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RAINER HACKEL (Red.): IM IRRLICHT · ARNO BREKER UND SEINE SKULPTUREN · (Büchse der Pandora) · ISBN 978-3-88178-250-0

»Die leiseste Hoffnung – nämlich, irgendetwas im Leben und Schaffen des Steinmetzes, Bildhauers, Skulpteurs, Zeichners, Architekten und auch Bonvivants Arno Breker zu verstehen – gilt jedenfalls nicht ihm, sondern dem nicht beweisbaren, aber zarten Traum, dass die Kunst als solche nicht verraten werden kann.« Eine Ausstellung der Skulpturen von Arno Breker im Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin, die Rudolf Conrades 2006 kuratiert hatte, provozierte Kritik und Publikum. Klaus Staeck, Bazon Brock, Gunter Rambow und andere nahmen den Tabubruch, Breker wieder auszustellen, zum Anlaß für mannigfaltige Protestaktionen. Die politischen Statements verdrängten allerdings gleichzeitig auch eine kunsthistorische wie werkimmanente Auseinandersetzung. Der Beitrag von Conrades liefert dazu – und darüber hinaus – nun kenntnisreich weitere Aspekte. Während Rainer Hackel sich sehr schwärmerisch mit der Arbeit von Breker befasst, gelangt Peter Grosshaus vor dem Hintergrund einiger eher persönlicher Aspekte und eines prägnanten Arbeitserlebnisses an der Publikation zu einer andersartig eigenwilligen Auffassung. Die Fotografin Alla Poppersoni, 23, gebürtig aus Kasan in der russischen Republik Tartastan, kannte die Skulpturen von Arno Breker noch nicht, als wir sie 2012 absichtsvoll mit einem Kontrastprogramm in den Skulpturengarten von Brekers Düsseldorfer Atelier schickten: Unmittelbar zuvor hatte sie für uns noch während der Paralympics in London fotografiert. Die Bilder dokumentieren neben den Motiven auch die Kollision, die so entstand.

»Die leiseste Hoffnung – nämlich, irgendetwas im Leben und Schaffen des Steinmetzes, Bildhauers, Skulpteurs, Zeichners, Architekten und auch Bonvivants Arno Breker zu verstehen – gilt jedenfalls nicht ihm, sondern dem nicht beweisbaren, aber zarten Traum, dass die Kunst als solche nicht verraten werden kann.«

Eine Ausstellung der Skulpturen von Arno Breker im Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin, die Rudolf Conrades 2006 kuratiert hatte, provozierte Kritik und Publikum. Klaus Staeck, Bazon Brock, Gunter Rambow und andere nahmen den Tabubruch, Breker wieder auszustellen, zum Anlaß für mannigfaltige Protestaktionen. Die politischen Statements verdrängten allerdings gleichzeitig auch eine kunsthistorische wie werkimmanente Auseinandersetzung. Der Beitrag von Conrades liefert dazu – und darüber hinaus – nun kenntnisreich weitere Aspekte.

Während Rainer Hackel sich sehr schwärmerisch mit der Arbeit von Breker befasst, gelangt Peter Grosshaus vor dem Hintergrund einiger eher persönlicher Aspekte und eines prägnanten Arbeitserlebnisses an der Publikation zu einer andersartig eigenwilligen Auffassung.

Die Fotografin Alla Poppersoni, 23, gebürtig aus Kasan in der russischen Republik Tartastan, kannte die Skulpturen von Arno Breker noch nicht, als wir sie 2012 absichtsvoll mit einem Kontrastprogramm in den Skulpturengarten von Brekers Düsseldorfer Atelier schickten: Unmittelbar zuvor hatte sie für uns noch während der Paralympics in London fotografiert. Die Bilder dokumentieren neben den Motiven auch die Kollision, die so entstand.

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<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

REDAKTION<br />

<strong>RAINER</strong> <strong>HACKEL</strong><br />

mit Beiträgen von<br />

Rudolf Conrades<br />

Peter Grosshaus<br />

Rainer Hackel<br />

Alla Poppersoni<br />

und historischem<br />

Bildmaterial aus<br />

dem Archiv von<br />

Arno Breker<br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong> <strong>UND</strong><br />

<strong>SEINE</strong> <strong>SKULPTUREN</strong><br />

BÜCHSE DERPANDORA<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong> <strong>UND</strong><br />

<strong>SEINE</strong> <strong>SKULPTUREN</strong><br />

MICHAELA OTT<br />

WALTER SEITTER<br />

BÜCHSE DERPANDORA<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


TITELFOTO<br />

Arno Breker: Salvatore Dalí<br />

by Alla Poppersoni, Gießen<br />

www.facebook.com/allapop<br />

GESTALTUNG & HERSTELLUNG<br />

Peter Grosshaus (dwb), Wetzlar<br />

Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar<br />

© 2013 by <strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong> Verlags-GmbH, Wetzlar<br />

© 3. Auflage, Mai 2020<br />

Weiterführende Informationen<br />

zu unserem Verlagsprogramm und<br />

unseren sonstigen Produktionen<br />

finden Sie im Internet unter:<br />

www.digitalakrobaten.de<br />

Alle unsere Publikationen mit<br />

zusätzlichen Informationen finden<br />

Sie zudem auch auf <strong>der</strong> Website<br />

des Deutschen Buchhandels<br />

unter www.buchhandel.de via<br />

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Verlag › büchse <strong>der</strong> pandora<br />

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.<br />

Die Verwertung <strong>der</strong> Texte und Bil<strong>der</strong> ohne Zustimmung des Verlags<br />

ist urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Nachdruck<br />

und Vervielfältigung je<strong>der</strong> Art, Übersetzung, Bearbeitung, Mikroverfilmung,<br />

Speicherung o<strong>der</strong> Aufbereitung – auch in Auszügen –<br />

sowie für die Verarbeitung mit elektronischen Medien.<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0<br />

BÜCHSE DER PANDORA VERLAGS-GMBH<br />

in <strong>der</strong> Majuskel Medienproduktion GmbH<br />

Postfach 2820 <strong>·</strong> D-35538 Wetzlar<br />

digitalakrobaten@ gmail.com<br />

www.digitalakrobaten.de


<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong> <strong>UND</strong><br />

<strong>SEINE</strong> <strong>SKULPTUREN</strong><br />

mit Beiträgen von<br />

Rudolf Conrades<br />

Peter Grosshaus<br />

Rainer Hackel<br />

Alla Poppersoni<br />

und historischem<br />

Bildmaterial aus<br />

dem Archiv von<br />

Arno Breker<br />

REDAKTION<br />

<strong>RAINER</strong><strong>HACKEL</strong><br />

BÜCHSE DERPANDORA<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


… INHALT …<br />

… BILDBEITRÄGE …<br />

… TEXTBEITRÄGE …<br />

PETER GROSSHAUS<br />

ARBEITSTISCH<br />

PROLOG<br />

6/7<br />

PETER GROSSHAUS<br />

PUBLISHER’S SUPPLEMENT<br />

<strong>IM</strong> LICHT VERSTECKEN<br />

9<br />

PETER GROSSHAUS<br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

STUDIEN<br />

13/24<br />

<strong>RAINER</strong> <strong>HACKEL</strong><br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

ANNÄHERUNGEN<br />

25<br />

ALLA POPPERSONI<br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

APPROACHING GARDEN<br />

85/92<br />

RUDOLF CONRADES<br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

DIE DEUTSCHE KUNSTMORAL<br />

93<br />

PETER GROSSHAUS<br />

»MUSEUMSPÄDAGOGIK«<br />

143/148<br />

PETER GROSSHAUS<br />

<strong>IM</strong> »<strong>BREKER</strong> LABOR«<br />

149<br />

PETER GROSSHAUS<br />

PUBLISHER’S SUPPLEMENT<br />

MAKING OF »PANDORA«<br />

150<br />

ARCHIV <strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

BILDTAFELN <strong>IM</strong> TEXT<br />

DIE AUTOREN<br />

153<br />

5<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


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7<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


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PETER GROSSHAUS<br />

PUBLISHER’S SUPPLEMENT<br />

<strong>IM</strong> LICHT VERSTECKEN<br />

Der Maler und Grafiker Wilhelm Großhaus, 1900 geboren,<br />

studierte am Frankfurter Städel in <strong>der</strong> Klasse von<br />

Prof. Bonaventura Malerei. Ermöglicht hatte ihm das<br />

die Dorfgemeinschaft in seinem Geburtsort Lützelinden,<br />

einem kleinen Ort am Rande <strong>der</strong> Wetterau, die dafür<br />

das Geld gesammelt hatte. Sein Schulfeund Heinrich<br />

Schwab, <strong>der</strong> später die ersten Südfrüchte nach Hessen<br />

importieren sollte, hatte das veranlasst, nachdem <strong>der</strong><br />

junge Wilhelm für eine Dorfkirmes das Karussell so hinreißend<br />

bemalt hatte, dass man dem talentierten, aber<br />

sonst mittellosen Jungen helfen wollte, in die Welt hinaus<br />

zu gehen und ein anständiger Maler zu werden.<br />

In Frankfurt lernte Wilhelm die griechischstämmige<br />

Lilo Rausch kennen, die am Römer im Patrizierhaus ihrer<br />

Familie wohnte und in erster Ehe mit Rudolf Gudden<br />

verheiratet gewesen war, dem Sohn des Leibarztes von<br />

Ludwig II. Rudolf Gudden war wie Lilo Maler – und ein<br />

Nazi <strong>der</strong> ersten Stunde. Lange hing später noch bei uns<br />

im Treppenhaus ein überlebensgroßes Portrait von Lilo,<br />

die im Fenster des Patrizierhauses sitzt, während unten<br />

auf dem Römer ein erster, kleiner Naziaufmarsch zu sehen<br />

ist. Lilo war wun<strong>der</strong>schön und von ihrem Stande her<br />

für Wilhelm eine Mesalliance. Sie arbeitete als wissenschaftliche<br />

Zeichnerin in Mainz, portraitierte auftragsweise<br />

katholisch-orthodoxe Würdenträger und malte,<br />

wenn sie frei arbeitete, großartige und verwegene Bil<strong>der</strong>,<br />

von denen ein paar ganz wenige den folgenden Krieg<br />

überstanden haben und erhalten geblieben sind.<br />

Lilo Rausch und Wilhelm Großhaus heirateten gegen<br />

den Wi<strong>der</strong>stand ihrer Familie, zogen in das Dörfchen am<br />

Rande <strong>der</strong> Wetterau und mieteten sich ein Atelier in<br />

Gießen, das während <strong>der</strong> Bombennächte zerstört wurde.<br />

Beide überlebten den Krieg. Lilo aber wurden die Folgen<br />

kurz nach Kriegsende zum Verhängnis, als sie bei einer<br />

Blinddarmoperation eine falsche Bluttransfusion erhielt.<br />

Diese biographische Symmetrie zu Arno Breker ist<br />

einer <strong>der</strong> Keime, die mich unserem ehemaligen Verlagslektor<br />

Rainer Hackel nach Düsseldorf zu Carola Breker<br />

und in das alte Atelier ihres Vaters folgen ließ.<br />

Zu Arno Breker hatte ich keine an<strong>der</strong>e Meinung als<br />

die, dass man von jeglicher Beschäftigung mit ihm am<br />

Besten die Finger lässt. Es war allerdings immer eine<br />

gewisse Neugierde geblieben, eines Tages bei ihm nach<br />

dem Bösen in <strong>der</strong> Kunst schauen zu wollen. Ist das offensichtlich?<br />

Kann man das leicht erkennen? Die gültigen<br />

Einschätzungen und Meinungen waren einerseits von<br />

hoher Expertise, an<strong>der</strong>erseits war ich aber noch nie<br />

leichterdings bereit, Vorgegebenes zu übernehmen. Ein<br />

gewisses Interesse, selbst hinter das Obskure zu kommen,<br />

war wach geblieben.<br />

Carola Breker ist Kunsthistorikerin – und die Mutter<br />

eines neugierigen und klugen Jungen. Sie muss sich damit<br />

herumschlagen, ihres Vaters und seines Großvaters wegen<br />

keinen Frieden zu finden. Das hat sie gezeichnet. Und<br />

es prägt ihre Kommunikationsbereitschaft. Sie empfindet<br />

die Art, wie mit ihr allenthalben umgegangen wird, ungerecht<br />

und falsch. Sie wird nicht als das genommen, was<br />

sie ist – und ihr Sohn ebensowenig. Sie ist in Düsseldorf<br />

die Tochter von Breker, und er dessen Enkel. Auch wenn<br />

das die Sinne schärfen mag, ist das so nicht in Ordnung.<br />

9<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


Als ich in Düsseldorf ankam, fiel Regen. Ich hatte die<br />

Idee mitgebracht, vorsorglich die im Garten stehenden<br />

Plastiken zu fotografieren. Falls ich mich letzten Endes<br />

doch dem Buch von unserem irgendwie auch immer<br />

wun<strong>der</strong>lichen Rainer Hackel nähern sollte, wäre es vielleicht<br />

günstig, ein paar Studien fixiert zu haben, hatte ich<br />

gedacht. Und überhaupt – wer weiß, wie lange die Skulpturen<br />

noch irgendwo zu sehen sein werden…<br />

Trottoir und Wege waren glitschig. Das Licht war<br />

grau. Und es war überhaupt wi<strong>der</strong>lich feucht-kalt allenthalben.<br />

So würde das mit den Fotos wohl nichts werden,<br />

dachte ich bei mir. Der Ölfilm auf den Wegen<br />

sei Kerosin, das brächte <strong>der</strong> nahegelegene Flughafen mit<br />

sich, erklärte Carola.<br />

Dieser Ölfilm benetzt auch die Bronzeskulpturen, die<br />

im Garten des Areals reihum stehen. Aus dem Augenwinkel<br />

sah ich auf dem Weg ins Haus, dass <strong>der</strong> Regen <strong>der</strong><br />

Patina eine kräftige Tiefe verleiht und damit die Dynamik<br />

<strong>der</strong> Figuren optisch erhöht. Henri, <strong>der</strong> Enkel, war neugierig<br />

auf den Fotografen und die Kamera, und das gefiel<br />

mir. Nachdem ich mich aufgewärmt hatte und meine Finger<br />

wie<strong>der</strong> spürte, fragte ich ihn also, ob er mir vielleicht<br />

seinen Lieblingsweg durch den Garten mit den Skulpturen<br />

seines Großvaters zeigen könnte. Die Bil<strong>der</strong>, die dabei<br />

entstanden, wurden später ein weiterer Keim zu dieser<br />

Veröffentlichung.<br />

Die in den folgenden Wochen und Monaten beiläufig<br />

fallenden Bemerkungen zu meiner Erzählung von dieser<br />

kleinen Düsseldorfer Begegnung beför<strong>der</strong>ten teils meinen<br />

Unmut, teils meinen Trotz, teils mein Interesse an Arno<br />

Breker weiter. Der Wi<strong>der</strong>spruch war stets ebenso verblüffend<br />

trotzig wie in den Einzelheiten beliebig. Mehr aber<br />

noch war immer wie<strong>der</strong> auch das Gegenteil <strong>der</strong> Fall: Fast<br />

verstohlene Zustimmung, dass man sich um Breker einmal<br />

»kümmern« müsse. Dabei ging es nie spürbar um<br />

Satisfaktion o<strong>der</strong> Gerechtigkeit: Das Unwohlsein, das den<br />

Zuspruch ausmachte, kam immer auch aus <strong>der</strong> gleichen<br />

Richtung, einem Unmut damit, sich einem übermäßig<br />

intensiv ausgebreiteten Meinungsbild ausgeliefert zu sehen.<br />

Apodiktischen Urteilen, die das eigene Erkenntnisvermögen<br />

umnebeln.<br />

Merkwürdig ist insbeson<strong>der</strong>e im Hinblick auf das<br />

Ensemble <strong>der</strong> Portraits, die Breker durch alle Epochen geschaffen<br />

hat, und auf <strong>der</strong>en Qualität sich Rainer Hackel<br />

im Wesentlichen beziehen will, wie anscheinend unvereinbar<br />

die Protagonisten sind. Es wimmelt von einschlägigen<br />

Alpha-Tierchen aus allen Epochen. Die weltlichen<br />

Darsteller unter ihnen sind zu einem guten Teil geschichtlich<br />

verbürgte Schwerstverbrecher. Adolf Hitler ist<br />

da tendenziell nur einer unter vielen.<br />

Die Ausstellung, die 1942 in Paris gegeben wurde und<br />

zu <strong>der</strong> ein zu Kriegszeiten sündhaft perfekt produzierter<br />

Katalog im fraternisierten Verlag Flammarion erschien,<br />

ist mit den Büsten von Hamann, Speer und Goebbels damit<br />

auch ein kleines Verbrecheralbum seiner Zeit.<br />

An<strong>der</strong>e Arbeiten aus Paris aber haben die bis heute<br />

bestehende Bewun<strong>der</strong>ung und Verehrung <strong>der</strong> Franzosen<br />

für Breker mit begründet, die zu <strong>der</strong> Rätselhaftigkeit<br />

seiner Gestalt mehr Anlass gibt, als alle vermeintlich eindeutigen<br />

Indizien dafür, dass er <strong>der</strong> personifizierte Anti-<br />

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Christ, <strong>der</strong> archetypische Verräter <strong>der</strong> Kunst an den Abgrund,<br />

die Korrumpiertheit in Person gewesen sei. Das<br />

kann man angesichts <strong>der</strong> Portraits von Maillol, Marais,<br />

Cocteau, Giacometti, Ezra Pound, Dalí, Fuchs nicht so<br />

einfach schlucken. Einige davon sind – großartig. Einige<br />

seiner Büsten, wie die von Wagner, Liszt o<strong>der</strong> Beethoven,<br />

haben sich in unser kollektives Bewusstsein archetypisch<br />

eingebrannt.<br />

Was also ist da los?<br />

*<br />

»Mehr als bei jedem an<strong>der</strong>en Künstler spielen bei <strong>der</strong> Beurteilung<br />

Brekers Sehgewohnheiten eine große, vor allem<br />

aber eine verhängnisvolle Rolle«, schreibt Rainer Hackel<br />

in diesem Buch:<br />

Wenige Tage, bevor ich diese Zeilen schrieb, arbeitete ich<br />

mit den alten Fotos von Charlotte Rohrbach und einem<br />

großen Konvolut weiterer Bil<strong>der</strong>, die Carola Breker uns<br />

überlassen hatte. Am frühen Morgen gegen 4:30 Uhr<br />

fiel mein Blick – übersensibilisiert, wie das nur nach<br />

stundenlanger Nachtarbeit und in aller Frühe geschehen<br />

kann – auf ein paar noch willkürlich auf dem Arbeitstisch<br />

liegende Bil<strong>der</strong>. Darunter – witzigerweise – ein<br />

Plakat mit den in Fraktur abgesetzten Anfangszeilen aus<br />

den Tagebüchern von Cosima Wagner, das Bazon Brock<br />

einmal zusammengestellt hatte und das wir für ihn in<br />

seiner TUMULT-Ausgabe »Kein Halten mehr?« verwertet<br />

hatten.<br />

Darauf also lagen zufällig verstreut: Einer von Brekers<br />

typischen »Athleten«, fünf farbige Fotografien zweier<br />

blattvergoldeter Bronze-Skulpturen aus <strong>der</strong> Gruppe für<br />

Hitlers »Reichskanzlei«, eine Fotografie des Heinrich-<br />

Heine-Denkmals, ein Bild des Reliefs mit den grimassierenden<br />

»Kameraden« – und zwei Fotografien aus unterschiedlichen<br />

Jahren, die Arno Breker im Atelier zeigen.<br />

Darunter eine Fotografie von Robert Doissneau, die<br />

Breker mit einem überlebensgroßen »Romanichel« zeigt.<br />

Zuvor hatte ich Dutzende nach Gruppen sortierter<br />

Skulpturen mit übertrieben athletischen Körpern, unterschiedlich<br />

glatte bis polierte Oberflächen aus den verschiedensten<br />

Materialien, theatralische Posen <strong>der</strong> Figuren<br />

und übersteigerte Mimik in den Gesichtszügen, aber<br />

auch im Detail kunstvoll stilisierte Elemente, insbeson<strong>der</strong>s<br />

jugendstilartige Formgebungen bei Haaren, Füßen<br />

und Händen gesehen.<br />

Dann durchfuhr es mich: Heimito von Do<strong>der</strong>er! –<br />

Das ist doch alles – ganz und gar schwule Formensprache…<br />

!<br />

Ich schaute mir noch einmal das Denkmal von Heinrich<br />

Heine an: Schwul! Ich dachte an die zurückliegenden<br />

Bil<strong>der</strong>: Schwul …<br />

Nun hatte ich ja schon vor Jahren angesichts <strong>der</strong> dokumentarischen<br />

Super-8-Szenen in Syberbergs Hitler-<br />

Film vom Obersalzberg – jenen mit dem Deutschen<br />

Schäferhund – schalkhaft gedacht »Ob <strong>der</strong> ›Gröfaz‹ vielleicht<br />

Sodomist war?«<br />

Bei den Bil<strong>der</strong>n von Arno Breker aber verdichtete sich<br />

<strong>der</strong> Gedanke jetzt rasch über den Schalk hinaus: »Kann es<br />

11<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


sein, dass das noch niemals jemand in Erwägung gezogen<br />

hat?«, fragte ich mich.<br />

Auf den ersten, zweiten, dritten Blick ist das natürlich<br />

alles Unfug … Breker war angeblich so hinter den Weibern<br />

her, dass seine Gattin dazu nur die Hände überm<br />

Kopf zusammenschlagen konnte. Er hat bald nach dem<br />

Tod seiner ersten griechischen Frau wie<strong>der</strong> geheiratet,<br />

einen Sohn und eine Tochter gezeugt …<br />

Aber da ist sehr früh auch »Romanichel«, da ist die<br />

– auch politisch irrlichternde – innige Verbindung mit<br />

Cocteau, <strong>der</strong> ihn in die Resistance einführen wollte, die<br />

Freundschaften mit Marais, Peyrefitte et al. – Und auch<br />

das persönliche Drama des obersten amerikanischen<br />

Kommunistenjägers McCarthy fällt mir ein …<br />

Die Gen<strong>der</strong>-Diskussion, die heute geführt wird, hat<br />

es vor zehn Jahren noch nicht gegeben. Wenn an <strong>der</strong><br />

morgendlichen Eingebung also etwas »dran« sein sollte,<br />

so beschloss ich, werde ich das am ehesten erfahren, wenn<br />

ich alle Skulpturen, die ich bis bisher gesehen habe, noch<br />

einmal Revue passieren lasse… Und mir dabei vorstelle,<br />

dass <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> sie geformt hat, nicht primär heterosexuell,<br />

son<strong>der</strong>n ein sich selbst darin verraten<strong>der</strong> »entarteter«<br />

Zugeneigter des eigenen Geschlechts war, voller<br />

wohlgehüteter Panik, sein Alter Ego könne aus ihm herausbrechen,<br />

er könne darin entlarvt werden… Und <strong>der</strong><br />

entwickelt so nun eine Überlebensstrategie, sich unter<br />

den Augen <strong>der</strong> theoretischen Häscher – quasi »mitten<br />

im Licht« – elegant zu verstecken, dass er sogar <strong>der</strong>en<br />

Zuneigung zu gewinnen und zu erhalten vermag – und<br />

ihrer Pfründe teilhaftig wird.<br />

Auch die drei Stunden, in denen er Adolf Hitler eloquent<br />

das erbeutete Paris zeigt, stehen dann in keinem<br />

Wi<strong>der</strong>spruch mehr zu den Bildnissen von Cocteau bis<br />

Ezra Pound. Auch nicht seine lebenslang unterhaltene<br />

enge Freundschaft zu Albert Speer, <strong>der</strong> zweifellos auch<br />

unter seinen Augen die jüdischen Quartiere in Berlin<br />

für den Bau <strong>der</strong> neuen Reichshauptstadt »Germania«<br />

räumen ließ – und damit an den Deportationen in die<br />

Vernichtungslager direkt beteiligt war.<br />

An dieser »Freundschaft« selbst und ihrer Wertigkeit<br />

für das geschichtliche Urteil än<strong>der</strong>t das nichts. Aber es<br />

würde den Blick auf den Verrat, den Verrat an <strong>der</strong> Kunst<br />

verän<strong>der</strong>n …<br />

Die leiseste Hoffnung nämlich, irgend etwas im Leben<br />

und Schaffen des Steinmetzes, Bildhauers, Skulpteurs,<br />

Zeichners, Architekten und auch Bonvivants Arno Breker<br />

zu verstehen, gilt jedenfalls nicht ihm, son<strong>der</strong>n dem nicht<br />

beweisbaren, aber zarten Traum, dass die Kunst als solche<br />

nicht verraten werden kann.<br />

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PETER GROSSHAUS<br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

STUDIEN<br />

MÄDCHEN MIT TUCH<br />

13<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


JÜRGEN HINGSEN<br />

14<br />

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EROS, ANMUT, WÄGER<br />

15<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

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<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


PSYCHE, EOS<br />

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PSYCHE<br />

17<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


DETAIL WAGER<br />

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DETAIL PROMETHEUS<br />

19<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


MATTHÄUS<br />

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VERW<strong>UND</strong>ETER<br />

21<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


TORSO MATTHÄUS<br />

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DETAIL KAMERADEN<br />

23<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

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ROMANICHEL<br />

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<strong>RAINER</strong> <strong>HACKEL</strong><br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

ANNÄHERUNGEN<br />

Ich vermag mich nicht mehr zu entsinnen, was mich im Herbst 1986 dazu bewogen<br />

hatte, einen Bildband von Arno Breker (1900–1991) zu erwerben. Obwohl den<br />

Dreiundzwanzigjährigen <strong>der</strong> großformatige luxuriöse Hartmann-Band nicht unbeeindruckt<br />

ließ, stand sein Urteil rasch fest: Breker hatte, so schien es mir, seine Begabung<br />

im Dritten Reich verraten – das zeigten die Fotos überdeutlich. Lange Jahre<br />

sah ich keinen Grund, mein Urteil zu revidieren, bis ein Freund mir eines Tages vorschlug,<br />

uns einmal gemeinsam den imposanten Bildband anzuschauen. Im Unterschied<br />

zu mir verfügte <strong>der</strong> Kunstlehrer und Maler nicht nur über einen geschulten<br />

Blick, son<strong>der</strong>n auch über fundierte kunstgeschichtliche Kenntnisse. Wolfgang war,<br />

das stellte sich bald heraus, kein naiver Bewun<strong>der</strong>er Brekers, son<strong>der</strong>n musterte jedes<br />

Werk mit kritischem Blick. Mich beeindruckten die souveränen Urteile meines<br />

Freundes – und ich begann, beim Blättern in Brekers Bildband, die Plastiken und<br />

Portraits des verfemten und tabuisierten Bildhauers mit an<strong>der</strong>en Augen, vielleicht sogar<br />

zum ersten Mal zu sehen. Und obwohl mich auch jetzt noch Brekers heroische<br />

Reliefs und Figuren, aber auch viele Arbeiten des Spätwerks nicht zu überzeugen vermochten,<br />

schienen mir die vernichtenden Urteile über den Bildhauer, auf die man<br />

allenthalben stieß, nicht gerechtfertigt.<br />

Mehr als bei jedem an<strong>der</strong>en Künstler spielen bei <strong>der</strong> Beurteilung Brekers Sehgewohnheiten<br />

eine große, vor allem aber eine verhängnisvolle Rolle. Unzählige Dokumentarfilme<br />

über Hitler und das Dritte Reich hämmern die immer selben Wochenschauaufnahmen<br />

ins kollektive Gedächtnis: Breker an <strong>der</strong> Seite Hitlers vor <strong>der</strong> Kulisse<br />

des Eiffelturms. Hitler bei <strong>der</strong> Eröffnung einer Ausstellung im Münchner Haus <strong>der</strong><br />

deutschen Kunst, in <strong>der</strong> auch Werke von Breker zu sehen sind. Breker bei <strong>der</strong> besessenen<br />

Arbeit an Monumentalplastiken in einem seiner Ateliers. Und schließlich: Brekers<br />

Bereitschaft als Ikone faschistischer Kunst. Kein Wun<strong>der</strong>, dass Brekers Name bei den<br />

meisten, auch gebildeten Zeitgenossen eindeutige Assoziationen weckt: an »Nazi-<br />

Kunst« und »Nazi-Kitsch«. Dabei gerät freilich aus dem Blick, dass Breker, <strong>der</strong> seine<br />

Lehrjahre (1927–1934) in Paris verbrachte, seine entscheidenden künstlerischen Prägungen<br />

Rodin und Maillol verdankte und von neoklassizistischen französischen Bildhauern<br />

wie Belmondo, Despiau und Bourdelle beeinflusst wurde, mit denen er be-<br />

25<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


freundet war. – Wenn es um Breker geht, weiß man also Bescheid und glaubt sich <strong>der</strong><br />

Mühe enthoben, genauer hinzuschauen und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Darauf<br />

aber, das wurde mir beim Betrachten <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong> immer klarer, kommt alles an: auf die<br />

unbefangene ästhetische Erfahrung des Schauens, bei <strong>der</strong> <strong>der</strong> Blick die Linien und<br />

Flächen <strong>der</strong> Figuren und Portraits gleichsam abtastet und dabei ihrer Schönheit inne<br />

wird. Wie viele unscheinbare, zarte und anrührende Details habe ich auf diese Weise<br />

entdeckt: die wohlgeformten, von anmutigem Leben beseelten Hände <strong>der</strong> Sinnenden,<br />

die männlich-herben Gesichtszüge des Verlegers Gottfried Bermann-Fischer, die elegante<br />

Frisur Cosima Wagners – und, immer wie<strong>der</strong>, die sprechenden Hände, sei es des<br />

Herolds, des Wägers o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Eos. Breker ist aber nicht nur ein Bildhauer des Details,<br />

auch die Aura und die Gebärde seiner Figuren ziehen den Betrachter in Bann. So etwa<br />

die tänzerische Anmut des Wagers, die sportliche Bescheidenheit des Zehnkämpfers und<br />

die sinnliche Leidenschaftlichkeit des Mädchens mit Tuch. Zeichnen sich Brekers frühe,<br />

in den zwanziger Jahren entstandene Figuren durch eine ausdrucksbetonte Gebärde aus<br />

– ich denke zum Beispiel an den Matthäus und die Flehende –, so umgibt seine Plastiken<br />

aus den dreißiger und vierziger Jahren eine zuweilen fast abweisende Aura; insbeson<strong>der</strong>e<br />

gilt dies für die weiblichen Figuren wie die Psyche, die Anmut und die Schreitende.<br />

Demgegenüber könnte man bei Brekers späten Mädchen-Figuren – zum Beispiel<br />

bei <strong>der</strong> Grazie und bei dem Mädchen mit Tuch – von einem sinnlich-erotischen Realismus<br />

sprechen, <strong>der</strong> den Betrachter unmittelbar anspricht.<br />

Die Wahrnehmung von Brekers Werk in <strong>der</strong> Öffentlichkeit beschränkt sich auf<br />

einige wenige im Dritten Reich entstandene Plastiken. Dass das in einem neunzigjährigen<br />

Künstlerleben entstandene Werk eine unüberschaubare Vielfalt und einen<br />

unerschöpflichen Variationsreichtum aufweist, wird gerne übersehen. So finden sich<br />

neben den lebens- und überlebensgroßen Figuren und Reliefs eine Vielzahl an Kleinplastiken,<br />

weit über dreihun<strong>der</strong>t Portraits und ein völlig eigenständiges umfangreiches<br />

graphisches Werk, das aus Zeichnungen, Lithographien und Radierungen besteht.<br />

Ein Beispiel. Als Arno Breker siebzehn Jahre alt war, schuf er die Zeichnung Hände<br />

mit Buch. Breker besuchte damals Zeichenkurse <strong>der</strong> Wuppertaler Kunstgewerbeschule,<br />

die einen guten Ruf hatte. Betrachten wir die Zeichnung etwas genauer. Offenbar<br />

gehören die Hände, die auf den Seiten eines aufgeschlagenen Buches ruhen, einem<br />

Greis. Wir sehen we<strong>der</strong> den Körper noch das Gesicht des alten Mannes, doch sieht<br />

man seinen ausgemergelten Händen an, dass er Zeit seines Lebens körperlicher Arbeit<br />

nachgegangen ist. Es sind nicht die Hände eines Menschen, <strong>der</strong> sich in Muße geistiger<br />

Arbeit gewidmet hat. Deshalb wird es sich auch nicht um ein beliebiges Buch handeln,<br />

son<strong>der</strong>n um die Heilige Schrift, das Wort Gottes. Der Umstand, dass die Hände die<br />

Seiten <strong>der</strong> Bibel bedecken, lässt vermuten, dass <strong>der</strong> Greis im Lesen innegehalten, sich<br />

zurückgelehnt und die Augen entwe<strong>der</strong> geschlossen hat o<strong>der</strong> versonnen vor sich hin<br />

blickt. Er sinnt dem nach, was er gerade gelesen hat, o<strong>der</strong> den Gedanken, die das<br />

Gelesene bei ihm geweckt hat. Mit ihrem ganzen Gewicht ruhen die Hände auf <strong>der</strong><br />

Heiligen Schrift und scheinen den Inhalt festhalten zu wollen, <strong>der</strong> für den alten Mann<br />

von großer Bedeutung ist. Das Gelesene hat offenbar eine Saite in ihm angeschlagen,<br />

die seine schicksalhafte Lebensmelodie zum Erklingen bringt. Vielleicht zieht in diesem<br />

Augenblick sein vergangenes Leben vor seinem inneren Auge vorüber, und er sinnt <strong>der</strong><br />

26<br />

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einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Lebensentscheidung nach, bereut sie womöglich auch. Wenn ihn<br />

das Gelesene dazu bewegt, über sein Leben nachzudenken, dann steht nichts Geringeres<br />

als <strong>der</strong> Sinn seines Lebens auf dem Spiel, denn <strong>der</strong> Greis zieht angesichts des nahen<br />

Todes das Resümee seines Lebens. Erstaunlich an <strong>der</strong> Zeichnung ist nicht nur das<br />

große Einfühlungsvermögen des jungen angehenden Bildhauers, son<strong>der</strong>n vor allem<br />

auch <strong>der</strong> künstlerische Gedanke und dessen Ausführung: dass sich in einem Detail,<br />

den Händen, <strong>der</strong> Augenblick im Leben eines sterbenden Mannes wi<strong>der</strong>spiegelt, in<br />

dem er mit seinem Leben ins Reine kommen will.<br />

Nicht min<strong>der</strong> erstaunlich ist Brekers ein Jahr später, 1918, entstandenes Selbstportrait.<br />

Aus weit aufgerissenen Augen blickt <strong>der</strong> Achtzehnjährige den Betrachter an,<br />

<strong>der</strong> vor einem Rätsel steht: Was mag verantwortlich sein für den tiefen, das Entsetzen<br />

streifenden Lebensernst, <strong>der</strong> aus dem Blick des jungen Künstlers spricht? Spiegelt die<br />

Zeichnung das Erschrecken über die seelische und körperliche Zerrüttung des aus dem<br />

Krieg heimgekehrten Vaters wi<strong>der</strong>? Und geht auch die aus dem frühen Selbstportrait<br />

sprechende Hoffnungslosigkeit auf den Krieg zurück? Doch sind Entsetzen und Hoffnungslosigkeit<br />

nicht das letzte Wort des jungen Mannes. Die feinen, vornehmen Gesichtszüge<br />

und die künstlerische Vollendung <strong>der</strong> Zeichnung konterkarieren den pessimistischen<br />

Blick in eine ungewisse Zukunft. Es ist das Wissen um die eigene künstlerische<br />

Berufung, die Arno Breker eine Zuversicht schenkt, die stärker ist als je<strong>der</strong> Pessimismus.<br />

Obwohl Breker unzählige plastische Portraits geschaffen hat, gibt es von ihm nur<br />

einige wenige Portrait-Zeichnungen. So gelungen und charakteristisch Brekers Zeichnungen<br />

von de Gaulle, Gerhart Hauptmann, Adenauer und Cocteau auch sein<br />

mögen, am tiefsten berührt mich doch das Portrait <strong>der</strong> Schönen Fatima, das 1927<br />

während eines Aufenthaltes in Tunesien entstand. Neben <strong>der</strong> Fatima schuf Breker<br />

neun weitere Radierungen in Tunesien: Mit sparsamen Strichen hielt <strong>der</strong> Künstler<br />

seine Reiseeindrücke fest. Ob er das bunte Treiben auf dem Bazar <strong>der</strong> Frauen, die<br />

Silhouette einer Stadt, den Garten Allahs, Straßenszenen o<strong>der</strong> betende Moslems vor<br />

einer Moschee zeichnet – immer spricht aus den Blättern Brekers Fähigkeit, sich dem<br />

nordafrikanischen Leben zu öffnen und dem Betrachter einen Eindruck frem<strong>der</strong><br />

Schönheit zu vermitteln. Vor allem gilt das für das Portrait <strong>der</strong> Fatima. Turban und<br />

Tuch, mit denen sich die Araberin vor dem von Winden aufgewirbeltem Wüstensand,<br />

aber auch vor den begehrlichen Blicken <strong>der</strong> Männer schützt, werden nur in<br />

Umrissen angedeutet, so dass <strong>der</strong> Blick des Betrachters auf die feinen Gesichtszüge<br />

des Mädchens gelenkt wird. Bedingt durch den Lichteinfall von links oben liegt die<br />

rechte Gesichtshälfte im Schatten, durch den die Gesichtszüge in ihrer Zartheit betont<br />

werden. Der Blick <strong>der</strong> jungen Tunesierin ist nicht auf den Betrachter gerichtet,<br />

son<strong>der</strong>n auf ein unbestimmtes Ziel in <strong>der</strong> Ferne, das ihre Augen aber nicht suchen.<br />

Erst durch die vom Islam gefor<strong>der</strong>te Verhüllung tritt das Gesicht in seiner Schönheit<br />

hervor. Und <strong>der</strong> Betrachter beginnt zu ahnen, dass die schamhafte Verhüllung keine<br />

lebensfeindliche Verneinung sinnlicher Schönheit bedeutet, son<strong>der</strong>n sie vielmehr erst<br />

ermöglicht. Allein durch ästhetische Intuition ist es Breker in <strong>der</strong> Radierung gelungen,<br />

eine Eigentümlichkeit islamischer Kulturen zu veranschaulichen.<br />

Da Brekers graphisches Werk überwiegend aus Akt-Zeichnungen besteht, bilden<br />

die beiden großformatigen Lithographien des tatarischen Balletttänzers Rudolf Nure-<br />

27<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


jew eine Ausnahme: In den 1975 bei Mourlot (Paris) gedruckten Schwarz-Weiß-Lithographien<br />

hat Breker Nurejew in zwei Tanzsequenzen eingefangen. Nurejew, <strong>der</strong><br />

gesagt haben soll, er könne sich an den schönen Plastiken Arno Brekers nicht satt sehen,<br />

lernte den Bildhauer 1962 in Paris kennen. Auf schwarz schraffiertem Hintergrund<br />

hebt sich Nurejews zugleich ekstatische und traumhafte Gebärde ab. Der Tänzer<br />

scheint sich selbst verloren zu haben – und ist doch – in <strong>der</strong> Welt des Traums –<br />

ganz bei sich selbst. Vermittelt Breker in <strong>der</strong> ersten Lithographie durch eine diagonale<br />

Schraffur den Eindruck gesteigerter Bewegung, so scheint Nurejew in <strong>der</strong> zweiten Lithographie<br />

– bedingt durch den ruhigen Hintergrund – in traumhafter Entrücktheit<br />

zu verharren.<br />

Nicht nur das plastische Werk Brekers, auch seine Zeichnungen, Lithographien und<br />

Radierungen sind fast ausschließlich dem menschlichen Körper gewidmet, den zu<br />

zeichnen und nachzubilden <strong>der</strong> Bildhauer nie müde wurde. In Brekers graphischem<br />

Werk begegnen uns nicht allein die unterschiedlichsten Gebärden und Stellungen des<br />

menschlichen Körpers, son<strong>der</strong>n auch eine große Variationsbreite <strong>der</strong> künstlerischen<br />

Gestaltung: Keine Zeichnung, keine Lithographie gleicht <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en, und selbst die<br />

zeitliche Zuordnung <strong>der</strong> Blätter fällt oft schwer – schwerer jedenfalls als die <strong>der</strong> Plastiken.<br />

Immer wie<strong>der</strong> verwendet Breker ein an<strong>der</strong>es Papier, probiert eine an<strong>der</strong>e Technik,<br />

einen an<strong>der</strong>en Strich aus und experimentiert mit Farben, die den eigentümlichen<br />

Ausdruck <strong>der</strong> Gebärde unterstreichen sollen. Brekers Freude am Experimentieren<br />

zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass er Zeichnungen wegen fehlerhafter Details<br />

nicht verwirft, wenn ihm <strong>der</strong> Akt als Ganzes gelungen erscheint. Man tut sich<br />

schwer, Brekers Akte als Körperstudien o<strong>der</strong> gar als anatomische Studien zu bezeichnen.<br />

Eher schon handelt es sich um Körper-Portraits, die einen Augenblick einfangen,<br />

in dem <strong>der</strong> Dargestellte sich selbst sehr nahe ist. Obwohl Breker in fast allen<br />

Zeichnungen die Gesichtszüge nur vage andeutet, besitzen die Akte ein persönliche<br />

Ausstrahlung. Alles rein Individuelle aber spart Breker zugunsten einer ästhetischen<br />

Überhöhung aus. Das Schöne jedoch ist den Figuren nie äußerlich: Es bildet die<br />

Aura ihres Lebenstraums, dessen Geheimnis Breker nachspürt, ohne es je voyeuristisch<br />

preiszugeben.<br />

Beim Betrachten von Brekers plastischem Werk sind mir immer wie<strong>der</strong> die Unterschiede<br />

in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Oberfläche und <strong>der</strong> Patina, <strong>der</strong> Variationsreichtum<br />

<strong>der</strong> Gebärden und die Souveränität in <strong>der</strong> Darstellung anatomischer Details aufgefallen.<br />

Bezeichnend für Breker sind aber auch die großen und beinahe unversöhnlichen<br />

Gegensätze <strong>der</strong> Motive, wie man sie bei kaum einem an<strong>der</strong>en Bildhauer findet. Man<br />

betrachte zum Beispiel den 1982 entstandenen Alexan<strong>der</strong> und vergleiche ihn mit dem<br />

Stürzenden aus dem Jahre 1969: einer souveränen weltbeherrschenden Gebärde steht<br />

<strong>der</strong> existentialistische Sturz ins Bodenlose gegenüber. Es war Roger Peyrefittes Ende<br />

<strong>der</strong> siebziger Jahre erschienene Roman-Trilogie über Alexan<strong>der</strong> den Großen, die Breker<br />

zum Alexan<strong>der</strong>-Denkmal anregte. Breker war mit Peyrefitte befreundet, schuf ein<br />

Portrait des französischen Schriftstellers (1964) und besuchte 1981 mit ihm zusammen<br />

das Pergamon-Museum in Berlin. An Peyrefittes Bild des jungen Alexan<strong>der</strong><br />

28<br />

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musste Breker Gefallen finden, betont <strong>der</strong> Autor doch den wohlgeratenen athletischen<br />

Körper des griechischen Herrschers und seine Vorliebe für Dichtung und Bildhauerei.<br />

So freuen sich Alexan<strong>der</strong> und sein Freund Hephaistion, »dass sie so kräftig<br />

gebaut waren wie Athleten und man sie, ohne sie erröten zu lassen, schön nennen<br />

konnte.« 1 Speer und Adler des Denkmals sind Insignien des Herrschers über ein Weltreich.<br />

Die souveräne Gebärde Alexan<strong>der</strong>s ist aber nicht mit <strong>der</strong> herrschsüchtigen<br />

Attitüde eines Despoten zu verwechseln. Mit seinem ausgestreckten Arm deutet<br />

er auf die unermessliche Weite seines Reiches, die sich seiner Herrschaft verdankt.<br />

Alexan<strong>der</strong>s Geste ist welterschaffend und weltbeherrschend zugleich und bedarf<br />

keiner Legitimation. Das Alexan<strong>der</strong>-Denkmal, das <strong>der</strong> von Breker portraitierte<br />

Kunstsammler Peter Ludwig erwarb, besitzt einen Vorläufer: den 1941 entstandenen<br />

Olympischen Fackelträger. Statt <strong>der</strong> Fackel hält Alexan<strong>der</strong> einen Speer in <strong>der</strong> rechten<br />

Hand, und zu seinen Füßen hat sich ein Adler nie<strong>der</strong>gelassen. Auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

überlieferter Portraits Alexan<strong>der</strong> des Großen schuf Breker eine eigene Version und<br />

ersetzte durch sie den Kopf des Fackelträgers. Es sei in Parenthese erwähnt, dass sich<br />

die meisten <strong>der</strong> von mir beschriebenen Plastiken in dem weitläufigen Skulpturenpark<br />

auf dem Anwesen <strong>der</strong> Familie Breker in Düsseldorf befinden.<br />

Nun <strong>der</strong> Stürzende. Die Ende <strong>der</strong> sechziger Jahre entstandene Kleinplastik mit gebrochener<br />

Oberfläche erscheint als Allegorie <strong>der</strong> nackten menschlichen Existenz. Es<br />

steht mehr auf dem Spiel als ein vorübergehendes Missgeschick: Der Stürzende verliert<br />

nicht nur den Boden unter den Füßen, er verliert vor allem sich selbst. Schon in<br />

<strong>der</strong> flatternden Oberfläche kommt <strong>der</strong> Selbstverlust zum Ausdruck. Der Stürzende<br />

fällt in einen bodenlosen Abgrund, in dem Angst und Entsetzen vor dem unwie<strong>der</strong>bringlichen<br />

Verlust von Welt und Dasein lauern. Handelt Alexan<strong>der</strong> aus einem unerschütterlichen<br />

souveränen Weltbezug heraus, so ist <strong>der</strong> Stürzende im Begriff, mit<br />

dem Bezug zur Welt auch sich selbst zu verlieren.<br />

In den späten sechziger Jahren schuf Breker neben dem Stürzenden noch drei an<strong>der</strong>e<br />

Kleinplastiken, in denen er das Entsetzen zum Ausdruck gebracht hat: Ecce homo<br />

(1968), Auferstehung (1968) und Ikarus (1969). Sucht <strong>der</strong> Stürzende vergebens noch<br />

Halt, so verrät Gesichtsausdruck und Gebärde des Ikarus, dass er sich seinem Schicksal,<br />

dem sicheren Tod, ergeben hat. Auf unheimliche Weise liefert sich <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

Sonne Versengte dem Entsetzen aus, von dem er im Todessturz ergriffen wird. Auch<br />

Brekers Ecce homo erweckt den Eindruck metaphysischer Verlassenheit. Nur seiner<br />

Körperhaltung sieht man an, dass es sich um den Gekreuzigten handelt, denn das<br />

Kreuz als Sinnbild des auf die Heilsgeschichte verweisenden Leidens fehlt. So ist<br />

Brekers Ecce homo von je<strong>der</strong> Auferstehungshoffnung und Geborgenheit in Gott weit<br />

entfernt. Vielleicht hatte <strong>der</strong> Bildhauer, als er die Plastik schuf, Jesu Worte aus dem<br />

Matthäus-Evangelium im Sinn: »Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?«<br />

Die Auferstehung, die für eine monumentale Adenauer-Gedenkstätte gedacht war,<br />

unterscheidet sich von den drei an<strong>der</strong>en Plastiken durch ein langes Tuch, das den<br />

heiligen Geist symbolisiert. Auch <strong>der</strong> Auferstehende ist ein Gestürzter, <strong>der</strong> noch im<br />

Entsetzen verharrt, zugleich aber einer Kraft innewird, von <strong>der</strong> er ergriffen wird. Das<br />

001. Roger Peyrefitte: Der junge<br />

Alexan<strong>der</strong>, Hamburg 1980,<br />

S. 11<br />

29<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

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POLNISCHES MÄDCHEN<br />

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FLEHENDE<br />

31<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


Tuch gleicht in seinen kraftvollen Falten einem unverhofften machtvollen Wun<strong>der</strong>,<br />

in dem sich <strong>der</strong> göttliche Wille offenbart und von dem <strong>der</strong> Sterbende auf eine nie<br />

geahnte Weise überrascht wird.<br />

002. Den Hinweis auf die Verwandtschaft<br />

des Matthäus mit<br />

Rodins Balzac-Denkmal verdanke<br />

ich <strong>der</strong> Kunsthistorikerin<br />

Frau Dr. Carola Breker.<br />

Unter Brekers Figuren und Reliefs findet sich eine beachtliche Anzahl religiöser<br />

Motive. Schon während seiner Lehrjahre im väterlichen Steinmetzbetrieb in Wuppertal<br />

sammelte Breker vielfältige Erfahrungen in <strong>der</strong> Gestaltung von Grabsteinen. 1927<br />

war <strong>der</strong> Bildhauer nach Paris übergesiedelt, wo er nur langsam Fuß fasste. In diesen<br />

Jahren schuf Breker unter Rodins Einfluss zwei Figuren, in denen er unterschiedlichen<br />

Formen religiöser Ekstase Gestalt verliehen hat: den Matthäus (1927–1930)<br />

und die Flehende (1929). Der Matthäus war eine Auftragsarbeit für die Düsseldorfer<br />

Matthäuskirche, wo man die Figur noch heute betrachten kann. In seiner expressionistischen<br />

Wucht erinnert <strong>der</strong> Matthäus sowohl an Rodins Bürger von Calais als aber<br />

auch an dessen Balzac-Denkmal. Nicht nur hatte Breker – wie Rodin zum Balzac –<br />

als Vorstudie einen Torso geschaffen, auch die Gebärde des Matthäus und die Gestaltung<br />

des Mantels wecken Assoziationen an Rodins Balzac-Denkmal, das wegen seiner<br />

die Mo<strong>der</strong>ne antizipierenden Unförmigkeit auf Ablehnung gestoßen war. 2 An<strong>der</strong>s als<br />

Rodins Bürger von Calais, von denen eine bedrückende, ja verzweifelte Stimmung<br />

ausgeht, tritt uns Brekers Matthäus als ein vom Geist Gottes beseelter Verkün<strong>der</strong> seines<br />

Evangeliums entgegen. Die Gebärde <strong>der</strong> beiden Arme <strong>der</strong> Figur ergänzen sich:<br />

Der feste Griff <strong>der</strong> rechten Hand, mit welcher <strong>der</strong> Evangelist das von ihm nie<strong>der</strong>geschriebene<br />

Evangelium hält, setzt sich in <strong>der</strong> ausdrucksstarken Geste <strong>der</strong> linken Hand<br />

fort und verleiht ihr authentischen Nachdruck. Das zerfurchte Antlitz des Matthäus<br />

zeugt sowohl von seiner aus Leiden erwachsenen Frömmigkeit als aber auch von feinsinniger<br />

Geistigkeit. In dem in eine unbestimmte Ferne gerichteten visionären Blick<br />

des Evangelisten verschmilzt <strong>der</strong> Bezug zu Gott mit dem zur Welt, <strong>der</strong> er die Frohe<br />

Botschaft seines Evangeliums verkündet. An<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Flehenden. In ihrer Nacktheit,<br />

frei von allen gesellschaftlichen Bindungen, gibt sich die schon ältere Frau rückhaltlos<br />

Gott anheim. Beim Beten ist <strong>der</strong> Blick ihrer geschlossenen Augen ganz nach<br />

innen gerichtet. Ihre zum Himmel gewandte Gebärde drückt neben ekstatischer Hingabe<br />

vor allem Festigkeit aus, mit <strong>der</strong> sie Gottes Gnade erfleht. – Einige Motive aus<br />

den zwanziger und dreißiger Jahren hat Breker in späteren Jahren erneut aufgegriffen<br />

und modelliert. Hierzu zählt <strong>der</strong> Romanichel (1929), das Polnische Mädchen (1934)<br />

und eben auch die Flehende (1929), <strong>der</strong>en Kopf <strong>der</strong> Bildhauer 1940 bis 1942 in Marmor<br />

schuf. Es ist das Portrait einer Frau, die tiefstes Leid und Todesnähe durchlitt<br />

und die sich angesichts des Todes Gott anvertraut hat. Das Gottvertrauen kommt in<br />

<strong>der</strong> dem Schmerz abgerungenen Schönheit ihrer verhärmten Gesichtszüge auf ergreifende<br />

Weise zum Ausdruck. Und auch bei diesem Portrait fühlt man sich, wie so oft<br />

bei Breker, an Rilkes berühmte Verse aus <strong>der</strong> Ersten Duineser Elegie erinnert: »Denn<br />

das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und<br />

wir bewun<strong>der</strong>n es, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören.«<br />

Weltbezug und Innerlichkeit sind zwei Ausdrucksformen, denen wir bei Breker öfters<br />

begegnen und die sich wie Leitmotive durch sein Werk ziehen. Ende <strong>der</strong> dreißiger<br />

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Jahre schuf <strong>der</strong> Bildhauer zwei männliche Figuren, die den Runden Saal <strong>der</strong> Neuen<br />

Reichskanzlei schmücken sollten. Es handelt sich um den Wäger und den Wager, in<br />

denen sich vita contemplativa und vita activa gegenüberstehen. Weil er das Für und<br />

Wi<strong>der</strong> noch abwägt, mag sich <strong>der</strong> Wäger zum Handeln nicht entschließen. Ohne die<br />

Welt wahrzunehmen, blickt er versonnen vor sich hin und wartet auf den inneren<br />

Augenblick, in dem die Würfel gefallen sein werden. Der Wager dagegen geht in tänzerischer<br />

Anmut aus sich heraus und wendet sich unbefangen <strong>der</strong> Welt zu. So begegnen<br />

sich im Wäger und im Wager nachdenkliche Besonnenheit und weltzugewandte<br />

Selbstsicherheit. Die Sinnende, die Breker 1942 schuf und die zu seinen schönsten<br />

Plastiken gehört, bietet den Anblick einer jungen Frau, die den Bezug zur Welt verloren<br />

hat und ihn allmählich zurückgewinnt. Der Blick des Betrachters mag zuerst<br />

auf die voluminösen Oberschenkel des Mädchens fallen, das aufrecht auf einem<br />

schmalen Sockel kniet. Der Kopf ist leicht nach vorn geneigt, die Arme sind in Stirnhöhe<br />

verschränkt. Der Blick <strong>der</strong> jungen Frau ist <strong>der</strong> Blick einer Erwachenden, und in<br />

<strong>der</strong> Erdenschwere ihrer Oberschenkel wohnt noch <strong>der</strong> Schlaf, dem sie bis vor kurzem<br />

gehörte. Die Schwere <strong>der</strong> Oberschenkel verliert sich im Rumpf bis hinauf zum Kopf.<br />

Das Haar wird durch ein Tuch zusammengehalten, was ein schönes Zeichen für das<br />

Bei-sich-selbst-sein des erwachten Menschen ist, eines Menschen, <strong>der</strong> sich auf sich<br />

selbst besonnen hat. Denn das möchte Brekers Plastik wohl zum Ausdruck bringen:<br />

Verliert sich <strong>der</strong> Mensch im Schlaf ans Unbewusste und an Träume, so muss <strong>der</strong> Erwachende<br />

sich selbst und seine Welt wie<strong>der</strong> neu entdecken und erschaffen. Erst dann<br />

ist er sich seiner selbst bewusst. Das Erwachen aber ist vor allem ein innerer Vorgang,<br />

durch den <strong>der</strong> Bezug zur Welt erst nach und nach gewonnen wird.<br />

Wenngleich auf an<strong>der</strong>e Weise als die Sinnende hat sich auch das Mädchen mit Tuch <strong>der</strong><br />

Welt entzogen. Die 1977 entstandene Figur gehört neben dem Alexan<strong>der</strong> (1982) zu<br />

den herausragenden Arbeiten von Brekers Spätwerk. Das Mädchen wurde von dem<br />

Gefühl <strong>der</strong> Liebe gleichsam zu Boden gezogen, und es hat sich, um das Gefühl auszukosten,<br />

mit untergeschlagenen Beinen auf ihre Füße gesetzt. Dabei stützt sie sich mit<br />

ihren feingliedrigen Händen ab und gibt sich dem unendlichen Gefühl <strong>der</strong> Liebe hin,<br />

das sie vielleicht zum ersten Mal erlebt. Durch das Kopftuch wird das Heftige ihrer leidenschaftlichen<br />

Hingabe noch unterstrichen, indem es einen lebendigen Kontrast zur<br />

realistisch dargestellten Schönheit ihres Körpers bildet. Der unbewusst geöffnete sinnliche<br />

Mund und die geschlossenen Augen verstärken den Eindruck, dass ein übermächtiges<br />

Gefühl von ihr Besitz ergriffen hat. Auch das Mädchen mit Tuch hat sich vor <strong>der</strong><br />

Welt verschlossen und sich ganz in das Innere seiner Seele zurückgezogen.<br />

Wie wir schon beim Wäger sahen, neigen auch Brekers männliche Figuren zuweilen<br />

dazu, sich vor <strong>der</strong> Welt zu verschließen. Ein an<strong>der</strong>es eindrucksvolles Beispiel dafür ist<br />

<strong>der</strong> zwischen 1937 und 1940 entstandene Verwundete, <strong>der</strong> auf eine Fotografie des<br />

gestürzten Radsportlers André Leducq zurückgeht. Wir sehen einen nackten Athleten<br />

gekrümmt auf einem Stein sitzen, wobei seine rechte Hand auf dem verwundeten<br />

Kopf ruht, als wolle er mit ihr den brennenden Schmerz lin<strong>der</strong>n. Der Verwundete hat<br />

das Bewusstsein <strong>der</strong> athletischen Kraft und Lebensbejahung, an die sein muskulöser<br />

33<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


Körper noch erinnert, angesichts <strong>der</strong> unerträglichen Schmerzen eingebüßt. Sein Körper<br />

hat jeden Sinn verloren und versinnbildlicht nun ein Leiden, von dem es keine<br />

Erlösung gibt. Dieser Schmerz ist nichts Vorübergehendes, er erschüttert vielmehr<br />

das gesamte Dasein des Verwundeten und stellt dessen Lebensentwurf grundstürzend<br />

infrage. Seine geschlossenen Augen und seine unwillkürlich geöffneten Lippen vermitteln<br />

den Eindruck eines Menschen, <strong>der</strong> sich ganz in das Gefühl des Schmerzes<br />

zurückgezogen hat und mit sich allein sein will, weil jede Ansprache sein Leiden vergrößern<br />

würde. So bezeichnete Breker den Verwundeten als »Symbol <strong>der</strong> Hoffnungslosigkeit,<br />

<strong>der</strong> Verzweiflung, des Entsagens«. 3 Der Vergleich des Verwundeten mit dem<br />

Mädchen mit Tuch zeigt, dass sowohl die Liebe als auch <strong>der</strong> Schmerz im Menschen<br />

die Sehnsucht zu wecken vermögen, sich vor <strong>der</strong> Welt zu verschließen und bei sich<br />

selbst zu sein.<br />

Der Prometheus (1937–38), <strong>der</strong> den von ihm erschaffenen Menschen gegen den<br />

Willen <strong>der</strong> Götter das Feuer bringt, wendet sich <strong>der</strong> Welt und seinen Geschöpfen<br />

zu. Der Titanensohn steigt vom Olymp zu den Menschen hinab, und seine trotzige<br />

Miene spiegelt den inneren Kampf wi<strong>der</strong>, <strong>der</strong> seinem Entschluss vorausging. Mit <strong>der</strong><br />

von <strong>der</strong> rechten Hand erhobenen Fackel leuchtet er ins Dunkel <strong>der</strong> Welt, die erst<br />

durch sein Feuer zum Leben erwacht. Der in Brusthöhe erhobene linke Arm deutet<br />

ein Zögern des von Zeus verstoßenen Titanen an: Einen Augenblick verharrt er und<br />

wird <strong>der</strong> Hybris seiner Tat inne. Den Betrachter beeindruckt nicht nur die sprechende<br />

Gebärde <strong>der</strong> Figur, son<strong>der</strong>n auch die gelungene Verbindung des Göttlichen mit<br />

dem Menschlichen. Offenbart die Schönheit des athletischen Körpers die Unsterblichkeit<br />

des Titanen, so symbolisieren seine feingliedrigen Hände den formenden<br />

Sinn des göttlichen Bildhauers, welcher <strong>der</strong> Sage nach den ersten Menschen erschaffen<br />

hatte. Es sind, wie so oft bei Breker, die in einer Figur vereinigten Gegensätze, die<br />

den Betrachter dieser Traumgestalten in Bann ziehen. Prometheus, dem Spen<strong>der</strong> des<br />

