19. <strong>Juni</strong><br />
MÜNCHEN UND BERLIN WIR AUS GLAS<br />
Eine Wohnung, fünf Menschen, sieben Tage: Die<br />
Wohnung wird zur Welt. Das Musiktheaterstück<br />
„Wir aus Glas“ von Yasutaki Inamori und der Autorin<br />
Gerhild Steinbuch (Foto) zeigt die Bewohner<br />
eines Hauses bei der Sorge um sich selbst.<br />
Die Münchener Biennale und die Deutsche Oper<br />
Berlin bringen das Stück mit der Sopranistin Alexandra<br />
Hutton, der Mezzosporanistin Michelle Daly, dem Tenor Clemens<br />
Bieber und dem Bariton Thomas Florio sowie dem Ensemble Opera Lab<br />
Berlin zur Uraufführung. Regie führt David Hermann. Das Wohnzimmer<br />
stiftet Identität und hält die Angst vor dem Unbekannten, Unkontrollierbaren,<br />
Fremden auf Abstand. Der Fremde wird zum Angreifer, weil er das<br />
Eigene, die konstruierte heile Welt, infrage stellt.<br />
München, Muffathalle, 2. (Premiere), 3., 4. und 5.6.,<br />
www.muenchenerbiennale.de<br />
Berlin, Deutsche Oper, 19. (Premiere), 21., 22., 23. und 24.6.,<br />
www.deutscheoper.de<br />
48.<br />
Merseburger<br />
Orgeltage<br />
Geistliche Musik<br />
Merseburger Orgeltage<br />
8. bis 16. September 20<strong>18</strong><br />
Die Klangwelt eines Orgelbauers –<br />
Friedrich Ladegast zum 200. Geburtstag<br />
rund um die Ladegastorgeln des Merseburger Domes in den großen<br />
Abendkonzerten, Orgelabenden, Meditationen zu später Stunde,<br />
Kammermusiken, Morgenandachten und Gottesdiensten<br />
Große Oratorien zeugen von der Klangwelt des 19. Jahrhunderts<br />
Felix Mendelssohn Bartholdy – Elias<br />
Joseph Haydn – Die Jahreszeiten<br />
Johann Sebastian Bach – Matthäuspassion<br />
in der Leipziger Fassung von Felix Mendelssohn Bartholdy aus dem Jahr <strong>18</strong>40<br />
Historische Programme,<br />
erklungen zu den Orgelweihen der Ladegastorgeln im Goldenen Saal<br />
des Musikvereins Wien, des Merseburger Domes und des Schweriner Domes,<br />
gespielt von Martin Haselböck – Wien, Jan Ernst – Schwerin und<br />
Michael Schönheit bilden einen Schwerpunkt in der Reihe der Orgelkonzerte.<br />
Zu Gast in St. Wenzel zu Naumburg<br />
An der Zacharias-Hildebrandt-Orgel: Lorenzo Ghielmi<br />
International renommierte Organisten, Solisten<br />
und Ensembles musizieren. Die Merseburger Hofmusik<br />
feiert ihr 20-jähriges Bestehen.<br />
Freundeskreis Musik und Denkmalpflege in Kirchen des Merseburger Landes e.V.<br />
Musikalische Intendanz: Gewandhausorganist Michael Schönheit<br />
Das genaue Programm im Netz unter www.merseburger-orgeltage.de<br />
Kartenvorverkauf ab 1. März 20<strong>18</strong> über AD-Ticket und im Netz<br />
7. <strong>August</strong> 20<strong>18</strong><br />
Aurea<br />
Variations on Bach<br />
Emanuele Soavi (Choreographie & Tanz)<br />
Emanuele Soavi incompany<br />
Nadja Zwiener (Violine & Leitung)<br />
Barockensemble<br />
Das neue Programm der<br />
KunstKlang-Saison 20<strong>18</strong> / 2019<br />
erscheint im <strong>Juli</strong> 20<strong>18</strong>.<br />
www.kunstklang-feuchtwangen.de<br />
Kartentelefon 09852 904 44<br />
Foto: Gisela Schenker<br />
55
E R L E B E N<br />
20. bis 22. <strong>Juli</strong>, Augsburg<br />
GELEBTE KULTUR<br />
Wilhelm F.<br />
Walz<br />
Dirigent Wilhelm F. Walz, Gründer und Leiter der Konzerte im<br />
Fronhof, zum Jubiläum des Augsburger Festivals:<br />
crescendo: Maestro Walz, vor 20 Jahren riefen Sie das Open-Air-<br />
Festival vor der Kulisse der Fürstbischöflichen Residenz in Augsburg<br />
ins Leben. Denken Sie gerne zurück?<br />
Wilhelm F. Walz: Mit dem Festival setzen wir den Gedanken gelebter<br />
Kultur in der Metropolregion Augsburg-Schwaben um. Großartige Künstler<br />
haben uns auf diesem Weg begleitet. Gerne erinnere ich mich an<br />
Victor von Halem, der bei uns im Freischütz sang, oder den Bariton<br />
Johannes Martin Kränzle, der zahlreiche Mozartpartien übernahm. Wir<br />
hatten die Pianistin Janina Fialkowska zu Gast. Und letztes Jahr kam mit<br />
Maximilian Hornung ein aus der Region stammender und international<br />
agierender Cellist zu uns.<br />
Das Jubiläum feiern Sie mit Beethovens Neunter Sinfonie …<br />
Die Hoffnung, dass alle Menschen Brüder werden, liegt mir sehr nahe.<br />
43 Prozent der in Augsburg lebenden Menschen haben Migrationshintergrund.<br />
Auch findet jedes Jahr dort das Friedensfest statt. Und beim Format<br />
„Augsburger Friedensfest meets Konzerte im Fronhof“, das wir vor<br />
drei Jahren mit der Stadt Augsburg schufen, haben Menschen, die sonst<br />
nicht in Konzerte gehen, freien Eintritt.<br />
Ebenfalls auf dem Programm steht Mozarts Zauberflöte mit Sharleen<br />
Joynt in der Partie der Königin der Nacht.<br />
Sharleen Joynt sang 2014 mit phänomenalem Erfolg die Partie der Zerbinetta<br />
in Strauss’ Ariadne auf Naxos. So etwas hatte das Publikum in der<br />
Region noch nicht erlebt. Junge Künstler zu entdecken und zu fördern ist<br />
ein Anliegen unseres Festivals. Bei uns erhalten sie die Chance, mit erfahrenen<br />
Sängern oder Instrumentalisten auf der Bühne zu stehen.<br />
Teresa Schwamm ist Solistin in Residenz. Was hören wir von ihr?<br />
Die Bratschistin Teresa Schwamm ist Mitglied des Armida Quartetts, das<br />
2012 den ersten Preis beim ARD-Wettbewerb gewann. Sie spielt mit dem<br />
jungen israelischen Klarinettisten Daniel Gurfinkel das Doppelkonzert<br />
von Max Bruch. Außerdem hören wir sie in Bruchs Romanze. Darüber hinaus<br />
gibt sie als Residenzsolistin einen Meisterkurs.<br />
Eine langjährige Partnerschaft verbindet Sie mit der SUK-Symphony<br />
Prag. Was zeichnet den Klangkörper aus?<br />
Seit 2001 ist die renommierte SUK-Symphony Prag als musikalischer Botschafter<br />
Gast unseres Festivals. Ihr warmer Streicher- und Bläserklang<br />
entspricht sehr meinen Vorstellungen. Durch unsere lange Zusammenarbeit<br />
haben wir – insbesondere bei Mozart – eine gemeinsame Klangrede<br />
entwickelt.<br />
Augsburg, Fürstbischöfliche Residenz, www.konzerteimfronhof.de<br />
FOTO: PR<br />
7. <strong>August</strong><br />
FEUCHTWANGEN KUNSTKLANG<br />
„Und die Erde war wüst und leer, und es war finster<br />
auf der Tiefe …“ Ein Dialog „schwarzer Ahnenfiguren<br />
zwischen Vergangenheit und Zukunft.<br />
Ein geheimnisvolles Flüstern von Menschen und<br />
Seelen im Schatten eines ungekannten Waldes aus<br />
Körperteilen und Instrumenten. Wie formt sich<br />
Chaos zu Ordnung, Struktur und Mustern, zur<br />
Harmonie des Goldenen Schnitts? Aurea. Variations on Bach, die Performance<br />
des Choreografen Emanuele Soavi, spürt zur Musik von Johann Sebastian<br />
Bach den Vorstellungen von Ordnung und Chaos, Leben und Tod nach. Es<br />
tanzen Federico Casadei, Lisa Kirsch, Francesca Poglie und Emanuele Soavi.<br />
Feuchtwangen, Stadthalle Kasten, www.kunstklang-feuchtwangen.de<br />
26. <strong>Juli</strong> bis 12. <strong>August</strong><br />
OBERSTDORFER MUSIKSOMMER<br />
Mit dem für sein fulminantes Spiel bekannten<br />
Mandelring Quartett (Foto) und der Marimba-<br />
Virtuosin Katarzyna Myćka, die ihr Spiel mit tänzerischer<br />
Energie betreibt, kommen fünf leidenschaftliche<br />
Musiker zusammen. Daniel Schnyders<br />
Zoom In und Igmar Alderete Acostas Sones de<br />
América werden umrahmt von Astor Piazzollas<br />
Libertango und Leonard Bernsteins West Side Story. Aber das Festival lockt<br />
nicht nur mit atemberaubenden Klängen, sondern einem ebensolchen Alpenpanorama.<br />
So lädt das Jourist Ensemble zur Berg station Höfatsblick auf<br />
das Nebelhorn. Und das Gémeaux Quartett mit der Cellistin Veronika<br />
Zucker spielt hoch oben auf dem Fellhorngipfel.<br />
Oberstdorf, verschiedene Spielorte, www.oberstdorfer-musiksommer.de<br />
9. <strong>Juni</strong><br />
KIEL LA DIVISIONE DEL MONDO<br />
Als die venezianische Barockoper in den Vordergrund<br />
trat, hatte auch Giovanni Legrenzi an ihren<br />
frühen Erfolgen teil. Der Liebling von Johann<br />
Sebastian Bach vereinigt in seinem Werk die von<br />
Cavalli und Cesti begonnenen Neuerungen. Seine<br />
Oper La divisione del mondo – Die Aufteilung der<br />
Welt – aus dem Jahr <strong>18</strong>75 weist neben der strengen<br />
Abfolge von Rezitativen und Arien auch zahlreiche Zwischenformen<br />
auf. 2000 wurde sie von Thomas Hengelbrock wiederentdeckt und kommt<br />
nun in Kiel auf die Bühne. Intendant Ulrich Waller setzt die dekadent gelangweilte<br />
Götterwelt in Szene. Als Venus ist Heike Wittlieb zu erleben. Jupiter<br />
ist Dashuai Chen. Die musikalische Leitung hat Alessandro Quarta inne.<br />
Kiel, Opernhaus, 9. (Premiere) und 16.6. sowie 3. und 6.7., www.theater-kiel.de<br />
3. <strong>Juni</strong><br />
HAMBURG BENJAMIN<br />
Anlässlich der Uraufführung von Flucht. Sechs Passagen<br />
2016 versprach Peter Ruzicka (Foto) eine<br />
neue Oper. Das Orchesterwerk gilt als „Vorecho“<br />
von Benjamin. Denn Pariser Passagen war der Titel<br />
jenes geschichtsphilosophischen Werks, an dem<br />
Walter Benjamin bis zu seinem Tod arbeitete. In<br />
der Nacht des 26. September 1940 nahm er sich<br />
in Portbou das Leben. „Mein Leben wird ein Ende finden in einem kleinen<br />
Dorf in den Pyrenäen, wo mich niemand kennt“, teilte er in seinem Abschiedsbrief<br />
Theodor W. Adorno mit. „Was geht in Walter Benjamin vor,<br />
als er auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in einer Lichtung tief in den<br />
Pyrenäen jene Septembernacht allein verbringt?“, fragt Regisseurin Yona<br />
Kim. „Er hat nichts bei sich außer seiner Aktentasche mit Manuskripten.“<br />
Das Denken werde „zu einer Frage des nackten Überlebens“. Die Titelrolle<br />
übernimmt Dietrich Henschel. Am Pult steht Ruzicka selbst.<br />
Hamburg, Staatsoper, 3. (Premiere), 6., 10., 13. und 16. 6. sowie 14. und 19.10.,<br />
www.staatsoper-hamburg.de<br />
56 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLORIAN MIEDL; DR. RENÉ MEYER; BAYERISCHE PHILHARMONIE; TRANSE EXPRESS; TRANSE EXPRESS; MARTIN SIGMUND; STOFLETH; ASTRID ACKERMANN; GISELA SCHENKER; DOMINIK ODENKIRCHEN; UWE ARENS;<br />
HTTP://SCHEWIG.AT/MUSIKERPORTRAITS-ALESSANDRO-QUARTA/<br />
23.6. Herrenchiemsee, <strong>August</strong>iner<br />
Chorherrenstift<br />
30.6., 1.7., 22.9. Hamburg,<br />
Jenisch Haus<br />
<strong>18</strong>.7. Lütetsburg, Schloss<br />
29.7. Mettlach, Alte Abtei<br />
WOLFGANG KOCH<br />
28., 29.6., 1., 2., 5.7. München,<br />
Bayerische Staatsoper<br />
PETER KOFLER<br />
15.6. Nürnberg, Frauenkirche<br />
KATHARINA KONRADI<br />
9.6. Würzburg, Central im Bürgerbräu<br />
17., 23., 24., 27., 29.6. Wiesbaden,<br />
Staatstheater<br />
ALEXANDER KRICHEL<br />
1.6. Sundern, Haus Berghoff<br />
7.8. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
8.8. Brunsbüttel, Elbeforum<br />
31.8. Göttingen, Stadthalle<br />
FRANÇOIS LELEUX<br />
8.7. Stuttgart, Liederhalle<br />
IGOR LEVIT<br />
16.6. Elmau, Schloss<br />
26.6. Düsseldorf,<br />
Robert-Schumann-Saal<br />
15. <strong>Juni</strong> bis Ende Januar 2019, Nürnberg<br />
Inszenierte Politik,<br />
politisches Musiktheater?<br />
Ausschnitt einer Postkarte:<br />
Adolf Hitler im Opernhaus<br />
Nürnberg während einer Aufführung<br />
der Meistersinger.<br />
22.7. Salzburg (AT), Mozarteum<br />
4.8. Salzburg (AT), Haus für Mozart<br />
25.8. Salzburg (AT), Festspielhaus<br />
JI YOUNG LIM<br />
25.6. Frankfurt, Hochschule für Musik<br />
OKSANA LYNIV<br />
3., 6., 10.6. Graz (AT), Oper<br />
17.9. Graz (AT), Stefaniensaal<br />
YO-YO MA<br />
31.8. Leipzig, Gewandhaus<br />
4.9. Frankfurt, Alte Oper<br />
XAVIER DE MAISTRE<br />
29.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
10.8. Rendsburg, Christkirche<br />
11.8. Elmshorn, Reithalle<br />
CORNELIUS MEISTER<br />
7.6. Wien (AT), Musikverein<br />
14.6. Wien (AT), Konzerthaus<br />
NILS MÖNKEMEYER<br />
17.6. Würzburg, Residenz<br />
26.7. Erfurt, Predigerkirche<br />
28.7. Ulrichshusen, Remise<br />
29.7. Ulrichshusen, Schloss<br />
3.8. Schwerin, Schelfkirche<br />
9.8. Itzehoe, Theater<br />
Hitler war vom Musiktheater fasziniert.<br />
Diese persönliche Leidenschaft<br />
sprang jedoch nicht<br />
nur auf sein politisches Handeln<br />
über – auch im Nürnberger Kulturleben<br />
hinterließ er tiefe Spuren.<br />
Auf seine Weisung wurden<br />
die Reichsparteitage der NSDAP<br />
in Nürnberg alljährlich mit Wagners<br />
Meistersingern von Nürnberg<br />
eröffnet. Und auch das Opernhaus<br />
wurde nach seinen Wünschen<br />
neu gestaltet. Stadt, Politik<br />
und Bühne traten in Nürnberg in<br />
einen intensiven Dialog – wie es<br />
so wohl in keiner anderen deutschen<br />
Stadt in dieser Zeit zu beobachten<br />
ist. Auf der ehemaligen Bühne politischer Inszenierung, dem<br />
Reichsparteitagsgelände, macht die Ausstellung „Hitler.Macht.Oper –<br />
Propaganda und Musiktheater in Nürnberg“ dieses komplexe Wechselspiel<br />
erfahrbar. Die dem Theaterbau nachempfundene Ausstellungsarchitektur,<br />
entworfen von Bühnenbildner Hermann Feuchter,<br />
führt den Besucher ins Intendantenbüro, auf die große Bühne und hinter<br />
die Kulissen. Die Ausstellung ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts,<br />
das vom Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität<br />
Bayreuth (fimt) in Kooperation mit dem Staatstheater Nürnberg und<br />
dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände durchgeführt<br />
wird. Am 14. <strong>Juni</strong> 20<strong>18</strong> wird die Ausstellung eröffnet. Bis Ende Januar<br />
2019 gibt es ein vielseitiges Beiprogramm aus Führungen, kommentierten<br />
Konzerten und Lesungen. Jasmin Goll<br />
Nürnberg, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände,<br />
museen.nuernberg.de, weitere Informationen zum Forschungsprojekt:<br />
www.musikpropaganda.uni-bayreuth.de<br />
FOTO: DOKUMENTATIONSZENTRUM REICHSPARTEITAGSGELÄNDE<br />
So, 17.06.<strong>18</strong>, 20 Uhr<br />
Philharmonie im Gasteig München<br />
Der vielumjubelte<br />
Opernstar wieder<br />
in München!<br />
JOYCE<br />
DIDONATO<br />
IN WAR AND PEACE<br />
Il pomo d´oro<br />
Maxim Emelyanychev Cembalo & Leitung<br />
Karten erhältlich beim Veranstalter: Tel. 0800-545 44 55 (kostenfrei) oder<br />
über München Ticket: Tel. 089-54 81 81 81 sowie an allen Vorverkaufsstellen<br />
EDGAR MOREAU<br />
9.6. Würzburg, Central im Bürgerbräu<br />
27.6. Schwarzenberg (AT),<br />
Angelika-Kauffmann-Saal<br />
26.7. Tegernsee, St. Quirinus<br />
REGULA MÜHLEMANN<br />
13.6. München, Schloss Nymphenburg<br />
15.6. Weimar, Schloss Ettersburg<br />
17.6. Bad Lauchstädt, Goethe-Theater<br />
8., 11., 14.7. Baden-Baden, Festspielhaus<br />
SOPHIE PACINI<br />
8.6. Bonn, Schumann-Haus<br />
4.9. Traunstein, A.-Kolb-Gymnasium<br />
EMMANUEL PAHUD<br />
3.6. Berlin, Pierre Boulez Saal<br />
8., 9., 10.7. Köln, Philharmonie<br />
ANTONIO PAPPANO<br />
14., 15., 16.6. München, Philharmonie<br />
24., 25., 26.6. Berlin, Staatsoper<br />
8., 9., 10.7. Dresden, Semperoper<br />
12.7. Wiesbaden, Kurhaus<br />
13.7. Lübeck, Kongresshalle<br />
14.7. Redefin, Landgestüt<br />
OLGA PERETYATKO<br />
14., 17., 19., 21.6. Hamburg, Staatsoper<br />
JEAN RONDEAU<br />
6.6. Salzgitter, Stiftskirche<br />
14.6. Leipzig, Alter Rathaus<br />
15.6. Leipzig, Schaubühne Lindenfels<br />
22.8. Oestrich-Winkel, St. Ägidius<br />
VALER SABADUS<br />
3.6. Dortmund, Konzerthaus<br />
24.6. Zürich (CH), Opernhaus<br />
31.8, 2.9. Köthen, St. Jakob<br />
FAZIL SAY<br />
9.6. Stuttgart, Liederhalle<br />
<strong>18</strong>.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
BENJAMIN SCHMID<br />
1.6. Kindberg (AT), Volkshaus<br />
5.6. Mattsee (AT), Stiftskirche<br />
10.6. Wien (AT), Musikverein<br />
19.6. Wien (AT), Konzerthaus<br />
ERWIN SCHROTT<br />
26.,29.7. München, Staatsoper<br />
CHRISTIAN TETZLAFF<br />
31.5., 1., 2.6. Berlin, Konzerthaus<br />
4., 5.6. Mannheim, Congress Center<br />
11.6. Köln, Philharmonie<br />
12.6. Neumarkt, Kulturhaus Reitstadel<br />
<strong>18</strong>.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
27.7. Emden, Bibliothek<br />
28.7. Klosters (CH), St. Jakob<br />
29.7. Hitzacker, VERDO Konzertsaal<br />
31.8. Höxter, Schloss Corvey<br />
ALEXANDRE THARAUD<br />
7.6. Wolfenbüttel, Lessingtheater<br />
22.6. Cully, Temple de Cully<br />
19.7. Gmund, Gut Kaltenbrunn<br />
JAN VOGLER<br />
1.6. Berlin, Philharmonie<br />
8.6. Dresden, Frauenkirche<br />
10.6. Dresden, Palais im Gr. Garten<br />
10.6. Dresden, Kulturpalast<br />
MICHAEL VOLLE<br />
31.5., 10., 14.6. Berlin, Staatsoper<br />
16., 19., 22.6. München, Staatsoper<br />
57
E R L E B E N<br />
Alljährlich lockt die Arena di Verona mit ihren Opernfestspielen<br />
BEZAUBERNDE KLÄNGE<br />
IM SÜDEN<br />
Zwischen Zypressen und Orangenbäumen: Der Festivalsommer<br />
in Italien lockt mit lauen Sommernächten und schmeichelndem Wohlklang.<br />
Wir haben für Sie die Highlights zusammengestellt.<br />
