CRESCENDO 2/19 April-Mai 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Christian Thielemann, Birgit Minichmayr.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Christian Thielemann, Birgit Minichmayr.
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20 JAHRE<br />
AUSGABE 02/20<strong>19</strong> APRIL – MAI 20<strong>19</strong><br />
WWW.<strong>CRESCENDO</strong>.DE 7,90 EURO (D/A)<br />
mit CD im Heft<br />
SCHWERPUNKT<br />
Zensur in der Musik<br />
ANNA LUCIA<br />
RICHTER<br />
„Trauer kann glücklich machen“<br />
BIRGIT MINICHMAYR<br />
SANTTU-MATIAS ROUVALI<br />
ALEXANDER KRICHEL<br />
PHILIPPE JAROUSSKY<br />
Christian<br />
Thielemann<br />
„Revolution? Ich habe lieber Bach gespielt.“<br />
ZUM 60. GEBURTSTAG: DER DIRIGENT IM INTERVIEW<br />
B47837 Jahrgang 22 / 02_20<strong>19</strong><br />
Mit Beihefter CLASS: aktuell<br />
und Themenspecial Reise & Kultur
WIR SPIELEN<br />
UNTER DIE HAUT.<br />
PARADISI GLORIA<br />
Werke von<br />
André Caplet und<br />
Heinrich Ignaz Franz Biber<br />
PERCUSSION<br />
TIME!<br />
Virtuose SchlagWERKE<br />
Fr. 5. <strong>April</strong> 20<strong>19</strong> – Herz-Jesu-Kirche München<br />
MIT DEM BR-CHOR<br />
LEITUNG: HOWARD ARMAN<br />
Mi. 10. <strong>April</strong> 20<strong>19</strong> – Prinzregententheater<br />
MIT SIMONE RUBINO – ARTIST IN RESIDENCE<br />
LEITUNG: ARIEL ZUCKERMANN<br />
Präsentiert von<br />
VOLKSLIED<br />
RELOADED<br />
mit Mulo Francel<br />
und Quadro Nuevo<br />
SPACE NIGHT<br />
IN CONCERT II<br />
Eine multimediale<br />
Reise ins All<br />
Mi. 8. <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong> – Prinzregententheater<br />
LEITUNG: ELISABETH FUCHS<br />
Präsentiert von<br />
Fr. 2. Juli 20<strong>19</strong> – Circus-Krone-Bau München<br />
MODERATION: ANDREAS BÖNTE<br />
LEITUNG: PATRICK HAHN<br />
Jetzt Tickets sichern! Kartentelefon: 0800 5900 594 • www.shop.br-ticket.de<br />
RUNDFUNKORCHESTER.DE
P R O L O G<br />
FREIHEIT ODER PFLICHT?<br />
Liebe/r Leser*In,<br />
unsere Weihnachtsfeier findet immer im Januar statt – dieser Auftakt fürs neue Jahr ist<br />
Tradition bei <strong>CRESCENDO</strong>. Ich mag diesen Abend: mit den Kollegen ratschen, auch<br />
über Themen, für die man sonst keine Zeit hat. Diesmal ging’s um „Gender-Sprache“<br />
– geschlechtsneutrale Schreibweisen, also LeserIn oder Dirigent*in – und wie wir das bei<br />
<strong>CRESCENDO</strong> halten wollen. Die Meinungen in der Redaktion reichen von „hemmt nur<br />
den Lesefluss“ über „da stehen wir als moderne Frauen drüber“ bis zu „das ist wichtig,<br />
Gleichberechtigung fängt bei der Sprache an“. Wie sehen Sie das? Schreiben Sie mir doch<br />
Ihre Meinung: an wh@crescendo.de.<br />
WINFRIED HANUSCHIK<br />
Herausgeber<br />
Sie wollen auch zwischen zwei <strong>CRESCENDO</strong> Ausgaben auf dem Laufenden sein? Dann<br />
abonnieren Sie „BRÜGGEMANNS KLASSIK-WOCHE“, den wöchentlichen Newsletter<br />
kostenfrei unter www.crescendo.de/newsletteranmeldung. Unser Kolumnist Axel<br />
Brüggemann fasst pointiert Neuigkeiten aus der Musikwelt für Sie zusammen: „Was ist?“,<br />
„Was war?“ und „Was lohnt?“. In der Szene ging das hoch wie eine Bombe und verbreitete<br />
sich explosionsartig. Neugierig geworden? Melden Sie sich an – er macht richtig Spaß!<br />
Persönlich können Sie das <strong>CRESCENDO</strong> Team bei einer unserer nächsten Veranstaltungen<br />
in der Reihe <strong>CRESCENDO</strong> LIVE treffen: am 10. <strong>April</strong> beim Konzert von Simone<br />
Rubino und am 8. <strong>Mai</strong> bei Quadro Nuevo. Mit dem <strong>CRESCENDO</strong> VIP-Paket können Sie<br />
die Künstler auch persönlich kennenlernen. Mehr auf Seite 52.<br />
Recht nah kommen Sie in dieser Ausgabe auch CHRISTIAN THIELEMANN, der am<br />
1. <strong>April</strong> seinen 60. Geburtstag feiert. Außerdem trafen wir die Sopranistin ANNA<br />
LUCIA RICHTER, den Countertenor PHILIPPE JAROUSSKY, den Struwwelpeter-<br />
Hipster-Dirigenten SANTTU-MATIAS ROUVALI und als Newcomerin die Harfenistin<br />
ANAÏS GAUDEMARD. Den Pianisten ALEXANDER KRICHEL, gerade 30 geworden,<br />
traf <strong>CRESCENDO</strong> TV in Hamburg. Das Video gibt’s auf <strong>CRESCENDO</strong>.DE und das<br />