Feuers, könnte man Eos an die Seite stellen, die Empfangende, die sich selbstvergessen<br />

<strong>der</strong> Anbetung <strong>der</strong> aufgehenden Sonne hingibt. Auch sie öffnet sich <strong>der</strong> Welt, ja<br />

dem Kosmos. Und auf den Betrachter überträgt sich nicht allein die Wärme des göttlichen<br />

Gestirns, son<strong>der</strong>n auch die tiefe kreatürliche Dankbarkeit <strong>der</strong> jungen Frau für<br />

das wun<strong>der</strong>bare Geschenk <strong>der</strong> Leben spendenden Strahlen.<br />

003. Arno Breker: Im Strahlungsfeld<br />

<strong>der</strong> Ereignisse, Preußisch<br />

Oldendorf 1972, S. 359<br />

(Im Folgenden zitiert als:<br />

Strahlungsfeld)<br />

Eine Betrachtung über Weltbezug und Innerlichkeit bei Arno Breker darf ein Portrait<br />

nicht übergehen, und zwar das des Romanichel, das <strong>der</strong> Bildhauer 1940 aus einem<br />

Marmorblock befreite. Es gehört zum Rätselhaftesten und Unheimlichsten, das Breker<br />

schuf. Versenkt man sich in die Betrachtung dieser Gesichtslandschaft, so fühlt<br />

man sich an Rodins Wort erinnert, das Rilke überliefert hat: »Er müsste ein Jahr reden,<br />

um eines seiner Werke mit Worten zu wie<strong>der</strong>holen.« Denn auch hier offenbart<br />

sich die Ohnmacht <strong>der</strong> Sprache, das Geheimnis eines bildhauerischen Werkes zu ergründen.<br />

Es war im Jahre 1929, Breker lebte in Paris und hatte soeben einen Vertrag<br />

mit einem amerikanischen Kunsthändler abgeschlossen, <strong>der</strong> ihn nach New York einlud<br />

und dem Bildhauer für jedes Portrait 6000 Dollar zahlen wollte. Ende des Jahres<br />

sollte dann eine große Ausstellung in New York stattfinden. Die am 24. Oktober<br />

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1929 in den USA ausbrechende Weltwirtschaftskrise vereitelte diese Pläne und Breker<br />

blieb in Paris. Kurz nach Abschluss des lukrativen Vertrages lernte Breker einen<br />

Zigeunerjungen kennen, das Modell des Romanichel: »Einige Tage später pochte es an<br />

meiner Ateliertür. Ich schloss auf, vor mir stand ein Zigeuner, <strong>der</strong> Arbeit suchte. Sein<br />

Kopf faszinierte mich sofort, noch am gleichen Tag begannen die Sitzungen. Nicht<br />

weniger als sieben Büsten modellierte ich nach ihm. Plötzlich verschwand er spurlos.<br />

Nach zwei Monaten kehrte er zurück und erzählte, dass seine Mutter in <strong>der</strong><br />

Camargue bei Marseille zur Königin des Jahres gewählt worden sei, da habe er erscheinen<br />

müssen. Unter meinen Pariser Freunden fand sich ein Filmoperateur,<br />

<strong>der</strong> zwei dieser neuen Büsten in meinem Atelier sah. Begeistert vom seltsamen Ausdruck,<br />

<strong>der</strong> an Amenophis erinnerte, holte man das Modell, um Probeaufnahmen zu<br />

machen. ›Wir haben einen neuen Valentino entdeckt‹, stellten die Filmoperateure<br />

begeistert fest. Aber – <strong>der</strong> Zigeuner durfte keinen Vertrag unterzeichnen, das war ihm<br />

von <strong>der</strong> Sippe verboten.« 4<br />

Die Ende <strong>der</strong> zwanziger Jahre in Paris entstandenen Fassungen des Romanichel zeigen<br />

einen androgynen Jüngling, <strong>der</strong> durch seine außergewöhnliche Schönheit gefährdet<br />

und verletzbar erscheint. Mit wun<strong>der</strong>barer Sensibilität hat <strong>der</strong> Bildhauer die vergeistigten<br />

Züge des Gesichts geformt, ohne durch Glättung <strong>der</strong> Oberfläche das<br />

Geheimnis dieses Antlitzes zu verraten. Wir wissen nicht, was Breker dazu bewog,<br />

das Motiv des Romanichel zehn Jahre später noch einmal aufzugreifen und es zu einer<br />

Zeit, da die Nationalsozialisten auch Zigeuner verfolgten, in Marmor zu hauen. Der<br />

Kopf des Zigeuners wirkt nun noch frem<strong>der</strong>, ja beinahe bedrohlich; er scheint einer<br />

an<strong>der</strong>en Welt, <strong>der</strong> Welt des Traums, anzugehören. Seine Augen sind geschlossen. In<br />

<strong>der</strong> Traumlandschaft seines Gesichts zeichnen sich Berge und Täler, Ebenen und<br />

Schluchten ab, die zu betreten Gefahren in sich birgt, droht doch <strong>der</strong> Betrachter sich<br />

selbst dabei zu verlieren. Beinahe gegen seinen Willen und auf magische Weise wird<br />

er in den übermächtigen Traum hineingezogen, <strong>der</strong> Ruhe verspricht und doch etwas<br />

zutiefst Beunruhigendes besitzt. Der Romanichel träumt sich selbst, sein eigenes<br />

Leben, und <strong>der</strong> Traum erweist sich als die unausweichlichste und unheimlichste<br />

Form <strong>der</strong> Selbstbegegnung.<br />

Arno Brekers bildhauerisches Werk wurde nicht allein von <strong>der</strong> griechischen und<br />

römischen Antike und von <strong>der</strong> italienischen Renaissance beeinflusst, son<strong>der</strong>n auch<br />

von zeitgenössischen Bildhauern, die Breker in Frankreich kennenlernte. So war er<br />

zum Beispiel mit Maillol, Belmondo, Despiau, Bourdelle und Brancusi befreundet.<br />

Der große Erfolg, den die Ausstellung von Brekers Werken 1942 in <strong>der</strong> Pariser<br />

Orangerie sowohl beim Publikum als auch bei französischen Künstlern hatte, erklärt<br />

sich nicht zuletzt daraus, dass die Franzosen in Breker einen Bildhauer sahen, <strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> Tradition des französischen Neoklassizismus stand. So verfasste Charles Despiau<br />

im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Pariser Ausstellung eine reich bebil<strong>der</strong>te Monographie<br />

über Breker, wie sie selbst in Deutschland bis dahin nicht erschienen war. Und <strong>der</strong><br />

greise Maillol, <strong>der</strong> Breker mit Michelangelo verglichen hatte, scheute keine Mühen<br />

und kam nach Paris, um Brekers Werke in <strong>der</strong> Orangerie zu bewun<strong>der</strong>n. 004. Strahlungsfeld, S. 71<br />

35<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

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SINNENDE<br />

HAND DES HEROLDS<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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Arno Breker und<br />

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DEMUT<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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Arno Breker und<br />

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KÜNDER<br />

BEREITSCHAFT<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

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<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


Breker hatte nicht die Neigung, gegen an<strong>der</strong>e Künstler und <strong>der</strong>en Werke zu polemisieren;<br />

er besaß die Fähigkeit, Arbeiten, die seinen eigenen künstlerischen Vorstellungen<br />

nicht entsprachen, in ihrer Bedeutung zu würdigen. Beeindruckend etwa, wie<br />

Breker Brancusis Weg vom Figürlichen zur Abstraktion kongenial nachempfindet<br />

und beschreibt: »Die ersten zaghaften Versuche, die Natur zu überwinden, sind von<br />

hohem poetischen Reiz. Man spürt die schwingende Erregung, die sich tastend eine<br />

neue, noch nicht betretene Welt erschließt. Der elementare Durchbruch zur absoluten,<br />

abstrakten Form gelang Brancusi bei <strong>der</strong> Gestaltung des Vogels wie des Seelöwen,<br />

<strong>der</strong>en Erscheinungen er sukzessiv so weit reduzierte, bis allmählich eine selbständige<br />

lebensfähige, plastische Form ohne jede Erinnerung an die Natur gültig vor<br />

seinem geistigen Auge stand.« 5<br />

Im beson<strong>der</strong>en Maße wurde Brekers Frühwerk von Rodin beeinflusst. Schon <strong>der</strong><br />

Sechzehnjährige hatte Rilkes Buch über den großen Franzosen mit Begeisterung verschlungen,<br />

und sicherlich trug die Lektüre zu Brekers Entscheidung, Bildhauer zu<br />

werden, bei. Epigonal freilich kann man Brekers Frühwerk nicht nennen, zu groß<br />

sind die Unterschiede im Menschenbild. Rodins leidenschaftliche Körperwindungen<br />

finden sich bei Breker lediglich in mancher Kleinplastik. Selbst <strong>der</strong> Matthäus und die<br />

Flehende besitzen in ihrer religiösen Ekstase etwas Statuarisches. Gefolgt ist Breker<br />

Rodin in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Oberfläche. So finden sich in seinem Frühwerk überwiegend<br />

gebrochene und unruhige Oberflächen voller Leben, die dem leptosomen<br />

Menschenbild Brekers in den zwanziger Jahren entsprechen. Rodins Entdeckung des<br />

Non-Finito als eigenständiger künstlerischer Form blieb für Breker, wie auch für an<strong>der</strong>e<br />

Bildhauer seiner Zeit, nicht folgenlos und hat ihn zu vielen Torsi inspiriert.<br />

Wenn Rilke enthusiastisch von Rodins Entdeckung <strong>der</strong> Oberfläche spricht, so beziehen<br />

sich seine Worte vor allem auf dessen Torsi: »Mit dieser Entdeckung begann<br />

Rodins eigenste Arbeit. Nun erst waren alle die herkömmlichen Begriffe <strong>der</strong> Plastik<br />

für ihn wertlos geworden. Es gab we<strong>der</strong> Pose, noch Gruppe, noch Komposition. Es<br />

gab nur unzählbar viele lebendige Flächen, es gab nur Leben, und das Ausdrucksmittel,<br />

das er sich gefunden hatte, ging gerade auf dieses Leben zu. Nun hieß es, seiner<br />

und seiner Fülle mächtig zu werden. Rodin erfasste das Leben, das überall war,<br />

wohin er sah. Er erfasste es an den kleinsten Stellen, er beobachtete es, er ging ihm<br />

nach. Er erwartete es an den Übergängen, wo es zögerte, er holte es ein, wo es lief,<br />

und er fand es an allen Orten gleich groß, gleich mächtig und hinreißend. Da war<br />

kein Teil des Körpers unbedeutend o<strong>der</strong> gering: er lebte. Das Leben, das in den Gesichtern<br />

wie auf Zifferblättern stand, leicht ablesbar und voll Bezug auf die Zeit – in<br />

den Körpern war es zerstreuter, größer, geheimnisvoller und ewiger. Hier verstellte es<br />

sich nicht, hier ging es nachlässig, wo es nachlässig war, und stolz bei den Stolzen;<br />

zurücktretend von <strong>der</strong> Bühne des Angesichts, hatte es die Maske abgenommen und<br />

stand, wie es war, hinter den Kulissen <strong>der</strong> Klei<strong>der</strong>.« 6<br />

005. ebd. S. 59<br />

006. Rainer Maria Rilke: Auguste<br />

Rodin, Leipzig 1913, S. 17 f.<br />

Wenn man diese Worte Rilkes über Rodin gelesen hat, betrachte man einmal Brekers<br />

Torsi aus den zwanziger Jahren. Etwa den des Sitzenden Mannes aus dem Jahre 1928.<br />

Die Oberfläche dieses Körpers erzählt eine Geschichte; es ist die Geschichte eines<br />

44<br />

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dem Leben zugewandten jungen Mannes, <strong>der</strong> über ein natürliches Selbstbewusstsein<br />

verfügt, ohne hochmütig zu sein, und er ist schön, ohne eitel zu sein. Mehr noch als<br />

sein Kopf, den Breker ausgespart hat, verrät die von Leben bebende Oberfläche des<br />

Körpers etwas über das Wesen des Mannes und erscheint als Spiegel seiner Seele.<br />

Ähnliches könnte man auch über den Torso mit gekreuzten Beinen sagen, den Breker<br />

ebenfalls 1928 schuf. Auch hier tritt uns <strong>der</strong> ganzeMensch entgegen, obwohl es sich<br />

um ein Non-Finito handelt. Und wir dürfen Rilke darin zustimmen, dass es <strong>der</strong> Torso<br />

ist, in dem sich uns das Wesen eines Menschen nicht nur unverstellt, son<strong>der</strong>n vor<br />

allem auch in seiner Geschichtlichkeit und in <strong>der</strong> Fülle seiner Möglichkeiten offenbart.<br />

So paradox es klingen mag, gerade das Non-Finito erweist sich als diejenige<br />

künstlerische Form, in <strong>der</strong> das Wesen eines Menschen in seiner Totalität zum Ausdruck<br />

gebracht werden kann.<br />

Breker war fasziniert von Rodins »Modelé«, seiner »Gestaltung <strong>der</strong> Oberfläche«: 7<br />

»das erregende Spiel von Licht und Schatten, durch die Bewegtheit <strong>der</strong> Muskeln inspiriert«.<br />

8 Doch wandte er sich nach dem eingehenden Studium antiker Plastiken,<br />

aber auch unter dem zunehmenden Einfluss Maillols, den er als »Gegenpol zu<br />

Rodin« 9 empfand, von Rodins bewegter Oberfläche ab und entwickelte eine Technik<br />

<strong>der</strong> Oberflächenbehandlung, die es ihm ermöglichte, glatte, ineinan<strong>der</strong>fließende<br />

Oberflächen von hohem ästhetischem Reiz zu formen: »Das Studium <strong>der</strong> antiken<br />

Bronzen in Paris, Rom und Neapel brachte mich auf eine neue Technik in <strong>der</strong> Bearbeitung<br />

des Gipsgusses: ich ging dazu über, die letzte Vollendung einer ausdrucksstarken<br />

Oberfläche in <strong>der</strong> zusätzlichen Bearbeitung <strong>der</strong> negativen Gipsform zu erreichen.<br />

Diese Technik setzt voraus, dass man im Negativ das Positiv sieht. Zu Hilfe<br />

nehme ich Metallgitter, geflochten aus Metallfäden in einer Stärke von einem halben<br />

Millimeter bis zum haardünnen Faden. Das Gitter in diesem Bereich gleicht dem<br />

feinsten Seidenstoff, mit dem sich die vollendetste Oberfläche des Gipsmaterials erzielen<br />

lässt. So wie<strong>der</strong>hole ich den Prozess des Ausschleifens und Abgießens zuweilen<br />

dreimal, bis ich dahin komme, was das innere Auge von Anfang an gesehen hat.« 10<br />

Brekers Entdeckung einer neuen Technik und seine intensive Beschäftigung mit Antike<br />

und Renaissance führten schließlich zu einer Verän<strong>der</strong>ung seines Menschenbildes.<br />

An die Stelle leptosomer Jünglinge und von Leiden gezeichneter Frauen tritt<br />

nun <strong>der</strong> athletische Mensch, <strong>der</strong> »Mensch im Zenit seiner Erscheinung«. 11 Besaßen<br />

Brekers Figuren aus den zwanziger Jahren eine individuelle Biographie, so wirken die<br />

Plastiken aus den dreißiger und vierziger Jahren in ihrer auratischen Schönheit seltsam<br />

zeitenthoben und unwirklich: als wären sie nicht von dieser Welt. Die Schönheit<br />

und Anmut dieser Figuren – sei es <strong>der</strong> Herold, die Eos, die Psyche, die Schreitende o<strong>der</strong><br />

die Anmut – vermitteln dem Betrachter etwas von <strong>der</strong> ursprünglichen Würde und<br />

Unversehrtheit des paradiesischen Menschen, des Menschen vor dem Sündenfall.<br />

Deshalb kennen sie keinen inneren Kampf wie <strong>der</strong> Matthäus und die Flehende. Es<br />

sind Traumfiguren, und auch ihre Gebärden und Gesten haben etwas Unwirkliches.<br />

Vergleicht man etwa Rodins Schreitenden mit Brekers Schreiten<strong>der</strong>, so fällt <strong>der</strong> Unterschied<br />

sogleich ins Auge: Erscheint Rodins Torso geradezu als Urbild des Schreitens,<br />

007. Strahlungsfeld, S. 231<br />

008. ebd.<br />

009. Arno Breker: Schriften, Bonn,<br />

Paris, New York 1983, S. 24<br />

(Im Folgenden zitiert als:<br />

Schriften)<br />

010. ebd. S. 146<br />

011. ebd. S. 155<br />

45<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

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so schreitet Brekers junge Frau weniger als dass sie schwebt. All diese Figuren haben<br />

etwas Schwereloses und könnten einem Film von Cocteau entsprungen sein, <strong>der</strong> mit<br />

Breker befreundet war und dessen Liebe zur klassische Antike teilte.<br />

Schon Mitte <strong>der</strong> vierziger Jahre zeichnet sich eine Verän<strong>der</strong>ung in Brekers Frauenbild<br />

ab. So fehlt <strong>der</strong> 1944 entstandenen Demut die abweisende Aura von Brekers weiblichen<br />

Figuren aus den dreißiger Jahren. Die Demut – vielleicht die bedeutendste<br />

Plastik des Bildhauers – ist in Brekers künstlerischer Entwicklung eine Figur des<br />

Überganges: Sie hat noch Teil an <strong>der</strong> paradiesischen Unversehrtheit <strong>der</strong> früheren<br />

Figuren und antizipiert zugleich den sinnlichen Realismus von Brekers Spätwerk. In<br />

<strong>der</strong> Demut verschmilzt das antike Menschenbild mit dem christlichen, und beim<br />

Betrachten <strong>der</strong> sowohl sinnlichen als auch vergeistigten Formen <strong>der</strong> Figur stellt sich<br />

<strong>der</strong> Gedanke ein, dass Antike und Christentum keine Gegensätze sein müssen, son<strong>der</strong>n<br />

sich ergänzen können. Die berückende Schönheit <strong>der</strong> Figur gehört nun nicht<br />

mehr dem Traum an: sie ist von dieser Welt. Sie schenkt uns die Gewissheit, dass das<br />

Schöne in seiner vollkommen Gestalt etwas Irdisches ist und nicht nur eine paradiesische<br />

Reminiszenz.<br />

012. Strahlungsfeld, S. 11<br />

013. ebd.<br />

014. ebd.<br />

Obwohl Arno Brekers 1972 im Verlag K. W. Schütz erschienene Memoiren Im Strahlungsfeld<br />

<strong>der</strong> Ereignisse ein autobiographisches Dokument ersten Ranges sind, fanden<br />

sie kaum Beachtung. Welchen Aufschluss über den verfemten Bildhauer sollte ein<br />

Buch gewähren, das in einem rechten Verlag veröffentlicht wurde? Auch hier – wie<br />

bei Brekers plastischem und graphischem Werk – glaubte man sich <strong>der</strong> Mühe einer<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung enthoben.<br />

»Statt eines Vorworts« hat Breker seinen Erinnerungen ein Kapitel vorangestellt,<br />

in dem er sich nicht nur über die Gründe äußert, die ihn zur Nie<strong>der</strong>schrift <strong>der</strong><br />

Memoiren bewogen haben, son<strong>der</strong>n in dem er auch seine Darstellungsweise erläutert.<br />

Wegen ernster Herzprobleme lag <strong>der</strong> Bildhauer 1962 in »einer glänzend geführten<br />

mo<strong>der</strong>nen Klinik in Frankfurt-Höchst«, 12 wo er – »die Lebenserwartungen schienen<br />

gedämpft« 13 – mit <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>schrift seiner Erinnerungen begann. Der entscheidende<br />

Grund, seine Memoiren zu Papier zu bringen, war Brekers Wunsch, »meine beiden<br />

noch sehr jungen Kin<strong>der</strong>, denen dieses Buch gewidmet ist, wissen zu lassen, wer ihr<br />

Vater war; denn was Presse, Rundfunk, Fernsehen und die politischen Parteien ohne<br />

Ausnahme bisher über mich verbreitet haben, hat – in aller Bescheidenheit sei es<br />

gesagt – mit meiner effektiven Existenz wenig gemein.« 14 Angesichts einer breiten<br />

gesellschaftlichen Ächtung von Brekers Person und <strong>der</strong> bis in unsere Gegenwart<br />

hineinreichenden Tabuisierung seines Werkes ist Brekers Wunsch, seinen Kin<strong>der</strong>n,<br />

die seine Enkel sein könnten, sein Leben zu erzählen, nur allzu verständlich. Doch<br />

was erfahren sie und <strong>der</strong> Leser über den Bildhauer? Und was hat Breker ausgespart?<br />

Der Untertitel von Im Strahlungsfeld <strong>der</strong> Ereignisse lautet Leben und Wirken eines<br />

Künstlers / Portraits, Begegnungen, Schicksale. Nun enthält <strong>der</strong> vierhun<strong>der</strong>t Seiten starke<br />

Band in <strong>der</strong> Tat unzählige, anekdotisch zugespitzte Portraits von Malern, Bildhauern,<br />

Musikern, Dichtern und Schriftstellern, denen Breker vor allem in den Pariser Jahren<br />

und im Dritten Reich begegnet ist, aber über den Bildhauer selbst, sein Leben und<br />

46<br />

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seine Werke erfahren wir verhältnismäßig wenig. Wir erfahren we<strong>der</strong> etwas über Brekers<br />

Eltern, seine Schulzeit in Wuppertal, seine Studienjahre in Düsseldorf und seine<br />

akademischen Lehrer Wilhelm Kreis und Hubert Netzer noch über seine erste Ehe<br />

mit <strong>der</strong> Griechin Demetra Messala, die 1956 an den Spätfolgen eines Unfalls starb.<br />

Und auch über seine zweite Ehe mit Charlotte Kluge, die fünfunddreißig Jahre währte,<br />

schweigt <strong>der</strong> Bildhauer sich aus. Breker schreibt, dass er in erster Linie »die Verhältnisse<br />

<strong>der</strong> Menschen zueinan<strong>der</strong>, ihre freundschaftlichen, reservierten o<strong>der</strong> feindseligen<br />

Äußerungen, ihr positives o<strong>der</strong> negatives Verhalten, ihre Hoffnungen und<br />

Wünsche, ihre Nöte und Ängste entsprechend <strong>der</strong> damaligen Wahrheit wie<strong>der</strong>geben«<br />

15 möchte, wobei er betont, dass die von ihm geschil<strong>der</strong>ten Begegnungen<br />

»fast alle in einem ursächlichen Zusammenhang zu meiner Arbeit« 16 stehen. Wohlgemerkt:<br />

zu Brekers Arbeit, nicht zu seinem Leben. Woher rührt diese eigentümliche<br />

Scheu, das eigene Leben und das seiner Familie zu erzählen – mit all seinen Krisen<br />

und Erfolgen, Irrtümern und Momenten des Glücks? Gerne hätte <strong>der</strong> Leser etwas<br />

über Demetra Messala und ihre Rolle in Brekers Leben erfahren. Und auch über Brekers<br />

»zweites Leben« in <strong>der</strong> Düsseldorfer Nie<strong>der</strong>rheinstraße hätten wir gerne etwas<br />

gelesen. Brekers Scheu, sein eigenes Leben zu thematisieren, korrespondiert mit seiner<br />

Scheu, sich selbst zu portraitieren: Brekers schöpferische Phantasie wird geweckt<br />

durch die kontemplative Betrachtung des Portraitierten, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Bildhauer verliert.<br />

Der aus <strong>der</strong> Betrachtung hervorgehende und immer an den Naturformen orientierte<br />

künstlerische Prozess <strong>der</strong> Nachschöpfung, in dem sich dem Bildhauer die individuelle<br />

Schönheit eines Körpers o<strong>der</strong> eines Gesichts offenbart, kommt in Brekers<br />

Augen einem religiösen Akt gleich: »Der Drang, die Erscheinung des menschlichen<br />

Körpers nachzubilden, deutet auf den Urtrieb des Mannes, das geschaute Wun<strong>der</strong><br />

göttlicher Kreativität in Ehrfurcht nachzubilden.« 17 Brekers künstlerisches Selbstverständnis<br />

und seine ästhetische Grundhaltung prägen, wie ich meine, auch seine Einstellung<br />

zur Welt und seine Wahrnehmung <strong>der</strong> Menschen, die ihm begegnen. Wie<br />

Brekers plastische Bildnisse, so spiegeln auch seine literarischen Portraits das Charakteristische<br />

und Unverwechselbare des Portraitierten mit Empathie wi<strong>der</strong>. Dabei entspricht<br />

es Brekers versöhnendem, um Ausgleich und Harmonie bemühtem Charakter,<br />

dass er Verfehlungen und Irrtümer an<strong>der</strong>er stets nachsichtig und zuweilen mit<br />

Humor, niemals aber verletzend kommentiert. Ressentiments sind Arno Breker, auch<br />

gegenüber seinen Gegnern, fremd. Breker war zu wenig Narziss, um sich selbstverliebt<br />

dem eigenen Bild hinzugeben und es auszuloten. Diese Scheu – o<strong>der</strong> auch<br />

Scham – vor <strong>der</strong> Thematisierung <strong>der</strong> eigenen Lebensgeschichte ist, auch bei Künstlern,<br />

nicht so selten. So bilden zum Beispiel bei <strong>der</strong> großen österreichischen Erzählerin<br />

Gertrud Fussenegger persönliche Erfahrungen mit sich selbst und <strong>der</strong> Welt<br />

die Grundlage des schöpferischen Prozesses. Doch verhin<strong>der</strong>t eine wohl auch aus<br />

Selbstzweifeln erwachsene Scham ein egozentrisches Kreisen um die eigene Lebensproblematik,<br />

die in das Werk zwar einfließt, aber in verwandelter und verfremdeter<br />

Gestalt.<br />

Wie schon erwähnt, hat Breker im Einleitungskapitel seiner Memoiren auch seine<br />

Darstellungsweise erläutert. Er betont, dass er seine Erinnerungen – insbeson<strong>der</strong>e an<br />

die Zeit des Dritten Reichs – zu Papier brachte, »ohne jeden Versuch, das Erlebte<br />

015. ebd.<br />

016. ebd. S. 14<br />

017. Arno Breker: Der Prophet<br />

des Schönen, München 1982,<br />

S. 55<br />

47<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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Arno Breker und<br />

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ückschauend, unter dem Eindruck <strong>der</strong> erst mit <strong>der</strong> Endphase des Krieges bekanntgewordenen<br />

Greuel, umzuformen o<strong>der</strong> zu frisieren. Unsere Vergangenheit war wie<br />

jede Vergangenheit einmal Gegenwart, die für die Existenz und das Wirken <strong>der</strong> in sie<br />

hineingeborenen Generation ebenso bestimmend war wie für diejenigen, die bereits<br />

von einer an<strong>der</strong>en Vergangenheit geprägt wurden und sich mit <strong>der</strong> neuen Gegenwart<br />

auseinan<strong>der</strong>zusetzen hatten«. 18 Wir können Breker einerseits darin zustimmen, dass<br />

jede historische Wahrheit, auch die subjektiv erlebte, nicht durch nachträgliche<br />

Projektionen verfälscht werden sollte. An<strong>der</strong>erseits mag Brekers Vorgehensweise befremden,<br />

denn warum sollte sich beides nicht verbinden lassen: die erinnerte Zeitgeschichte<br />

und die Reflexion über das Erlebte und das eigene Handeln, wie es Albert<br />

Speer zum Beispiel versucht hat? Und vor allem: Lässt sich das Wissen um die ungeheuerlichen<br />

Verbrechen des Dritten Reichs, von denen Breker nach dem Krieg<br />

erfuhr, wirklich ausblenden? Sicherlich hängt Brekers weitgehen<strong>der</strong> Verzicht auf<br />

Analyse und Reflexion auch mit seiner anekdotischen Erzählweise zusammen, die<br />

eher seinem affirmativen ästhetischen Verhältnis zur Welt entgegenkommt als die<br />

analytische Reflexion. Doch sei schon hier ein entscheiden<strong>der</strong> Eindruck formuliert:<br />

Aus nahezu allen Dokumenten, in denen sich Breker über seine Tätigkeit als Staatsbildhauer<br />

im Dritten Reich äußert, spricht eine stille, zuweilen aber auch verzweifelte<br />

Ohnmacht einem zeitgeschichtlichen Geschehen gegenüber, dem Breker sich bis ins<br />

hohe Alter nicht gewachsen fühlte und vor dem er letztlich kapituliert hat. Und es<br />

war vor allem diese Ohnmacht, die Breker dazu bewog, die Vergangenheit so zu erzählen,<br />

als handle es sich um die Gegenwart. Ein Unterfangen freilich, das von vornherein<br />

zum Scheitern verurteilt war, denn wir werden sehen, dass Breker seine Erinnerungen<br />

nicht nur aus dem Wissen um den Holocaust und um seine eigene, von<br />

ihm als schuldhaft empfundene Verstrickung in das Dritte Reich geschrieben hat,<br />

son<strong>der</strong>n dass sich in ihnen auch die zunehmende Tabuisierung und Verfemung von<br />

Brekers Werk und Person in den 60er Jahren nie<strong>der</strong>geschlagen hat. Erst 1981, neun<br />

Jahre nach dem Erscheinen seiner Memoiren und anlässlich einer Ausstellung seiner<br />

Werke in Berlin, fand Breker Worte über seine Jahre als »Hitlers Lieblingsbildhauer«:<br />

018. Strahlungsfeld, S. 12<br />

»Ich distanziere mich entschieden vom Nationalsozialismus und von den Verbrechen,<br />

die in seinem Namen begangen wurden.<br />

Ich habe mich in meinem Leben meinen Freunden, Kollegen, Mitmenschen gegenüber<br />

stets anständig verhalten. Ich wollte sicherlich kein verbrecherisches System<br />

verherrlichen. Dass gerade ich heute zum Apologeten <strong>der</strong> Unmenschlichkeit gestempelt<br />

werde, trifft und erschüttert mich zutiefst – es wi<strong>der</strong>strebt mir, die zahlreichen<br />

deutschen, jüdischen, französischen Freunde zu nennen, denen ich verbunden war.<br />

Nie habe ich mich gegen an<strong>der</strong>e Künstler gewandt, Menschen diffamiert, das Verbrechen<br />

geför<strong>der</strong>t.<br />

Ich habe volles Verständnis dafür, dass ich dennoch als Künstler, <strong>der</strong> seiner politischen<br />

Umwelt in blin<strong>der</strong> Verkennung diente, abgelehnt, kritisiert und angefeindet<br />

werde. Ich kann Demonstrationen gegen mich, die aus künstlerischer Solidarität und<br />

geschichtlicher Verantwortung heraus geschehen, verstehen. Ich bin zu alt, um Verständnis<br />

o<strong>der</strong> Duldung für mich zu erbitten.<br />

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Was ich erwarte, und dem stelle ich mich, ist die offene, ehrliche und harte, kritische,<br />

aber faire Auseinan<strong>der</strong>setzung mit meinem Werk.« 19<br />

An Brekers Stellungnahme – einer Mischung aus Selbstgerechtigkeit und Verletztheit<br />

– fällt dreierlei auf: Der Bildhauer vermag es sich nicht zu erklären, dass man<br />

ihn zum »Apologeten <strong>der</strong> Unmenschlichkeit« abstempelt. Breker wi<strong>der</strong>strebt es aber<br />

auch – und er empfände es als eitel –, zu seiner Verteidigung auf seine persönliche<br />

Unbescholtenheit gegenüber seinen Freunden – seien es Juden, Franzosen o<strong>der</strong><br />

Deutsche – zu verweisen, für die er sich im Dritten Reich nachweislich eingesetzt hat.<br />

Schließlich bittet Breker, zwischen seiner öffentlichen Person und seinem Werk zu<br />

unterscheiden. Der Bildhauer zeigt Verständnis dafür, dass man ihm seine Nähe zu<br />

Hitler und seine herausragende Position im Dritten Reich nicht verzeihen mag, allerdings<br />

bittet er um eine »faire Auseinan<strong>der</strong>setzung« mit seinem Werk – und das kann<br />

nur heißen: um die Würdigung seiner künstlerischen Qualitäten und um die angemessene<br />

kunstgeschichtliche Einordnung. We<strong>der</strong> Stolz noch Erbitterung spricht<br />

aus den Worten des Achtzigjährigen, son<strong>der</strong>n eine Verletztheit, die sich nicht zu wehren<br />

vermag, aber auch Ohnmacht gegenüber dem eigenen Versagen und gegenüber<br />

einer Feindseligkeit, die nicht selten in Hass umgeschlagen ist.<br />

Brekers Memoiren enthalten nicht nur viele faszinierende anekdotische Portraits bedeuten<strong>der</strong><br />

Künstler wie etwa Cocteau, Maillol und Brancusi, wir verdanken ihnen<br />

auch historisch und soziologisch aufschlussreiche Einblicke in das Paris <strong>der</strong> zwanziger<br />

Jahre und in die internen Machtkämpfe prominenter Nationalsozialisten. Vor allem<br />

aber haben wir es mit einem literarischen Werk zu tun, das interpretiert werden will,<br />

denn mehr noch als das Erzählte verraten die Komposition einzelner Abschnitte und<br />

Kapitel, die thematische Akzentsetzung und die Erzählstrategie etwas über Brekers<br />

wi<strong>der</strong>sprüchliches Selbstverständnis, seine Schuldgefühle und seine Ohnmacht. Brekers<br />

Memoiren bestehen aus vier Abschnitten, <strong>der</strong>en jeweiliger Umfang sich erheblich unterscheidet.<br />

Den umfangreichsten Teil bilden mit <strong>250</strong> Seiten seine Erinnerungen an<br />

Begegnungen und Erlebnisse im Dritten Reich, während er den Pariser Jahren und <strong>der</strong><br />

Nachkriegszeit jeweils nur fünfzig Seiten gewidmet hat. So zeigt nicht nur <strong>der</strong> Titel des<br />

Buches, son<strong>der</strong>n auch die Gewichtung seiner Teile, dass die historischen »Ereignisse«<br />

des Dritten Reichs, in <strong>der</strong>en »Strahlungsfeld« <strong>der</strong> Bildhauer geraten war, den thematischen<br />

Schwerpunkt von Brekers Memoiren bilden.<br />

Den Auftakt zum Strahlungsfeld bildet ein nur zwanzig Seiten langer Abschnitt mit<br />

<strong>der</strong> Überschrift Gückhafte Begegnungen. Ohne Rücksicht auf die Chronologie erzählt<br />

Breker von seinen Begegnungen mit zwei Juden, denen er viel verdankte: dem Kunstsammler<br />

Berthold Nothmann, den er 1925 in Düsseldorf kennenlernte, und dem<br />

Maler Max Liebermann, den er 1934 portraitierte und dessen Totenmaske er ein Jahr<br />

später auf Wunsch von Liebermanns Witwe abnahm. Außerdem enthält <strong>der</strong> erste Abschnitt<br />

Brekers Erinnerungen an die Entstehung des Portraits von Friedrich Ebert,<br />

das <strong>der</strong> junge Bildhauer im Auftrag <strong>der</strong> damaligen Regierung und auf Grundlage von<br />

Fotos kurz nach dem Tode des sozialdemokratischen Reichspräsidenten 1927 schuf.<br />

019. zit. nach Herman Lohausen:<br />

Heine ja! Breker nein?,<br />

Kalkum 2011<br />

49<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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Breker beschließt den Auftakt zu seinen Memoiren mit dem Auszug aus einer Ansprache<br />

des französischen Diplomaten Francois Poncet, <strong>der</strong> auf einem Empfang des<br />

Diplomatischen Corps 1938 in Nürnberg Hitler gegenüber seinen Glauben an dessen<br />

Friedenswillen zum Ausdruck brachte.<br />

Wir wissen nicht, was den Industriellen und Kunstsammler Berthold Nothmann<br />

dazu bewog, an einem Sonntagvormittag des Jahres 1925 im Düsseldorfer Atelier des<br />

unbekannten 25jährigen Bildhauers Arno Breker zu erscheinen. Breker jedenfalls<br />

empfand das überraschende Erscheinen des jüdischen Kunstsammlers als ein schieres<br />

Wun<strong>der</strong>: Nothmann betrat das Atelier, erblickte die Tonfassung <strong>der</strong> Sitzenden, an<br />

<strong>der</strong> Breker gerade arbeitete, und entschloss sich, die lebensgroße Figur zu erwerben.<br />

Nothmanns Frage nach dem Preis beantwortete Breker mit 3600 Mark, nachdem er<br />

»die voraussichtlichen Kosten für einen gesicherten einjährigen Paris-Aufenthalt<br />

überschlagen hatte«. 20 Nothmann war einverstanden, »und einige Wochen später war<br />

ich in Paris.« 21 Für Breker ging damit ein Traum in Erfüllung, durch den er recht eigentlich<br />

erst zum Bildhauer wurde. Denn in den Pariser Jahren kam er mit großer europäischer<br />

Gegenwartskunst in Berührung, schuf bedeutende Werke wie die Portraits<br />

des Romanichel und den Matthäus, und er knüpfte lebenslange Freundschaften mit<br />

Schriftstellern und Dichtern. So wurde Frankreich für Breker, <strong>der</strong> die französische<br />

wie die deutsche Sprache beherrschte, zur zweiten Heimat. Aus Brekers Erinnerungen<br />

an Nothmann, mit dem er lange Jahre befreundet war, spricht nicht nur tiefe Dankbarkeit,<br />

son<strong>der</strong>n auch Mitgefühl und Trauer über das Schicksal des Kunstsammlers,<br />

<strong>der</strong> »zu den vielen seiner Glaubensgenossen« 22 gehörte, »die seit Generationen in<br />

Deutschland verwurzelt waren«: 23 1933 verließen Nothmann und seine Frau Düsseldorf<br />

und ließen sich in Berlin nie<strong>der</strong>; von dort aus konnten sie »noch rechtzeitig nach<br />

Amerika entfliehen. Völlig vereinsamt fanden sie hier die letzte Ruhestätte.« 24<br />

020. Strahlungsfeld, S. 16<br />

021. ebd.<br />

022. ebd.<br />

023. ebd.<br />

024. ebd. S. 17<br />

025. ebd. S. 78<br />

026. ebd.<br />

027. ebd.<br />

028. ebd. S. 79<br />

Brekers Begegnung mit Max Liebermann im Februar 1934 hatte eine Vorgeschichte.<br />

In den Jahren 1932 und 1933 nahm Breker ein Stipendium in <strong>der</strong> Villa Massimo<br />

in Rom wahr. Nach <strong>der</strong> Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde<br />

Goebbels als <strong>der</strong> erste deutsche Minister von Mussolini in Rom empfangen. Bei dieser<br />

Gelegenheit hielt er vor in Rom lebenden Deutschen eine <strong>Red</strong>e über die Zukunft<br />

Deutschlands, in <strong>der</strong>, wie Breker anmerkt, »die Rassentheorie völlig ausgeklammert« 25<br />

war. Beim sich am nächsten Tag anschließenden Besuch von Goebbels in <strong>der</strong> Villa<br />

Massimo wurden dem Minister die Stipendiaten vorgestellt. »Ob er«, 26 kommentiert<br />

Breker Goebbels’ Erscheinen in dem traditionsreichen Haus, »wohl wußte, daß dieser<br />

Besitz, einst dem Fürsten Massimo gehörend, eine Stiftung des jüdischen Kohlenmagnaten<br />

Arnold an Kaiser Wilhelm II. war, den deutschen Kulturschaffenden zugedacht<br />

wie die Stiftung von Henriette Hertz? Ob er begriff, wie segensreich die Verflechtung<br />

des jüdischen Großkapitals mit <strong>der</strong> deutschen Kultur in <strong>der</strong> Monarchie sich ausgewirkt<br />

hatte?« 27 Goebbels war Breker unsympathisch: »Stark durchfurchte, asketische Züge<br />

erinnerten an den Sektierer Savonarola. Die großen, dunkelbraunen, brennenden<br />

Augen versuchten unaufhörlich, fast penetrant, die Gesinnung seines Gegenübers zu<br />

erforschen.« 28 Wie viele Deutsche, die im Ausland lebten, war Breker durch die neuen<br />

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politischen Verhältnisse in Deutschland verunsichert, auch mehrten sich »besorgte<br />

Briefe aus <strong>der</strong> Heimat, die meine baldige Rückkehr wünschten«. 29 Kurz nach Goebbels’<br />

Auftritt in Rom besuchte <strong>der</strong> mit Breker befreundete Kunsthistoriker Wilhelm<br />

Hausenstein den Bildhauer und führte mit ihm Gespräche über die politische Situation<br />

in Deutschland, zu <strong>der</strong> Breker »keine Beziehung hatte«. 30 Hausenstein, <strong>der</strong> mit<br />

einer Jüdin verheiratet war, war von 1934 bis 1943 leiten<strong>der</strong> <strong>Red</strong>akteur des Literaturblattes<br />

<strong>der</strong> Frankfurter Zeitung. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte er zu den Gründungsmitglie<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung. 1953 schließlich wurde er Botschafter <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik Deutschland in Paris. In den Gesprächen mit Breker versuchte Hausenstein,<br />

den Bildhauer zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen. Sein Argument:<br />

»Sie müssen zurück, um zu retten, was zu retten ist.« 31 Nachdem Hausenstein Rom<br />

verlassen hatte, erhielt Breker einen weiteren überraschenden Besuch: Grete Rings, die<br />

Nichte Max Liebermanns und Inhaberin <strong>der</strong> Galerie Cassirer in Berlin, stand vor <strong>der</strong><br />

Tür, und auch sie versuchte Breker – nicht zuletzt im Namen Max Liebermanns – zur<br />

Rückkehr nach Deutschland zu bewegen: »Sie allein sind dafür prädestiniert, zu retten<br />

was zu retten ist in dieser neuen politischen Lage, und unsere gemeinsamen Freunde<br />

denken wie ich.« 32<br />

Die Würfel waren gefallen: Breker kehrte nach Deutschland zurück. Seine durch<br />

Nothmann vermittelte Begegnung mit Liebermann im Februar 1934 stand von Anfang<br />

an unter einem guten Stern. Liebermann trat dem jungen Bildhauer offen und<br />

herzlich entgegen, und er musste auch bereits eine Vorstellung von Brekers künstlerischen<br />

Qualitäten gewonnen haben, denn schon nach wenigen Augenblicken überraschte<br />

er Breker mit dem Wunsch, von ihm portraitiert zu werden: »Ihre Portraits<br />

sind fabelhaft. Ich sitze Ihnen Modell.« 33 Hatte Breker vor neun Jahren Nothmanns<br />

spontanen Entschluss, die Sitzende zu erwerben, als Beginn seiner Laufbahn als Bildhauer<br />

empfunden, so sah er nun in Liebermanns Auftrag, von dem er »völlig überrumpelt«<br />

34 wurde, einen »verheißungsvollen Anfang« 35 in Deutschland. Das Gespräch<br />

mit Liebermann drehte sich zunächst um künstlerische Fragen. Dabei stellte<br />

sich heraus, dass <strong>der</strong> Maler ein profun<strong>der</strong> Kenner <strong>der</strong> französischen Kunstszene war.<br />

So waren ihm die Werke von Derain, Vlaminck und Segonzac vertraut; Maillol hatte<br />

er sogar persönlich kennengelernt. Bald schon aber kam Liebermann auf politische<br />

Fragen, die ihm beson<strong>der</strong>s am Herz zu liegen schienen. Er machte Breker gegenüber<br />

keinen Hehl aus seiner Ablehnung <strong>der</strong> braunen Machthaber, für die er nur Verachtung<br />

übrig hatte. Sein geflügeltes Wort – »Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich<br />

kotzen möchte«, 36 das sich auf die Nationalsozialisten bezog – führt Breker in dem<br />

Kapitel über Liebermann gleich zweimal an. Liebermanns Kritik erstreckte sich aber<br />

auch auf die deutsche Gegenwartskunst, die – im Unterschied zur französischen –<br />

von »unverdauten Weltanschauungen« 37 triefe. Breker war fortan ein gern gesehener<br />

Gast <strong>der</strong> Liebermanns. Als er mit dem Maler einen Spaziergang auf <strong>der</strong> Charlottenburger<br />

Chaussee unternahm, wurden die beiden Künstler Zeuge eines Aufmarsches<br />

<strong>der</strong> SA. Nachdem Liebermann in Gedanken versunken stehengeblieben war, wandte<br />

er sich an Breker: »Sie müssen in die SA eintreten, müssen Einfluß gewinnen, Sie<br />

bringen das fertig, und ich hoffe, ehe die ganze Bude abbrennt.« 38<br />

029. ebd.<br />

030. ebd.<br />

031. ebd.<br />

032. ebd.<br />

033. ebd. S. 18<br />

034. ebd.<br />

035. ebd.<br />

036. ebd.<br />

037. ebd. S. 19<br />

038. ebd. S. 20<br />

51<br />

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Liebermann hatte nach <strong>der</strong> Bücherverbrennung im Mai 1933 aus Protest gegen die<br />

Kulturpolitik <strong>der</strong> Nationalsozialisten alle öffentlichen Ämter nie<strong>der</strong>gelegt und am 11.<br />

Mai in <strong>der</strong> Centralvereins-Zeitung erklärt: »Ich habe während meines langen Lebens<br />

mit allen meinen Kräften <strong>der</strong> deutschen Kunst zu dienen gesucht. Nach meiner<br />

Überzeugung hat Kunst we<strong>der</strong> mit Politik noch mit Abstammung etwas zu tun, ich<br />

kann daher <strong>der</strong> Preußischen Akademie <strong>der</strong> Künste (…) nicht länger angehören, da<br />

dieser mein Standpunkt keine Geltung mehr hat.« 39 Für Brekers Unvoreingenommenheit<br />

spricht, dass er zu einem Zeitpunkt, da sich – außer Käthe Kollwitz – fast<br />

alle Weggefährten Liebermanns von dem ins gesellschaftliche Abseits geratenen Maler<br />

distanzierten, die Nähe Liebermanns suchte und 1935 dessen Totenmaske abnahm.<br />

Es fällt allerdings auf, dass Liebermann in Brekers Erinnerungen seine Ablehnung <strong>der</strong><br />

Nationalsozialisten we<strong>der</strong> präzisierte noch begründete. Ebenso fällt auf, dass Breker<br />

seinerseits auf Liebermanns Kritik nicht einging. Er hätte den ehemaligen Präsidenten<br />

<strong>der</strong> Preußischen Akademie <strong>der</strong> Künste doch zum Beispiel fragen können, in welcher<br />

Weise er, ein noch wenig bekannter Bildhauer, <strong>der</strong> nach langen Jahren in Paris<br />

und Rom nach Deutschland zurückgekehrt war, kunstpolitisch Einfluss gewinnen<br />

könnte. Breker blieb in dieser Frage Liebermann gegenüber seltsam reserviert und<br />

schien den neuen Machthabern gegenüber weniger ablehnend eingestellt gewesen zu<br />

sein als <strong>der</strong> jüdische Maler. Eine eindeutige Position bezieht Breker allerdings gegenüber<br />

dem Antisemitismus, den er beim Tode Liebermanns im Februar 1935 deutlich<br />

wahrzunehmen glaubte. Als sich <strong>der</strong> Bildhauer auf die Suche nach einem Friseur<br />

begab, <strong>der</strong> den Toten vor <strong>der</strong> Abnahme <strong>der</strong> Totenmaske rasieren sollte, stieß Breker<br />

auf unerwartete Schwierigkeiten: »We<strong>der</strong> die beiden im Augenblick unbeschäftigten<br />

Friseure im gegenüberliegenden Hotel Adlon, in dem Liebermann doch bekannt war,<br />

noch eine Reihe privater Friseure, denen ich meine Bitte mit dem Angebot hoher Bezahlung<br />

vortrug, waren bereit, mir zu helfen. Mit Erbitterung glaubte ich, zum ersten<br />

Male, hinter <strong>der</strong> Ablehnung den direkten Druck antisemitischer Strömung zu<br />

spüren, obwohl eine an<strong>der</strong>e Deutung auch möglich wäre: das Grauen vor <strong>der</strong><br />

Berührung eines Toten.« 40 Schließlich lieh Breker sich von einem »müden, verbrauchten<br />

Wärter in einer unterirdischen öffentlichen Toilettenanlange am Ende <strong>der</strong><br />

Friedrichstraße« 41 die nötigen »Utensilien« 42 und rasierte seinen toten Freund selbst,<br />

bevor er ihm die Totenmaske abnahm.<br />

039. zitiert nach Wikipedia-Artikel<br />

über Max Liebermann<br />

040. Strahlungsfeld, S. 21<br />

041. ebd.<br />

042. ebd.<br />

Ob Brekers Gespräche mit Hausenstein, Rings und Liebermann in <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten<br />

Weise stattgefunden haben, wissen wir nicht. Sicherlich aber haben sie sich um die<br />

neue politische Lage in Deutschland gedreht. Merkwürdig ist allerdings, dass sich<br />

Hausenstein, Rings und Liebermann fast gleichlautend geäußert haben. Davon abgesehen<br />

wird die Wendung »zu retten, was zu retten ist«, aus <strong>der</strong> man schließen<br />

könnte, dass fast alles schon verloren war, zu Beginn des Nazi-Regimes kaum gefallen<br />

sein und erscheint in dieser verzweifelten Zuspitzung eher als eine nachträgliche Projektion<br />

Brekers, die sich dem Wissen um die spätere katastrophale Entwicklung verdankt.<br />

Schon im Auftakt zu seinen Memoiren stilisiert sich <strong>der</strong> Bildhauer zum prospektiven<br />

Retter, dem die Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren, von<br />

Hausenstein, Rings und Liebermann abgenommen wurde. Wie wir sehen werden,<br />

52<br />

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setzte sich Breker im Dritten Reich in <strong>der</strong> Tat immer wie<strong>der</strong> und meistens mit Erfolg<br />

für politisch Verfolgte ein. Und dennoch gewinnt man den Eindruck, dass Breker<br />

schon die ersten Kapitel des Strahlungsfeldes geschrieben hat, um seine spätere Tätigkeit<br />

als Staatsbildhauer – vor sich selbst und vor seinen Lesern – zu rechtfertigen.<br />

Diesem Zweck dienen auch die Kapitel über die Entstehung des Portraits von<br />

Friedrich Ebert und <strong>der</strong> Auszug aus <strong>der</strong> Ansprache des französischen Diplomaten<br />

Francois Poncet, mit denen Breker dem Leser zweierlei vermitteln möchte: dass er<br />

nicht nur nationalsozialistische Politiker portraitiert hat, son<strong>der</strong>n auch den sozialdemokratischen<br />

Reichspräsidenten Friedrich Ebert, und dass nicht nur viele Deutsche,<br />

son<strong>der</strong>n selbst ein hochrangiger französischer Diplomat noch ein Jahr vor Ausbruch<br />

des Zweiten Weltkriegs an Hitlers Willen zum Frieden geglaubt hat – eine<br />

westliche Überzeugung, die bekanntlich zur vergeblichen Politik des Appeasements<br />

auf <strong>der</strong> Konferenz in München 1938 geführt hat.<br />

Breker beginnt seine Erinnerungen an seine Pariser Jahre mit zwei Eindrücken, die für<br />

ihn eng miteinan<strong>der</strong> verwoben sind und auf die er immer wie<strong>der</strong> zurückkommt: dass<br />

er in Paris vor allem deshalb eine zweite Heimat gefunden habe, weil er hier zwischen<br />

den beiden Weltkriegen eine »gegenseitige Toleranz« 43 gespürt habe. Die Fremde erlebte<br />

Breker unverhofft als eigentliche Heimat, und er wird nicht müde, die Vorzüge<br />

Frankreichs überschwenglich zu feiern: »Ist das Tor einmal durchschritten, das zu dem<br />

Lebensgeist dieses Volkes führt, durchströmt die Wärme heimatlicher Geborgenheit<br />

den Körper, und dieses Gebundensein wird nie wie<strong>der</strong> weichen.« 44 Paris war<br />

für Breker aber mehr als eine neue Heimat – es war auch »die hohe Schule <strong>der</strong><br />

Geschmacksbildung«. 45 Die anfänglichen Schwierigkeiten, die Depressionen, die den<br />

jungen Bildhauer überkamen und von denen Brekers Briefe an die Jugendfreundin<br />

und spätere Kunsthistorikern Illa Budde-Fudicka beredtes Zeugnis ablegen, treten im<br />

Nachhinein in den Hintergrund: Breker blickt auf das Paris <strong>der</strong> zwanziger Jahre wie<br />

auf das untergegangene Atlantis zurück – ein Paradies, das unwie<strong>der</strong>bringlich verloren<br />

ist. So sei <strong>der</strong> Montparnasse »ein seliges Traumland des sich Suchens und Findens, ein<br />

täglich allen offenstehendes Paradies« 46 gewesen. Und auch <strong>der</strong> Leser wird von Brekers<br />

Sehnsucht nach <strong>der</strong> »unbändigen Lebensfreude« 47 dieser Jahre ergriffen, die sich<br />

nicht zuletzt einem »für die heutige Zeit unvorstellbaren Desinteresse an materiellen<br />

Gütern« 48 verdankte. Die Einweihung des La Coupole, eines großen Restaurants in<br />

Montparnasse, war für den jungen Künstler »die Sternstunde dieser kosmopolitischen<br />

Welt, in <strong>der</strong> alle Rassen, alle Nationen, friedlich vereint im Schutze Apolls, leidenschaftlich<br />

diskutierten, leidenschaftlich arbeiteten«. 49<br />

Der von Breker in seinen Erinnerungen immer wie<strong>der</strong> beschworene kosmopolitische<br />

Geist <strong>der</strong> Pariser Jahre entsprach durchaus seinem Naturell. So betont <strong>der</strong> mit dem<br />

Bildhauer befreundete Pianist Wilhelm Kempff in seiner im Zusammenhang mit<br />

Brekers Entnazifizierungsverfahren verfassten Eidesstattlichen Erklärung die kosmopolitische<br />

Atmosphäre in Brekers Familie: »In seinem Hause, dessen ganze Atmosphäre<br />

nicht zuletzt durch den Einfluss seiner Gattin (einer Griechin) als ›kosmopolitisch‹<br />

angesprochen werden konnte, herrschte <strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> humanitas. Das<br />

043. ebd. S. 27<br />

044. ebd. S. 28<br />

045. ebd.<br />

046. ebd. S. 38<br />

047. ebd.<br />

048. ebd.<br />

049. ebd. S. 36<br />

53<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

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aufgeschlossene Wesen des Hausherrn, <strong>der</strong> in keiner Weise seine Provenienz aus dem<br />

Rheinland verleugnete, gewann sofort alle Herzen.« 50 Breker spürte, dass »<strong>der</strong> von<br />

Toleranz geprägte Austausch akuter Kunstprobleme« 51 im Paris <strong>der</strong> Zwanziger Jahre<br />

auch seiner eigenen künstlerischen Entwicklung zugute kam, und er erkannte, dass<br />

die kosmopolitische Atmosphäre eine wesentliche Voraussetzung für bedeutende<br />

künstlerische Leistungen war: »Zurückblickend ist man versucht zu glauben, daß die<br />

hohe Blüte wie die große Ernte dieser Jahre allein diesem ununterbrochenen geistigen<br />

Austausch zu danken ist. Man war nicht isoliert, die Tendenz des sich gegenseitigen<br />

Abschließens war nahezu unbekannt. We<strong>der</strong> nationalistische noch Rassenprobleme<br />

tauchten auf. So überspitzt die Formulierung auch klingen mag, <strong>der</strong> Musenberg beherbergte<br />

eine einzige homogene Familie aller Rassen, aller Völker.« 52<br />

Wüsste man nichts von Brekers späterer Karriere als »Hitlers Lieblingsbildhauer«, so<br />

könnte man nach <strong>der</strong> Lektüre <strong>der</strong> ersten Abschnitte des Strahlungsfelds den Eindruck<br />

gewinnen, es handele sich um die Erinnerungen eines Künstlers, <strong>der</strong> dem NS-Regime<br />

gegenüber ablehnend eingestellt war: Breker gibt sich als entschiedenen Gegner des<br />

Antisemitismus und Rassismus zu erkennen, und er trauert <strong>der</strong> kosmopolitischen<br />

Weltoffenheit <strong>der</strong> Stadt an <strong>der</strong> Seine in den zwanziger Jahren nach, wobei er keinen<br />

Zweifel daran lässt, wer diesen paradiesischen Zuständen ein Ende bereitet hat: »Mit<br />

dem Beginn des Zweiten Weltkriegs setzte eine radikale Verän<strong>der</strong>ung ein. Alles, was die<br />

vorherige Situation auszeichnete, rotteten die Begleitumstände des Zweiten Weltkriegs<br />

aus. Der Geist <strong>der</strong> beiden Epochen, herausgefor<strong>der</strong>t durch die politischen Ereignisse,<br />

stand sich diametral gegenüber. Das blieb für den Montparnasse nicht ohne fatale<br />

Konsequenzen. Vergebens sucht man noch einmal, hier und dort alte Gesichter<br />

zu erspähen. Die Wachablösung hat unwi<strong>der</strong>ruflich stattgefunden.« 53 Obwohl<br />

Breker die »radikale Verän<strong>der</strong>ung« 54 in Paris nach dem Einmarsch <strong>der</strong> deutschen Truppen<br />

nicht entgangen ist, findet er keine deutlichen Worte für <strong>der</strong>en Ursachen: die Verfolgung<br />

<strong>der</strong> Juden und die Repressionen <strong>der</strong> Bevölkerung durch die deutsche Besatzungsmacht.<br />

Stattdessen spricht Breker vage von den »Begleitumständen des Zweiten<br />

Weltkriegs«,« 55 auf die er aber nicht näher eingeht. Die Unerbittlichkeit des letzten<br />

Satzes – »Die Wachablösung hat unwie<strong>der</strong>ruflich stattgefunden« 56 – lässt darüber hinaus<br />

keinen Zweifel daran aufkommen, dass <strong>der</strong> Bildhauer vor dem in seinen Augen<br />

ehernen Gang <strong>der</strong> Geschichte kapituliert hat, wenngleich er ihn auch zutiefst bedauert.<br />

050. Archiv Breker-Atelier Düsseldorf,<br />

Wilhelm Kempff, Eidesstattliche<br />

Erklärung vom<br />

1. August 1947 (maschinenschriftlich<br />

mit Unterschrift)<br />

051. Strahlungsfeld, S. 40<br />

052. ebd.<br />

053. ebd. S. 43<br />

054. ebd.<br />

055. ebd.<br />

056. ebd.<br />

Warum, so mag sich <strong>der</strong> Leser fragen, betont Breker immer wie<strong>der</strong> die kosmopolitische<br />

Atmosphäre und die Weltoffenheit von Paris zwischen den beiden Weltkriegen?<br />

Geht es ihm nicht darum, sich gegen das in <strong>der</strong> bundesrepublikanischen Öffentlichkeit<br />

entstandene Bild vom ideologisch linientreuen »Nazi-Bildhauer« zu wehren und<br />

dem Leser eine Vorstellung von seinem eigentlichen Naturell zu vermitteln, dem das<br />

kosmopolitische Paris in <strong>der</strong> Tat mehr entsprochen haben dürfte als die ideologische<br />

Borniertheit und <strong>der</strong> menschenverachtende Judenhass <strong>der</strong> Nationalsozialisten?<br />

In einem an<strong>der</strong>en Kapitel über die Pariser Jahre reflektiert Breker über das individuelle<br />

Schicksal, das jedem Menschen vorgezeichnet sei und dem er nicht entrinnen<br />

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könne. Der mit Breker befreundete jüdische Maler Arnthal und seine Frau waren<br />

Anfang <strong>der</strong> dreißiger Jahre auf die jugoslawische Insel Korcula ausgewan<strong>der</strong>t. Da die<br />

jugoslawische Regierung 1939 die deutschen Judengesetze übernahm, erhielten Arnthals<br />

einen Ausweisungsbefehl. Doch gelang es Breker, durch den mit ihm befreundeten<br />

jugoslawischen Außenminister Cinar-Markowitsch für Arnthal und seine Familie<br />

eine Ausnahmegenehmigung zu erwirken. Obwohl die Inselgruppen vor <strong>der</strong> Adriaküste<br />

vom Krieg verschont blieben, fiel <strong>der</strong> Schatten des Krieges schließlich auch auf<br />

die Arnthals: »Beim Rückzug <strong>der</strong> deutschen Truppen geschah das Unerwartete: Partisanen<br />

landeten auf <strong>der</strong> Insel, beide Freunde wurden als mutmaßliche Spione umgebracht.<br />