VON JULIA HARTEL<br />
Italien zählt bekanntlich zu den unangefochtenen Lieblingsreisezielen<br />
der Deutschen. Für Musikbegeisterte gibt es – abgesehen<br />
vom Wetter, den traumhaften Landschaften und der Kulinarik –<br />
noch einen weiteren guten Grund für einen Besuch: Das „Belpaese“<br />
verfügt über eine überaus reichhaltige Festivallandschaft, die die<br />
Besucher an einzigartige Veranstaltungsorte führt.<br />
So bilden zum Beispiel die historischen Schlösser der Region<br />
Friaul-<strong>Juli</strong>sch Venetien die Spielstätten für das Piccolo Festival,<br />
das verschiedene Opernproduktionen umfasst und in diesem Jahr<br />
unter dem Motto „Capriccio“ steht. Im Castello di Spessa im Herzen<br />
des Weinbaugebietes Collio ist beispielsweise am 10. und 12.<br />
<strong>Juli</strong> Le Nozze di Figaro zu erleben; in der Villa Manin Guerresco in<br />
Clauiano und im Palazzo Altan in San Vito al Tagliamento werden<br />
am 5. und am 13. <strong>Juli</strong> die Kaffeekantate sowie La Dirindina, eine<br />
barocke Opernrarität von Giovanni Battista Martini, gegeben. Für<br />
das gastronomische Angebot sorgen jeweils einige der renommier-<br />
58 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
FOTOS: ARENA DI VERONA / ENNEVI; RAVELLO FESTIVAL; PICCOLO FESTIVAL/M. TASSOTTO; ARMONIE D‘ARTE<br />
Ravello Festival oberhalb von Amalfi; Castello di Spessa beim Piccolo Festival; das antike Scolacium beim Armonie d’Arte Festival<br />
testen Köche der Region. Im benachbarten Venetien ist eine Festivalreihe<br />
zu Hause, die sich seit Jahrzehnten internationaler Beliebtheit<br />
erfreut: die Opernfestspiele in der Arena di Verona. Ihre 95.<br />
Ausgabe findet dieses Jahr vom 22. <strong>Juni</strong> bis 1. September statt und<br />
lockt mit den Klassikern Aida, Carmen, Nabucco, Turandot und<br />
dem Barbier von Sevilla, aber auch mit einer Ballettgala unter dem<br />
Motto „Roberto Bolle and Friends“.<br />
Das südöstlich von Verona gelegene Ravenna richtet alljährlich<br />
das Ravenna Festival aus, das in diesem Jahr neben Opernproduktionen<br />
zusätzlich Konzerte mit klassischer Musik und Jazz sowie<br />
Filmvorführungen und Ausstellungen beinhaltet. Auch hier versprechen<br />
vielfältigste stimmungsvolle Veranstaltungsorte – wie die<br />
byzantinischen Basiliken, die Klöster und Plätze der Stadt – besonderen<br />
Genuss. Die Festspiele dauern vom 1. <strong>Juni</strong> bis zum 22. <strong>Juli</strong>.<br />
Aus Anlass des 150. Todesjahres von Gioacchino Rossini widmet<br />
die Stadt Pesaro in den Marken ihrem vielleicht berühmtesten<br />
Sohn eine ganze Reihe an Veranstaltungen. Nicht zuletzt beim<br />
diesjährigen Rossini Opera Festival werden hier viele erstklassige<br />
Musiker auf der Bühne stehen.<br />
Noch weiter im Süden, in den Regionen Emilia-Romagna<br />
und Kampanien, sind das Ravello Festival und das Festival Verdi<br />
beherbergt. Der Anblick des Gartens der Villa Rufolo in Ravello,<br />
oberhalb von Amalfi, raubte mit seinem unvergleichlichen Panorama<br />
schon Richard Wagner den Atem:<br />
„Ich habe den Zaubergarten von Klingsor<br />
gefunden!“, schrieb der Komponist <strong>18</strong>80,<br />
beglückt über diese außergewöhnliche<br />
Inspiration zum zweiten Akt seines Parsifal.<br />
Vom 30. <strong>Juni</strong> bis zum 25. <strong>August</strong><br />
werden hier Konzerte und Ballettabende<br />
MUSIKFESTIVALS IN ITALIEN<br />
Einen umfangreichen Überblick über die italienische<br />
Festivallandschaft finden Sie unter:<br />
www.festspielguide.de/italien<br />
Weitere Infos unter:<br />
www.italiafestival.it | www.enit.de | www.italia.it<br />
Social Media Hashtags #ILikeItaly und #italiafestival<br />
mit erlesenen Musik- und Tanzensembles angeboten. Das Festival<br />
Verdi bringt etwas später im Jahr, nämlich vom 27. September bis<br />
zum 21. Oktober, Opern des großen italienischen Romantikers auf<br />
die Bühne: Im Teatro Regio di Parma kommen Macbeth und Attila,<br />
im Teatro Farnese in Parma Der Troubadour und im Teatro<br />
Guiseppe Verdi in Busseto König für einen Tag zur Aufführung.<br />
Ein unverwechselbares Erlebnis verspricht das Festival<br />
Armonie d’Arte in Borgia, Kalabrien. Die Besucher können hier im<br />
geschichtsträchtigen Parco Archeologico Scolacium, einem nur<br />
200 Meter vom Strand entfernten Ausgrabungsgelände, Musik-,<br />
Theater- und Tanzveranstaltungen genießen. Teilnehmende<br />
Künstler sind dieses Jahr unter anderem Zubin Mehta und Pat<br />
Metheny.<br />
Mit einem abwechslungsreichen Programm wartet auch die<br />
sizilianische Hauptstadt Palermo auf, die von einem faszinierenden<br />
Reichtum an Kulturschätzen und einer lebhaften Atmosphäre<br />
geprägt ist und 20<strong>18</strong> den Titel „Italienische Kulturhauptstadt“<br />
trägt. Der Veranstaltungskalender umfasst Musikveranstaltungen<br />
– unter anderem Konzerte im Teatro Massimo –, aber auch Ausstellungen<br />
und die Kunstbiennale Manifesta 12, die als eine der wichtigsten<br />
europäischen Biennalen für zeitgenössische Kunst vom 16.<br />
<strong>Juni</strong> bis zum 4. November besucht werden kann.<br />
Man sieht: In Italien findet sich kaum eine Provinz, die<br />
nicht ihr eigenes Musikfestival feiert.<br />
Viele weitere ließen sich nennen, etwa<br />
das Umbria Jazz-Festival in Perugia,<br />
der Maggio Musicale in Florenz oder<br />
das größte Straßenmusikfest Italiens in<br />
Ferrara.<br />
n<br />
59
E R L E B E N<br />
Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz spielt Konzerte in der gesamten Rhein-Neckar-Region<br />
DIE MUSIK ZU DEN<br />
MENSCHEN BRINGEN!<br />
Für die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ist die kommende Saison<br />
Abschied und Aufbruch zugleich: Ihr starkes Führungs-Duo der vergangenen Jahre<br />
wird sie verlassen, Energie und Feuer bleiben.<br />
VON MARIA GOETH<br />
„Mehrstimmige Musik ist wie ein Erfolgsrezept für eine mehrstimmige<br />
Gesellschaft: Jede einzelne Stimme funktioniert in Respekt<br />
vor und Gemeinschaft mit der anderen!“, so die Überzeugung von<br />
Michael Kaufmann, seit 2011 Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie<br />
Rheinland-Pfalz. Zusammen mit Chefdirigent Karl-<br />
Heinz Steffens hat er in den vergangenen Jahren reichlich was<br />
bewegt in seiner Region. Eine Vielzahl neuer Konzertformate<br />
wurde geboren: etwa die Reihe „Modern Times“, die mit ihrem<br />
unverkrampften Blick auf die Tonkunst des 20. Jahrhunderts auch<br />
Skeptiker in Konzerte Neuer Musik lockt. Den Schlüssel zum<br />
Erfolg liefern dabei knackige, auch komplexe Musik zugänglich<br />
machende Moderationen, aber auch namhafte Solisten wie Frank<br />
Peter Zimmermann oder Isabelle Faust. Dann wäre da der Bruckner-Zyklus,<br />
in der die Musik des großen<br />
Romantikers in den vier großen Domen der<br />
Region – Speyer, Worms, Trier und Mainz –<br />
gespielt wird, eine gelungene Symbiose von<br />
Musik und architektonischem Weltkulturerbe.<br />
STAATSPHILHARMONIE<br />
RHEINLAND-PFALZ<br />
Informationen und Kartenservice:<br />
www.staatsphilharmonie.de<br />
Und wieder ganz anderen Charakters zeigen sich Reihen wie die<br />
im Mannheimer Capitol, ehemals einem der größten Filmtheater,<br />
wo sich Klassik und Jazz begegnen, aber auch „traditionelle“ klassische<br />
Musik gegeben wird. Dabei senkt der ungewöhnliche Ort<br />
die Hemmschwelle für Besucher, die sich sonst nicht unbedingt in<br />
Konzertsäle verirren.<br />
Kein Wunder, dass sich Kaufmann und Steffens über kontinuierlich<br />
steigende Besucherzahlen freuen, obwohl die große<br />
Me tropolregion, die das Orchester bespielt – gelinde gesagt! –<br />
nicht allzu viel gemein hat: Während es in Ludwigshafen kaum<br />
eine bürgerliche Gesellschaft gibt, findet man sie in Mannheim<br />
und Heidelberg durchaus. Heidelberg ist außerdem ein Sammelbecken<br />
für Studenten und Mediziner. Dass diese über Jahrzehnte<br />
gewachsenen Unterschiede auch vollkommen<br />
verschiedenes Publikum hervorbringen, sieht<br />
Intendant Kaufmann als Herausforderung<br />
und Chance zugleich: „Mit demselben Programm<br />
in Heidelberg und Ludwigshafen kann<br />
60 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
FOTOS: SEBASTIAN GÜNDEL; MARCO BORGGREVE; JULIA OKON<br />
Chefdirigent Karl-Heinz Steffens und Intendant Michael Kaufmann;<br />
in der kommenden Saison im Künstlerporträt zu erleben: Dirigent Michael Francis und Pinchas Zukerman<br />
man vollkommen unterschiedliche Menschen erreichen: von<br />
denen, die leger gekleidet in der Pause ein Bier trinken, bis zu den<br />
elegant Gekleideten mit Champagnerglas.“<br />
Und dann wäre da noch das Fehlen eines eigenen Konzertsaals<br />
für die Musiker der Deutschen Staatsphilharmonie. „Ein<br />
Orchester ohne Heimat ohne Haus ist nicht eingebunden in ein<br />
Gesamtprogramm. Das Wirken wird auf das einzelne Ereignis<br />
reduziert. Da fällt es schwer, etwas langfristig zu entwickeln,<br />
Stammpublikum aufzubauen“, erläutert Kaufmann. Deshalb hat<br />
er sich beispielsweise ausgedacht, dass Besucher ihr eigenes Abo<br />
aus den Angeboten in Ludwigshafen und Mannheim zusammenstellen<br />
können. Dennoch: „Jeder Musiker bei uns muss einen viel<br />
größeren Aufwand betreiben, weil er immer erst irgendwo hinfahren<br />
muss. Das fordert ganz schön Energie!“ Dennoch bleibt<br />
Kaufmann auch in Bezug auf die Herausforderung der „Heimatlosigkeit“<br />
Optimist: „Es ist eine großartige Leistung, wenn man<br />
die Musik zu den Menschen bringt! Wir kommen zu ihnen, nicht<br />
sie zu uns!“<br />
Auf die Frage, ob er sich einen eigenen Konzertsaal wünscht<br />
(spannende Aspekte zum Thema „Raum“ auch in unserem Themenschwerpunkt<br />
ab S. 73), fordert Kaufmann, man müsse sich von<br />
den alten starren Konzepten eines „Tempels der klassischen Musik“<br />
befreien, hindenken zu neuen flexiblen und multifunktionalen<br />
Bauten, die zum „gesellschaftlichen Kristallisationspunkt“ gedeihen<br />
können. Konzerte würden dann zu Ereignissen, in die nicht<br />
nur typische Klassikfans strömten. „In einer immer digitaleren<br />
Welt wird oft vergessen, dass es Versammlungsräume geben muss,<br />
in denen es noch absolut analog zugeht, in der echte Gemeinschaft<br />
entstehen kann und nicht nur eine User Group in irgendeinem<br />
Forum. Musik wird hier zum Diener und zum Motor ganz vitaler<br />
gesellschaftlicher Funktionen“, so Kaufmanns Vision. „Ich hasse<br />
es, wenn man uns in eine Nische sperrt! Als ich noch in der Kölner<br />
Philharmonie gearbeitet habe, war es immer unser Ehrgeiz, mehr<br />
Besucher zu erreichen als der 1. FC Köln. Das haben wir jedes Jahr<br />
geschafft!“<br />
Trotz all dieses Eifers und dieser Entwicklungen nimmt das<br />
Leitungsduo im Sommer von der Staatsphilharmonie Abschied.<br />
„Was Karl-Heinz Steffens und ich gemacht haben, war für alle<br />
Beteiligten – vom Ministerium bis zu den Mitarbeitern und Musikern<br />
– ein anstrengender Parcours! Denen haben wir viel zugemutet“,<br />
resümiert Kaufmann. Nun sieht er sich ganz ohne Bitternis<br />
am Ende eines Weges, auf dem er erst mal alles gegeben hat, was er<br />
aus seiner Sicht geben kann. „Man könnte sagen, dass ich sehr<br />
erfolgreich gescheitert bin“, lacht er und übergibt den Staffelstab<br />
beziehungsweise ein Orchester in Tipptopp-Zustand an seinen<br />
Nachfolger Beat Fehlmann. Die Chefdirigentenposition ist noch<br />
nicht neu besetzt und wird wohl eine Saison lang offen bleiben, bis<br />
der oder die Neue pünktlich zum 100. Geburtstag des Orchesters<br />
Ende 2019 in Steffens Fußstapfen tritt.<br />
Die kommende Saison ist noch das planerische Werk des<br />
scheidenden Intendanten. Kaufmann freut sich besonders, dass<br />
etwa Pinchas Zukerman wiederkommen wird, mit dem das<br />
Orchester acht Konzerte mit zwei unterschiedlichen Programmen<br />
gibt: „Der spielt und dirigiert nicht nur, sondern hält eine Art Masterclass<br />
für alle unsere Streicher!“ Außerdem wird im Rahmen<br />
eines Künstlerporträts der britische Dirigent Michael Francis<br />
15 Konzerte übernehmen, was trotz der chefdirigentenlosen Zeit<br />
für Kontinuität und eine persönliche Handschrift vom Pult aus<br />
sorgen wird. Weitere Highlights sind drei Konzerte mit Mozart,<br />
Haydn und dem Brahms-Doppelkonzert, bei der Musiker aus dem<br />
Orchester die Solisten sind und sich so in ungeahnter Stärke präsentieren<br />
können.<br />
Und was wünscht Kaufmann seinem Orchester für die<br />
Zukunft? Dass es weiterhin kontinuierlich, selbstkritisch und voller<br />
Energie an seiner Qualität arbeitet und eine unverzichtbare<br />
Kultureinrichtung in der ganzen Region bleibt!<br />
n<br />
61
E R L E B E N<br />
Sie kamen alle zum Gratulieren: Von Alfred Brendel bis Martha Argerich, von Anne-Sophie Mutter bis Khatia Buniatishvili<br />
– doch das Jubiläumsjahr ist noch lange nicht vorbei!<br />
GEBURTSTAGSGALA<br />
MAL ZWEI<br />
Ein doppeltes Hurra: Das Klavier-Festival Ruhr wird 30,<br />
sein Intendant Franz Xaver Ohnesorg 70!<br />
VON GUIDO KRAWINKEL<br />
Klavier-Festival Ruhr 19.4. bis 13.7.<br />
Information und Kartenservice:<br />
Tel.:+49-(0)201-89 66 80<br />
www.klavierfestival.de<br />
Er kann es nicht lassen: Selbst im Moment, in dem Franz Xaver<br />
Ohnesorg die Ehre angetragen wird, sich ins Goldene Buch der<br />
Stadt Wuppertal einzuschreiben, denkt er nur an eines: an „sein“<br />
Festival. Der Musikmanager Ohnesorg ist seit 1995 ohne Unterlass<br />
für das Klavier-Festival Ruhr auf den Beinen, und statt sich im<br />
Moment des Triumphes einfach feiern zu lassen, tut er das, was er<br />
am besten kann: Menschen mobilisieren, das Publikum mit ins<br />
Boot nehmen, Aufmerksamkeit generieren.<br />
Ohnesorg möchte für die ganz große Bühne sorgen: Es soll<br />
nicht nur ein feierlicher Verwaltungsakt mit ein paar Pressevertretern<br />
sein, nein, die Wuppertaler Bevölkerung, die durch ihr bürgerschaftliches<br />
Engagement erst solche Veranstaltungsorte<br />
wie die historische Stadthalle ermöglicht<br />
hat, solle auch zugegen sein. Hier erweist<br />
der von Thomas Quasthoff bei der Jubiläumssause<br />
in der altehrwürdigen Wuppertaler Stadthalle mit einem<br />
durchaus hintergründigen Lächeln als „Sonnenkönig“ titulierte<br />
„FXO“ seinem Ruf als Kulturkatalysator wieder einmal alle Ehre.<br />
Dass er das in den vergangenen Jahren überaus erfolgreich<br />
gemacht und das von einer Stiftung getragene und maßgeblich vom<br />
Initiativkreis Ruhr als Generalsponsor unterstützte Klavier-Festival<br />
Ruhr zum größten Festival seiner Art weiterentwickelt hat, zeigt<br />
schon die Gästeliste: ein Who’s Who der Pianistenzunft, von Alfred<br />
Brendel bis Joseph Moog reicht die Spannweite, von Martha Argerich<br />
bis zu Gerhard Oppitz. Und natürlich ist der Saal ausverkauft.<br />
Gefeiert wird an diesem Abend aber nicht nur das 30-jährige<br />
Jubiläum des Festivals, auch Ohnesorg selbst<br />
feiert Geburtstag, seinen 70. Anzumerken ist<br />
ihm das nicht. Das Diktum von Kultur als notwendigem<br />
Lebensmittel – der Jubilar scheint<br />
62 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
SYMPHONIC AMERICA<br />
TRANSATLANTISCHE PARTNERSCHAFT<br />
Werke von Grieg, Boyer und Tschaikowsky<br />
Mittwoch, 4. <strong>Juli</strong> 20<strong>18</strong>, 20.00 Uhr<br />
TonHalle München im Werksviertel<br />
Bayerische Philharmonie in Kooperation mit dem<br />
Denver Philharmonic Orchestra | Lawrence Golan Dirigent<br />
www.bayerische-philharmonie.de<br />
Anzeige_90x126_Crescendo.qxp_Druckvorlage Karten: 34/24/17 €, ermäßigt für Schüler und Studenten | Bayerische <strong>18</strong>.04.<strong>18</strong> Philharmonie 14:11 Seite 1<br />
Tel. +49 89 120 220 320 | info@bayerische-philharmonie.de | www.muenchenticket.de<br />
FOTO: KLAVIERFESTIVAL RUHR<br />
Aus unserer Spielzeit 20<strong>18</strong><br />
ANDREAS HOFER<br />
MY FAIR LADY<br />
SHERLOCK HOLMES<br />
LA TRAVIATA<br />
und andere<br />
der beste Beweis dafür zu sein, ebenso wie sein Festival. Das<br />
Programm des gut dreistündigen Abends im Übrigen auch:<br />
Moog und Oppitz spielen vierhändig Schubert, Sopranistin <strong>Juli</strong>ane<br />
Banse singt ebendiesen, und Olli Mustonen spielt Beethoven-Variationen.<br />
Brendel bleibt sich selbst treu und rezitiert<br />
Selbstgedichtetes während Sohn Adrian Kurtág spielt, danach<br />
hört man Elena Bashkirova mit Tschaikowsky und Martha Argerich<br />
nebst Sergio Tiempo mit Ravel – allein die erste Hälfte des<br />
Abends ist für sich genommen schon ein Mini-Festival.<br />
Die zweite ist der vermeintlich leichteren Muse vorbehalten:<br />
Maki Namekawa und Dennis Russel Davies spielen Bernstein,<br />
Anne-Sophie Mutter und Khatia Buniatishvili fetzen<br />