Interview auf Seite 24.<br />
Auch zum Schwerpunkt dieser Ausgabe, „ZENSUR!“, gab es angeregte Diskussionen in<br />
der Redaktion. Zunächst waren sich alle einig: Zensur gibt es nur bei wirren Autokraten<br />
wie Erdoğan, Orban etc. und in Staaten wie China, Russland oder Nordkorea, aber doch<br />
nicht bei uns, wo Presse- und Meinungsfreiheit sogar im Grundgesetz verankert ist.<br />
Schnell war klar: doch! Zensur gibt es auch bei uns: Die Verbreitung frauenfeindlicher,<br />
rassistischer, gewaltverherrlichender, pornografischer, volksverhetzender oder anderer<br />
Diskriminierung kann richterlich untersagt werden. Quasi Zensur im Namen des<br />
Kantschen kategorischen Imperativs: Die Freiheit des Einzelnen endet da, wo sie die<br />
Freiheit des Anderen beschneidet. Aber wo beginnt und wo endet Meinungsfreiheit? Und<br />
wer entscheidet darüber?<br />
Konkret diskutierten wir, welche Bilder wir Ihnen zumuten wollen. Das verstörende Foto<br />
des russischen Aktionskünstlers Pjotr Pawlenski, der sich den Mund zugenäht hat? Die<br />
Band Cannibal Corpse, die mit ihren grässlich blutrünstigen Album-Covern provozieren<br />
möchte? Muss man das zeigen? Soll man das zeigen? Oder eben gerade nicht? Ist das<br />
dann Zensur von unserer Seite? Wir haben uns dafür entschieden, die Bilder zumindest<br />
nicht großformatig zu zeigen. Und uns letzlich auf unser Gebiet fokussiert: die Zensur in<br />
der Musik – historisch eingeordnet und in der aktuellen Diskussion.<br />
FOTO TITEL: LOIS LAMMERHUBER<br />
Exklusiv für Käufer und Abonnenten:<br />
die <strong>CRESCENDO</strong> Premium-CD<br />
Viel Inhalt in besonders hochwertiger Ausstattung finden<br />
Sie in dieser Premium- Ausgabe: Reportagen, Porträts,<br />
Interviews, Aspekte und Hintergrundwissen aus der Welt<br />
der Klassik. Außerdem für alle Käufer und Abonnenten<br />
der Premium-Ausgabe:<br />
sechs Mal pro Jahr die <strong>CRESCENDO</strong> CD,<br />
ein exklusives Album mit Werken einiger in der<br />
aktuellen Ausgabe vorgestellter Künstler.<br />
In diesem Heft: die 77. CD der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Premium-Edition.<br />
Fehlt die CD? Dann rufen Sie uns an: 089/85 85 35 48.<br />
Doch wollten wir auch den Genuss nicht zu kurz kommen lassen: PAULA BOSCH hat<br />
wunderbar kräftige Weine aus Galicien mitgebracht, und CAMILLA TILLING hat für<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Zimtschnecken gebacken, dass uns das Wasser im Mund zusammenlief.<br />
Und nun wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen,<br />
Ihr Winfried Hanuschik<br />
www.crescendo.de — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong> 3
P R O G R A M M<br />
08<br />
STEFAN TEMMINGH<br />
Der Blockflötist und<br />
ECHO-Preisträger<br />
verrät uns seine<br />
Lieblingsaufnahmen<br />
18<br />
ANNA LUCIA<br />
RICHTER<br />
„Ich wollte immer die<br />
schönste Musik machen,<br />
ohne limitiert zu sein“<br />
36<br />
HAUSCHKA<br />
Der Düsseldorfer Pianist<br />
beschäftigt sich in seinem neuen<br />
Album „A Different Forest“ mit<br />
dem Wald als Naturraum<br />
Der neue<br />
Newsletter von<br />
<strong>CRESCENDO</strong>:<br />
Jeden Montag<br />
mehr wissen<br />
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Brüggemanns<br />
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kostenlos auf<br />
www.crescendo.de<br />
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mit dem Sie jede Woche<br />
über die aktuellen<br />
Themen informiert sind.<br />
STANDARDS<br />
03 PROLOG<br />
Der Herausgeber stellt<br />
die Ausgabe vor<br />
06 BLICKFANG<br />
„Marionettentheater“ –<br />
Mozarts Zauberflöte an<br />
der Berliner Staatsoper<br />
08 OUVERTÜRE<br />
Was hört …<br />
Stefan Temmingh?<br />
Neues & Notizen<br />
Ein Anruf bei …<br />
Rainer Karlitschek,<br />
Dramaturg an der<br />
Bayerischen Staatsoper<br />
Klassik in Zahlen<br />
33 IMPRESSUM<br />
42 RÄTSEL &<br />
REAKTIONEN<br />
82 HOPE TRIFFT<br />
Katja Schaefer, die<br />
Generalsekretärin der<br />
Bayerischen Akademie<br />
der Schönen Künste<br />
KÜNSTLER<br />
12 EIN KAFFEE MIT …<br />
Birgit Minichmayr<br />
14 CHRISTIAN<br />
THIELEMANN<br />
„Die Politisierung der<br />