Ein erschütterndes Beispiel dafür, daß trotz aller vorbeugenden Maßnahmen<br />

niemand dem zugedachten Schicksal entrinnen kann.« 57<br />

Brekers Formulierung gewinnt Authentizität und Gewicht, wenn man sie auf den<br />

Bildhauer selbst bezieht, was <strong>der</strong>en ausdrückliche Allgemeingültigkeit ja auch nahelegt.<br />

Es wird hier deutlich, dass Breker seine Karriere als Staatsbildhauer des Dritten<br />

Reichs, aber auch seine spätere Verfemung in <strong>der</strong> Bundesrepublik als unausweichliches<br />

Schicksal betrachtet, dem zu entkommen nicht in seiner Macht lag. Und<br />

spricht am Ende nicht eine leise, nie eingestandene Verzweiflung aus Brekers Sätzen?<br />

Wir haben gesehen, dass Breker schon die ersten Kapitel des Strahlungsfelds aus einer<br />

retrospektiven Sicht geschrieben hat, in <strong>der</strong> er sich vor sich selbst und vor seinen<br />

Lesern für seine Entscheidung, als Staatsbildhauer für Hitler zu arbeiten, zu rechtfertigen<br />

sucht. Zum Bild, das Breker von sich selbst entwirft, gehört zum einen, dass<br />

er von Kritikern <strong>der</strong> braunen Machthaber wie Hausenstein, Rings und Liebermann<br />

zur Rückkehr nach Deutschland bewogen wurde, um die neue Kunstpolitik positiv<br />

zu beeinflussen. Zum an<strong>der</strong>en versucht Breker, dem Leser seine Einsichten in die Unabän<strong>der</strong>lichkeit<br />

historischer Ereignisse wie dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs<br />

und in die Unentrinnbarkeit vor dem eigenen Schicksal zu vermitteln. Sind diese<br />

Überzeugungen aber nicht vor allem Verweise auf Brekers Ohnmacht <strong>der</strong> eigenen<br />

Schuld gegenüber, für die <strong>der</strong> Bildhauer keinen an<strong>der</strong>en Ausweg gefunden hat als<br />

die beschriebenen Strategien <strong>der</strong> Rechtfertigung?<br />

Doch finden sich im Strahlungsfeld nicht nur mehr o<strong>der</strong> weniger gut getarnte<br />

Rechtfertigungsstrategien, Breker wirbt auch durch Vergleiche mit an<strong>der</strong>en Künstlern,<br />

die sich in einer ähnlichen Lage befanden wie er, um Nachsicht für seine Verstrickung<br />

ins Dritte Reich und für seine politischen Irrtümer. Das gilt vor allem für<br />

Brekers recht ausführlichen Abschnitt über den französischen Bildhauer Jean Baptiste<br />

Carpeaux, <strong>der</strong> von 1827 bis 1875 lebte. Im Kapitel »Im besetzten Frankreich« widmet<br />

Breker neben Carpeaux auch noch Rodin, Maillol und Bourdelle eigene Abschnitte.<br />

Warum aber, so fragt sich <strong>der</strong> Leser, schil<strong>der</strong>t Breker Carpeaux’ Leben mit<br />

einer geradezu leidenschaftlichen persönlichen Anteilnahme – als stünde sein eigenes<br />

Leben auf dem Spiel – und beschränkt sich nicht auf eine kunstgeschichtliche Würdigung<br />

seines Werkes, von dem Rodin und Maillol beeinflusst wurden? Und in <strong>der</strong><br />

Tat kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Breker sich in Carpeaux<br />

gleichsam wie<strong>der</strong>erkennt, dass er das wechselvolle Leben des Franzosen als Vorwegnahme<br />

seines eigenen Schicksals begreift. 057. ebd. S. 35<br />

55<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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Breker eröffnet den Abschnitt über Carpeaux mit einem bewun<strong>der</strong>nden Blick auf<br />

Paris, das <strong>der</strong> Plastik »immer ein vitales Interesse entgegengebracht hat«.« 58 Das werde<br />

nicht allein an den unzähligen in Parkanlagen aufgestellten Skulpturen deutlich, son<strong>der</strong>n<br />

komme auch in <strong>der</strong> Verantwortung des Staates für seine Bildhauer zum Ausdruck.<br />

Breker führt Beispiele an. So habe <strong>der</strong> französische Kultusminister Malraux das<br />

Werk Maillols im Garten <strong>der</strong> Tuileries aufstellen lassen »und somit dem grandiosen<br />

Gesamtwerk eine einmalige Stätte des Wirkens« 59 gesichert. Ähnliches gelte auch für<br />

das Rodin-Museum, habe doch auch hier <strong>der</strong> französische Staat die Voraussetzung<br />

dafür geschaffen, »das in seiner Vielfalt kaum zu erfassende Lebenswerk <strong>der</strong> Nachwelt<br />

sichtbar zu machen«. 60 Und schließlich habe sich Frankreich mit <strong>der</strong> »gleichen,<br />

großen, schützenden Geste« 61 des Bildhauers Antoine Bourdelle angenommen und<br />

sein ehemaliges Atelier zum Museum umgebaut. Hinter all diesen Beispielen – Breker<br />

erwähnt auch die ehemaligen Ateliers von Brancusi und Despiau, die als Museen besichtigt<br />

werden können – steht Brekers Sorge um das Schicksal des eigenen Schaffens<br />

und die berechtigte Befürchtung, von Deutschland keine För<strong>der</strong>ung seines Werkes<br />

erwarten zu dürfen, wie Frankreich sie seinen Bildhauern angedeihen lässt.<br />

Es war wohl die Sorge um das eigene Werk und die vergebliche Hoffnung auf eine<br />

»schützende Geste« des Staates, die Breker den Gedanken eingab, auf Leben und Werk<br />

des Bildhauers Jean Baptiste Carpeaux einzugehen, in dem er einen mit sich vergleichbaren<br />

Günstling eines Diktators – Napoleons III. – sah, dessen Werke aber nach dem<br />

Sturz des Kaisers von den Franzosen in ihrer künstlerischen Bedeutung weiterhin gewürdigt<br />

wurden.<br />

058. ebd. S. 217<br />

059. ebd.<br />

060. ebd.<br />

061. ebd.<br />

062. ebd. S. 219<br />

063. ebd. S. 220<br />

064. ebd. S. 221<br />

065. ebd.<br />

066. ebd.<br />

067. ebd.<br />

068. ebd.<br />

069. ebd.<br />

070. ebd.<br />

071. ebd.<br />

072. ebd.<br />

073. ebd.<br />

Nachdem Breker auf die lange bildhauerische Tradition hingewiesen hat, die vom<br />

antiken Griechenland und den Römern bis zur italienischen Renaissance gereicht<br />

habe und auch im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t nicht abgerissen sei, geht er auf prägende Lebensstationen<br />

von Carpeaux ein, ohne dabei dessen Werk aus dem Blick zu verlieren.<br />

Trotz schwerer und entbehrungsreicher Kindheit und Jugend habe Carpeaux’ »fanatische<br />

Hingabe an seine künstlerische Arbeit« 62 und sein »unerschütterlicher Glaube<br />

an seine Begabung« 63 ihm zu seinem späteren beruflichen Erfolg verholfen. Er wurde<br />

Schüler des auch von Breker bewun<strong>der</strong>ten Bildhauers Francois Rude, <strong>der</strong> das Relief<br />

Aufruf zum Kampf am Pariser Arc de Triomphe schuf. Carpeaux’ – wie auch Brekers –<br />

»entscheidendes künstlerisches Erlebnis« 64 war aber »das große in Rom sichtbare<br />

Werk Michelangelos«, 65 das <strong>der</strong> Franzose »mit inbrünstiger Hingabe studierte«. 66<br />

Neben dem künstlerischen Eindruck sei die »leidgeprüfte heroische Erscheinung<br />

Michelangelos« 67 für Carpeaux’ »gefährliche Seelenlage« 68 ein »retten<strong>der</strong> Anker« 69<br />

gewesen, habe <strong>der</strong> Bildhauer doch zeitlebens unter »tiefen Depressionen« 70 gelitten,<br />

»die schwere gesundheitliche Krisen hervorriefen«. 71 Der Absturz aus »jauchzenden<br />

Höhen« 72 in »tiefe Depressionen« 73 war Breker durchaus vertraut. Wie wir seinen<br />

bislang unveröffentlichten Briefen an seine Jugendfreundin Illa Budde-Fudicka entnehmen<br />

können, litt Breker vor allem in den Pariser Jahren oft an depressiven Verstimmungen.<br />

Bevor Breker auf Carpeaux’ Begegnung mit Napoleon III. eingeht, charakterisiert er<br />

56<br />

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dessen künstlerischen Stil – eine Beschreibung, bei <strong>der</strong> man unweigerlich an Brekers<br />

eigene Arbeiten denkt. So betont er Carpeaux’ »Versenkung des Studiums nach <strong>der</strong><br />

Natur und unermüdliches Ringen, sich in die Gesetze ihrer unbegrenzten Erscheinungsformen<br />

zu vertiefen«. 74 Und Breker fügt hinzu: »Bei ihm handelt es sich nicht<br />

um eine flache Idealisierung des Menschenbildes in <strong>der</strong> Richtung des Schönen und<br />

Gefälligen, son<strong>der</strong>n gerade die Hingabe an die Natur gibt seiner Auffassung reiche<br />

Nahrung und bewahrt ihn vor <strong>der</strong> Gefahr, in die Nivellierung akademischer Ausdrucksformen<br />

abzugleiten.« 75 Scheint Breker in diesen Sätzen sein eigenes künstlerisches<br />

Glaubensbekenntnis zu formulieren, so erstaunen die Parallelen im Leben <strong>der</strong><br />

beiden Bildhauer nicht weniger. So freundete sich Carpeaux mit dem Hofmarschall<br />

<strong>der</strong> Kaiserin an, <strong>der</strong> ihn Napoleon III. vorstellte. Wir werden sehen, dass auch Breker<br />

seine persönliche Bekanntschaft mit Hitler und seine Karriere als Staatsbildhauer<br />

einem späteren Freund verdankte: Albert Speer. Carpeaux wurde zum Hofkünstler<br />

des Kaisers und hielt, so Breker, »das berauschende Leben <strong>der</strong> großen gesellschaftlichen<br />

Ereignisse am Hof in unzähligen Zeichnungen und Gemälden« 76 fest,<br />

»unschätzbaren Zeitdokumenten von historischem wie künstlerischem Wert«. 77<br />

Napoleon III. wurde 1871 in <strong>der</strong> Schlacht von Sedan von preußischen Truppen gefangen<br />

genommen und nach Kassel auf Schloss Wilhelmshöhe verbracht. In Paris<br />

wurde er durch die Ausrufung <strong>der</strong> Dritten Republik als Kaiser abgesetzt. Von Kassel<br />

aus begab er sich nach England ins Exil. Aber auch Carpeaux, dem »das revolutionäre<br />

Paris, angefeuert durch talentlose Kollegen«, 78 nach dem Leben trachtete, floh nach<br />

England. Den geradezu tödlichen Hass auf den Bildhauer erklärt sich Breker folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

»Durch sein Werk, seine erzielten Erfolge, ist er mit dem zu Ende gegangenen<br />

Regime identisch.« 79 Dieser Satz mag zwar auf Carpeaux zutreffen, noch mehr<br />

aber bezieht er sich – unausgesprochen – auf Breker selbst, <strong>der</strong> sich in Carpeaux<br />

wie<strong>der</strong>erkennt. Denn wie kein an<strong>der</strong>es Werk eines im Dritten Reich tätigen Künstlers<br />

wird Brekers Schaffen bis heute mit dem Regime und dessen Ideologie gleichgesetzt.<br />

Im Unterschied zu Breker wurde Carpeaux allerdings nur vorübergehend von den<br />

politischen Turbulenzen in Mitleidenschaft gezogen: Der französische Bildhauer war<br />

nicht nur in London »hochgeachtet«,« 80 son<strong>der</strong>n wurde bereits im Herbst 1874 auch<br />

wie<strong>der</strong> in Paris ausgestellt: »Der Erfolg bleibt ihm treu und beweist, daß die Rankünen<br />

vergessen sind. Kein Schatten fällt mehr auf ihn wegen seiner Verbindung mit<br />

<strong>der</strong> kaiserlichen Familie, mit <strong>der</strong> politischen Vergangenheit <strong>der</strong> Monarchie.« 81<br />

Wie je<strong>der</strong> historische Vergleich, so sind auch die von Breker dem Leser nahegelegten<br />

Vergleiche problematisch: Napoleon III. war nicht Hitler, und Breker ist 1945 nicht<br />

ins Exil gegangen, auch wenn er sich im bayerischen Wemding, wo er Zuflucht gesucht<br />

hatte, so gefühlt haben mochte. Darauf kommt es aber auch nicht an. Entscheidend<br />

ist vielmehr, dass Breker mit seiner subjektiven Darstellung von Carpeaux’<br />

Leben und Werk beim Leser dafür werben möchte, sein eigenes Werk unabhängig<br />

von seiner Verstrickung ins Dritte Reich zu würdigen, wie es bei dem Günstling<br />

Napoleons III. möglich gewesen war. Vor allem aber treibt Breker – das belegt <strong>der</strong><br />

Anfang des Abschnitts – die Sorge um die Zukunft seines Werkes um, dem nach<br />

074. ebd. S. 212<br />

075. ebd.<br />

076. ebd. S. 223<br />

077. ebd.<br />

078. ebd. S. 225<br />

079. ebd.<br />

080. ebd. S. 226<br />

081. ebd.<br />

57<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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1945 we<strong>der</strong> ein Platz in <strong>der</strong> Kunstgeschichte noch in einem Museum zugestanden<br />

wurde. 82<br />

Im April 1934 trat Breker von Rom aus seine Reise nach Deutschland an, die ihn<br />

über Venedig nach München führte, wo sein Zug am frühen Morgen um fünf Uhr<br />

eintraf. In Deutschland vermisste <strong>der</strong> Bildhauer nicht nur die »heitere Klarheit, die<br />

noch Venedig verzaubert hatte«, 83 er wurde auch Zeuge eines Aufmarsches <strong>der</strong> SA,<br />

<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>sprüchliche Gefühle in ihm weckte: »Der frühen Stunde des Tages entsprechend,<br />

hatte ich die Stadt fast für mich allein, nur einzelne Radfahrer brachten etwas<br />

Leben in die Szene. Doch bald kam das Geräusch einer marschierenden Truppe<br />

näher und näher. Ich wartete und sah eine Marschkolonne in Sechserreihen meine<br />

Richtung einschlagen. Zum ersten Male erlebte ich die Formation <strong>der</strong> SA. Dominierend<br />

waren die 40- bis 60jährigen; das Käppi mit dem Riemen am Kinn befestigt,<br />

das braune Hemd mit <strong>der</strong> roten Armbinde, darauf das Hakenkreuz, schwarze hohe<br />

Stiefel, so marschierten sie stumm, ernst geradeaus schauend, ohne jede Anteilnahme<br />

an dem, was um sie herum geschah. Die Wucht <strong>der</strong> in strenger Ordnung marschierenden<br />

Masse hatte etwas beängstigend Eindrucksvolles. Eine unheimliche, unsichtbare<br />

Macht schien sie zu führen. Eine neue Welt brach auf, <strong>der</strong>en Herkunft, Zielsetzung,<br />

Umfang mein Aufnahmevermögen überstieg.« 84<br />

082. Dass es Breker gelang, den<br />

Skulpturenpark auf seinem<br />

Düsseldorfer Anwesen 1979<br />

unter Denkmalschutz stellen<br />

zu lassen, verdankt sich ebenfalls<br />

seiner Sorge um sein<br />

Werk.<br />

083. Strahlungsfeld, S. 80<br />

084. ebd.<br />

In ihrer Irrealität könnte die von Breker beschriebene Szene aus einem Roman von<br />

Kafka stammen: Auf den in <strong>der</strong> menschenleeren Großstadt verlorenen Künstler<br />

kommt plötzlich eine Formation <strong>der</strong> SA zu. Die »Wucht« <strong>der</strong> marschierenden Männer,<br />

die sich ernst, entschlossen und schweigsam auf ein unbestimmtes, offenbar nur<br />

ihnen bekanntes Ziel zubewegen, empfindet <strong>der</strong> Bildhauer als Bedrohung, doch zugleich<br />

geht eine rätselhafte Faszination von den Marschierenden aus, <strong>der</strong> er sich –<br />

auch um den Preis des Selbstverlusts – nicht zu entziehen vermag, verspürt er doch<br />

eine »unheimliche, unsichtbare Macht«, von <strong>der</strong> die Männer beherrscht werden und<br />

die dem unwirklichen Geschehen Sinn zu verleihen scheint. Breker begegnet in<br />

München in den frühen Morgenstunden Marionetten des Zeitgeistes, die ihm mit einem<br />

Schlag den Anbruch einer »neuen Welt« vermitteln, von <strong>der</strong>en Existenz er bislang<br />

nichts ahnte. Der Bildhauer liefert sich <strong>der</strong> rätselhaften blinden Macht um so<br />

mehr aus, als es sich vor allem um eine ästhetische Wahrnehmung handelt: Den ideologischen<br />

und antisemitischen Hintergrund blendet Breker aus, und auch später wird<br />

er ihn marginalisieren. Das Zitat offenbart das Dilemma unzähliger Menschen zu<br />

Beginn des Dritten Reichs, die we<strong>der</strong> konfessionell noch weltanschaulich gebunden<br />

waren, die nicht durch eine tiefere Verwurzelung im Christentum o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> sozialdemokratischen<br />

Arbeiterbewegung <strong>der</strong> Verführung durch den Nationalsozialismus zu<br />

wi<strong>der</strong>stehen vermochten. Das Zitat macht aber auch deutlich, dass es we<strong>der</strong> die nationalsozialistische<br />

Ideologie noch gar <strong>der</strong> in den Holocaust führende Antisemitismus<br />

waren, von denen Breker sich angezogen fühlte, son<strong>der</strong>n die von Hitler versprochene<br />

Überwindung <strong>der</strong> ausweglos erscheinenden gesellschaftlichen und politischen Krise<br />

zu Beginn <strong>der</strong> dreißiger Jahre. Breker wird sich treu bleiben: Auch als Staatsbildhauer<br />

des Dritten Reiches, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, ist er für Blut- und Boden-<br />

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Mystik á la Rosenberg und die menschenverachtende Rassenideologie <strong>der</strong> Nazis unempfänglich.<br />

So ist keine einzige antisemitische Äußerung Brekers überliefert.<br />

Vorerst aber tat sich Breker schwer in Deutschland, ganz zu schweigen von einer kunstpolitischen<br />

Einflussnahme, wie sie Max Liebermann vorgeschwebt hatte. Das hing<br />

auch damit zusammen, dass <strong>der</strong> Bildhauer in Deutschland keine gute Presse hatte und<br />

als »Franzose« auf Ablehnung stieß. Da Breker sich mit wenigen Portraitaufträgen mehr<br />

schlecht als recht über Wasser hielt, geriet er finanziell bald in »ernste Bedrängnis«. 85<br />

Eine Rückkehr nach Paris, die Breker und seine Frau erwogen, schien wenig verheißungsvoll,<br />

denn auch in <strong>der</strong> Stadt an <strong>der</strong> Seine waren die »sogenannten goldenen<br />

Jahre vorüber«. 86 Nach kleineren Aufträgen für staatliche Institutionen wie das Reichsministerium<br />

<strong>der</strong> Finanzen und die Versuchsanstalt für Luftfahrt beteiligte sich Breker<br />

erfolgreich am Wettbewerb für die künstlerische Gestaltung des Olympiastadions, in<br />

dem 1936 die XI. Internationalen Olympischen Spiele stattfinden sollten. Breker erhielt<br />

von <strong>der</strong> Jury den Auftrag, zwei 3,25 m große Plastiken für die Hochschule für<br />

Leibesübungen zu schaffen, wo man noch heute den Zehnkämpfer und die Siegerin betrachten<br />

kann. Das Modell für den Zehnkämpfer war <strong>der</strong> Leichtathlet Gustav Stührk,<br />

<strong>der</strong> Breker noch für an<strong>der</strong>e Plastiken Modell stehen sollte – so für den Sieger, den<br />

Olympischen Fackelträger, den Wager, den Kün<strong>der</strong>, den Herold, die Berufung und die<br />

Bereitschaft. Wenn Breker die Begegnung mit Stührk als eine »Sternstunde« 87 seines<br />

»künstlerischen Daseins« 88 bezeichnet, so macht diese Wendung deutlich, in welch<br />

hohem Maße <strong>der</strong> Bildhauer auf Modelle angewiesen war, ja dass von ihnen das Gelingen<br />

eines Werkes abhängen konnte. Nach Beendigung <strong>der</strong> Olympischen Spiele wurden<br />

die an <strong>der</strong> Olympiade beteiligten Sportler und Künstler zu einem Empfang in die<br />

Reichskanzlei geladen, <strong>der</strong> in »ungezwungener Atmosphäre« 89 verlief. Bei dieser Gelegenheit<br />

lernte Breker Adolf Hitler persönlich kennen – und war von <strong>der</strong> Begegnung<br />

enttäuscht. Denn es stellte sich heraus, dass Hitler offensichtlich zu keinem eigenen<br />

Urteil über Brekers Plastiken gelangt war, son<strong>der</strong>n sich <strong>der</strong> »abwertenden Kritik« 90<br />

in <strong>der</strong> Presse anschloss, die den Zehnkämpfer und die Siegerin für »Kopien nach <strong>der</strong><br />

Antike« 91 hielten. Breker machte aus seiner Enttäuschung kein Hehl und wi<strong>der</strong>sprach<br />

Hitler: »Nein, mein Führer, meine beiden Bronzen im Reichssportfeld sind Portraits<br />

nach hervorragenden Sportlern.« 92 Brekers Enttäuschung über Hitlers Urteil, das<br />

womöglich gar nicht so abwertend gemeint war, und seine »Gewißheit, daß meine<br />

Möglichkeiten weiterzukommen verbaut waren« 93 lassen keinen Zweifel daran aufkommen,<br />

dass sich <strong>der</strong> Bildhauer von <strong>der</strong> Begegnung mit Hitler viel versprochen hatte:<br />

weitere Aufträge, vielleicht auch eine erfolgreiche Karriere, <strong>der</strong>entwegen er ja nach<br />

Deutschland zurückgekommen war. Obwohl Breker als späterer Staatsbildhauer zweifellos<br />

zu den Großverdienern im Dritten Reich gehörte, täte man ihm aber unrecht,<br />

wollte man ihm lediglich pekuniäre Interessen unterstellen. Davon abgesehen, dass<br />

ein Bildhauer allein im Hinblick auf die Materialkosten auf öffentliche Aufträge angewiesen<br />

ist, war Breker in Rom und Florenz von <strong>der</strong> Vision eines lebendigen Zusammenspiels<br />

von Architektur und Plastik in einer Weise ergriffen worden, die ihn nicht<br />

mehr losließ: »In Rom und Florenz fand ich alles das verwirklicht, was sich in <strong>der</strong> Vereinigung<br />

von Architektur und Plastik innerhalb einer Stadt erträumen läßt, für jeden<br />

085. ebd. S. 85<br />

086. ebd.<br />

087. ebd. S. 86<br />

088. ebd.<br />

089. ebd. S. 90<br />

090. ebd.<br />

091. ebd.<br />

092. ebd.<br />

093. ebd.<br />

59<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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sichtbar, einbezogen in das Leben, eine überwältigende Fülle <strong>der</strong> herrlichsten Plätze<br />

und Brunnen, Kirchen und Paläste, und immer wie<strong>der</strong>: Figuren, Plastiken, aus Marmor<br />

o<strong>der</strong> Bronze.« 94<br />

Erst in <strong>der</strong> Nachkriegszeit, in seinen Briefen an den mit ihm befreundeten Kunsthistoriker<br />

Albert Buesche, wird sich Breker von dieser Vision lösen und wie<strong>der</strong> einen<br />

Sinn für die Eigenständigkeit <strong>der</strong> Plastik gewinnen, den er ja schon in seiner Pariser<br />

Zeit besessen hatte.<br />

094. ebd. S. 74<br />

095. ebd. S. 90<br />

096. ebd. S. 93<br />

097. ebd. S. 94<br />

098. ebd. S. 93<br />

099. ebd. S. 212<br />

100. ebd. S. 93<br />

101. ebd. S. 94<br />

Nachdem Breker von Goebbels 1936 den Auftrag erhalten hatte, neben dem Portrait<br />

des Reichspropagandaministers eine »größere Plastik für den Garten des Propagandaministeriums<br />

zu schaffen« 95 – es handelte sich um den Prometheus – wurde es wie<strong>der</strong><br />

still um den Bildhauer. Erst zwei Jahre später, an einem »grau verhangene(n) Novembertag<br />

1938«, 96 trat Albert Speer an Breker heran und bat ihn zu einer Unterredung<br />

in die »Preußische Akademie <strong>der</strong> Künste«. Die Begegnung des Bildhauers mit dem<br />

Architekten und späteren Rüstungsminister war <strong>der</strong> Beginn einer zwischen Nähe<br />

und Distanz changierenden Freundschaft, die bis zum Tode Speers im Jahre 1981<br />

währte. Schon bei ihrer ersten Begegnung traten die charakterlichen Unterschiede<br />

bei<strong>der</strong> Künstler klar zutage: Mit seiner für den Rheinlän<strong>der</strong> bezeichnenden Unbefangenheit<br />

und Offenheit stieß Breker bei Speer auf eine Reserviertheit und Einsilbigkeit,<br />

die ihm auch später immer wie<strong>der</strong> Rätsel aufgeben sollte: »Erstmals stand ich<br />

Albert Speer gegenüber. Er war von stattlicher Größe, hatte dunkelbraune Augen in<br />

einem mächtigen, in <strong>der</strong> Breite sich ausdehnenden, mit schütterem Haar bedeckten<br />

Schädel. Die Begrüßung war knapp, eher musternd als entgegenkommend.« 97<br />

Breker beginnt das Kapitel über die ihm von Speer vermittelten Staatsaufträge mit<br />

einem Paukenschlag: Er dankt seinem Freund ausdrücklich »noch heute, daß er mich<br />

nicht über Einzelheiten informierte und darüber, welch ungeheures Konto zu begleichen<br />

unserem Volk und uns noch vorbehalten war.« 97 Immer wie<strong>der</strong> hatte Speer in<br />

dunklen Prophezeiungen Brekers Verfemung nach dem Zusammenbruch des Dritten<br />

Reiches, an dem für den Rüstungsminister offenbar kein Zweifel bestand, antizipiert.<br />

So hatte Speer schon anlässlich von Brekers Pariser Ausstellung im Jahre 1942 dem<br />

Bildhauer gegenüber die Bemerkung fallen lassen: »Wer weiß, ob Du Deine Arbeiten<br />

jemals wie<strong>der</strong> in einem so vollendeten Rahmen ausstellen wirst.« 99 Und in <strong>der</strong> Tat<br />

sollte Speer recht behalten. Geradezu hellsichtig war Speers Voraussage kurz vor<br />

Kriegsende, »daß nicht einmal ein Hund jemals wie<strong>der</strong> aus meinen Händen fressen<br />

würde.« 100<br />

Wir wissen heute, dass sich Speers dunkle Andeutungen auf den Genozid an den<br />

Juden bezogen – eine Wahrheit, die er seinem Freund nicht offen zumuten wollte.<br />

Verblüffend allerdings ist Brekers Naivität, mit <strong>der</strong> er das Verbleiben in <strong>der</strong> Unwahrheit,<br />

das er Speer verdankte, als Voraussetzung seiner künstlerischen Produktivität<br />

nachträglich bejaht: eine Verabsolutierung des künstlerischen Schaffens, wie es uns<br />

aus vielen Künstlerbiographien von Gründgens bis Furtwängler vertraut ist.<br />

Im November 1938, als Breker von Speer »ungeheure Aufgaben« 101 in Aussicht<br />

gestellt wurden, genauer: in <strong>der</strong> Nacht vom 9. auf den 10. November, begingen in<br />

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ganz Deutschland Nationalsozialisten die Pogrome gegen jüdische Mitbürger und<br />

Einrichtungen, bei denen über 1400 Synagogen und Tausende jüdische Geschäfte,<br />

Wohnungen und Friedhöfe zerstört und geschändet wurden. Für viele war die sogenannte<br />

Reichskristallnacht ein einschneidendes Erlebnis, das ihnen die Augen für<br />

den verbrecherischen Charakter des Nationalsozialismus öffnete. So wurde etwa <strong>der</strong><br />

von Breker 1982 portraitierte Ernst Jünger, <strong>der</strong> sich freilich schon lange vor Hitlers<br />

Machtergreifung von <strong>der</strong> NSDAP und ihren Presseorganen distanziert hatte, von den<br />

Pogromen zu seiner Wi<strong>der</strong>standsparabel Auf den Marmorklippen angeregt, die 1939<br />

erschien. Aber auch die <strong>der</strong> Sozialdemokratie verbundene Käthe Kollwitz wurde nach<br />

<strong>der</strong> Reichspogromnacht zur entschiedenen Gegnerin Hitlers. So beschließt die greise<br />

Künstlerin ihre 1943, zwei Jahre vor ihrem Tod, abgeschlossenen autobiographischen<br />

Aufzeichnungen mit den folgenden Eindrücken, die sich auf die NS-Bewegung beziehen:<br />

»Karl (ihr Gatte; R.H.) half mir wohl, indem er versuchte, das, was er an <strong>der</strong><br />

Bewegung gut fand, anzuerkennen, ja zu würdigen. Und das war nicht wenig. Im<br />

Ganzen aber konnten wir nicht mitgehen, mußten im Gegenteil durchaus ablehnen.<br />

Als <strong>der</strong> Pogrom war – im Jahre 1938 –, war ich in meinem Atelier in <strong>der</strong> Klosterstraße.<br />

Ich ging von da aus in die Königstraße, wo das ganze Unheil schon geschehen<br />

war. Als ich nach Hause kam, war Karl auch fort, er war nach dem jüdischen Viertel<br />

gegangen. Es war eine <strong>der</strong> schlimmsten Sachen, die ich erlebt habe. Karl berichtete<br />

mir, was er gesehen hatte. Mitunter konnte er nicht weitersprechen.« 102<br />

Die Verbrechen des 9. November 1938 finden bei Breker keine Erwähnung –<br />

ganz zu schweigen von dem die Sprachlosigkeit streifenden Entsetzen von Karl und<br />

Käthe Kollwitz.<br />

»In einem Zustand höchster Euphorie« 103 und »in wenigen Minuten« 104 skizzierte<br />

<strong>der</strong> Bildhauer nach <strong>der</strong> ersten Begegnung mit Speer, <strong>der</strong> ihm ein Modell <strong>der</strong> im neoklassizistischen<br />

Stil entworfenen Reichskanzlei gezeigt hatte, noch im Bus die beiden<br />

Plastiken für den Innenhof: »Den Mann des Geistes – durch die Fackel dargestellt –<br />

und als Verteidiger des Reiches den Mann mit dem Schwert.« 105 Es war Hitler, <strong>der</strong><br />

später beide Figuren in »Partei« und »Wehrmacht« umbenannte. Und auch nach <strong>der</strong><br />

zweiten Unterredung mit Speer, die wie<strong>der</strong> »preußisch kühl« 106 und »ohne jedes<br />

Pathos« 107 verlief, entwarf Breker auf dem Rückweg im Bus den Brunnen für die<br />

»Achse«, die zentrale Allee in Berlin, die in den »Großen Bogen« münden sollte:<br />

»Ich bestieg meine gewohnte Plattform und träumte, zog Block und Bleistift aus <strong>der</strong><br />

Tasche und zeichnete die Idee hin, so, wie sie zur Ausführung bestimmt wurde. Wie<br />

man sagt, ein sogenannter einmaliger Wurf, ich hatte keine Wahl. Ich blieb meinem<br />

Griechentum treu und skizzierte das Symbol ewiger Wie<strong>der</strong>kehr: Apoll mit dem<br />

Sonnenwagen.« 108<br />

Die angeführten Passagen sind in mehr als einer Hinsicht aufschlussreich. Sie belegen<br />

einmal, dass Brekers Inspiration sich einem konkreten architektonischen Zusammenhang<br />

verdankte, zum an<strong>der</strong>en fällt auf, dass we<strong>der</strong> Speer noch Breker Vorstellungen<br />

über einen bestimmten Menschentypus äußerten, den die Plastiken repräsentieren<br />

sollten – sieht man von <strong>der</strong> griechischen Antike ab, die Breker beim Entwurf des<br />

102. Käthe Kollwitz: Die Tagebücher,<br />

Berlin 1989, S. 747<br />

103. Strahlungsfeld, S. 94<br />

104. ebd.<br />

105. ebd. S. 95<br />

106. ebd. S. 96<br />

107. ebd.<br />

108. ebd.<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

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Brunnens assoziiert. Der Breker von Kunsthistorikern bis zum heutigen Tag gemachte<br />

Vorwurf, er habe die »arische Herrenrasse« propagandistisch in Szene setzen wollen,<br />

entbehrt je<strong>der</strong> Grundlage. Da Breker zeitlebens jede Form des Rassismus fremd war<br />

und sich bei ihm auch keine Äußerung über die »Höherwertigkeit <strong>der</strong> arischen Rasse«<br />

im Sinne <strong>der</strong> NS-Ideologie findet, erscheint es mir abwegig, seinem Schaffen im<br />

Dritten Reich rassistische Motive zu unterstellen. Das schließt freilich nicht aus, dass<br />

seine Plastiken zu Projektionsflächen für nationalsozialistische Propaganda wurden.<br />

Ein Blick auf die Rezeptionsgeschichte zeigt, dass die ideologische Vereinnahmung<br />

des Mitte <strong>der</strong> dreißiger Jahre noch als »Franzose« diffamierten Bildhauers massiv in<br />

den Zeitungsartikeln des Völkischen Beobachters zu Brekers 40. Geburtstag im Jahre<br />

1940 einsetzte. Eine rühmliche Ausnahme bildete die im Dritten Reich politisch<br />

weitgehend unabhängige Frankfurter Zeitung, die Brekers künstlerische Eigenständigkeit<br />

trotz aller NS-Propaganda für sein Werk erkannte.<br />

Bei <strong>der</strong> Beurteilung von Brekers Schaffen im Dritten Reich sollte man bedenken,<br />

dass <strong>der</strong> von Hitler bevorzugte Neoklassizismus <strong>der</strong> zwanziger und dreißiger Jahre, in<br />

dessen Geist Speer und Breker die Bauten, Plastiken und Reliefs <strong>der</strong> neuen Hauptstadt<br />

»Germania« entwarfen, ein ganz Europa erfassen<strong>der</strong> Stil war, in dem nicht nur<br />

die Neue Reichskanzlei, son<strong>der</strong>n auch das finnische Parlament in Helsinki und das<br />

Palais de Chaillot in Paris gebaut wurden. Nach Krieg und Wirtschaftskrise und nach<br />

dem Ermüden <strong>der</strong> Stile <strong>der</strong> künstlerischen Mo<strong>der</strong>ne schien die Rückwendung zu antikisierenden<br />

Formen einen gewissen Halt zu versprechen. 109 Auch bei kunstgeschichtlich<br />

gebildeten Zeitgenossen stießen Hitlers städtebauliche und künstlerische<br />

Ambitionen zunächst auf Wohlwollen, das dann allerdings recht bald, als die<br />

ersten architektonischen Entwürfe veröffentlicht und neue bildhauerische Arbeiten in<br />

Ausstellungen gezeigt wurden, in Befremden und Spott umschlug. So charakterisiert<br />

die Schriftstellerin Gertrud Fussenegger, die damals mit dem Bildhauer Elmar Dietz<br />

verheiratet war, die neuen Großbauten des Dritten Reichs recht treffend folgen<strong>der</strong>maßen:<br />

»Aber als dann die ersten Entwürfe auftauchten, ging ein Achselzucken los,<br />

ein Kopfschütteln und leises Gespött. Das war ja alles so ungeheuer, dabei so klassizistisch-leer<br />

und schematisch-öde, wild gewordene Phantasien eines Spießers. Das<br />

Wort vom toll gewordenen Anstreicher lief wie<strong>der</strong> um. Troost hieß <strong>der</strong> Architekt, den<br />

sich Hitler zur Verwirklichung seiner Tagträume erwählt hatte, man nannte ihn nurmehr<br />

Troostlos. Der Mann starb, an<strong>der</strong>e traten in seine Fußstapfen, doch war kein<br />

Wechsel zu gewärtigen, denn, darüber war man sich klar, die Pläne gerade für die<br />

größten Projekte stammten von Hitler selbst, für die Umgestaltung von Berlin, von<br />

München, für das Parteitagsgelände in Nürnberg; sie trugen Hitlers Handschrift, die<br />

einer kalten, unfunktionalen Gigantomanie.« 110<br />

109. vgl. Frankfurter Allgemeine<br />

Zeitung vom 29. 11. 2011<br />

110. Gertrud Fussenegger: So gut<br />

ich es konnte, München 2007,<br />

S. 286 f.<br />

Der neoklassizistischen Leere <strong>der</strong> Bauten entspricht <strong>der</strong> repräsentative Charakter von<br />

Brekers heroischen Figuren und Reliefs. Die von dem Bildhauer für den Großen<br />

Bogen geschaffenen Reliefs stellen allesamt Kampfszenen dar, wie es seit <strong>der</strong> Antike<br />

bis zum Pariser Triumphbogen üblich war. Und doch mag mancher Betrachter Anstoß<br />

nehmen an dem heroischen Charakter dieser archaischen Szenen, die mit dem<br />

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technischen Charakter des mo<strong>der</strong>nen Vernichtungskrieges nichts gemeinsam haben.<br />

Vor allem das Relief Kameraden wurde oft als verlogene nationalsozialistische Kriegspropaganda<br />

gebrandmarkt. Wird hier nicht ein Heldentum in Szene gesetzt, das den<br />

Opfern <strong>der</strong> Materialschlachten Hohn spricht? Das Relief stellt eine erschütternde<br />

Kampfszene dar: Ein älterer Krieger umfasst mit beiden Armen einen tödlich verwundeten<br />

Kameraden, <strong>der</strong> bereits ohnmächtig ist, und trägt ihn aus dem Kampfgeschehen,<br />

um ihn in Sicherheit zu bringen: ein vergebliches Unterfangen, denn <strong>der</strong><br />

Verwundete wird seinen Verletzungen erliegen. Der Gesichtsausdruck des älteren<br />

Kriegers verrät ein Entsetzen, das sich nicht allein aus dem drohenden Verlust seines<br />

Freundes erklärt. Vielmehr flößt ihm das Kampfgeschehen einen so großen<br />

Schrecken ein, dass er dem übermächtigen Trauma nur noch mit einem Schrei Ausdruck<br />

verleihen kann. Es ist weniger <strong>der</strong> Schmerz über den Verlust des Freundes, <strong>der</strong><br />

den Betrachter erschüttert, als vielmehr <strong>der</strong> alles menschliche Maß übersteigende<br />

Schrecken des Krieges, <strong>der</strong> sich im von Entsetzen entstellten Gesicht des älteren Kriegers<br />

wi<strong>der</strong>spiegelt.<br />

Von dem wuchtigen Pathos <strong>der</strong> Kameraden wird <strong>der</strong> Betrachter überwältigt und in<br />

die Dynamik des Geschehens hineingezogen. Aber so erschütternd das Motiv ohne<br />

Zweifel ist, so ambivalent ist die Aussage des monumentalen Reliefs, das drei mal<br />

fünf Meter misst und in <strong>der</strong> endgültigen Fassung sogar fünf mal zehn Meter groß<br />

sein sollte. Obwohl <strong>der</strong> Bildhauer auf eindringliche Weise das Grauen des Krieges vor<br />

Augen führt, verherrlicht das heroische Pathos <strong>der</strong> Komposition Kämpfer und<br />

Kampf. Der Krieg wird zwar angeklagt, aber nicht radikal infrage gestellt. Daraus ist<br />

Breker kein Vorwurf zu machen, denn vom Pergamonaltar bis zu Rudes Reliefs am<br />

Pariser Triumphbogen, die Breker bewun<strong>der</strong>t hat, wurde <strong>der</strong> Krieg in vergleichbarer<br />

Weise dargestellt. Ganz zu schweigen von literarischen Erzählungen über den Krieg,<br />

die von Homers Ilias bis zu Ernst Jüngers In Stahlgewittern reichen. Aber gerade bei<br />

Jünger zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab. In seinen Kriegsbüchern über den<br />

Ersten Weltkrieg glaubt Jünger zwar noch, das Heroische als ein Wesensmerkmal<br />

<strong>der</strong> conditio humana retten zu können, doch gelangt er schließlich zu <strong>der</strong> Einsicht,<br />

dass <strong>der</strong> technische Charakter des mo<strong>der</strong>nen Krieges heroisches Handeln nicht mehr<br />

erlaubt. Nicht nur im Hinblick auf den verbrecherischen Angriffskrieg Hitlers, son<strong>der</strong>n<br />

vor allem hinsichtlich des neuartigen Charakters des Krieges wirken Brekers archaisierende<br />

Reliefs anachronistisch und verklären den Krieg ideologisch. Vergleicht<br />

man Brekers Szenen des Sterbens in den Reliefs Kameraden und Opfer mit den dem<br />

Tod gewidmeten Zeichnungen von Käthe Kollwitz aus den frühen zwanziger Jahren<br />

o<strong>der</strong> mit dem 1935/36 entstandenen Grabrelief <strong>der</strong> Künstlerin, so scheinen Brekers<br />

dramatische Szenen die Würde des Sterbens zu verraten, indem <strong>der</strong> Bildhauer es<br />

ästhetisch überhöht. Dann aber verblüfft <strong>der</strong> verwandte Gesichtsausdruck <strong>der</strong> Sterbenden<br />

im Grabrelief <strong>der</strong> Kollwitz und in Brekers Kameraden: Beide überkommt im<br />

Sterben ein großer, unverhoffter Friede, in dem ihr Leben Erfüllung findet. Und in<br />

beiden Reliefs werden die Sterbenden – wie bei einer Pietá – von Händen gehalten,<br />

die ihnen im Augenblick des großen Übergangs Schutz gewähren und Vertrauen<br />

schenken.<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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69<br />

RICHARD WAGNER<br />

RICHARD WAGNER<br />

LUDWIG VAN BEETHOVEN<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


Es sind vor allem Brekers heroische Figuren – allen voran die Bereitschaft – mit denen<br />

sich <strong>der</strong> Bildhauer in den Augen seiner Kritiker zum »Dekorateur <strong>der</strong> Barbarei« prostituiert<br />

und seine Begabung verraten hat. Spricht nicht aus diesen Plastiken eine Armut<br />

des inneren Erlebens, die <strong>der</strong> Bildhauer mit pathetischen und heroischen Gebärden<br />

zu kompensieren sucht und die <strong>der</strong> von Gertrud Fussenegger beklagten<br />

»klassizistisch-leeren« Architektur Albert Speers entspricht? Fehlt Brekers Gottmenschen<br />

nicht je<strong>der</strong> Bezug auf einen lebendigen religiösen Kult, <strong>der</strong> ihnen Glaubwürdigkeit<br />

verliehe? Handelt es sich nicht um bloße Attrappen eines gigantischen Potemkinschen<br />

Dorfes? Breker selbst hat in seinen Memoiren betont, dass sich kein<br />

Künstler Zeitströmungen entziehen könne und auch er ein Kind seiner Zeit gewesen<br />

sei. An<strong>der</strong>s als Käthe Kollwitz und Ernst Barlach hat sich Breker dem ideologisch<br />

propagierten Heroismus <strong>der</strong> dreißiger und vierziger Jahre nicht entzogen, son<strong>der</strong>n<br />

sich von ihm künstlerisch inspirieren lassen. Zu nennen sind hier sieben Figuren: <strong>der</strong><br />

Kün<strong>der</strong>, <strong>der</strong> Sieger, die Bereitschaft, <strong>der</strong> Olympische Fackelträger, <strong>der</strong> Mann mit dem<br />

Schwert und <strong>der</strong> Mann mit <strong>der</strong> Fackel. Ohne Zweifel verdankt sich Brekers Bild des<br />

heroischen Gottmenschen dem von den Nationalsozialisten aufgepeitschten heroischen<br />

Zeitgeist, <strong>der</strong> schließlich in den Zweiten Weltkrieg mündete – doch genügt<br />

dieser Befund, um Brekers Figuren jede künstlerische Bedeutung abzusprechen? Wäre<br />

es nicht einen Versuch wert, im Sinne Nietzsches zwischen Genesis und Geltung eines<br />

Kunstwerks zu unterscheiden? Freilich, auf den ersten Blick gesehen fehlt Brekers<br />

heroischen Gottmenschen die poetische Lebendigkeit, die wir an Plastiken <strong>der</strong> Antike<br />

und von Michelangelo so bewun<strong>der</strong>n. Aber ist nicht die zur Pose gefrorene Gebärde<br />

etwa des Kün<strong>der</strong>s o<strong>der</strong> des Siegers in Wahrheit die Reglosigkeit eines im Traum<br />

Verharrenden? Das würde auch die Unnahbarkeit dieser Traumgestalten erklären, mit<br />

denen zu identifizieren heutigen Betrachtern schwerfällt. Es ist auch weniger ein<br />

heroischer Kampfwille, <strong>der</strong> sich uns mitteilt, son<strong>der</strong>n die in <strong>der</strong> paradiesischen Unversehrtheit<br />

gründende Schönheit des Menschen. Ist <strong>der</strong> Gedanke zu gewagt, dass<br />

Arno Brekers Kunst nie innovativer war als in den uns so fremden Gottmenschen, in<br />

denen das Heroische zum Traumhaft-Entrückten transzendiert wird?<br />

111. Strahlungsfeld, S. 105<br />

112. ebd.<br />

113. ebd. S. 131<br />

Hitler und ich – so lautet <strong>der</strong> Titel <strong>der</strong> französischen Ausgabe von Brekers Memoiren.<br />

Während <strong>der</strong> Titel <strong>der</strong> deutschen Ausgabe – Im Strahlungsfeld <strong>der</strong> Ereignisse – eine<br />

ohnmächtige Passivität vorspiegelt, suggeriert <strong>der</strong> Titel <strong>der</strong> französischen Ausgabe<br />

eine intime Vertrautheit mit Hitler, wie sie wohl nicht bestanden hat. Bei <strong>der</strong> Schil<strong>der</strong>ung<br />

seiner Begegnungen mit dem Diktator bemüht sich <strong>der</strong> Bildhauer durchaus<br />

um Objektivität und schreibt mit dem Bewusstsein eines Zeitzeugen. An mehreren<br />

Stellen des Strahlungsfelds kommt Breker auf Hitlers Kunstauffassungen zu sprechen,<br />

denen er sich weitgehend anschließt. So beklagt er mit Hitler die zunehmende »Diskrepanz<br />

zwischen Kunst und Volk«,« 111 hätten Kubismus, Expressionismus und Surrealismus<br />

doch dazu geführt, dass »Millionen interessierter, aber nun vor den neuen<br />

Gebilden ratlos dastehen<strong>der</strong> Menschen (…) aus dem Kommunikationsprozeß <strong>der</strong><br />

Kultur ausgeschaltet« 112 wurden. Hitler, so Breker, habe unter <strong>der</strong> »ungeheure(n)<br />

Diskrepanz zwischen Volk und Kultur« 113 gelitten – ein »Zustand, dessen Beseitigung<br />

nur mit <strong>der</strong> künstlerischen Potenz <strong>der</strong> ihm zur Verfügung stehenden Kunst-<br />

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schaffenden zu realisieren war«. 114 Angesichts von Hitlers reaktionärer Kunstauffassung,<br />

über die sogar Leni Riefenstahl den Kopf schüttelte, kann man nur darüber<br />

staunen, dass Breker über die 1937 in München gezeigte Ausstellung »Entartete<br />

Kunst« empört war und nicht glauben mochte, dass Hitler »die Aktion billigte«. 115<br />

Brekers Empörung erstaunt umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, dass er sich<br />

Goebbels gegenüber für die Schließung <strong>der</strong> von Baldur von Schirach in Wien 1943<br />

initiierten Ausstellung »Junge Kunst im Deutschen Reich« einsetzte. So heißt es in<br />

Goebbels Tagebuch unter dem Datum des 23.2.1943: »Schirachs Wiener Ausstellung<br />

›Junge Kunst‹ begegnet außerordentlich starker Opposition. Breker schreibt mir einen<br />

Brief mit <strong>der</strong> Bitte, die Ausstellung zu schließen. Ich lasse sie noch einmal von Prof.<br />

Arent überprüfen und werde nach seinem Urteil meine Maßnahmen einrichten.« 116<br />

Als am 22. Juni 1940 morgens um sechs Uhr bei Brekers in Berlin das Telefon klingelte<br />

und die Gestapo dem Bildhauer mitteilte, dass er in einer Stunde zu einer »kurzen<br />

Reise« 117 abgeholt würde, war »Hitlers Lieblingsbildhauer« doch etwas mulmig<br />

zumute, denn – das war Breker klar – »in einer Diktatur ist alles möglich«. 118<br />

Nach dem dreistündigen Flug stellte sich dann aber heraus, dass Brekers Befürchtungen<br />

unbegründet waren: Im französischen Bruly wurde er von Hitler, Speer und<br />

dem Architekten Giesler begrüßt. Hitler wollte bei seiner Fahrt durch das von <strong>der</strong><br />

deutschen Wehrmacht besetzte Paris Breker als kundigen Führer bei sich haben. Das<br />

Wie<strong>der</strong>sehen mit <strong>der</strong> »geliebten Stadt«, 119 in <strong>der</strong> er die wichtigsten Jahre seines Lebens<br />

verbracht hatte, weckte bei Breker wi<strong>der</strong>sprüchliche Gefühle. Einerseits fühlte er<br />

sich nicht recht wohl in seiner Haut, weil er nun als Feind in die Seine-Metropole<br />

zurückkehrte, wobei er aber davon überzeugt war, dem Gang <strong>der</strong> Geschichte nicht<br />

ausweichen zu können. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite staunte er über Hitlers architektonische<br />

und kunsthistorische Kenntnisse von Paris, das <strong>der</strong> Diktator bislang nur aus Abbildungen<br />

kannte, und war stolz darauf, an <strong>der</strong> Seite Hitlers durch Paris zu fahren: »Er<br />

hatte sich wirklich sehr gut auf diesen Besuch vorbereitet, so gut, daß er mit seinem<br />

theoretischen Wissen einen alten Pariser übertrumpfen konnte.« 120<br />

Obwohl Hitler hin und wie<strong>der</strong> das vertrauliche Gespräch mit Breker über architektonische<br />

und künstlerische Fragen suchte, musste <strong>der</strong> Bildhauer bald feststellen,<br />

dass »ein wirkliches Gespräch, eine Konversation aus <strong>Red</strong>e und Gegenrede bestehend«,<br />

121 mit Hitler nicht zustande kam: »Hitler sprach aus, was in seinem Kopfe<br />

vorging, und das war ein nie abreißen<strong>der</strong>, einsamer Monolog – gleichviel über welches<br />

Thema.« 122 Hitler war aber nicht nur zum Gespräch unfähig, auch eine Freundschaft<br />

»schloß sich von selbst aus. Unnahbarkeit war ein Teil seines Wesens«. 123<br />

Hitlers Meinung über Künstler war für Breker wenig schmeichelhaft, vertrat <strong>der</strong><br />

»Führer« doch die Ansicht, dass Künstler »nun einmal von Politik nichts verstehen –<br />

sie sind darin wie die Kin<strong>der</strong>. Man soll sie aus allen diesen Dingen tunlichst herauslassen<br />

– auch für ihren Unverstand nicht verantwortlich machen; das führt zu<br />

nichts«. 124 Dennoch empfand Breker Zeit seines Lebens eine tiefe Dankbarkeit Hitler<br />

gegenüber für die in seinen Augen in <strong>der</strong> Geschichte einzigartigen bildhauerischen<br />

114. ebd.<br />

115. ebd. S. 111<br />

116. Joseph Goebbels, Tagebücher<br />

Bd. 7, München 1993<br />

117. ebd. S. 151<br />

118. ebd. S. 152<br />

119. ebd. S. 154<br />

120. ebd. S. 162<br />

121. ebd. S. 139<br />

122. ebd.<br />

123. ebd. S. 138<br />

124. ebd. S. 140<br />

71<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


Aufträge. So ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich, wenn Breker im Hinblick auf die von Hitler<br />

beabsichtigten Bauvorhaben zu einem positiven Resümee über den Diktator gelangt:<br />

»Hätte Hitler alle kriegerischen Verwicklungen vermieden, so wäre er als einer <strong>der</strong><br />

großen Bauherren in die Geschichte eingegangen, und zwar allein durch den Umfang<br />

seiner Bauvorhaben in Berlin, München, Hamburg, Leipzig und Weimar.« 125<br />

Man mag darüber erschrocken sein, dass Breker lediglich Hitlers »kriegerische Verwicklungen«<br />

erwähnt – wobei er sich scheut, von Hitlers Kriegsschuld zu sprechen –<br />

und den Holocaust unerwähnt lässt, den er doch im ersten Kapitel des Strahlungsfelds<br />

als »entsetzlichen Völkermord an den Juden« 126 klar benennt. Möglich wäre, dass<br />

Breker an dieser Stelle den Holocaust als Teil <strong>der</strong> »kriegerischen Verwicklungen« begreift.<br />

Wahrscheinlicher aber ist, dass sich Breker dagegen sträubt, Hitler als Urheber<br />

des Genozids an den Juden zu betrachten. Offenbar gelang es dem Bildhauer bis ins<br />

hohe Alter hinein nicht, das von ihm im Dritten Reich und durch persönliche Begegnungen<br />

gewonnene Bild von Hitler zu revidieren. Statt dessen hielt er an dem schon<br />

damals weit verbreiteten Irrtum fest, Hitler könne mit den Verbrechen <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

nichts zu tun haben: »Was den Menschen am Nationalsozialismus nicht<br />

gefiel – und es gab immer noch viele Menschen, denen vieles nicht gefiel – davon<br />

suchten sie instinktiv Hitler zu entlasten. Objektiv natürlich mit Unrecht.« 127<br />

125. ebd. S. 136<br />

126. ebd. S. 12<br />

127. Sebastian Haffner:<br />

Anmerkungen zu Hitler,<br />

München 1<strong>978</strong>, S. 47<br />

128. Archiv Breker-Atelier Düsseldorf,<br />

Spruch <strong>der</strong> Spruchkammer<br />

Donauwörth<br />

(maschinenschriftlich),<br />

von <strong>der</strong> Hauptkammer<br />

Donauwörth am 25. Oktober<br />

1948 beglaubigt<br />

Brekers Dankbarkeit Hitler gegenüber und seine Freundschaft mit Albert Speer<br />

machten ihn aber nicht blind für das Leid politisch Verfolgter. In meinem Beitrag<br />

Der an<strong>der</strong>e Breker – Engagement für politisch Verfolgte, den ich für den Katalog <strong>der</strong><br />

Schweriner Breker-Ausstellung 2006 schrieb, habe ich die wichtigsten Fälle dokumentiert.<br />

Daher beschränke ich mich hier auf einige Streiflichter. Um sich in seinem<br />

Entnazifizierungsverfahren zu entlasten, hatte Breker ein Liste mit Namen von Personen<br />

erstellt, von denen er geltend machte, ihnen im Dritten Reich geholfen zu<br />

haben. Auf <strong>der</strong> Liste finden sich 59 Personen: 28 Deutsche, 23 Franzosen, drei US-<br />

Amerikaner, drei Polen, ein Schweizer und ein Belgier. Seiner Liste zufolge hat Breker<br />

bei sechs Personen die Freilassung aus einem Konzentrationslager und bei sieben aus<br />

einem Gefängnis erwirkt. Bei acht Personen – so <strong>der</strong> Bildhauer – konnte er die Deportation<br />

in ein Konzentrationslager verhin<strong>der</strong>n und bei acht Malern und Bildhauern<br />

die »Unabkömmlichkeits-Stellung« erreichen, was bedeutete, dass diese Personen<br />

vom Kriegsdienst befreit wurden. Die an<strong>der</strong>en Fälle betrafen Straferleichterungen,<br />

die Befreiung von Franzosen aus deutscher Kriegsgefangenschaft und Brekers Eintreten<br />

für »entartete« Künstler wie zum Beispiel die Maler Werner Gilles und Ernst<br />

Schumacher sowie den Bildhauer Gerhard Marcks. Im Vorfeld seines Entnazifizierungsverfahrens<br />

wandte sich Breker an Verfolgte des Nazi-Regimes und bat sie, Zeugnis<br />

für sein Engagement abzulegen. Nicht nur die Fülle <strong>der</strong> Stellungnahmen, son<strong>der</strong>n<br />

auch die überwiegend positive Einschätzung von Brekers menschlichem Verhalten im<br />

Dritten Reich bewogen die Spruchkammer Donauwörth, die für den aus Berlin nach<br />

Wemding in Bayern umgezogenen Bildhauer zuständig war, Breker in ihrem Spruch<br />

vom 1. Oktober 1948 wegen seiner Mitgliedschaft in <strong>der</strong> NSDAP als Mitläufer einzustufen<br />

und ihn zu einer »Sühne« von 100 DM zu verurteilen. 128 Nicht nur be-<br />

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kannte Persönlichkeiten wie Jean Marais, Peter Suhrkamp und Pablo Picasso verdankten<br />

Arno Breker ihr Leben o<strong>der</strong> die Befreiung aus <strong>der</strong> Haft, son<strong>der</strong>n auch unbekannte<br />

Menschen wie zum Beispiel <strong>der</strong> 73jährige Landwirt Wilhelm Malitz, ein<br />

Nachbar von Breker in Jäckelsbruch bei Berlin, <strong>der</strong> vom Volksgerichtshof wegen<br />

»Führerbeleidigung« zu elf Monaten Gefängnis verurteilt worden war.<br />

Der Verleger Peter Suhrkamp bezeugt in seiner Erklärung vom 21. August 1946 ,<br />

dass Breker »für den Bildhauer Gerhard Marcks und den Kunstkritiker Carl Linfert<br />

eingesprungen ist, und wie er den Karl Rauch Verlag in Dessau vor <strong>der</strong> Schließung<br />

bewahrt hat«. 129<br />

Am Ende seiner Erklärung schil<strong>der</strong>t Suhrkamp Brekers Eintreten für ihn selbst<br />

und seinen Verlag: »Im April 1943 sollte auch mein Verlag geschlossen werden. In<br />

dem Kampf um die Existenz dieses Verlages hat Breker mich bei <strong>der</strong> Parteikanzlei<br />

und im Propaganda-Ministerium durch wie<strong>der</strong>holte Schritte entscheidend unterstützt.<br />

Als ich verhaftet war, war er <strong>der</strong> Einzige, <strong>der</strong> auf Bitten meiner Frau persönlich<br />

Schritte zu meiner Befreiung unternahm. Er hat sich darin nicht beirren lassen, als<br />

die Anklage gegen mich auf Hoch- und Landesverrat lautete und als ihm von höchsten<br />

Stellen die Gefahr eines Eintretens für mich bedeutet wurde. Er hat persönliche<br />

Gefahr nicht gescheut und mich im Gefängnis besucht, als ich dem Volksgericht zum<br />

Prozess überstellt war, obgleich ihm mitgeteilt wurde, dass mir <strong>der</strong> Strang wegen politischen<br />

Hoch- und Landesverrats bestimmt sei.« 130<br />

Der Schriftsteller Ludwig Emanuel Reindl weist in seiner Eidesstattlichen Erklärung<br />

vom 18. Juli 1946 darauf hin, dass sich Breker in den Fällen Peter Suhrkamps<br />

und Karl Rauchs »in einer Weise selbst exponiert ... hat, dass es mir im Interesse<br />

des Erfolges ratsam schien, ihn zu etwas vorsichtigerem Vorgehen zu mahnen.<br />

Ich erinnere mich an einen Brief, den er für Peter Suhrkamp an Himmler schrieb, bei<br />

dem ich sehr im Zweifel war, ob die Position Brekers stark genug sein würde, um ihn<br />

selbst vor schlimmen Folgen seiner temperamentvollen Stellungnahme genügend zu<br />

schützen. Das war um die Zeit des 20. Juli 1944. Suhrkamp war wie alle politischen<br />

Häftlinge in dieser Zeit beson<strong>der</strong>s gefährdet.« 131<br />

Die dokumentierten Beispiele belegen, dass Arno Breker seine privilegierte Position<br />

im Dritten Reich nutzte, um sich für Verfolgte des Nazi-Regimes einzusetzen. Doch<br />

wie stand Breker selbst zu diesem Regime? Betrachtete er die Verfolgungen als Auswüchse<br />

einer Politik, die er im Grunde bejahte – o<strong>der</strong> durchschaute er die mör<strong>der</strong>ische<br />