Gershwin, bevor mit Till Brönner, Dieter Ilg, Thomas Quasthoff<br />
und Frank Chastenier in wechselnden Besetzungen gejazzt wird.<br />
Für das furiose Finale sorgt Michel Camilo mit einem umjubelten<br />
Auftritt.<br />
Was macht aber nun den Geist des Klavier-Festivals Ruhr<br />
aus? „Das Klavier-Festival ist für mich die weltweit führende<br />
Plattform, für Liebhaber der Klaviermusik wie für Pianisten. Ich<br />
kenne nichts Vergleichbares“, sagt Gerhard Oppitz auf der After-<br />
Show-Party. Auch für Joseph Moog spielt das Festival eine<br />
besondere Rolle: „Hier ist das Zuhause für die großen Pianisten<br />
der Welt. Hier sind schon viele Freundschaften entstanden, hier<br />
gibt es oft ganz spontane Begegnungen.“ Für den Dirigenten<br />
und Pianisten Dennis Russel Davies hat es mit dem Festival<br />
zudem eine sehr persönliche Bewandtnis: Hier ist er nicht nur<br />
unzählige Male aufgetreten, hier hat er auch seine Frau kennengelernt.<br />
Hier erhalte man, so erzählt er, nach der Probe auch mal<br />
eine Kunstführung durch den Intendanten höchstpersönlich.<br />
Vor allem eins hat ihn sehr beeindruckt: „Hier gibt es ein sehr<br />
interessiertes und offenes Publikum.“<br />
n<br />
Foto © Florian Miedl<br />
Infos, Preise und Karten: Tourist-Information der Festspielstadt Wunsiedel<br />
Tel. 09232/602 162 | karten@luisenburg-aktuell.de<br />
www.luisenburg-aktuell.de<br />
63
E R L E B E N<br />
FOTO: BAYERISCHE SCHLÖSSERVERWALTUNG, ACHIM BUNZ<br />
BAROCKER PRACHTBAU<br />
Seit April hat es wieder geöffnet, das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth – neben dem<br />
Festspielhaus am Grünen Hügel die zweite musikalische Instanz in der fränkischen Metropole.<br />
VON JASMIN GOLL<br />
„Wow!“ – das hört man am häufigsten, wenn die Besucher den Innenraum<br />
betreten. Nach sechs Jahren Sanierung und Restaurierung hat<br />
das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth im April seine Pforten<br />
wieder geöffnet. Das hat in der fränkischen Kleinstadt, die sonst nur<br />
zu den Bayreuther Festspielen voller Touristen ist, für viel Trubel<br />
gesorgt: Es gab im Vorfeld eine halbjährige Vortragsreihe zu Markgräfin<br />
Wilhelmine von Bayreuth, die das Opernhaus 1748 erbauen<br />
ließ, eine Tagung zu Johann Adolf Hasse, mit dessen Oper Artaserse<br />
das Haus damals und nun (wieder-)eröffnet wurde, und die Residenztage<br />
Bayreuth, die mit Führungen erste Einblicke gaben.<br />
Aber es ist ja auch ein Kleinod, das in Bayreuth für knapp 30<br />
Millionen wieder auf Vordermann gebracht wurde. Das Markgräfliche<br />
Opernhaus zählt europaweit zu den wenigen erhaltenen und<br />
größten Opernhäusern aus dem <strong>18</strong>. Jahrhundert. Jedes Detail im<br />
Haus scheint höfisches Wettrüsten durch Kunstbeflissenheit widerzuspiegeln:<br />
mit goldenem Blattwerk umwundene Säulen, ein prächtiges<br />
Deckengemälde, illusionistische Malereien und Verzierungen,<br />
soweit das Auge reicht. Für Richard Wagner war das zu viel des<br />
Guten. Auf der Suche nach einer geeigneten Spielstätte für seine<br />
Festspielidee begutachtete er auch dieses Opernhaus, hielt es aber<br />
für untauglich.<br />
Dabei hatte Markgräfin Wilhelmine, die Schwester von Friedrich<br />
dem Großen, keinen Geringeren als den Theaterarchitekten<br />
Giuseppe Galli-Bibiena, der zuvor für den Wiener Kaiserhof tätig<br />
gewesen war, für die Errichtung dieses Prachtbaus nach Bayreuth<br />
geholt. Bis zu 30 Restauratoren waren in den letzten Jahren am<br />
MARKGRÄFLICHES OPERNHAUS BAYREUTH<br />
Öffnungszeiten April – September: 9 – <strong>18</strong> Uhr,<br />
Oktober – März: 10 – 16 Uhr<br />
Tel.: +49-(0)921-75 96 90 | sgvbayreuth@bsv.bayern.de<br />
www.bayreuth-wilhelmine.de<br />
Werk, um dem Haus seine ursprüngliche<br />
Farbigkeit zurückzugeben, denn die<br />
Holzbalustraden im Logenhaus waren<br />
bei Restaurierungen im 20. Jahrhundert<br />
dunkel überpinselt worden. Die Bühnenkulissen<br />
von Bibiena wurden originalgetreu nachgebildet. Somit<br />
wird die einstige illusionistische Tiefenwirkung des Bühnenbilds<br />
von der Aufführung 1748 heute wieder erfahrbar.<br />
Während des regulären Museumsbetriebs stehen in den Sommermonaten<br />
nun Opernaufführungen und Konzerte auf dem Programm,<br />
unter anderem vom Straßburger Konservatorium, das<br />
zeigt, wie tanzbar Orchestermusik von Bach und Händel sein<br />
kann, und vom Theater Pilsen, das Monteverdis Orfeo in Szene<br />
setzt. Man darf gespannt sein, wie in Zukunft inszenierungsästhetisch<br />
und technisch mit dem Raum umgegangen wird. Die<br />
Artaserse-Aufführung der Theaterakademie <strong>August</strong> Everding<br />
München, mit der das Haus eröffnet wurde, versuchte einen Spagat<br />
zwischen Dekonstruktion und Anlehnung an historisches Erbe.<br />
Das Produktionsteam erarbeitete ein Pasticcio aus Artaserse und<br />
einzelnen Stücken aus Hasses Ezio und Argenore, Wilhelmines<br />
eigens komponierter Oper, sowie Ausschnitten aus Wilhelmines<br />
Briefen.<br />
Ein festes Ensemble wird es im Markgräflichen Opernhaus<br />
allerdings nie geben. Schließlich steht das Haus auf der Liste der<br />
UNESCO-Weltkulturerbestätten. Die Originalsubstanz des vollständig<br />
aus Holz und Leinwand bestehenden Logenhauses muss bewahrt<br />
werden und würde einen regen Spielbetrieb allein schon klimatisch<br />
nicht ertragen. Die Bühnentechnik wäre dazu durchaus in der Lage.<br />
Nach Wilhelmines Tod verfiel die barocke Bühnenmaschinerie,<br />
wurde ausgebaut und entsorgt. Seither ist die Bühne mit moderner<br />
Technik ausgestattet, auch wenn etwa Scheinwerfer im Zuschauerraum<br />
nur behutsam angebracht werden<br />
dürfen – keinesfalls mit Schrauben.<br />
Letztlich ist und bleibt das Markgräfliche<br />
Opernhaus eben doch ein Museum – ein<br />
Hingucker ist es aber in jedem Fall. n<br />
64 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
7+<br />
8<br />
Herkulessaal der Residenz<br />
München<br />
JUNI<br />
heLmut<br />
Lachen<br />
my melodies<br />
uraufführung<br />
mann<br />
musica viva<br />
!Pierre-Laurent AImArd<br />
Acht Solohornisten des BrSO<br />
Symphonieorchester<br />
des Bayerischen rundfunks<br />
Peter EötvöS
M U S I C A V I V A<br />
musica viva<br />
Eines der weltweit bedeutendsten Foren der Gegenwartsmusik präsentiert<br />
neue Orchester- und Ensemblewerke auf höchstem Niveau<br />
FOTO: ASTRID ACKERMANN<br />
Mitglieder von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, musica viva-Konzert am 20.02.2015<br />
Leitung: Peter Eötvös, Herkulessaal München<br />
Die musica viva-Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks<br />
ist eines der weltweit bedeutendsten Foren der<br />
Gegenwartsmusik. Sie widmet sich der Musik der<br />
Moderne und der Avantgarde, insbesondere aber der<br />
Musik, die heute von Komponist*innen geschaffen<br />
wird. Zahllose Werke wurden von der musica viva in den über 70<br />
Jahren ihres Bestehens in Auftrag gegeben und in ihren Veranstaltungen<br />
uraufgeführt. Die Konzerte gehören zu den zentralen Ereignissen<br />
des Münchner Kulturlebens, die internationale Beachtung<br />
finden. Sie werden vom Bayerischen Rundfunk auf BR-Klassik in<br />
kommentierten Sendungen über Bayern hinaus und bisweilen europaweit<br />
übertragen. „The importance of musica viva in the cultural<br />
life of 800-year-old Munich is known to the whole world“, notierte<br />
Igor Strawinsky 1958.<br />
GRÜNDERJAHRE<br />
Die Geschichte der musica viva beginnt am 7. Oktober 1945, fünf<br />
Monate nach dem Ende des verheerenden Zweiten Weltkrieges. Im<br />
ungeheizten Münchner Prinzregentheater, vor einem Häufchen<br />
neugieriger Zuhörer, erklingen drei Orchesterwerke, denen man in<br />
den zwölf Jahren des Nationalsozialismus nicht begegnen konnte:<br />
Ibéria von Claude Debussy, die Lustspiel-Ouvertüre von Ferruccio<br />
Busoni und die Vierte Sinfonie von Gustav Mahler.<br />
Verantwortlich für das Programm ist der damals 40-jährige<br />
Komponist Karl Amadeus Hartmann. Während der Jahre der Naziherrschaft<br />
hat er seine Werke, Dokumente des inneren Widerstands,<br />
für die Schublade geschrieben. Nun ist er, unterstützt von der amerikanischen<br />
Militärverwaltung, Dramaturg an der Bayerischen<br />
Staatsoper geworden und hat in dieser Funktion die neue Konzertreihe<br />
ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es, den zuvor verfemten<br />
Komponisten und ihren Werken wieder eine Öffentlichkeit zu verschaffen.<br />
Die materielle Basis ist in den ersten Jahren wacklig, die Konzerte<br />
wandern von einem Saalprovisorium zum andern. Das ändert<br />
sich, als 1948 der Bayerische Rundfunk – damals noch „Radio München“<br />
– die Trägerschaft übernimmt. Schon im Jahr zuvor hat die<br />
Konzertreihe den Namen musica viva angenommen, und nun gibt<br />
es mit dem 1949 von Eugen Jochum gegründeten Symphonieorchester<br />
und Chor des Bayerischen Rundfunks fest assoziierte Klangkörper<br />
und mit dem Rundfunk eine gesicherte Finanzierung. 1953<br />
wird der Herkulessaal der Residenz zum dauerhaften Veranstaltungsort<br />
für die Orchesterkonzerte. Diese Konstellation besteht bis<br />
66 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Dezember 1961:<br />
Luigi Nono,<br />
Karl Amadeus<br />
Hartmann und<br />
Bruno Maderna<br />
Januar 1962:<br />
Darius Milhaud<br />
dirigiert eigene<br />
Werke<br />
FOTOS: MICHEL NEUMEISTER<br />
heute, und mit dem Symphonieorchester<br />
und Chor des Bayerischen<br />
Rundfunks hat die musica viva-Konzertreihe<br />
zwei Ensembles von internationaler<br />
Weltgeltung als feste Partner<br />
zur Seite.<br />
Nach einer ersten Phase, in der<br />
die Rekonstruktion der Traditionslinien<br />
der von den Nazis verbotenen Moderne im Zentrum steht,<br />
erweitert sich der Schwerpunkt der Programme zunehmend um das<br />
zeitgenössische Musikschaffen und um die Präsentation von Uraufführungen.<br />
Internationalität ist vorrangig, die damals junge Komponistengeneration<br />
von Hans Werner Henze bis Luigi Nono wird<br />
vorgestellt. International renommierte Komponisten wie Igor Strawinsky,<br />
Paul Hindemith und Darius Milhaud treten in der musica<br />
viva als Dirigenten auf und vermitteln ihr kompositorisches Schaffen<br />
dem Orchester und Publikum. Der junge Dirigent Pierre Boulez<br />
präsentiert unter dem Titel „Dialogo della musica antica et della<br />
moderna“ eine Reihe von Konzerten, in denen er älteste Musik des<br />
Mittelalters und der Renaissance mit Werken der damaligen<br />
Moderne und Avantgarde kombiniert. Bei der Aufführung seiner<br />
Kantate Pli selon pli und des Martyre de Saint Sébastien entdeckt ihn<br />
Wieland Wagner als den künftigen Parsifal-Dirigenten für Bayreuth.<br />
Renommierte Künstler der Grafik und Bildenden Kunst –<br />
darunter Namen wie Helmut Jürgens, Walter Tafelmeier, Jean Cocteau,<br />
Le Corbusier und Emilio Vedova – gestalten für die musica<br />
viva die Programmhefte und Plakate. „Aufgabe der Veranstaltungen<br />
ist es, dem Publikum eine Überschau über die geistige und künstlerische<br />
Entwicklung der Gegenwart zu geben“, lautet Hartmanns<br />
Maxime. Musik ist eine „Sprache unter Menschen der Gegenwart,<br />
die verstanden und mit anderen Erfahrungen in Beziehung gesetzt<br />
werden will“, schreibt er in einem Brief an Samuel Beckett. Als Hartmann<br />
1963 stirbt, ist die musica viva eine international beachtete<br />
Konzertreihe mit einem treuen Stammpublikum.<br />
MUSICA VIVA BIS HEUTE<br />
Hartmanns Nachfolger, der Komponist Wolfgang Fortner, und<br />
Ernst Thomas, damals Leiter der Darmstädter Ferienkurse, führen<br />
dessen Programmarbeit fort. Angesichts der Zuspitzung der ästhetischen<br />
Gegensätze um 1970 sehen sie sich zu Neuerungen genötigt<br />
und verstärken experimentelle Tendenzen, für die in der Ära Karl<br />
Amadeus Hartmanns bereits der Dirigent Hermann Scherchen<br />
FÜR SPANNENDE EINBLICKE IN DIE<br />
ARBEIT DER MUSICA VIVA,<br />
INTERVIEWS UND HINTERGRÜNDE<br />
BESUCHEN SIE DEN BLOG UNTER:<br />
BR-MUSICA-VIVA.DE/BLOG<br />
und der Komponist Josef Anton Riedl<br />
gesorgt haben. Ein Spannungsverhältnis,<br />
das erhalten bleibt, als 1978<br />
mit Jürgen Meyer-Josten, dem Hauptabteilungsleiter<br />
Musik des BR, erstmals<br />
ein Rundfunkmitarbeiter die<br />
Programme verantwortet. Das ästhetische<br />
Spek trum geht nun hörbar in<br />
die Breite – eine Reaktion auf die Aufsplitterungstendenzen der<br />
Postmoderne.<br />
Neuen Aufwind bekommt die musica viva, als der Dresdner<br />
Komponist und damalige Intendant der Oper Leipzig, Udo Zimmermann,<br />
1997 zum Leiter der musica viva ernannt wird. Unterstützt<br />
von den Programmkuratoren Josef Anton Riedl und Winrich<br />
Hopp verhilft er mit gezielten Aufträgen an die Komponistenzeitgenossen<br />
und mit großen Werken von Stockhausen, Xenakis und<br />
Schnebel den Orchesterkonzerten zu neuer Dynamik. Außerdem<br />
werden Sonderveranstaltungen mit renommierten Gastensembles<br />
und experimentelle Studiokonzerte Bestandteil des Programms.<br />
Als Winrich Hopp, der 2002 die musica viva verlassen hatte<br />
und seit 2006 das gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern<br />
veranstaltete Musikfest Berlin der Berliner Festspiele leitet, 2011 die<br />
Künstlerische Leitung der musica viva zusätzlich übernimmt, unterzieht<br />
er die Konzertreihe einer Revision und baut seither die internationale<br />
Vernetzung der musica viva Schritt für Schritt aus, realisiert<br />
Veranstaltungen, die sich über die ganze Stadt München verteilen<br />
(2013: SAMSTAG aus LICHT von Karlheinz Stockhausen), und<br />
bespielt mit orchestralen Großprojekten erstmals auch die Philharmonie<br />
im Gasteig (2012: Tutuguri von Wolfgang Rihm). Neben den<br />
zentralen fünf großen Veranstaltungen mit dem Chor und Symphonieorchester<br />
des Bayerischen Rundfunks kommen nun regelmäßig<br />
auch große Gastensembles – nicht zuletzt dank der räsonanz-Konzertinitiative<br />
der Ernst von Siemens Musikstiftung – aus dem Inund<br />
Ausland zur musica viva: das Orchester der Lucerne Festival<br />
Academy, das Ensemble Intercontemporain, das Ensemble Modern<br />
Orchestra, das Mahler Chamber Orchestra und der Permer Musica<br />
Aeterna Choir unter der Leitung von Teodor Currentzis. Für März<br />
2019 schließlich ist im Rahmen der musica viva und als Stifterkonzert<br />
der Ernst von Siemens Musikstiftung das erste Münchner Gastspiel<br />
des London Symphony Orchestra unter der neuen künstlerischen<br />
Leitung von Sir Simon Rattle angekündigt. Die musica viva<br />
des Bayerischen Rundfunks ist auf Wachstumskurs. <br />
n<br />
Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 67
M U S I C A V I V A<br />
Helmut<br />
Lachenmann<br />
Peter Eötvös<br />
Pierre-Laurent Aimard<br />
FOTO: GIOVANNI DAINOTTI; MARCO BORGGREVE / DG; ASTRID ACKERMANN<br />
ABENTEUER UND PARTY<br />
Mit Helmut Lachenmann und dem<br />
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in der Höhle des Löwen<br />
My Melodies – Musik für acht Hörner und Orchester“ lautet<br />
der Titel des von der internationalen Musikwelt seit<br />
Langem erwarteten neuen Werkes des Grand Maître der<br />
Neuen Musik Helmut Lachenmann: „Ich habe eine<br />
sportliche Lust, in die Höhle des Löwen zu gehen, dort, wo sich die<br />
Menschen mit ihrem Musikverständnis geborgen und glücklich<br />
fühlen, eine Erfahrung zu schaffen und in dieser Geborgenheit ein<br />
Abenteuer in Gang zu setzen beim Hören. Ich will diesem Orchester,<br />
das wir kennen, ein neues Gesicht geben. Das ist Komponieren: aus<br />
diesen Instrumenten ein eigenes Instrument zu machen.“<br />
Mitstreiter dieses Abenteuers sind das grandiose Symphonieorchester<br />
des Bayerischen Rundfunks und seine acht fantastischen<br />
Hornsolisten unter der Leitung von Peter Eötvös, für die Lachenmann<br />
das umfängliche Werk im Auftrag der musica viva geschrieben<br />
hat.<br />
Das Horn ist bis heute eines der am schwersten zu spielenden<br />
Instrumente geblieben. Neben aller Spieltechnik braucht es ein ausgezeichnetes<br />
Ohr, überhaupt: beste körperliche Konstitution. Stefan<br />
Dohr, der Solohornist der Berliner Philharmoniker, die schon ganz<br />
neugierig die Vorbereitungen der Münchner Lachenmann-Premiere<br />
verfolgen, im Gespräch mit<br />
der Musikjournalistin Eva Blaskewitz:<br />
„Man muss die Töne im<br />
Ohr haben, bevor man spielt,<br />
sonst hat man überhaupt keine<br />
Chance. Man muss genau wissen,<br />
wie viel Luft brauche ich,<br />
wie muss die Lippenstellung<br />
SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS<br />
7. & 8. <strong>Juni</strong> 20<strong>18</strong> | 20 Uhr | Herkulessaal der Residenz | München<br />