Kunst hat mir nie gefallen.“<br />
Großes Interview mit dem<br />
Dirigenten anlässlich<br />
seines 60. Geburtstags<br />
18 ANNA LUCIA<br />
RICHTER<br />
Die Sopranistin über<br />
Heimweh, Trauer und<br />
Geborgenheit<br />
22 PHILIPPE<br />
JAROUSSKY<br />
Musikalisches Maskenspiel<br />
des Countertenors<br />
24 ALEXANDER<br />
KRICHEL<br />
„Mein Ego musste<br />
gebrochen werden“<br />
26 SANTTU-MATIAS<br />
ROUVALI<br />
Der junge Finne dirigiert<br />
Sibelius nach seiner<br />
persönlichen Mind Map<br />
30 ANAÏS<br />
GAUDEMARD<br />
„Ich liebe es, als Solistin auf<br />
großer Bühne zu sein“<br />
HÖREN & SEHEN<br />
31 DIE WICHTIGSTEN<br />
EMPFEHLUNGEN DER<br />
REDAKTION<br />
32 ATTILAS AUSWAHL<br />
Leidenschaftliche<br />
junge Musiker<br />
35 FRIEDRICH<br />
KLEINHAPL<br />
Der Musiker mischt<br />
munter Genres und Stile<br />
jeglicher Couleur<br />
37 FELIX KLIESER<br />
Sein Kindheitstraum:<br />
Mozarts Hornkonzerte<br />
40 UNERHÖRTES &<br />
NEU ENTDECKTES<br />
Die Komponisten<br />
Arnold Rosner und Juan<br />
Crisóstomo de Arriaga<br />
4 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong><br />
FOTOS: HARALD HOFFMANN; JULIA WESELY; GREGOR HOHENBERG
Limitiertes Angebot<br />
exklusiv für <strong>CRESCENDO</strong> Leser<br />
<strong>CRESCENDO</strong> LIVE – die nächsten<br />
Termine im Münchner<br />
Prinzregententheater:<br />
10.4.<strong>19</strong>: Percussion Time!<br />
mit Perkussionist Simone Rubino<br />
8.5.<strong>19</strong>: Volkslied Reloaded<br />
mit Quadro Nuevo<br />
50<br />
SCHOSTAKOWITSCH<br />
TAGE IN GOHRISCH<br />
Die kleine Gemeinde in der<br />
Sächsischen Schweiz ist<br />
Pilgerort für Liebhaber des<br />
Komponisten<br />
54<br />
ZENSUR IN DER MUSIK<br />
Nackte Nippel beim Vorspiel<br />
zu Tannhäuser. Facebook<br />
hat das Video zensiert.<br />
Hier (noch) das Original<br />
71<br />
REISE & KULTUR<br />
Deutschland, Österreich,<br />
Ukraine: die schönsten<br />
Festivals und Musik-<br />
Arrangements im Frühling<br />
und Sommer<br />
Freuen Sie sich im Anschluss<br />
an das Konzert auf den<br />
inspirierenden Nachklang<br />
mit Klassikliebhabern und<br />
den Künstlern in der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Lounge!<br />
FOTOS: OLIVER KILLIG; WILFRIED HOESL; DER KLOSTERHOF<br />
ERLEBEN<br />
44 DIE WICHTIGSTEN<br />
TERMINE UND<br />
VERANSTALTUNGEN<br />
50 EIN SYMBOL DER<br />
WAHRHEIT<br />
Die 10. Internationalen<br />
Schostakowitsch Tage in<br />
Gohrisch<br />
51 IOAN HOLENDER<br />
Reisende Bühnenbilder<br />
52 <strong>CRESCENDO</strong> LÄDT<br />
EIN ZUM KONZERT<br />
Exklusiv-Paket für Quadro<br />
Nuevo im Münchner<br />
Prinzregententheater<br />
EXKLUSIV<br />
FÜR ABONNENTEN<br />
Hören Sie die Musik zu<br />
unseren Texten auf der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD –<br />
exklusiv für Abonnenten.<br />
Infos auf den Seiten 3 & 70<br />
SCHWERPUNKT<br />
56 MACHT UND<br />
KUNSTAUSLESE<br />
Kurze Geschichte<br />
der Musikzensur<br />
58 KOMMENTAR<br />
Kulturelle Freiheit beginnt<br />
bei den Menschen<br />
60 KUNST(UN)FREI-<br />
HEIT HEUTE<br />
Der Kampf der<br />
Organisation Freemuse<br />
61 DER FALL<br />
SEREBRENNIKOW<br />
Ein Regisseur inszeniert<br />
unter Hausarrest<br />
62 SATIRE KANN DICH<br />
TÖTEN<br />
Ein Gespräch über neue<br />
politische Umfelder<br />
64 WOHER KOMMT<br />
EIGENTLICH …<br />
die Zensur?<br />
LEBENSART<br />
66 PAULA BOSCHS<br />
WEINKOLUMNE<br />
Uralte Rebstöcke und<br />
Weine mit viel Charakter<br />
in Galicien<br />
68 LIEBLINGSESSEN<br />
Zimtschnecken aus<br />
Schweden von<br />
Camilla Tilling<br />
71 REISE & KULTUR<br />
Genuss für alle Sinne:<br />
Essen und Trinken, Kunst<br />
und Architektur, Musik<br />
und Muse: die schönsten<br />
Festivals und Reisepakete<br />
von Salzburg bis Odessa<br />
81 KUNST AM COVER<br />
Farb- und Materialkunst<br />
von Georg Steidinger<br />
5<br />
Wir haben Karten der<br />
besten Kategorie für Sie:<br />
für 45 Euro, inklusive Führung<br />
hinter die Kulissen<br />
und einem Glas Sekt –<br />
garantiert ohne Anstehen<br />
Tickets und Infos auf<br />
www.crescendo.de/live<br />
FOTO: MARCO BORGGREVE
O U V E R T Ü R E<br />