Brutalität seiner Auftraggeber und distanzierte sich innerlich von ihnen?<br />

Als es 1981 anlässlich einer Ausstellung von Arbeiten Brekers in Berlin zu Demonstrationen<br />

kam, distanzierte sich <strong>der</strong> achtzigjährige Bildhauer in <strong>der</strong> von mir eingangs<br />

zitierten Fernsehansprache von seinen nationalsozialistischen Auftraggebern<br />

und den Verbrechen des Regimes. Obwohl Breker <strong>der</strong> verbrecherische Charakter des<br />

Nazi-Regimes nicht verborgen geblieben sein konnte, hat er gegenüber den öffentlichen<br />

Angriffen zur damals verbreiteten Schutzbehauptung des »Nichtgewussthabens«<br />

gegriffen. Eine differenzierte Darlegung seines Engagements für Verfolgte des Dritten<br />

Reichs zu seiner Verteidigung vorzulegen, hat er, wohl aus Stolz, abgelehnt. Brekers<br />

Worten können wir zwar entnehmen, dass <strong>der</strong> Bildhauer es im Nachhinein bereut,<br />

129. Archiv Breker-Atelier<br />

Düsseldorf, Peter Suhrkamp:<br />

Betrifft <strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

vom 21. August 1946<br />

(maschinenschriftlich<br />

mit Unterschrift)<br />

130. ebd.<br />

131. Archiv Breker-Atelier<br />

Düsseldorf, Ludwig Emanuel<br />

Reindl, Eidesstattliche Erklärung<br />

vom 18. Juli 1946<br />

(maschinenschriftlich<br />

mit Unterschrift)<br />

73<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


für das Nazi-Regime gearbeitet zu haben, doch erfahren wir nichts über seine Einstellung<br />

im Dritten Reich.<br />

In Brekers Nachlass stieß ich in einem Brief, den Breker 1946 an den mit ihm befreundeten<br />

Kunsthistoriker Albert Buesche schrieb, auf ein eindrucksvolles Schuldeingeständnis<br />

des Bildhauers. Buesche war während <strong>der</strong> deutschen Okkupation in<br />

Paris als Theaterreferent <strong>der</strong> Deutschen Botschaft tätig. Er schrieb die Einführung des<br />

Katalogs <strong>der</strong> Pariser Breker-Ausstellung und verfasste Theaterkritiken für die Pariser<br />

Zeitung. Buesche vertrat die Ansicht, dass die »sogenannte Umschmelzung <strong>der</strong> deutschen<br />

Dichtung durch das französische Wesen notwendig« 132 sei, »denn er sah darin<br />

einen Schritt zum Europäertum <strong>der</strong> Zukunft. In dieser Vorstellung waren die deutsche<br />

und französische Kultur gleichberechtigte Partner, <strong>der</strong>en Begegnung die Vorstufe<br />

zu einem geistigen Europäertum bildete. Mit dem von den Nationalsozialisten verfolgten<br />

sogenannten Sieg <strong>der</strong> deutschen Kultur über die französische waren solche<br />

Gedanken nicht vereinbar«. 133<br />

In Brekers Brief an Buesche vom 8. August 1946 findet sich eine Passage, die über<br />

die Stellungnahme von 1981 hinausgeht: »Ich schrieb Ihnen schon, daß ich es als<br />

gottgewollte segensreiche Fügung ansehe, von den großen Aufgaben befreit zu sein,<br />

so verlockend auch die Durchführung dieser Probleme zu sein schien. Aber diesem<br />

Regime durfte man keine Denkmäler bauen, und ich ahnte frühzeitig den Bruch, den<br />

ich schweigend in meiner Brust verschlossen, mit mir herumtrug. Andeutungsweise<br />

haben Sie das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e früher schon erfahren. Nur durch die schonungslose<br />

Erkenntnis eines tiefschürfenden Mea Culpa wird <strong>der</strong> Weg frei.« 134<br />

Der Brief, auf den sich Breker bezieht, ist vermutlich verlorengegangen. Mit den<br />

»großen Aufgaben« meint <strong>der</strong> Bildhauer die Figuren und Reliefs für die von Albert<br />

Speer entworfene Neugestaltung Berlins.<br />

132. Kathrin Engel, Deutsche<br />

Kulturpolitik im besetzten<br />

Paris 1940 – 1944: Film und<br />

Theater, Pariser Historische<br />

Studien, München 2003,<br />

S. 134<br />

133. ebd.<br />

134. Archiv Breker-Atelier Düsseldorf,<br />

Arno Breker: handschriftlicher<br />

Brief vom<br />

8. August 1946 an Albert<br />

Buesche<br />

Brekers Brief an Buesche können wir entnehmen, dass <strong>der</strong> Bildhauer wohl schon seit<br />

Jahren darunter litt, Plastiken und Reliefs für die Bauten eines Regimes geschaffen zu<br />

haben, dessen verbrecherischen Charakter er immer deutlicher erkannte. Aus Brekers<br />

Worten spricht ein klares Schuldbewusstsein. Es ist die Reue eines Menschen, <strong>der</strong><br />

sich durch die ihm gebotenen Chancen verführen und seine künstlerische Begabung<br />

von Leuten missbrauchen ließ, vor <strong>der</strong>en menschenverachten<strong>der</strong> Gesinnung er die<br />

Augen verschloss. Obwohl <strong>der</strong> prominenteste Künstler des Dritten Reichs schon früh<br />

den verbrecherischen Charakter des Regimes erkannt und sich von seinen Auftraggebern<br />

innerlich distanziert hatte, zog er daraus keine Konsequenzen, son<strong>der</strong>n erlag<br />

künstlerischen und finanziellen Verlockungen. Dieses Versagen hat Breker als Schuld<br />

empfunden, und er hat das Ende des Krieges auch als Befreiung aus <strong>der</strong> unseligen<br />

persönlichen Verstrickung erlebt.<br />

Brekers Satz »Aber diesem Regime durfte man keine Denkmäler bauen.« verrät aber<br />

auch etwas über sein künstlerisches Selbstverständnis. Zwar können Denkmäler zuweilen<br />

durchaus eine eigene künstlerische Aussage besitzen, doch haben sie im allgemeinen<br />

einen dekorativen Charakter. Brekers positives Urteil über Käthe Kollwitz –<br />

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»Ihr Sozialismus war das ureigenste Anliegen ihres Herzens – das legitimierte ihre<br />

Kunst« 135 – könnte man kritisch auf ihn selbst beziehen und fragen, worin das »ureigenste<br />

Anliegen« seines eigenen »Herzens« bestand? Denn es ist die von Breker betonte<br />

existentielle Verwurzelung <strong>der</strong> Themen bei <strong>der</strong> Kollwitz, die man bei vielen seiner<br />

Arbeiten so schmerzlich vermisst. Daher <strong>der</strong> dekorative Charakter mancher im<br />

Dritten Reich entstandener Reliefs und das Abgleiten ins Unverbindliche o<strong>der</strong> Gefällige,<br />

das die in den siebziger Jahren geschaffenen Plastiken von Sportlern (Jürgen<br />

Hingsen, Walter Kusch, Ulrike Meyfarth), aber auch die in diesen Jahren entstandenen<br />

weiblichen Akte (Verliebtes Mädchen, Der Morgen, Mädchen am Strand, Junge<br />

Venus, Helena, Siesta, Tänzerin, Die Erwartung, Liegendes Mädchen, Aphrodite) kennzeichnet.<br />

Ist Brekers plastisches Werk erheblichen qualitativen Schwankungen unterworfen, so<br />

besitzen seine plastischen Portraits von den zwanziger Jahren bis zu dem kurz vor seinem<br />

Tod mit Hilfe einer Videokamera entstandenen Selbstportrait ein hohes künstlerisches<br />

Niveau. In seinem langen Leben schuf <strong>der</strong> Bildhauer mehr als dreihun<strong>der</strong>t<br />

plastische Portraits. Verleiht Breker den Köpfen seiner Figuren im Sinne <strong>der</strong> bildhauerischen<br />

Tradition etwas Überpersönliches, so spürt er bei den Portraits wie kaum<br />

ein an<strong>der</strong>er Bildhauer dem Individuellen nach. Dass Breker dem Portraitieren eine beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung zumaß, mag man daran erkennen, dass er sich anlässlich <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />

seines Bildbandes Bildnisse unserer Epoche (1972) eingehend darüber<br />

geäußert hat. Die Physiognomie ist für Breker ein »getreues Spiegelbild seelischer Reaktionen«.<br />

136 Das »höchste Maß genauester Erfassung <strong>der</strong> Naturerscheinung« 137 –<br />

also die realistische Darstellung des Portraitierten – ist dabei aber nur die Voraussetzung<br />

für das »Wesentliche«: 138 die »Vermittlung seiner geistig-seelischen Atmosphäre<br />

auf den Betrachter«. 139 In jedem plastischen Portrait, so Breker, ist »eine unendliche<br />

Vielfalt überraschen<strong>der</strong> Ausdrucksvariationen vorhanden, ja immer neu zu entdecken«.<br />

140 Es ist das Geheimnis <strong>der</strong> Individualität, dem Breker mit sensiblem Einfühlungsvermögen<br />

auf <strong>der</strong> Spur ist: »Jede Büste stellt den Bildhauer vor ein neues,<br />

noch nie dagewesenes Problem. Selbst mit dem Umfang erprobter Erfahrungen ist<br />

nicht viel anzufangen. Jede neue Arbeit ist ein hartes Ringen, <strong>der</strong> souveränen Macht<br />

<strong>der</strong> Individualität nachzuspüren und sie einzufangen.« 141 Seine Souveränität erlangt<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Mensch allerdings nur in <strong>der</strong> oftmals leidvollen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

<strong>der</strong> Zeit, in <strong>der</strong> er lebt. So erhält <strong>der</strong> Portraitierte »die letzte verbindliche Prägnanz<br />

<strong>der</strong> physiognomischen Charakteristik erst durch seine Umwelt, durch die Epoche, die<br />

sein Lebensschicksal unausweichlich formt«. 142<br />

Vergleicht man Brekers Portraits mit denen an<strong>der</strong>er Bildhauer wie etwa Knud Knudsen,<br />

Kurt Arentz und Serge Mangin, so fällt vor allem eines auf: Sprechen die Portraits<br />

dieser Bildhauer in erster Linie die Sprache ihres Schöpfers, <strong>der</strong> sich im ausgeprägten<br />

persönlichen Stil zu erkennen gibt, so begegnet uns in Brekers Portraits allein das unauslotbare<br />

Mysterium des Individuellen. Jedes Portrait steht für sich, und jede Partie<br />

eines Gesichts, sei sie noch so unscheinbar, offenbart eine individuelle Regung <strong>der</strong><br />

Seele. In den meisten seiner Portraits ist Breker ein Lieben<strong>der</strong>, <strong>der</strong> den Menschen in<br />

135. Strahlungsfeld, S. 106<br />

136. Arno Breker: Bildnisse<br />

unserer Epoche, Dorheim o.J.<br />

137. ebd.<br />

138. ebd.<br />

139. ebd.<br />

140. ebd.<br />

141. ebd.<br />

142. ebd.<br />

75<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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seiner höheren Wirklichkeit, in seiner Entelechie darstellt. So wird dem Portraitierten<br />

mit dem Bildnis auch er selbst geschenkt. Brekers Blick ist kein psychologischer, <strong>der</strong><br />

den Portraitierten zu sezieren trachtet o<strong>der</strong> ihn auf einen Charakterzug festlegen will.<br />

Vielmehr spürt Breker dem Wesen eines Menschen in seiner Vielfältigkeit und<br />

Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit, zuweilen auch – wie etwa in seinem Selbstportrait – in seiner<br />

Tragik und Einsamkeit nach.<br />

Der 1925 entstandene Kopf eines Boxers ist weniger ein Portrait als eine Momentaufnahme:<br />

Der unwillkürlich geöffnete Mund und <strong>der</strong> benommene Gesichtsausdruck<br />

zeigen den Boxer in einem Augenblick vorübergehen<strong>der</strong> Besinnungslosigkeit, nachdem<br />

er von einem schweren Schlag getroffen wurde. Das Gesicht mit dem nach innen<br />

gerichteten Blick hat etwas Kreatürlich-Animalisches. Trotz <strong>der</strong> Schmerzen, die<br />

ihm für einen Augenblick die Besinnung rauben, käme er aber nicht auf den Gedanken,<br />

den grausamen Sport in Zweifel zu ziehen, denn noch im Leiden bejaht er die<br />

Gewalt, <strong>der</strong>en Opfer er ist.<br />

Die Bildnisse des polnischen Mädchens (1934) und <strong>der</strong> Griechin Iris Logothetopulos<br />

(1. Fassung von 1942) gehören für mich zum Vollendetsten, das Breker schuf: Es<br />

sind Ikonen weiblicher Schönheit. Obwohl diese Schönheit etwas Berückendes besitzt,<br />

for<strong>der</strong>t die stille Macht <strong>der</strong> Individualität beim Betrachter einen inneren Abstand<br />

ein. Ein Gesetz, das die Würde des Menschen für unantastbar erklärt, erscheint<br />

beim Betrachten dieser Bildnisse als Tautologie. In künstlerischer Hinsicht weisen<br />

beide Portraits keine Gemeinsamkeiten auf. Trägt das polnische Mädchen ein ihr<br />

Haar umschließendes Kopftuch, so fällt bei <strong>der</strong> Büste von Iris Logothetopulos das<br />

Haar in wellenförmigen Locken auf die Schultern. Die rauhe Oberfläche <strong>der</strong> Büste<br />

des polnischen Mädchens mag ein Hinweis auf dessen bäuerliche Herkunft sein. Dagegen<br />

verleiht die glatte ebenmäßige Oberfläche dem Antlitz <strong>der</strong> schönen Griechin<br />

etwas Aristokratisches, das aber eher in ihrer Natur gründet als in ihrer gesellschaftlichen<br />

Stellung.<br />

ADOLF HITLER<br />

ADOLF HITLER<br />

ALBERT SPEER<br />

Zeit seines Lebens war Arno Breker ein Liebhaber klassischer und romantischer<br />

Musik, von <strong>der</strong> er sich beim Arbeiten zuweilen inspirieren ließ. So ist es nicht verwun<strong>der</strong>lich,<br />

dass sich unter Brekers Portraits auch Komponisten und Musiker finden.<br />

Pianisten wie Wilhelm Kempff und Alfred Cortot waren mit dem Bildhauer befreundet<br />

und wurden von ihm portraitiert. Bekannt ist Brekers Bildnis von Richard Wagner,<br />

das 1939 entstand und im Park des Bayreuther Festspielhauses steht. Hans<br />

Knappertsbusch, <strong>der</strong> große Wagner-Dirigent, soll vor je<strong>der</strong> von ihm geleiteten Vorstellung<br />

in stiller Andacht einige Augenblicke vor <strong>der</strong> Büste verweilt haben. Neben<br />

Wagner portraitierte Breker aber auch Beethoven, Brahms, Liszt und Egk. Abgesehen<br />

von Werner Egk blieb Breker bei den an<strong>der</strong>en Portraits auf Gemälde, Zeichnungen<br />

und Photos angewiesen. Vor allem bei den Bildnissen Wagners und Beethovens hat<br />

sich Breker aber auch von <strong>der</strong> Musik <strong>der</strong> beiden Tonschöpfer inspirieren lassen. Wohl<br />

nur selten ist es einem Bildhauer gelungen, neben <strong>der</strong> genauen realistischen Darstellung<br />

<strong>der</strong> Gesichtszüge auch das Wesen <strong>der</strong> Musik zum Ausdruck zu bringen. So<br />

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entspricht Wagners Blick, aus dem sowohl Mitleid als auch Stärke spricht, <strong>der</strong> erlösenden<br />

Gebärde seiner Musik, die im Parsifal gleichsam zu sich selbst findet. Ähnliches<br />

gilt für Brekers Portrait von Beethoven, obwohl hier <strong>der</strong> herrische Gestus <strong>der</strong><br />

Musik – <strong>der</strong> unbeugsame männliche Trotz – überwiegt. Erschreckend sind die so<br />

gar nicht idealisierten, beinahe hässlichen Gesichtszüge des Komponisten, die sein<br />

Ringen mit dem Nichts erahnen lassen.<br />

Wie viele Bildhauer, die im Dritten Reich arbeiteten, – unter ihnen Kolbe und<br />

Klimsch – schuf auch Breker Portraits von Hitler und an<strong>der</strong>en nationalsozialistischen<br />

Politikern. Beson<strong>der</strong>es Interesse verdienen seine Büsten von Goebbels (1937), Speer<br />

(1941) und Hitler (1939), fehlt diesen Portraits doch jede repräsentative Aura. Gerade<br />

hier, wo man es doch hätte erwarten können, hat Breker auf jede Idealisierung o<strong>der</strong><br />

gar Verherrlichung verzichtet, son<strong>der</strong>n genaue Charakterstudien geschaffen. Betrachten<br />

wir die glatte Physiognomie von Albert Speer, so sehen wir einen Menschen vor<br />

uns, <strong>der</strong> etwas Schattenhaftes besitzt, von dem wir charakterliche Geradlinigkeit und<br />

Stärke nicht erwarten dürfen.<br />

Martin Mosebach hat überliefert, dass Alfred Hrdlicka »mit hoher Achtung …<br />

von <strong>der</strong> Portrait-Kunst des ihm politisch unversöhnlich entgegengesetzten Arno Breker«<br />

gesprochen habe, »dessen Speer-Büste ›den Charakter des mo<strong>der</strong>nen Technokraten<br />

meisterhaft‹ formuliert habe«. 143<br />

Goebbels asketisch-ausgebrannte Gesichtszüge hingegen werden von einem unbedingten<br />

Willen beherrscht: ein nihilistischer Charakter, <strong>der</strong> einem Roman von<br />

Dostojewski entsprungen scheint. Auch in Hitler tritt uns ein vom Willen beherrschter<br />

Mensch entgegen, dem man musische Neigungen nicht recht zutrauen mag. Hitlers<br />

Gesichtszügen fehlt jede Lebendigkeit, aber sie wirken auch nicht angespannt,<br />

son<strong>der</strong>n erwecken den Eindruck einer irreparablen Versteinerung: Ein lebloser, zu<br />

Stein gewordener Wille von unheilvoller Einsamkeit spricht aus dem Gesicht des<br />

Diktators. Hat Hitler das bemerkt? Hat Breker darum gewusst? Wir möchten es bezweifeln.<br />

Vergleicht man die Portraits von Goebbels, Hitler und Speer mit dem 1943<br />

entstandenen Bildnis des oberschlesischen Bergmanns, dann kommt man aus dem<br />

Staunen nicht heraus. Denn <strong>der</strong> unbekannte Bergmann besitzt auf ganz selbstverständliche<br />

Weise all jene Eigenschaften, die man bei den prominenten Nationalsozialisten<br />

so deutlich vermisst: Charakter, Lebendigkeit und Würde. Die tägliche<br />

harte Arbeit hat den Bergmann nicht zu brechen vermocht. Sie hat ihm vielmehr<br />

eine Selbstnähe geschenkt, die auch seinen Charakter geprägt hat. Seine feinen vergeistigten<br />

Gesichtszüge lassen vermuten, dass er für Kunst und Literatur durchaus<br />

empfänglich wäre. Und man traut ihm ein klares eigenes Urteil zu. Der besonnene,<br />

nachdenkliche Blick zeigt, dass ihm ein Wille zur Macht fremd ist, dass er einen<br />

Austausch von Gedanken und ein ruhiges Abwägen <strong>der</strong> Argumente gewaltsamen<br />

Willensentscheidungen vorzieht.<br />

Löst Brekers Bergmann nicht im besten Sinne den kommunistischen Traum eines<br />

von <strong>der</strong> Entfremdung emanzipierten und allseits gebildeten Arbeiters ein? Gingen<br />

dem Bildhauer, als er dieses faszinierende Portrait schuf, diese Gedanken durch den<br />

Kopf? Wir wissen es nicht.<br />

OBERSCHLESISCHER<br />

BERGMANN<br />

143. Martin Mosebach: Du<br />

sollst dir ein Bild machen,<br />

Springe 2005, S. 34<br />

77<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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Obwohl Breker Maillol als künstlerischen Gegenpol zu Rodin empfand, fühlte er sich<br />

in seinen Pariser Jahren von beiden Bildhauern angezogen. Breker hatte Maillol 1927<br />

in dessen Heimatort Banyuls kennen gelernt. Als <strong>der</strong> greise Maillol 1942 Brekers<br />

Ausstellung in <strong>der</strong> Pariser Orangerie besuchte und die außergewöhnliche Begabung<br />

des Jüngeren lobte – »Ich bin nicht imstande, wie Sie ein Knie zu modellieren« 144 –,<br />

war Breker von <strong>der</strong> Bescheidenheit des großen Bildhauers beschämt und gestand sich<br />

ein: »Was war mein Können gegenüber <strong>der</strong> geistigen Macht des Mittelmeerraumes,<br />

die sich in seinem Werk zur Aussage verdichtete!« 145 Schon lange war es Maillols<br />

Wunsch gewesen, von Breker portraitiert zu werden. Nun, als er gemeinsam mit<br />

Breker die in <strong>der</strong> Orangerie ausgestellten Portraits betrachtete, bat Maillol den deutschen<br />

Bildhauer, die Büste in Banyuls zu modellieren. In Paris sei ihm ein längerer<br />

Aufenthalt zu beschwerlich. Obwohl Breker in Berlin fieberhaft an den für die Neugestaltung<br />

<strong>der</strong> Hauptstadt gedachten Plastiken arbeitete, reiste er im Oktober 1943<br />

nach Banyuls, um das Portrait von Maillol zu schaffen. Im Strahlungsfeld <strong>der</strong> Ereignisse<br />

schil<strong>der</strong>t Breker anschaulich den Entstehungsprozess <strong>der</strong> Büste, die zu seinen bedeutendsten<br />

zählt: »Bei <strong>der</strong> ersten Sitzung trug er keine Baskenmütze; ich begann<br />

also, den Kopf ohne sie zu formen. Mit wachsen<strong>der</strong> Unruhe sah er, daß <strong>der</strong> üppige<br />

Bart zu <strong>der</strong> spitz zulaufenden Schädelbildung, durch das Fehlen <strong>der</strong> Haare beson<strong>der</strong>s<br />

betont, in eine Disharmonie <strong>der</strong> Form münden könnte – eine Befürchtung, die ich<br />

nicht teilte. Ich fühlte nur, daß ihn etwas beschäftigte. Bei <strong>der</strong> folgenden Sitzung behielt<br />

er die Baskenmütze auf dem Kopf in <strong>der</strong> Hoffnung, daß mich dies veranlassen<br />

würde, sie mit einzubeziehen. Schließlich, als er sah, wie schwer mir <strong>der</strong> Entschluß<br />

fiel, for<strong>der</strong>te er mich auf, es wenigstens zu versuchen. Während ich die Tonmasse auflegte,<br />

verfolgte er aufmerksam jede Nuance <strong>der</strong> Entwicklung. Seine Unruhe wich, die<br />

Wirkung war frappant, die neue Fassung gab dem Gesicht das gesuchte Gegengewicht.<br />

Die Kopfbedeckung wirkte wie eine Gloriole über den expressiven Zügen.<br />

Schon nach <strong>der</strong> vierten Sitzung erreichte seine Begeisterung den Höhepunkt. Mit<br />

großer Intensität betrachtete er alle Profilstellungen aus <strong>der</strong> Nähe, dann das Gesamtbild<br />

aus größerer Entfernung. ›Hören Sie auf‹, riet er, ›die Arbeit ist vollendet, weiter<br />

kommen Sie nicht.‹ Ich war nicht seiner Meinung. Wäre jetzt ein Gipsgießer zur<br />

Stelle gewesen, so hätte man einen Zustandsabguß machen können, um die Etappen<br />

<strong>der</strong> weiteren Entwicklung später nachkontrollieren zu können – eine Methode, die<br />

Rodin bei vielen seiner Büsten anwandte. Nicht immer war es die letzte Fassung, die<br />

er als die wirklich überzeugende später in Bronze gießen ließ, er wählte aus den verschiedenen<br />

Fassungen die gültigste aus. Ich bat Maillol, weitermachen zu dürfen, und<br />

bereitwillig folgte er.« 146<br />

144. Strahlungsfeld, S. 236<br />

145. ebd.<br />

146. ebd. S. 239<br />

Nachdem Maillol auf geradezu rührende Weise darauf bestand, die Baskenmütze in<br />

das Portrait einzubeziehen, lässt Breker sich auf den Gedanken des alten Bildhauers<br />

ein, auch wenn er ihm zunächst nicht einleuchtet. Doch während des Modellierens<br />

stellt sich heraus, dass die Mütze in <strong>der</strong> Tat zum Gelingen <strong>der</strong> Komposition beiträgt,<br />

und Breker zögert nicht, Maillols Idee zu übernehmen. Dann wie<strong>der</strong> ist es Maillol,<br />

<strong>der</strong> irrt, indem er glaubt, Breker habe einen Grad <strong>der</strong> Vollendung erreicht, <strong>der</strong> nicht<br />

zu überbieten sei. Nun besteht Breker darauf, weiterarbeiten zu dürfen. Maillol lässt<br />

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ihn gewähren und ist schließlich voll des Lobes über das Resultat: Die Entstehung<br />

<strong>der</strong> Büste verdankt sich dem freien Dialog <strong>der</strong> beiden Bildhauer, in dem allein die<br />

ästhetische Wirkung den Ausschlag gibt. Dem persönlichen Eindruck, den Breker<br />

von Maillol gewann, entspricht sein Portrait des großen Franzosen. Es ist das Bildnis<br />

eines alten Meisters, <strong>der</strong> – bescheiden und in sich ruhend – nur seinem Werk dient.<br />

Der »üppige« Bart und die Baskenmütze bieten Maillol gleichsam Schutz vor den<br />

Unbilden <strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> er zwar noch verbunden bleibt – und doch bedeutet ihm seine<br />

Kunst unendlich viel mehr.<br />

Mit Jean Cocteau verband Arno Breker eine lange Freundschaft, die von ihrer ersten<br />

Begegnung im Jahre 1925 bis zu Cocteaus Tod 1963 reichte und we<strong>der</strong> durch<br />

Brekers Karriere als Staatsbildhauer des Dritten Reichs noch durch seine Tabuisierung<br />

in <strong>der</strong> Nachkriegszeit getrübt wurde. Anlässlich einer von Gustav Gründgens<br />

inszenierten Aufführung seines Bacchus in Düsseldorf im Herbst 1952 besuchte<br />

Cocteau Arno Breker und notierte anschließend in seinem Tagebuch: »Die Brekers<br />

gesehen, die wie in Quarantäne zu leben scheinen. Arno hat den Platz innegehabt,<br />

den alle haben wollten. Das verzeiht man ihm nicht. Wer hätte, wenn er ohne einen<br />

Pfennig gewesen wäre, wi<strong>der</strong>standen, wenn ihm alles angeboten wurde? Keiner von<br />

denen, die es ihm vorwerfen. Man müßte Christus sein, um auf dem Berge zu wi<strong>der</strong>stehen.<br />

Durch Breker sind Picasso und ich vor dem Schlimmsten bewahrt worden.<br />

Das werde ich ihm nie vergessen.« 147<br />

Ähnlich wie Maillol wünschte sich auch Cocteau schon seit langen Jahren, von<br />

Breker portraitiert zu werden. Kurz vor seinem Tod, im Spätsommer 1963, erfüllte<br />

Breker den Wunsch des Dichters. Es entstand ein Portrait, das nur ein intimer Freund<br />

modellieren konnte, denn uns tritt in Brekers Büste ein Cocteau entgegen, den we<strong>der</strong><br />

die französische noch die deutsche Öffentlichkeit kannte. Schon Joachim Kaiser wies<br />

auf die seltsame Verkennung hin, <strong>der</strong> Cocteau zeitlebens ausgesetzt war und unter <strong>der</strong><br />

er gelitten hatte. So war er für Deutschland »genau das, was er überhaupt nicht sein<br />

möchte. Nämlich <strong>der</strong> Inbegriff des Französischen, Pariserischen. Also witzig, kokett,<br />

brillant, affektiert, skandalträchtig. Darüber hinaus begabt mit jenem (kunstgewerblichen)<br />

Hang zum Surrealistischen, Romantischen, Phantastischen und Mythologischen,<br />

den man hierzulande den Franzosen gern verzeiht, weil <strong>der</strong>gleichen bei ihnen<br />

so leicht und formvollendet gerate, ganz ohne germanische Schwerfälligkeit.« 148<br />

Betrachtet man Brekers Portrait von Cocteau, das den Dichter im Alter von 74 Jahren<br />

zeigt, so fallen einem vor allem diejenigen Notizen aus seinen Tagebüchern ein, in denen<br />

ein schwarzer Pessimismus, eine suizidale Resignation, ein verzweifelter, bitterer 147. Jean Cocteau: Vollendete<br />

Zynismus zum Ausdruck kommen:<br />

Vergangenheit, Band I,<br />

um eine Unfallstelle drängt. Alle Schönheit ist nur Unfall.« 150 150. ebd.<br />

»Mißverständnis auf <strong>der</strong> ganzen Linie. Wäre nicht die Angst, die zurückzulassen, Tagebücher 1951–1952,<br />

die ich liebe, wollte ich fort aus dieser Welt, die auf falschem Wege ist, die das Opfer München, Zürich 1989,<br />

nicht mehr zu beheben<strong>der</strong> Irrtümer ist.« 149<br />

S. 328<br />

148. ebd. S. II f.<br />

»Der Ruhm ist die Folge eines Mißverständnisses. Er gleicht <strong>der</strong> Menge, die sich 149. ebd. S. 122<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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»Ich lehne alles ab. Ich fühle einen großen Überdruß – eine Art Gefühl <strong>der</strong> völligen<br />

Nutzlosigkeit all <strong>der</strong> Betriebsamkeit und des Aufwands. Sehnsucht, mich in meinem<br />

Loch zu verkriechen und Trauer darüber, im Loch zu sein. Kontakte ängstigen<br />

mich, und ihr Fehlen entmutigt mich. Ich weiß wirklich nicht mehr, woran ich<br />

bin.« 151<br />

»Nach Griechenland werde ich Spanien besuchen. Ich will dieses Ende einer Welt<br />

sehen – vor meinem endgültigen Rückzug von allem, was ich liebe, was mir als einzige<br />

Entschuldigung fürs Weiterleben erscheint. Ehe die blöde Menschheit alles zerschlägt.«<br />

152<br />

Ein an<strong>der</strong>er Dichter, zu dessen Büchern Breker immer wie<strong>der</strong> griff und den er wie<br />

kaum einen an<strong>der</strong>en verehrte, war Heinrich Heine. Schon als Jugendlicher verschlang<br />

Breker die Werke des großen Düsseldorfers. Und in einem Aufsatz aus dem Jahre<br />

1979, in dem Breker mit <strong>der</strong> Arbeit am Heine-Denkmal begann, verteidigt er Heine<br />

gegen »Argumente seiner Kritiker« 153 und hebt die Rolle des Dichters »als Mittler<br />

zwischen Deutschland und Frankreich« 154 hervor. Breker fügt hinzu: »Mein eigenes<br />

Leben steht in vielfältigem Zusammenhang mit Frankreich, und so fühle ich mich<br />

auch aus dieser Sicht mit dem Menschen Heine verbunden.« 155 Breker ist angezogen<br />

von Heines »spöttische(m) und geistreiche(m) Witz«, 156 aber auch von seiner »Romantik<br />

und Sensibilität«. 157 Vor allem ist Heine für ihn »ein Symbol <strong>der</strong> Jugend: aufbegehrend,<br />

ideenreich, aktiv, beharrlich, innig und hoffnungsvoll.« 158<br />

151. ebd. S. 154<br />

152. ebd. S. 168 f.<br />

153. Schriften, S. 141<br />

154. ebd. S. 142<br />

155. ebd.<br />

156. ebd. S. 141<br />

157. ebd.<br />

158. ebd.<br />

Nicht zu unrecht fühlte sich Breker Heine geistig verwandt. Viele Passagen aus dem<br />

Strahlungsfeld <strong>der</strong> Ereignisse – vor allem diejenigen, in denen Breker sein Leben im Paris<br />

<strong>der</strong> zwanziger Jahre schil<strong>der</strong>t – erinnern in ihrer Fabulierkunst, ihrer souveränen<br />

Selbstironie, aber auch in ihrer wehmütigen Sehnsucht nach Glück und Liebe an den<br />

großen Dichter. Es sei mir erlaubt, ein Beispiel anzuführen: »In einer rauschend überschäumenden<br />

Nacht des ebenso berühmten wie berüchtigten ›Bal des quatre Arts‹ –<br />

neben dem Ball <strong>der</strong> Mediziner <strong>der</strong> sensationellste dieser Art –, bei dem einmal im<br />

Jahr tout Paris die größten Anstrengungen macht, eine Einlaßkarte zu erhalten, stehe<br />

ich plötzlich vor einer bildhübschen, jungen Negerin mit überraschend großen, intelligenten<br />

Augen. Ihr Partner hatte sie gerade verlassen. Die Musik spielt einen Foxtrott;<br />

meine Auffor<strong>der</strong>ung zum Tanz nimmt sie gleich an. Während wir uns den<br />

exzentrischen Rhythmen hingeben, kommt ihre zaghafte Frage: ›Sind Sie auch<br />

Franzose?‹ ›Oh nein, Mademoiselle, ich bin Deutscher.‹ Sie strahlt mich an. Voller<br />

Seligkeit schließt sie die Augen und drückt ihren Kopf an meine Brust. Woher diese<br />

plötzliche Gemütsbewegung? Ich überlege vergeblich. ›Welch ein Glück, ich lerne<br />

deutsch, ich bin Studentin <strong>der</strong> Philosophie an <strong>der</strong> Sorbonne im vierten Semester.‹<br />

Verzückt schaut sie mich wie<strong>der</strong> an. Ich rätsele weiter, welche Gedanken sie beschäftigen.<br />

Der Appell <strong>der</strong> Musik wird eindringlicher, wir schweigen ein wenig, dann vernehme<br />

ich ihre Stimme, es klingt wie eine Beichte: ›Meine größte Verehrung gilt<br />

Nietzsche.‹ Das war zuviel. Hier, im jauchzenden Bacchanal, in diesem <strong>der</strong> Lebenslust<br />

geweihten Saal die Beschwörung Nietzsches! Die Unterhaltung stockte eine Weile,<br />

ehe ich mit <strong>der</strong> verwirrten Gegenfrage reagierte: ›Wie, habe ich Sie richtig verstanden?<br />

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Sie studieren Nietzsche?‹ ›Ja, nur ihn.‹ Wie<strong>der</strong> versanken ihre strahlenden Augen in<br />

den meinen, suchten ein Echo. Nach diesem fanatischen Bekenntnis wurden meine<br />

Beine schwer wie Blei. Sie fühlte wohl meine Reserve und drang nun stürmisch auf<br />

mich ein: ›Ich möchte mich ganz lange mit Ihnen über Nietzsche unterhalten, jetzt –<br />

heute, immer.‹ Ängstlich fragend hingen ihre großen Augen an meinen Lippen.<br />

Nietzsche auf dem ›Bal des quatre Arts‹ in den Armen einer bildhübschen Negerin,<br />

darauf war ich nicht vorbereitet, es überstieg mein Fassungsvermögen. Ich war wie<br />

vom Alpdruck befreit, als die Musik schwieg. Unter einem Vorwand schlich ich davon,<br />

dem Abenteuer nicht gewachsen, so viel war mir klar.« 159<br />

Im Jahre 1932, also noch in <strong>der</strong> Weimarer Republik, hatte die Stadt Düsseldorf einen<br />

Wettbewerb für ein Heine-Denkmal ausgeschrieben, an dem sich 74 Bildhauer beteiligten,<br />

unter ihnen Georg Kolbe und <strong>der</strong> junge Arno Breker. Brekers 1931 in Paris<br />

entstandener Entwurf wurde <strong>der</strong> zweite Preis zuerkannt, den ersten Preis erhielt Kolbe<br />

für seinen Knieenden Jüngling. Nicht nur die regionale Presse, auch die in Berlin<br />

erscheinende überregionale Vossische Zeitung lobte Brekers Entwurf, <strong>der</strong> im Unterschied<br />

zu Kolbes Knieendem Jüngling dem Betrachter eine Vorstellung des jungen<br />

Heine vermittle. Das auf Grundlage dieses Entwurfs von Breker 50 Jahre später geschaffene<br />

Denkmal wurde 1983 auf Beschluss des Stadtrates von Nor<strong>der</strong>ney vor dem<br />

dortigen Haus <strong>der</strong> Insel aufgestellt, wo es seitdem an Heine als den »Dichter <strong>der</strong><br />

Nordsee« erinnert. 160 Die Stadt Düsseldorf hatte unter Hinweise auf Brekers Tätigkeit<br />

im Dritten Reich eine Aufstellung des Denkmals abgelehnt. 161<br />

In Brekers Denkmalgestaltung ist Heines Gebärde leicht angespannt und doch gelassen:<br />

Vor sich hinblickend, sinnt <strong>der</strong> junge Dichter einem poetischen Gedanken<br />

nach, von dem er ergriffen ist. Es ist <strong>der</strong> schöpferische Augenblick, den Breker festgehalten<br />

hat, ohne ihn zur Pose verkommen zu lassen. Auch das im Zusammenhang<br />

mit dem Denkmal entstandene Portrait verrät dem Betrachter etwas über die Poesie<br />

des Dichters. Die von Wehmut grundierte Schönheit von Heines Antlitz erscheint als<br />

Metapher seiner Dichtung: Aus den Gesichtszügen Heines spricht das Leiden unter<br />

<strong>der</strong> philiströsen Engstirnigkeit vieler seiner Zeitgenossen, aber auch die unerfüllte romantische<br />

Sehnsucht nach Glück, <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> unverwechselbare Ton seiner Lyrik<br />

und Prosa verdankt.<br />

Obwohl Breker und sein Werk nach dem Zweiten Weltkrieg tabuisiert wurden, suchten<br />

Künstler – Schriftsteller, Maler, Bildhauer und Musiker – die Nähe des verfemten<br />

Bildhauers o<strong>der</strong> traten für ihn ein, unter ihnen Reinhold Schnei<strong>der</strong>, Ernst Jünger,<br />

159. Strahlungsfeld, S. 68<br />

Leopold Sedar Senghor, Ezra Pound, Friedrich Sieburg, Louis-Ferdinand Celine,<br />

160. vgl. Herman Lohausen,<br />

Rudolf Nurejew und Salvador Dali. Eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung besaß für Breker die Heine auf Nor<strong>der</strong>ney,<br />

Freundschaft mit dem Wiener Maler Ernst Fuchs, dem Begrün<strong>der</strong> des Phantastischen Düsseldorf 1983<br />

Realismus in <strong>der</strong> Kunst. Diese Freundschaft hatte eine Vorgeschichte.<br />

161. vgl. Herman Lohausen,<br />

Ernst Fuchs wurde 1930 als Sohn eines jüdischen Vaters und einer nicht jüdischen Heine ja! Breker nein?,<br />

Düsseldorf 2011<br />

Mutter in Wien geboren. In seinen Erinnerungen schil<strong>der</strong>t Fuchs auf erschütternde<br />

162. Ernst Fuchs: Phantastisches<br />

Weise seine Kindheit unterm Hakenkreuz. Nachdem Hitler 1938 in Österreich einmarschiert<br />

war, wurde <strong>der</strong> junge Fuchs das Opfer eines »brutalen Antisemitismus«, 162 Berlin, 2001, S.<br />

Leben, Erinnerungen,<br />

29<br />

81<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

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163. ebd.<br />

164. ebd.<br />

165. ebd.<br />

166. ebd.<br />

167. Draeger: Fuchs über<br />

Ernst Fuchs, München<br />

1977, S. 200<br />

168. Ernst Fuchs: Phantastisches<br />

Leben, Erinnerungen,<br />

Berlin 2001, S. 55<br />

169. Schriften, S. 79<br />

170. ebd.<br />

171. Ernst Fuchs: Phantastisches<br />

Leben, Erinnerungen,<br />

Berlin 2001, S. 427<br />

172. ebd.<br />

173. ebd.<br />

174. ebd.<br />

den er »täglich, vor allem in <strong>der</strong> Schule, zu fühlen bekam«. 163 Fuchs litt aber auch<br />

unter <strong>der</strong> Flucht seines Vaters, <strong>der</strong> 1940 nach Shanghai emigriert war. Den Verlust<br />

des Vaters und den sich verschärfenden Antisemitismus empfand Fuchs als »Verhängnis«,<br />

164 gegen das er sich auflehnte, indem er »große hebräische Buchstaben auf das<br />

Kopfsteinpflaster des Gehsteigs« 165 vor dem Elternhaus schrieb. Da seiner Mutter infolge<br />

<strong>der</strong> Nürnberger Rassegesetze das Erziehungsrecht entzogen wurde, verbrachte<br />

man den Jungen in »eine Art Durchgangslager für Halbjuden und Geltungsjuden«,<br />

166 aus dem viele Kin<strong>der</strong> nach Auschwitz und Theresienstadt deportiert wurden.<br />

In dieser Zeit – im Alter von acht Jahren – begann Fuchs, Ansichtskarten mit<br />

Photos von Brekers Plastiken zu sammeln, dessen Werk er »schon während des Krieges<br />

trotz aller Nazipropaganda, die dafür gemacht wurde, liebte«. 167 Nicht nur aus<br />

Fuchs’ in den siebziger Jahren erschienener Monographie, auch aus seinen 2001 veröffentlichten<br />

Erinnerungen geht hervor, dass Arno Breker zu seinen prägenden<br />

künstlerischen Eindrücken gehörte: »Mein Weg zur Kunst führte über gigantische<br />

Vorbil<strong>der</strong>. In <strong>der</strong> Musik war es Beethoven, in <strong>der</strong> Malerei Michelangelo, Leonardo.<br />

Später, mit vierzehn, Ivan Mestrovic, Arno Breker – letzterer war mein Liebling vom<br />

achten Lebensjahr an.« 168<br />

Arno Breker und Ernst Fuchs lernten sich 1973 bei <strong>der</strong> Eröffnung einer Ausstellung<br />

von Fuchs’ Werken in Köln kennen. Breker beeindruckte Fuchs’ »hohe Intelligenz,<br />

seine ernorme Belesenheit und seine sprühende Phantasie«, 169 aber ihn faszinierte<br />

auch das anspielungsreiche Werk des Wiener Malers, in dem er »eine Kultur<br />

von dreitausendjähriger Herkunft vor sich« 170 sah. In den folgenden Jahren kam<br />

es zu zahlreichen Begegnungen <strong>der</strong> beiden Künstler, die Duzfreunde wurden. Unermüdlich<br />

setzte sich Fuchs für den diffamierten Bildhauer ein. So produzierte er<br />

Fernsehsendungen, in denen er Brekers Werke den Totenmasken-Übermalungen von<br />

Arnulf Rainer gegenüberstellte, um das Thema »Menschenbild und Schönheit« auszuloten.<br />

Fuchs schrieb die Texte des luxuriösen, 1982 im Hartmann-Verlag erschienenen<br />

Bildbandes Arno Breker – Der Prophet des Schönen, und er führte ein Vierteljahr<br />

vor Brekers Tod ein langes Fernsehinterview mit dem greisen Freund, das im<br />

Düsseldorfer Haus des Bildhauers aufgezeichnet wurde.<br />

Als sich Ernst Fuchs mit Salvador Dali Anfang <strong>der</strong> siebziger Jahre über das Menschenbild<br />

in <strong>der</strong> Kunst unterhielt, kam das Gespräch auch auf Arno Breker, und Dali<br />

gestand Fuchs, dass er Breker für den besten Bildhauer des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts halte. 171<br />

Vor allem von den Kameraden war Dali beeindruckt. Das monumentale Relief sei die<br />

»treffendste Form, in <strong>der</strong> die Götterdämmerung des ›Tausendjährigen Reiches‹ eines<br />

falschen Welterlösers ihren Ausdruck gefunden habe«. 172 Dalis Wunsch, von Breker<br />

portraitiert zu werden, erweckte, so Fuchs, den Düsseldorfer Bildhauer zu »neuem<br />

Leben«: 173 »Er war wie verwandelt. Die Büste, die er von Dali schuf, ist ein beredtes<br />

Zeugnis dieses neu erwachten Optimismus und gehört zum Schönsten, was Breker<br />

gemacht hat.« 174<br />

Breker hat Dali mit dem surrealen Blick des großen Spaniers gesehen, <strong>der</strong> einem<br />

seiner Gemälde entsprungen zu sein scheint. Noch eindrucksvoller tritt die surreale<br />

metaphysische Gebrochenheit, die uns in Dalis Bil<strong>der</strong>n begegnet, an einem misslun-<br />

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genen Bronzeguss <strong>der</strong> Büste mit deutlichen Arbeitsspuren und löchriger Oberfläche<br />

hervor, den Breker – neben dem vollendeten Guss – als gültige Fassung des Portraits<br />

ansah. Roger Peyrefitte fand in seiner Apologie auf Breker die folgenden Worte für<br />

das Dali-Portrait: »Der genialste Maler des Jahrhun<strong>der</strong>ts ist darin vollkommen vergegenwärtigt<br />

mit all seiner Besessenheit, seinen verschlingenden Augen; zugleich Eroberer,<br />

Conquistador und Pikador, <strong>der</strong> mit seinen Ban<strong>der</strong>illas alle Konformismen<br />

durchlöchert hat.« 175 Bei <strong>der</strong> Eröffnung des Dali-Museums 1974 in Figueras, in dem<br />

auch Brekers Büste von Cocteau ausgestellt ist, rief Dali die Freundschaft des Goldenen<br />

Dreiecks aus: »Wir sind das Goldene Dreieck in <strong>der</strong> Kunst: Breker-Dali-Fuchs.<br />

Man kann uns wenden wie man will, wir sind immer oben.« 176<br />

Im Jahre 1966 erhielt Breker von einem Franzosen den Auftrag, den amerikanischen<br />

Dichter Ezra Pound zu portraitieren, <strong>der</strong> in Südtirol bei seiner Tochter lebte. Im<br />

Februar 1967 reiste Breker nach Basel, um Pound kennenzulernen und Photos von<br />

ihm aufzunehmen, nach denen er die Vorstudie <strong>der</strong> Büste modellieren wollte. Mit<br />

84 Jahren trat Pound im Früjahr 1969 seine letzte Reise an. Sie führte den greisen<br />

und verstummten Dichter nach Paris, wo in Brekers Atelier in <strong>der</strong> Rue de Navarin<br />

das eindrucksvollste Portrait des Bildhauers entstand.<br />

Breker lernte Pound zu einem Zeitpunkt kennen, da ein langes Leben politischer<br />

Irrtümer, unvorstellbarer Demütigungen und Leiden hinter dem Dichter lag, <strong>der</strong> sich<br />

immer mehr in ein undurchdringliches Schweigen zurückzog. Wir erinnern uns:<br />

Nachdem Pound von 1920 bis 1924 in Paris gelebt hatte, zog er nach Italien, wo er<br />

mit Mussolini sympathisierte und während des Zweiten Weltkriegs antiamerikanische<br />

und antisemitische <strong>Red</strong>en im Radio hielt. Nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen<br />

in Italien wurde er festgenommen und in einem Käfig in Pisa öffentlich zur Schau<br />

gestellt. In den USA wurde Pound 1946 wegen Landesverrats angeklagt und entging<br />

<strong>der</strong> Todesstrafe, weil ein psychiatrisches Gutachten ihn für geisteskrank erklärte. Danach<br />

verbrachte er zwölf Jahre in <strong>der</strong> Psychiatrie des Sankt Elisabeth-Krankenhauses<br />

in Washington. Allein <strong>der</strong> Fürsprache von prominenten Freunden, unter ihnen Ernest<br />

Hemingway, hatte Pound seine Entlassung aus <strong>der</strong> Psychiatrie zu verdanken. Es war<br />

Pier Paolo Pasolini, <strong>der</strong> kommunistische Regisseur und Dichter, <strong>der</strong> mit einem 1967<br />

gedrehten Dokumentarfilm über Pound zu dessen Rehabilitierung beitrug.<br />

Als Breker im selben Jahr, am 14. Februar 1967, Pound in Basel zum ersten Mal<br />

gegenüberstand, hatte er nicht nur seine Cantos gelesen, er war auch mit Pounds tragischem<br />

Schicksal vertraut. Und doch war er jetzt auf eine nie erlebte Weise vom Anblick<br />

des Dichters überwältigt, dass er alles vergaß, was er über ihn wusste, und aus<br />

dem Kontinuum <strong>der</strong> Zeit gleichsam hinausgeworfen wurde: Im »Bruchteil einer Sekunde«<br />

177 stand Breker das vollendete Portrait vor dem inneren Auge. Alles übrige –<br />

die Photos, die Arbeit an <strong>der</strong> Vorstudie, die Sitzungen in Paris – dienten nur dazu,<br />

den ersten Eindruck festzuhalten, zu materialisieren. Auch in seinen Memoiren hat<br />

Breker diesen ersten Eindruck von Ezra Pound festgehalten: »Ich gehe ihm entgegen,<br />

Olga Rudge (Pounds Begleiterin; R.H.) stellt mich vor. Prüfend, ja durchdringend<br />

sieht er mich aus seinen dunkelblauen Augen, die von mächtigen Augenbrauenwülsten<br />

geschützt sind, an, als gäbe es etwas auszuloten. Doch im gleichen Augen-<br />

175. Roger Peyrefitte: Hommage<br />

an Arno Breker, Paris, Bonn,<br />

New York, 1980, S. 21<br />

176. Dominique Egret: Arno<br />

Breker – Ein Leben für das<br />

Schöne, Tübingen 1996, S. 29<br />

177. Strahlungsfeld, S. 372<br />

83<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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lick ist er abwesend, als wäre ich nicht existent. Gleichsam in einer Wolke völliger<br />

Abgeschiedenheit schwebend, von <strong>der</strong> Umwelt abgeschnitten, alle Realitäten aufhebend,<br />

wirkt seine Gegenwart in diesem Augenblick wie ein Phantom. Aus seinem<br />

Auge blickt unfaßbar Seherisches; tiefster Ernst, von innerem Monolog diktiert,<br />

wechselt über in uferloses Leid. Im jähen Wandel leuchtet im Blick eine Intensität<br />

des Erfassens, das die zielsichere Schärfe des Adlerauges heraufbeschwört. Die vorher<br />

von <strong>der</strong> Pelzmütze verdeckten, nun freigegebenen wilden Haare wirken wir Lanzen,<br />

die sich nach allen Richtungen zur Wehr setzen, als gälte es, eine Festung zu verteidigen.<br />

Um den Mund zuckt es immerfort, als stünde ein Ausbruch bevor. Dann überrascht<br />

ein Ausdruck unerwarteter, unendlicher Güte. Eine alles umspannende Milde<br />

strahlt aus seinen Zügen, ja, etwas Christushaftes – ein sich aufdrängen<strong>der</strong> Vergleich,<br />

betrachtet man den schütteren Bart, <strong>der</strong> die Unzahl tief eingegrabener Runen, von<br />

<strong>der</strong> Bürde schweren Schicksals geprägt, durchscheinen läßt. Gebannt erlebe ich den<br />

steten Wechsel dieses unheimlichen, faszinierenden Mienenspiels. Es ist verständlich,<br />

daß ich mit einer fast brutalen Gier alles an ihm erfassen möchte im Hinblick auf die<br />

gestellte Aufgabe, ihn zu portraitieren. Vielleicht hat mein Blick sogar etwas Indiskretes.<br />

Das gegenseitige Abtasten währt eine Ewigkeit, obwohl es sich vielleicht nur um<br />

Sekunden handelt. (...) Eine ungeheure Tragödie verbirgt sich in diesem leicht nach<br />

vorn geneigten Körper, als unergründliches, undurchdringliches Geheimnis spürbar,<br />

jedoch dem Zugriff durch die Außenwelt verschlossen. Ein Schutzmantel, unsichtbar,<br />

doch zu ahnen, umhüllt seinen Geist, wie die Epi<strong>der</strong>mis <strong>der</strong> Säulen eines griechischen<br />

Tempels den Marmor vor dem Zerfall schützt.« 178<br />

178. ebd. S. 373 f.<br />

179. Herman Lohausen: Arno<br />

Breker – Genie des Porträts,<br />

Kalkum 2000, S. 12<br />

180. Strahlungsfeld, S. 373<br />

Das letzte Werk, an dem <strong>der</strong> 90jährige Breker bis zu seinem Tode am 13. Februar<br />

1991 arbeitete, war sein Selbstportrait. Es ist schon seltsam, dass Breker, <strong>der</strong> große<br />

Portraitist, sich selbst nur zwei Mal portraitiert hat: als 18jährigen und als Greis.<br />

Warum scheute Breker lange Jahre vor einer Selbstbegegnung zurück? Und warum<br />

portraitierte er sich kurz vor seinem Tode dann doch? Herman Lohausen, seit den<br />

siebziger Jahren ein guter Freund des Bildhauers, hat überliefert, dass Breker aus<br />

Angst vor dem eigenen Tod von einem Selbstportrait Abstand genommen habe: Er<br />

habe geglaubt, dass eine authentische Selbstbegegnung nur um den Preis des eigenen<br />

Lebens gelingen könne. 179 Es sei dahingestellt, ob Brekers Frau Charlotte o<strong>der</strong> sein<br />

Galerist Joe F. Bodenstein den Bildhauer zu seinem späten Selbstportrait anregten –<br />

ausschlaggebend war Brekers Einwilligung in den eigenen Tod, <strong>der</strong> ihn dann auch bei<br />

<strong>der</strong> Arbeit an <strong>der</strong> Büste ereilte. Brekers Selbstportrait ist das Bildnis eines unbeirrt auf<br />

ein in unbestimmter Ferne liegendes Ziel blickenden einsamen Mannes. Das Entsetzen<br />

des 18jährigen ist einer Selbstnähe gewichen, die sich nicht nur <strong>der</strong> nie erlahmenden<br />

schöpferischen Arbeit, son<strong>der</strong>n auch Brekers Irrtümern und Schicksalsschlägen<br />

verdankt. Es ist nicht Trotz, <strong>der</strong> aus seinen Gesichtszügen spricht, aber auch<br />

keine Verbitterung o<strong>der</strong> Reue: Am Ende seines Lebens ist Arno Breker ganz bei<br />

sich selbst, und wie bei Ezra Pound ist ein »unergründliches, undurchdringliches<br />

Geheimnis spürbar«, 180 das <strong>der</strong> Bildhauer nicht preisgibt.<br />

SELBSTBILDNIS<br />

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ALLA POPPERSONI<br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

APPROACHING GARDEN<br />

VERW<strong>UND</strong>ETER<br />

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ALEXANDER<br />

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ROMANICHEL<br />

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JEAN COCTEAU<br />

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ROMANICHEL<br />

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SALVATORE DALÍ<br />

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RUDOLF CONRADES<br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong><br />

DIE DEUTSCHE KUNSTMORAL<br />

Bildhauer unterliegen, wie alle Künstler, den Wertungen ihrer Bewun<strong>der</strong>er, Kritiker<br />

und Verächter. Typische, immer wie<strong>der</strong> verwendete Kategorien <strong>der</strong> Wertung und<br />

Einschätzung besagen, die Bildhauer X. und Y. seien aktuell, sie seien mittelmäßig<br />

und/o<strong>der</strong> unpolitisch, populär, genial etc. Wenn man bei Google das Wort Bildhauer<br />

mit einem dieser Attribute koppelt, dann finden sich jeweils zigtausende bis über<br />

hun<strong>der</strong>ttausend Ergebnisse. Eine Kategorie erscheint sehr selten, gehört aber dennoch<br />

in Deutschland zum eisernen terminologischen Bestand – es ist <strong>der</strong> Begriff umstritten.<br />

Beim Google-Suchwort umstrittener Bildhauer erscheinen 20 Ergebnisse; bei sehr<br />

umstrittener Bildhauer gibt es 78 Resultate. Ein Bildhauer aber steht in beiden Kategorien<br />

an vor<strong>der</strong>ster Stelle: Arno Breker.<br />

Wer an den Namen Breker eine Assoziationskette von Personen hängt, dem fällt<br />

höchstwahrscheinlich als nächstes Kettenglied Adolf Hitler ein. Dank dieser festen<br />

Verbindung hat je<strong>der</strong>, <strong>der</strong> über Breker als Bildhauer schreiben will, erhebliche Hürden<br />

vor sich auf dem Gedankenweg liegen. Sich elegant daran vorbeischlängeln zu<br />

können, ist eine Illusion.<br />

Falls man über den Lieblingsbildhauer Hitlers arbeiten möchte, ohne sich darauf<br />

zu beschränken, den Umstrittenen als Unperson zu sehen, muss man bereit sein, ungeläufige<br />

Pfade durch historisch kontaminiertes Gelände zu gehen.<br />

Die Einschätzungen und Wertungen Brekers klaffen, nach Contra und Pro in<br />

zwei Meinungslager geordnet, so extrem auseinan<strong>der</strong>, dass an Brückenbauen kaum zu<br />

denken ist. Beide Seiten sind unbeirrbar überzeugt, im ungeschmälerten Besitz <strong>der</strong><br />

Wahrheit zu sein; deshalb bieten beide Meinungspole wenig rational verlässliche<br />

Anhaltspunkte, keine stabilen Pylone, um dazwischen eine begehbare Brücke einzuhängen.<br />

Ein typischer Ausdruck von Position I klingt (in Bezug auf Breker) so:<br />

Die großen Künstler unseres [sic. des zwanzigsten] Jahrhun<strong>der</strong>ts wurden verfolgt, mit Berufsverbot<br />

belegt, ermordet und ins Exil getrieben, damit eine willfährige Staatskunst mit<br />

93<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

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drittklassigen Werken die ideologischen Gebote <strong>der</strong> Diktatur verkünde. Nazi-Kunst von<br />

künstlerischer Qualität ist uns nicht bekannt, wie dies durch mehrere Ausstellungen in<br />

den letzten Jahren deutlich wurde. (…) Kunst hat auch mit Ethik zu tun. Deshalb rufen<br />

wir erneut öffentlich auf: Nazi-Kunst gehört nicht in unsere Museen. 1<br />

In Position II heißt es:<br />

[Sein Humanismus] gibt Breker die Kraft, den Menschen in dieser vollendeten Art als<br />

Ausdruck einer positiven Sicht <strong>der</strong> Naturerscheinung zu formen. Undenkbar ist, dass solche<br />

Figuren entstehen könnten, ohne die geistig-seelischen Voraussetzungen, die die hohe<br />

Menschlichkeit und die Achtung allen Lebens in Brekers Wesen fest verankern. (…) Im<br />

Laufe seines langen Lebens erreichte Breker das Ziel, ein intaktes Menschenbild zu vermitteln,<br />

und er wird somit ›wirklich <strong>der</strong> große Prophet des Schönen‹, wie es sein Künstler-<br />

Freund, Ernst Fuchs, so trefflich formulierte. 2<br />

Zwischen beiden Positionen klaffen wirklich Welten. An dieser Kluft hat sich seit<br />

Entstehen bei<strong>der</strong> Texte in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts nur wenig<br />

verän<strong>der</strong>t: Entwe<strong>der</strong> vertritt man die eine Position, dann gehört man hier dazu,<br />

o<strong>der</strong> man vertritt die an<strong>der</strong>e, dann findet man dort seine Überzeugungsheimat. Sich<br />

zwischen den Fronten aufzuhalten, ist eher ungemütlich. Das sehen beide Seiten<br />

nicht gern, und man wird attackiert von links wie von rechts.<br />

Allerdings gibt es einen großen Unterschied: Von links wird bei je<strong>der</strong> sich bietenden<br />

Gelegenheit öffentlich aus allen Rohren und unter Einsatz lärmigster Böller geschossen,<br />

während das rechte Glaubenslager, das unvergleichlich viel kleiner ist, sich<br />

mehr als Wagenburg versteht, die Köpfe nach innen dreht und die Reihen fest geschlossen<br />

hält.<br />

001. Flugblatt: Keine Nazi-Kunst<br />

in unsere Museen, Düsseldorf,<br />

Febr. 1989. Von Klaus<br />

Staeck initiierter, von ca. 300<br />

Personen aus dem kulturellen<br />

Leben unterzeichneter Aufruf.<br />

002. Volker G. Probst, Der große<br />

Prophet des Schönen. Dem<br />

Bildhauer Arno Breker zum<br />

80. Geburtstag, in: Ostpreußenblatt,<br />

5. Juli 1980,<br />

S. 10 u. 11.<br />

003. siehe hier weiter unten …<br />

Da sich so wenig bewegt in <strong>der</strong> weiten, mühevollen Ebene dazwischen, ist diese sehr<br />

gut zu überblicken. Wechsel vom einen ins an<strong>der</strong>e Lager wären sehr leicht wahrzunehmen.<br />