BRticket 0800-5900 594 (gebührenfrei) | shop.br-ticket.de |<br />
sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen<br />
Tickets 12 – 38 EUR | Schüler & Studierende 8 EUR (auch im VVK)<br />
Eine Veranstaltung der musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />
sein, und wie kann ich die Zunge verwenden, damit genau dieser<br />
Ton kommt und nicht zufälligerweise der drunter oder drüber...“<br />
Die anspruchsvolle Blastechnik führt schon seit dem <strong>18</strong>. Jahrhundert<br />
dazu, dass sich Hornisten auf hohe oder tiefe Partien spezialisieren.<br />
Beim hohen Horn geht es vor allem darum, die Töne sauber<br />
zu treffen; beim tiefen liegt die Schwierigkeit darin, „dass man die<br />
großen Intervalle schnell spielen kann, aber auch langsam und dass<br />
alle Töne kontrolliert geformt klingen“, so Dohr. „Wenn man viel in<br />
der Tiefe übt, verliert man ein bisschen Spannung in der Höhe. Das<br />
ist ein Unterschied wie zwischen einem 200-Meter-Läufer und<br />
einem 10-Kilometer-Läufer, der eine ist mehr Sprinter, der andere<br />
hat mehr Ausdauer.“ Vielleicht sind es gerade die Tücken des Instruments,<br />
die die Hornisten zusammenschweißen: „Hornisten sind<br />
selten Einzelgänger, wir treten ja immer mindestens zu zweit auf bei<br />
Mozart oder Haydn, und bei späteren Komponisten immer zu viert,<br />
mindestens, dann auch mal zu sechst oder zu acht, das ist dann<br />
schon fast eine Party. Hornisten sind gesellige Leute – man sagt ja so<br />
schön: Das gemeinsame Schicksal verbindet.“<br />
Abenteuer und Party werden bei der musica viva gleich zweimal<br />
präsentiert: am 7. <strong>Juni</strong> (Uraufführung) und am 8. <strong>Juni</strong> im Herkulessaal<br />
der Residenz. Auf<br />
dem Programm stehen außerdem<br />
Lachenmanns expansive<br />
SERYNADE für Klavier mit<br />
Pierre- Laurent Aimard und der<br />
erst kürzlich zum Jahreswechsel<br />
uraufgeführte Marche fatale<br />
für Orchester. <br />
n<br />
68 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
RÄSONANZ –<br />
STIFTERKONZERT<br />
Das Chamber Orchestra of Europe zu Gast bei der<br />
musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />
FOTO: MARCO BORGGREVE<br />
Tabea<br />
Zimmermann<br />
Der Gründungsboom der Spezialensembles war abgeklungen,<br />
als sich das Chamber Orchestra of Europe (COE)<br />
1981 in die internationale Konzertszene einzumischen<br />
begann. Die Musikerinnen und Musiker sprachen mit<br />
Claudio Abbado, er wurde Mentor des neuen Ensembles; sie fanden<br />
Enthusiasten, die das Management leisteten, und sie einigten sich auf<br />
eine Arbeitsweise, die in keinem etablierten Berufsorchester möglich<br />
gewesen wäre: Die Proben- und Konzertphasen des Ensembles sollten<br />
eine Jahreshälfte umfassen, die andere sollte für eigene solistische<br />
und kammermusikalische Aktivitäten zur Verfügung stehen.<br />
Das COE war von Beginn an ein Ensemble von Solisten und<br />
versierten Kammermusikern, die gewohnt waren, sich in verschiedenen<br />
Formationen zusammenzutun. Konzertante Solopartien konnten<br />
sie, wenn sie wollten, aus dem Orchester heraus besetzen, sie<br />
konnten sich aber auch für die Zusammenarbeit mit renommierten<br />
Solisten entscheiden. Die Gründergeneration des COE war wohl die<br />
erste, die in ihrem Hochschulstudium nicht mehr unter Ausschluss<br />
historisch informierter Aufführungspraxis und avancierter Spieltechniken<br />
der Moderne ausgebildet<br />
wurde. Sie lernte und<br />
praktizierte beides als selbstverständlichen<br />
Teil ihres Künstlertums.<br />
Das Repertoire, das vom<br />
COE in sorgfältig durchkomponierten<br />
Programmen vorgestellt<br />
wurde, schlug von Anfang an<br />
CHAMBER ORCHESTRA OF EUROPE<br />
9. <strong>Juni</strong> 20<strong>18</strong> | 19 Uhr | Prinzregententheater | München<br />
BRticket 0800-5900 594 (gebührenfrei) | shop.br-ticket.de |<br />
sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen<br />
Tickets 12 – 38 EUR | Schüler & Studierende 8 EUR (auch im VVK)<br />
Eine Veranstaltung der musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />
einen weiten historischen und stilistischen Bogen, der von den Concerti<br />
und Sonaten eines Vivaldi und Zelenka bis zu jungen Komponisten<br />
der Gegenwart reicht. Scherzhaft wurde einmal bemerkt, das<br />
COE sei ein Spezialensemble, dessen Spezialität darin bestehe, dass<br />
es kein Spezialensemble sei.<br />
Das Programm des Münchner räsonanz – Stifterkonzertes<br />
gehört zu den exponierten Projekten des COE in den letzten Jahren.<br />
Den Rahmen bilden zwei Werke von Elliott Carter, die gleichsam<br />
seine letzte Stilepoche einfassen. Das Zusammenfinden unabhängiger<br />
Prozesse thematisiert die Penthode für fünf Instrumentalquartette<br />
und die Erkenntnis von inneren Verbindungen zwischen kurzen,<br />
selbstständigen Episoden die Instances, eines der letzten Werke<br />
des großen amerikanischen Komponisten. Dazwischen stehen Enno<br />
Poppes Bratschenkonzert Filz („Das wärmende und das Verflochtene<br />
sind sicher gute Assoziationen“, so der Komponist) und George<br />
Benjamins Three Inventions. Für alle diese Werke sind die Urtugenden<br />
der COE-Künstler gefordert: Solisten mit anregendem Teamgeist<br />
und energischer Fähigkeit zur Selbstbehauptung in einem zu<br />
sein und mit der Unabhängigkeitserklärung<br />
zugleich eine<br />
Liebeserklärung an ihre Mitwelt<br />
abgeben zu können. Der<br />
Anspruch, den ein Programm<br />
stellt, ist das beste Kompliment<br />
an die Musiker, die es verwirklichen.<br />
n<br />
Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 69
M U S I C A V I V A<br />
Ein Vitaminstoß für die<br />
moderne Orchestermusik<br />
räsonanz – Stifterkonzerte in München und Luzern<br />
FOTO: ERNST VON SIEMENS MUSIKSTIFTUNG / STEFANIE LOOS<br />
räsonanz – Stifterkonzert 2016 im Prinzregententheater: das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von George Benjamin<br />
Unter dem Titel räsonanz startete vor zwei Jahren die Ernst<br />
von Siemens Musikstiftung in Kooperation mit der<br />
musica viva des Bayerischen Rundfunks und LUCERNE<br />
FESTIVAL eine Initiative, die der zeitgenössischen Musik<br />
in der internationalen Orchesterlandschaft neue Impulse verleiht:<br />
Jedes Jahr gastiert je ein bedeutendes Orchester aus dem In- oder<br />
Ausland im Rahmen der Münchner Konzertreihe und des Luzerner<br />
Festivals.<br />
Musik werde zwar immer komponiert, so Michael Roßnagl,<br />
der Sekretär des Kuratoriums der Ernst von Siemens Musikstiftung<br />
und Spiritus Rector der räsonanz-Initiative, „aber letztlich hängt es<br />
vom Willen einer Gesellschaft ab, ob sie auch aufgeführt und damit<br />
gehört wird. Es geht heute darum, dass das, was in unserer komplexen<br />
Gesellschaft musikalisch errungen worden ist, nicht plötzlich<br />
verschwinden kann. Man muss daran arbeiten, dass diese Komplexität<br />
weitergetragen wird und dass es nicht zu einer Verflachung<br />
kommt. Wir müssen es möglich machen, dass die Gedanken, die die<br />
kreativen Geister entwickeln, in der Realität auch wahrgenommen<br />
und gelebt werden können“.<br />
Ein erstes räsonanz – Stifterkonzert fand 2016 im Rahmen der<br />
musica viva statt: Das damalige SWR Symphonieorchester Baden-<br />
Baden und Freiburg und das SWR Vokalensemble Stuttgart unter<br />
der Leitung von George Benjamin führten im Prinzregententheater<br />
Werke von György Ligeti, Georg Friedrich Haas, Pierre Boulez und<br />
George Benjamin auf. 2017 folgten das Mahler Chamber Orchestra<br />
und der Musica Aeterna Choir unter der Leitung von Teodor<br />
Currentzis mit Luciano Berios Coro für 40 Stimmen und Instrumente,<br />
während in Luzern Chor und Symphonieorchester des<br />
Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Mariss Jansons<br />
Wolfgang Rihms abendfüllende Requiem-Strophen präsentierten.<br />
Nach den diesjährigen Gastspielen des Chamber Orchestra of<br />
Europe sowohl in München als auch in Luzern, jedoch mit jeweils<br />
anderen Programmen, Dirigenten und Solisten, sind für das kommende<br />
Jahr zwei Gastspiele mit dem London Symphony Orchestra<br />
unter der Leitung von Sir Simon Rattle angekündigt: im Rahmen<br />
des LUCERNE FESTIVAL am 10. September 2019 mit Olivier Messiaens<br />
Éclairs sur l’Au-Delà und zuvor im Frühjahr, am 2. Mai 2019<br />
im Rahmen der musica viva-Konzertreihe und in der Philharmonie<br />
im Gasteig ein britisch-amerikanisches Programm mit Werken von<br />
Mark-Anthony Turnage, Sir Harrison Birtwistle und John Adams.<br />
Es ist das erste Münchner Gastspiel des London Symphony Orchestra<br />
unter der neuen künstlerischen Leitung von Sir Simon Rattle.<br />
Welcome to Munich! <br />
n<br />
70 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
WELCOME<br />
TO<br />
MUNICH!<br />
Erstes Münchner Gastspiel<br />
des London Symphony Orchestra<br />
unter der neuen Künstlerischen Leitung<br />
von Sir Simon Rattle<br />
Sir Simon Rattle<br />
FOTO: OLIVER HELBIG<br />
Die räsonanz – Stifterkonzertinitiative<br />
der Ernst von Siemens Musikstiftung<br />
macht es möglich: Das<br />
London Symphony Orchestra und<br />
sein neuer Chefdirigent Sir Simon<br />
Rattle geben ihr erstes Münchner<br />
Gastspiel: bei der musica viva-Konzertreihe<br />
des Bayerischen Rundfunks<br />
am 2. Mai 2019 in der Philharmonie<br />
im Gasteig. Im Gepäck haben sie ein exklusiv für das<br />
Münchner Gastspiel vorbereitetes britisch-amerikanisches Programm<br />
mit München-Bezügen: die Musik Dispelling the Fears<br />
für zwei Trompeten und Orchester des Komponisten Mark-<br />
Anthony Turnage, der in München durch Hans Werner Henzes<br />
LONDON SYMPHONY ORCHESTRA /<br />
SIR SIMON RATTLE<br />
2. Mai 2019 | 20 Uhr | Philharmonie im Gasteig | München<br />
BRticket 0800-5900 594 (gebührenfrei) | shop.br-ticket.de |<br />
sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen<br />
Tickets 13 – 65 EUR | Schüler & Studierende 8 EUR<br />
(auch im VVK)<br />
Das räsonanz – Stifterkonzert wird von der musica viva des<br />
Bayerischen Rundfunks veranstaltet.<br />
Musiktheater-Biennale bekannt<br />
wurde; das von Albrecht Dürers<br />
Melencolia I inspirierte Orchesterstück<br />
The Shadow of Night von Sir<br />
Harrison Birtwistle, der 1995 den<br />
Ernst von Siemens Musikpreis<br />
erhielt, und schließlich als Programmfinale<br />
– die großformatige<br />
dreisätzige Harmonielehre des<br />
Amerikaners John Adams. Das 1985 für die San Francisco Symphony<br />
geschriebene Werk zählt mittlerweile zu den großen<br />
Repertoirestücken auf den internationalen Konzertbühnen, das<br />
in München jedoch bislang nur selten zu hören war. <br />
n<br />
RÄSONANZ – STIFTERKONZERTE DER ERNST VON SIEMENS MUSIKSTIFTUNG<br />
Mit der Stifterkonzertreihe räsonanz kommt die Ernst von Siemens Musikstiftung ihrer Verantwortung für die<br />
zeitgenössische Musik auf ganz besondere Weise nach. Gemeinsam mit ihren Partnern LUCERNE FESTIVAL und musica viva des<br />
Bayerischen Rundfunks ermöglicht sie jedes Jahr ein Konzert in München und Luzern: Werke der Gegenwart werden von internationalen<br />
Spitzenorchestern und namhaften Solisten zur Aufführung gebracht.<br />
Die Ernst von Siemens Musikstiftung bringt so den Stiftergedanken zum Klingen: Ernst von Siemens steht für unternehmerische Vernunft<br />
und einzigartigen Weitblick, für gesellschaftliche Verantwortung und anspruchsvolle Förderung von Wissenschaft und Kunst.<br />
Gesellschaftliche Relevanz und künstlerischer Anspruch, wagemutige Perspektivwechsel und die Schönheit des Unerhörten – das alles<br />
schwingt mit, wenn die zeitgenössische Musik ihre Grenzen definiert, auslotet, überschreitet. räsonanz fordert heraus, räsonanz fordert<br />
ein und räsonanz fördert: die Bereitschaft sich einzulassen auf das Ungewohnte und die Wahrnehmung des Neuen in der Musik.<br />
evs-musikstiftung.ch | lucernefestival.ch | br-musica-viva.de<br />
Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 71
musica viva viva<br />
Wochenende<br />
ochenende<br />
bea Zimmermann<br />
erre-Laurent Aimard<br />
tabea Zimmermann<br />
Pierre-Laurent Aimard<br />
hamber Orchestra<br />
f Chamber Europe Orchestra<br />
vid robertson<br />
of Europe<br />
david robertson<br />
JUNI<br />
9JUNI<br />
München<br />
Prinzregententheater<br />
eLLiott<br />
eLLiott<br />
carter<br />
Benjamin<br />
PoPPe<br />
Ligeti<br />
Prinzregententheater<br />
München<br />
räsonanz – Stifterkonzert<br />
der Ernst von Siemens<br />
musikstiftung<br />
räsonanz – Stifterkonzert<br />
der Ernst von Siemens<br />
musikstiftung<br />
Werke von<br />
Werke von<br />
george<br />
george<br />
enno<br />
enno<br />
györgy<br />
györgy<br />
er-Design: lmn-berlin.com<br />
Cover-Design: lmn-berlin.com
SCHWERPUNKT<br />
MUSIK & RAUM<br />
Architektur inspiriert Musik inspiriert Architektur – eine Zeitreise (Seite 77)<br />
Musik in den Bergen: Für diese Festivals muss das Publikum seine Wanderschuhe schnüren (Seite 86)<br />
Klangräume<br />
VON STEFAN SELL<br />
Rekordverdächtig<br />
Ein Besucher und ein Pianist<br />
am Konzertflügel haben Platz<br />
im „kleinsten Konzertsaal der<br />
Welt“, der sogenannten „Spielbox“.<br />
Acht Quadratmeter ist sie<br />
groß und rundherum aus Glas.<br />
Kreiert hat sie der Klarinettist<br />
Reto Bieri für das Davos Festival.<br />
Von außen lässt sich alles<br />
sehen, aber nichts hören.<br />
2009 schuf<br />
Simone Young<br />
aus 50 Räumen<br />
den „größten<br />
Konzertsaal der Welt“. Als die<br />
Dirigentin ihr Pult im 108 Meter<br />
hohen Turm des Hamburger<br />
Michels bestieg, um Brahms’<br />
Zweite Sinfonie mit ihren 100<br />
Philharmonikern aufzuführen,<br />
waren diese über ganz Hamburg<br />
verteilt. Idee und Konzept hatte<br />
eine Werbeagentur.<br />
Umsonst und draußen: Am<br />
31.12.1994 sang Rod Stewart<br />
an der Copacabana in Rio<br />
de Janeiro vor 3,5 Millionen<br />
Zuschauern. Die Rolling Stones<br />
gaben dort ihr Freiluftkonzert<br />
am <strong>18</strong>. Februar 2006. Es kamen<br />
1,5 Millionen Menschen – die<br />
auf Balkonen, Booten und<br />
Schiffen nicht mitgerechnet.<br />
Ver-rückt<br />
Am Rhein- und im Ruhrgebiet<br />
geht man gern zum Kiosk<br />
oder in die Trinkhalle. Dort<br />
bekommt man die im Alltag<br />
unentbehrlichen Kleinigkeiten.<br />
Seit 2010 auch Free Jazz. Das<br />
Bassklarinettisten-Ensemble<br />
Die Verwechslung verwechselt<br />
Konzertsaal mit Trinkhalle und<br />
ist seither auf „Trinkhallen-<br />
Tour Ruhr“.<br />
Am 30. <strong>Juni</strong> 1969 gaben die<br />
Beatles ihr letztes Livekonzert<br />
und machten das Dach ihres<br />
Unternehmens „Apple“ in<br />
der Saville Row im Londoner<br />
Stadtteil City of Westminster<br />
zur Konzertstätte. Die Rolling<br />
Stones bespielten mit Brown<br />
Sugar am 1. Mai 1975 die<br />
Straßen New<br />
Yorks auf<br />
einem fahrenden<br />
Lkw.<br />
Wie ein Konzert Mitte<br />
des 17. Jahrhunderts im<br />
Raum geklungen hat,<br />
lässt sich nur schwer<br />
rekonstruieren. Wie<br />
damals aber ein Konzertraum<br />
ausgesehen hat, könnte Vermeers<br />
berühmtes Gemälde Das<br />
Konzert zeigen, wenn es nicht<br />
1990 gestohlen worden und<br />
seither unauffindbar geblieben<br />
wäre.<br />
Ehrwürdig<br />
Der erste Konzertsaal „der<br />
Welt“ erlebte seine Weihe<br />
1675 im Londoner York<br />
Building in der Villiers Street.<br />
Die Society of Gentlemen,<br />
Lovers of Musick präsentierte<br />
hier ihre Konzerte. Der in<br />
Oxford befindliche<br />
Holywell Room ist<br />
seit 1748 bis heute<br />
Konzertsaal. Hier<br />
spielten auch Händel<br />
und Haydn.<br />
Das heutige Gewandhaus am<br />
<strong>August</strong>usplatz ist bereits die<br />
dritte Version des legendären<br />
Konzertraums. Das erste Gewandhaus<br />
in der Kupfergasse<br />
war eigentlich das Zeughaus<br />
der Stadt Leipzig. Im ersten<br />
Stock beherbergte es die Halle<br />
der Tuchwarenhändler und<br />
bekam so<br />
seinen ehrwürdigen<br />
Namen.<br />
Wenn vom „goldenen<br />
Klang“ im Goldenen Saal<br />
die Rede ist, ist der Wiener<br />
Musikverein gemeint.<br />
Die Übertragungen des<br />
Neujahrskonzerts machten<br />
ihn weltweit zu einem der<br />
bekanntesten Konzertsäle.<br />
Brahms hatte hier sein Wiener<br />
Debüt: „Ich habe so<br />
frei gespielt, als säße ich<br />
zu Haus mit Freunden.“<br />
FOTOS: RENÉ JUNGNICKEL; MONIKA RITTERSHAUS; GEMEINFREI (3)<br />
73
M U S I K & R A U M<br />
Die Berge als Konzertsaal<br />
beim Festival I Suoni delle<br />
Dolomiti (siehe S. 86)<br />
FOTO: ARTURO CUEL<br />
74 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Der 2005 eröffnete<br />
Palau de les Arts Reina<br />
Sofía des spanischen<br />
Architekten Santiago<br />