6 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Marionettentheater<br />
Am Ende einigte man sich im Publikum offenbar<br />
auf unentschieden – zumindest kann man den<br />
Schlussbeifall so interpretieren, in dem Zuspruch<br />
und Ablehnung doch recht heftig aufeinandertrafen.<br />
Der amerikanische Regisseur Yuval Sharon inszenierte<br />
Mozarts Zauberflöte an der Berliner Staatsoper<br />
als buntes Marionettentheater. Pamina, Tamino und<br />
Co. hängen an gelben Seilen. Ein Schauspieler – Florian<br />
Teichtmeister – gibt den Papageno und muss<br />
einige Buhs einstecken. Untadelig sauber singt<br />
Julian Prégardien den Tamino, was ihn wiederum<br />
zu einem unerreichbaren Helden<br />
macht, dem auf dem Weg zur<br />
Macht alles recht ist.<br />
7<br />
FOTO: MONIKA RITTERSHAUS
O U V E R T Ü R E<br />
Was hört ...?<br />
Stefan<br />
Temmingh<br />
Der ECHO-Preisträger verrät uns seine<br />
Lieblingsaufnahmen.<br />
Händel:<br />
Die Sonaten für<br />
Blockflöte,<br />
Stefan Temmingh<br />
und Wiebke<br />
Weidanz (Accent)<br />
1<br />
Brahms: Klavierkonzert Nr. 1,<br />
Claudio Arrau, Bernhard Haitink<br />
Als Kind habe ich diese Aufnahme rauf und runter<br />
gehört, daher kenne ich jede Note. Bis heute berührt<br />
mich diese Musik zutiefst. Den Anfang empfinde<br />
ich fast als musikalische Gewalt, aber das Klavier versucht<br />
mit seinem ersten Einsatz den gewaltsamen<br />
Ausbruch zu versöhnen. Vielleicht genau die richtige<br />
Musik, wenn die Eltern sich gerade scheiden lassen<br />
oder wenn man die Welt nicht mehr versteht.<br />
2<br />
Mendelssohn: Klavierkonzert in a-Moll,<br />
Kristian Bezuidenhout, Freiburger<br />
Barockorchester<br />
Manchmal möchte ich Musik hören und weiß nicht,<br />
was. Dann höre ich dieses Werk an und wenige Minuten<br />
später fühle ich mich frei und glücklich.<br />
3<br />
Mozart: Le Nozze di Figaro,<br />
Concerto Köln, René Jacobs<br />
Mozart muss sein. Wenn ich nur eine Aufnahme<br />
irgendwohin mitnehmen dürfte, dann wäre<br />
es diese. Diese Musik langweilt nie und jedes Mal<br />
entdecke ich etwas Neues. Die Ensembleszenen<br />
sind unfassbar genial – unbegreiflich, dass ein einzelner<br />
Mensch sich so etwas ausgedacht hat.<br />
4<br />
Miriam Makeba: <strong>19</strong>60<br />
Ich hatte nie eine Pop-Phase. Klassik hat mich<br />
immer mehr interessiert. Aber nach 20 Jahren<br />
in Deutschland brauche ich etwas (außer der Küche<br />
meiner Heimat), das mich an Südafrika erinnert. So<br />
kam ich auf Miriam Makeba. Sie singt intensiv und fein.<br />
5<br />
Vivaldi: Concerti per fagotto, Sergio Azzolini,<br />
L’Aura soave Cremona<br />
Man kann nicht immer nach Italien fahren. Aber<br />
diese Musik bringt Sonne, gutes Essen, das Meer und<br />
die Architektur Venedigs ins Wohnzimmer!<br />
Track 8 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Alla Siciliana.<br />
Aus: Sonate F-Dur HWV 369<br />
Bach-Preis<br />
Ihr einzigartiges künstlerisches Schaffen<br />
und ihr herausragender Beitrag zur zeitgenössischen<br />
Musik sind der Grund<br />
dafür, dass die Komponistin Unsuk<br />
Chin den Hamburger Bach-Preis 20<strong>19</strong><br />
erhält. Der wichtigste Musikpreis der<br />
Hansestadt ist mit 10.000 Euro dotiert<br />
und soll am 28. November 20<strong>19</strong> im Rahmen<br />
eines Konzerts in der Elbphilharmonie<br />
übergeben werden. Der Bach-<br />
Preis wird seit <strong>19</strong>50 alle vier Jahre vom<br />
Senat vergeben. Zu den bisherigen Preisträgern<br />
zählen unter anderem Paul<br />
Hindemith (<strong>19</strong>51), György Ligeti (<strong>19</strong>75),<br />
Sofia Gubaidulina (2007) und Pierre<br />
Boulez (2015).<br />
SingBach<br />
Am 28. Juni nachmittags beginnt das<br />
68. Musikfest ION mit einem Paukenschlag:<br />
Rund 250 Grundschüler aus<br />
Nürnberg bestreiten mit „SingBach“ ihr<br />
eigenes Konzert. Damit kommt die<br />
erfolgreiche Konzeption von Friedhilde<br />
Trüün erstmals nach Nürnberg. Unter<br />
dem Motto „Jeder kann singen“ studieren<br />
zahlreiche Schulklassen intensiv eine<br />
Woche lang Werke von Bach ein und<br />
präsentieren das Resultat im Konzert.<br />
Insgesamt verknüpft das Programm die<br />