Deshalb gräbt sich <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> zur an<strong>der</strong>en Seite überlaufen möchte, am<br />

besten unterirdisch von Front zu Front durch. Wenn er das geschafft hat, dann wird<br />

er ohne große Nachfragen auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite aufgenommen und darf in neuer<br />

Uniform und entgegengesetzter Zielrichtung sogleich auf alles schießen, was sich bewegt.<br />

Dass dies nicht nur ein militärisches Sprachbild ist, son<strong>der</strong>n reale Erfahrung, werde<br />

ich in Kurzform auf den Punkt bringen. Weiter unten soll ein Fall geschil<strong>der</strong>t werden,<br />

<strong>der</strong> eine Person betrifft, die über viele Jahre eine zentrale Figur eines <strong>der</strong> beiden<br />

Lager war. Dieser Fall belegt symptomatisch, wie die beidseitig hochgepuschte kunstkriegerische<br />

Moral diese Person dazu brachte, statt einen freien, diskursiven, öffentlich<br />

erklärten Übertritt zur Gegenseite zu vollziehen, die Seiten um fast jeden (moralischen)<br />

Preis ungesehen, nach Art einer langfristig angelegten Un<strong>der</strong>cover-Aktion, zu<br />

wechseln. 3<br />

Diese Geschichte belegt, wie noch um die Jahrtausendwende und danach moralischer<br />

Furor auf <strong>der</strong> einen und hemmungslose Beweihräucherung auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite eine<br />

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nüchterne, differenzierte Wahrnehmung <strong>der</strong> Kunstprodukte fast unmöglich machte<br />

und machen will, die man als Kunst des Dritten Reiches bezeichnet. Das Verhältnis<br />

von Kunst und Moral ist ein haariges Kapitel. Für die Erben <strong>der</strong> jüngeren deutschen<br />

Geschichte ganz beson<strong>der</strong>s. Eins aber sollte man, meine ich, nicht vergessen: Der Gegensatz<br />

von Moral ist nicht nur die Unmoral, son<strong>der</strong>n genauso sehr die Doppelmoral.<br />

Auch die ist beim vorliegenden Thema zu besichtigen.<br />

»Wenn das <strong>der</strong> Führer wüsste« war während des Dritten Reichs das geflügelte Wort<br />

für alle, die nicht begreifen wollten, dass sie einem Verbrecher aufgesessen waren. In<br />

den frühen Nachkriegsjahrzehnten kehrte man den Spieß um und versuchte, alle<br />

Schuld bei Hitler und seiner engsten Clique abzuladen, während Wehrmacht, Verwaltung<br />

etc. ›sauber geblieben‹ sein sollten.<br />

Erst allmählich wurde man fähig und/o<strong>der</strong> willens, die Verstrickung Millionen<br />

Deutscher in die Untaten des Nationalsozialismus zu akzeptieren. Inzwischen geschieht<br />

das längst ›auf breiter Front‹. Von <strong>der</strong> Ausstellung Verbrechen <strong>der</strong> Wehrmacht<br />

bis hin zu Orts- und Firmenchroniken spürt man den zahllosen Verflechtungen in<br />

das Nazisystem nach, und man untersucht die Strategien, mit denen große Teile <strong>der</strong><br />

Bevölkerung von Hitler, Goebbels und Co. gekö<strong>der</strong>t wurden. 4<br />

Ausgerechnet auf dem Feld <strong>der</strong> Kunstgeschichte ist dieses Terrain immer noch bis zur<br />

Unübersichtlichkeit vollgestellt mit Ideologie und Glaubensfragen. Infolgedessen<br />

geht <strong>der</strong> allgemeine Aufklärungsprozess hier nur schleppend und schlingernd voran.<br />

Für die Mehrheit <strong>der</strong> deutschen Universitäts-Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher<br />

spielt die Kunst des Dritten Reichs immer noch die Rolle eines Wechselbalgs,<br />

den man immer noch am liebsten abtreiben würde, wenn es denn möglich wäre. Im<br />

Allgemeinen straft man das Unerwünschte durch Nichtachtung.<br />

Die Propyläen-Kunstgeschichte, immer noch ein Standardwerk des Fachs, erwähnt<br />

nicht einmal die Namen <strong>der</strong> Dritte-Reich-Stars Arno Breker, Josef Thorak<br />

o<strong>der</strong> dem Maler Paul Mathias Padua. 5<br />

Der Katalogband einer einflussreichen Ausstellung hatte sich den umfassenden Titel<br />

Deutsche Kunst im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t. Malerei und Plastik. 1905–1985 gegeben. In<br />

<strong>der</strong> Einleitung des viel rezipierten, 1995 wie<strong>der</strong>aufgelegten Buches wird <strong>der</strong> Grund<br />

genannt für die auffällige Schweigsamkeit: Von Anfang an war für uns selbstverständlich:<br />

Das, was man mit einem Schlagwort als ›Nazikunst‹ bezeichnet, bleibt aus unserer<br />

Ausstellung ausgeschlossen. Was im ›Dritten Reich‹ als Kunst gefeiert wurde, war monumentalisierter<br />

Kitsch, zweckdienlich für die faschistische Propaganda. Dass wir überdies<br />

für die Zeit nach 1945 nur Arbeiten von Künstlern zeigen, die im westlichen Teil<br />

Deutschlands leben, hängt mit <strong>der</strong> Nachkriegsentwicklung zusammen. Zwei unterschiedliche<br />

deutsche Staaten sind entstanden, <strong>der</strong>en verschiedenartige Kunstentwicklungen miteinan<strong>der</strong><br />

wenig zu tun haben, an<strong>der</strong>en Gesetzen unterliegen, sich an an<strong>der</strong>en Wertsystemen<br />

orientieren. 6<br />

Diese Sätze sind erstaunlich: <strong>der</strong> Titel von Ausstellung und Buch – Deutsche Kunst im<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t – verspricht ganz eindeutig dem Leser einen kompletten Überblick<br />

004. Letzteres beson<strong>der</strong>s plastisch<br />

dargestellt in den Arbeiten<br />

von Götz Aly, angefangen bei<br />

Hitlers Volksstaat. Raub,<br />

Rassenkrieg und nationaler<br />

Sozialismus, Frankfurt a.M.<br />

2005.<br />

005. Vgl. Bd. 12 u. 13 <strong>der</strong><br />

Propyläen Kunst Geschichte,<br />

1984/85, in denen das<br />

20. Jh. abgehandelt wird.<br />

006. Christos Joachimides, Feuerriss<br />

durch die Welt, in:<br />

Deutsche Kunst im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Malerei und Plastik.<br />

1905–1985, Hrg. Christos<br />

Joachimides u.a., München<br />

1986, S. 10.<br />

95<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

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über eben diese Kunst in eben diesem Jahrhun<strong>der</strong>t. Doch in Wahrheit schnitt man<br />

ohne viel Fe<strong>der</strong>lesens und Skrupel zwölf Jahre <strong>der</strong> gesamtdeutschen und sogar 40<br />

Jahre ostdeutscher Kunst aus 80 deutschen Jahren heraus. ›Deutsche Kunst‹ ist also<br />

nicht das, was war, son<strong>der</strong>n das, was die Ausstellungsmacher und Buchherausgeber<br />

davon zu akzeptieren bereit waren.<br />

Ein riesengroßer Rest wurde zum deutschen Kunst-Abfall erklärt und fiel unter<br />

den Tisch. Damals wurde dieses Verfahren nicht weiter kritisiert: Die bundesrepublikanische<br />

›Westkunst‹ fühlte sich als alleinige Erbin <strong>der</strong> guten deutschen Traditionen<br />

und bestand, wie die westdeutsche Politik, auf einem Alleinvertretungsanspruch.<br />

Die Formulierung, Ost- und Westkunst hätten wenig miteinan<strong>der</strong> zu tun, denn sie<br />

würden an<strong>der</strong>en Gesetzen unterliegen, sich an an<strong>der</strong>en Wertsystemen orientieren, setzt die<br />

Abhängigkeit <strong>der</strong> Kunst von den jeweiligen politischen Wertsystemen in befremdlicher<br />

Selbstverständlichkeit voraus. Wo bleibt dabei die vielgepriesene Autonomie <strong>der</strong><br />

Kunst und <strong>der</strong> Kunstbetrachtung?<br />

War die Ostkunst, dank an<strong>der</strong>er Gesetze und Wertsysteme, im Osten gut und im<br />

Westen nicht? Galt die Qualität <strong>der</strong> Westkunst nur westlich des Eisernen Vorhangs in<br />

Staaten mit demokratischer Verfassung?<br />

Was ist dann mit <strong>der</strong> Kunst im Dritten Reich, die noch ganz an<strong>der</strong>en Gesetzen unterlag<br />

und sich an völlig an<strong>der</strong>en Wertsystemen orientieren sollte? Nach <strong>der</strong> Logik <strong>der</strong><br />

Ausstellungsmacher von 1985 gäbe es parallele Kunstwelten, die ihren je eigenen Gesetzen<br />

gehorchen. So argumentieren seit 1945 viele, die irgendetwas in <strong>der</strong> Zeit vor<br />

1945 zu erklären haben. Nach dieser Logik hatte auch <strong>der</strong> ehemalige Marinerichter<br />

Filbinger gesagt, dass ein Urteil nach den Paragraphen <strong>der</strong> Nazizeit nicht nachträglich,<br />

nach dem Recht <strong>der</strong> Bundesrepublik, zu Unrecht werden könne.<br />

Dieser Filbinger-Satz erkennt tatsächlich nur das jeweils kodifizierte Recht und<br />

keinerlei naturrechtliche Rechtsgrundlage an. Den Autoren von 1985 ist vermutlich<br />

entgangen, dass sie selbst auf dem Gebiet <strong>der</strong> Ästhetik eine vergleichbare Position bezogen<br />

hatten: es gelten in Ost und West die jeweilig politisch vorgegeben Normen<br />

auch für die Kunst. Die Vorstellung einer systemunabhängigen, gewissermaßen naturrechtlich<br />

untersetzten ›Weltkunst‹ und einer universalen Kunstgeschichten wird<br />

damit aufgegeben. Konsequenterweise hätte man die Vorstellung, die Ost- und Westkunst<br />

seien nicht kommensurabel, weil verschiedenen Wertesystemen zugehörig,<br />

auch auf die Kunstproduktion des Dritten Reichs übertragen müssen. Vor solche beunruhigenden<br />

Schlussfolgerungen setzte man aber lieber das Totschlagargument, bei<br />

diesen Arbeiten handle es sich grundsätzlich und von vornherein nicht um Kunst,<br />

son<strong>der</strong>n um monumentalisierten Kitsch. Damit hoffte man, sich die Dispens verschafft<br />

zu haben, den unbequemen, begrifflich schwer zu packenden Brocken <strong>der</strong> ›Nazikunst‹<br />

konkret und differenziert ins Auge zu fassen, zu analysieren und irgendwie in<br />

eine universale Kunstgeschichte einzuordnen. NB.: Selbst wenn sich herausstellen<br />

sollte, dass es sich bei allen für das Dritte Reich angefertigten Werken <strong>der</strong> Bildkunst<br />

um monumentalisierten Kitsch handelt, zweckdienlich für die faschistische Propaganda,<br />

dann gehören in die Universalgeschichte <strong>der</strong> Kunst mit Sicherheit auch Kapitel über<br />

Staatskunst, über Propagandakunst und über den Kitsch.<br />

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Wenn man sich in den 70er, 80er Jahren trotz <strong>der</strong> leicht paranoiden Abwehrreflexe<br />

dennoch mit <strong>der</strong> Kunst im nationalsozialistischen Deutschland befasste, ging man<br />

mit so aseptischer Sorgfalt vor, als müsse man sich und an<strong>der</strong>e vor dem Gegenstand<br />

schützen.<br />

Die im Jahr 1974 in Frankfurt a.M. eröffnete und in den Folgejahren durch die<br />

Bundesrepublik (inkl. Westberlin) reisende Ausstellung Kunst im 3. Reich. Dokumente<br />

<strong>der</strong> Unterwerfung gab für die Folgejahrzehnte die Richtung vor, wie man sich dieser<br />

Kunst nähern durfte, ohne zu riskieren, sie aus <strong>der</strong> Quarantänestation ausbrechen zu<br />

lassen. Im Begleitband <strong>der</strong> Ausstellung, <strong>der</strong> mehrfach neu aufgelegt wurde, lautet <strong>der</strong><br />

erste Absatz aus <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> des Ausstellungsmachers Georg Bussmann:<br />

In <strong>der</strong> ersten umfassenden Ausstellung, die sich nach 1945 mit <strong>der</strong> Kunstproduktion<br />

des ›Dritten Reiches‹ befasst, muss Auswahl und Aufbereitung des Materials aus dieser<br />

durchaus noch nicht ›bewältigten‹ Epoche mit beson<strong>der</strong>er Verantwortlichkeit vorgenommen<br />

werden. Nur daraus, wie diese Ausstellung ihr Thema angeht, kann sich ergeben,<br />

warum überhaupt dieser Gegenstand wie<strong>der</strong> hervorgeholt wird. 7<br />

Offenbar gehörte damals zur beson<strong>der</strong>en Verantwortlichkeit, darauf zu verzichten, die<br />

Ausstellungsbesucher dem Anblick <strong>der</strong> plastischen o<strong>der</strong> malerischen Originale auszusetzen.<br />

Zu sehen waren nur vergrößerte (und damit zwangsläufig vergröberte) Photographien<br />

aus dem Dritten Reich – und somit in <strong>der</strong> Ästhetik des Dritten Reichs. Als<br />

die Ausstellung ihre zweite Station Hamburg erreichte, ließ <strong>der</strong> dortige Kunstvereinsdirektor<br />

Schneede eine Textseite einheften, auf <strong>der</strong> er über die Rezeption <strong>der</strong> Ausstellung<br />

berichtete. Dort heißt es:<br />

Die Presse war sich in Frankfurt darüber einig, dass die Art <strong>der</strong> kommentierten Präsentation<br />

tatsächlich die von manchen befürchtete Gefahr einer nostalgischen Rezeption<br />

<strong>der</strong> Originale verhin<strong>der</strong>t hat. 8<br />

Ohne den ›Reiz‹ <strong>der</strong> Originale und eingehegt durch gewaltige Textmassen hatte<br />

man die schwarz-weiß reproduzierten Werke daran gehin<strong>der</strong>t, irgendwelche ungewollten,<br />

womöglich gefährlichen Reaktionen bei den Betrachtern auszulösen. Das<br />

legt den Umkehrschluss nahe: Hätte man die Ausstellungsbesucher mit den Originalwerken<br />

konfrontiert, dann hätte man mit irgendwelchen irrationalen Reaktionen<br />

rechnen müssen – eine in keiner Weise verifizierte Behauptung, die deutlich macht,<br />

wie wenig diese paternalistisch bevormundenden Kunstvermittler damals <strong>der</strong> demokratischen<br />

Reife ihrer Landsleute trauten.<br />

Jedenfalls wurde diese Wan<strong>der</strong>ausstellung, welche die Kunstwerke als historische<br />

Zeugnisse betrachtete und ihren Kunstaspekt kaum beachtete, sehr stark wahrgenommen.<br />

In ihrer konzeptionellen Grundhaltung – vorsorglich den Betrachter fest an die<br />

Hand nehmend, damit er sich in <strong>der</strong> Nazikunst nicht moralisch und ästhetisch verlaufen<br />

konnte – blieb sie lange vorbildlich. Noch mehr als 30 Jahre später, im Jahr<br />

2006, ging <strong>der</strong> Hauptvorwurf gegen die Schweriner Breker-Ausstellung dahin, sie<br />

hätte sich nicht an die damals eingeführten Spielregeln gehalten.<br />

Trotz <strong>der</strong> selbst auferlegten und im Deutschland des Jahres 1974 noch als unum-<br />

007. Kunst im 3. Reich. Dokumente<br />

<strong>der</strong> Unterwerfung, <strong>Red</strong>aktion<br />

Georg Bussmann, Frankfurt<br />

1974, S. 3.<br />

008. Uwe M. Schneede, in: ebd.,<br />

2. Auflage, Frankfurt 1975,<br />

zwischen S. 2 u. 3.<br />

97<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

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gänglich erachteten sedativen Maßnahmen finden sich auch viele erhellende Informationen<br />

in dem Ausstellungsband zur Kunst im 3. Reich. Dokumente <strong>der</strong> Unterwerfung.<br />

So ist eine geradezu explosive Zunahme plastischer Arbeiten in <strong>der</strong> Kunstpräsentation<br />

und -wahrnehmung sehr bemerkenswert:<br />

Die NS-Ideologie feierte das 20. Jahrhun<strong>der</strong>t als das ›plastische Zeitalter‹, in dem das<br />

›malerische 19. Jahrhun<strong>der</strong>t überwunden‹ sei (Werner 1940). Die Produktion <strong>der</strong> Bildhauer<br />

ist dementsprechend stark: Nach einer Aufstellung in <strong>der</strong> Zeitschrift ›Die Kunst im<br />

Dritten Reich‹, 1939, nimmt in <strong>der</strong> jährlich veranstalteten ›Großen Deutschen Kunstausstellung‹<br />

<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Plastik von Jahr zu Jahr zu: 1937 = 200 Plastiken, 1938 =<br />

380 Plastiken, 1939 = 630 Plastiken von 265 Künstlern (davon 200 Plaketten, 100<br />

Bildnisse, 130 Tierplastiken und 200 figürliche Arbeiten). 9<br />

009. Georg Bussmann, Plastik, in:<br />

ebd. S. 110, Zitat im Zitat:<br />

Bruno E. Werner, Deutsche<br />

Plastik <strong>der</strong> Gegenwart, Berlin<br />

1940, S. 202.<br />

010. Bussmann, ebd. S. 110,<br />

Zitat im Zitat: Lothar Tank,<br />

Das Bild, 1935, S. 107.<br />

Aufschlussreich sind weiterhin die von Bussmann nachgezeichneten Traditionslinien,<br />

durch welche die Plastiker des Dritten Reichs mit <strong>der</strong> Kunst <strong>der</strong> Weimarer Zeit verbunden<br />

waren – Traditionslinien, die eine klare Scheidung nicht eben erleichtern, obwohl<br />

dieses in <strong>der</strong> Bundesrepublik doch so dringend erwünscht war:<br />

Die Namen <strong>der</strong> ›Großen‹, Arno Breker und Josef Thorak, erscheinen nicht in den offiziellen,<br />

nach 1945 herausgekommenen Kunstgeschichten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass<br />

sie vergessen wären. So konnte Arno Breker sich einen festen Kreis von Freunden und<br />

Sammlern erhalten. Eine an<strong>der</strong>e Gruppe wie Kolbe, Scheibe und Klimsch war ohnehin<br />

bereits [vor] 1933 fest im Kunstbetrieb integriert. Kolbe war und ist im Ausland als ein<br />

Repräsentant <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen deutschen Plastik bekannt und geachtet; seine ›Tänzerin‹ von<br />

1912 erlangte große Popularität und Weltruhm. Die Werke dieser Künstler standen und<br />

stehen also in den Museen neben den Werken <strong>der</strong> sogenannten ›Entarteten‹, neben Barlach,<br />

Marcks und Belling, und sie sind daher vom Publikum auch kaum als ›Kunst des<br />

Nationalsozialismus‹ zu identifizieren. In dieser merkwürdig gespaltenen Situation, in<br />

<strong>der</strong> sich die Plastik des ›Dritten Reiches‹ heute darstellt – einerseits vergessen o<strong>der</strong> abseits<br />

des offiziellen Kunstbetriebs, an<strong>der</strong>erseits Bestandteil <strong>der</strong> seriösen Kunstgeschichte –, spiegelt<br />

sich die ›Begründung‹ dieser ›neuen deutschen Bildhauerkunst‹ und <strong>der</strong>en Voraussetzungen.<br />

An<strong>der</strong>s als in <strong>der</strong> Malerei, wo in <strong>der</strong> Aktion ›Entartete Kunst‹ mit einem Schlag fast<br />

die gesamte Mo<strong>der</strong>ne diffamiert und beseitigt wurde, konnte <strong>der</strong> Nationalsozialismus bei<br />

<strong>der</strong> Plastik in dem vielfältig differenzierten ›pluralistischen‹ Kunstangebot <strong>der</strong> Weimarer<br />

Zeit an eine ganz bestimmte Richtung anknüpfen.<br />

Die Plastik des Nationalsozialismus, durchweg figürlich und durchweg Aktplastik, bezieht<br />

sich direkt auf die Antike: ›Heute ist das Griechentum nicht unerreichbares Vorbild,<br />

son<strong>der</strong>n lebendige Wirklichkeit.‹ (Tank 1942) 10<br />

Der an <strong>der</strong> griechischen Klassik orientierte Klassizismus wurde – nach römischer Antike<br />

und Renaissance – wie<strong>der</strong> um 1800 stilbildend für Bildhauer wie Schadow,<br />

Thorwaldsen und Rauch. Zu Ende des 19. Jh. wendet sich Rodin mit großem Erfolg<br />

gegen einen mittlerweile akademisierten Klassizismus. Neben Rodin entfaltet <strong>der</strong><br />

jüngere Maillol erheblichen Einfluss auf die Bildhauerei:<br />

Maillol ist <strong>der</strong> Gegenpol zu Rodin. In Wie<strong>der</strong>aufnahme <strong>der</strong> griechischen Klassik betont<br />

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er die Tektonik <strong>der</strong> Plastik und die geschlossene Form. Er hat eine Entsprechung in Werk<br />

und Theorie von Hildebrand, <strong>der</strong> die Ideen des Klassizismus auf eine mehr formalistische<br />

Art wie<strong>der</strong>zubeleben versucht. Als <strong>der</strong> spezielle ›deutsche Weg‹ wird die Arbeit Barlachs<br />

angesehen, <strong>der</strong> – zurückgehend auf mittelalterliche Formen – eine sowohl durch Massivität<br />

wie durch eine dynamisierte Linie expressiv wirkende Formensprache findet. (…).<br />

Der Nationalsozialismus schließt an die Richtung Maillol-Hildebrand an, die in den<br />

30er Jahren vor allem durch Kolbe – <strong>der</strong> zugleich auch Einflüsse von Rodin verarbeitete –<br />

Klimsch und Scheibe repräsentiert werden. Zugleich mit Bernhard Bleeker und Karl<br />

Albiker werden diese unter dem Begriff <strong>der</strong> ›Tradition‹ als ›Klassiker des Übergangs‹ vom<br />

Nationalsozialismus akzeptiert und in Anspruch genommen. (…)<br />

In <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> drei Künstler [Kolbe, Klimsch, Scheibe] tritt nach 1933 eine<br />

gewisse Wandlung ein, die von 1937 an deutlich abzulesen ist an den Werken, mit denen<br />

sie auf <strong>der</strong> ›Großen Deutschen Kunstausstellung‹ im ›Haus <strong>der</strong> Deutschen Kunst‹ in<br />

München vertreten sind. Der Stil wird glatter – beson<strong>der</strong>s deutlich bei Klimsch, ›impressionistische<br />

Relikte‹ wie Sensibilisierung <strong>der</strong> Oberfläche werden zurückgenommen, ein<br />

neues Pathos wird vor allem bei Kolbe spürbar. 11<br />

Die Entwicklung, die Bussmann hier bei Kolbe, Scheibe und Klimsch konstatiert,<br />

hätte er genauso gut bei <strong>der</strong>en jüngerem Zeit- und Zunftgenossen Arno Breker wahrnehmen<br />

können. Dessen Entwicklung war bekanntlich vor und während seiner Pariser<br />

Zeit geprägt von <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung zuerst mit Rodin und dann mit Maillol<br />

und an<strong>der</strong>en französischen Klassizisten. Ab 1936, seit seinen Arbeiten für Olympia in<br />

Berlin, än<strong>der</strong>t sich Brekers Ausdrucksweise – zunächst in Richtung glatter Oberflächen<br />

und ruhiger Volumina, die noch ohne großes Pathos daherkommen. Soweit<br />

geht er also synchron mit Kolbe, Klimsch und Scheibe.<br />

Erst danach macht Breker sich auf zu den muskelbetonten, pathetisch bewegten,<br />

kämpferischen Männerfiguren, die schon 1939 in <strong>der</strong> Bereitschaft ihren unerfreulichen<br />

Kulminationspunkt fanden. Hier hat ein Bildhauer, dem friedlichere Sujets eindeutig<br />

mehr liegen, versucht, einen beson<strong>der</strong>s harten Helden zu modellieren, dessen<br />

Gesichtsausdruck allerdings über das Aggressiv-Verkniffene nicht hinauskommt. Hier<br />

trifft sich die NS-Ideologie mit einer Kunstproduktion, die weniger dieser Ideologie<br />

als <strong>der</strong>en oberstem Vertreter, Adolf Hitler, ethisch und künstlerisch reichlich haltlos –<br />

damals hätte man gesagt ›in bedingungsloser Hingabe‹ – entgegenkommt. Es ist kein<br />

Zufall, wenn beson<strong>der</strong>s Brekers Bereitschaft von <strong>der</strong> regimehörigen Kunstpublizistik<br />

im Jahr des Kriegsbeginns 1939 überschwänglich gefeiert wird: (…) hier ist innere<br />

und äußere Dynamik zu höchster Ausdruckskraft gesteigert, die umso packen<strong>der</strong> ist, als<br />

jene innere Haltung, die im letzten Jahr Einstellung <strong>der</strong> ganzen Nation geworden ist und<br />

die im Titel ›Bereitschaft‹ umschlossen ist, zum Ausdruck kommt. 12 Die hymnische Botschaft<br />

verdichtet sich im Folgejahr zur Formulierung, Brekers Bereitschaft werde zur<br />

eindringlichen Gestaltung des Wehrwillens schlechthin. 13<br />

Daran gibt es nichts zu deuteln: Hier treffen sich Werk und Rezeption. Die bekannten<br />

Arbeiten zwischen 1938 und 1944 tragen offensichtlich den Stempel einer Auf-<br />

011. Bussmann, ebd. S. 110ff.<br />

012. Werner Rittich, in: Kunst im<br />

Deutschen Reich, 1939, Bd. II,<br />

S. 27, zitiert nach Bussmann,<br />

S. 120.<br />

013. Werner Rittich, ebd. 1940,<br />

S. 100, zitiert nach Bussmann,<br />

ebd.<br />

99<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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Arno Breker und<br />

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tragskunst, <strong>der</strong>en Auftraggeber sich offenbar nicht an heldenhaften Posen sattsehen<br />

konnte. Mit diesen Plastiken und Reliefs greift Breker zweifellos zu einem schrilleren,<br />

aggressiveren Vokabular als seine Kollegen wie Kolbe etc. Hier ist das Bodybuilding<br />

wirklich Selbstzweck geworden – eine muskuläre Hypertrophierung, die Kampfmenschen<br />

ohne irgendeine seelisch, geistig sympathische Ausstrahlung produziert.<br />

Trotzdem erschöpft sich Arno Brekers Arbeit dieser Jahre nicht in diesen Werken.<br />

Daneben entstehen beachtliche Portraits und auch Männerfiguren, die man mit dem<br />

Etikett ›Nazikunst‹ ebenfalls gern aus <strong>der</strong> Kunstdiskussion entfernt, denen man mit<br />

dieser Stigmatisierung aber nicht gerecht wird. Dazu gehört <strong>der</strong> Verwundete, dazu<br />

gehört – trotz des germanisierenden Titels – <strong>der</strong> Wager. Es wäre spannend und an <strong>der</strong><br />

Zeit, diese Werke zu analysieren im Vergleich zu an<strong>der</strong>en Arbeiten des Neoklassizismus<br />

in Deutschland und an<strong>der</strong>swo.<br />

Dass man die Kunst des Dritten Reichs bis heute in völliger Quarantäne halten<br />

möchte und weitgehend hält, daran än<strong>der</strong>t auch die Tatsache nichts Grundsätzliches,<br />

dass es inzwischen einige Monographien gibt zu Künstlern, die für das System gearbeitet<br />

hatten.<br />

Auch diese Literatur hegt die ›Nazikünstler‹ letztlich sehr vorsichtig ein. Herausgearbeitet<br />

werden durchweg die Beson<strong>der</strong>heiten, die sich aus <strong>der</strong> jeweiligen Künstlerkarriere<br />

im Dritten Reich ergaben, nicht aber das dichte A<strong>der</strong>geflecht, das auch sie<br />

naturgemäß mit dem großen Kunstpool des damaligen Deutschlands verband.<br />

Dieser Drang, reinlich in Gut und Böse zu scheiden, behin<strong>der</strong>t ganz beson<strong>der</strong>s eine<br />

offene Diskussion über die künstlerischen Gemeinsamkeiten zwischen Breker, dem<br />

›Lieblingsbildhauer des Führers‹, und den genannten Bildhauern und an<strong>der</strong>en <strong>der</strong><br />

klassizistischen Ausrichtung. Auch diese waren im Dritten Reich großenteils sehr erfolgreich,<br />

bekamen öffentliche Aufträge und wurden vielfach ausgestellt. Nur den<br />

Schritt zur architekturgebundenen Großplastik an den geplanten Monumentalbauten,<br />

<strong>der</strong> die größte Annäherung an die Selbstdarstellungswünsche des Regimes erfor<strong>der</strong>te,<br />

machten sie nicht o<strong>der</strong> sie hatten nicht die Chance dazu.<br />

Hätten sie wirklich abgelehnt, solche zweifelhaften Großfiguren, wie wir sie von<br />

Breker und Thorak kennen, anzufertigen o<strong>der</strong> waren sie diesen einfach im Konkurrenzkampf<br />

unterlegen?<br />

Wenn man einen Blick wirft auf einen international gefeierten Klassiker des mo<strong>der</strong>nen<br />

Bauens, auf Mies van <strong>der</strong> Rohe, dann erstaunt, wie lange und vergeblich sich dieser<br />

um die Gunst <strong>der</strong> Nationalsozialisten bemühte. Erst 1938, fünf Jahre nach <strong>der</strong><br />

Machtergreifung, zog Mies van <strong>der</strong> Rohe in die USA um. Solange dauerte es, bis er<br />

begriffen hatte, dass ihm das Dritte Reich niemals die beruflichen Chancen bieten<br />

würde, die ihm in den Vereinigten Staaten auf dem Silberteller serviert wurden.<br />

Als Hitler im Herbst 1934 seine diktatorische Machtfülle steigern wollte durch<br />

den Plan, in seiner Person die Funktionen von Reichspräsident und Reichskanzler zu<br />

vereinen zum ›Führer des Deutschen Reiches‹, da gab es zur Unterstützung auch einen<br />

Aufruf <strong>der</strong> Kulturschaffenden mit Unterschriften namhafter Künstler. Im ›Völki-<br />

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schen Beobachter‹, dem Kampfblatt <strong>der</strong> NSDAP, bekundeten sie: Wir glauben an diesen<br />

Führer (…) und gehören zu des Führers Gefolgschaft. Es unterschrieben u. a. Ernst<br />

Barlach, Emil Nolde, Josef Thorak, Georg Kolbe und Mies van <strong>der</strong> Rohe (Breker<br />

spielte noch keine Rolle).<br />

Trotz dieser Unterstützung für Hitler und seiner langen Hoffnung, in Nazideutschland<br />

Karriere zu machen, war Mies van <strong>der</strong> Rohe allerdings nicht bereit, seine Auffassung<br />

von Architektur auf dem Altar einer solchen Karriere zu opfern. Gleiches gilt<br />

analog für die sieben ebenfalls gelisteten Emil Nolde und Ernst Barlach.<br />

Barlach war zwar 1934 noch <strong>der</strong> Ansicht, man solle in die NSDAP eintreten, für<br />

welche (…) das beste Blut und die besten Charaktereigenschaften gerade gut genug<br />

(…) 14 seien, doch seine umstrittene Kunst wollte er für diese Partei nicht aufgeben.<br />

Merkwürdigerweise bekam Barlach noch 1936, als man schon anfing, seine Arbeiten<br />

aus <strong>der</strong> Öffentlichkeit zu verbannen, einen Auftrag, zur Ausschmückung <strong>der</strong> neuen<br />

Reichskanzlei durch einige Arbeiten mit Edda-Motiven beizutragen. 15<br />

Diese wenigen wi<strong>der</strong>sprüchlichen, für ein in Kästchen sortiertes Geschichtsbild arg<br />

sperrigen Tatsachen zeigen an, wie komplex in diesen verwirrenden, turbulenten Zeiten<br />

die Beziehungsgeflechte sich gestalten konnten.<br />

Die Abson<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> ›Nazikünstler‹ von den an<strong>der</strong>en, die irgendwie gut geblieben<br />

waren, amputiert die Geschichte. Sinn ergibt eine solche Separation nur bei denjenigen,<br />

die vom System aus ›rassischen‹ o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Gründen verfolgt wurden<br />

und/o<strong>der</strong> ins Exil gingen. Zwischen <strong>der</strong> Mehrheit, die sich arrangierte und arrangieren<br />

konnte, weil sie keine Juden waren und/o<strong>der</strong> keine kommunistische Vorgeschichte<br />

o.Ä. hatten, und denjenigen, denen aus eben diesen Gründen die bürgerliche<br />

und/o<strong>der</strong> die nackte Existenz genommen wurde, gibt es offenbar eine große Differenz.<br />

Die freiwillig in Deutschland gebliebenen Künstler sollte man dagegen nicht zu kategorisch<br />

verschiedenen moralischen Welten zuweisen – zwischen ihnen gibt es viel zu<br />

viele Überschneidungen; einige wurden soeben zwischen Barlach, Kolbe und Thorak<br />

angeschnitten. Politische Positionsverschiebungen, Konkurrenz zwischen den Künstlern,<br />

am Horizont erscheinende Karrieremöglichkeiten o<strong>der</strong> Karrierebrüche, darauf<br />

reagierende Produktionsän<strong>der</strong>ungen bis hin zur karriereför<strong>der</strong>lichen Adaption neuer<br />

Ausdrucksformen – das alles bleibt unscharf, wenn die Künstler des Dritten Reiches<br />

von den übrigen strikt getrennt werden, obwohl die einen und die an<strong>der</strong>en vielfach<br />

miteinan<strong>der</strong> in Kontakt standen und in demselben diktatorischen System koexistierten.<br />

Rückwirkend, mit allen demokratischen Freiheiten als selbstverständlichem Hintergrund,<br />

kostet es nichts, diejenigen, die damals – oft als recht junge Leute – den<br />

Verlockungen des Systems erlagen, ein ums an<strong>der</strong>e Mal an den Pranger zu stellen: Es<br />

kostet nichts, aber es bringt auch nichts. Eigentlich schadet es. Denn tatsächlich<br />

weckt die Ausson<strong>der</strong>ung unbehagliche Erinnerungen.<br />

014. Barlach, Brief an W. Katz,<br />

Briefe Bd. II, S. 493.<br />

015. Barlach, Brief an<br />

F. Schumacher,<br />

ebd. S. 654.<br />

101<br />

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Das hatte es in Deutschland schließlich schon einmal gegeben, dass man missliebigen<br />

Kunstwerken das Prädikat ›Kunst‹ und ein Existenzrecht in <strong>der</strong> Öffentlichkeit absprach:<br />

auch die Nationalsozialisten beanspruchten die Deutungs- und Entscheidungshoheit<br />

über das, was ›deutsche Kunst‹ sein durfte. Mit aller diktatorischen<br />

Macht sortierten sie das, was sie als ›undeutsch‹ klassifizierten, aus dem Kanon heraus,<br />

verboten o<strong>der</strong> verbrannten die Werke und vernichteten Existenzen von Künstlern,<br />

Galeristen und Kunsthändlern.<br />

Dass sich diese Parallele nicht erstreckt auf die brutalen Methoden <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />

im Einsatz gegen alle An<strong>der</strong>sdenkenden und -handelnden, ist evident. Die<br />

Parallele besteht allein im offiziösen bzw. offiziellen Ausschluss gewisser Kunstprodukte<br />

aus dem öffentlichen Raum und aus <strong>der</strong> anerkannten Gesellschaft. Ironisch<br />

könnte man sagen, die Ausschlussaktionen <strong>der</strong> Akteure von 1974, 1985, 1986 etc.<br />

beschränkten sich schon deshalb auf das akademisch-publizistische Feld, weil ihnen<br />

in <strong>der</strong> gesitteten Gesellschaft <strong>der</strong> Bundesrepublik schärfere Sanktionsmittel nicht zur<br />

Verfügung standen.<br />

Jemand, <strong>der</strong> dennoch diese Diskussion schon 1986 heftig ins Rollen brachte, war <strong>der</strong><br />

Sammler und Mäzen Peter Ludwig. Der hatte sich und seine Frau von Breker portraitieren<br />

lassen und geplant, beide Plastiken in das Kölner ›Museum Ludwig‹ einzuglie<strong>der</strong>n.<br />

Den Sturm <strong>der</strong> Entrüstung, <strong>der</strong> unter dem Schlachtruf Keine Nazikunst ins<br />

Museum ausbrach, kommentierte Peter Ludwig in einem Interview: Der Aufruf ›Keine<br />

Nazi-Kunst ins Museum‹ ist dasselbe, wie Herr Goebbels die an<strong>der</strong>e Kunst nicht haben<br />

wollte. Ich finde das ein Fortleben nazistischen Geistes in <strong>der</strong> schlimmsten Form. 16<br />

Ludwigs krasse Formulierungen lösten wie<strong>der</strong> heftigen Wi<strong>der</strong>spruch aus. Einer<br />

<strong>der</strong> schärfsten Ludwig-Kritiker wurde <strong>der</strong> Graphiker Klaus Staeck. Staeck brachte im<br />

Jahr 1988 einen Dokumentationsband zu <strong>der</strong> Kontroverse heraus. 17<br />

Im selben Jahr 1988 zeigten Kunsthaus und Kunstverein in Hamburg gemeinsam die<br />

Ausstellung Arbeit in Geschichte. Geschichte in Arbeit. 18 Wie<strong>der</strong> war Georg Bussmann für<br />

Ausstellung und Katalog verantwortlich. Im Katalog findet sich ein Aufsatz von Walter<br />

Grasskamp unter dem Titel Arno Breker ins Museum? Wi<strong>der</strong> den neuen liberalen Extremismus.<br />

19 Darin setzt sich <strong>der</strong> Autor mit Peter Ludwig auseinan<strong>der</strong> und schreibt:<br />

016. Spiegel-Interview, Nr. 36,<br />

1986.<br />

017. Nazikunst ins Museum?<br />

Dokumentationsband, hrsg.<br />

von Klaus Staeck, Göttingen<br />

1988,<br />

018. Arbeit in Geschichte.<br />

Geschichte in Arbeit, hrsg.<br />

von Georg Bussmann,<br />

Berlin 1988.<br />

019. Walter Grasskamp,<br />

Arno Breker ins Museum?<br />

Wi<strong>der</strong> den neuen liberalen<br />

Extremismus, ebd. S. 21–31.<br />

Ludwigs Plädoyer für Breker versteht man (…) erst dann richtig, wenn man erkennt, dass<br />

dabei nicht die Anerkennung eines Künstlers zur Debatte steht, son<strong>der</strong>n das Kunstmuseum<br />

in <strong>der</strong> demokratischen und damit pluralistischen Gesellschaft. Das Kunstmuseum<br />

ist in <strong>der</strong> Verantwortlichkeit für seine Kanonbildung eine moralische Anstalt, sofern seine<br />

Kriterien zugleich ästhetische wie ethische sind, ohne dass diese stets zur Deckung gebracht<br />

werden könnten. Auch wenn sich das Kunstmuseum dazu verstanden hat, seine Auswahl<br />

von Werken nicht von <strong>der</strong> moralischen Integrität <strong>der</strong> Produzenten abhängig zu machen –<br />

an<strong>der</strong>nfalls es vermutlich ziemlich leer bleiben würde –, so ist doch in den ästhetischen<br />

Kriterien seiner Ankaufspolitik ein Element moralischer Argumentation erhalten geblieben<br />

bis heute. Genau darin unterscheidet sich das Kunstmuseum von einem Geschichtsmuseum<br />

o<strong>der</strong> Heimatmuseum, für welche die Vollständigkeit ihrer Sammlung ohne<br />

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Ansehen <strong>der</strong> Qualität verbindlich ist, wogegen das Argument <strong>der</strong> Vollständigkeit für das<br />

Kunstmuseum nur im Rahmen seiner ästhetischen Kriterien gilt. 20<br />

Grasskamp postuliert hier eine Ethik <strong>der</strong> Ästhetik: Der Künstler muss – nach den<br />

üblichen moralischen Maßstäben – keineswegs eine integre Person gewesen sein, um<br />

zu musealen Ehren zu kommen. Unter diesem Aspekt könnte er mithin Breker nicht<br />

den Einzug ins Kunstmuseum verwehren. Er kann dies, nach seinem eigenen Maßstab,<br />

nur dann, wenn Breker die (lt. Grasskamp) ethische Grundbedingung <strong>der</strong> Museumswürdigkeit<br />

– die ästhetische Qualität – nicht besäße. Um Breker als Inkarnation<br />

des nationalsozialistischen Künstlers vor <strong>der</strong> Tür zu halten, muss Grasskamp also<br />

auf dessen ästhetische Min<strong>der</strong>wertigkeit hinaus, und die beschreibt er denn auch in<br />

lustvollen Wendungen wie z.B. Seine Portraitskulpturen sind in Schmalz gemeißelte<br />

Komplimente (…). 21<br />

Grasskamps Argumentation, die Ethik des Kunstmuseums liege in <strong>der</strong> überragenden<br />

Ästhetik <strong>der</strong> dort versammelten Werke, zeigt wie<strong>der</strong> einmal die Verwechslung von<br />

Kunst und Religion: Die Kunst ist rein, und sie wird in ihren Tempeln verehrt, die<br />

von allem Unreinen zu säubern sind. Sie hat eine Moral, und diese besteht in ihrer<br />

ästhetischen Qualität, welche sie hoch über alles Nie<strong>der</strong>e hinaushebt.<br />

Was aber diese höchste, wahre Kunst ist, das bestimmen offenbar ihre Priester – z.B.<br />

Walter Grasskamp, <strong>der</strong> weiter schreibt:<br />

Die mo<strong>der</strong>ne Ästhetik hat alle Formen <strong>der</strong> künstlerischen Orientierung am Publikumsgeschmack<br />

generell unter den Trivialitätsvorbehalt und den Kitschverdacht gestellt,<br />

und da künstlerische Unselbständigkeit sowohl den nationalsozialistischen Werken Brekers<br />

eigen ist wie seinen zuvorkommenden Portraitskulpturen, wäre erst diese Ästhetik zu entkräften,<br />

wollte man das Kunstmuseum für Breker öffnen.<br />

Elitärer, man kann auch sagen anmaßen<strong>der</strong>, geht es kaum. Man muss sich diesen Satz<br />

auf <strong>der</strong> Zunge zergehen lassen: Die mo<strong>der</strong>ne Ästhetik hat alle Formen <strong>der</strong> künstlerischen<br />

Orientierung am Publikumsgeschmack generell unter den Trivialitätsvorbehalt und den<br />

Kitschverdacht gestellt.<br />

Die historische und damit auch kunsthistorische Wirklichkeit sah doch völlig an<strong>der</strong>s<br />

aus: Alle Künstler, die von ihrer Kunst lebten, haben sich am Geschmack ihres Publikums<br />

orientiert – sei es, dass dieses Publikum in einer einzelnen Person kulminierte<br />

in Gestalt eines finanzierenden Fürsten, Bankiers o<strong>der</strong> sonstigen Auftraggebers, o<strong>der</strong><br />

sei es, dass ihm das Publikum in <strong>der</strong> vielköpfigen Ausprägung einer für eine Kunstdarbietung<br />

zahlenden Besuchermenge gegenüberstand.<br />

Die Frage, was <strong>der</strong>/die Künstler/in an ungewohnten Klängen, Formen, Sprachbil<strong>der</strong>n<br />

etc. in ein Werk einbringt und was er/sie lieber bleiben lässt o<strong>der</strong> nur versteckt<br />

andeutet, war und ist doch immer wie<strong>der</strong> eine Ermessensfrage im Gestaltungsprozess.<br />

Selbst <strong>der</strong> unglaublich kühne, scheinbar weltabgekehrte ›späte Beethoven‹<br />

machte in seinem Streichquartett B-Dur op.130 dem Publikum ein unglaubliches<br />

020. ebd. S. 22f.<br />

021. ebd. S. 24.<br />

103<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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Zugeständnis, als er dessen Schluss-Satz, die in je<strong>der</strong> Beziehung unerhörte, radikale<br />

›Große Fuge‹, gegen einen recht gefälligen Kehraus auszuwechseln bereit war.<br />

In Wahrheit ist also das künstlerische Abwägen, einerseits etwas ausdrücken und<br />

formulieren zu wollen und an<strong>der</strong>erseits damit erfolgreich sein zu müssen, das Normalste<br />

überhaupt.<br />

Nebenbei bemerkt: wie steht es denn (um nur zwei Namen zu nennen) mit Jeff<br />

Koons o<strong>der</strong> Damian Hirst, die sich doch sehr unverhohlen am Publikumsgeschmack<br />

orientieren, die offenbar keinerlei Angst vor Trivialitätsvorbehalt und Kitschverdacht<br />

besitzen und sich trotzdem in großen Kunstmuseen dieser Welt tummeln?<br />

Was ist, um wie<strong>der</strong> näher zu Breker zu kommen, mit den vielen deutschen Künstlern,<br />

die nach 1945 ganz plötzlich ihre Liebe zur Abstraktion entdeckten, als die im<br />

Dritten Reich erwünschte Produktionslinie nicht mehr zog?<br />

Die völlige, sich so erhaben gebende Ausklammerung <strong>der</strong> Kunst des Dritten Reichs,<br />

mit Arno Breker als <strong>der</strong>en neuralgischer Reizfigur an <strong>der</strong> Spitze, wie sie in den vergangenen<br />

Jahrzehnten so selbstgefällig vorgeführt wurde, ist keine Glanzleistung <strong>der</strong><br />

deutschen Kunstgeschichte und Museumsgeschichte <strong>der</strong> Nachkriegszeit.<br />

Es ist nicht akzeptabel, zumindest aber ein sehr überholter Standpunkt, wenn <strong>der</strong><br />

schon zitierte voluminöse Gesamtüberblick über die Deutsche Kunst im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

elementare Grundsätze historischer Arbeit ignoriert, indem er einerseits den<br />

im Titel angemeldeten umfassenden Anspruch erhebt, an<strong>der</strong>erseits aber die Kunstproduktion<br />

für den deutschen Nationalsozialismus in Bausch und Bogen als monumentalisierten<br />

Kitsch verdammt und – als wäre das noch nicht genug – in einem<br />

Abwasch auch noch die Kunstproduktion in <strong>der</strong> DDR, als für die wahre ›deutsche<br />

(West-)Kunst‹ ebenfalls vernachlässigbar, bewusst ausblendet. Diese mentalen<br />

Gewaltakte erscheinen tatsächlich wie ein Echo nationalsozialistischer Machtanmaßung<br />

gegenüber unliebsamer Kunst und <strong>der</strong>en Künstlern. Warum dieser<br />

schlechten Geschichte ohne Not weiterhin die Ehre geben, sie auch nur in Ansätzen<br />

zu wie<strong>der</strong>holen?<br />

022. Hans Belting, Die Deutschen<br />

und ihre Kunst. Ein schwieriges<br />

Erbe, München 1992, S. 62.<br />

Ein sehr bedeuten<strong>der</strong> Kunst- und Kulturhistoriker <strong>der</strong> Gegenwart, Hans Belting,<br />

hatte sich 1992, bald nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung, sehr zweifelnd zu dem Furor<br />

geäußert, mit dem damals westdeutsche Künstler und Kunsthistoriker sowohl die<br />

Ostkunst als auch die Kunst im Dritten Reich ablehnten:<br />

Aber diese Fragen unterliegen <strong>der</strong>zeit einem regelrechten Tabu. Stattdessen würde man<br />

am liebsten die unerwünschte Erblast <strong>der</strong> ehemaligen DDR-Kunst, da sie nun nicht mehr<br />

hinter einer Grenze existiert, fast so rasch in die Depots verbannen, wie man einmal die<br />

Nazi- Kunst im geschichtlichen Bewusstsein auslöschen wollte – auslöschen und nicht aufarbeiten,<br />

vergessen und nicht analysieren. Die jüngste Debatte um die Ausstellung von<br />

Nazi-Kunst ist noch frisch im Gedächtnis. Sie erzeugte nur Streit, brachte aber keine Ergebnisse.<br />

22<br />

Es ist für eine seriöse Kunstgeschichte unmöglich, durch besagte Ausgrenzungs-<br />

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versuche die zahllosen Traditionslinien, die es zwischen Kunst und Künstlern in <strong>der</strong><br />

Weimarer Republik und im Dritten Reich nun einmal gab, verwischen zu wollen.<br />

Vermutlich sind die Traditionslinien wesentlich zahlreicher und stärker als die<br />

Bruchlinien, wenn man die relativ wenigen, meistens recht prominenten Künstler,<br />

die Deutschland verlassen mussten o<strong>der</strong> im Land eingeschränkt o<strong>der</strong> verfolgt wurden,<br />

gegenrechnet gegen die an<strong>der</strong>en – von den ›Neuen Sachlichen‹ bis zu den zahllosen<br />

Vertretern diverser Heimatstilvarianten –, die von <strong>der</strong> Weimarer Zeit durch das<br />

Dritte Reich bis in die Bundesrepublik ungeschoren durcharbeiteten und den öffentlichen<br />

und privaten Kunstbedarf ihrer Regionen befriedigten. Diese werden kaum<br />

infrage gestellt, auch wenn Verstrickungen während <strong>der</strong> Nazizeit schon bei oberflächlichem<br />

Hinsehen schnell sichtbar werden. Bei vielen <strong>der</strong> damals bestens ins System<br />

integrierten und von ihm profitierenden Künstlern sieht man stillschweigend o<strong>der</strong><br />

beschwichtigend über braune Flecke hinweg; trotz vermeintlich untypischer, zufälliger<br />

Ausrutscher ehrt und würdigt man ihr Andenken bis heute. Zu welchen verlogenen<br />

Positionen das führen kann, soll weiter unten an einem aktuellen Beispiel<br />

aus <strong>der</strong> norddeutschen Provinz erläutert werden.<br />

Von einer Einbindung in die Kunstpolitik des Dritten Reichs konnten die vielen<br />

überlebenden Kleinmeister dieser Zeit leicht exkulpiert werden, weil man ihren<br />

Gebirgs-, Genre- o<strong>der</strong> Heidebil<strong>der</strong>n nicht ansah, wo sie persönlich standen.<br />

Dagegen wurde den ›entarteten‹ Künstlern die Stellung zum Dritten Reich schon<br />

von Staats wegen durch die Diffamierung und Verdammung ihrer Kunst definiert.<br />

Bei den rundherum ›artgerechten‹ Künstlern ist die Zuordnung auf an<strong>der</strong>e Weise einfach:<br />

bei <strong>der</strong>en Produktion sieht man ihre Einbindung in das System schon daran,<br />

dass sie zu dessen Selbstdarstellung beitragen. Unter den systemkonformen Künstlern<br />

sind wie<strong>der</strong>um die Bildhauer am einfachsten zu erkennen, weil Bildhauerei wie keine<br />

an<strong>der</strong>e Kunst von öffentlichen Aufträgen lebte und lebt und deshalb den ideologischen<br />

und geschmacklichen Wünschen <strong>der</strong> Machthaber am zuverlässigsten und<br />

offensichtlichsten entgegenkam.<br />

Unter diesen Bildhauern, die für das Dritte Reich tätig waren, genossen bekanntlich<br />

zwei eine überragende Prominenz: Josef Thorak (1889–1952) und Arno Breker<br />

(1900–1991).<br />

Der Österreicher Thorak stand schon früher als Breker in <strong>der</strong> Gunst Hitlers und<br />

behielt sie bis zum Ende. Obwohl Thorak sich bis zu diesem Ende einschlägig<br />

betätigte und sich beispielsweise noch 1944 an <strong>der</strong> Ausstellung Deutsche Künstler und<br />

die SS beteiligt hatte, wurde er 1948 als ›nicht betroffen‹ freigesprochen. Bereits 1950<br />

richtete ihm seine Heimatstadt Salzburg im Rahmen <strong>der</strong> Salzburger Festspiele eine<br />

Ausstellung im Mirabellgarten aus und versorgte ihn mit weiteren öffentlichen Aufträgen.<br />

Sein plötzlicher Tod 1952, dann die Tatsache, dass er in München und nicht im<br />

direkten Hitlerumfeld in Berlin gelebt hatte, und schließlich die österreichische Neigung,<br />

sich nicht über Gebühr mit <strong>der</strong> Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu beschweren,<br />

führte dazu, dass die Erinnerung an Thorak gegenüber <strong>der</strong> an Arno Breker,<br />

105<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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0<br />

<strong>der</strong> noch bis 1990 lebte, arbeitete und sich öffentlich äußerte, in den Hintergrund<br />

trat.<br />

Alles in allem konnten sich die meisten Künstler, die im Dienst <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Herren gestanden hatten, nach 1945 relativ schnell und unbemerkt aus <strong>der</strong><br />

Verantwortung in ein bundesrepublikanisch garniertes neues Leben davonschleichen:<br />

Sie waren noch einmal davongekommen.<br />

Ein prominenter Sündenbock, dem das nicht gelang, blieb übrig – Arno Breker.<br />

Wie man in <strong>der</strong> Nachkriegszeit versuchte, alle Schuld bei dem Dämon Hitler und<br />

seinen Spießgesellen abzuladen, so gibt es bis heute eine ungebrochene Tendenz,<br />

Arno Breker zu isolieren und zu dämonisieren. Wenn dessen Name fällt, schrillen alle<br />

Alarmglocken. ›Der Lieblingsbildhauer des Führers‹ gilt als die Inkarnation des<br />

schlechten, weil politisch-moralisch verkommenen Künstlers. Seine ästhetische Min<strong>der</strong>wertigkeit<br />

wird dann <strong>der</strong> Einfachheit halber oft gleich impliziert. Bei manchen,<br />

wie Grasskamp, geht die Argumentation auch einmal an<strong>der</strong>sherum: Brekers ästhetische<br />

Min<strong>der</strong>wertigkeit macht ihn so schuldig, dass er nicht ins Kunstmuseum darf.<br />

Das Ergebnis ist dasselbe.<br />

Dieses nachgerade religiöse Bewusstsein von Brekers so o<strong>der</strong> so untersetzter Verdammlichkeit<br />

führt so sicher wie das Amen in <strong>der</strong> Kirche dazu, dass jedem ein über<br />

sechzig Jahre zum Reflex gewordenes, moralisch hochgerüstetes Misstrauen entgegenschlägt,<br />

<strong>der</strong> sich mit Brekers Werk auseinan<strong>der</strong>setzt, indem er dessen Arbeiten<br />

zunächst einmal in möglichst originaler Gestalt zur Betrachtung anbietet, um erst<br />

nach <strong>der</strong> Wahrnehmung, a posteriori, Einordnungen und Bewertungen des Gesehenen<br />

vorzunehmen.<br />

23. Rudolf Conrades, Hg. u.<br />

<strong>Red</strong>aktion, Der Bildhauer<br />

Arno Breker – Zur Diskussion<br />

gestellt, Schwerin 2006.<br />

Künftig: Breker – Schwerin I.<br />

Alle Exponate, Ausstellungstexte,<br />

<strong>Red</strong>en, Veranstaltungen,<br />

Flugblätter u. ein großer<br />

Pressespiegel finden sich in:<br />

Rudolf Conrades, Hg. u.<br />

<strong>Red</strong>aktion, Das Schweriner<br />

Arno-Breker-Projekt. Dokumentation,<br />

Schwerin 2007.<br />

Künftig zitiert als Breker –<br />

Schwerin II.<br />

Was den öffentlichen Aufruhr betrifft, so weiß ich, wovon ich rede: vor wenigen Jahren<br />

habe ich diese Erfahrung gemacht, als ich 2006 eine Breker-Ausstellung im<br />

›Schleswig-Holstein-Haus‹, einem Ausstellungshaus <strong>der</strong> Landeshauptstadt Schwerin,<br />

initiierte und kuratierte. Das Projekt trug den Titel Zur Diskussion gestellt: Der Bildhauer<br />

Arno Breker, 23 und das erklärte Ziel war es, je<strong>der</strong>mann die Chance zu geben,<br />

sich selbst aus eigener Anschauung einen Eindruck zu verschaffen von <strong>der</strong> sorgsam<br />

gehüteten Tabuzone, in <strong>der</strong> Breker und an<strong>der</strong>e Künstler des Dritten Reichs unter<br />

Quarantäne gehalten wurden.<br />

Auf einleitenden Texttafeln im Ausstellungsvorraum hatte ich dieses Ziel u.a. so<br />

begründet: In den 60 Jahren seit dem Zusammenbruch <strong>der</strong> Nazidiktatur hat sich in<br />

Deutschland das Breker-Bild kaum verän<strong>der</strong>t. Breker war 1945 tabu und ist es zwei Generationen<br />

später immer noch. Wenn noch immer die Vorbereitung einer Ausstellung mit<br />

Arbeiten dieses Bildhauers sehr emotionale Reaktionen erzeugt, weil man die Verführbarkeit<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung fürchtet, dann war das in den Nachkriegsjahren berechtigt, in denen<br />

die Kritikfähigkeit <strong>der</strong> Bevölkerung noch wenig entwickelt war. Nach jahrzehntelanger<br />

kritischer Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Nationalsozialismus scheint ein größeres Vertrauen<br />

in die Mündigkeit <strong>der</strong> Bürger wohl vertretbar zu sein.<br />

Für eine souveräne, selbstbewusste Demokratie ist die Tabuisierung einer schwierigen,<br />

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aber nicht abzuleugnenden Kunstperiode <strong>der</strong> eigenen Geschichte nicht würdig und auch<br />

nicht för<strong>der</strong>lich. (…)<br />

Nach <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gabe einiger krass divergieren<strong>der</strong> Positionen zu Brekers politischer<br />

und/o<strong>der</strong> künstlerischer Bedeutung ging es auf den Tafeltexten weiter:<br />

Ob man Breker mag o<strong>der</strong> nicht, ob man ihn verehrt und zum ›größten Bildhauer des<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts‹ erklärt, ob man in seinen Skulpturen die Verkörperung des arischen<br />

Herrenmenschen sieht o<strong>der</strong> ob man Breker als heroischen Kitschproduzenten abtut, sei je<strong>der</strong>mann<br />

anheimgestellt. Zu welchem Schluss über diese umstrittene Figur <strong>der</strong> Zeit- und<br />

Kunstgeschichte man immer kommen mag: ein eigenes plausibles Urteil kann nur jemand<br />

fällen, <strong>der</strong> das, was er beurteilt, vorher ansehen konnte. Eben diesem Zweck dient die<br />

Ausstellung. 24<br />

Das Ziel hieß also Enttabuisierung o<strong>der</strong>, genauer gesagt, Aufklärung. Als das Ausstellungsprojekt<br />

ruchbar wurde, baute sich im Handumdrehen eine moralisch hoch<br />

motivierte, gut vernetzte Gegenbewegung auf, die das Wie<strong>der</strong>erscheinen von Brekers<br />

Figuren in einer Ausstellung als Rehabilitation seiner Person, als Verharmlosung des<br />

Nazismus und als Rückenwind für Neonazis bekämpfte. Hier hatte sich unversehens<br />

eine erstaunliche Kluft aufgetan – gewissermaßen zwischen dem Wahren und dem<br />

Guten: es stand das Bemühen, sich einen eigenen und damit neuen Blick auf Breker<br />

zu gönnen, gegen das Beharren darauf, man dürfe Breker als Persona non grata keines<br />

öffentlichen Blickes würdigen.<br />

Die Interaktion zwischen <strong>der</strong> Ausstellung selbst und den Attacken auf das Projekt<br />

entflammte die Diskussion über den Umgang mit Breker und allgemein mit <strong>der</strong><br />

Kunst, die für das Dritte Reich produziert worden war, wie kein an<strong>der</strong>es Ereignis in<br />