Calatrava in Valencia<br />
MUSIK<br />
DENXXXE<br />
&<br />
Axxxx<br />
RAUM<br />
FOTO: PALAU DE LES ARTS REINA SOFÍA<br />
75
M U S I K & R A U M<br />
FOTO: IWAN BAAN<br />
76 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
SINFONIEN<br />
AUS<br />
STEIN UND<br />
STAHL<br />
Architektur wie Musik ringen um die<br />
perfekte, die „goldene“ Proportion.<br />
Die beiden Künste standen sich deshalb<br />
in vielen Jahrhunderten besonders nahe –<br />
und inspirierten sich gegenseitig.<br />
VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />
Das neue Opernhaus im chinesischen Guangzhou<br />
der verstorbenen Stararchitektin Zaha Hadid<br />
Wenn es um große Bauwerke geht, dann liebt<br />
man den Paukenschlag, die großen Töne.<br />
„Sinfonie aus Stahl und Glas“, hieß es über<br />
die Hamburger Elbphilharmonie. Und auch<br />
Baumeister selbst sind überwältigt. Wenn er seine Pinakothek<br />
der Moderne mit Musik vergleichen müsste, so Stefan Braunfels,<br />
Enkel eines Komponisten, im Interview, dann mit einer<br />
Bruckner-Sinfonie. Umgekehrt empfand Ferruccio Busoni<br />
1921 seine Fantasia contrappuntistica für zwei Klaviere wie<br />
eine Kathedrale, und lieferte neben der Partitur eine architektonische<br />
Skizze dazu. „Musik ist sehr nah an dem, wie<br />
ich Architektur verstehe“, sagt Daniel Libeskind, und meint<br />
damit nicht nur gemeinsame Begriffe wie „Fuge“. „In beidem<br />
geht es um Proportionen, Exaktheit, Schwingungen, Akustik.<br />
Schon die alten Griechen wussten, dass die Längenverhältnisse<br />
vi brierender Saiten in einer Harmonie die gleichen sind<br />
wie im Goldenen Schnitt bei Proportionen.“ Und sprach damit<br />
Pythagoras an, der vor mehr als 2.500 Jahren am Monochord,<br />
einer Art Zither, entdeckte, dass Töne gemessen werden können.<br />
Brachte man zwei Saiten zum Schwingen, von denen die<br />
eine halb so lang war wie die andere, dann war der Ton der kürzeren<br />
Saite um eine Oktave höher als der der längeren. Standen<br />
die Saitenlängen im Verhältnis 2:3, dann erklang eine Quinte<br />
und bei 3:4 eine Quarte. Keine Schriften sind von Pythagoras<br />
erhalten, aber sein Glaube, der Kosmos sei mit einer Har-<br />
77
M U S I K & R A U M<br />
Tempelanlagen von<br />
Paestum; San Marco in<br />
Venedig; Kuppel des<br />
Doms von Florenz;<br />
Pariser Invalidendom;<br />
Stockhausens Kugelauditorium<br />
bei der Weltausstellung<br />
in Osaka 1970<br />
monie von Zahlen durchzogen und<br />
lasse sich durch Zahlen abstrahieren,<br />
prägte die folgenden Epochen.<br />
Als Vitruv um 100 v. Chr. sein<br />
Traktat De architectura libri decem<br />
herausgibt, verlangt er vom Architekten<br />
sogar, „etwas von Musik“ zu<br />
verstehen „damit er über die Theorie des Klanges und die mathematischen<br />
Verhältnisse der Töne Bescheid weiß“.<br />
Nicht nur die antiken Baumeister unterwarfen ihre Bauten harmonischen<br />
Proportionen, wie die griechischen Tempelanlagen von<br />
Paestum (um 540 v. Chr.) zeigen. Auch im christlichen Mittelalter<br />
und der Renaissance bleiben Musik und Architektur „Schwestern“<br />
im Geiste – wie Le Corbusier es später formulieren wird –, verbunden<br />
durch ein mystisches Zahlenverhältnis: den Goldenen Schnitt.<br />
Ihm zufolge werden, sei es in einer Fuge von Bach oder in einem<br />
Kirchenraum, zwei Größen als harmonisch empfunden, wenn der<br />
kleinere Teil sich zu dem Größeren so verhält wie der Größere zur<br />
Summe beider. Mathematisch ausgedrückt heißt das 1:1,6<strong>18</strong>. Entdeckt<br />
hatten Theoretiker dies in der Architektur der Natur. Ob beim<br />
Blätteraufbau des Gänseblümchens oder beim Menschen: Überall<br />
fanden sie ähnliche Proportionen. Sogar der Bauchnabel eines<br />
Menschen gehorcht dieser „proportio divina“ und liegt nicht mittig,<br />
sondern bei exakt 61,8 Prozent der Körpergröße, wie übrigens auch<br />
der Querbalken des christlichen Kreuzes. Die reine pythagoreische<br />
Quinte 2:3 kommt übrigens dem Goldenen Schnitt bereits nahe, die<br />
kleine Sexte mit 5:8 noch mehr.<br />
Frappierend, wie sehr diese Zahlenproportionen im Bewusstsein<br />
der schöpferischen Menschen damals verankert waren, so auch bei<br />
Guillaume Dufay (1400–1474). Man könnte meinen, er hätte beim<br />
Komponieren seiner Motette Nuper rosarum flores zur Weihe des Florentiner<br />
Doms 1436 den Bauplan vor sich gehabt. Aufgebaut, so David<br />
SCHON DIE ALTEN GRIECHEN WUSS-<br />
TEN, DASS DIE LÄNGENVERHÄLTNISSE<br />
VIBRIERENDER SAITEN DIE GLEICHEN<br />
SIND WIE DIE IM GOLDENEN SCHNITT<br />
Fallows, ist das Werk „auf zwei tieferen<br />
Stimmen … die viermal mit<br />
verschiedener Geschwindigkeit in<br />
einem Längenverhältnis von 6:4:2:3<br />
auftreten – das entspricht dem Verhältnis<br />
von Schiff, Vierung, Apsis<br />
und Höhe der Kuppel im Dom“.<br />
Umgekehrt folgte die Architektur immer auch den Erkenntnissen<br />
der Musiktheorie. Als unter anderem Gioseffo Zarlino in Le<br />
istituzioni armoniche (1558) die Terzen und Sexten für harmonisch<br />
und konsonant erklärte, fanden sie sich auch in den Villen-Entwürfen<br />
des Andrea Palladio (1508–1580) wieder. 1567 schreibt Palladio<br />
zu seiner Kathedrale von Brescia: „Die Proportionen der Stimmen<br />
sind Harmonien für das Ohr, diejenigen der räumlichen Maße für<br />
das Auge. Solche Harmonien geben uns ein Gefühl der Beglückung,<br />
aber niemand weiß, warum, außer dem, der nach den Ursachen<br />
der Dinge forscht.“ Nur wenige Jahrzehnte später widmet sich der<br />
As tronom Johannes Kepler (1571–1630) den Gesetzen, die die Planeten<br />
bewegen, und den Harmonien des Weltalls.<br />
In jener Zeit reist der junge Heinrich Schütz nach Venedig<br />
zu Giovanni Gabrieli (1557–1612). Auf den gegenüberliegenden<br />
Emporen von San Marco experimentieren sie mit Klanggruppen,<br />
lassen sie mit- und gegeneinander musizieren. Aus dem Hoch und<br />
Tief, dem Fern und Nah entwickelt sich nicht nur das barocke Concerto-grosso-Prinzip,<br />
sondern auch die akustische Wahrnehmung<br />
des Raumes, die bis heute eine große Rolle spielt. Tief beeindruckt<br />
kehrt Schütz zurück und komponiert 1619 seine Psalmen Davids.<br />
Obwohl in den Partituren jener Zeit jeder Hinweis fehlte, ordnet er<br />
an, die Chöre „an unterschiedlichen Örthern“ zu postieren.<br />
Nicht weit von San Marco liegt die Renaissancekirche San<br />
Lorenzo von 1595. Fast 400 Jahre später, 1984, wurde hier Luigi<br />
Nonos Il Prometeo uraufgeführt. In einer dreistöckigen Holz-Arche,<br />
FOTOS: NORBERT NAGEL, RICARDO ANDRÉ FRANTZ, DENNIS JARVIS, ARCHIV DER STOCKHAUSEN-STIFTUNG FÜR MUSIK KÜRTEN (WWW.KARLHEINZSTOCKHAUSEN.ORG), WOUTER HAGENS, FERRUCCIO BUSONI<br />
78 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Skizze und<br />
Holz-Arche zu<br />
Luigi Nonos<br />
Il Prometeo<br />
Philips’ Pavillon von<br />
Le Corbusier zur<br />
EXPO in Brüssel<br />
1958; Aufbau von<br />
Ferruccio Busonis<br />
Fantasia contrappuntistica<br />
als Zeichnung<br />
einer Kathedrale<br />
(1910/1921)<br />
die Architekt Renzo Piano in das Gotteshaus hatte einbauen lassen.<br />
„Die Stimmen wisperten durch das Gebälk hindurch wie Geisterklänge<br />
aus der Lagune“, erinnert er sich.<br />
Überhaupt liebte die Nachkriegsavantgarde die Experimente<br />
mit Klangräumen. Für die Weltausstellung in Osaka 1970 ließ Karlheinz<br />
Stockhausen ein Kugelauditorium errichten in Anlehnung<br />
wohl an die Visionen von Alexander Skrjabin, der 1914 von einer im<br />
Wasser getauchten Klangkugel mit zwölf Toren in Indien träumte –<br />
einem Tempel voller Farben, Klänge und<br />
Düfte. In Stockhausens Konzertkugel<br />
allerdings saß das Publikum auf einem<br />
Gitterrostboden, aus dem elektroakustisch<br />
verfremdete Klänge drangen.<br />
Prägend für Stockhausen war der<br />
Bauhausarchitekt Le Corbusier (<strong>18</strong>87–<br />
1965), der selbst aus einer Musikerfamilie<br />
stammte. Musik und Architektur waren<br />
für ihn „Zeit und Raum“, die beide „vom Maß“ abhingen, weshalb<br />
er 1951 den „Modulor“ entwickelte, ein mathematisches, am Menschen<br />
orientiertes Proportionssystem. 1956 beauftragte ihn Philips<br />
mit dem Pavillon zur EXPO 1958 in Brüssel. Ein Poème électronique<br />
schwebte Le Corbusier vor. Zu den Bildprojektionen der Architekturikone<br />
erklangen Edgard Varèses (<strong>18</strong>83–1965) verfremdete Klänge,<br />
der sie dank Philips’ technischer Innovationen realisieren konnte.<br />
Über 350 Lautsprecher wanderte der Ton durch den Raum, den ein<br />
Assistent von Le Corbusier gebaut hatte: Iannis Xenakis. „Der Computer<br />
des Prometheus“ stand über seinen Nachruf 2001 in der FAZ,<br />
weil er ein Mann von drei Begabungen war: Ingenieur, Architekt und<br />
Komponist. Seinem Ziel, Architekturentwürfe mit Musikpartituren<br />
zu verbinden, verdankt der Brüsseler Pavillon auch seinen Hyperbel-Schalen-Look,<br />
der wie überdimensionale Glissandi aus seinem<br />
Orchesterstück Métastasis (1953/54) wirkt.<br />
DIE NACHKRIEGS-<br />
AVANTGARDE LIEBTE DIE<br />
EXPERIMENTE MIT<br />
KLANGRÄUMEN<br />
So eng verzahnt waren Musik und Architektur praktisch schon<br />
lange nicht mehr gewesen. Denn im <strong>18</strong>. und frühen 19. Jahrhundert<br />
beschäftigte das Thema vor allem die Philosophen: Friedrich Schelling<br />
prägte die Metapher „erstarrte Musik“ für Architektur. Kollege<br />
Schopenhauer tat diese gleich als „Witzwort“ ab, wie er das wohl<br />
auch bei den in zeitgenössischen Multimediakonzepten strapazierten<br />
Begriffen wie „Klang-Skulptur“ oder „Ton-Architektur“ getan<br />
hätte.<br />
Der psychologische Aspekt, der<br />
erstmals <strong>18</strong>19 mit Karl Wilhelm Ferdinand<br />
Solger aufkam, rückt in den Vordergrund:<br />
„Die Architectur versetzt das<br />
Gemüth ganz nach außen; die Musik<br />
zieht die Mannigfaltigkeit des äußeren<br />
Lebens in das Innere des Gemüthes<br />
hinein.“ Hector Berlioz ahnt dies und<br />
inszeniert seine Grande Messe des Morts<br />
(<strong>18</strong>37) im Pariser Invalidendom: Aus allen Ecken der Kathedrale,<br />
allen vier Himmelsrichtungen schallen sie, die vier Blechbläserchöre<br />
des gewaltigen Werkes.<br />
Das Zeitalter des Fortefortissimo, der großen Orchester, war<br />
angebrochen. Da kam die Erfindung des Schiffsbauers John Scott<br />
Russell gerade recht. Der hatte <strong>18</strong>38 die Gesetze der Strömungslehre<br />
auf die Akustik übertragen. Seine Berechnungen wurden <strong>18</strong>89 im<br />
Auditorium Building in Chicago umgesetzt.<br />
Heute braucht der Klang keinen Raum mehr, gibt es Tonstudios<br />
und synthetisches Echo. Dennoch werden weiter Konzertsäle<br />
gebaut. „Kann ein Architekt die klassische Musik retten?“, fragte<br />
sich 2011 die New York Times bei der Eröffnung von Frank Gehrys<br />
New World Center in Miami. Eine Frage, die Le Corbusier nicht<br />
verstanden hätte, war ihm doch die Architektur Musik und die<br />
Musik Architektur. <br />
■<br />
79
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Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com<br />
80 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
MUSIK AUS DEM HIMMEL<br />
Carillons – die großen Glockenspiele in Türmen oder Kirchen –<br />
hört man kilometerweit. Zu Gesicht bekommt man die Menschen,<br />
die sie spielen, aber so gut wie nie.<br />
VON GUIDO KRAWINKEL<br />
FOTOS: KATHARINA HERTZ-EICHENRODE; GUIDO KRAWINKEL<br />
Das Glockenspiel von St. Nikolai in Hamburg mit seinem Carilloneur Werner Lamm<br />
51<br />
Stufen braucht Carilloneur Werner Lamm zu seinem<br />
Arbeitsplatz. Der befindet sich inmitten der Hamburger<br />
City, auf der ersten Turmebene des Mahnmals<br />
St. Nikolai. Bis 1943 stand hier eine neugotische<br />
Kirche, die im Bombenhagel auf die Hansestadt weitgehend<br />
zerstört wurde. Nur der gut 147 Meter hohe Turm – immer noch<br />
der fünfthöchste der Welt – blieb außer ein paar Mauerresten<br />
stehen und erinnert als Mahnmal an die Schrecken des Zweiten<br />
Weltkrieges.<br />
1993 wurde dort ein Carillon installiert, das mit 51 Glocken<br />
und einem Gesamtgewicht von 13 Tonnen eines der größten<br />
Deutschlands ist – der chromatische Tonumfang beträgt mehr als<br />
vier Oktaven. Das größte steht in Halle an der Saale und umfasst<br />
76 Glocken.<br />
Vor allem seit dem Film Willkommen bei den Sch’tis ist das<br />
Carillon wieder vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.<br />
Doch kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zunft der<br />
Carilloneure Zukunftssorgen hat. Die Kunst des Glockenspiels<br />
wird von immer weniger Musikern beherrscht, auch weil vielerorts<br />
eine Automatik das übernommen hat, was früher von Hand<br />
erledigt wurde.<br />
Leicht hat man es als Carilloneur nicht: Üben? Fehlanzeige!<br />
Wollte Werner Lamm einmal ungestört proben, müsste er<br />
nach Hannover oder Kiel reisen, wo es eigens eingerichtete Spieltische<br />
gibt, an denen er unter Ausschluss der Öffentlichkeit üben<br />
kann. Lamm, der im Hauptberuf Kirchenmusiker in Hamburg<br />
ist, behilft sich zuweilen, indem er an seiner Orgel ein Brett und<br />
Decken über die Klaviaturen legt. Auch sein Arbeitsplatz im Turm<br />
des Mahnmals St. Nikolai ist nicht unbedingt ein idyllischer Ort:<br />
Im Sommer heiß, im Winter kalt, befindet er sich in einem kleinen<br />
Glaskasten, der ihn vor dem ohrenbetäubenden Lärm der<br />
Glocken schützt, inmitten derer er sitzt. Sein Publikum bekommt<br />
den in luftiger Höhe spielenden Musiker indes nie zu Gesicht.<br />
Von hier aus schlägt er auf eine Art Klaviatur ein, die aussieht<br />
wie eine Tastatur für Grobmotoriker: große hölzerne Zapfen<br />
(„Stokken“), auf die er mit seinen Fäusten und Füßen einschlägt.<br />
Dies erfordert jedoch mehr Feingefühl, als man denkt. Die Klöppel,<br />
die den Glockenkörper anschlagen, sind bis auf wenige Zentimeter<br />
an den Korpus herangezogen, die Verbindung von den<br />
Tasten zu den Klöppeln erfolgt mittels Seilzügen aus Metall.<br />
Die Masse, die hierbei bewegt werden muss, reicht von wenigen<br />
Gramm bis zu einigen Kilogramm – eine Herausforderung für<br />
jeden Carillonneur, der Anschlagsnuancen je nach Größe der<br />
Glocke und der gewünschten Lautstärke genau dosieren muss.<br />
Pianisten und Organisten, die schon von Berufs wegen Tasteninstrumente<br />
spielen, sind deshalb klar im Vorteil. Auch, weil vieles,<br />
was Lamm spielt, improvisiert ist – für Organisten ist das ohnehin<br />
ihr täglich Brot.<br />
Hinzu kommt eine weitere Besonderheit, die mit dem Klang<br />
der Glocken zusammenhängt: ihre Obertöne. Das sehr spezielle<br />
Spektrum der Obertöne einer Glocke führt dazu, dass nicht alles<br />
gut klingt, was auf dem Notenpapier gut aussieht. Auch hier ist<br />
die Erfahrung eines Carillonneurs gefragt. Lamms Devise: Lieber<br />
mal was weglassen, weniger ist bekanntlich mehr.<br />
Insgesamt gibt es in Deutschland laut offizieller Zählung<br />
43 Carillons, die per Definition mindestens 23 Glocken haben<br />
müssen. Angefangen hat man im Mittelalter mit gerade einmal<br />
vier Glocken, 1510 entstand im flämischen Oudenaarde schließlich<br />
das erste richtige Carillon. Vor allem im 17. und <strong>18</strong>. Jahrhundert<br />
florierten Carillons, gerade in Nordfrankreich, Flandern und<br />
den Niederlanden. Und hier ist die Dichte an Glockenspielen auch<br />
am größten: Nicht weniger als 806 gibt es. Weltrekord. ■<br />
81
M U S I K & R A U M<br />
SCHUHSCHACHTEL ODER<br />
WEINBERG – WELCHER BAU<br />
KLINGT IDEAL?<br />
Perfekte Fassade oder innere Klangschönheit?<br />
Die Frage nach der Priorität wird bei jedem Neubau<br />
eines Konzerthauses heftig diskutiert.<br />
VON KLAUS HÄRTEL<br />
FOTOS: MICHAEL ZAPF; MARK WOHLRAB; MARKENFOTOGRAFIE<br />
Die Elbphilharmonie hat neue Maßstäbe gesetzt. In jeder<br />
Hinsicht. Optisch, akustisch und finanziell. Sie wurde<br />
mit dem Ziel geplant, ein neues Wahrzeichen der Stadt<br />
und ein „Kulturdenkmal für alle“ zu schaffen. Zumindest<br />
die Sache mit dem Wahrzeichen ist voll aufgegangen. Man<br />
muss sich tatsächlich nicht für Musik interessieren, um die „Elphi“<br />
– fast 800 Millionen Euro schwer – beeindruckend zu finden. 110<br />
Meter ragt sie in die Höhe. Der Unterbau aus Ziegel, Resten eines<br />
alten Kaispeichers, der Oberbau ein Kunstwerk aus Glas, Stahl und<br />
Beton.<br />
Und doch lässt dieses Prunkstück auch Raum für Diskussionen.<br />
Denn qua definitionem ist ein Konzertsaal dafür da, dass die<br />
Musik gut klingt. Er soll den Schall verstärken und verbessern – wie<br />
ein begehbarer Resonanzraum. Schauen wir nach Dresden: Akustisch<br />
überzeugen konnte der 1969 gebaute Dresdner Kulturpalast<br />