Spurensuche des musikalischen Erbes<br />
mit ungewöhnlichen Herangehensweisen,<br />
neuen Ausdrucksformen und innovativen<br />
Veranstaltungsformaten. Eine<br />
Reihe festlicher Konzerte bildet zusammen<br />
mit spannenden neuen Entwicklungen<br />
ein lebendiges, generationenübergreifendes<br />
und weltoffenes Musikfest.<br />
Pavarotti im Kino<br />
Apollo 13, The Da Vinci Code oder<br />
Illuminati – für diese Blockbuster wurde<br />
der Regisseur Ron Howard nicht nur in<br />
Holly wood gefeiert. Jetzt bringt der<br />
US-amerikanische zweifache Oscar-Gewinner<br />
einen biografischen Film über<br />
Luciano Pavarotti in die Kinos. Der Film<br />
soll dem Publikum auf der ganzen Welt<br />
ab 7. Juni ein erstaunlich intimes Porträt<br />
des Opernsängers vermitteln.<br />
Konzerthaus<br />
Auf 288 Millionen Britische Pfund werden<br />
die Kosten für das neue Konzerthaus<br />
in London taxiert, das im Barbican Center<br />
entstehen soll. Die Architekten planen<br />
einen Konzertsaal mit 2000 Plätzen.<br />
Der aus Holz gestaltete Saal soll die<br />
Zuschauer in Gruppen auf der Bühne<br />
positionieren, wobei jede Gruppe nicht<br />
größer als das Orchester selbst ist.<br />
Zusätzliche Kosten werden von den<br />
Geschäftsräumen über der Haupthalle<br />
finanziert, die wiederum die Betriebskosten<br />
des Gebäudes stützen und keine<br />
öffentlichen Zuschüsse benötigen.<br />
Bach online<br />
Unter www.bachipedia.org ist die Website<br />
„Bachipedia“ nun online. Und mit<br />
ihr bis dato 120 von 220 Bachkantaten.<br />
Seit 2006 führt die Johann-Sebastian-<br />
Bach-Stiftung in St. Gallen monatlich<br />
Kantatenkonzerte durch – und stellt sie<br />
auf die Plattform. Darüber hinaus kann<br />
man das Libretto und das erklärende<br />
Beiwerk abrufen, genauso wie die ebenfalls<br />
in Ton und Bild aufgenommenen<br />
Einführungsworkshops des Dirigenten<br />
und die „Reflexionen“ zu den Kantaten.<br />
Die Bach-Stiftung stellt diese Dienstleistung<br />
kostenlos zur Verfügung und<br />
erhofft sich dadurch, ihrem Zweck, der<br />
Weitergabe von Bachs genialem Oeuvre<br />
an kommende Generationen und an eine<br />
möglichst große Öffentlichkeit, ein großes<br />
Stück nähergekommen zu sein.<br />
FOTOS: PRIVAT, SABINE VINAR, DILLER SCOFIDIO + RENFRO<br />
8 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
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O U V E R T Ü R E<br />
Kultur ist per se niemals unpolitisch<br />
Anruf bei Rainer Karlitschek, Dramaturg der Bayerischen Staatsoper, die kürzlich bekanntgab, die<br />
bayerische Erklärung „Die Vielen“ unterschrieben zu haben.<br />
Herr Karlitschek, auch die Bayerische Staatsoper hat kürzlich<br />
die Initiative „Die Vielen“ unterzeichnet. Für oder gegen was<br />
tritt diese Initiative genau ein?<br />
Die Erklä rung „Die Vie len“ ist auf ge setzt wor den, weil sich vie le<br />
– auch kleinere – kulturelle Institutionen mit<br />
rechtspopulistischen Angriffen und Agitationen<br />
kon fron tiert sehen. Rechts po pu lis ten<br />
wollen den bundesrepublikanischen kulturellen<br />
Kon sens aufk ün di gen und sind demo kratie<br />
feind lich. Des halb bestand das Bedürf nis,<br />
dass die Kul tur in sti tu tio nen in die sem Punkt<br />
eine genaue re Hal tung her aus bil den und die se<br />
mit Pro fil in der Gesell schaft posi tio nie ren.<br />
Gibt es einen bestimmten Auslöser, der die<br />
Bayern nachziehen ließ? Die bundesweite<br />
Initiative gibt es ja seit November 2018.<br />
Als Bei spiel wer den oft die Vor gän ge beim<br />
Gost ner Hofthea ter in Nürn berg her an ge zogen.<br />
Im kon kre ten Fall kann man sehr gut<br />
nach voll zie hen, was es heißt, sich mit Rechtspo<br />
pu lis ten aus ein an der zu set zen. Sie woll ten<br />
Aktio nen des Thea ters tor pe die ren und es damit unter Druck<br />
set zen. Das ist aber nur ein Bei spiel. Es gibt meh re re Vor fäl le in<br />
Bay ern, die Anlass dafür gaben, sich klar zu posi tio nie ren. Wir<br />
wur den übri gens von den Kol le gen des Resi denz thea ters und der<br />
Kam mer spie le ange fragt und gebe ten, auch zu un ter zeich nen.<br />
Aber ist Kultur per se nicht eigentlich unpolitisch?<br />