<strong>der</strong> Geschichte Nachkriegsdeutschlands.<br />

In <strong>der</strong> Vorbereitungsphase zur Ausstellung lernte ich Rainer Hackel kennen. Wir hatten<br />

uns kurz bei den Anbahnungsgesprächen im Hause Breker gesehen, als es darum<br />

ging, ob die Familie überhaupt Exponate für die Ausstellung zur Verfügung stellen<br />

würde (Meine Bemühungen, Exponate aus den Depots bestimmter Museen zu bekommen,<br />

hatten zu nichts geführt. Es gab die Fälle, dass Museumsleute dazu bereit<br />

waren, dass aber jeweils zuständige Lokalpolitiker kalte Füße bekamen und Ausleihen<br />

verhin<strong>der</strong>ten).<br />

Über Monate diskutierten Rainer Hackel und ich immer wie<strong>der</strong> ausgiebig am<br />

Telefon über Brekers politische Haltung, über seine Grad- o<strong>der</strong> Krummlinigkeit,<br />

über die künstlerische Glaubwürdigkeit seiner stilistischen Metamorphosen.<br />

Rainer Hackel war einer <strong>der</strong> Autoren des Ausstellungsbegleitbandes (›Der an<strong>der</strong>e<br />

Breker. Engagement für politisch Verfolgte‹). Er kannte sich schon damals viel besser<br />

in Brekers Arbeiten aus als ich, und das hat sich bis heute nicht geän<strong>der</strong>t.<br />

Mein Interesse an Arno Breker wurde weit weniger durch seine Bildhauerei geweckt<br />

als durch den Umgang mit ihr. Jahrzehntelang hatte auch ich mit diesem Namen einen<br />

gigantomanen Produzenten steinerner Kraftprotze zur Glorifizierung des Dritten 024. Breker – Schwerin II, S. 58f.<br />

107<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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Reiches assoziiert – in vagen Bil<strong>der</strong>n von Martialität, Steifheit und alberner Stabreimerei<br />

à la Wager und Wäger.<br />

Der Anstoß, noch einmal über Breker nachzudenken, kam erst sehr spät und auf<br />

Umwegen: Vor rund zehn Jahren hatte ich im Schleswig-Holstein-Haus eine Ausstellung<br />

mit Picasso- und Cocteau-Graphiken ausgerichtet. Höchst überrascht stieß ich<br />

bei den Vorarbeiten auch auf Arno Breker – nicht als einen flüchtigen Bekannten,<br />

son<strong>der</strong>n als engen Freund Cocteaus, <strong>der</strong> seinen Platz in dessen Leben durch alle politischen<br />

Umstürze hindurch behalten hatte – von <strong>der</strong> Weimarer Zeit über das Dritte<br />

Reich bis tief in die Bundesrepublik hinein: Ich fand die Existenz dieser Freundschaft<br />

unbegreiflich.<br />

Während meiner Gymnasialzeit in den Fünfzigern in tiefer nie<strong>der</strong>sächsischer Provinz<br />

hatte ich nur sporadisch Gelegenheit zu Ausblicken in die Mo<strong>der</strong>ne gehabt, die heute<br />

die ›klassische‹ heißt. Zu den Türen in eine atemberaubend neue Welt gehörte damals<br />

auch Cocteaus Film Orphée. Später faszinierten mich Sachen wie Harald Szeemanns<br />

Documenta von 1972 und an<strong>der</strong>es dieser Art. Breker hatte da nichts verloren.<br />

Umso mehr irritierte mich die Erzfreundschaft zwischen Jean Cocteau und einer<br />

Person, die als Hitlers Lieblingsbildhauer aus <strong>der</strong> Kunstgemeinde exkommuniziert<br />

und dessen Werk <strong>der</strong> damnatio memoriae verfallen war.<br />

Mit fortschreiten<strong>der</strong> Recherche zu <strong>der</strong> Frage, ob sich <strong>der</strong> Cocteau-Freund Breker<br />

gleichzeitig irgendwelcher Verbrechen hatte zuschulden kommen lassen, durch die er<br />

sich Acht und Bann verdient hätte, wurde ich enttäuscht. Nicht als Verbrecher, son<strong>der</strong>n<br />

als virtuoser und erfolgreicher künstlerischer Wendehals stellte er sich mir immer<br />

deutlicher dar. Und ebenfalls stellte sich in bedauerlicher Klarheit heraus, wie erstarrt<br />

die deutsche Kunstgeschichtsschreibung und Kunstverwaltung mit dem<br />

Phänomen <strong>der</strong> Kunst des Dritten Reichs umging. Eine so simple, unschuldige Fragestellung,<br />

was Breker denn eigentlich angestellt hatte, um zu einer Negativgröße solchen<br />

Ausmaßes zu werden, spielte in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle.<br />

Sie war gewissermaßen a priori beantwortet.<br />

Unendlich viele Aspekte des Dritten Reichs – seine Strukturen, sein Personal, <strong>der</strong>en<br />

Taten und Verbrechen – sind von Historikern akribisch erforscht und öffentlich dargestellt.<br />

Die Künste blieben, dank <strong>der</strong> Einstellung <strong>der</strong> Kunsthistoriker, davon weitgehend<br />

ausgeschlossen. Im Begleitband von 2006 hatte ich diesen ängstlichen Tabuisierungsdrang<br />

folgen<strong>der</strong>maßen kommentiert:<br />

Man gibt sich in Deutschland noch immer große Mühe, den Aspekt ›Kunst des III. Reiches‹<br />

möglichst sparsam, abstrakt und tunlichst ohne direkte, sinnliche Konfrontation mit<br />

dem Gegenstand abzuhandeln. Diese zwölf Kunstjahre werden immer noch so gründlich<br />

weggebunkert, als wohne ihnen eine teuflische Verführungskraft inne, <strong>der</strong> man sich – und<br />

vor allem seine Mitmenschen – nicht aussetzen dürfe. Und das, obwohl diejenigen, die<br />

sich heftig gegen jede Präsentation von ›Nazi-Kunst‹ in Museen und an<strong>der</strong>en Ausstellungsorten<br />

wehren, gleichzeitig nicht müde werden, die ›Drittklassigkeit‹ und ›Irrelevanz‹<br />

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dieser Künstler und ihrer Werke zu behaupten. Wie aber kann so schlechte Kunst ein so<br />

gefährliches Sogpotential in sich bergen?<br />

Die ungeheuerlichen und unvorstellbaren Verbrechen <strong>der</strong> Nationalsozialisten werden<br />

in aller Öffentlichkeit und in allen Einzelheiten vor-, dar- und ausgestellt, und niemand<br />

scheint zu befürchten, dass junge Leute in den Naziverbrechern Vorbil<strong>der</strong> und Helden für<br />

neuerliche ähnliche Verbrechen finden könnten. Wenn aber Kunst aus <strong>der</strong> Nazizeit ans<br />

Tageslicht gebracht wird, dann wächst die Sorge ins Riesenhafte, es könnten ausgerechnet<br />

durch Ölbil<strong>der</strong> und Bronzen wacklige Demokraten zum Abdriften in rechtsextreme Zonen<br />

verleitet werden. 25<br />

Auch heute noch gilt: Wer über Arno Breker schreibt und Zwischentöne verwendet,<br />

<strong>der</strong> macht sich verdächtig. Rainer Hackel differenziert schon allein dadurch, dass er<br />

sich auf die Werke erst einmal in ihrer physischen Präsenz einlässt; also wird er sich<br />

verdächtig machen. Wer dagegen über Breker schreibt und seine Palette auf ein ›mutiges‹<br />

Schwarz-Weiß beschränkt, <strong>der</strong> darf sich ungeniert als schonungsloser Aufklärer<br />

gerieren. Dafür steht zuletzt Jürgen Trimborn mit einer dickleibigen Veröffentlichung<br />

vom Spätherbst 2011: Arno Breker. Der Künstler und die Macht. Die Biographie. 26<br />

Der Titel soll wohl das definitive Breker-Bild ankündigen; an<strong>der</strong>s sind die überaus<br />

bestimmten Artikel im Untertitel nicht zu deuten: Der Künstler, die Macht. Die Biographie.<br />

Trimborn hatte sich zuvor schon biographisch zu Leni Riefenstahl und Johannes<br />

Heesters auflagenstark eingelassen. Mit Breker griff er das tabuumwitterte Thema<br />

›Künstler im Dritten Reich‹ zum dritten Mal auf und wie<strong>der</strong> mit einer Figur, bei <strong>der</strong><br />

man offenbar auf großes Käuferinteresse rechnen konnte. So schreibt <strong>der</strong> Autor:<br />

Dass es nach wie vor ein großes, auch über die Grenzen Deutschlands hinausgehendes<br />

Interesse an Arno Breker gibt und <strong>der</strong> Bildhauer des ›Führers‹ immer noch eine Figur ist,<br />

an <strong>der</strong> sich die Geister scheiden, hat nicht zuletzt die Breker-Ausstellung gezeigt, die im<br />

Jahr 2006 in Schwerin veranstaltet wurde und weltweit für enormes Aufsehen gesorgt hat.<br />

Die Flut an Artikeln und Fernsehsendungen sowie die höchst emotional geführten Diskussionen<br />

um das Für und Wi<strong>der</strong> einer solchen Ausstellung sowie die Frage, wie denn nun<br />

Brekers Arbeiten zu bewerten und kunsthistorisch einzuschätzen sind, hat deutlich gemacht,<br />

dass immer noch ein großes Informations- und Aufklärungsbedürfnis besteht. 27<br />

In <strong>der</strong> Tat hatte die Schweriner Ausstellung den über Jahrzehnte schwelenden<br />

Glaubenskrieg über den Umgang mit ›Nazikunst‹ wie<strong>der</strong> hell aufflammen lassen und<br />

damit angezeigt, dass man sich an Breker durchaus noch die Finger verbrennen<br />

konnte.<br />

Dieser Gefahr wollte Trimborn offenbar von vornherein vorbauen und benutzte<br />

dazu einen eigenwilligen Kunstgriff: Er setzte vor sein 700-Seiten-Konvolut<br />

eine Namensliste von Menschen, die einerseits mit Breker bekannt gewesen waren,<br />

an<strong>der</strong>erseits aber das Dritte Reich gar nicht, nicht lange o<strong>der</strong> nur durch Flucht ins<br />

Exil überlebt hatten.<br />

Diese Buchseite in Gestalt und Funktion eines Epitaphs sollte die Position des<br />

Autors klarstellen: Seht her, was ich euch zeige: diese wurden ermordet und haben<br />

gelitten, während Breker sich am Tische Hitlers mästete. Mit dieser ›Pathosformel‹<br />

025. Breker – Schwerin I, S. 6.<br />

026. Jürgen Trimborn, Arno Breker.<br />

Der Künstler und die Macht.<br />

Die Biographie. Berlin 2011.<br />

027. Trimborn, ebd. S. 13.<br />

109<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

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distanzierte sich Trimborn schon vor dem Inhaltsverzeichnis von seiner Titelfigur,<br />

stellte diese ostentativ ins moralische Abseits und hoffte so, sich selbst durch diese<br />

Inszenierung von vornherein aus <strong>der</strong> Schusslinie zu nehmen, in welche die Schweriner<br />

Ausstellung geraten war.<br />

Das mag manche Tabu-Hüter friedlich gestimmt haben, ob so etwas aber <strong>der</strong> Aufklärung<br />

dient, bezweifle ich. Es ist degoutant, dass Trimborn hier Opfer des Nazismus<br />

als Zeugen gegen Breker aufruft und damit instrumentalisiert – Opfer, zu <strong>der</strong>en<br />

schrecklichem Ende <strong>der</strong> Bildhauer nach allem, was man weiß, nichts beigetragen hat.<br />

Er hat sie – hätte er es denn gekonnt? – nicht gerettet, aber das rechtfertigt noch lange<br />

nicht, Breker deshalb mit den Namen dieser Toten zu beschweren, <strong>der</strong>en Grabplatten<br />

an seine Füße zu binden und ihn auf diese Weise in den Orkus zu schicken.<br />

Wirklich peinliche Züge bekommt Trimborns Pathétique dadurch, dass <strong>der</strong> Autor<br />

seine Opferliste anreichert mit Personen, die bald nach dem Ende <strong>der</strong> Nazischreckensherrschaft<br />

ihr Leben verloren – nicht als Opfer des Nazismus, son<strong>der</strong>n als<br />

zum Tod verurteilte Nazi-Kollaborateure.<br />

Auf Trimborns Liste steht z.B. Pierre Laval, einer <strong>der</strong> übelsten Vertreter des Vichy-<br />

Regimes, ein Mensch, <strong>der</strong> dafür sorgte, dass, über die deutschen Anweisungen<br />

hinaus, auch jüdische Kin<strong>der</strong> unter 16 Jahren in die KZs deportiert wurden. Laval<br />

und an<strong>der</strong>e französische Kollaborateure gezielt mit den aufgeführten NS-Opfern auf<br />

einem Epitaph zu vereinigen – einen schlechteren Dienst hätte <strong>der</strong> Breker-Autor den<br />

unschuldigen Opfern und ihrem Gedenken kaum erweisen können.<br />

In seinen Riefenstahl- und Heesters-Biographien brachte Trimborn entsprechende<br />

Einstimmungsstrategien nicht zur Anwendung. Warum eigentlich nicht? Warum verzichtete<br />

er darauf, den Lieblingssänger des Führers entsprechend anzuprangern?<br />

Schließlich war Johannes Heesters nicht davor zurückgeschreckt, im KZ Dachau die<br />

Quäl- und Mordkommandos <strong>der</strong> SS-Wachmannschaften mit seinem Besuch zu erheitern.<br />

Trimborns Riefenstahl und sein Heesters zeigen Licht und Schatten, sie erscheinen<br />

– im Wortsinn – als zwielichtige Gestalten, Trimborns Breker wird durchgängig<br />

als Dunkelmann dargestellt.<br />

Trotz dieser Schwächen hat die Biographie Tatsachen ans Licht geför<strong>der</strong>t, die neu<br />

und wichtig sind. Selbst wenn er im Gestus eines Staatsanwalts seine Recherchen präsentiert,<br />

so sind die Aktenfunde bemerkenswert, und die werfen öfter kein gutes<br />

Licht auf Brekers Charakter.<br />

Was <strong>der</strong> Autor auf seinen 700 Seiten allerdings völlig vernachlässigt, ist die Tatsache,<br />

dass Breker nicht nur einen Charakter, son<strong>der</strong>n auch eine Profession hatte. Der Bildhauer<br />

Breker – ob als guter o<strong>der</strong> schlechter Künstler – findet so gut wie nicht statt.<br />

Nur in einem Subkapitel mit Namen ›Eine Frage des Stils‹ umkreist <strong>der</strong> Autor in langen<br />

Wie<strong>der</strong>holungen die These, dass Breker einen wirklichen Personalstil nicht entwickelt<br />

habe. Dem würde ich im Resultat partiell zustimmen, für ein 700-Seitenbuch<br />

sind diese 15 Seiten aber nicht nur arg kurz, son<strong>der</strong>n auch extrem pauschal. Hier<br />

hinterlässt Die Biographie nichts als offene Fragen und macht in ihrem Desinteresse<br />

110<br />

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an Brekers Arbeiten nur umso deutlicher, wie wichtig Untersuchungen wie <strong>der</strong> Essay<br />

von Rainer Hackel sind, die nicht nur die politische Seite einer Gestalt aus dem Dritten<br />

Reich interessiert, son<strong>der</strong>n z.B. auch <strong>der</strong>en Kunst.<br />

Kunst und Politik stoßen allerdings bei Breker unvermeidlich aufeinan<strong>der</strong>. Mein<br />

Wunschtitel für die Schweriner Ausstellung hatte deshalb gelautet: Zwischen Hitler<br />

und Cocteau. Der Bildhauer Arno Breker. Dem mochte die Familie Breker als Leihgeber<br />

letztlich nicht zustimmen: Hitler sollte besser nicht vorkommen. Mein Zweitvorschlag,<br />

Zur Diskussion gestellt: <strong>der</strong> Bildhauer Arno Breker, wurde, weil er eine prüfende<br />

Distanz zum Gegenstand signalisiert, nur ungern akzeptiert. Für die Schweriner Seite<br />

war aber eine Präsentation zwingend, die auf jeglichen Weihrauch verzichtete. Der<br />

Zugang zu und die Verwendung von Brekers schriftlichen Hinterlassenschaften blieb<br />

bis auf eine kontrollierte Stippvisite verwehrt. Das wird sich in <strong>der</strong> Zukunft bei an<strong>der</strong>en<br />

Projekten und mit an<strong>der</strong>em Personal hoffentlich än<strong>der</strong>n. Die vorhandenen Quellen<br />

müssen erschlossen werden, auch wenn nicht große Offenbarungen darin verborgen<br />

sein sollten.<br />

Die Familie verzichtete nolens volens auf jede Mitsprache bei <strong>der</strong> Ausstellungsgestaltung,<br />

bei den Ausstellungstexten und bei Inhalt und Form des Begleitbandes.<br />

Sie bekam dies alles – wie je<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Besucher – erst bei <strong>der</strong> Eröffnung zu sehen.<br />

Auf dieser Basis war <strong>der</strong> Weg für die Realisierung des Ausstellungsprojektes frei.<br />

Während die Schweriner Breker-Pläne Gestalt annahmen und langsam in <strong>der</strong> regionalen<br />

Öffentlichkeit diskutiert wurden, durchbebte die ganze Republik ein Donnerschlag<br />

aus Berlin, wo plötzlich und unerwartet grelle Blitze gegen Arno Breker geschleu<strong>der</strong>t<br />

wurden. In Berlin hatten sich Leah Rosh und Ralph Giordano Ende Mai<br />

2006 zu Wort gemeldet. Noch hatten sie nicht die Schweriner Ausstellung im Blick,<br />

wohl aber die anstehende Fußballweltmeisterschaft in Deutschland – und sicher auch<br />

<strong>der</strong>en medialen Aufwind. Im Angesicht <strong>der</strong> in Berlin versammelten Weltmedien for<strong>der</strong>ten<br />

Rosh und Giordano, man müsse die Großplastiken aus dem Dritten Reich,<br />

die seit <strong>der</strong> Olympiade von 1936 auf dem Berliner Olympiagelände standen (und stehen),<br />

unverzüglich aus dem Angesicht <strong>der</strong> Welt tilgen, die mal wie<strong>der</strong> auf diese Stadt<br />

blickte. Herr Giordano wollte die Skulpturen am besten verschrottet wissen. 28 Frau<br />

Rosh betonte, vor allem die Arbeiten von Hitler-Liebling Arno Breker, einem ›Obernazi‹,<br />

müssten verschwinden. Rosh, sonst eher für die Aufklärung <strong>der</strong> Nazizeit bekannt,<br />

for<strong>der</strong>te, Brekers Plastiken am Jahnplatz zumindest ›zu verhüllen‹. 29<br />

Wer die Werke von Albiker, Breker, Kolbe, Mages, Thorak o<strong>der</strong> Wackerle vergleicht,<br />

wird feststellen, dass ausgerechnet diese Arbeiten Brekers, des Obernazis für<br />

Leah Rosh, keineswegs kriegerisch dastehen. Nach 1936 ging Breker bekanntlich an<strong>der</strong>e<br />

Wege in <strong>der</strong> Körperbehandlung.<br />

Allen nazizeitlichen Skulpturen im Berliner Olympiagelände wurde 2006 eine<br />

historische Kommentierung beigefügt. Seitdem herrscht Friede. Heute ist die Berliner<br />

Senatsverwaltung erkennbar stolz auf ihr nun Olympiapark getauftes ehemaliges<br />

Sorgenkind:<br />

Mit dem Olympiastadion und dem ehemaligen Reichssportfeld in Charlottenburg be-<br />

028. taz, 31.5.06.<br />

029. ebd.<br />

111<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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sitzt Berlin die wohl bedeutendste monumentale Sportanlage des frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

in Europa. Sie ist ein überragendes Zeugnis <strong>der</strong> Olympischen Idee und <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Massensportbewegung, aber auch <strong>der</strong> Bau- und Kunstpolitik im Dritten Reich. Die Bauten,<br />

Freiflächen und Skulpturen vereinen sich zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk,<br />

zu einem wirkungsvollen Moment von Architektur und Raumgestaltung <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />

Ära. 30 So <strong>der</strong> offizielle Stand von heute.<br />

Vor bald sieben Jahren, im Frühsommer und Sommer 2006, waren nicht nur Leah<br />

Rosh und Ralph Giordano auf ihrem Verschrottungs- bzw. Verhüllungskurs gegen<br />

Breker in Berlin unterwegs. Aus Berlin stritt auch <strong>der</strong> frisch gewählte Präsident <strong>der</strong><br />

Bundes-Kunstakademie, Klaus Staeck, gegen Breker – nun gegen Brekers Auftauchen<br />

in Schwerin. Bevor irgendjemand irgendetwas zu Gesicht bekommen hatte, meinte<br />

Staeck schon zu wissen, dass diese Ausstellung in Wahrheit an <strong>der</strong> Rehabilitation Brekers,<br />

dieses monumentalen Dekorateurs <strong>der</strong> Barbarei, arbeiten wollte. 31<br />

Im Jahr 2006 wurde Staeck zweifellos zum Nukleus <strong>der</strong> folgenden Verurteilungskampagne.<br />

Staecks Einsatz an <strong>der</strong> Breker-Front war nicht sein erster. Schon zwei<br />

Jahrzehnte zuvor, im Jahr1987, hatte er eine lange, prominent besetzte Unterschriftenliste<br />

dagegen zusammengebracht, dass <strong>der</strong> Schokoladenfabrikant und Kunst-<br />

Großmäzen Peter Ludwig sich und seine Frau von Breker hatte portraitieren lassen<br />

und diese Arbeiten seinem Kölner ›Museum Ludwig‹ überantworten wollte.<br />

Der Schweriner Volkszeitung sagte Staeck am 8. Juli 2006: Eine Einzelausstellung<br />

Arno Brekers gehört nicht in ein öffentliches Haus. Außerdem hat eine Aufarbeitung<br />

längst stattgefunden. Schon 1987 haben mehr als 300 <strong>der</strong> bedeutendsten Künstler, Museumsdirektoren<br />

und Wissenschaftler in dem Aufruf ›Keine Nazikunst im Museum‹ sich<br />

klar gegen Arno Breker ausgesprochen (…). Auf die anschließende Frage <strong>der</strong> SVZ: Muss<br />

man nicht selbst in Augenschein nehmen dürfen, was man ablehnt? antwortete Akademiepräsident<br />

Staeck: Rund um das Berliner Olympiastadion sind Brekers Plastiken zu<br />

sehen. In mehreren Sammelausstellungen wurden sie gezeigt und in zahlreichen Büchern<br />

veröffentlicht. Die Veranstalter suggerieren einen dringenden Besichtigungsbedarf, den es<br />

so gar nicht gibt. Es geht nicht um political correctness, son<strong>der</strong>n um Fragen <strong>der</strong> Moral<br />

und Verantwortung des Künstlers. Breker hat sich gegenüber <strong>der</strong> Kunst und einem humanen<br />

Menschenbild schuldig gemacht und sein Verhalten nie bereut. Deshalb habe ich auch<br />

die mir im Schleswig-Holstein-Haus 2007 angebotene Ausstellung abgesagt.<br />

030. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung<br />

und Umwelt.<br />

031. Interview mit <strong>der</strong> Schweriner<br />

Volkszeitung, SVZ, vom<br />

08./09.07.2006 in: Breker –<br />

Schwerin I, S. 145.<br />

Staecks Argument, das Thema Breker habe sich durch eine Unterschriftenliste von<br />

mehr als 300 <strong>der</strong> bedeutendsten Künstler, Museumsdirektoren und Wissenschaftler erledigt,<br />

war damals ein groteskes Argument und ist es bis heute geblieben. Es wäre das<br />

erste Mal in <strong>der</strong> Kunstgeschichte, dass eine Unterschriftenaktion von 300 Personen,<br />

die sich klar gegen Arno Breker ausgesprochen hatten, jede künftige Diskussion zu dessen<br />

Person und Werk hätte unterbinden können. So etwas haben nicht einmal die<br />

mittelalterlichen Konzile geschafft, obwohl denen doch noch <strong>der</strong> Scheiterhaufen als<br />

Argumentationshilfe zur Verfügung stand.<br />

Mit seiner Behauptung eines vorgeblich von den Veranstaltern suggerierten, aber in<br />

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Wahrheit nicht gegebenen Besichtigungsbedarfs hatte sich Staeck ebenfalls gründlich<br />

verrechnet. Diese Breker-Präsentation sollte mit 35.500 Besuchern zur erfolgreichsten<br />

Schweriner Ausstellung überhaupt werden. Sie zeitigte ein Medienecho, das die<br />

Stadt in ihrer 850jährigen Geschichte noch nie erlebt hatte – ein Echo, das zunächst<br />

aus allen großen und kleinen Medien <strong>der</strong> Bundesrepublik in allen Varianten von Pro<br />

und Contra wi<strong>der</strong>hallte und sich schließlich um den Globus verbreitete.<br />

Klaus Staeck, <strong>der</strong> kampfgestählte Kämpe gegen alles Rechte und Unrechte, hatte<br />

mit diesem bundesweit viel zitierten Interview jedenfalls eine Fanfare intoniert, durch<br />

die viele sich berufen fühlten, mit moralischem Furor in dasselbe Horn zu stoßen.<br />

Vor Ort hatte sich beson<strong>der</strong>s die Direktorin des Staatlichen Museums Schwerin dafür<br />

stark gemacht, die Ausstellung zu unterbinden. Mit 34 weiteren Teilnehmern am<br />

mecklenburgischen Kunstbetrieb veröffentlichte sie eine Resolution mit folgenden,<br />

etwas verschrobenen Kernsätzen:<br />

Die Unterzeichner wenden sich dagegen, dass Arno Breker in den künstlerischen<br />

Kontext eingeführt und als ästhetisches Mittel so in <strong>der</strong> gesellschaftlichen Wirklichkeit<br />

zurückgewonnen werden soll. Aus diesen Gründen und in Wahrnehmung auch unserer<br />

politischen Verantwortung for<strong>der</strong>n wir Sie auf, diese Ausstellung unverzüglich abzusagen.<br />

32<br />

Die 34 Mecklenburger versuchten, ihren Standpunkt, die Ausstellung dürfe nicht gezeigt<br />

werden, zu begründen, indem sie mit einem Passus aus <strong>der</strong> Vorankündigung des<br />

Schleswig- Holstein-Hauses ins Gericht gingen. Das Haus (=R.C.) hatte geschrieben:<br />

Ein eigenes Urteil kann nur jemand fällen, <strong>der</strong> das, was er beurteilt, vorher ansehen<br />

konnte. Also muss Breker gezeigt werden. Dieses Argument zitierten die Unterzeichner,<br />

um es wie folgt zu entkräften: Diese Behauptung ist angesichts eines eigenen Museums<br />

für Arno Breker, das 1980 durch die Regierung <strong>der</strong> Bundesrepublik zum Zweck <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung eingerichtet wurde, schlichtweg falsch. (ebd.)<br />

Diese Behauptung <strong>der</strong> Museumsdirektorin und ihrer Mitstreiter entsprang einer beträchtlichen<br />

Unkenntnis <strong>der</strong> einschlägigen Tatsachen. Was es wirklich seit 1980 gibt,<br />

ist ein völlig privates, von Herrn John G. (Joe) Bodenstein kommerziell betriebenes<br />

Museum Arno Breker auf Schloss Nörvenich am Nie<strong>der</strong>rhein. Herr Bodenstein und<br />

Mitglie<strong>der</strong> seiner Familie haben dort eine Breker-Verehrungsstätte aufgebaut, in Verbindung<br />

mit einer reichlich fließenden hagiographisch ausgerichteten Literaturproduktion<br />

zu Breker und vor allem von <strong>der</strong> Herstellung und/o<strong>der</strong> Vermarktung<br />

von Breker-Arbeiten aus allen Phasen seines Schaffens. Eine kleine Textprobe, auf<br />

<strong>der</strong> Hauptseite des ›Museum Arno Breker‹ zu finden, hätte wirklich reichen müssen,<br />

um den Geist des Hauses in Nörvenich zu erkennen:<br />

In <strong>der</strong> Reinheit seines Werkes spiegelt sich auch die Reinheit von Wesen und Geist des<br />

Bildhauers. (…) Im Gleichklang von Leben und Werk ist Breker mit Michelangelo zu<br />

vergleichen, dessen Schaffen nach Jahrhun<strong>der</strong>ten weltweit größte Bewun<strong>der</strong>ung erfährt.<br />

(…) Brekers Leben ohne persönliche Skandale war nach Kriegsende 1945 durch die häufige<br />

Diffamierung des Künstlers oft sehr schwer. Nur durch ein ›absolut reines Gewissen‹<br />

032. Pressemitteilung v. 11.7.06,<br />

in: Breker – Schwerin II,<br />

S. 109.<br />

113<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

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hat Breker – in Demut und auch in Schmerz – Ungerechtigkeiten und auch menschliche<br />

Enttäuschungen ertragen. 33<br />

Selbstverständlich war und ist die Bundesregierung in keiner Weise in diese Weihestätte<br />

irgendwie involviert noch gibt es dort auch nur den Hauch einer wissenschaftlichen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung. Wie hätte ein staatlich getragenes Museum auf seiner<br />

Homepage so über Breker, dem in <strong>der</strong> Tat zwischen 1945 und 2006 aus politischen<br />

Gründen in keinem öffentlichen Haus eine Personalausstellung ausgerichtet wurde,<br />

<strong>der</strong>artiges schreiben können? Man griff, wie man sieht, wahllos nach jedem Argument,<br />

von dem man meinte, es gegen die Schweriner Ausstellung wenden zu können.<br />

(Und man gestattete sich, auf einem Auge völlig blind zu sein, wenn es um durchaus<br />

zwielichtige Verbündete in <strong>der</strong> eigenen Phalanx ging. Dazu später.)<br />

Lange vor Ausstellungsbeginn war <strong>der</strong> Meinungskampf also entbrannt. 34 Dabei hatten<br />

die Positionen, die im folgenden Vierteljahr bezogen wurden, kaum etwas mit<br />

rechter o<strong>der</strong> linker Ausrichtung <strong>der</strong> Medien zu tun. Einem Verriss in <strong>der</strong> Welt stand<br />

eine positive Stellungnahme im selben Blatt gegenüber. Es gab Zustimmung in <strong>der</strong><br />

taz, eine aufgeschlossene Kommentierung im Neuen Deutschland und Wi<strong>der</strong>willen in<br />

<strong>der</strong> Frankfurter Rundschau. Die großen Blätter, die Süddeutsche Zeitung und die<br />

Frankfurter Allgemeine, diskutierten in je drei langen Artikeln Pro und Contra, hin<br />

und her.<br />

Kaum eine ausländische Zeitung verzichtete darauf, die Staeck-Position zu konfrontieren<br />

mit <strong>der</strong> von Michel Friedman und an<strong>der</strong>en, beson<strong>der</strong>s aber mit <strong>der</strong> von<br />

Günther Grass als dem prominentesten Ausstellungsfürsprecher.<br />

Grass hatte gesagt: Mir liegen die Texte für das Begleitbuch <strong>der</strong> Ausstellung vor. Darin<br />

sehe ich nicht den Ansatz einer Verherrlichung. 35 Weiter sprach er sich dort für eine<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Kunst <strong>der</strong> Zeit 1933–1945 aus und fuhr fort: Ich gehe<br />

davon aus, dass das zu erwartende Publikum im demokratischen Sinn erwachsen genug<br />

ist, damit umzugehen. 36<br />

033. Breker – Schwerin II, S. 110.<br />

034. Pressespiegel, Ebd. S. 134 –<br />

219.<br />

035. Interview mit <strong>der</strong> Schweriner<br />

Volkszeitung vom 14.07.2006<br />

in: ebd. S. 154.<br />

036 ebd..<br />

Die internationale Presse referierte vorwiegend die in Deutschland umlaufenden<br />

Argumente, so <strong>der</strong> Figaro und Le Monde, die Times o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Mailän<strong>der</strong> Corriere<br />

della Sera. Manchmal mit staunendem Unterton über die deutschen Querelen, wie<br />

in El Pais in Madrid mit <strong>der</strong> lapidaren Überschrift: Breker spaltet Deutschland. Die<br />

israelische Zeitung Haaretz addierte vor allem die besorgten Argumente. Die New<br />

York Times wie<strong>der</strong>um machte zunächst mit einem kleinen nordostdeutschen Kartenausschnitt<br />

ihre Leser mit <strong>der</strong> Existenz und Lage <strong>der</strong> Stadt Schwerin bekannt. Dann<br />

stellte die New York Times die Positionen von Grass und Staeck gegeneinan<strong>der</strong>:<br />

Günther Grass, the noble laureate, spoke out in favor of the exibit, saying it could help<br />

answer the nagging question of how talented artists and thinkers could accept such a government.<br />

Zu Staeck hieß es: Mr Staeck, a graphic artist, pulled out of planned exhibit<br />

of his own work here next year in protest. ›When you break a taboo, you’ve got to have<br />

good reasons‹, he said. ›I don’t see their reasons.‹<br />

Cultural officials here counter that six decades after the end of the war, Germans are<br />

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more than ready for a discussion of how a gifted artist accommodated, and was co-opted,<br />

by the Nazi government. Mr. Brekers moral corruption, they said, is precisely what makes<br />

him worth studying.<br />

Die Zeitung geht auch auf das Argument ein, die Breker-Ausstellung werde die<br />

NPD beflügeln, und schließt ihren Artikel mit einem Satz des Schweriner Kulturdezernenten<br />

Junghans: ›Ninety-five percents oft the visitors will be good democrats, and<br />

the other 5 percent will not be very happy with how we present Breker‹, he said. ›But we<br />

didn’t do it for this 5 percent.‹ 37<br />

Das letzte Zitat traf die tatsächliche Lage ziemlich gut: Mindestens 95% <strong>der</strong> oft von<br />

weither, auch aus dem Ausland zusammengeströmten Besucher wollten nichts weiter,<br />

als das Angebot ergreifen, sich mit eigenen Augen ein Bild von Skulpturen zu machen,<br />

die sie entwe<strong>der</strong> schon länger sehen wollten o<strong>der</strong> auf welche sie erst die stupende<br />

Medienresonanz gebracht hatte. Im Ausstellungsgästebuch stehen einige wenige<br />

Eintragungen aus dem rechtsradikalen Spektrum einer riesigen Mehrheit gegenüber,<br />

die – bei unterschiedlichster Wertung von Brekers Werken – vor allem unterstrich,<br />

dass sie sich nicht von selbsternannten Tugendwächtern vorschreiben lassen wolle, ob<br />

sie Kunst aus dem Dritten Reich ansehen dürfe o<strong>der</strong> nicht.<br />

Die Attacken gegen die Ausstellung liefen dennoch hochtourig weiter und wurden<br />

zur denkbar besten Werbekampagne für einen Ausstellungsbesuch.<br />

Selbst in den Kampf <strong>der</strong> Globalisierungsgegner wurde die Breker-Ausstellung gezogen.<br />

Im Sommer 2007 fand ein G8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm statt, dessen<br />

Vorbereitung auf allen Ebenen und mit allen Akteuren im Jahr 2006 heftig voranschritt.<br />

So führten im Sommer 2006 Antifa-Aktivist/innen ein Vorbereitungscamp<br />

in Steinhagen bei Heiligendamm durch. Ein Trupp von ihnen reiste nach Schwerin,<br />

schritt zur Tat gegen Breker und begann ihre Pressemitteilung wie folgt:<br />

Aktivist/innen des Anti-G8-Camps in Steinhagen haben heute die Arno-Breker-<br />

Ausstellung in Schwerin geschlossen. Breker war Hitlers Lieblingsbildhauer und das<br />

Schleswig-Holstein-Haus erdreistete sich, diese Nazikunst öffentlich auszustellen. Die<br />

Aktion stand im Rahmen des Antifa-Aktionstages des Camps.<br />

Dazu drückten die jugendlichen Antifaschisten den nunmehr ausgesperrten Ausstellungsbesuchern<br />

ein Flugblatt in die Hand, in dem es hieß:<br />

Mit einem abschließenden Diskussionsbeitrag zur Ausstellung ›Arno Breker – zur Diskussion<br />

gestellt‹ erklären wir, Aktivistinnen <strong>der</strong> Anti G8-Bewegung, heute die Ausstellung<br />

für den Altnazi Arno Breker für beendet. Mit <strong>der</strong> Schließung <strong>der</strong> Breker-Ausstellung protestieren<br />

wir gegen die erste Personalausstellung in öffentlicher Initiative des Nazi-Künstlers<br />

und Altnazis Arno Breker. Die Kulturpolitik <strong>der</strong> Stadt Schwerin und des Landes<br />

Meckpomm wollen hier erreichen, was bisher immer wie<strong>der</strong> an empörten Protesten scheiterte.<br />

(…)<br />

Mit <strong>der</strong> Schweriner Ausstellung wird die aktive Rehabilitierung eines <strong>der</strong> bekanntesten<br />

NS-Künstlers betrieben. Brekers Nazikunst wird hier verharmlost und als Teil eines pluralistischen<br />

Kunstverständnisses banalisiert. Das passt perfekt in die nach wie vor stattfindende<br />

Schlußstrichdebatte in <strong>der</strong> BRD. Heute, 61 Jahre danach, müsse man doch mit<br />

037. New York Times, ,Hitler’s<br />

Favorite Sculptor‘ Is Back,<br />

Hitting Raw Nerve by Mark<br />

Landler, in: ebd. S. 182ff.<br />

115<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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dem nötigen Abstand über alles reden dürfen. Faschismus aber ist keine Meinung, son<strong>der</strong>n<br />

ein Verbrechen!<br />

»Zur Diskussion gestellt« lautet <strong>der</strong> Titel dieser Ausstellung. Das kann nicht funktionieren!<br />

Wir sehen Brekers Werk als die Verkörperung <strong>der</strong> nationalsozialistischen Ästhetik –<br />

das läßt sich nicht mal eben neutral betrachten und bewerten. (…)<br />

Solidarität mit dem Streik <strong>der</strong> chilenischen Bergleute! Für die sofortige Einschmelzung<br />

von Brekers Herrenmenschen! Der Erlös geht an die Streikkasse.<br />

Internationale AktivistInnen gegen das G8-Treffen in Heiligendamm 38<br />

Der NDR sendete die Besetzungsaktion. In <strong>der</strong> Schluss-Sequenz des Films sah man<br />

eine überraschende Szene: Unmittelbar nach dem Abmarsch <strong>der</strong> weißen Antifa- und<br />

Dritte-Welt-Aktivisten traten zwei junge farbige Männer ins Bild und machten sich<br />

unverzüglich daran, die Absperrungsmaßnahmen <strong>der</strong> Besetzer schnell und rückstandslos<br />

zu beseitigen. Beide Männer waren aus <strong>der</strong> Dritten Welt – aus Mozambique<br />

– nach Deutschland gekommen. Der eine betrieb seit etwa fünf Jahren die Gastronomie<br />

des Schleswig-Holstein-Hauses, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e half ihm gelegentlich.<br />

Keiner <strong>der</strong> beiden schon genetisch gegen nordischen Rassewahn gefeiten Gastronomen<br />

hatte sich durch die Ausstellung von Brekers Skulpturen in seiner Menschenwürde<br />

getroffen gefühlt. Dagegen empfanden sie die Antifa-Besetzungsaktion als bevormundenden,<br />

unguten Eingriff in ihre freie gastronomische Betätigung, also in<br />

ihren Broterwerb.<br />

Die Antifa, so scheint es, hat von ihrer Anti-Breker-Aktion 2006 bis heute erstaunlich<br />

an Biss verloren, obwohl im Mai 2012 wie<strong>der</strong> eine Personalausstellung zu einem<br />

Künstler eröffnet wurde, dessen Karriere im Nationalsozialismus kulminierte.<br />

Dieser Künstler ist <strong>der</strong> Maler und Göring-Protegé Werner Peiner. Ausstellungsort<br />

war Gemünd in <strong>der</strong> Eifel.<br />

Dort, in Kronenburg, hatte Peiner die eigens auf ihn zugeschnittene Hermann-<br />

Göring-Meisterschule für Malerei geleitet. Arbeitsschwerpunkt dieser Kunst-Schule<br />

war die Monumentalmalerei. In Kronenburg stellte Peiner u.a. eine Tapisserie-Serie<br />

her mit Schlachtenbil<strong>der</strong>n für Hitlers neue Reichskanzlei, für die wie<strong>der</strong>um Breker<br />

Skulpturen anfertigte. Peiner galt, wie Heinz Rühmann, Arno Breker, Georg Kolbe,<br />

Gerhart Hauptmann, Richard Strauß u.a. als unersetzlicher Künstler des Dritten<br />

Reichs; auch Peiner figurierte auf einer Liste, die Hitler und Goebbels persönlich<br />

zusammengestellt und – laut originaler Aufschrift auf dem Aktendeckel – als Gottbegnadeten-Liste<br />

bezeichnet hatten.<br />

038. Flugblatt, in: ebd. S. 126.<br />

Die Ausstellung in Gemünd (nicht zu verwechseln mit Gmünd) trug den Titel Kunst<br />

im Nationalsozialismus. Werner Peiner – Verführer o<strong>der</strong> Verführter? und weckte alsbald<br />

das regionale antifaschistische Gewissen. Dieses äußerte sich in dem Artikel Peiner,<br />

Pesch und Pannen, in welchem es heißt:<br />

Am 19. Mai wurde die Ausstellung mit Bil<strong>der</strong>n des Malers Werner Peiner eröffnet.<br />

Der Kurator Dr. Dieter Pesch sagt zwar, die Ausstellung setze sich »kritisch« mit Peiner<br />

auseinan<strong>der</strong>, doch die Art und Weise, in <strong>der</strong> er an das Thema herangeht, macht auf uns,<br />

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die Antifa Euskirchen/Eifel den Eindruck, dass hier sehr viel relativiert und NS-Propaganda<br />

verherrlicht wird.(…) Wir sind <strong>der</strong> Überzeugung, dass man so einen Maler nicht<br />

problemlos ausstellen kann. Wenn er ausgestellt wird, dann muss zugleich gezeigt werden,<br />

wohin seine sogenannte »Kunst« geführt hat. Pesch hätte neben jedes Bild von Peiner ein<br />

Bild von Auschwitz hängen müssen, denn Peiner denken heißt Auschwitz denken. 39<br />

Trotz dieser harschen Worte blieben Taten aus; von Besetzungsaktionen wird nicht<br />

berichtet.<br />

Neben <strong>der</strong> Antifa äußerte sich wohl nur noch eine Künstlersektion in <strong>der</strong> Gewerkschaft<br />

ver.di so dezidiert, welche unter <strong>der</strong> Überschrift Kein Platz für Nazikunst in <strong>der</strong><br />

Eifel verlauten ließ:<br />

Bildende Künstlerinnen und Künstler in ver.di<br />

for<strong>der</strong>n kritische Kommentierung o<strong>der</strong> besser:<br />

Sofortigen Abbau <strong>der</strong> Werner-Peiner-Schau in Gmünd [!]<br />

Berlin, 30. Mai 2012: Die am 20. Mai 2012 in Gmünd eröffnete Werkschau des<br />

Nazi- Malers Werner Peiner (1897 bis 1984) müsse sofort geschlossen werden: »Sie ist ein<br />

kulturpolitischer Skandal, zumal sie frei von grundsätzlicher Aufarbeitung und künstlerischer<br />

Analyse ist«, verlangt Lorenz Mueller-Morenius, Bundesvorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Fachgruppe<br />

Bildende Kunst in ver.di. (…)<br />

Mueller-Morenius: »Ein albtraumhafter Spuk völkisch-monumentaler Pinselführung«,<br />

die bei Hitler, Himmler, Goebbels und Göring sowie ihren großindustriellen Unterstützern<br />

höchsten Beifall und finanzielle Unterstützung fand. 40<br />

Überregionale Medien äußerten sich, wenn überhaupt, kurz und zurückhaltend. Die<br />

Erregung, die sich bei Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker 2006 vielfach noch<br />

überschlagen hatte, blieb bei Hitlers und Goerings Lieblingsmaler Werner Peiner<br />

überaus gedämpft.<br />

Das erstaunt. Selbst wenn man einbezieht, dass <strong>der</strong> Name Peiner weit weniger bekannt<br />

ist als <strong>der</strong> Brekers, so hätte sich je<strong>der</strong> Empörungswillige im Google-Zeitalter<br />

schnell von den eklatanten Parallelen zwischen beiden Staatskünstlern des Dritten<br />

Reichs überzeugen können. Wenn trotzdem keine Kampagne entstand, dann deutet<br />

dies möglicherweise auf eine mentale Entspannung in <strong>der</strong> Bundesrepublik hin. Die<br />

Bereitschaft, immer wie<strong>der</strong> in dieselben Schützengräben zu steigen, um mit immer<br />

denselben Waffen und immer weniger neuer Munition immer dieselben Kämpfe zu<br />

führen, könnte abgenommen haben. Jedenfalls bringt die Google-Suche nicht einmal<br />

bei <strong>der</strong> Namens-Paarung Werner Peiner und Klaus Staeck das kleinste ausstellungsbezogene<br />

Resultat.<br />

Das war – wie berichtet – 2006 bei <strong>der</strong> Schweriner Ausstellung noch sehr an<strong>der</strong>s gewesen.<br />

Im Nachhinein blieb die damalige Antifa-Attacke zwar ein Bagatellmoment in<br />

einer Ausstellung, die vom 21. Juli bis zum 21. Oktober 2006 diese und an<strong>der</strong>e Angriffe<br />

überdauerte. Sie war aber doch ein symptomatisches Ereignis, denn die jungen<br />

039. Linksunten.indymedia.org<br />

040. https://kunst.verdi.de/<br />

aktuelles/presse/peiner<br />

117<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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Leute hatten – entsprechend dem alten Anarchisten-Motto ›Propaganda durch die<br />

Tat‹ – eben die Losungen in die Tat umgesetzt, die Staeck, die Mecklenburger Künstler-Initiative<br />

und eine Legion weiterer Schreibtisch-AktivistInnen schon vor Ausstellungsbeginn<br />

durch Aufrufe und Unterschriftslisten propagiert hatten – die sofortige<br />

Unterbindung <strong>der</strong> Breker-Präsentation.<br />

Schwerin ist die Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Da lag es nahe,<br />

dem Nazi-Bildhauer Arno Breker den von den Nazis geächteten Bildhauer Ernst<br />

Barlach gegenüberzustellen, denn Barlach hatte fast 30 Jahre im mecklenburgischen<br />

Güstrow gelebt und dort seine Hauptwerke geschaffen.<br />

Wesentliche Teile des Nachlasses befinden sich heute in Güstrow in <strong>der</strong> Obhut<br />

<strong>der</strong> Ernst-Barlach-Stiftung. Die Werke des Bildhauers werden dort an drei Orten präsentiert:<br />

in <strong>der</strong> Gertrudenkapelle, die schon 1953 als Barlach-Gedenk- und Ausstellungsraum<br />

eingerichtet wurde, in Barlachs Wohn- und Atelierhaus am Heidberg<br />

und in einem Ausstellungsneubau daselbst, dem ersten Museumsneubau in den neuen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n, wie die Stiftung schreibt. Des Weiteren ist die Stiftung unter ihrem<br />

Vorsitzenden Dr. Volker Probst seit ihrer Gründung im Jahr 1994 äußerst aktiv in<br />

<strong>der</strong> Barlach-Publizistik und in <strong>der</strong> Präsentation Barlachs im In- und Ausland. Sie hat<br />

sich dadurch zu einer anerkannten, wenn nicht <strong>der</strong> ersten Adresse <strong>der</strong> institutionalisierten<br />

Barlach-Pflege entwickelt.<br />

Diesen Umstand hatte die Erklärung von 34 Künstlern, Galeristen und Kunsthistorikern<br />

aus Mecklenburg-Vorpommern im Blick:<br />

Gerade Mecklenburg-Vorpommern, dessen bedeutendster Künstler des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

– Ernst Barlach – von den Nazis in den Tod getrieben und dessen Werk zum Teil<br />

vernichtet wurde, sollte hier größere Sensibilität und Aufmerksamkeit an den Tag legen.<br />

(…) Aus diesen Gründen und in Wahrnehmung unserer politischen Verantwortung for<strong>der</strong>n<br />

wir Sie auf, diese Ausstellung unverzüglich abzusagen. 41<br />

041. Erklärung vom 11.07.2006,<br />

in: Breker – Schwerin II,<br />

S. 109.<br />

042. Neue Osnabrücker Zeitung<br />

vom 11.07.2006.<br />

043. Volker Probst, Kein neuer<br />

Breker. Ein musealer Blick auf<br />

die Ausstellung im Schweriner<br />

Schleswig-Holstein- Haus. SVZ<br />

vom 29./30.07.2006, S. 11,<br />

in: Breker – Schwerin II,<br />

S. 191.<br />

Der Barlach-Geschäftsführer Probst hatte den Aufruf <strong>der</strong> 34 nicht unterschrieben,<br />

äußerte aber am selben Tag wie sie an an<strong>der</strong>er Stelle sein Befremden über das Breker-<br />

Vorhaben in Schwerin: ›Bislang war es stiller Konsens unter Museumsleuten, Breker<br />

nicht in einer Einzelschau zu zeigen‹, sagt Probst auf Anfrage. Dies sei nun durchbrochen<br />

worden. (…). Mit dem Beginn des Dritten Reiches sei <strong>der</strong> Künstler voll auf die NS-Linie<br />

eingeschwenkt. 42<br />

Nach Eröffnung und Besichtigung <strong>der</strong> Ausstellung veröffentlichte <strong>der</strong> Hüter des<br />

Barlach-Erbes allerdings einen langen Artikel unter <strong>der</strong> Überschrift: Kein neuer<br />

Breker. 43 Dort heißt es einleitend:<br />

Als Folge <strong>der</strong> 1968er Bewegung in Westdeutschland, in <strong>der</strong> die nach dem Krieg Geborenen<br />

Rechenschaft von ihren Vätern über die Zeit des Nationalsozialismus verlangten,<br />

wandte man sich ab 1970 auch <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> ›Kunst im Dritten Reich‹ zu. Es gab zahlreiche<br />

Ausstellungen wie ›Kunst im Dritten Reich. Dokumente <strong>der</strong> Unterwerfung‹<br />

(1974/75), ›Skulptur und Macht‹ (1983), ›Entmachtung <strong>der</strong> Kunst‹ (1985), ›Ästhetische<br />

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Faszination des Faschismus‹ (1987), in denen die bildenden Künste auf die Bedingungen<br />

ihrer Entstehung, ihrer Wirkung sowie auf ihre Wechselbeziehung zur nationalsozialistischen<br />

Ideologie befragt wurden.<br />

Bereits damals galt es als ausgemacht, dass <strong>der</strong> Bildhauer Arno Breker als <strong>der</strong> Staatskünstler<br />

des Nationalsozialismus par excellence zu werten sei. Es galt auch als stillschweigend<br />

unter den Museumsdirektoren vereinbart, Breker nicht in einer Einzelausstellung in<br />

einem öffentlichen Museum zu würdigen. 44<br />

Auch Probst, geboren 1953, gehört zur angesprochenen Nachkriegsgeneration <strong>der</strong><br />

68er. Auch er war in den 70er und 80er Jahren intensiv mit dem befasst, was die<br />

Väter in <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus getan hatten – aber doch auf denkwürdig<br />

an<strong>der</strong>e Weise, als seine harschen Einlassungen von 2006 vermuten lassen.<br />

Ein Zitat des Volker (damals: Volker G.) Probst aus dem Jahr 1<strong>978</strong> zeigt eine erstaunlich<br />

an<strong>der</strong>e, nämlich diametral entgegengesetzte Position. In seiner Abschlussarbeit an<br />

<strong>der</strong> Hamburger Fachhochschule für Bibliothekswesen hatte sich Probst damals dem<br />

plastischen Gesamtwerk Arno Brekers gewidmet. Auf den 85 Textseiten wird Hitler<br />

nur auf einer einzigen Seite in einer Fußnote erwähnt, in welcher von Arno Breker als<br />

dem Staatskünstler des Nationalsozialismus par excellence wahrlich nicht die <strong>Red</strong>e ist:<br />

Die Beurteilung Brekers während <strong>der</strong> Jahre 1938–1945 zeigt eine Zwiespältigkeit. Die<br />

Arbeiten <strong>der</strong> 20er Jahre finden uneingeschränkte Beachtung, während die Arbeiten, die er<br />

nach offiziellen Aufträgen anfertigte, als leer und pathetisch abgewertet werden. Es werden<br />

aber hier nicht die Werke selbst mit Hilfe von kunsthistorischen Methoden beurteilt,<br />

son<strong>der</strong>n es findet eine Einstufung in politischer Hinsicht statt. Treffend erfasst Speer diese<br />

Tatsache, wenn er schreibt, ›Im Verdikt (…) über die Skulpturen von Breker (…) ist auch<br />

das Verdikt über Hitler enthalten. Es ist falsch und ungerecht‹. 45<br />

Im Jahr 2006 wirft <strong>der</strong>selbe Probst <strong>der</strong> Schweriner Breker-Ausstellung vor: Unbestritten<br />

ist, dass Breker als Bildhauer für die Monumentalarchitektur <strong>der</strong> Herrschaftsbauten<br />

das Bildprogramm entwarf. Spätestens hier hätte die Diskussion einsetzen müssen, inwieweit<br />

Breker, <strong>der</strong> sich immer als apolitisch bezeichnet hat, jedoch mit zahlreichen Entscheidungsträgern<br />

des III. Reiches bekannt o<strong>der</strong> gar befreundet gewesen ist, wirklich nur <strong>der</strong><br />

gutgläubige Illustrator <strong>der</strong> NS-Ideologie gewesen ist. 46 In <strong>der</strong> Monographie von 1<strong>978</strong>,<br />

die mittlerweile für alle Anhänger des Bildhauers zu ›<strong>der</strong>‹ Breker-Bibel für den kleinen<br />

Geldbeutel geworden ist und mittlerweile 21 Nachdrucke erlebt hat, las man dagegen<br />

als Schlusswort: Brekers großes, ja einziges Thema ist die Darstellung des Menschen<br />

in seiner vollendeten Gestalt. Die harmonische, naturgemäße Ausbildung aller<br />

Körperteile ist das Ideal. (…). Seine Darstellung <strong>der</strong> Schönheit des Menschen wurzelt in<br />

<strong>der</strong> christlich-abendländischen Kultur mit <strong>der</strong> Auffassung, <strong>der</strong> Mensch sei nach dem<br />

Ebenbild Gottes erschaffen. Diese Idee des Menschenbildes versuchte Breker bildhauerische<br />

Gestaltung zu verleihen. Von <strong>der</strong> Verehrung <strong>der</strong> Schöpfung wird er in seinen Werken geleitet.<br />

In diesem Sinne ist Brekers Werk als ein großer Versuch zu sehen, die Gestalt des<br />

Menschen als Gottes Ebenbild immer wie<strong>der</strong> neu zu schaffen. 47 Dieser Hymnus des Breker-Probsts<br />

auf Breker ähnelt übrigens zum Verwechseln <strong>der</strong> Panegyrik des heutigen<br />

Barlach-Probsts zu seinem gegenwärtigen Idol: Der Bildhauer [Barlach]ist immer<br />

044. ebd.<br />

045. Volker G. Probst, Der Bildhauer<br />

Arno Breker. Untersuchungen<br />

seiner Skulpturen,<br />

Reliefs und Porträt-Büsten auf<br />

Grund <strong>der</strong> Kenntnis wichtiger<br />

Originale, Marco-Edition<br />

1<strong>978</strong>, S. 69, Anm. 22.<br />

046. Volker Probst, Kein neuer<br />

Breker, a.a.O.<br />

047. Volker G. Probst, Der Bildhauer<br />

Arno Breker, a.a.O.<br />

S. 66,<br />

119<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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048. Volker G. Probst, Der Bildhauer<br />

und sein Modell, in:<br />

»… das Kunstwerk dieser<br />

Erde«- Barlachs Frauenbil<strong>der</strong>,<br />

hrsg. von Andrea Fromm u.<br />

Helga Thieme, Passau u. a.<br />

2010/2011, S. 35.<br />

049. Vgl. Volker G. Probst, Meister<br />

<strong>der</strong> Graphik, Die Wie<strong>der</strong>entdeckung<br />

des menschlichen<br />

Körpers in den Zeichnungen<br />

von Arno Breker, in:<br />

Die Kunst und das schöne<br />

Heim, München 1975.<br />

050. Arno Breker, Sternstunde des<br />

Daseins. Erinnerungen an<br />

Cocteau. Privatdruck in<br />

limitierter Auflage zum 90.<br />

Geburtstag von Arno Breker.<br />

Mit Essays von Volker G.<br />

Probst u.a., Arno Breker<br />

Gesellschaft Düren 1990.<br />

051. Arno Breker in neuer Sicht.<br />

Diplomarbeit über einen Bildhauer<br />

europäischen Geistes –<br />

Beginn einer neuen Beurteilung,<br />

in: Das Ostpreußenblatt,<br />

27. Mai 1<strong>978</strong>, S. 9.<br />

052. Vgl. Stefen Braun u. Daniel<br />

Hörsch, Hrg., Rechte Netzwerke<br />

– eine Gefahr, Wiesbaden<br />

2004, S. 116. Hugo<br />

Wellems veröffentlichte noch<br />

im Jahr 1989 das Buch<br />

Deutschland ausradieren. Das<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t in entlarvenden<br />

Zitaten, Düsseldorf 1989.<br />

053. Volker G. Probst, Der große<br />

Prophet des Schönen. Dem<br />

Bildhauer Arno Breker zum<br />

80. Geburtstag, in: Ostpreußenblatt,<br />

5. Juli 1980,<br />

S. 10 u. 11.<br />

054. ebd.<br />

055. ebd.<br />

Menschenbildner, <strong>der</strong> den antiken Mythos mit dem christlichen Schöpfungsbericht vereint<br />

(Gott schuf den Menschen aus seinem Ebenbild). Ein Vorgang, den <strong>der</strong> Bildhauer jedes<br />

Mal von neuem als Ritual gegen die Vergänglichkeit <strong>der</strong> Welt vollzieht. 48 Probsts Einstieg<br />

in eine lange Phase als Breker-Hagiograph lässt sich via Internet bis ins Jahr 1975<br />

zurückverfolgen. 49 (Sie endete frühestens im Jahr 1990.) 50 In <strong>der</strong> zitierten Monographie<br />

Der Bildhauer Arno Breker folgt unmittelbar auf den Titel ein ganzseitiges<br />

Foto, das Breker und Probst gemeinsam auf einem Paris-Besuch zeigt und dadurch<br />

unübersehbar die Nähe des Adepten zum Meister betont. Dieses Breker-Buch fand<br />

in <strong>der</strong> allgemeinen Öffentlichkeit wenig Echo, machte aber den fünfundzwanzigjährigen<br />

Probst im Jahr 1<strong>978</strong> mit einem Schlag zu einem festen Begriff in rechtskonservativen<br />

Kreisen. So brachte Das Ostpreußenblatt eine lobende Rezension, die in<br />

den Worten gipfelte: Die Klarheit <strong>der</strong> Aussage geht keineswegs über jene Jahre von 1934<br />

bis 1945 hinweg, in denen Breker vor allem für Berlin plastische Werke zu den Architekturen<br />

von Albert Speer schuf, <strong>der</strong>etwegen er Kritik und Diffamierung hinnehmen musste.<br />

Probst bringt diese Jahre jedoch in eine emotionsfreie Relation zum bisherigen Lebenswerk<br />

von Arno Breker. 51 Derart emotionsfreie Relationen zur Nazizeit entsprachen wohl voll<br />

und ganz <strong>der</strong> Gesinnung von Hugo Wellems. Wellems, in den 70er und 80er Jahren<br />

Chefredakteur des Ostpreußenblatts, war alter Parteigenosse, zudem HJ-Bannführer<br />

und Spanienkämpfer in <strong>der</strong> Legion Condor. Seine journalistische Befähigung hatte er<br />

als NS-Buchautor und als Referent im Propagandaministerium des Josef Goebbels erworben.<br />

Auch nach dem Krieg blieb (…) Hugo Wellems dem rechtsextremen Spektrum<br />

verbunden. 52<br />

Zu Brekers achtzigstem Geburtstag rückte dieser Blattmacher eine ausführliche Würdigung<br />

des Bildhauers aus Probstscher Fe<strong>der</strong> in sein Journal ein. 53 In diesem Text<br />

ordnete Probst den Bildhauer zunächst mit beträchtlichem Tremolo in die Kunstund<br />

Heiligengeschichte ein: Hinter <strong>der</strong> Formensprache einer zu hoher Vollendung ausgearbeiteten<br />