eigentlich nie. Jetzt aber, fast 50 Jahre später, hält man ihn sogar für<br />
82 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Die Hamburger Elbphilharmonie sehen weit mehr Menschen von außen als von innen; das Konzerthaus Dortmund folgt der<br />
„Schuhschachtel“-Bauweise, während die Dresdner Philharmonie in steilem „Weinberg“-Prinzip getaltet ist<br />
„die bessere Elbphilharmonie“. Fünf Jahre lang wurde saniert, der<br />
Konzertsaal völlig neu gestaltet und im April 2017 wieder eingeweiht.<br />
Etwa 100 Millionen Euro hat man sich die Neugestaltung des<br />
Kulturpalasts am Altmarkt kosten lassen, laut Eigenwerbung „ein<br />
Haus der Künste und des Wissens: Der neue Dresdner Kulturpalast<br />
weist in die Zukunft“.<br />
Ob er auch ein Touristenmagnet wird wie die Elbphilharmonie?<br />
Wenn, dann eher nicht, weil er optisch überzeugt. Der als sozialistisch-klassizistischer<br />
Ensemblebau geplante Quader wirkt im Stil<br />
der internationalen Moderne fast schon schmucklos. Der Konzertsaal<br />
aber wurde, was die Akustik betrifft, zur großen Überraschung.<br />
Schon erste Orchesterproben stimmten<br />
die Verantwortlichen euphorisch. Der<br />
IN DER 40. REIHE<br />
HÖRT MAN NOCH GUT,<br />
ABER DIE MUSIKER SCHRUMPFEN<br />
ZUM AMEISENTHEATER<br />
angestrebte „warme Dresdner Klang“<br />
war von dem niederländisch-deutschen<br />
Akustikbüro Peutz erzielt worden.<br />
Als zurzeit führender Fachmann<br />
für Konzertsaal-Akustik gilt der Japaner<br />
Yasuhisa Toyota. Jüngere Großprojekte<br />
waren die Konzertsäle in Katowice<br />
(2014), Paris (2015) und eben Hamburg<br />
(2016). Toyota war auch der verantwortliche<br />
Akustiker für die Suntory Hall in Tokio (1986), die Walt Disney<br />
Concert Hall in Los Angeles (2003) oder das Konzerthaus in<br />
Kopenhagen (2009).<br />
In München wird seit Jahren über die Notwendigkeit eines<br />
neuen Konzertsaals gestritten. So ein Konzertbau ist ja keine Kleinigkeit,<br />
sondern eine millionenteure und städtebaulich oft einschneidende<br />
Entscheidung. Siehe Hamburg. Überhaupt hat man<br />
den Eindruck, das äußere Erscheinungsbild sei der wichtigere<br />
Aspekt – was für den Großteil der Bevölkerung vermutlich auch<br />
stimmt, denn dieser wird den neuen Bau eher von außen denn<br />
von innen erleben. Die Frage muss erlaubt sein: Wie stark kann die<br />
Fassade auch über mindere akustische Qualität „hinwegschönen“?<br />
Denn die Saalakustik bildet ein heikles Thema, zumal die oft neuartige<br />
und gewagte Architektur immer wieder andere Herausforderungen<br />
stellt.<br />
Im 19. Jahrhundert war das alles noch einfacher. Der für seine<br />
Akustik vielfach bewunderte Goldene Saal des Wiener Musikvereins<br />
entstand <strong>18</strong>70 ohne jede akustische Expertise. Man folgte einfach<br />
dem traditionellen Modell der „Schuhschachtel“ oder „Zigarrenkiste“:<br />
Der Saal ist ein länglicher Quader mit der Bühne am<br />
schmalen Ende. Viele Konzertsäle jener Zeit, die bis heute für ihre<br />
gute Akustik bekannt sind, beherzigen dasselbe Prinzip: das Concertgebouw<br />
in Amsterdam (<strong>18</strong>87), die Tonhalle in Zürich (<strong>18</strong>95),<br />
die Symphony Hall in Boston (1900). Auch bei Neubauten dient der<br />
Goldene Saal noch immer als Vorbild, etwa beim Konzerthaus Berlin<br />
am Gendarmenmarkt (1984), beim Konzertsaal im KKL Luzern<br />
(1998) und beim Konzerthaus Dortmund (2002). Physiker aus<br />
Finnland haben aktuell nachgewiesen, dass die „Schuhschachtel“-<br />
Bauweise eine besondere akustische Dynamik besitzt – vor allem<br />
dank der Schallreflexion der Seitenwände. Der Nachteil dieser Bauform<br />
ist ein optischer: Man mag in der<br />
40. Reihe noch gut hören, aber die Musiker<br />
schrumpfen zum Ameisen theater.<br />
Da kann man gleich vor einer HiFi-<br />
Anlage sitzen.<br />
Und die „Schuhschachtel“ hat<br />
ernsthafte Konkurrenz bekommen –<br />
erstmals durch die Berliner Philharmonie<br />
(1963), im Volksmund einst „Zirkus<br />
Karajani“ genannt. In Berlin hat man<br />
versucht, alle Zuhörerplätze möglichst<br />
nahe an die Bühne zu rücken, indem man die Reihen rundum terrassenartig<br />
nach oben zog und die Bühne Richtung Saalmitte verlegte.<br />
Diese Bauform wurde als „Weinberg“-Prinzip bekannt. Sie<br />
liegt heute vielen Neubauten von Konzertsälen zugrunde, auch den<br />
aktuellen Philharmonie-Projekten in Dresden und Hamburg. Der<br />
Trend geht dabei zu immer steileren Rängen, als wolle man die konventionelle<br />
„Schuhschachtel“ hochkant stellen, aber auch zu immer<br />
voluminöseren, „runderen“ Sälen. Das lässt an die modernen Fußballarenen<br />
denken: Auch dort sind die Besucher recht steil und relativ<br />
nahe überm Spielfeld platziert. Nun kann man zwar ein Fußballspiel<br />
aus jeder Richtung betrachten, aber Orchestermusiker spielen<br />
nur in eine Richtung: zum Dirigenten hin. Daher hat auch der<br />
Rundum-„Weinberg“ seine optischen Grenzen – denn wer will den<br />
Musikern zwei Stunden lang von oben auf den Hinterkopf schauen?<br />
Optik und Akustik sollten also Hand in Hand gehen. Und<br />
Architekten ziehen beim Neubau eines Konzertsaals professionelle<br />
Akustiker hinzu. Schließlich ist, wie der der Physiker Donald E. Hall<br />
schreibt, „akustische Planung mindestens ebenso sehr Kunst wie<br />
Wissenschaft“.<br />
■<br />
83
M U S I K & R A U M<br />
FOTOS: HUFTON&CROW, PAUL ANDREU ARCHITECTE PARIS, ZAHA HADID, HARPA, WILLIAM BEAUCARDET/PHILHARMONIE DE PARIS, LUKE HAYES/ZAHA HADID ARCHITECTS<br />
Designpracht für die Kultur: Heydar-Aliyev-Zentrum in Baku (Zaha Hadid); Oriental Art Centre in Shanghai (Paul Andreu);<br />
Changsha Meixihu International Culture & Art Centre (Zaha Hadid); Konzerthaus Harpa in Reykjavík (Ólafur Elíasson); Philharmonie de Paris<br />
(Jean Nouvel); Johann Sebastian Bach Chamber Music Hall in Manchester (Zaha Hadid)<br />
84 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
WOHER KOMMEN<br />
EIGENTLICH …<br />
… die außermusikalischen Klänge im Raum ?<br />
VON STEFAN SELL<br />
FOTO: PIXABY<br />
Selbst in einem schalltoten<br />
Raum gibt es noch etwas<br />
zu hören. In Cambridge an<br />
der Harvard-Universität<br />
betrat Ende der 1940er-Jahre John<br />
Cage zum ersten Mal einen solchen<br />
Raum und freute sich, einmal nichts zu hören als Stille. Als<br />
er den Raum wieder verließ, hatte er doch etwas gehört, nämlich<br />
sich selbst. „Ich hörte zwei Klänge, einen hohen und einen tiefen.<br />
Als ich dies dem Toningenieur beschrieb, klärte er mich darüber<br />
auf, dass der hohe von den Aktivitäten meines Nervensystems herrührte<br />
und der tiefe von meinem Blutkreislauf kam.“<br />
Das inspirierte Cage zu dem Stück 4’33’’. Ursprünglich<br />
für Klavier gedacht, ist das auf vier Minuten und 33 Sekunden<br />
begrenzte Stück beliebig erweiterbar, sowohl was Dauer, als auch<br />
was Instrumentation betrifft. Allein – es darf kein einziger Ton<br />
gespielt werden – drei Sätze lang tacet, Schweigen, nur Stille. Plötzlich<br />
hört man im Konzertsaal die Tonkulisse des Publikums und<br />
der Außenwelt. Neben Fassungen für Sinfonieorchester und Death<br />
Metal Band gelangte 2010, kurz vor Weihnachten, die Popversion<br />
der 40-köpfigen All-Star-Band Cage against the Machine in die<br />
britischen Charts.<br />
Cage machte hörbar, was seit Mitte des 19. Jahrhunderts den<br />
Andachtskodex eines Konzertbesuchs immer wieder durchbricht.<br />
Aus einem verzagt verzärtelten Hüsteln wird ein in der Lautstärke<br />
anschwellender, ansteckender Husten, der mehr und mehr Akzente<br />
zu setzen weiß. Das ist von solcher Vielseitigkeit, das gar vom<br />
„Röchelverzeichnis“ die Rede ist. Es folgt das vermeintlich pianissimo<br />
gehaltene Rascheln und Knistern des Hustenbonbonpapiers,<br />
Räuspern, wieder Zurechtrücken, umrahmt von den Klangbildern<br />
der betont achtsam Zuspätkommenden wie Zufrühgehenden. Bis<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings galten Opern- und andere<br />
Musikaufführungen als etwas, das zahlreicher Nebenklänge geradezu<br />
bedurfte.<br />
Zur Zeit Vivaldis wurde in Venedig die Musik von allerhand<br />
begleitet: „Viele Patrizier gingen verkleidet in’ Theater, um desto<br />
ungenierter ihre Maitressen mit in die übrigens enorm teure Loge<br />
nehmen zu können. Dort wurde gelacht und gelärmt“, und all das<br />
getan, was „Mann“ so mit seiner Maitresse tut. Des Weiteren „warf<br />
man Lichtstumpen und andere Gegenstände auf das Volk im Parterre,<br />
ja, spuckte hinab, wenn man<br />
einen kahlen Schädel sah.“<br />
Im Winter 1765/66 bereiste<br />
der englische Arzt und Autor<br />
Samuel Sharp Italien: „In Neapel,<br />
ja, in ganz Italien ist es groß in<br />
Mode, die Oper als einen Ort zu sehen, um sich zu treffen und zu<br />
plaudern, sodass man letztendlich nicht wegen der Musik kommt,<br />
sondern um, ohne jegliche Zurückhaltung, die ganze Vorstellung<br />
über zu lachen und zu reden. Man kann sich denken, dass eine<br />
Ansammlung mehrerer hundert Leute, die sich unterhalten, die<br />
Stimmen der Sänger übertönen muss. Neben dem Genuss einer<br />
lautstarken Unterhaltung bilden sich manchmal kleine Gruppen,<br />
um Karten zu spielen.“<br />
Darüber empörte sich wiederum der italienische Literaturkritiker<br />
Giuseppe Baretti und entgegnete öffentlich: „Als ob wir einen<br />
Mord begehen würden, wenn wir uns im Parkett redselig geben<br />
oder uns in den Logen zu einer Partie Karten treffen. Selbst wenn<br />
wir nicht geneigt sind zuzuhören, wären unsere Sänger äußerst<br />
unverschämt, wenn sie nicht ihr Bestes geben würden, werden sie<br />
doch für ihr Tun sehr gut bezahlt. Caffarello [gemeint ist der Kastrat<br />
Gaetano Majorano (1710–1783), von dem sein berühmter Gesangslehrer<br />
Nicola Porpora schwärmte, er sei der „größte Sänger Italiens<br />
und der ganzen Welt!“] wurde bald eines Besseren belehrt, als es ihm<br />
in den Sinn kam, auf der Bühne in Turin seine Pflicht zu vernachlässigen<br />
unter dem Vorwand, das Publikum achte nicht genügend auf<br />
seinen Gesang. Kaum war die Oper zu Ende, wurde er samt seines<br />
mazedonischen Kostüms für einige Nächte ins Gefängnis gesteckt<br />
und Abend für Abend von dort auf die Bühne gebracht, bis er sich<br />
unter wiederholten Bemühungen den Beifall aller verdient hatte.“<br />
Überall gab es „konzertimmanente Geräuschsymptome“ zu<br />
hören: „In den Theatern in Venedig wurde je nach Belieben applaudiert<br />
oder gepfiffen. Lautes, anhaltendes Lachen hörte man, schrille<br />
Töne, tiefe Bassstimmen, Kichern, Schwatzen, Miauen, Krähen,<br />
erkünsteltes Niesen, Husten, Gähnen, alles ging bunt durcheinander.“<br />
Der skandalerprobte Komponist George Antheil war sich<br />
sicher: „Wenn den Hörern ein Werk wirklich gefällt, dann husten<br />
sie weiter, rutschen hin und her, flüstern; das alles ist der normale<br />
und behagliche Hintergrund der Konzertmusik.“<br />
■<br />
85
M U S I K & R A U M<br />
Südtiroler Bergkulisse bei I Suoni delle Dolomiti<br />
FOTO: DANIELE LIRA<br />
DER BERG RUFT!<br />
Viele Musikfestivals verlegen Konzerte in luftige Höhen. Für das Publikum bedeutet das ein völlig<br />
neues Erlebnis, für Künstler und Veranstalter eine akustische Herausforderung.<br />
VON CORINA KOLBE<br />
Majestätische Berglandschaften haben so manchen Komponisten<br />
zu großen Werken inspiriert. In Richard<br />
Strauss’ Alpensinfonie hört man das Rauschen eines<br />
Wasserfalls, bevor der Wanderer über blumige Wiesen<br />
und durch unwegsames Dickicht den Gipfel erreicht und in ein<br />
Gewitter gerät. In seiner Tondichtung verarbeitete Strauss Jugenderinnerungen<br />
an einen Aufstieg auf den Heimgarten, einen der<br />
Münchner Hausberge. In Toblach im Pustertal, wo er unter anderem<br />
seine Neunte Sinfonie schrieb, schwärmte Gustav Mahler beim<br />
Blick auf die Dolomiten: „Hier ist es wunderherrlich und repariert<br />
ganz sicher Leib und Seele.“<br />
Im Gegensatz zu Strauss und Mahler können Gäste von Klassikfestivals<br />
Musik im Gebirge heute nicht nur in der Fantasie erleben.<br />
Veranstalter folgen dem weit verbreiteten Trend, Konzerte an<br />
ungewohnte Orte zu verlegen. Kultur und Tourismus fördern sich<br />
dabei gegenseitig. Beim Richard Strauss Festival in Garmisch-Partenkirchen<br />
begleiten in diesem Sommer ein Trompeter und ein<br />
Posaunist eine Musikwanderung durch die Partnachklamm. Unter<br />
dem Motto „Von der Renaissance zum Rosenkavalier“ lädt das Festival<br />
außerdem auf die Sonnenalm ein, die mit der Wankbahn oder<br />
zu Fuß zu erreichen ist. Das Ensemble Munich Opera, das aus den<br />
acht Hornisten des Bayerischen Staatsorchesters besteht, spielt auf<br />
einer Terrasse vor der beeindruckenden Kulisse der Zugspitze. Beim<br />
Oberstdorfer Musiksommer kann man Kammerensembles auf dem<br />
Nebelhorn und bei Sonnenuntergang an der Gipfelstation des Fellhorns<br />
lauschen. Und der Südtiroler Bergsteigerchor Castion Faver<br />
singt an der Station Schlappoldsee.<br />
Während man auf dem Fellhorn ohne zu schwitzen mit der<br />
Bergbahn ans Ziel kommt, hat die styriarte in der österreichischen<br />
Steiermark Wanderungen für konditionsstärkere Gäste im Programm.<br />
600 Höhenmeter sind auf einer neun Kilometer langen<br />
„Landpartie“ zu überwinden, die wahlweise frühmorgens oder am<br />
Nachmittag durch den Nationalpark Gesäuse führt. Zur Belohnung<br />
gibt es dann im Gebirge Live-Musik von Alphornbläsern, Flötistinnen<br />
und einem Vokaltrio.<br />
Das Gstaad Menuhin Festival in der Schweiz findet in diesem<br />
Jahr sogar unter dem Themenschwerpunkt „Alpen“ statt. Intendant<br />
Christoph Müller spricht in seinem Vorwort von einer „magischen“<br />
Anziehungskraft, die Berge im Zeitalter der Beschleunigung<br />
und weltweiten Vernetzung auf Stressgeplagte ausüben. Die meisten<br />
Konzerte finden allerdings in Kirchen und im Festivalzelt statt.<br />
Anders als bei früheren Ausgaben ist ein Gletscherkonzert in diesem<br />
Jahr nicht vorgesehen. Dafür tritt auf der Alp Züneweid auf<br />
einer Höhe von rund 1.600 Metern ein Blechbläserquintett auf.<br />
86 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Wie Müller im Interview erklärt, sucht er neben den Hauptspielstätten<br />
auch typische Orte in der Region aus, an denen die<br />
Verbindung von Natur und Musik am schönsten zum Ausdruck<br />
komme. Was die Akustik betrifft, so räumt er rasch ein, dass bei<br />
Freiluftkonzerten Abstriche gemacht werden müssten. „Man<br />
besucht solche Veranstaltungen ja nicht in erster Linie wegen<br />
des Klangerlebnisses. Dafür haben wir unsere Kirchen, die für<br />
ihre Akustik berühmt sind.“ Die Besonderheit der Konzerte im<br />
Gebirge erkennt Müller eher darin, dass die übliche Trennung<br />
zwischen Bühne und Zuschauerraum aufgehoben sei. „Die Hörer<br />
sind den Musikern ganz nah. In Wanderschuhen und Sportdress<br />
lässt es sich wunderbar miteinander über Musik und die Welt diskutieren.“<br />
Und wie gehen die auftretenden Musiker mit der ungewohnten<br />
Situation um? „Wer nicht bereit ist, solche Kompromisse einzugehen,<br />
spielt halt nicht dort“, sagt der Intendant, der von Haus<br />
aus Cellist ist. „Generell verspüre ich bei Künstlern aber eine große<br />
Offenheit für solche Formate.“ Die Gefahr, dass das Gebirge zu<br />
einer Eventkulisse reduziert wird und die Natur darunter leiden<br />
könnte, schließt er bei seinem Festival aus. „Wir veranstalten diese<br />
Konzerte immer in sehr kleinem Rahmen, mit 80 bis höchsten 150<br />
Zuhörern. Andernfalls würde die besondere Stimmung gar nicht<br />
erst aufkommen.“<br />
Mit dem Goethe-Zitat „Über allen Wipfeln ist Ruh“ will das<br />
Davos Festival in Graubünden seine Besucher zu einer Wandertour<br />
animieren, die vom Jakobshorn (2.590 m) bergabwärts über die<br />
Clavadeler Alp (2.005 m) zur Kirche Frauenkirch (1.505 m) führt.<br />
Zum Ausgangspunkt gelangt man mit einer Bahn. Die Konzerte<br />
auf der traditionellen Festivalwanderung, die jedes Jahr ihre Route<br />
ändert, finden in Innenräumen statt. Im Restaurant der Gipfelstation<br />
singt zunächst der Kammerchor des Festivals, der die gesamte<br />
Tour begleitet. Wie bei vielen anderen Konzerten im Gebirge ist<br />
auch hier ein Bläserensemble dabei, das im Keller eines Käsereihofes<br />
spielt, bevor der Ausflug bei Musik in der Kirche endet. Bei<br />
höchstens 50 bis 60 Zuhörern kann man auch hier nicht von einer<br />
Massenveranstaltung sprechen.<br />
Ein bewusstes und umweltverträgliches Natur- und Musikerlebnis<br />
in kleinem Kreis bietet auch das Festival Die Klänge der<br />
Dolomiten in Südtirol. Künstler und Publikum kommen sich beim<br />
Wandern durch die malerische Bergwelt des Trentino näher als in<br />