Kul tur ist per se nie mals unpo li tisch, weil sie immer Teil der<br />
res publi ca, also Sache des Staa tes, und der Polis, also des Gemein -<br />
we sens, ist. Das ist wich tig, denn unse re gesam te Legi ti ma ti on<br />
resul tiert aus der Polis, die sich im Baye ri schen Land tag<br />
reprä sen tiert und der uns bud ge tär aus stat tet. Aber: Die<br />
Baye ri sche Staats oper ist nicht par tei po li tisch und ver tritt daher<br />
kei ne kon kre ten par tei- oder tages po li ti schen Anlie gen. Wir<br />
arbei ten auf Basis des demo kra ti schen Kon sen ses, dass es Orte<br />
für Kunst und Kul tur geben muss. Und in die sem Sin ne sind<br />
wir natür lich poli tisch!<br />
Und daraus resultiert die Pflicht, dass sich Kultur gegen<br />
Rainer Karlitschek<br />
Rechtspopulismus und dergleichen einsetzen muss?<br />
Rechts po pu lis mus agiert gegen den demo kra ti schen Kon sens und<br />
will die Demo kra tie in ihren Grund fes ten erschüt tern, indem er<br />
eine Min der hei ten mei nung für alle pro kla miert. Der berühm te<br />
Satz „Wir sind das Volk!“ wird ja heu te anders<br />
ver wen det als etwa <strong>19</strong>89. Recht po pu lis ten<br />
glau ben, auto ri tär bestim men zu kön nen, was<br />
die Wahr heit oder – in die sem Fall – was das<br />
Volk ist, was es will und wer nicht dazu ge hört.<br />
Rechts po pu lis mus ist ein fun da men ta ler<br />
Angriff auf grundlegende freiheitliche Werte<br />
etwa der Aufk lä rung. Des halb müs sen wir uns<br />
dem ent ge gen stel len. Denn genau auf die sen<br />
Wer ten basiert unse re Kul tur ar beit.<br />
Hat München in der Hinsicht eine besondere<br />
Verantwortung?<br />
Ja, und das ist in der Erklä rung so ange deu tet.<br />
Es gibt eine his to ri sche Refe renz. Das ist aber<br />
für mich per sön lich nicht das Ent schei den de.<br />
Vielmehr ist es für mich die aku te Fra ge, die<br />
sich im Hier und Jetzt stellt. Aber auch ohne<br />
unse re Geschich te müss ten wir uns als staat li che Kul tur in sti tuti<br />
on dem The ma stel len.<br />
Eine Unterzeichnung ist zunächst einmal eine Absichtserklärung.<br />
Schlägt sich das im täglichen Leben nieder? Gar im<br />
Spielplan der Staatsoper?<br />
Zunächst haben wir die se Erklä rung unter zeich net und<br />
die se Unter zeich nung öffent lich gemacht. Und prompt: Wir<br />
bekom men Reak tio nen auch aus rechts po pu lis ti scher Ecke. Das<br />
sind zwar nicht vie le – aber es gibt sie. Damit füh len wir uns<br />
auch bestä tigt, dass wir uns mit die sem The ma beschäfti gen<br />
müs sen. In der Oper bil den wir die Gesell schaft im Gan zen ab<br />
und damit auch unter schied li che Mei nun gen. Die müs sen wir<br />
akzep tie ren, ihnen aber ent ge gen tre ten, wenn sie eine Linie<br />
über schrei ten und sich anti de mo kra tisch ent wi ckeln. Dass auf<br />
unse rem Spiel plan der zeit Ernst Kren eks Oper Karl V. steht, zeigt,<br />
wie aktu ell Oper sein kann und wie sie mit künst le ri schen<br />
Mit teln zu Fra gen der Gesell schaft steht.<br />
Klaus Härtel<br />
Ich habe noch so viel<br />
Musik im Kopf. Ich habe<br />
noch nichts gesagt.<br />
Ich habe noch alles zu sagen<br />
Maurice Ravel<br />
HÄTTEN SIE’S GEWUSST?<br />
Dass der Mensch vom Affen abstammt, gilt als einigermaßen<br />
gesichert. Ob auch die Sensibilität für<br />
strukturelle Abhängigkeiten bereits in gemeinsamen<br />
Vorfahren von Affen und Menschen existiert haben<br />
könnte, hat nun ein Team der Uni Wien untersucht.<br />
Die Forscher spielten Äffchen Sequenzen aus Pieptönen<br />
vor, die mit einem tiefen Ton begannen und<br />
endeten – dazwischen fand sich eine variable Anzahl<br />
von hohen Tönen. Nachdem sie Hunderte Sequenzen gehört hatten, wurden<br />
ihnen einzeln zwei neuartige Playback-Kategorien vorgespielt: Sequenzen<br />
mit dem gleichen Aufbau wie zuvor und Sequenzen, bei denen der<br />
erste oder der letzte tiefe Ton fehlte. Es stellte sich heraus: Die Äffchen<br />
unterschieden tatsächlich zwischen den Playbacks. Sie drehten sich häufiger<br />
zum Lautsprecher, wenn sie Sequenzen mit den Abhängigkeiten hörten.<br />
FOTOS: WILFRIED HÖSL; BIBLIOTHÈQUE NATIONALE DE FRANCE,<br />
IKIWANER - EIGENES WERK, CC BY-SA 3.0<br />