Formensprache steht die Sicht eines intakten Menschenbildes. (…) Das Fundament<br />

für diese Werke liegt im Menschen Breker selbst. Der Humanismus, vereint mit<br />

christlich-abendländischer Ethik, ist sowohl für seine Lebensweise als auch für sein Werk,<br />

den Abbil<strong>der</strong>n des Menschseins, die verbindliche Richtschnur. Dieses Fundament gibt Breker<br />

die Kraft, den Menschen in dieser vollendeten Art als Ausdruck einer positiven Sicht<br />

<strong>der</strong> Naturerscheinung zu formen. 54 – Etc. etc.<br />

Weiter unten wird Probst konkreter in seiner Verharmlosungsstrategie, indem er<br />

Brekers ›Staatsaufträge‹ weichzeichnet:<br />

Diese Aufträge wurden für Bauten ausgeführt, die <strong>der</strong> Architekt Albert Speer entworfen<br />

hatte. Seine Architektur ist <strong>der</strong> Schinkels verpflichtet, also im Wesentlichen auf <strong>der</strong> des<br />

Klassizismus begründet. (…) Der großen und stilmäßigen Ausprägung fügte er [Breker]<br />

eine Architekturplastik hinzu, die wesensmäßig <strong>der</strong> Renaissanceplastik und <strong>der</strong> Barockplastik<br />

des Andreas Schlüter verwandt ist. (…) Dass die meisten Arbeiten dieser Schaffenszeit<br />

schon in endgültiger Größe von alliierten Truppen nahezu restlos zerstört worden<br />

sind, gehört zum Tragischen in Brekers Leben. 55<br />

Bei Probst gibt es hier keinen Hitler und keine Nazis, keine Aggressionskriege,<br />

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keinen totalitären Machtmissbrauch, keine Menschenschin<strong>der</strong>ei und keinen Völkermord<br />

– hier ist <strong>der</strong> große Bildhauer, <strong>der</strong> jetzt neben Michelangelo auch noch Schlüter<br />

zum Ahnherren und Vergleichsmaßstab beigesellt bekommt, und die große Tragik<br />

in Brekers Leben ist <strong>der</strong> kaputte Gips.<br />

Wie an<strong>der</strong>s klang es da im Jahr 2006. Damals insistierte <strong>der</strong> Autor angesichts <strong>der</strong><br />

Präsentation von vier Großfiguren in Schwerin unnachsichtig: Diese überlebensgroßen<br />

Figuren ›Wäger, Wager, Eos und Demut‹ für den runden Saal in <strong>der</strong> Reichskanzlei<br />

werden rein ikonographisch gedeutet, was nur ein erster Ansatz sein kann. In diesem<br />

Zusammenhang wäre die Tatsache zu thematisieren gewesen, dass Konrad Lorenz (…)<br />

1940 seinen berüchtigten Aufsatz ›Über durch Domestikation verursachte Störung arteigenen<br />

Verhaltens‹ mit Brekers Figur des ›Dionysos‹ (1937) als den Typus des Idealmenschen<br />

bebil<strong>der</strong>te. 56<br />

Davon abgesehen, dass diese Figur gar nicht in Schwerin war, staunt man auch<br />

hier über die Bewusstseinssprünge dieses Autors, <strong>der</strong> bis 1990 ›<strong>der</strong>‹ deutsche Hof-<br />

Schreiber und –Schranze Brekers gewesen war und nur vier Jahre danach, geradezu<br />

schlagartig ins Gegenteil gewendet, als würdevoller Großsiegelbewahrer Ernst Barlachs<br />

in ein unerwartetes Licht trat.<br />

Auch zu Brekers zweiundachtzigstem Geburtstag zeigte das Ostpreußenblatt Flagge 57<br />

und berichtete, Breker habe wie<strong>der</strong> das Portrait eines Intellektuellen geschaffen:<br />

Ernst Jünger, den Breker seit den 30er Jahren kennt, hatte den Bildhauer im Atelier<br />

aufgesucht und dort gemeinsam mit Breker-Autor Volker G. Probst so lange Zeit verbracht,<br />

bis die Büste vollendet war. 58 War Probst, <strong>der</strong> zwischen 1975 und 1990, also<br />

während 17 Jahren, unermüdlich eine hymnische Arbeit nach <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en über<br />

Breker verfasste, ein idealistischer, wenn auch einseitig orientierter Kunstadept, <strong>der</strong><br />

sich deshalb so lange und so ausschließlich auf Breker konzentrierte? 59 Dem deshalb<br />

kaum Zeit für etwas an<strong>der</strong>es blieb? 60 O<strong>der</strong> gab es an<strong>der</strong>e Gründe für diese erstaunliche<br />

Breker-Obsession?<br />

An<strong>der</strong>e Gründe sind leicht zu erkennen. In einer Rezension zu Jürgen Trimborns<br />

Breker-Buch und fußend auf dessen Darstellung fasst Prof. Bernhard Hoppe Brekers<br />

Lage bald nach dem Krieg knapp zusammen:<br />

Anfang 1952 war Breker finanziell schon wie<strong>der</strong> so weit etabliert, dass er sich in Düsseldorf<br />

ein großes Anwesen kaufen konnte. Das Grundstück richtete er als Skulpturengarten<br />

seiner eigenen Werke her. Zu dessen Ergänzung gelang es ihm – obwohl selbst von <strong>der</strong><br />

Versteigerung ausgeschlossen – über eine Vertrauenspersonen in Paris die dort nach <strong>der</strong><br />

Ausstellung von 1942 verbliebene Werke zu ersteigern. (…) Im Sommer 1960 mietete<br />

Breker in Paris ein zusätzliches Atelier und versuchte, die Pariser Kontakte wie<strong>der</strong>zubeleben.<br />

61<br />

Hoppe verweist nun darauf, dass die folgenden (…) 70er und 80er Jahre für Breker<br />

von einer starken Ambivalenz geprägt waren: Einerseits erhielt er viele Aufträge, an<strong>der</strong>erseits<br />

gelang es ihm aber nicht mehr, öffentliche Anerkennung zu finden. (…) Gleichzeitig<br />

056. Volker Probst, Kein neuer<br />

Breker, a.a.O.<br />

057. Arno Breker hat Geburtstag,<br />

in: Das Ostpreußenblatt,<br />

17. Juli 1982, S. 4.<br />

058. ebd.<br />

059. Allein bis zum Jahr 1985 erschienen<br />

11 Breker-Probst-<br />

Publikationen, die im Band<br />

Breker – Schwerin II auf<br />

S. 120 bibliographisch aufgeführt<br />

sind. Diese Liste ist<br />

zu ergänzen um<br />

Nr. 12: Volker G. Probst,<br />

Meister <strong>der</strong> Graphik, Die Wie<strong>der</strong>entdeckung<br />

des menschlichen<br />

Körpers in den Zeichnungen<br />

von Arno Breker, in: Die<br />

Kunst und das schöne Heim,<br />

München 1975;<br />

Nr. 13: Arno Breker/Volker<br />

G. Probst, Hommage à Louis-<br />

Ferdinand Céline, in: La Revue<br />

Célinienne, avec lithographies<br />

originales d’Arno Breker, 16 S.,<br />

Brüssel 1983. Mit einer Einführung<br />

von Marc Laudelot,<br />

dem Herausgeber besagter<br />

Revue und belgischem<br />

Rechtsextremisten.<br />

060. Es finden sich auch Monographien<br />

über die Bildhauer<br />

Georg Kruk und Kurt Arentz<br />

aus diesen 17 Jahren (beide<br />

veröffentl. in <strong>der</strong> Edition<br />

Marco), doch auch diese<br />

gehören als Schüler bzw.<br />

als Freund in den Breker-<br />

Dunstkreis.<br />

061. Prof. Dr. Bernhard Hoppe,<br />

Internet-Rezension von<br />

Jürgen Trimborn, Arno<br />

Breker. Der Künstler und die<br />

Macht. Die Biographie, in:<br />

socialnet.de/rezensionen/<br />

13614.php<br />

121<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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ergriffen Breker und seine Vertrauten vielfältige Initiativen zu dessen Rehabilitierung und<br />

Vermarktung. Dazu gehören in erste Linie die Aktivitäten des Galeristen Joe F. Bodenstein<br />

und seines Sohnes Marco, die zur Steigerung des Ansehens Brekers nicht einmal davor<br />

zurückschreckten, prominenten Zeitgenossen mindestens nicht verifizierbare Aussagen<br />

über Breker unterzuschieben. Publizistisch nachdrücklich unterstützt wurde Bodenstein<br />

von seinem Neffen Volker G. Probst (dem jetzigen Geschäftsführer <strong>der</strong> Ernst Barlach Stiftung<br />

in Güstrow – nicht in Görlitz, wie Trimmborn schreibt. (…)<br />

Allen gemeinsam ist die Strategie, Brekers Verstrickung in das nationalsozialistische<br />

Regime zu verschleiern, indem sie sich bemühen, ihn als »deutsch-französischen Bildhauer«<br />

ins Bewusstsein zu bringen, und seine Arbeiten aus <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus<br />

als »klassische Periode« umschreiben. Zu diesem Umkreis gehören auch die 1979 gegründete<br />

Arno-Breker-Gesellschaft, die Europäische Kultur Stiftung und das Internetforum<br />

»Prometheus – Internet Bulletin for Arts, Politics and Science«. 62<br />

Der Kontakt zwischen Breker und Bodenstein kam 1970 zustande durch ein Interview,<br />

das Bodenstein als Bonner Parlamentskorrespondent für AP mit Breker führen<br />

sollte. Daraus wurde sehr bald eine enge wirtschaftliche Beziehung:<br />

Bodenstein übernahm nicht nur das Interview, son<strong>der</strong>n bald auch die Weltvermarktungsrechte<br />

Brekers. Der Kontakt zu Arno Breker scheint sich schnell intensiviert zu haben,<br />

denn bereits 1972 beauftragte <strong>der</strong> Bildhauer Joe. F. Bodenstein ›mit <strong>der</strong> Betreuung<br />

seines Gesamtwerks‹. 63<br />

062. Bernhard Hoppe, ebd.<br />

063. Jürgen Trimborn, Arno<br />

Breker. Der Künstler und<br />

die Macht. Die Biographie,<br />

a.a.O., S. 502f.<br />

064. Bei <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong><br />

Breker-Ausstellung in<br />

Schwerin hatte ich einmal<br />

Gelegenheit, eine Reihe von<br />

Karteikarten mit technischen<br />

und an<strong>der</strong>en Angaben zu den<br />

Werken zu sehen, die von<br />

Probst angelegt waren.<br />

Brekers sagten damals, dass<br />

›<strong>der</strong> Volker‹ jahrelang bei<br />

ihnen aus und ein ging.<br />

Er ist wohl <strong>der</strong> beste Kenner<br />

des Breker-Archivs außerhalb<br />

<strong>der</strong> Familie.<br />

In <strong>der</strong> Breker-Vermarktung konnte man an dessen Beziehungen aus <strong>der</strong> ›Vorkriegszeit‹<br />

zu berühmten Zeitgenossen anknüpfen, während Bodenstein seine Kontakte in<br />

<strong>der</strong> Medienlandschaft und zu <strong>der</strong> Bonner Prominenz zunutze kamen. Bald wurde<br />

auch <strong>der</strong> junge Bodenstein-Neffe, Volker G. Probst, in das ›Breker-Projekt‹ einbezogen.<br />

Hierbei war <strong>der</strong> (zunächst noch) Student Probst für die gewünschte ›intellektuelle‹<br />

Seite zuständig – er hatte für die realisierten und auch für die gescheiterten Ausstellungsprojekte<br />

Begleitbände mit entsprechend weihevoll-hymnischen Aufsätzen zu<br />

verfassen, redaktionelle Arbeiten zu erledigen, Angaben über die Exponate aus dem<br />

Breker-Archiv beizubringen, 64 biographische und bibliographische Angaben zusammenzustellen<br />

und öfter auch die Herausgeberschaft zu übernehmen. Weiter trug er in<br />

Festschriften auf Breker bzw. auf Breker-Freunde, in Zeitungsartikeln und in zwei<br />

selbständigen Monographien zu Breker, die zugleich als Hochschul-Abschlussarbeiten<br />

dienten, den Ruhm Brekers in dessen überschaubare, aber über den Globus verteilte<br />

Gemeinde. Ab 1980 kamen noch Arbeiten für das damals gegründete ›Museum Arno<br />

Breker‹ in Nörvenich hinzu.<br />

Dieses zehrt in seiner Selbstdarstellung heute noch von Probsts Elogen auf den<br />

Propheten des Göttlichen.<br />

Mit seinen diversen, kontinuierlich erbrachten Beiträgen deckte Probst allein zwischen<br />

1975 und 1985 einen Bereich ab, <strong>der</strong> für den finanziellen Erfolg des Bodenstein-Unternehmens<br />

unabdingbar war. Zahlreiche Breker-Figuren in allen möglichen<br />

Varianten und Größen mit dem Stempel <strong>der</strong> Marco-Edition und zahlreiche Graphi-<br />

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ken mit eben diesem Stempel werden heute noch von den weltweit agierenden Anbietern<br />

mit passenden Zitaten aus Probst-Werken angereichert, um die Bedeutung<br />

des Angebotenen zu steigern. Die zahlreichen Schriften Probsts aus <strong>der</strong> ›Marco-<br />

Edition‹ genießen in <strong>der</strong> schwer durchschaubaren ›Breker-Community‹ inzwischen<br />

Kultstatus. Eine aktuelle (2013) französische Breker-Internet-Bibliographie stilisiert<br />

ihn sehr hoch: Volker G. Probst ist DER Breker-Spezialist in Deutschland, heute <strong>der</strong><br />

einzige, den man empfehlen kann. 65<br />

Finanziell scheint die wirtschaftliche Symbiose zwischen Breker, Joe Bodenstein,<br />

Marco Bodenstein und Volker G. Probst funktioniert zu haben und funktioniert<br />

möglicherweise immer noch. Wirtschaftliche Verbindungen an<strong>der</strong>er Art zu Onkel<br />

und Cousin Bodenstein existieren jedenfalls ganz öffentlich weiter. 66<br />

Für die öffentliche Diskussion über die Kunst im Dritten Reich und über Arno Breker<br />

als Bildhauer war diese Wirtschaftsliaison weit weniger fruchtbar. Bodenstein/<br />

Probst hätten durch einen offenen Umgang mit den ästhetischen Reizen, Problemen,<br />

Brüchen und auch den moralischen Defiziten ihres Helden dazu beitragen können,<br />

aus dem Lagerdenken, das sich mit wachsendem Abstand von 1945 immer weiter<br />

verhärtete, auszubrechen. Genau das taten sie nicht – zur Festigung einer treuen,<br />

auch finanziell interessanten Anhängerschaft, zum Schaden einer offenen Auseinan<strong>der</strong>setzung.<br />

Wer sich so sektiererisch abson<strong>der</strong>t, darf sich über das Misstrauen einer Mehrheit <strong>der</strong><br />

Kunstengagierten nicht wun<strong>der</strong>n. Schon die über Jahrzehnte einflussreichste Schrift<br />

<strong>der</strong> Breker-Apologetik, das Frühwerk von Probst, ordnet Breker in Sphären ein, die<br />

denn doch wohl über dessen künstlerische Bedeutung weit hinausgehen:<br />

Beginnend mit <strong>der</strong> ›Rekonstruktion <strong>der</strong> Pietà Rondanini‹ wendet sich Breker <strong>der</strong> Gestaltungsweise<br />

Michelangelos zu. In <strong>der</strong> intensiven Art <strong>der</strong> Ausformung <strong>der</strong> Details nähert<br />

er sich immer mehr seinem Vorbild an und erreicht eine nachvollziehbare Kongruenz in<br />

<strong>der</strong> Monumentalskulptur ›Der Verwundete‹. 67<br />

Ich kann gerade dieser Skulptur auch einiges abgewinnen – jedenfalls mehr als den<br />

Kün<strong>der</strong>n und Herolden – frage mich aber, was für ein Mensch Breker gewesen sein<br />

mag, wenn er solche Lobhudeleien nicht dankend ablehnte.<br />

Doch die Verehrungsmaschinerie kann noch höher getuned werden und steigert sich<br />

in einen Ton, <strong>der</strong> nur bedingungslose Gläubigkeit zulässt und damit auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Seite eine ›kongruente‹ Ablehnung provoziert:<br />

Undenkbar ist, dass solche Figuren entstehen könnten, ohne die geistig-seelischen<br />

Voraussetzungen, die die hohe Menschlichkeit und die Achtung allen Lebens in Brekers<br />

Wesen fest verankern. (…) Im Laufe seines langen Lebens erreichte Breker das Ziel, ein<br />

intaktes Menschenbild zu vermitteln, und er wird somit ›wirklich <strong>der</strong> große Prophet des<br />

Schönen‹ (…). 68<br />

Oben wurde <strong>der</strong> Satz von Christos Jochaimides zitiert, dem zufolge Brekers Arbeiten<br />

065. Volker G. Probst est<br />

LE spécialiste de breker<br />

en Allemagne, le seul,<br />

à ce jour, à proposer.<br />

http/ /:arno.breker.free.fr/<br />

bibliographie.htm.<br />

066. Auf <strong>der</strong> Website des Breker-<br />

Museums Nörvenich steht<br />

ein Eintrag über eine Erbengemeinschaft<br />

Bodenstein-<br />

Probst, ein Anwesen mit<br />

Haus betreffend: Der Müller<br />

und Silomeister Franz-Josef<br />

Bodenstein (Schalding rechts<br />

<strong>der</strong> Donau) und seine Frau<br />

Marie Luise Bodenstein aus<br />

dem sudetendeutschen Strojeditz<br />

(heute Tschechien) hatten<br />

es gebaut. Nach ihrem Tod ging<br />

das Anwesen in die Erbengemeinschaft<br />

Bodenstein-Probst<br />

unter Führung von Gottfried<br />

Probst über. Seit 2004 kümmert<br />

sich die Gemeinschaft<br />

Probst unter Dr. Volker Probst<br />

um Erhalt sowie die Landschafts-<br />

und Waldpflege auf<br />

dem Flussgrundstück.<br />

067. Volker G. Probst, Der Bildhauer<br />

Arno Breker. Eine<br />

Untersuchung, Marco,<br />

Bonn Paris 1<strong>978</strong>, S. 38.<br />

068. Volker G. Probst, Der große<br />

Prophet des Schönen. Dem<br />

Bildhauer Arno Breker zum<br />

80. Geburtstag, in: Ostpreußenblatt,<br />

5. Juli 1980,<br />

S. 11.<br />

123<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

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im Dritten Reich nichts als monumentalisierter Kitsch, zweckdienlich für die faschistische<br />

Propaganda 69 seien. Dieses lapidare Urteil dürfte nicht in Ewigkeit Bestand haben.<br />

Dagegen darf man die Substanz <strong>der</strong> meisten Probst/Bodensteinschen Breker-<br />

Jubelschriften ohne Umschweife entsprechend kennzeichnen: als monumentalisierten<br />

Kitsch, zweckdienlich für die Breker-Propaganda.<br />

In ihrer Wagenburg-Mentalität verfangen, unterließen es die Breker-Promoter, ihren<br />

Heros im Zusammenhang <strong>der</strong> künstlerischen Nachkriegsentwicklung zu betrachten,<br />

die aus einer dezidiert nicht-konservativen Haltung entstand. Abstraktion je<strong>der</strong><br />

Schattierung, Kinetik, Fluxus, Happening, Beuys: das alles fand gleichzeitig mit dem<br />

späten Breker in Düsseldorf statt.<br />

Auch wenn <strong>der</strong> rückwärtsgewandte Blick des Brekerkreises mit solchen radikalen<br />

Dingen nichts anfangen mochte, so gab es doch auch einen breiten Strom figurativer<br />

Kunst – auch in <strong>der</strong> Plastik –, den man in Augenschein hätte nehmen müssen.<br />

Probst beschreibt 1<strong>978</strong> in <strong>der</strong> Einleitung zur Breker-Monographie seine Vorgehensweise:<br />

Als kunstwissenschaftliche Methode wurde <strong>der</strong> Vergleich mit Kunstwerken an<strong>der</strong>er Bildhauer<br />

gewählt. In <strong>der</strong> Gegenüberstellung lässt sich Gleiches o<strong>der</strong> Ungleiches feststellen. 70<br />

Lei<strong>der</strong> hat er sich nicht daran gehalten, denn die hypertrophen Vergleiche mit<br />

Michelangelo sind (auch zeitlich) arg weit hergeholt. Die klassische Mo<strong>der</strong>ne und<br />

die Kunst ab 1945 nimmt <strong>der</strong> Autor nicht einmal wahr.<br />

069. Christos Joachimides,<br />

Feuerriss durch die Welt, in:<br />

Deutsche Kunst im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />

Malerei und Plastik.<br />

1905–1985, Hrg. Christos<br />

Joachimides u.a., München<br />

1986, S. 10.<br />

070. Volker G. Probst, Der Bildhauer<br />

Arno Breker. Eine<br />

Untersuchung, Marco,<br />

Bonn Paris 1<strong>978</strong>, S. 11f.<br />

Was die Zeitgenossen betrifft, so hätte ein Blick auf figurativ arbeitende Zeitgenossen<br />

wie David Hockney, Niki de Saint-Phalle, Gerhard Richter und viele Künstler <strong>der</strong><br />

Popart nahe gelegen. Sechs Jahre vor Probsts Buch, 1972, hatte die Documenta 5<br />

stattgefunden. Dort kam <strong>der</strong> malerische Fotorealismus zum Durchbruch – wahrlich<br />

keine abstrakte Kunst.<br />

In <strong>der</strong>selben Documenta stand die Installation Stud von Edward und Nancy Kienholz.<br />

Wenn es irgendwo in einer figurativ-plastischen Arbeit um das Menschenbild<br />

geht, dann bei diesem erschütternden Werk, das die Kastration eines farbigen Amerikaners<br />

durch weiße Rassisten dem Betrachter in die Augen einbrennt. In dieser Arbeit<br />

zeigt sich wahrhaftig eine hohe Menschlichkeit und die Achtung allen Lebens, die<br />

Probst in Brekers Wesen fest verankert sieht (s.o.). Bei Edward und Nancy Kienholz<br />

zeigt sich <strong>der</strong>en Achtung allen Lebens, indem sie eben nicht versuchen, ein intaktes<br />

Menschenbild zu vermitteln, was <strong>der</strong> Autor von Breker behauptet.<br />

Wahre Achtung vor dem Leben äußert sich glaubwürdig nicht zuletzt darin, Verbrechen<br />

gegen die Achtung des Lebens, <strong>der</strong> Würde und Unversehrtheit an<strong>der</strong>er offensiv,<br />

auch in <strong>der</strong> Kunst, zu thematisieren. Dass Menschlichkeit und die Achtung allen<br />

Lebens viel besser gedeihen, wenn man nicht versucht, den glättenden, verbergenden<br />

Mantel eines intakten Menschenbildes über die Wahrnehmung einer nicht intakten<br />

Wirklichkeit zu stülpen – so ein Gedanke liegt den Breker-Verfechtern fern. Dabei<br />

wäre <strong>der</strong> Verwundete, wenn man auf die überflüssige Anlehnung an Michelangelo<br />

verzichtet, ein Werk, an dem leicht zu sehen und zu zeigen ist, dass Breker mehr zu<br />

bieten hat als die hohlen Worte seiner Vermarktungsstrategen glauben lassen.<br />

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Wenn man Breker kennen lernen will, dann sind diese Texte genau das Mittel,<br />

weiteren Appetit zu ver<strong>der</strong>ben. So zu erleben, wenn Probst genau unter seine Betrachtung<br />

dieser bewegenden Figur im Stil <strong>der</strong> 30er Jahre posaunt: Brekers Werk dieser<br />

Jahre [Drittes Reich] sind monumentale Gestaltungen eines positiven Menschenbildes, die<br />

in geistiger und körperlich vollendeter Kraft als Ausdruck <strong>der</strong> Schöpfung geschaffen wurden.<br />

71<br />

Zum Glück ist <strong>der</strong> Verwundete eben das nicht. Er ist gerade nicht im Vollbesitz<br />

irgendeiner vollendeten Kraft, son<strong>der</strong>n sitzt benommen, schmerzgeplagt und sprachlos<br />

da. Das allerdings ist in starker Weise bildhauerisch realisiert.<br />

Der fortlaufend produzierte Schwulst von Breker-Hommagen hat seinen Beitrag<br />

dazu geleistet, auch aufgeschlossenen Geistern die Lust auf diesen Bildhauer zu nehmen.<br />

Breker selbst hat das seine dazu getan: We<strong>der</strong> hat er sich gegen die übergriffigen<br />

Hymnen seiner Marktstrategen gewehrt, noch hat er sich jemals zu einer offenen<br />

Analyse (incl. Rechenschaft) über die eigene Vergangenheit bequemt. Damit hat er<br />

sich selbst viele Wege versperrt.<br />

Die Schweriner Breker-Ausstellung war 2006 einer von nicht allzu vielen Versuchen,<br />

den Bildhauer, stellvertretend auch für Berufskollegen, die dem Dritten Reich zugearbeitet<br />

hatten und deshalb auf den »Index« gekommen waren, ein Forum zur<br />

Betrachtung und eigenen Meinungsbildung einzuräumen.<br />

Die Gegenreaktionen alter Anti-Breker-Kämpfer wie Klaus Staeck, <strong>der</strong> spätestens<br />

seit 1986 dabei war, kamen nicht überraschend. Verblüffend aber war <strong>der</strong> moralische<br />

Schwung, mit dem sich just Volker (G.) Probst nun in die Diskussion einmischte<br />

(einige seiner Einlassungen wurden oben zitiert).<br />

Dass dieser Dr. Probst die Stirn haben würde, sich den Habitus einer demokratisch<br />

besorgten Anti-Breker-Instanz zuzulegen, die sich nur mit einem Taschentuch vor<br />

dem Mund dem Hautgout-behafteten Staatskünstler des Nationalsozialismus par excellence<br />

und dessen moralisch bedenklicher Ausstellung in Schwerin nähern mochte, das<br />

war schon recht abenteuerlich.<br />

Ich hätte über Probsts Wandlungsfähigkeit geschwiegen, doch sein forscher Auftritt<br />

mit einem ganzseitigen, von Selbstgefälligkeit triefenden Artikel machte das unmöglich.<br />

Fairerweise gab die SVZ mir die Möglichkeit, den Hintergrund seiner Einlassungen<br />

zu klären. Ich zitierte dabei Probsts kühle Feststellung:<br />

›Bereits damals [ab 1970] galt es als ausgemacht, dass <strong>der</strong> Bildhauer Arno Breker als<br />

<strong>der</strong> Staatskünstler des Nationalsozialismus par excellence zu werten sei. Es galt auch als<br />

stillschweigend unter den Museumsdirektoren vereinbart, Breker nicht in einer Einzelausstellung<br />

in einem öffentlichen Museum zu würdigen.‹<br />

Dazu aus meinem Kommentar:<br />

Bei dem jetzigen Leiter des Barlach-Museums, Herrn Dr. Probst, galt diese Meinung damals<br />

überhaupt nicht als ausgemacht – ganz im Gegenteil: Herr Probst spielte in den<br />

70/80er Jahren gemeinsam mit Herrn Bodenstein eine entscheidende Rolle bei <strong>der</strong> Stilisie-<br />

071. Volker G. Probst, Der Bildhauer<br />

Arno Breker. Eine<br />

Untersuchung, Marco,<br />

Bonn Paris 1<strong>978</strong>, S. 38.<br />

125<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

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ung Brekers zum ›Bildhauer des Schönen‹ o<strong>der</strong>, an<strong>der</strong>s gesagt, bei <strong>der</strong> Verherrlichung, Verharmlosung<br />

und Rehabilitation Brekers. (…) Dass ein bekennen<strong>der</strong> französischer Rechtsradikaler,<br />

<strong>der</strong> Le Pen-Freund und Schriftsteller Roger Peyrefitte, mit Probst zusammen 1980<br />

eine ›Hommage an Arno Breker‹ in die Welt gesetzt hat, sei wenigstens noch am Rande erwähnt.<br />

Eine Distanzierung von diesen geistigen o<strong>der</strong> ungeistigen Produkten seitens des Autors<br />

ist mir nicht bekannt. Dieser nicht sehr anziehende Hintergrund rückt die volltönende,<br />

oberlehrerhafte Ausstellungskritik des Dr. Probst doch in ein etwas eigenartiges Licht. Es<br />

gibt Situationen, in denen es besser ist, gar nichts von sich zu geben, als die halbe Wahrheit<br />

zu verschweigen. 72<br />

Das plötzliche Bekanntwerden von Probsts Breker-Vergangenheit löste im Kultusministerium<br />

ein größeres Beben aus. Man brauchte ein paar Tage in <strong>der</strong> Barlach-<br />

Stiftung, um sich neu zu sortieren und zu reagieren. Anscheinend war die Barlach-<br />

Stiftung nicht vor dessen Einstellung <strong>der</strong> Vita des Herrn Probst auf den Grund<br />

gegangen. Hätte man dort seine Breker-Vergangenheit gekannt, dann wäre er wohl<br />

kaum Barlach-Geschäftsführer worden.<br />

Die Situation war plötzlich kompliziert für die Stiftung geworden. Angesichts des<br />

Lagerkampfes um die Breker-Ausstellung, bei welcher die Barlach-Stiftung scharf<br />

gegen die Ausstellung agierte, wollte man nicht, dass durch einen Ausfall Probsts<br />

die Schlachtordnung durcheinan<strong>der</strong>geriet. Also entschied man, die Reihen fest zu<br />

schließen. Probsts Chefin, die Vorsitzende <strong>der</strong> Barlachstiftung, stellte sich in einem<br />

Interview vor ihren entzauberten Geschäftsführer – und versuchte, den moralischen<br />

Spieß umzukehren:<br />

›Es macht mich betroffen, dass die berechtigte Debatte um die Zielrichtung und Qualität<br />

<strong>der</strong> Schweriner Ausstellung personalisiert wird. Es ist ein lei<strong>der</strong> allzu bekanntes Verhaltensmuster,<br />

dass die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Kritik an <strong>der</strong> Qualität einer Arbeit sich<br />

mit dem Kritiker befasst und so das eigentliche Thema beiseite gedrängt wird. (…) Als<br />

Vorsitzende <strong>der</strong> Stiftung habe ich mich mit Herrn Probst über seine Arbeiten zu Arno<br />

Breker auseinan<strong>der</strong>gesetzt, die er in den 70er- und 80er-Jahren verfasst hat. Es wurde<br />

deutlich, dass er seit Mitte <strong>der</strong> 80er-Jahre eine deutlich an<strong>der</strong>e Bewertung <strong>der</strong> Arbeit und<br />

Persönlichkeit Brekers einnimmt. Auch wenn ein Aufsatz zu Ehren des 90. Geburtstags<br />

Brekers noch 1990 erschien‹, so Regine Marquardt. 73<br />

Probst selbst ließ in demselben Artikel verlauten: Für vieles, das ich zu Breker verfasst<br />

habe, steigt mir heute die Schamröte ins Gesicht. (…). Ich verwahre mich aber ganz<br />

entschieden dagegen, dass man heute versucht, mich in eine rechte Ecke zu drängen. 74<br />

072. R.C. in SVZ, 5.8.2006, in:<br />

Breker – Schwerin II,. S. 194.<br />

073. SVZ, 14.8.2006, in: ebd.,<br />

S. 197.<br />

074. ebd.<br />

Es steckt viel Wagenburg in <strong>der</strong> Einlassung <strong>der</strong> Stiftungs-Direktorin. Warum dieser<br />

kurzsichtige, fast panische Schulterschluss? Warum nicht erkennen, dass im eigenen<br />

Barlach-Stiftungshaus – völlig unabhängig von <strong>der</strong> eigenen Positionierung zur<br />

Breker-Ausstellung – ein moralisches Problem zutage getreten war? Warum nicht<br />

realisieren, dass <strong>der</strong> moralische Maßstab, <strong>der</strong> bei Breker zu dem Urteil kommt, er<br />

habe sich im Dritten Reich aus Karrieregründen zum Handlanger <strong>der</strong> Nazis gemacht,<br />

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auch für an<strong>der</strong>e unmoralische Karrieristen gelten muss, die nach dem Dritten Reich<br />

ungeniert in demselben Tümpel fischten wie <strong>der</strong> unbelehrbare alte Bildhauer?<br />

Ungerührt von solchen Problemen organisierte die Barlach-Stiftung noch während<br />

<strong>der</strong> Ausstellungszeit eine Podiumsdiskussion zur Kunst im Nationalsozialismus – mit<br />

Dr. Probst auf dem Podium. Die Ausstellungsverantwortlichen waren nicht zur<br />

Diskussion eingeladen. Man wollte die Wagenburg nicht öffnen und trotzdem<br />

öffentlich wirksam werden. Die SVZ berichtete: Volker Probst, Geschäftsführer <strong>der</strong><br />

Barlach-Stiftung, bemängelte, dass die Ausstellungsmacher auf berechtigte Kritik nicht<br />

mit einer Überarbeitung reagiert hätten … Die Vorsitzende <strong>der</strong> Barlach-Stiftung, Regine<br />

Marquardt: ›Manche Kunst klagt sich selbst an.‹ 75<br />

Es ging im Kern längst nicht mehr um den gestorbenen Breker und dessen Moral;<br />

es ging ganz aktuell um den Erhalt <strong>der</strong> Schlachtordnung, um Vertuschung und Verschleierung<br />

einer recht zwielichtigen Karriere.<br />

Nachdem ihm gerade noch die Schamröte ins Gesicht gestiegen war, ging Probst<br />

schnell zum Angriff über: »Ich verwahre mich aber ganz entschieden dagegen, dass man<br />

heute versucht, mich in eine rechte Ecke zu drängen.« 76<br />

Was war geschehen? Als Breker und Probst 1980 mit Peyrefitte ein Buch produzierten<br />

und dieser 1981als Ausstellungsredner für Breker in Berlin auftrat, war <strong>der</strong><br />

literarisch bedeutende, weit rechts stehende französische Schriftsteller schon lange zuvor<br />

(1965) durch seinen Roman Die Juden politisch in ein schräges Licht geraten. 77<br />

Das kann we<strong>der</strong> Arno Breker noch Volker G. Probst verborgen geblieben sein. In den<br />

frühen 80er Jahren driftete Peyrefitte dann öffentlich in das politische Lager des Antisemiten<br />

und Rassisten Jean-Marie Le Pen ab.<br />

Im Jahr 1983 beehrten Breker und Probst einen wesentlich härteren Antisemiten<br />

mit einer Eloge: Louis-Ferdinand Céline. 78 Dieser war nach dem Weltkrieg als Kollaborateur<br />

zum Tod verurteilt worden, emigrierte, konnte schließlich aber wie<strong>der</strong> nach<br />

Frankreich zurückkehren, weil er ein ganz außerordentlicher Schriftsteller war und<br />

dieses Pfund in <strong>der</strong> Waagschale für die Mehrheit <strong>der</strong> Franzosen schließlich den Ausschlag<br />

gab. Célines Hitlerbegeisterung war bekannt, und sein glühen<strong>der</strong> Antisemitismus<br />

ist in seinen Schriften allgegenwärtig. 79 Im selben Jahr 1983 gab Probst einen<br />

Band mit einer Auswahl von Breker-Texten unter dem Titel Schriften heraus. Hier<br />

versammelte er auch zwei Stücke über Céline, die ausschließlich einen ›guten‹, von<br />

bösen Menschen schlecht behandelten Céline besingen:<br />

»Als er (…) starb, war er durch die Enttäuschung tief verletzt, die ihm seine Zeitgenossen<br />

zugefügt hatten. Er hatte das ausschließlich großen Persönlichkeiten dieser Welt<br />

bestimmte Schicksal erfahren: gefeiert, dann gefangen im Bann <strong>der</strong> Gesellschaft – und<br />

schließlich in Vergessenheit geraten zu sein.« 80<br />

Dieser einseitige Blick, <strong>der</strong> nicht sehen will, dass nach den Ungeheuerlichkeiten<br />

des Nationalsozialismus dessen in- und ausländische Kollaborateure nicht einfach so<br />

weiter machen durften, als sei nichts Umstürzendes geschehen, <strong>der</strong> ist doch wohl ein<br />

Blick aus <strong>der</strong> rechten Ecke, mit <strong>der</strong> Probst so gar nichts zu tun gehabt haben will.<br />

075. Vgl. Breker-Dok., S. 95.<br />

076. Vgl. Breker-Dok., S. 95.<br />

077. Ebd. S. 197.<br />

078. Vgl. Roger Peyrefitte.<br />

Namen und Nasen. Affaire,<br />

in: Der Spiegel, 29/1965<br />

vom 14.07.1965.<br />

079. Vgl. Jürgen Trimborn,<br />

a.a.O., S. 493ff.<br />

080. »Antisemitische Elemente<br />

sind in allen seinen Texten<br />

nachweisbar, <strong>der</strong> Hass auf<br />

das Judentum steigerte sich<br />

allerdings um 1937 auf eine<br />

Weise, dass manche Forscher<br />

von einer regelrechten Psychose<br />

sprechen (…).« (Wikipedia<br />

unter ›Céline‹ mit Quellenangaben).<br />

127<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


In diesen Zusammenhang gehört ein weiterer Blick in Probsts ›Standardwerk‹<br />

Der Bildhauer Arno Breker (1<strong>978</strong>) – und in ein erstaunlich rechtslastiges Literaturverzeichnis.<br />

In <strong>der</strong> Rubrik Sekundärliteratur über Arno Breker findet man dort –<br />

neben <strong>der</strong> ausgiebig herangezogenen, ausnahmslos heroisierenden Breker-Literatur<br />

aus dem Dritten Reich – auffällig viel verwandtes Schrifttum aus <strong>der</strong> Nachkriegszeit.<br />

Zeitungs- und Buchveröffentlichungen aus <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> Gesellschaft blendet Probst<br />

weitestgehend aus. Kein einziger Breker-Artikel aus Spiegel, Zeit, Süddeutsche Zeitung,<br />

FAZ etc. wird angegeben, genauso wenig sind kritische Ausstellungskataloge erwähnt<br />

wie Kunst im Dritten Reich. Dokumente <strong>der</strong> Unterwerfung von 1974 o<strong>der</strong> Die dreißiger<br />

Jahre. Schauplatz Deutschland von 1977. Alle das war problemlos zugänglich.<br />

Stattdessen werden Breker-Hommagen aus Bodensteins Edition Marco angeführt<br />

und Faltblätter aus kleinen Privatgalerien zitiert. Nur zwei veritable Autoren aus dem<br />

demokratischen Spektrum lassen sich greifen: <strong>der</strong> unverdächtige Jan Herrchenrö<strong>der</strong>,<br />

(Lübecker Nachrichten, 1975) und Günter Deschner, (Die Welt, ebenfalls 1975). Dabei<br />

ist Deschner bereits ein Grenzgänger: Er gehörte zur Welt-<strong>Red</strong>aktion, schrieb zugleich<br />

in dem Rechtsblatt Criticón und war in den 80er Jahren auch Mitglied von<br />

GRECE, einem ›Theoriezirkel <strong>der</strong> extremen französischen Rechten‹ (Wikipaedia).<br />

Ansonsten stammen die von Probst zum Lesen empfohlenen Breker-Texte zum<br />

großen Teil von Autoren und/o<strong>der</strong> aus Publikationsorganen aus <strong>der</strong> eindeutig rechten<br />

Ecke. Mit Ausnahme <strong>der</strong> Artikel in <strong>der</strong> NPD-Presse waren die meisten dieser Arbeiten<br />

in sehr entlegenen Publikationen verborgen. Es handelt sich um:<br />

– Uwe Möller, dreifach vertreten (1970, 1973, 1976). Zwei <strong>der</strong> Artikel in: Deutsche<br />

Wochen-Zeitung, einem Parteiorgan <strong>der</strong> NPD.<br />

– Uwe Michael Troppenz (1<strong>978</strong>), Pseudonym Michael Meinrad, bis 1972 Mitglied<br />

<strong>der</strong> NPD. Dann in weiter rechts agierende Kreise übergewechselt. Gemeinsam<br />

mit Günter Deckert, einem hohen NPD-Funktionär, Gesellschafter <strong>der</strong> rechtsradikalen<br />

DESG (Deutsch-Europäische Studiengesellschaft).<br />

– Robert Scholz (1973), ehem. Kunstschriftleiter beim Völkischen Beobachter. Als<br />

Leiter des Son<strong>der</strong>stabs Bildende Kunst oberster Kunsträuber im Dritten Reich.<br />

Sein von Probst aufgeführtes Werk Architektur und Bildende Kunst 1933–1945<br />

war bestimmt für die Mitglie<strong>der</strong> des ›Buchwesens‹ des NPD-Parteiorgans Deutsche<br />

Wochen-Zeitung.<br />

– Winifred Wagner (1977), bis zu ihrem Tod bekannt als enge Hitlervertraute und<br />

-anhängerin.<br />

– Comte Jacques de Ricaumont (1976), rechtsextremer französischer Intellektueller.<br />

Parteigänger <strong>der</strong> OAS.<br />

– Michel Marmin (1972), sein Breker-Text in <strong>der</strong> spanischen Zeitschrift Thor [!].<br />

Marmin war franz. Rechtsradikaler, Mitglied <strong>der</strong> Bewegung GRECE.<br />

– Georges Hilaire (1961), hoher Vichy-Funktionär, als Kollaborateur verurteilt,<br />

weiterhin rechts.<br />

– Jean Parvulesco (1974), Mitglied von GRECE, aktiv in <strong>der</strong> rechtsradikalen Terrororganisation<br />

OAS.<br />

128<br />

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– Ignacio Valdezate (1977) Antirepublikanisch, im franquistischen Milieu aktiv.<br />

Sein Breker- Artikel erschien in <strong>der</strong> spanischen Zeitschrift Graal [!]; <strong>der</strong>en Titelblatt<br />

angenähert an Hakenkreuzfahne: konzentrisch rot-weiß mit schwarzem<br />

Kreuzfahrer-Kreuz als Zentrum.<br />

Probsts Monographie Der Bildhauer Arno Breker war übrigens identisch mit <strong>der</strong><br />

Examensarbeit des Autors, die er erfolgreich an einer staatlichen [!] Bibliotheksfachschule<br />

eingereicht hatte. Dass die Prüfer we<strong>der</strong> die Jubeltexte noch das ebenso<br />

einseitige Literaturverzeichnis beanstandet haben, befremdet.<br />

Auf jeden Fall aber war und ist Der Bildhauer Arno Breker die Publikation, die wie<br />

keine an<strong>der</strong>e jahrzehntelang das Breker-Bild geprägt hat – sowohl das <strong>der</strong> Freunde<br />

wie das <strong>der</strong> Gegner. Bis heute wirbt Bodensteins Marco-Edition:<br />

»Kunsthistoriker Dr. Volker G. Probst stellt Brekers Bedeutung in <strong>der</strong> klassischen Tradition<br />

<strong>der</strong> Kunst des XX. Jahrhun<strong>der</strong>ts heraus. Es wird deutlich, dass Brekers Schaffen bis<br />

heute unerreicht blieb und Maßstäbe <strong>der</strong> Bildhauerei kommen<strong>der</strong> Generationen setzt.<br />

Dieses illustrierte buch sollte je<strong>der</strong> lesen, <strong>der</strong> (…) auch über das Kunstschaffen im Dritten<br />

Reich sachlich mitreden möchte.« 81<br />

Was hier als ‚sachlich‘ apostrophiert wird, ist in Wahrheit das genaue Gegenteil. Dieses<br />

Buch beruht auf einer völlig parteiischen Basis: Fußend auf offizieller Literatur des Dritten<br />

Reichs und auf Schriften, die sich in <strong>der</strong> Nachkriegszeit ungeniert in <strong>der</strong>en Nachfolge<br />

stellen, vermittelt Der Bildhauer Arno Breker das Bild eines reinen Kunstheroen, <strong>der</strong><br />

moralisch rein durch alle Anfechtungen und Versuchungen <strong>der</strong> Nazizeit gewandelt war.<br />

Dass diese alles glättende, feierlich-gestelzte Hymnologie zwar die kleine Zahl <strong>der</strong><br />

Anhänger zufrieden stellen konnte, bei Lesern mit einer auch nur partiell kritischen<br />

Einschätzung von Brekers Rolle und Werk im Dritten Reich aber gehörigen Grimm erzeugen<br />

musste und damit einer Pauschalablehnung Brekers zuarbeitete, wird man dem<br />

Autor dieser und an<strong>der</strong>er Elogen zu einem Gutteil zuschreiben müssen.<br />

Kein an<strong>der</strong>er Autor hat Breker so hoch in den Himmel geschrieben wie Volker G.<br />

Probst. Während siebzehn Jahren fließt dieser Strom von Breker-Erbauungsschriften<br />

unermüdlich dahin. Selbst die Breker-Reliefs für den Berliner Triumphbogen, den<br />

Hitler nach dem prospektiven Sieg im II. Weltkrieg als gigantische Übersteigerung<br />

des Pariser Arc de Triomphe für den Einmarsch <strong>der</strong> siegreichen deutschen Truppen<br />

geplant und selbst skizziert hatte, auch diese Reliefs finden – obwohl die Geschichte<br />

ja nicht ganz nach Hitlers, Speers und auch Brekers Plänen verlief – eine unverdrossen<br />

positive Deutung, die natürlich nichts vom deutschen Vernichtungskrieg als<br />

081. Arno Breker, Louis-Ferdinand<br />

Céline zum Gedächtnis, in:<br />

Motiv für Triumphbogen und Reliefs weiß. Das berühmteste Relief, Kameraden, verdreht<br />

seinen Sinn bei Probst um 180 Grad:<br />

Probst, Edition Marco 1983,<br />

Schriften, hrsg. von Volker G.<br />

»Wie sich gezeigt hat, hat Breker das bei Michelangelo erlebte Pietà-Motiv einmal S. 577 – Buchangebote auf<br />

als sakrale Pietà dargestellt, zum an<strong>der</strong>en hat er es verwandelt, indem er die mitleidige <strong>der</strong> Website <strong>der</strong> Galerie<br />

Marco.<br />

Maria durch den mitleidenden Kameraden ersetzt hat. (…). Die ›Kameraden‹ stehen als<br />

082. Probst, Das Pietà-Motiv bei<br />

memento mori vor dem Betrachter, und Breker schuf sie wie seine an<strong>der</strong>en Darstellungen Arno Breker, Edition Marco<br />

dieser Untersuchung‚ als eine Mahnung zum Frieden.« 82 1985, S. 20f.<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

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Im Jahr 2006 war Breker anscheinend ein ganz an<strong>der</strong>er Mensch geworden:<br />

»Selbst seine Verdienst um die Rettung von Menschen aus <strong>der</strong> Vernichtungsmaschinerie des<br />

Dritten Reiches zählte nicht mehr: Jedoch kann das nicht relativierend im Hinblick auf<br />

seine Arbeiten für die Repräsentationsbauten des totalitären Staates eingebracht werden.<br />

Es handelt sich um zwei verschiedene Seins-Bereiche, was wie<strong>der</strong>um auf die Zwiespältigkeit<br />

verweist, die Brekers Leben und Werk jener Jahre kennzeichnet.« 83<br />

Auch bei dem Breker-Autor scheint einiges zwiespältig auszufallen. Wie kann ein<br />

so radikaler Positionswechsel geschehen sein?<br />

Trotz des Herumlavierens und des Spiels mit halben Wahrheiten ist Probst dennoch<br />

die Möglichkeit zuzubilligen, nach seiner hagiographischen Tätigkeit für Breker irgendwann<br />

ein politisch-moralisches Damaskus erlebt zu haben und umgekehrt zu<br />

sein – hin auf den Weg, <strong>der</strong> ihn zu Barlach führte. Die Umkehr, die Reue und ein<br />

Neuanfang seien jedem zugestanden. Nach christlicher Lehre gehört dazu allerdings<br />

<strong>der</strong> Mut zur Wahrhaftigkeit, zum Bekenntnis. Erst danach folgt die Absolution.<br />

Dieser Wendepunkt scheint im Jahr 1986 zu liegen. So hatte es Regine Marquardt<br />

geschil<strong>der</strong>t: Es wurde deutlich, dass er seit Mitte <strong>der</strong> 80er-Jahre eine deutlich an<strong>der</strong>e<br />

Bewertung <strong>der</strong> Arbeit und Persönlichkeit Brekers einnimmt. Auch wenn ein Aufsatz zu<br />

Ehren des 90. Geburtstags Brekers noch 1990 erschien. (s.o.).<br />

Für diese Lesart sprach Probsts 1986 veröffentlichte Dissertation mit dem Titel:<br />

Bil<strong>der</strong> vom Tode. Eine Studie zum deutschen Kriegerdenkmal in <strong>der</strong> Weimarer Republik<br />

am Beispiel des Pietà-Motives und seiner profanierten Varianten. 84 In dieser Arbeit<br />

kommt Breker tatsächlich nicht vor – bis auf eine plötzliche kritische Anmerkung<br />

zum Breker-Relief Kameraden: In seinem Entwurf ›Kameraden‹ (1940) für ein Relief<br />

am Berliner Triumphbogen, <strong>der</strong> als Kriegerdenkmal für den bereits im Gange befindlichen<br />

II. Weltkrieg konzipiert war, bediente sich A. Breker des Vorbildes von Michelangelos<br />

›Pietà Rondanini‹ und profanierte es zu einem Bild heroischen Opferwillens<br />

und -bereitschaft, das in <strong>der</strong> zeitlosen Nacktheit <strong>der</strong> männlichen Akte auf alle vergangenen<br />

und zukünftigen Kämpfe anwendbar sein und somit die Betrachter mobilisieren<br />

sollte. 85<br />

Hier scheint <strong>der</strong> Geist <strong>der</strong> aufgeklärten 80er Jahre zu sprechen. Die Dissertation<br />

ist völlig frei von Breker-Heroisierung.<br />

Dennoch stutzt man: Von 1976 bis 1985 hatte <strong>der</strong> Autor mindestens dreizehn enthusiastische<br />

Bücher, Buchbeiträge und Zeitschriftenartikel über Arno Breker verfasst,<br />

in dessen Haus er zu Lebzeiten des Bildhauers ein und aus ging. Im Literaturverzeichnis<br />

<strong>der</strong> Dissertation findet sich davon nichts. Der Autor gibt als eigene<br />

Arbeiten nur zwei harmlose Kurzaufsätze an, die mit seinem Thema nur locker assoziiert<br />

sind, aber jedenfalls nichts mit Breker zu tun haben.<br />

083. Probst, Kein neuer Breker, in:<br />

Breker – Schwerin, S. 191.<br />

084. Hamburg 1986.<br />

085. Volker G. Probst, ebd. S. 43.<br />

086. In <strong>der</strong> Marco-Edition 1985.<br />

Exakt ein Jahr vor seiner Dissertation zum Pietà-Motiv im Kriegerdenkmal hatte Probst<br />

noch eine Schrift veröffentlicht unter dem Titel Das Pietà-Motiv bei Arno Breker. 86<br />

Dort ist allerdings nicht <strong>der</strong> Hauch einer Distanzierung von seinem Heros zu spüren.<br />

Diese sich mit dem Dissertationsthema überschneidende Arbeit zu unterschlagen, ist<br />

keine lässliche Auslassung mehr, son<strong>der</strong>n eine Irreführung. Es gehört in <strong>der</strong> hono-<br />

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igen Wissenschaft selbstverständlich zum ethischen Standard, dass nicht nur das<br />

Abschreiben nicht gekennzeichneter Zitate Täuschung ist, son<strong>der</strong>n auch das unterschlagende<br />

Nichtzitieren eigener Geistesprodukte.<br />

Auch aus an<strong>der</strong>en Gründen wird offensichtlich, dass Probsts bis 2006 so sorgsam geheim<br />

gehaltene Schamröte doch noch nicht um 1985 aufgestiegen war. Nicht nur, dass<br />

er in seiner Dissertation alle Breker-Bezüge vertuscht hatte – auch nach 1986 machte<br />

er weiter mit seiner Panegyrik für den Bildhauer! In den wenigen Jahren zwischen 1986<br />

und 1990 verfasste Probst nicht weniger als 14 begeisterte Breker-Schriften – davon<br />

13 englischsprachige, in entlegenen Publikationen für die Breker-Gemeinde in den<br />

USA. 87 Die waren recht mühsam zu recherchieren, so dass er hoffen konnte, sie<br />

würden unentdeckt bleiben. Dazu kam im Jahr 1990 eine amerikanischen Ausgabe von<br />

Brekers Schriften von 1983 – darin politische Verschleierungs-Texte (etwa zu Céline)<br />

ohne den Hauch einer kritischen Distanz zum Dritten Reich.<br />

Der fleißige Autor glorifizierte also weiterhin Breker, und er schrieb 1988 auch eine<br />

freundliche Monographie über Padua, einen Lieblingsmaler Hitlers und Malerstar<br />

des Dritten Reichs. Sie trug den harmlosen Titel Paul Mathias Padua: Maler zwischen<br />

Tradition und Mo<strong>der</strong>ne. 88<br />

Paduas Gemälde Der Führer spricht war ein Zentralwerk <strong>der</strong> NS-Propaganda und<br />

wurde in riesigen Auflagen verbreitet. Sein Bild Der 10. Mai 1940 heroisierte den<br />

Beginn des Frankreichfeldzuges in Blut-und-Boden-Manier, und Padua war mit 27<br />

Werken in den Münchener Großen Kunstausstellungen vertreten. Dreimal saß ihm<br />

<strong>der</strong> Duce Modell. Diese Hintergründe verschwanden bei Probst hinter <strong>der</strong> freundlichen<br />

Befassung mit Paduas Landschafts- und Blumenbil<strong>der</strong>n.<br />

Anscheinend fuhr Probst von 1986 bis 1990 zweigleisig: er konnte mit einer politisch<br />

sauberen Dissertation aufwarten, die unbedenklich für eine neue Karriere jenseits von<br />

Breker eingesetzt werden konnte. Parallel dazu schrieb er weiterhin fleißig für die<br />

Breker-Gemeinde weit weg in Übersee.<br />

Zwischen 1975 und 1990 war Volker G. Probst eine zentrale Figur in <strong>der</strong> Breker-<br />

Hagiographie und -Vermarktung. Ab 1986 arbeitet er zweigleisig. Zwischen 1990<br />

und 1994 ist er in <strong>der</strong> Lüneburger Heide aktiv für die dortigen Altmeister. In dieser<br />

Zwischenzeit, im Jahr 1992, verliert Volker G. Probst seinen G-Punkt und wird einfach<br />

zu Volker Probst. Man könnte nun denken, bei Volker G. Probst und Volker<br />

Probst handle es sich um zwei verschiedene Autoren (so hatte ich während <strong>der</strong> Vorbereitung<br />

zur Breker-Ausstellung lange gedacht). Ab 1994 ist Probst Geschäftsführer<br />

<strong>der</strong> Barlach-Stiftung in Güstrow.<br />

Dass Probst nun als Lordsiegelbewahrer für Barlach amtiert – für einen Künstler,<br />

dessen unbeirrtes Festhalten an seinen künstlerischen Positionen ihn teuer zu stehen<br />

kam – ist schon skurril.<br />

Die Schweriner Enthüllungen haben ihm nicht geschadet – aber auch zu keinerlei<br />

mentalen Inventur seiner Breker-Jahre gebracht. Die politische Doppelmoral, die sich<br />

über die pure, alles an<strong>der</strong>e als verherrlichende Präsentation von Breker-Werken<br />

087. Zusammenstellung in: Breker<br />

– Schwerin II, S. 121.<br />

088. Neuss 2008.<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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empört, aber den Protagonisten aller Breker-Verherrlichung und -Reinwaschung ans<br />

Herz drückt, macht es ihm möglich.<br />

Ungerührt surft Probst auf dem Zeitgeist und nutzt die Gunst <strong>der</strong> Stunde. Im<br />

Jahr 2008 kann er mit einem Barlach-Programm an einer Ausstellung über politische<br />

Kunst in Linz teilnehmen. Probst schreibt dazu, dass <strong>der</strong> Leiter des Linzer Ausstellungshauses<br />

(…) die Ausstellung ›Arno Breker – zur Diskussion gestellt‹ im Schweriner<br />

Schleswig-Holstein-Haus im Sommer 2006 zum Anlass nahm, nach <strong>der</strong> politischen<br />

Funktion von Skulpturen im öffentlichen Raum zu fragen. Die Schweriner Ausstellung<br />

hatte diese Frage weitgehend ignoriert und dem umstrittenen Bildhauer und seinen Befürwortern<br />

ein willkommenes Forum geboten. 89<br />

Jürgen Trimborn nimmt Probst dessen Einlassung, er schäme sich seiner früheren<br />

Breker- Arbeiten, ab, obwohl er alle 2007 vorgelegten Dokumente zur Hand hatte<br />

und öfter aus beiden Schweriner Breker-Bänden zitiert. Trimborn: Probsts Distanzierung<br />

ist fraglos glaubwürdig, vermag jedoch nicht zu verhin<strong>der</strong>n, dass seine Bücher ›bis<br />

heute zum geistigen Rüstzeug <strong>der</strong> Brekergemeinde‹ zählen. 90<br />

089. Volker Probst, Politische<br />

Skulptur. Barlach/Kasper/<br />

Thorak/Wotruba. Eine Ausstellung<br />

in <strong>der</strong> Landesgalerie<br />

Linz 2008, in: Mitteilungen<br />

des Museumsverbandes in<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

e.V. 2008.<br />

090. Jürgen Trimborn, a.a.O.,<br />

S. 509. Das Zitat im Zitat<br />

hat Trimborn aus meinem<br />

Text genommen.<br />

091. Brief Brekers an den Kunsthistoriker<br />

Albert Buesche, in:<br />

Rainer Hackel, Der an<strong>der</strong>e<br />

Breker. Engagement für politisch<br />

Verfolgte, in: Begleitbuch<br />

zur Schweriner Ausstellung,<br />

S. 155.<br />

Mit Breker selbst geht Trimborn weniger zart um. Auch von dem ist nämlich ein<br />

distanzierendes Wort überliefert, auch wenn Breker nicht von Schamröte spricht. Der<br />

Text stammt aus <strong>der</strong> unmittelbaren Nachkriegszeit; Rainer Hackel hat ihn gefunden<br />

und mitgeteilt. 91 Dort heißt es:<br />

»Aber diesem Regime durfte man keine Denkmäler bauen, und ich ahnte frühzeitig<br />

den Bruch, den ich schweigend in meiner Brust verschlossen, mit mir herumtrug. (…)<br />

Nur durch die schonungslose Erkenntnis eines tiefschürfenden Mea Culpa wird <strong>der</strong> Weg<br />

frei.« Trimborn lag dieser Text vor. Er erwähnt ihn nicht. Offenbar passt er nicht zu<br />

dem Leisten, über den er Breker zu schlagen gewillt war. Spätere Aussagen Brekers<br />

zeigen an, dass diese in <strong>der</strong> ersten Nachkatastrophenzeit getätigte Aussage einzig dasteht<br />

und im Verlauf <strong>der</strong> mit wachsen<strong>der</strong> Verbitterung erlebten Zeit rechtfertigenden,<br />

abweisenden Mitteilungen Platz machte. Breker aber abzusprechen, dass diese Worte<br />

ihm im Moment des Schreibens aus dem Herzen kamen, ist überheblich.<br />

Arno Breker gehört wahrhaftig nicht zu den moralischen Heroen <strong>der</strong> Geschichte.<br />

Ihm wurden von Hitler und Co. in je<strong>der</strong> Hinsicht monumentale Möglichkeiten<br />

eröffnet, die vielleicht kein an<strong>der</strong>er Bildhauer mit einer Vorliebe für die große öffentliche<br />

Geste jemals hatte. Das Versuchungspotential, dem Breker sich aussetzte, war<br />

also immens – und das in einer kurzlebigen, hektischen, gewalttätigen Zeit, in <strong>der</strong><br />

Maßstäbe menschlicher Gesittung auf allen Ebenen und in allen gesellschaftlichen<br />

Bereichen Deutschlands verbogen wurden und zerbrachen.<br />

Im Angesicht <strong>der</strong> lockenden Versuchungen, die <strong>der</strong> Diktator und seine Kamarilla<br />

bieten konnten und zu bieten bereit waren, künstlerisch und menschlich völlig gradlinig<br />

zu bleiben, kann im Nachhinein von den Nachgeborenen leicht eingefor<strong>der</strong>t<br />

werden. Aber auch in den beruhigten Zeiten <strong>der</strong> Bundesrepublik, seit Gesetze wie<strong>der</strong><br />

gelten, seit die Verbrechen <strong>der</strong> Nazizeit ungeschönt verarbeitet werden müssen und<br />

seit kein größenwahnsinniger Hitler jemandem aus dem Stand goldene Berge und<br />