jedem herkömmlichen Konzertsaal. Albrecht Mayer, Solo-Oboist<br />
der Berliner Philharmoniker, war im vergangenen Sommer ganz<br />
ungewohnt auf einer Bergwiese im Naturschutzpark Adamello-<br />
Brenta zu hören, begleitet von dem Kammermusikensemble Zandonai<br />
aus Trento. In einem Video auf Youtube ist zu sehen, wie<br />
die Musiker, die sich durch Hüte vor Sonnenstich schützten, ein<br />
Programm aus Klassik, Filmmusik, Tango und Pop aufführen.<br />
Die Geigerin Isabelle Faust nahm bereits an einer Trekking-Tour<br />
durch die Cevedale-Gruppe teil, die bis auf über 3.000 Meter Höhe<br />
führte. Mit einer Sonnenbrille auf der Nase spielte sie vor schneebedeckten<br />
Gipfeln gemeinsam mit dem künstlerischen Festivalleiter<br />
Mario Brunello. Der Cellist aus Venetien, der 1986 als erster<br />
Italiener den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gewann, kennt<br />
die Berge von klein auf wie seine Westentasche. Er ist davon überzeugt,<br />
dass Musik und Natur füreinander geschaffen seien. „Das<br />
Profil der Dolomiten ähnelt dem Notenbild in einem Präludium<br />
von Bach“, schreibt Brunello in seinem Buch „Fuori con la musica“<br />
(Draußen mit der Musik). Und den Klang seines Instruments verglich<br />
er einmal mit der Sonne, die frühmorgens über den Gipfeln<br />
seiner geliebten Dolomiten aufgeht.<br />
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Bei Veranstaltungsorten wie bei Weinen rangelt das Altbewährte oft mit dem für Ohren<br />
oder Gaumen nicht immer gut konsumierbaren Außergewöhnlichen.<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
Wenn es um die musikalische Aufführungspraxis<br />
geht, gibt es einige zentrale Kriterien:<br />
Akustik, Bühnengröße, Anzahl der Sitzplätze<br />
und Zugänglichkeit. Erweist sich<br />
etwas davon als suboptimal, wird’s schnell<br />
schwierig. Trotzdem wurde die Suche nach<br />
neuen, außergewöhnlichen Aufführungsorten<br />
fast schon zum neuen Sport. Wen<br />
kümmert schon die Qualität, wenn es einfach<br />
cool ist, Oper im Bahnhof, Kammermusik<br />
im Flughafen oder große Sinfonik in<br />
einer Disco zu präsentieren?<br />
Genauso gibt es Weine, die an ungewöhnlichen<br />
Orten wachsen. Ob sie gut sind,<br />
ist dabei unwichtig. Es zählt die Medienwirksamkeit.<br />
Wein zu trinken, der in einem<br />
Vulkan gewachsen ist oder auf<br />
3.100 Meter Höhe fermentiert wurde,<br />
macht einfach mehr her. Glücklicherweise<br />
kann der Wein dennoch gut sein.<br />
Zum Beispiel der von Colomé.<br />
Deren Wein wird im oberen Calchaquí-<br />
Tal der Provinz Salta in Argentinien<br />
angebaut. Ihr höchstes Weinbaugebiet,<br />
passend Altura Máxima<br />
genannt, liegt auf 3.111 Meter Höhe<br />
und ist damit das höchste kommerziell<br />
genutzte Weinbaugebiet der<br />
Welt. Und wie schmeckt das Tröpfchen?<br />
Großartig! Der Bodega<br />
Colomé Estate Malbec 2015 ist ein<br />
preisgekrönter, mit 92 Parker-Punkten<br />
bewerteter, reichhaltiger Rotwein,<br />
voll von Beeren- und Kirscharomen<br />
mit Pfeffer-, Tabak- und<br />
Schokoladennote.<br />
Die besten Konzertsäle der Welt wie das<br />
Amsterdamer Concertgebouw, die Berliner<br />
Philharmonie oder der Wiener Musikverein<br />
wurden für das spezifische Repertoire ihrer<br />
Orchester designt. Beim Bau stand die Musik<br />
an erster Stelle. Bei anderen Sälen war die<br />
Musik ein Nachtrag, stand die Architektur im<br />
Vordergrund. Im 21. Jahrhundert zählt allein,<br />
ob der Veranstaltungsort Publikum anlockt.<br />
Aber die entscheidende Frage ist, ob diese<br />
neuen, extravaganten Orte nachhaltig die<br />
Zuschauerzahlen steigern. Wenn Leute<br />
Musik in der Disco oder in der U-Bahn hören,<br />
gefällt ihnen das möglicherweise nicht, und<br />
wenn doch, wollen sie sie vielleicht nirgends<br />
anders mehr hören – vor allem nicht an diesen<br />
stickigen Orten, die eine gewisse Etikette<br />
erfordern, an eine Kirche oder eine<br />
Beerdigung erinnern. Anders gesagt: Ein<br />
Konzertsaal kann erheblich den Charakter<br />
eines Orchesters oder des Publikumserlebnisses<br />
beeinflussen. Er gibt<br />
dem Orchester eine Heimat, eine Identität.<br />
Trotzdem schrumpft das Publikum<br />
für klassische Musik, was<br />
Orchester, Veranstalter und Labels<br />
dazu zwingt, alternative Veranstaltungsorte<br />
zu finden, die eine tiefere<br />
Verbindung zum Zeitgeist und<br />
modernen Lebensstil ermöglichen.<br />
Funktioniert das? Oft nicht. Macht<br />
das Spaß? Absolut. Was ist also die<br />
bessere Variante? Weder noch. Beides<br />
wird benötigt, um das Publikum<br />
der Zukunft zu schaffen und zu<br />
bewahren.<br />
Für Wein gilt genau das Gleiche: Es<br />
braucht die Bodenständigen aus passendem<br />
Klima, passenden Höhen und Regionen.<br />
Und andererseits die Exoten wie den<br />
Wein aus dem tahitianischen Rangiroa,<br />
einer paradiesischen Insel im Südpazifik.<br />
Oder dem aus Lanzarote, dem „Weinkeller<br />
des Teufels“: Krater und Vulkangestein<br />
schützen die Reben vor starken Winden,<br />
WEN KÜMMERT<br />
DIE QUALITÄT,<br />
WENN BLOSS DER ORT<br />
MEDIENWIRKSAM IST?<br />
lassen die Landschaft außerirdisch wirken,<br />
obwohl der Vulkanboden sehr nährstoffreich<br />
ist und die Reben gesund und kräftig<br />
wachsen lässt.<br />
Ein großartiges Orchester benötigt<br />
einen großartigen Konzertsaal wie ein<br />
großartiger Wein perfekte Reben und perfektes<br />
Klima. So würde ich einen soliden<br />
Premier Cru Bordeaux nicht gegen einen<br />
Edivo Viva eintauschen, der in gut verkorkten<br />
Amphoren in einem versunkenen Schiff<br />
vor der dalmatinischen Adriaküste gelagert<br />
wird. Aber von Zeit zu Zeit kommt doch<br />
ein neuer Konzertort wie die Elbphilharmonie<br />
oder ein Wein vom Dach der Welt<br />
daher und ändert einfach alles.■<br />
John Axelrod ist Generalmusikdirektor und Geschäftsführer des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er<br />
Bücher und sorgt sich um das Wohl des crescendo-Lesergaumens. Außerdem schreibt er einen englischsprachigen Blog zum Thema Wein und Musik: www.IamBacchus.com.<br />
Infos zum Malbec Salta der Bodega Colomé finden Sie hier: www.belvini.de/bodega-colome-autentico-malbec-salta.html<br />
88 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
LEBENSART<br />
ServusTV: auf Filmdreh mit Hochkultur-Experte Ioan Holender (Seite 91)<br />
crescendo – hier kochen die Stars: Linus Roth und Ali Güngörmüş mit bayerischen Garnelen auf Taboulehsalat (Seite 92)<br />
Experimentierfreude und Spontanität prägen<br />
die Kunst von Martin Widl. Am 19. <strong>Juli</strong><br />
werden seine Bilder in einer Vernissage in den<br />
crescendo-Verlagsräumen zu sehen sein<br />
FOTO: MARTIN WIDL<br />
89
L E B E N S A R T<br />
NIGELNAGELNEU UND<br />
FRISCH FRISIERT:<br />
DIE <strong>CRESCENDO</strong>-HOMEPAGE<br />
Wochenlang schwelten die Köpfe der crescendo-Redaktion,<br />
manch einer wollte sich gar in der Tastatur verbeißen. Nun ist sie da: die komplett<br />
neu aufgesetzte crescendo-Website mit vielen neuen Annehmlichkeiten.<br />
Hammock-Effekt und Hero Section, Sidebar und Slider,<br />
Wireframe und Wysiwyg – als wir mit der Rundumerneuerung<br />
unserer in die Jahre gekommenen Website<br />
begannen, mussten wir erst mal „Sprachunterricht“<br />
nehmen. Spannend, verwirrend und gelegentlich auch<br />
zum Haareraufen war es, in die Strukturen hinter der<br />
Web-Oberfläche einzutauchen und diese von Grund<br />
auf neu zu gestalten.<br />
Nun ist sie da, die neue Homepage:<br />
www.crescendo.de. Und wir laden Sie herzlich ein, sich<br />
darauf umzusehen und uns unter folgender E-Mail kritisches<br />
Feedback zu geben: redaktion@crescendo.de.<br />
crescendo-Kolumnist Axel Brüggemann<br />
für SKY bei den Bayreuther Festspielen<br />
Er tut es wieder! Auch zur Festspielsaison 20<strong>18</strong> begleitet<br />
Axel Brüggemann für den Fernsehsender SKY wieder die<br />
Bayreuther Festspiele. Die Premiere von Lohengrin in der<br />
Inszenierung von Yuval Sharon und unter der musikalischen<br />
Leitung von Christian Thielemann wird von Interviews,<br />
Impressionen und Blicken hinter<br />
die Kulissen umrahmt.<br />
25.7., „Bayreuth – Die Show“, SKY<br />
DAS KANN DIE NEUE crescendo-HOMEPAGE:<br />
Responsiveness<br />
Egal ob auf Ihrem Heim-PC, Ihrem Laptop, Ihrem Tablet oder Ihrem<br />
Smartphone – die Website wird Ihnen stets optimal angezeigt! Dabei können<br />
Sie sich einfach immer tiefer in die Seiten „hineinblättern“.<br />
Smart Listening<br />
Endlich wird die Lücke zwischen Lesen und Hören geschlossen: Ab jetzt<br />
können Sie auf unserer Website bei vielen Rezensionen direkt in die entsprechenden<br />
Einspielungen reinhören – kostenfrei!<br />
crescendo-Ticket<br />
In unserem Veranstaltungskalender finden Sie über 90.000 Termine, für die<br />
Sie auch direkt Eintrittskarten bestellen können.<br />
Deutschlandweit und darüber hinaus!<br />
Gewinnspiele<br />
Neben spannenden Artikeln, Veranstaltungstipps und Veranstaltungskritiken<br />
finden Sie auf unserer Seite nun auch Rätsel und Gewinnspiele.<br />
Videos, crescendo LIVE und vieles mehr<br />
Als Printmedium kennen Sie crescendo seit vielen Jahren. Aber wussten Sie,<br />
dass wir viele Künstlerbegegnungen mit der Kamera begleiten?<br />
In der Video-Reihe „crescendo trifft …“ können Sie unsere Autoren jede<br />
Woche bei einem Künstlergespräch verfolgen und per Livestream Veranstaltungen<br />
aus der Welt der klassischen Musik hautnah erleben.<br />
Außerdem zeigen wir Höhepunkte unserer Veranstaltungsspecials<br />
crescendo LIVE, bei denen Sie auch vor Ort dabei sein können –<br />
als crescendo-Leser oft mit speziellen Vergünstigungen.<br />
90 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Schmackhafte<br />
Hochkultur<br />
vom Großmeister<br />
Für ServusTV moderiert Opernlegende und Kulturexperte Ioan Holender<br />
die Sendung „kulTOUR mit Holender“. Wir durften ihn beim Dreh begleiten.<br />
VON MARIA GOETH<br />
Noch einmal huscht<br />
eine rührige Assistentin<br />
herbei und<br />
fährt dem Grandseigneur<br />
mit dem<br />
Kamm durchs wallende graue<br />
Haar. Der rückt sich die elegante<br />
dunkelrote Krawatte zurecht,<br />
bevor seine unverwechselbare,<br />
sonor rollende, bis heute mit<br />
rumänisch angehauchtem R artikulierende<br />
Stimme anhebt wie ein<br />
tiefer, unaufhaltsamer Strom. Die<br />
durchdringenden grünblauen<br />
Augen leuchten wach aus den<br />
Gesichtszügen mit den markanten<br />
breiten Lippen und den kleinen<br />
Lachfalten in den Augenwinkeln. 82 Jahre ist Ioan Holender nun alt<br />
und vielleicht eines der letzten Musterexemplare aus der Generation<br />
jener großen, mächtigen Theatermänner. Das weiß er, und dazu<br />
steht er – auch in einer Zeit, in der eine heftige Debatte um eben<br />
diese Machtmenschen herrscht. „Ich bekenne mich absolut zur<br />
autokratischen Führung eines Opernhauses“, betont er. Man müsse<br />
sich der Verantwortung stellen und Einfluss auf alles nehmen – vom<br />
Bühnenpförtner und den Toiletten bis zur Künstlerbesetzung.<br />
„Letztendlich kommt es nur auf zwei Dinge an: Was man spielt und<br />
mit wem man spielt – und das kann nur der Leiter bestimmen!“<br />
19 Jahre lang war Holender Direktor der Wiener Staatsoper – länger<br />
als jemals eine Person zuvor.<br />
Seit Ende seiner Amtszeit wirkt er unter anderem als Berater<br />
für die Metropolitan Opera – „wie das eben so ist, wenn man in<br />
einer solchen Position war und es nicht mehr ist, dann wird man<br />
Berater“, lacht er. Daneben hat er seine eigene Sendung „kulTOUR<br />
mit Holender“ bei ServusTV. Hierbei lässt ihm der Geschäftsführer<br />
des Senders, Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz, alle Freiheit<br />
der Welt: „Wenn Sie es gerne machen, wird es gut sein!“ Und so porträtiert<br />
Holender mal Künstlerpersönlichkeiten wie Zubin Mehta,<br />
Christian Gerhaher oder Teodor Currentzis, mal Institutionen wie<br />
Ioan Holender:<br />
Nächste Sendungen von „kulTOUR mit Holender“<br />
bei ServusTV (jeweils um 23:25 Uhr):<br />
7. <strong>Juni</strong>: Musikpaläste in Barcelona<br />
21. <strong>Juni</strong>: Stuttgart – Innovation hat Tradition<br />
5. <strong>Juli</strong>: Die Mailänder Scala<br />
19. <strong>Juli</strong>: Sotschi – Die russische Riviera<br />
FOTO: SERVUS TV / HOERMANDINGER<br />
die Opernhäuser von Tirana oder<br />
dem Oman oder das neue Kulturzentrum<br />
in Peking. Dabei ist für<br />
ihn nicht immer die Qualität entscheidend,<br />
sondern die spannenden<br />
Geschichten, die hinter den<br />
Personen und Gebäuden stecken<br />
und die neben Opernfans vor<br />
allem auch die breite Mehrheit des<br />
Fernsehpublikums erreichen sollen<br />
– eine „Quadratur des Kreises“,<br />
wie Holender selbst bemerkt, aber<br />
dieser Herausforderung stellt er<br />
sich gerne.<br />
Gerade hat er eine Folge an<br />
der Staatsoper Stuttgart abgedreht<br />
– von Max Reinhardt zu Recht als<br />
„schönstes Opernhaus der Welt“ bezeichnet, wie Holender findet.<br />
Der monumentale, 1912 eröffnete Doppeltheaterbau mit Opernund<br />
Schauspielhaus von Max Littmann sei etwas ganz Besonderes.<br />
Holender sprach unter anderem mit Opernintendant Jossi Wieler<br />
und Chefdramaturg Sergio Morabito – Letzterer wechselt ab 2020 in<br />
gleicher Funktion an die Wiener Staatsoper, also an Holenders ehemalige<br />
Wirkungsstätte. Außerdem haben Wieler und Morabito in<br />
den vergangenen Jahren als gefeiertes Regie-Duo im besten Sinne<br />
die Stuttgarter Musikwelt aufgewirbelt. Und natürlich kommt bei<br />
Holenders Stuttgart-Porträt auch das legendäre Stuttgarter Ballett<br />
nicht zu kurz – insbesondere die 1971 von John Cranko gegründeten<br />
Ballettschule –, daneben weitere Kulturspielstätten wie die Liederhalle<br />
oder das Architekturjuwel Wilhelma Theater. In Gebäuden,<br />
in denen Menschen Musik machen, herrsche oft eine ganz besondere<br />
Atmosphäre, beobachtet Holender. Diese zu vermitteln, gelingt<br />
der Kulturautorität ganz ausgezeichnet. Da muss man nachträglich<br />
fast froh sein, dass die politischen Unruhen im kommunistischen<br />
Rumänien Holender einst zum Abbruch seines Studiums und später<br />
zur Auswanderung zwangen, woraus seine Karriere in der Hochkultur<br />
geboren wurde – ansonsten wäre Holender Ingenieur für<br />
Dampfmaschinen geworden!<br />
■<br />
91
L E B E N S A R T<br />
Bayerische Garnelen<br />
auf Taboulehsalat<br />
<strong>CRESCENDO</strong> –<br />
HIER KOCHEN DIE STARS<br />
„BEIM KONZERT IST ES WIE<br />
IM RESTAURANT:<br />
DAS PUBLIKUM MÖCHTE<br />
EINE EMOTION MIT NACH<br />
HAUSE NEHMEN!“<br />
ALI GÜNGÖRMÜŞ<br />
FOTOS: MARIA GOETH<br />
92 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
BAYERISCHE GARNELEN AUF TABOULEHSALAT<br />
Schalotten, Knoblauch, Fleischtomaten, Bulgur<br />
Frische Garnelen (z. B. bayerische Garnelen aus Freising: www.crustanova.com)<br />
Butter, Gemüsebrühe<br />
Salz, Zucker, Kurkuma, frischer Koriander, frische marokkanische Minze, frische Petersilie<br />
Saft von einer Biozitrone, Olivenöl<br />
Cayennepfeffer oder Chiliöl<br />
1. Schalotten und Knoblauch schneiden. Tomaten oben einschneiden, Strunk entfernen und kurz<br />
in kochendes Wasser geben. Dann die Haut entfernen, Tomaten halbieren und würfeln.<br />
2. Garnelen putzen (die Köpfe nicht abnehmen).<br />
3. Schalotten und Knoblauch in Butter anschwitzen. Feinen Bulgur, die gewürfelten<br />
Tomaten und etwas Salz, Zucker und Kurkuma (keinen Pfeffer!) zugeben. Gemüsebrühe zugeben,<br />
bis alles leicht bedeckt ist. Kurz aufkochen lassen. Dann von der Herdplatte nehmen und<br />
10–15 Minuten ziehen lassen.<br />
4. Koriander, Minze und Petersilie zupfen und klein hacken und mit dem Bulgur vermischen<br />
(ca. zwei Teile Kräuter zu je einem Teil Bulgur mit Tomaten). Zitronensaft, Olivenöl, etwas Salz und<br />
eine Prise Cayennepfeffer oder Chiliöl dazugeben.<br />
5. Garnelen in (nicht zu heißem) Olivenöl anbraten. Etwas Butter und Zitronensaft darübergeben.<br />
6. Die Garnelenköpfe abbrechen. Den Taboulehsalat mit den Garnelen anrichten und ein bisschen<br />
Bratbutter der Garnelen darübergeben. Den Teller mit etwas Olivenöl dekorieren.<br />
Das Video zum Rezept finden Sie unter: www.youtube.de/crescendomagazin<br />
•<br />
LINUS ROTH GEIGER<br />
Linus Roth ist ein weltweit erfolgreicher Geiger. Daneben ist er<br />
Mitbegründer der International Weinberg Society, Gründer und künstlerischer<br />
Leiter des Festival Ibiza Concerts sowie Professor für Violine an der<br />
Universität Augsburg.<br />
ALI GÜNGÖRMÜŞ STERNEKOCH<br />
Ali Güngörmüş ist ein in der Türkei geborener deutscher Koch. 2005 eröffnete<br />
er in Hamburg-Othmarschen das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete<br />