10 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
2<br />
Grammys waren dem „Wagner-Bariton“<br />
Ekkehard Wlaschiha dereinst sogar verliehen<br />
worden, weil er die Partie des Alberich so unnachahmlich<br />
gab. Alberich sang er im Verlauf<br />
seiner Karriere so viele Male, dass er als<br />
„Alberich vom Dienst“ tituliert wurde. Nun ist<br />
Wlaschiha 80-jährig gestorben.<br />
KLASSIK<br />
IN ZAHLEN<br />
6<br />
350<br />
Jahre alt ist die Stradivari-Violine, die das Festival Strings<br />
Lucerne zur Verfügung gestellt bekommt. Bei dem Instrument<br />
handelt es sich um eine gut erhaltene Geige, die<br />
seit etwa <strong>19</strong>79 nicht mehr öffentlich gespielt wurde. Das<br />
neue Instrument wird durch Daniel Dodds eingeweiht.<br />
Millionen Euro stellt der Bund für kulturelle<br />
Projekte und Veranstaltungen zum 250. Geburtstag<br />
des Komponisten Ludwig van Beethoven<br />
zur Verfügung. Das Fördervolumen<br />
für einzelne Aktivitäten reicht von 20.000<br />
bis 300.000 Euro.<br />
FOTO: FABRICE UMIGLIA<br />
500<br />
98,03<br />
Sitzplätze wird das Theater<br />
Pokrovsky in Moskau bekommen,<br />
das renoviert und bespielbar gemacht<br />
werden soll. Das Theater<br />
Prozent betrug die Platzauslastung der Wiener<br />
Staatsoper in der Spielzeit 2017/18. Mit 292 Vorstellungen<br />
auf der Hauptbühne blieb das Haus auf<br />
gehört zum Bolschoi-Theater<br />
und soll dessen Kammerbühne<br />
1.000.000<br />
dem Niveau der vorherigen Saison. Der Kartenverkauf<br />
hat 35,5 Millionen Euro eingebracht,<br />
werden.<br />
Schwedische Kronen erhält die Geigerin Anne-Sophie Mutter mit dem<br />
diesjährigen Polar-Musikpreis. Die Königlich Schwedische Musikakademie<br />
bezeichnete die Musikerin in ihrer Begründung als „Königin der Violine“.<br />
Eine Million Schwedische Kronen entsprechen fast 100.000 Euro.<br />
11
K Ü N S T L E R<br />
Auf einen Kaffee mit …<br />
BIRGIT MINICHMAYR<br />
VON WALTER WEIDRINGER<br />
FOTO: REINHARD WERNER<br />
12 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Die öster rei chi sche Schau spie le rin Bir git Minich mayr (*<strong>19</strong>77) ist vor allem<br />
eines: inten siv und von unge heu rer Prä senz. Legen där ist sie in der Rol le<br />
im Weibsteufel am Münch ner Resi denz thea ter, und auch als Buhl schaft im<br />
Jeder mann bei den Salz bur ger Fest spie len über zeug te sie mit ihrer ein zig -<br />
ar ti gen Mischung aus Weib lich keit und Stär ke.<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Frau Minichmayr, Sie haben gerade eine warme<br />
Ingwerlimonade bestellt. Trinken Sie auch Kaffee oder Tee?<br />
Birgit Minichmayr: Ja, einen Fünfuhr tee mit Käse brot! Beim Tee<br />
geht alles bis auf Früch te und Kräu ter. Am Mor gen trin ke ich ger ne<br />
Kaffee – zu Crois sant, But ter und Erd beer mar me la de. Nicht das<br />
gesün des te, aber mein Lieb lings früh stück. Am Sonn tag darf ’s gern<br />
ein Brunch in grö ße rer Run de sein.<br />
Wie sehr haben sich solche Gewohnheiten durch Ihre Kinder<br />
umgekrempelt?<br />
Enorm! Ich bin ein tota ler Nacht mensch, was natür lich auch mit<br />
mei nem Beruf zu tun hat, ich arbei te nachts am bes ten. Also schlief<br />
ich frü her bis elf, der Tag begann zu Stu den ten zei ten mit Red Bull<br />
und Ziga ret te. Die se Zei ten sind Gott sei Dank vor bei. Jetzt ist<br />
schon acht para die sisch! Ich neh me mir die Zeit, mit mei ner<br />
Fami lie zu früh stü cken, aber bin immer<br />
noch dank bar, wenn mein Mann mich<br />
aus schla fen lässt und er die Früh schicht<br />
über nimmt. Sicher ist, dass die<br />
Mäd chen, zwei ei ige Zwil lin ge, das Bes te<br />
sind, was ich in mei nem Leben je<br />
hin ge kriegt habe.<br />
Singen Sie ihnen etwas vor?<br />
Ja, ab und zu, aber im Moment ist<br />
Musik hö ren und Tan zen das Größ te:<br />
Abends gibt es der zeit immer Jazz, Col tra ne oder Duke Elling ton.<br />
Für tagsüber habe ich an erträg li cher Kin der mu cke „Kli-Kla-Klawit<br />
ter“ gefun den: Das lie ben sie, da wird immer abge sha ked. Wenn<br />
ich sin ge, jault die eine immer mit! Manch mal lese ich ihnen vor,<br />
aber meist nur das, was ich gera de zu arbei ten habe.<br />