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jede berufliche Entfaltung bieten kann, fällt offenbar ein halbwegs gera<strong>der</strong> Weg auf<br />

dem Karrierepfad manchem schwer. Ein Exempel wurde besichtigt.<br />

Umso weniger hat es Sinn, immer wie<strong>der</strong> auf Arno Breker als den Erzbösewicht <strong>der</strong><br />

deutschen Kunstgeschichte einzuschlagen. Die Kunstgeschichte hierzulande kapriziert<br />

sich bei <strong>der</strong> Behandlung des Dritten Reichs viel zu sehr auf einzelne Reizfiguren, um<br />

diese immer wie<strong>der</strong> mit wenig Ein- und ohne Nachsicht, aber mit viel preiswert zu haben<strong>der</strong><br />

Empörung zu attackieren. Der Nachteil dieser Sündenbock-Strategie besteht<br />

darin, dass alle die kleinen Kunstmitläufer und ihre unguten Wirkungen nicht aufgearbeitet<br />

werden. In <strong>der</strong> Zeitgeschichtsforschung ist seit langem unumstritten, dass die<br />

Nazidiktatur nur ihre mör<strong>der</strong>ische Herrschaft ausüben konnte, weil sehr, sehr viele<br />

mitmachten – weil eben nicht nur Breker und Thorak wie gewünscht funktionierten,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> deutschen Künstlerschaft sich zu arrangieren verstanden,<br />

wenn er nicht aktiv im Sinn des Nationalsozialismus tätig wurde. Das bleibt insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei vertrauten ›Heimatkünstlern‹ immer noch gern außerhalb des Gesichtskreises.<br />

Für diese blinden Stellen soll ein Beispiel stehen. Es handelt sich um einen norddeutschen<br />

Künstler, um den sich u.a. auch <strong>der</strong> treue Begleiter dieser Zeilen, Dr. Volker (G.)<br />

Probst, seit Jahren erfolgreich kümmert. Sein Name: Frido Witte (1881–1965). Witte<br />

stammte aus <strong>der</strong> Lüneburger Heide, lebte vorwiegend in <strong>der</strong> Heide, malte die Heide<br />

und starb in <strong>der</strong> Heide. Heute wird er vorwiegend in <strong>der</strong> Heide als Heidemaler geschätzt<br />

und verehrt. Auch während <strong>der</strong> Zeit des Nationalsozialismus blieb er seinem<br />

Thema treu – anscheinend ein künstlerisch und politisch unauffälliger Zeitgenosse.<br />

Im Jahr 1991 veröffentlichte die Frido-Witte-Stiftung in Lüneburg unter Beteiligung<br />

von Volker G. Probst einen Band über Witte mit dem Untertitel Leben in <strong>der</strong><br />

Heide. 92 Darin findet sich ein biographischer Abriss.<br />

Zum Jahr 1933 heißt es: Zum Jahresende wurde Witte vor eine schwere Entscheidung<br />

gestellt: Fritz Mackensen hatte ihn für das Amt des Museumsdirektors in Lübeck vorgeschlagen.<br />

93 Witte lehnt letztlich ab und notiert: Ich selbst fühle mich schwer belastet,<br />

einen Entschluss fassen zu müssen, <strong>der</strong> zwar wirtschaftliche Not beseitigen, aber vielleicht<br />

meine künstlerische Tätigkeit und damit meinen Lebensnerv abschneiden würde. 94<br />

Die Autoren erwähnen nicht, dass Wittes Freund Mackensen, einstmals ein Gründungsvater<br />

<strong>der</strong> Künstlerkolonie Worpswede, strammer Antisemit und Nazi war.<br />

Witte selbst fühlt sich schwer durch den Entscheidungsdruck belastet, er fühlte sich<br />

anscheinend nicht dadurch belastet, dass die Stelle in Lübeck nur frei geworden war,<br />

weil <strong>der</strong> bisherige Museumsdirektor Heise von den neuen Machthabern entlassen<br />

war. Der Grund lag (…) in seinem lebhaften Eintreten für umstrittene neuere deutsche<br />

Kunst – Nolde, Barlach u.a. 95 Heises Entlassung war eine <strong>der</strong> ersten Säuberungsaktionen<br />

im Museumsbereich. Nicht nur Witte, auch seine Biographen verschweigen<br />

diesen Zusammenhang.<br />

Witte hatte sich arrangiert: 1934 ein Geldgeschenk von 300 Mark vom Preußischen<br />

Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 1935 eine 14tägige<br />

Reise nach Rügen auf Einladung <strong>der</strong> Reichskammer <strong>der</strong> bildenden Künste.<br />

Zu 1937 schreiben die Autoren: Unvermutet trat die Reichskammer <strong>der</strong> bildenden<br />

092. Carsten Meyer-Tönnesmann,<br />

Hrsg.: Der Maler und Graphiker<br />

Frido Witte. Leben<br />

in <strong>der</strong> Heide. 1881–1965,<br />

Fischerhude 1991, mit Beiträgen<br />

u. a. von Volker G.<br />

Probst.<br />

093. ebd. S. 58.<br />

094. ebd.<br />

095. Jenns E. Howoldt,<br />

Die Aktion ›Entartete Kunst‹<br />

im Lübecker Museum. Die<br />

Ereignisse und die Folgen,<br />

in: ›Wir bauen das Reich‹.<br />

Aufstieg und erste Herrschaftsjahre<br />

des Nationalsozialismus<br />

in Schleswig-<br />

Holstein, Neumünster 1983,<br />

S. 212.<br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

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Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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Künste an Witte heran, um ihn für die Landesleitung zu gewinnen, aber er lehnte ab. 96<br />

Zum selben Jahr heißt es weiter: Für ihn überraschend wurde er von <strong>der</strong> Reichskammer<br />

zum bevollmächtigten <strong>der</strong> Kreise Soltau und Fallingbostel ernannt. 97<br />

1939 gab es wie<strong>der</strong> eine schöne Überraschung: Im August des Jahres wurde auf dem<br />

Malertag in Worpswede <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>deutsche Malerpreis verliehen: je 1000 Mark an Hartmann,<br />

Illies, Mackensen, Mo<strong>der</strong>sohn und Witte. 98 Goebbels war offenkundig mit allen<br />

fünf Preisträgern einverstanden. Er behielt sich nämlich die Zustimmung vor zu jedem<br />

einzelnen Preisträger bei Preisen, die 2000 RM überschritten. 99 Wussten die Autoren<br />

das nicht o<strong>der</strong> wollten sie es nicht ›unnötig‹ hervorkehren?<br />

Zu 1943 heißt es, dass Witte im April Mitglied eines Preisgerichtes für ›bodenständiges‹<br />

Bauen und Juror des Malerpreises wurde. 100 Damit endet die von den<br />

Autoren nicht weiter hinterfragte Aufzählung von Beziehungen Wittes zum System<br />

des Nationalsozialismus und dessen Trägern.<br />

Ich könnte mir vorstellen, dass genaueres Hinsehen noch mehr zu Tage för<strong>der</strong>n<br />

würde. Auf einen Punkt bin ich schon bei kurzer Internetrecherche gestoßen:<br />

Im Jahr 1943 erschien Das Deutsche Hausbuch. 101 Darin gab es allerlei Schwarz-<br />

Weiß- Bil<strong>der</strong> und nur ganze drei Farbholzschnitte – alle drei von Frido Witte. Es<br />

handelt sich dabei um recht unschuldige, gemütvoll märchenhafte Bildchen. Nicht so<br />

gemütvoll war <strong>der</strong> Herausgeber, das Hauptkulturamt in <strong>der</strong> Reichspropagandaleitung<br />

<strong>der</strong> NSDAP. Das Werk erschien im Zentralverlag <strong>der</strong> NSDAP. Das Vorwort schrieb<br />

Goebbels, und das ganze dicke Hausbuch ist – nicht überraschend – eine einzige<br />

hymnische Verherrlichung Hitlers, <strong>der</strong> nordischen Rasse, des Krieges etc. Es ist ein<br />

rundherum ekelhaftes Buch.<br />

Wussten das die Autoren auch nicht o<strong>der</strong> haben sie es lieber ruhen lassen?<br />

096. ebd. S. 60.<br />

097. ebd. S. 60f.<br />

098. ebd. S. 62.<br />

099. Vgl. Volker Dahm, Zur Frage<br />

<strong>der</strong> kulturpolitischen Gleichschaltung<br />

im Dritten Reich,<br />

in: Vierteljahrsschrift für<br />

Zeitgeschichte, 43. Jg., 1995,<br />

2. Heft, S. 244.<br />

100. ebd. S. 63.<br />

101. Das deutsche Hausbuch,<br />

hrsg. vom Hauptkulturamt in<br />

<strong>der</strong> Reichspropagandaleitung<br />

<strong>der</strong> NSDAP, Berlin 1943,<br />

Seit 2008 zieht eine Ausstellung unter dem Titel Von Barlach bis Witte durch norddeutsche<br />

Städte. Bei den Eröffnungen ergreift auch Dr. Probst gern das Wort.<br />

Ob sich Barlach über diese Beziehungsstiftung zu Witte gefreut hätte, wissen wir<br />

nicht. Wir sollten aber endlich wissen und beherzigen, dass es nicht länger Sinn hat,<br />

den einen Breker mit Schmähungen zu überhäufen und ihn über sein Format hinaus<br />

zu dämonisieren. Man muss nur ganz leicht den Spaten in die heimatliche Scholle<br />

stoßen, und sofort stößt man auf ganz viele kleine Brekers – einmal mit dem Pinsel,<br />

das an<strong>der</strong>e Mal mit dem Meißel in <strong>der</strong> Hand.<br />

Dabei geht es nicht darum, ihnen ›die Maske des Bie<strong>der</strong>manns vom Gesicht<br />

zu reißen‹ o<strong>der</strong> etwas ähnlich Pathetisches. Es geht einfach darum, die beliebten<br />

Heimatkünstler in historisch-politischer Hinsicht genauer zu betrachten, während es<br />

umgekehrt angezeigt ist, Brekers historische Rolle zwar nicht zu vergessen, aber daneben<br />

endlich nachzusehen, was es mit dem Künstler Breker auf sich hat.<br />

Diese Perspektive bieten erstaunlicherweise schon die oben mehrfach zitierten Autoren<br />

Georg Bussmann und Walter Grasskamp in ihren inzwischen jahrzehntealten<br />

Anti-Breker-Betrachtungen an. So schrieb letzterer im Jahr 1988:<br />

In meinem Buch über die Sozialgeschichte des Kunstmuseums habe ich die These aufgestellt,<br />

dass das Kunstmuseum seit <strong>der</strong> französischen Revolution seine politische Toleranz<br />

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<strong>der</strong> Entpolitisierung <strong>der</strong> künstlerischen Sphäre verdankt. Das Kunstmuseum integriert<br />

seither die verschiedensten Epochen und Künstler um den Preis einer Neutralisierung<br />

ihrer politischen Färbung. Das zeichnet die Überlegenheit des integrativen, bürgerlichen<br />

Kunstmuseums gegenüber <strong>der</strong> totalitären Kunstverfolgung aus. [!]<br />

Aber diese Integrationsfähigkeit ist nicht grenzenlos. Solange wie <strong>der</strong> historisch manifeste<br />

Gehalt eines Kunstwerkes unter Überlebenden o<strong>der</strong> Nachkommen <strong>der</strong> Opfer noch schmerzhaft<br />

präsent ist, hat das Kunstmuseum die Grenze seiner Neutralisierungsleistung erreicht.<br />

Denn dann erscheinen die Werke einer Kommentierung und Distanzierung bedürftig, für<br />

welche das Kunstmuseum nicht zuständig ist und nie war. Die Werke Brekers aus den 30er<br />

und 40er Jahren wirken daher im Kunstmuseum zu recht deplaziert: <strong>der</strong> in ihnen anwesende<br />

historische Gehalt übersteigt die Integrationsfähigkeit des Kunstmuseums.<br />

Das werden kommende Generationen womöglich an<strong>der</strong>s sehen und Breker umstandslos in<br />

ihre Kunstmuseen integrieren, wie wir heute mit Werken verfahren, die ihre Entstehung<br />

und Motive an<strong>der</strong>en Krisenzeiten <strong>der</strong> Geschichte verdanken. 102<br />

Tatsächlich ist seit diesem versöhnlich-prognostischen Textabschnitt fast ein Vierteljahrhun<strong>der</strong>t<br />

vergangen und damit eine weitere Generation auf <strong>der</strong> Bildfläche erschienen<br />

bzw. abgetreten. Erstaunlich ist <strong>der</strong> milde Tenor, mit dem er Brekers Wie<strong>der</strong>auftritt<br />

im ›Kunstmuseum‹ – Grasskamps heiligem Ort – für denkbar hält, nachdem<br />

er Breker doch vorher (s.o.) alle künstlerischen Qualitäten abgesprochen hatte. Hier<br />

ist also ein Bewertungswandel über die Jahrzehnte hin erkennbar.<br />

Der immer größere Abstand zu <strong>der</strong> Finsternis des Dritten Deutschen Reichs und die<br />

seither Jahrzehnte hindurch erprobte demokratische Solidität <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland lassen gar nichts an<strong>der</strong>es zu, als mit ruhigerem Kopf und weiterem<br />

Blickfeld auf die Vergangenheit zurückzublicken.<br />

In dieser Hinsicht gibt es eine interessante Parallele zur deutschen Breker-<br />

Problematik in <strong>der</strong> Frage, ob und wie man den großen Komponisten und berüchtigten<br />

Antisemiten Richard Wagner in Israel darbieten will und kann. Im Rundfunk<br />

ist Wagner dort schon seit langem ab und an zu hören, im Konzert war das bis zum<br />

Juli 2001 tabu. Damals hatte Daniel Barenboim ein Konzert in Tel-Aviv dirigiert, das<br />

mit einer überraschenden Konfrontation endete:<br />

Barenboim hatte nach Ende des regulären Programms – Robert Schumanns 4. Sinfonie<br />

und Igor Strawinskys »Le sacre du printemps« – die Zuhörer gefragt, ob sie auch ein<br />

Stück von Wagner hören wollten. Die Mehrheit begrüßte applaudierend den Vorschlag.<br />

Ein aufgebrachter Zuhörer schrie jedoch »Erinnere Dich an die Konzentrationslager, erinnere<br />

Dich an Dein Volk«. Der 58-jährige Dirigent wollte daraufhin von seinem Vorhaben<br />

abrücken, aber <strong>der</strong> Großteil des Publikums stand applaudierend auf, um ihre<br />

Zustimmung zu bekräftigen. Auf Hebräisch appellierte <strong>der</strong> in Israel aufgewachsene Barenboim<br />

an die protestierenden Zuhörer, die Mehrheit das hören zu lassen, was sie hören<br />

wolle. »Das ist meine persönliche Zugabe für sie. Sie können wütend auf mich sein, aber<br />

bitte nicht auf das Orchester o<strong>der</strong> die Festivalleitung.« Viele Wagner-Gegner verließen<br />

bei den ersten Takten <strong>der</strong> Ouvertüre <strong>der</strong> Wagner-Oper »Tristan und Isolde« den Saal,<br />

102. Walter Grasskamp, a.a.O.,<br />

S. 27f.<br />

135<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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schlugen die Türen zu und riefen »nein«. Nach wenigen Minuten kehrte dann aber<br />

wie<strong>der</strong> Ruhe ein, und die Berliner Musiker spielten ohne Unterbrechungen weiter. 103<br />

Damit war eine Tür geöffnet, aber noch nicht <strong>der</strong> Durchbruch erzielt; erst im<br />

Frühsommer 2012 scheiterte ein sorgfältig vorbereitetes, genehmigtes Konzert <strong>der</strong> israelischen<br />

Wagner-Gesellschaft, das ausschließlich Wagnerwerke auf dem Programm<br />

hatte, ganz kurzfristig an den Gegnern des Unterfangens. Die Gesellschaft hat allerdings<br />

vor, das Konzert in Bälde doch zu realisieren.<br />

Wenn man damit vergleicht, wie in Deutschland die öffentliche Rezeption Brekers<br />

vonstatten geht, dann zeigt sich eine ganz an<strong>der</strong>e Ausgangslage: Es ist etwas ganz an<strong>der</strong>es,<br />

ob Israelis sich provoziert fühlen, wenn Richard Wagner, <strong>der</strong> Lieblingskomponist<br />

des Führers, im Land <strong>der</strong> Opfer aufgeführt wird, o<strong>der</strong> ob deutsche Zeitgenossen<br />

sich empören, wenn Arno Breker, <strong>der</strong> Lieblingsbildhauer des Führers, im deutschen<br />

Täter-Land gezeigt wird. Den hier im Dritten Reich aktiv gewesenen Bildhauer Arno<br />

Breker den Kin<strong>der</strong>n und Enkeln <strong>der</strong>jenigen Deutschen zu zeigen, die mehrheitlich<br />

ebenfalls im Dritten Reich auf die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Art aktiv gewesen waren, das war<br />

offensichtlich schon im Jahr 2006 das Hauptinteresse <strong>der</strong> Besucher, die sich aufgemacht<br />

hatten, die Breker-Ausstellung in Schwerin zu sehen.<br />

103. FAZ vom 8.7.2001.<br />

104. Walter Grasskamp, Die<br />

unästhetische Demokratie.<br />

Kunst in <strong>der</strong> Marktgesellschaft,<br />

München 1992,<br />

S. 76.<br />

In den vergangenen Jahrzehnten hat anscheinend auch die Idee des Kunstmuseums<br />

als eines quasi sakralen Ortes einer Glaubensgemeinschaft, die nur einem eng definierten<br />

Künstlerkreis Zutritt gewährt, sukzessive an Anziehungskraft verloren: Überall<br />

breitet sich ein Pluralismus aus, dessen Ermöglichung – in politischem Kontext –<br />

bekanntlich zu den Fundamenten eines demokratischen Gemeinwesens gehört.<br />

Diesem Pluralismus im musealen Raum hatte sich schon <strong>der</strong> Kölner Sammler und<br />

Mäzen Peter Ludwig verschrieben, dessen Breker-Büsten 1986 den ersten großen<br />

Sturm erzeugt hatten:<br />

In allen Stadien seiner Sammeltätigkeit war Ludwig offenbar nie von dem Drang beseelt,<br />

eine bestimmte Botschaft zu übermitteln. Ihm fehlten Pathos und Vision deutscher<br />

Kunstreligiosität, an <strong>der</strong>en Stelle er einem an<strong>der</strong>en Fetisch huldigte, in dessen Verehrung<br />

sich viele nüchterne Zeitgenossen teilen: Information war die neutrale Leitidee, auf die er<br />

sich zurückzog, wenn ihm die Inkompatibilität seiner disparaten Sammlungsgruppen vorgehalten<br />

wurde.<br />

Ohne Zweifel hat er maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Vorstellung <strong>der</strong> Inkompatibilität<br />

als nachkriegsdeutsche Fiktion entkräftet wurde, doch konnte er sie nicht gänzlich<br />

liquidieren. Denn sein Versuch, auch Arno Breker in ein deutsches Museum zu schmuggeln,<br />

aktivierte ein weiteres Mal eine breite Opposition. In den letzten Jahren [vor 1992]<br />

hat sich nun gezeigt, dass Ludwig mit seinen Leihgaben und Stiftungen mehr erreichen<br />

will, als nur Museen auszustatten und zu informieren. Er will ein Weltbild vermitteln,<br />

eines in dem Willi Sitte, Arno Breker und Georg Baselitz ihren Platz neben bulgarischer,<br />

kubanischer und brasilianischer Kunst einnehmen, umrahmt von ›Pattern Painting› und<br />

Pop-Art, ›Neuen Wilden‹ und alten Abstrakten. 104<br />

Mit solch friedlicher Koexistenz im Sinne Peter Ludwigs wäre wirklich viel gewon-<br />

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nen: Die mentalen Verkrampfungen, die sich immer dann bilden, wenn wie<strong>der</strong> einmal<br />

eine ›Inkompatibilität‹ im Kunstbereich herausgestellt werden muss, könnten<br />

entfallen, und bisher unentdeckte Beziehungen, Parallelen o<strong>der</strong> auch Unverträglichkeiten<br />

würden sichtbar werden. Desgleichen wäre viel gewonnen, wenn die Moral<br />

wie<strong>der</strong> in moralischen Fragen herangezogen würde und nicht in künstlerischen. Ob<br />

und in welchen Werken Breker sich als guter o<strong>der</strong> schlechter Künstler zeigt, das soll<br />

bitte <strong>der</strong> Blick auf diese Werke verraten und nicht die Lektüre seiner Biographie.<br />

In einem vergleichbaren Zusammenhang stand im Jahr 2010 eine heftige Diskussion,<br />

in <strong>der</strong> es um den deutsch-rumänischen Dichter Oskar Pastior (1927–2006) ging und<br />

um dessen posthum ans Tageslicht getretene Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> ›Securitate‹,<br />

dem Geheimdienst <strong>der</strong> Ceaucescu-Diktatur:<br />

Denn <strong>der</strong> Dichter war Büchner-Preisträger und hoch verehrt, zudem ein enger Freund<br />

von Herta Müller, an <strong>der</strong>en Roman »Atemschaukel«, für den sie den Nobelpreis erhielt, er<br />

bekanntlich mitgearbeitet hat. Auch wenn Pastiors Gedichtbände nie auf Bestsellerlisten<br />

gerieten, blieb sein Erfolg nicht unbeneidet; und so schienen plötzlich viele Rechnungen<br />

offen, begann das in den Labors des Lügenimperiums Securitate entwickelte Gift des Misstrauens<br />

und <strong>der</strong> Verunsicherung zuverlässig wie<strong>der</strong> zu wirken. Das ging sehr weit, sogar<br />

seine Dichtung wollten einige grundsätzlich in Frage stellen. 105<br />

Auf dem Höhepunkt <strong>der</strong> moral-poetischen Kontroverse um Pastior nahm <strong>der</strong> Germanist<br />

Jochen Hörisch folgen<strong>der</strong>maßen Stellung:<br />

Kalokagathia – das ist ein erlesenes Fremdwort aus dem Altgriechischen. Es verleiht<br />

dennoch einer populären, ja populistischen Idee Ausdruck: dass das Schöne (kalos)<br />

und das Gute (agathos) zusammengehören, ja ein und dasselbe sind, am besten noch<br />

mit dem Dritten im Bunde, dem Wahren. Diese Idee ist so unwi<strong>der</strong>stehlich wie unhaltbar.<br />

(…)<br />

Ausgeprägte Schwächen in <strong>der</strong> Sphäre guten Handelns vertragen sich verdächtig gut<br />

mit Brillanz in <strong>der</strong> Sphäre des Schönen. Man kann wie Rilke ein Schnorrer sein (Fürstin,<br />

haben Sie für den Winter vielleicht einen Schlossflügel frei?) und erhabene Lyrik verfassen;<br />

man kann wie Ernst Jünger in zwei Weltkriegen ein paar Dutzend Leute getötet<br />

und bemerkenswerte Texte wie die »Gläsernen Bienen« publiziert haben; man kann wie<br />

Brecht gegen Ausbeutung anschreiben und Frauen ausbeuten; man kann wie Richard<br />

Wagner grauenhafte antisemitische Pamphlete und zugleich unerhörte Töne erschallen<br />

lassen, die höher sind denn alle Vernunft etc. pp. (…)<br />

Die Einsicht, dass das Wahre, Schöne und Gute eben gerade nicht unterschiedliche<br />

Aspekte desselben sind, ist banal und tut doch weh. Denn es wäre allzu schön, wenn<br />

es verlässliche Korrelationen zwischen dem Schönen, Wahren und Guten gäbe. Aber<br />

diese Idee ist offenbar zu schön, um wahr zu sein. 106<br />

Als letzter Kronzeuge für eine entspanntere Sicht auf Arno Breker soll ausgerechnet<br />

Georg Bussmann gerufen werden, <strong>der</strong> weiter oben in diesem Text ausführlich zu Worte<br />

kam – mit einer sehr ablehnenden Position zu Breker und seiner Arbeit. Bussmann hatte<br />

105. Regina Mönch, Schluchten<br />

des Argwohns, FAZ,<br />

25.6.2012.<br />

106. Jochen Hörisch, Das Schöne,<br />

Wahre, Gute, Kolumne in<br />

<strong>der</strong> Frankfurter Rundschau,<br />

28.10.2010.<br />

137<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

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zur Eliminierung Brekers aus den kunsthistorischen Zusammenhängen einen entscheidenden<br />

Schritt getan, als er im Jahr 1974 in Frankfurt die Ausstellung Kunst im 3. Reich.<br />

Dokumente <strong>der</strong> Unterwerfung kuratierte. Vierzehn Jahre später, während er die Ausstellung<br />

Arbeit in Geschichte. Geschichte in Arbeit konzipierte, hatte er einen erstaunlichen<br />

Sinneswandel vollzogen, den es wahrzunehmen lohnt. Dazu erschien folgen<strong>der</strong> Artikel:<br />

Nazikunst – Geschichte in Arbeit?<br />

Vor vierzehn Jahren zeigte <strong>der</strong> Frankfurter Kunstverein die Ausstellung »Kunst im 3.<br />

Reich – Dokumente <strong>der</strong> Unterwerfung«. Zu sehen waren Bildwerke, die zwischen 1933<br />

und 1945 entstanden und die von den damals herrschenden Nationalsozialisten als die<br />

wahre deutsche Kunst eingeschätzt wurden, die also Inbegriff <strong>der</strong> Nazi-Kunst waren. Die<br />

Frankfurter Schau von 1974 war, wie Georg Bussmann, <strong>der</strong> damalige Leiter des Frankfurter<br />

Kunstvereins meint, ›keine kritische, son<strong>der</strong>n eine diffamierende Ausstellung, die<br />

diese Kunst für alle Zeit vernichten wollte‹.<br />

Doch die Nazi-Kunst wurde durch diese Ausstellung we<strong>der</strong> politisch noch kunsthistorisch<br />

vernichtet. Die Tatsache, dass die Staatskunst <strong>der</strong> Nazi-Zeit, soweit sie im öffentlichen Besitz<br />

erhalten ist (rund 8000 Werke), mit dem Bannfluch belegt und in zwei Depots in Ingolstadt<br />

und München unter Verschluss gehalten wird, regt immer wie<strong>der</strong> die Phantasien an: Werden<br />

wir bevormundet? Sind nicht gerade die verbotenen Früchte verlockend?<br />

Der Aachener Sammler und Mäzen Prof. Peter Ludwig, <strong>der</strong> die Museen in halb Europa<br />

mit seinen Leihgaben und Stiftungen versorgt hat, setzte vor zwei Jahren den Streit um<br />

die verdrängte Nazi-Kunst öffentlich in Gang, zuerst allerdings unfreiwillig: Es wurde<br />

die Meldung verbreitet, Ludwig wolle die beiden Portraitbüsten, die <strong>der</strong> einstige NS-<br />

Bildhauer Arno Breker von ihm und seiner Frau angefertigt hatte, mit in das neuerbaute<br />

Kölner Museum Ludwig einbringen. Tatsächlich stehen die Büsten in dem Museum,<br />

jedoch in den Privaträumen, die den Ludwigs als Stiftern eingeräumt wurden. (…)<br />

Ludwigs Vorstoß rief einen Proteststurm in <strong>der</strong> deutschen Kunstlandschaft hervor.<br />

Plakatkünstler Klaus Staeck organisierte eine Unterschriftenaktion »Keine Nazi-Kunst in<br />

unsere Museen«, an <strong>der</strong> sich innerhalb weniger Wochen zahllose Künstler, Ausstellungsmacher<br />

und Museumsleiter beteiligten. Zu den ersten Unterzeichnern gehörte Georg Bussmann,<br />

jetzt Professor im Kunstbereich <strong>der</strong> Gesamthochschule Kassel. Seine Unterschrift<br />

unter den Staeck-Aufruf bewertet Bussmann heute mit gemischten Gefühlen, denn er<br />

hat seine Meinung geän<strong>der</strong>t: Die kritisch-kämpferische Ausstellung von 1974 würde er<br />

so nicht mehr machen. Noch mehr: Auch die unkommentierte Präsentation von Kunstwerken<br />

aus <strong>der</strong> Nazi-Zeit im Museum hält er heute für durchaus diskussionswürdig<br />

und zeigt damit Verständnis für die Position von Ludwig.<br />

In einem Gespräch mit unserer Zeitung erklärte Bussmann, er selbst (als Privatmann)<br />

könne und wolle die Nazi-Kunst nicht sehen, auch gerade weil er spüre, dass er sich <strong>der</strong><br />

Faszination <strong>der</strong> »Übermännlichkeit« etwa von Brekers im Dritten Reich entstandenen<br />

Skulpturen nicht ganz entziehen könne. An<strong>der</strong>erseits müsse er als Kunsthistoriker realistisch<br />

sein, also beschreiben, wie die Realität beschaffen sei. Und da müsse er feststellen,<br />

dass die Museumsdirektoren in ein o<strong>der</strong> zwei Generationen ganz an<strong>der</strong>s über die Nazi-<br />

Kunst entscheiden würden.<br />

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Wie Ludwig ist Bussmann <strong>der</strong> Ansicht, dass die Werke aus <strong>der</strong> Nazi-Zeit nach den<br />

üblichen Kriterien <strong>der</strong> Kunst beurteilt werden müssten. Bussmanns Vorteil gegenüber<br />

Ludwig allerdings ist – er kennt aus <strong>der</strong> Vorbereitung <strong>der</strong> Frankfurter Ausstellung einen<br />

gewichtigen Teil <strong>der</strong> Werke, die in den Depots lagern. Und so lautet sein Urteil: Es ist<br />

nicht viel Interessantes dabei, das meiste ist langweilig und stammt von zu kurz gekommenen<br />

Akademikern. Nur bei wenigen Werken handle es sich um wirkliche Nazi-Kunst,<br />

also um propagandistische Kunst. Wert, aus den Depots geholt zu werden, seien nur einzelne<br />

Arbeiten. Gefragt, die Werke welcher Künstler er dazu rechnen würde, nannte Bussmann:<br />

Arno Breker, Adolf Wissel, Richard Scheibe, Georg Kolbe und Werner Peiner.<br />

Für Bussmann ist es zwangsläufig, dass sich unsere Gesellschaft mit <strong>der</strong> Kunst <strong>der</strong> Nazi-<br />

Zeit auseinan<strong>der</strong>setzen muss. Den linken Idealismus von Klaus Staeck, <strong>der</strong> dies vereiteln<br />

wolle und den er selbst in den 70er Jahren vertreten habe, könne er heute nicht mehr teilen.<br />

Die zeitgenössischen Künstler seien da viel weiter und führten intensiv die Diskussion in<br />

ihren Werken um Symbole, Haltungen, Monumentalität und Pathos aus jener Epoche. 107<br />

Diese Sätze Georg Bussmanns stehen für sich. Sie zeigen etwas, was es in <strong>der</strong> Breker-<br />

Diskussion kaum gibt – die innere Freiheit, eine bislang eingenommene Position zu<br />

hinterfragen und den Mut, diese im Bedarfsfall auch öffentlich zu räumen. Welch ein<br />

Gewinn für die Kunst-Diskussion hätte es sein können, wenn etwa Volker G. Probst<br />

in einer vergleichbar noblen Haltung offen zu seinen stillschweigend vorgenommenen,<br />

also vertuschten Positionsverän<strong>der</strong>ungen gestanden hätte mit dem Mut, seinen<br />

Weg von Breker zu Barlach zu reflektieren und zu erläutern.<br />

Was an Georg Bussmnans Äußerungen beson<strong>der</strong>s anrührt, ist die ungeschützte<br />

Art, wie er sich offenbart als potentiell Gefährdeten: er selbst (als Privatmann) könne<br />

und wolle die Nazi-Kunst nicht sehen, auch gerade weil er spüre, dass er sich <strong>der</strong> Faszination<br />

<strong>der</strong> ›Übermännlichkeit‹ etwa von Brekers im Dritten Reich entstandenen Skulpturen<br />

nicht ganz entziehen könne.<br />

Damit hat er, so scheint mir, den Kern <strong>der</strong> deutschen Breker-Phobie getroffen: Wahrscheinlich<br />

trauen viele, die sich unter Klaus Staecks Marschallstab immer wie<strong>der</strong> in<br />

eine Schlachtordnung gegen die Präsentation von Breker und allgemein Nazi-Kunst<br />

eingereiht haben, ihrer eigenen Wi<strong>der</strong>standskraft nicht ganz.<br />

Bussmanns Freiheit, ein solches mulmiges Gefühl zu reflektieren und mitzuteilen,<br />

hat nicht je<strong>der</strong>, und wem es fehlt, für den ist es das Bequemste, das Gefürchtete zu<br />

tabuisieren.<br />

Als im Sommer 2006 die Exponate <strong>der</strong> Breker-Ausstellung in Schwerin angekommen,<br />

ausgeladen und vorläufig untergebracht waren – teilweise noch in Decken<br />

gehüllt, völlig ungeordnet kreuz und quer gestellt. Als <strong>der</strong> Abend gekommen war,<br />

hatte ich meine erste ruhige, ungestörte Begegnung mit dem Bildhauer Breker.<br />

Um mich herum standen einige <strong>der</strong> Figuren, gegen die seit Jahrzehnten schon so<br />

viel Abwehr und Empörung ins Feld geführt wurde und die auch in Schwerin – das<br />

war in diesem Augenblick schon mehr als deutlich – schrille, phobische Reaktionen<br />

auslösen würden.<br />

107. Nazikunst – Geschichte in<br />

Arbeit? In: Hessisch-Nie<strong>der</strong>sächsische<br />

Allgemeine,<br />

4.9.1988, 18.7.2011 von<br />

Dirk Schwarze ins Netz gestellt:<br />

www.dirkschwarze.net<br />

139<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

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Das Schleswig-Holstein-Haus ist ein zurückhaltendes Adelspalais aus dem 18. Jh.<br />

mit einigem Charme, aber mit bescheidenen Dimensionen.<br />

Im Saal des Hauses mit seiner nicht beson<strong>der</strong>s hohen Decke standen sie nun um<br />

mich herum: Siegerin und Wager, Demut, Eos und Wäger. Die Siegerin als verkleinertes<br />

Abbild <strong>der</strong> Figur vom Olympiastadion, Berlin 1936, die vier an<strong>der</strong>en in Originalgröße,<br />

von oben auf mich herabblickend – und nicht nur in Originalgröße, son<strong>der</strong>n<br />

tatsächlich die Originalgüsse, die für den Runden Saal in Hitlers Neuer Reichskanzlei<br />

bestimmt waren.<br />

In <strong>der</strong> Ruhe des Abends, die Figuren zufällig gestellt und ohne Pathos serviert – auch<br />

ohne den dramatischen Blick, den die Breker-Photographien <strong>der</strong> Lichtdramatikerin<br />

Charlotte Rohrbach auszeichnen, die im allgemeinen Bewusstsein an die Stelle <strong>der</strong><br />

verbannten Originale getreten waren – in dieser ruhigen, intimen Situation konnte<br />

ich die Präsenz dieser Gestalten auf mich wirken lassen.<br />

Damals kannte ich Bussmanns Befürchtungen vor <strong>der</strong> Faszination <strong>der</strong> ›Übermännlichkeit‹<br />

etwa von Brekers im Dritten Reich entstandenen Skulpturen noch nicht. Auch<br />

ohne das war ich äußerst gespannt, wie diese verfemte Gesellschaft auf mich wirken<br />

würde. Die kleine, zufrieden blickende Siegerin in einer runden Körperlichkeit, wie<br />

sie bei heutigen Sportlerinnen kaum noch anzutreffen ist, löste keinerlei dämonische<br />

Schauer aus: Man sieht eine selbstbewusste Frauengestalt, die offenbar mit sich im<br />

Reinen ist.<br />

Die vier übrigen standen da in ihren ›übermenschlichen‹ Maßen – bestimmt für<br />

einen großen, hohen Repräsentationsraum. Für das Schleswig-Holstein-Haus waren<br />

sie deutlich zu groß. Dies proportionale Verhältnis hätte potentielle Überwältigungskräfte,<br />

welche diesen Figuren ja vielleicht innenwohnten, erst recht ans Abendlicht<br />

bringen können. Doch davon konnte keine <strong>Red</strong>e sein.<br />

Abgesehen davon, dass die Damen Eos und Demut mich beide nicht stark beeindruckten,<br />

weil sie zu sehr in Posen eingefroren schienen, haben sie sicher nichts Gefährliches<br />

an sich. Bussmann spricht allerdings auch nur von <strong>der</strong> Faszination <strong>der</strong><br />

›Übermännlichkeit‹. Für diese konnten also nur Wager und Wäger infrage gekommen<br />

– ein Männerpaar, das nun allerdings wirklich ins Zentrum dessen führt, was den<br />

Mythos von Brekers Dritte-Reichs-Plastik ausmacht. Allein die raunende Stabreimerei<br />

lässt Verdächtiges erwarten.<br />

Der unmittelbare Eindruck von Angesicht zu Angesicht ist dann ganz an<strong>der</strong>s. Die<br />

beiden Namen Wager, Wäger stehen für nichts an<strong>der</strong>es als eine germanisierte, personifizierte<br />

Umformungen <strong>der</strong> alten Polarität von vita activa und vita contemplativa,<br />

also <strong>der</strong> Gegenüberstellung zweier Lebenshaltungen, bei denen die eine die Welt<br />

verän<strong>der</strong>n und die an<strong>der</strong>e sie betrachtend durchdringen will.<br />

Das Christentum hat <strong>der</strong> vita contemplativa den Vorzug gegeben, sofern sich diese<br />

über die irdische Welt erhob und ihre Erfüllung in <strong>der</strong> Betrachtung des Weltenschöpfers<br />

suchte – in <strong>der</strong> visio beatifica. Postchristliche Auffassungen haben später die<br />

Wertungen von Handeln und Betrachten, von Wagen und Wägen zu Gunsten <strong>der</strong><br />

Aktivität verschoben. Im Dritten Reich erlebte diese Akzentverlagerung einen hyper-<br />

140<br />

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trophen Höhe- bzw. Tiefpunkt. Der deutsche Mann des geplanten 1000jährigen<br />

Reichs war ganz sicher ausschließlich gewollt als ein seinem Führer ständig verfügbarer<br />

Tatmensch, dessen wesentliches Streben darauf gerichtet war, sich den Rest <strong>der</strong><br />

Welt rücksichtslos zu unterwerfen.<br />

Den Ausdruck eines solchen Nazi-Aktivisten in Brekers Wager zu finden, hatte ich erwartet.<br />

Ich dachte, hier einen Parallelfall zu Brekers diesbezüglich entgleister Figur<br />

Bereitschaft zu finden, doch gerade das ist <strong>der</strong> Wager nicht.<br />

Je länger ich diese Plastik in natura betrachten konnte – bald auch im geplanten<br />

Ausstellungszusammenhang und mit <strong>der</strong> Möglichkeit zu einer langen Blickachse<br />

durch drei Räume – desto sympathischer wurde mir <strong>der</strong> Wager, <strong>der</strong> seinem eher vorsichtigen<br />

als nachdenklichen Pendant Wäger eine große Frische und Selbstverständlichkeit<br />

voraus hat.<br />

Auch hier ist wie<strong>der</strong> die Kenntnis des Originals entscheidend: we<strong>der</strong> die auf scharfe<br />

Kontraste angelegte Rohrbach-Photographie noch eine weichgezeichnete Gipsfassung<br />

dieser Arbeit geben den Ausdruck dieser Bronze-Figur wie<strong>der</strong>, die ich mir weniger<br />

in Hitlers Reichskanzlei vorstellen kann als in einem Kunst-Museum z.B. neben David<br />

Hockneys Gemälde The Bigger Splash (1967), dieser malerischen Inkarnation eines<br />

leichten, hedonistischen Lebens unter ewiger Sonne. An diesem kalifornischen Swimmingpool<br />

würde <strong>der</strong> wache, virile Wager eine ausgezeichnete Figur machen, so lebenszugewandt,<br />

selbstbewusst und entspannt steht er da. Er könnte auch gut ein Cocktailglas<br />

in <strong>der</strong> Hand halten.<br />

Auffälligerweise ist dieser Wager alles an<strong>der</strong>e als ein nordischer Typ. Die Gesichtszüge<br />

haben mehr von einem Latino-Lover als dass sie aus einem Bergman-Film stammen<br />

könnten – geschweige denn aus dem entsprechenden Kapitel einer Rassefibel.<br />

An<strong>der</strong>e Plastiken habe ich schon gestreift, vor allem den Verwundeten: Eine ganz<br />

eigenwillige Bil<strong>der</strong>findung, die mir sonst nicht bekannt ist. Der als ›Klassizist‹ zu eng<br />

definierte Breker hatte sich das Lichtbild eines Radrennfahrers zur Vorlage genommen,<br />

<strong>der</strong> nach einem Sturz, <strong>der</strong> das Ende seiner sportlichen Hoffnungen bedeutete,<br />

von Schmerz gepeinigt an einer Grabenkante saß. Diese Situation hat <strong>der</strong> Bildhauer<br />

aufgegriffen und meisterhaft in eine ungewöhnliche Darstellung heftigen Schmerzes<br />

verwandelt. Es ist erstaunlich, dass <strong>der</strong>selbe Künstler mit <strong>der</strong> Bereitschaft o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />

eher dumpfen Berufung so schwache Leistungen vorgeführt hat.<br />

Unter <strong>der</strong> immens großen Werkgruppe <strong>der</strong> Portraits ist ein Kopf, den ich überaus gelungen<br />

finde – <strong>der</strong> Romanichel (1927/28). Das Portrait eines Zigeunerjungen, <strong>der</strong> plötzlich<br />

in dem Pariser Freundeskreis um Cocteau und Breker auftaucht und genauso plötzlich<br />

wie<strong>der</strong> verschwindet, steht in je<strong>der</strong> Hinsicht ganz für sich. Dieses Gesicht spiegelt<br />

tatsächlich eine Kühnheit und eine Bereitschaft zum raschen, spontanen Handeln wie<strong>der</strong>,<br />

welche ich in <strong>der</strong> Bereitschaft titulierten Figur vergeblich suche. Der Romanichel<br />

besaß offenbar für Breker selbst eine so beson<strong>der</strong>e Bedeutung, dass er ihn bis in die<br />

40er Jahre in verschiedenen Materialien und Größendimensionen weiter bearbeitete.<br />

141<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

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<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


Daneben beeindruckt beson<strong>der</strong>s eine Reihe von sehr unterschiedlich aufgefassten<br />

Künstlerbildnissen – die von Cocteau, Maillol und Ezra Pound an <strong>der</strong> Spitze. Neben<br />

diesen intensiven Charakterstudien staunt man über den Kopf Salvador Dalís, bei<br />

dessen Formung Dalís Drang zur artifiziellen Selbstdarstellung den alten Breker<br />

interessiert hat.<br />

Das ehedem kunstpolitisch so umstrittene Portrait Peter Ludwigs, das gern als glatte,<br />

oberflächliche Dutzendware abqualifiziert wird, ist auf ganz an<strong>der</strong>e Weise bemerkenswert.<br />

Es ist tatsächlich sehr glatt – man kann darauf ausrutschen. Der Ludwig-Kopf,<br />

so meine erste Assoziation als ich ihn sah, erinnert in Oberfläche wie Farbe ausgesprochen<br />

an Schokolade – frisch aus dem Silberpapier gewickelt. Dieser Eindruck<br />

betrifft nicht nur das Gesicht des Dargestellten, son<strong>der</strong>n zugleich dessen wirtschaftliche<br />

Basis, das Schokoladenimperium, welches Peter Ludwig als Sammler, Kunstmäzen<br />

und Auslöser von Kunst-Kontroversen erst möglich machte. Unter diesem<br />

Aspekt entwickelt die Plastik plötzlich Affinitäten zur Pop-Art, zu Jeff Koons.<br />

Dieser Text spazierte durch Geschichten und Fragen zu Arno Breker, zu Fragen zur<br />

wahren und zur falschen Kunst, zum guten und zum – im doppelten Sinn – schlechten<br />

Künstler, zur Moral und zur Doppelmoral.<br />

Unter diesen Fragen und <strong>der</strong> teilweise verlogenen Weise, sich ehrlichen Antworten<br />

zu entziehen, wird die Kunst als Kunst im Fall Breker und seiner Kollegen aus dem<br />

Dritten Reich zu gern und oft begraben. Die das Auge vornehmlich interessierende<br />

Frage, ob ein Werk ästhetisch gelungen ist o<strong>der</strong> nicht, ob es berührt o<strong>der</strong> nicht, lässt<br />

sich we<strong>der</strong> durch die Brille <strong>der</strong> Idealisierung noch die <strong>der</strong> Dämonisierung erkennen.<br />

Deshalb haben we<strong>der</strong> Brekers Fundamentalkritiker noch seine früher so emsige<br />

Verehrungslobby einleuchtende und weiterführende Antworten zu Brekers Arbeiten<br />

beigebracht.<br />

142<br />

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PETER GROSSHAUS<br />

»MUSEUMSPÄDAGOGIK«<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


»<strong>BREKER</strong> LABOR«<br />

ALIAS<br />

»MUSEUMSPÄDAGOGIK«<br />

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PETER GROSSHAUS<br />

<strong>IM</strong> »<strong>BREKER</strong> LABOR«<br />

In seinem großräumigen Gehry-Bau, einem Zirkuszelt aus Beton unter Backsteinen,<br />

plante das Museum MARTa in Herford vom 1. Februar bis zum 5. Mai 2013 die<br />

Ausstellung Farbe bekennen, darin inkludiert einen Kunstworkshop des Schweizer<br />

Konzeptkünstlers Christoph Büchel mit dem Titel »Breker Labor«. Der Schweizer<br />

Künstler steht wegen seiner unorthodoxen Projekte und auch <strong>der</strong> ›unbelasteten‹<br />

Nationalität dafür, dass Brekers Arbeiten als Kunstwerke erscheinen könnten, also<br />

in ihrer ästhetischen Autonomie – und hier in Relation zu ganz aktueller Kunst. So<br />

erwarteten wir jedenfalls, wohl auch gedanklich infiziert von unserer eigenen Arbeit<br />

an dieser Publikation. Durch Büchels überraschende Vergesellschaftung <strong>der</strong> Skulpturen<br />

würde die Breker-Rezeption eine Re-Vitalisierung erleben, die <strong>der</strong> 2006 ausgelösten,<br />

einerseits gut gemeinten, an<strong>der</strong>erseits apodiktischen Beurteilung folgen könnte.<br />

Das Projekt erfuhr eine eigenartige Wendung: An<strong>der</strong>s als im Zuge <strong>der</strong> Ausleihung<br />

<strong>der</strong> Skulpturen angekündigt, widmete die Museumsleitung den Raum, kaum dass die<br />

Ausstellung aufgebaut war, unter dem Titel »Museumspädagogik« dahingehend um,<br />

dass <strong>der</strong> Name »Breker« im Zuge <strong>der</strong> Veranstaltung »offiziell« quasi nicht mehr auftauchte.<br />

Konsequenterweise wurde er auch an keiner Stelle während <strong>der</strong> mehrwöchigen<br />

Veranstaltung Farbe bekennen mehr als ausgestellter Künstler genannt.<br />

Sowohl das Konzept selbst als auch dieser rätselhafte Schachzug wurden bald Thema<br />

in den Debatten vor Ort. Gleichzeitig beteuerte die Museumsleitung allenthalben,<br />

um die öffentliche Wahrnehmung ihrer Aktion sehr bemüht zu sein…<br />

So entstand zweifellos eine weitere, bemerkenswerte Spielart im Umgang mit dem<br />

Breker’schen Material, <strong>der</strong>en Darstellung in dem polyphonen Potpouri <strong>der</strong> Stimmen<br />

dieses Buches nicht fehlen darf.<br />

149<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


PETER GROSSHAUS<br />

PUBLISHER’S SUPPLEMENT<br />

MAKING OF »PANDORA«<br />

Der unumgänglichste Grund, Brekers Arbeiten auszustellen, besteht auf alle Fälle<br />

darin, das Tabu des Ausstellens immer wie<strong>der</strong> zu überprüfen. Er besteht auch darin,<br />

dass Breker ohne Pendant in seiner Zeit ist. Und er besteht auch darin, anhand seines<br />

Wirkens immer wie<strong>der</strong> neu über Sinnfragen nachzudenken.<br />

Breker verknüpfte unbeeindruckt durch alle Zeitenläufte seine Lebensarbeitszeit –<br />

willkürlich und zielorientiert – nicht nur mit <strong>der</strong> Bearbeitung technischer o<strong>der</strong> ästhetischer<br />

Aufgabenstellungen, son<strong>der</strong>n tat dies zentral in <strong>der</strong> für ihn anscheinend alternativlosen<br />

Überzeugung, dass Gesellschaft naturgegeben zentralistisch, pyramidial,<br />

hierarchisch – und brachial ist. Schmerz, Krieg und Gewalt sind in seiner Welt reine<br />

Naturgesetzlichkeiten. Die Protagonisten aller Couleur erscheinen ihm als Halbgötter.<br />

Er zitiert sie als Athleten herbei und holt damit nach, was beim Transfer <strong>der</strong><br />

Gestalten <strong>der</strong> alten, griechischen Welt vier-, fünfhun<strong>der</strong>t Jahre zuvor ausgeblendet<br />

wurde. Ohne den Baron Pierre de Coubertin und dessen Reaktivierung <strong>der</strong> Olympischen<br />

Idee, ohne Goebbels’ Umwidmung <strong>der</strong> Olympischen Spiele 1936 zur großdeutschen<br />

Inszenierung und die Einbindung Brekers dabei, wären seine Figuren<br />

Devotionalien für polytheistische Tempel geblieben. Der Transfer steht in engem Zusammenhang<br />

mit skulpturaler Größe und Überhöhung wie mit Ästhetisierung. Von<br />

<strong>der</strong> grundsätzlichen Annahme ausgehend, die natürliche Ordnung würde in einer<br />

ewigen Trgödie die Krone <strong>der</strong> Schöpfung ebenso wie das Salz <strong>der</strong> Erde herausbilden,<br />

sind Tyrannei, Diktatur, Willkür und Gewaltherrschaft zwar Zustände, in denen das<br />

Pendel <strong>der</strong> Geschichte extrem ausschlägt, aber sie stellen keine Paradigmenwechsel im<br />

Wesen <strong>der</strong> Welt dar.<br />

Es wäre ein Missverständnis, diese Bemerkung als »verständnisvoll« auffassen zu<br />

wollen, beschreibt sie nicht zuletzt eine unkreative Phantasielosigkeit, ein Wirken<br />

ohne Witz, Verstand und Ironie – o<strong>der</strong> gar Selbstironie. Die gestalterische Arbeit mit<br />

dem Material des Bildhauers und Skulpteurs Arno Breker besteht wesentlich in <strong>der</strong><br />

illusionistischen Überwindung <strong>der</strong> primären Eigenschaften von starrem Stein, kaltem<br />

Metall, totem Gips und Ton. Sein Projekt, angelehnt an die griechische Überlieferung<br />

um Prometheus, arbeitet sich daran ab. Es gelingt ihm allerdings trotz aller Fron<br />

150<br />

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nicht, bei seinen Göttern das Leben spendende Feuer zu stehlen, das seinen Geschöpfen<br />

zur Überwindung ihrer statischen Natur fehlt. Er suchte im Inferno – das<br />

könnte seine tragische Verwechslung gewesen sein… Statt des menschlichen Wesens,<br />

das in <strong>der</strong> griechischen Sage mit <strong>Pandora</strong> entsteht und die Ordnung in den Himmeln<br />

wie auf Erden durcheinan<strong>der</strong> bringt, gebiert <strong>der</strong> Prozess damit propagandistisch nützliche<br />

Bildnisse für die Tempel <strong>der</strong> Herrschenden, Ikonen für die historisch aus <strong>der</strong><br />

Barbarei gewachsenen Verhältnisse. Die Behauptung und illustrative Ausgestaltung<br />

<strong>der</strong> Unabän<strong>der</strong>lichkeit dieser Verhältnisse ist gleichzeitig das Leitmotiv zur fortgesetzten<br />

Aufrechterhaltung <strong>der</strong> gewillkürten gesellschaftlichen Ordnung. Die Grundannahme<br />

<strong>der</strong> Unabän<strong>der</strong>lichkeit des vermeintlich Naturgegebenen bestimmt fortan<br />

auch den Platz Brekers. Den nimmt er nicht nur schicksalsergeben, son<strong>der</strong>n mit<br />

großer Dienstfertigkeit ein.<br />

Nach einem an<strong>der</strong>en Konzept wäre es nicht nur das Privileg, son<strong>der</strong>n vielmehr die Aufgabe<br />

<strong>der</strong> Künste, ihr eigentlicher Sinn gar, auf <strong>der</strong> Suche nach <strong>der</strong> Zukunft ohne die Beschränkungen<br />

aller menschengemachten Regeln frei, unbedarft, phantasievoll, risikobereit<br />

und wagemutig, kritisch und selbstvergessen nach Entwürfen zu streben, die in<br />

das Bestehende den Keim <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung tragen. So betrachtet kann es keine eigentliche<br />

»künstlerische Leistung« sein, was Arno Breker als sein Ziel vor Augen hatte.<br />

Unabhängig davon blitzt in seinen Arbeiten innerhalb ihrer eigenen Parameter<br />

auf, was bei weniger breit angelegter Betrachtung als »Meisterschaft« notiert wird.<br />

Auch dem könnte man – immanent gedacht – jedes Lob absprechen, weil es ihm<br />

letzten Endes eben nicht gelang, das Feuer vom Himmel zu stehlen…<br />

P. S.: Lei<strong>der</strong> ist auch diese Betrachtungsweise unbefriedigend apodiktisch, weil auch sie<br />

»Entwicklung« und »Fehlentwicklung« apostrophiert. Und sowohl damit – wie auch<br />

mit ihrer ebenfalls »menschengemachten« Logik – ist sie nicht nur anscheinend, son<strong>der</strong>n<br />

auch tatsächlich nicht unbedingt höherwertiger als das Konzept, in dem die »schicksalsergebenen<br />

Kräfte« bei Breker unterwegs sind.<br />

151<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


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… DIE AUTOREN …<br />

Dr. Rainer Hackel, geboren 1963 in Leipzig, studierte Germanistik, Philosophie und Theater-,<br />

Film- und Fernsehwissenschaften in Frankfurt am Main und promovierte in Heidelberg bei<br />

Dieter Borchmeyer über das erzählerische Werk von Gertrud Fussenegger. Er veröffentlichte<br />

zwei Bücher über Gertrud Fussenegger (Böhlau Verlag) und eine Biographie über die afroamerikanische<br />

Opern- und Gospelsängerin Gail Gilmore (Florian Noetzel Verlag). Rainer<br />

Hackel war an <strong>der</strong> Schweriner Arno-Breker-Ausstellung 2006 beteiligt und verfasste einen<br />

Beitrag für den Begleitband.<br />

DR. <strong>RAINER</strong> <strong>HACKEL</strong><br />

Rudolf Conrades, geboren 1941 in Stadthagen/Nie<strong>der</strong>sachsen, studierte Philosophie, Geschichte<br />

und Germanistik in Freiburg i.Br. und Hamburg. Er leitete von 1996 bis 2006 das<br />

Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin, ein Ausstellungs- und Veranstaltungshaus <strong>der</strong> Landeshauptstadt.<br />

Dort kuratierte er die von ihm initiierte und konzipierte Ausstellung Zur Diskussion<br />

gestellt: <strong>der</strong> Bildhauer Arno Breker. Veröffentlichungen zu geschichtlichen und kunstgeschichtlichen<br />

Themen.<br />

RUDOLF CONRADES<br />

Peter Grosshaus, geboren 1956 in Wetzlar, studierte Graphic Design bei Gunter Rambow und<br />

Hans Hillmann in Kassel und ist berufenes Mitglied im Werkbund NW. Er unterrichtete zeitweise<br />

im FB Visuelle Kommunikation an <strong>der</strong> HfG in Karlsruhe, bevor er sich auf die digitale<br />

Buchherstellung für Verlage zu konzentrieren begann. Er leitet die Verlage Anabas und <strong>Büchse</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Pandora</strong>, <strong>der</strong>en Publikationen er initiiert und gestaltet. »Publisher’s Supplement« entstand als<br />

ergänzende Rubrik in den Bänden von »TUMULT – Schriften zur Verkehrswissenschaft« und<br />

begleitet seither auch immer wie<strong>der</strong> Buchveröffentlichungen.<br />

PETER GROSSHAUS<br />

Alla Poppersoni, geboren 1989 in Kasan, studiert »Transition Processes« in Gießen. Sie arbeitete<br />

früh als Fotomodell und heute als freie Fotografin und Videographerin. Mit »Juicy Faces<br />

from Russia« stellte sie 2012 ihre Arbeiten erstmals öffentlich aus. Die Aufnahmen im Garten<br />

<strong>der</strong> Familie Breker in Düsseldorf entstanden im gleichen Jahr im Rahmen weiterer Studien,<br />

die sie im Auftrag des Verlags zuvor nach London und Istanbul geführt hatten.<br />

ALLA POPPERSONI<br />

153<br />

Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


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Rainer Hackel (<strong>Red</strong>.)<br />

<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

Arno Breker und<br />

seine Skulpturen<br />

<strong>Büchse</strong> <strong>der</strong> <strong>Pandora</strong><br />

20,— Euro (D/A/CH)<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0


<strong>IM</strong> <strong>IRRLICHT</strong><br />

<strong>ARNO</strong> <strong>BREKER</strong> <strong>UND</strong><br />

<strong>SEINE</strong> <strong>SKULPTUREN</strong><br />

Die leiseste Hoffnung – nämlich, irgendetwas im Leben und<br />

Schaffen des Steinmetzes, Bildhauers, Skulpteurs, Zeichners,<br />

Architekten und auch Bonvivants Arno Breker zu verstehen –<br />

gilt jedenfalls nicht ihm, son<strong>der</strong>n dem nicht beweisbaren,<br />

aber zarten Traum, dass die Kunst als solche<br />

nicht verraten werden kann.<br />

Die Drucklegung dieser Veröffentlichung<br />

erfolgte im Februar 2013<br />

zufällig zeitgleich, während <strong>der</strong><br />

Konzeptkünstler Christoph Büchel<br />

eine provokante Inszenierung mit<br />

etwa 50 Objekten von Arno Breker<br />

in einem Ausstellungsraum des<br />

Museums MARTa HERFORD<br />

zeigte.<br />

Die Installation mit dem Titel<br />

»Museumspädagogik«, die in <strong>der</strong><br />

Projektphase auch kurzzeitig<br />

»Breker Labor« hieß, spielte mit<br />

Tabubrüchen. Sie war nur öffentlich<br />

zugänglich, wenn in ihrer<br />

atelierähnlichen Werkstattsituation<br />

im Gehry-Bau des Herfor<strong>der</strong><br />

Museums Behin<strong>der</strong>te arbeiteten,<br />

die Christoph Büchel dazu persönlich<br />

eingeladen hatte.<br />

Ähnlich wie bei <strong>der</strong> Ausstellung<br />

<strong>der</strong> Skulpturen von Arno Breker<br />

2006 in Schwerin, die seinerzeit<br />

Rudolf Conrades kuratiert hatte,<br />

provozierte die Installation erneut<br />

Kritik und Publikum. Der Beitrag<br />

von Conrades in diesem Band<br />

liefert zur Debatte kenntnisreich<br />

weitere Aspekte.<br />

Während Rainer Hackel sich sehr<br />

schwärmerisch mit <strong>der</strong> Arbeit von<br />

Breker befasst, gelangt Peter Grosshaus<br />

vor dem Hintergrund einiger<br />

eher persönlicher Aspekte zu einer<br />

an<strong>der</strong>sartig eigenwilligen Auffassung.<br />

Den Aufnahmen von Alla Poppersoni<br />

wie<strong>der</strong>um gingen – aufgrund<br />

eines ähnlichen Gedankengangs<br />

wie dem von Christoph Büchel –<br />

photographische Studien während<br />

<strong>der</strong> Paralympics 2012 in London<br />

voraus.<br />

Diese Publikation können Sie auch<br />

im Internet als »Bil<strong>der</strong>radio« verfolgen<br />

unter:<br />

www.digitalakrobaten.de/<br />

<strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0<br />

<strong>ISBN</strong> <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>250</strong>-0<br />

BÜCHSE DERPANDORA<br />

Weitere Informationen zu den bisher erschienenen Ausgaben finden Sie unter www.digitalakrobaten.de<br />

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