Restaurant Le Canard Nouveau, 2014 in München das Restaurant Pageou.<br />
Güngörmüş ist im ZDF und NDR regelmäßig als Fernsehkoch zu erleben.<br />
Linus Roth und Ali Güngörmüş im Kochfieber<br />
93
L E B E N S A R T<br />
2 3<br />
1<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7 9<br />
8<br />
FOTOS: GRAZ TOURISMUS / HARRY SCHIFFER (5); KUG / WENZEL; OPERNHAUS GRAZ; GRAZ TOURISMUS / WERNER KRUG; GRAZ TOURISMUS / MARKUS SPENGER<br />
1) Kunsthaus Graz 2) Kunstuniversität Graz 3) Opernhaus 4) Blick über die zweitgrößte Stadt Österreichs 5) Uhrturm 6) Glockenspiel<br />
7) Kaiser-Josef-Markt 8) Lange Tafel der Genusshauptstadt vor dem Grazer Rathaus 9) Murinsel<br />
94 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
SO VIEL MUSIK, KUNST UND LITERATUR<br />
AUF ENGEM RAUM!<br />
Graz<br />
Ein Spaziergang mit Oksana Lyniv, Chefdirigentin des<br />
Grazer Philharmonischen Orchesters, durch das malerische Herz der Steiermark.<br />
VON ROLAND H. DIPPEL<br />
FOTO: SERHIY HOROBETS UND VIKTOR ANDRIICHENKO<br />
Über Nacht hielt der Frühling Einzug<br />
in Graz. Tiefblauer Himmel, Studierende<br />
auf der Stadtpark-Promenade<br />
und fast sommerliche Sonnenstrahlen<br />
auf das bronzene Modell des<br />
Opernhauses vor dem neubarocken Prunkbau,<br />
dem Herz der zweitgrößten Stadt Österreichs. Am<br />
Abend zuvor wurde das Ehrenkonsulat der Ukraine feierlich eröffnet.<br />
Der Bezirk Lemberg und die Steiermark sind Partnerregionen.<br />
Die ehemalige Hauptstadt Galiziens ähnelt dem Industrie- und<br />
Kunstzentrum an der Mur.<br />
Oksana Lyniv hatte keine Zeit für diesen ersten Botschaftsabend,<br />
obwohl sie den Dialog ihres Heimatlandes und der mitteleuropäischen<br />
Kultur befördert, wo sie kann. Aber die andere schöne<br />
Verpflichtung war wichtiger: Sie stand zur Generalprobe der Grazer<br />
Erstaufführung von Rossinis Belcanto-Starfighter Il viaggio a Reims<br />
am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters. Seit Beginn dieser<br />
Spielzeit ist sie dessen Chefdirigentin. Am Tag vor der Premiere<br />
finden wir Zeit zum Gespräch auf einem Rundgang zu ihren Lieblingsorten<br />
dieser malerischen Stadt und Mittelpunkt der Steiermark.<br />
Ungarn ist nicht weit, Slowenien auch nicht.<br />
Oksana Lyniv in ihrer neuen<br />
Heimat<br />
An der Oper leitet die 40 Jahre alte Oksana<br />
Lyniv je Spielzeit zwei Produktionen, und mit dem<br />
Grazer Philharmonischen Orchester gestaltet sie<br />
neun Programme. Eine stolze Zahl. „Ich freue mich<br />
immer, wenn Besuch kommt, dann muss ich mich<br />
losreißen und Zeit für Ausflüge haben“, lacht sie.<br />
Man glaubt ihr, dass sie diese schnellen Sprünge<br />
zwischen Kunst und Lebensraum liebt. „Gleich auf der anderen<br />
Seite der Mur, am neuen Kunsthaus, sieht man, wie Graz durch die<br />
Mischung aus historistischer Vergangenheit und Fortschrittsgeist<br />
lebendig bleibt. Aber die wichtigsten Orte für mich befinden sich in<br />
der Nähe zur Oper und dem Stephaniensaal.“ Ihre Pausen verbringt<br />
Lyniv oft am idyllischen Kaiser-Josef-Markt, wo sie gerne zu Mittag<br />
isst. Wenige hundert Meter weiter befindet sich die Kunstuniversität<br />
Graz, eine der wichtigsten und begehrtesten Musikhochschulen<br />
Europas.<br />
Alteingesessene halten den Kaiser-Josef-Markt für das Herz<br />
des alten Graz. Wenn die Nächte nicht mehr allzu kalt werden,<br />
herrscht an den Getränkeständen noch bis vor Mitternacht Hochbetrieb,<br />
der sich nur allmählich in die benachbarten Lokalitäten<br />
verlagert. Formvollendete galante Umgangsformen findet man dort<br />
95
L E B E N S A R T<br />
genauso wie etwas handfesteren<br />
Umgangston. Alle Szenen treffen<br />
aufeinander. Hier freunden sich<br />
auch internationale Gäste gerne<br />
mit einer bodenständigen<br />
Gemächlichkeit an, die nur<br />
wenige Meter weiter zwischen den<br />
Läden am Knotenpunkt Jakominiplatz<br />
urbaner Geschäftigkeit<br />
weicht. Man versteht, warum viele<br />
Künstler hier weiterhin leben wollen,<br />
selbst wenn sie längst international<br />
gefragt sind.<br />
„Mir gefällt hier die Tradition,<br />
die enge Vernetzung mit der Kunstuniversität und den vielen<br />
anderen Einrichtungen. So viel Musik, Kunst und Literatur auf<br />
engem Raum! In der Nachbarschaft zur Styriarte und zum Steirischen<br />
Herbst entsteht eine freundschaftliche Konkurrenz, die sich<br />
beglückend auf die Qualität auswirkt.“ Immer wieder entdeckt<br />
Oksana Lyniv trotzdem spannende Lücken. In den nächsten Spielzeiten<br />
widmet sie sich in Graz wieder ukrainischen Werken und<br />
bereitet für 2019/20 einen umfangreichen Zyklus mit Werken von<br />
Komponistinnen vor.<br />
Im Hauptfoyer der Grazer Oper stehen Büsten des<br />
„Evangelimann“-Schöpfers Wilhelm Kienzl und von Alexander<br />
Girardi, dem unvergessenen Spieltenor der Wiener Operette. „Ich<br />
bin gespannt auf die nächste Achse mit Franz Xaver Mozart, die ich<br />
von Lviv hierher legen möchte.“ Den Mozartsohn macht Oksana<br />
Lyniv auch in der zweiten Ausgabe des von ihr 2017 gegründeten<br />
Festivals LvivMozArt zum Schwerpunkt. Sie springt im Gespräch<br />
ständig zwischen dem ukrainischen Namen Lviv und dem deutschen<br />
Lemberg hin und her. Neben den Grazer Verpflichtungen<br />
Sonne im Grazer Kunsthauscafé<br />
FOTO: GRAZ TOURISMUS / TOM LAMM<br />
fand sie 2016 noch die Zeit zur<br />
Gründung des Jugendsymphonieorchesters<br />
der Ukraine nach Vorbild<br />
des Bundesjugendorchesters.<br />
Ihr Auftritt mit den Jugendlichen<br />
beim Young Euro Classic am 16.<br />
<strong>August</strong> im Konzerthaus Berlin<br />
wird von Arte aufgezeichnet, und<br />
für das Grazer Gastspiel am 17.<br />
September hat sie sich etwas ganz<br />
Besonderes ausgedacht. „Wir<br />
rekonstruieren Teile eines Konzerts,<br />
bei dem Franz Xaver Mozart<br />
<strong>18</strong>44 hier in Graz als Pianist auftrat.<br />
Es gibt eine Komposition von ihm, dazu als repräsentative<br />
Werke aus seinem Umfeld Beethovens Die Geschöpfe des Prometheus<br />
und die Ouvertüre zu Boieldieus Rotkäppchen.“<br />
Längst haben wir auf einem Steg wieder die Mur überquert.<br />
Die künstliche Murinsel, deren gerundete Form vage Ähnlichkeit<br />
mit einer Muschel hat, liegt zwischen dem historischen Graz und<br />
den hippen Szene-Locations um den Lendplatz. Ganz in der Nähe<br />
lebte lange Jahre der in Lemberg geborene Autor und Historiker<br />
Leopold von Sacher-Masoch, dessen Einsatz gegen den Antisemitismus<br />
leider viel weniger bekannt ist als seine sprichwörtlich gewordene<br />
Prosa. Er, dem man im Kulturhauptstadtjahr 2003 ein umfangreiches<br />
Projekt widmete, gehört genauso zu Graz wie der unvergessene<br />
Robert Stolz oder Karl Böhm, dessen Ehrenbüste derzeit für<br />
das dokumentarische Stück von Paulus Hochgatterer und Nikolaus<br />
Habjan an das Schauspielhaus am Freiheitsplatz geliehen ist. Zu entdecken<br />
gäbe es noch viel mehr, aber Oksana Lyniv muss zurück. Am<br />
nächsten Tag leitet sie die Grazer Erstaufführung einer der schönsten<br />
und spannendsten Opern Rossinis.<br />
■<br />
Tipps, Infos & Adressen<br />
Reiseinformationen rund um Ihren Besuch in Graz<br />
Musik & Kunst<br />
Der Grazer Musikverein bietet das ganze Jahr<br />
hochkarätige Konzerte (www.musikvereingraz.at).<br />
Das Museum Joanneum zeigt eine<br />
Jubiläumsaustellung des Steirers Peter<br />
Rosegger (www.museum-ioannneum.at).<br />
Der Steirische Konzertsommer versteht sich<br />
als Einladung in die malerische Landschaft<br />
(www.kammermusik.co.at). Als weitere Fe s-<br />
tivals locken die styriarte (www.styriarte.<br />
com) und der 51. steirische herbst<br />
(www.steirischerherbst.at).<br />
Essen & Trinken<br />
Kürbiskernöl, Backhendl, Mehlspeisen und dazu<br />
ein Glas steirischen Schilcher … Im Grunde<br />
kommt man in jedem Gasthaus Richtung Hausberg<br />
Schöckl auf seine Kosten. Beliebt ist der<br />
Stoffbauer oberhalb des Stadtteils Mariatrost<br />
(www.stoffbauer.com). Beim Laufke in Nähe zu<br />
Stadtpark und Univiertel sollte man unbedingt<br />
reservieren (www.laufke.net). Das Café im<br />
Burggarten, das Kunsthauscafé (www.kunsthauscafe.co.at)<br />
oder der Lendplatz mit Bauernmarkt<br />
sind Orte zum Verlieben.<br />
Übernachten<br />
Neben Dependancen internationaler Ketten<br />
gibt es ein breites Angebot regionaler<br />
Anbieter. Das Lendhotel (www.lendhotel.<br />
at) im hippen Lend-Quartier vereint<br />
modernen Komfort und Kunst ebenso wie<br />
das in der Altstadt gelegene Augarten Art<br />
Hotel (www.augartenhotel.at) oder das<br />
Schlossberg-Hotel<br />
(www.schlossberg-hotel.at).<br />
FOTOS: ROBERT ILLEMANN; GRAZ TOURISMUS / WERNER KRUG; LENDHOTEL<br />
96 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
Termin<br />
FÜR GLOBETROTTER<br />
New York, New Yooork! Im Sommer lockt der Big Apple mit prächtiger Musik.<br />
Chelsea Music Festival<br />
Carnegie Hall<br />
Lincoln Center<br />
Der New Yorker Stadtteil Chelsea im Südwesten<br />
Manhattans wandelte sich in den letzten Jahren<br />
zum Künstlerviertel mit zahlreichen Galerien<br />
und Museen. Das Chelsea Music Festival widmet<br />
sich anlässlich der 333. Wiederkehr von Johann<br />
Sebastian Bachs Geburtstag der Musik des Thomaskantors.<br />
Im Eröffnungskonzert erklingt Musica<br />
Celestis von Aaron Jay Kernis, dem Composer<br />
in Residence des Festivals. Ensemble in Residence<br />
ist das Saxofonquartett Barkada, das die einzelnen<br />
Programme eröffnet. Den roten Faden bilden 333<br />
Bach-Choräle, die jeden Abend in den Kirchen des<br />
Viertels gesungen werden.<br />
Chelsea Music Festival, 8. bis 16.6.,<br />
www.chelseamusicfestival.org<br />
In der Carnegie Hall steht eines der raren Konzerte<br />
der Pianistin Ingrid Fuzjko Hemming auf dem<br />
Programm. Mit 85 Jahren füllt sie immer noch<br />
die Konzertsäle der Welt. 1932 in Berlin geboren<br />
und in Japan aufgewachsen, begann sie eine vielversprechende<br />
Karriere. Dann schlug das Schicksal<br />
zu. 1971 verlor sie bei einem Konzert in Wien<br />
das Gehör. Erst nach langer Therapie erlangte sie<br />
einen Teil ihres Hörvermögens wieder. Von da an<br />
war ihr Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Ihr Album<br />
„La Campanella“ wurde über zwei Millionen Mal<br />
verkauft, und vier ihrer Alben erhielten die Auszeichnung<br />
„Classical Album of the Year“.<br />
Konzert Ingrid Fuzjko Hemming 5.7.,<br />
www.carnegiehall.org<br />
Noch einen Geburtstag gibt es zu feiern. Das<br />
Mostly Mozart Festival des Lincoln Centers bringt<br />
zu Leonard Bernsteins 100. Geburtstag dessen<br />
Musiktheaterstück Mass zur Aufführung. Louis<br />
Langrée dirigiert das Festivalorchester, den Bassbariton<br />
Davóne Tines und eine riesige Anzahl an<br />
Sängern, Musikern und Tänzern. Das Werk konfrontiert<br />
die christlichen Glaubenssätze mit Alltagserfahrungen.<br />
Bernstein komponierte es 1971<br />
zu Zeiten des Vietnamkriegs als Botschaft des<br />
Friedens und der Liebe.<br />
Mostly Mozart Festival, 12.7. bis 12.8.,<br />
www.lincolncenter.org/mostly-mozart-festival<br />
FOTOS: CHELSEA MUSIC FESTIVAL; CARNEGIE HALL; MATHEW IMAGING<br />
MARTIN WIDL<br />
Universum<br />
der Farben<br />
Zum ersten Mal lädt<br />
crescendo zur Vernissage.<br />
FOTO: MARTIN WIDL<br />
Aus dem Zyklus „Farben der Seele“,<br />
Mischtechnik, 100 x 100 cm<br />
„Kunst scheint mir vor allem ein Seelenzustand<br />
zu sein“, so das Credo von Marc Chagall,<br />
das der Erdinger Maler und Musiker<br />
Martin Widl auch zu dem seinen gemacht<br />
hat. In seinen experimentellen Arbeiten<br />
steht für Widl der Prozess des Entdeckens<br />
und wieder Verwerfens, des Suchens und<br />
Findens im Vordergrund. Dabei entstehen<br />
großflächige Kunstwerke von großer Farbintensität.<br />
Nicht nur gestaltete Widl das<br />
Cover der Premium-CD dieser Ausgabe,<br />
seine Bilder werden ab 19. <strong>Juli</strong> auch in den<br />
crescendo-Verlagsräumen zu erleben sein.<br />
Eine echte Weltpremiere, ist es ist die erste<br />
Ausstellung in unserer Redaktion.<br />
crescendo-Redaktionsräume, Rindermarkt 6, 80331 München,<br />
Donnerstag, 19. <strong>Juli</strong> um 19 Uhr,<br />
Anmeldung bitte unter: https://crescendo.de/vernissage<br />
97
H O P E T R I F F T<br />
Daniel-Hope-Kolumne<br />
MIT MUSIK GEGEN<br />
ANTISEMITISMUS<br />
Musik ist ein hervorragendes Medium der Diplomatie! Daniel Hope im Gespräch mit<br />
Dr. Felix Klein, dem neuen Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung.<br />
Daniel Hope: Felix, nach vielen Jahren im<br />
diplomatischen Dienst kommt als<br />
Antisemitismusbeauftragter nun eine<br />
sehr große Aufgabe auf Dich zu.<br />
Dr. Felix Klein: Ja, ich werde stärker Anwalt<br />
sein müssen, auch Mahner, um antisemitische<br />
Vorfälle anzuklagen. Aber ich bin<br />
auch Beauftragter für jüdisches Leben, das<br />
ist der erste Teil meines Postens. In diesem<br />
Zusammenhang möchte ich sehr gerne<br />
auch die Musik zur Geltung bringen. Ich<br />
möchte der Öffentlichkeit in Deutschland<br />
noch stärker vor Augen führen, wie viele<br />
großartige Komponisten mit jüdischem<br />
Hintergrund es gibt. Da gibt es weit mehr<br />
als den immer zitierten Felix Mendelssohn<br />
Bartholdy, eine Vielzahl von jüdischen<br />
Komponisten mit reichhaltigen Werken, in<br />
denen tatsächlich auch jüdische Musik<br />
aufgegriffen wird. Ich möchte Sympathie<br />
für jüdisches Leben in Deutschland<br />
erzeugen, gerade mit Hilfe der Musik!<br />
Wie siehst Du die Debatte um die<br />
Abschaffung des ECHO nach 26 Jahren<br />
(siehe dazu auch S. xxx)?<br />
Ich finde die Entscheidung gut und<br />
begrüße sie sehr. Der ganze Vorgang zeigt,<br />
dass bestimmte grundlegende Reflexe in<br />
unserer Zeit dann doch ganz gut funktionieren,<br />
dass man mit öffentlichem Druck<br />
etwas verändern kann. Kommerzielle<br />
Gesichtspunkte reichen nicht aus. Es gibt<br />
Grenzen da, wo es Gefühle gibt! Ich<br />
begrüße in dieser Angelegenheit auch sehr<br />
die Rolle der Medien, die den notwendigen<br />
Druck aufgebaut haben. Ich wünsche der<br />
Dr. Felix Klein mit Daniel Hope<br />
Musikindustrie weiter gute Geschäfte, aber<br />
es gibt Grenzen. Diese sind eingefordert<br />
und nun auch umgesetzt worden! Das<br />
macht mir Hoffnung!<br />
Es gibt Musiker, die sind diplomatisch,<br />
vielleicht sogar politisch. Du bist ein<br />
Diplomat, der sehr musikalisch ist. Wie<br />
geht das zusammen?<br />
Eine wichtige Aufgabe des Diplomaten ist<br />
es, Sympathie zu erzeugen – insbesondere<br />
im Ausland. Musik ist dabei ein hervorragendes<br />
Medium. Über sie kann man die<br />
Herzen der Menschen erreichen. Gerade<br />
als deutscher Diplomat hat man mit<br />
deutscher Musik im Ausland viel zu bieten.<br />
Das habe ich auf meinen verschiedenen<br />
Auslandsposten mit Musikprojekten<br />
immer wieder getan und damit auch<br />
Sympathie für Deutschland erwerben<br />
können. Musik und Diplomatie ergänzen<br />
sich auf wunderbare Weise!<br />
Im April kamen rund 2.000 Menschen in<br />
Berlin zusammen, um gegen Antisemitismus<br />
zu protestieren. Wie wichtig sind<br />
solche Kundgebungen in Deutschland?<br />
Sie sind wichtig als Symbol, sie reichen<br />
aber natürlich nicht! Wir dürfen jetzt nicht<br />
zur Tagesordnung übergehen und uns<br />
dann erst nach dem nächsten Vorfall auf<br />
einer solchen Kundgebung wiedertreffen.<br />
Trotzdem vergrößern sie das allgemeine<br />
Bewusstsein der Bevölkerung. Ich habe<br />
mich über das große Medieninteresse an<br />
der Kundgebung sehr gefreut. Es hätten<br />
nach meinem Geschmack aber noch mehr<br />
Leute sein dürfen!<br />
Wie politisch kann ein Künstler sein?<br />
Sehr! Insbesondere wenn in der Außenpolitik<br />
die knallharten Interessen zwischen<br />
Ländern aufeinanderprallen, können<br />
Künstler eine ganz wichtige Brückenfunktion<br />
einnehmen. Ein Beispiel: Wir haben<br />
einige Probleme im Umgang mit Russland.<br />
Trotzdem ist es sehr wichtig, dass Künstler<br />
aus Russland bei uns auftreten. So sehen<br />
die Menschen: Russland ist derzeit<br />
vielleicht politisch ein schwieriges Land,<br />
aber es hat fantastische Künstler. Ich<br />
begrüße auch sehr das politische Engagement<br />
von Daniel Barenboim mit seinem<br />
West-Eastern Divan Orchestra und seiner<br />
Barenboim-Said Akademie. Künstler<br />
können sehr wohl politisch sein, und das<br />
hat eine lange Tradition. Auch Beethoven<br />
war politisch, oder Arnold Schönberg mit<br />
seinem Werk Ein Überlebender aus<br />
Warschau. <br />
n<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
FOTO: DANIEL HOPE, PRIVAT<br />
98 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>