Ist das Textlernen schwieriger geworden?<br />
Es ver schiebt sich auf die Zeit, in der sie schla fen. Dann wird Büro<br />
gemacht, wer den E-<strong>Mai</strong>ls beant wor tet und Text gelernt. Vie le<br />
haben gesagt: Man merkt, dass du Mut ter bist, dei ne <strong>Mai</strong>ls<br />
kom men jetzt immer erst am spä ten Abend. Aber mich stört das<br />
schwar ze Ding, das heute jeder so ganz selbst ver ständ lich da<br />
lie gen hat, obwohl auch Kin der da sind, die se stän di ge Erreich barkeit<br />
per Han dy.<br />
Sie sind ja weder auf Instagram noch Facebook vertreten …<br />
Die ses gan ze Zeug ist mir fremd. Es ist schon schlimm genug,<br />
wenn man beim Zei tung le sen online zu weit nach unten rutscht<br />
und in den Kom men ta ren auf Mist und Unflä tig kei ten stößt.<br />
Anony mes Bashing im Inter net, Mob bing in Schu len, Gazet tenjour<br />
na lis mus, eine Poli ti ker r he to rik des Unge pfleg ten, Unge bil deten:<br />
Für mich hängt das alles zusam men. Über all fehlt es an<br />
Respekt. Aber man bleibt mit sei nen sozia len und poli ti schen<br />
Ansich ten all zu oft in sei ner eige nen Bla se gefan gen.<br />
Sie wurden in Internetforen schon dafür kritisiert, nicht mehr<br />
österreichisch zu klingen.<br />
Mir war immer wich tig, mein Arbeits feld so weit wie mög lich<br />
abste cken zu kön nen. Mit mei nem Kind heits dia lekt wäre das nicht<br />
gegan gen. In Wien sagt man, ich klän ge nach Nord deutsch land,<br />
dort heißt es, ich klän ge süd deutsch. Dabei nei ge ich ein fach zur<br />
Assi mi la ti on. Zuerst ganz jung in Ber lin, dann auch in der Schweiz:<br />
Im Nu hat te ich dort einen Schwei zer Sing sang drauf – do han i di<br />
gan ze Zeit so g’sproch’n. Ich tue das nicht, weil ich mei ne Her kunft<br />
MICH STÖRT DAS SCHWAR ZE<br />
DING, DIESE STÄN DI GE<br />
ERREICH BAR KEIT PER HAN DY<br />
ver leug nen wür de, son dern weil mein Beruf enorm viel mit<br />
Sprach klang zu tun hat. In mei nem Hei mat ort Pasching in<br />
Ober ös ter reich wur de ich auch schon mal ange motzt, wie ich den<br />
„Knedl“ (Knö del) mitt ler wei le aus spre che: Das „d“ dür fe man<br />
nicht hören! Irgend wie ist mir das aber alles ziem lich wurscht.<br />
(lacht)<br />
Sie haben mit Campino und den Toten Hosen gesungen, mit<br />
Wolfgang Mitterer das Album „Sopop“ gemacht, mit Stefan<br />
Pucher das Burgtheater mit Struwwelpeter gerockt: Wie kommt<br />
es, dass für Sie als Schauspielerin die Musik eine so große Rolle<br />
spielt?<br />
Ich bekam früh Kla vier un ter richt, hab im Chor gesun gen und<br />
woll te Bal lett tän ze rin wer den. Linz hat te schon damals eine tol le<br />
alter na ti ve Musik sze ne, min des tens die Hälfte der Jungs in der<br />
Klas se spiel te in einer Band. Musik war<br />
mir immer nah. Ich tre te der zeit mit<br />
„Doro thy Par ker in Con cert“ auf, einer<br />
Lesung mit Jazz auf zwei Flü geln, mit<br />
dem groß ar ti gen Duo Chris Hop kins<br />
und Bernd Lhotz ky. Das macht mir<br />
unglaub lich viel Spaß. Aber wenn es<br />
um sel ber Musik machen gin ge, dann<br />
ver lie re ich mich im Dschun gel der<br />
Mög lich kei ten, dann sie gen Scheu und<br />
Unsi cher heit. Wenn die Din ge auf mich zukom men, hat sich das<br />
immer als der bes se re Weg für mich erwie sen.<br />
Sie brauchen sich wohl schon lange nichts mehr gefallen lassen.<br />
Stichwort #MeToo: Haben Sie sich oft wehren müssen, immer<br />
wehren können?<br />
Ich kam Gott sei Dank nie in so miss li che Extrem si tua tio nen.<br />
Ich ken ne aber den klas si schen „Her ren witz“ und die schlüpf ri gen<br />
Stamm tisch be mer kun gen gegen über Frau en sehr gut. Ich fin de,<br />
es war hoch an der Zeit zu sagen: Wir bit ten um einen ande ren<br />
Umgang. Wenn eini ge jam mern, sie wüss ten jetzt nicht mehr, wie<br />
man flir ten soll, dann fra ge ich mich, ob die das je gewusst haben.<br />
Die Ein kom mens sche re zwi schen Män nern und Frau en ist immer<br />
noch gro tesk groß, dar auf muss auch der Gesetz ge ber reagieren.<br />
Es kann nicht sein, dass das Thea ter sich Fort schritt und Frei heit<br />
auf die Fah nen schreibt und zugleich viel fach immer noch so<br />
ver krus te te, hin ter wäld le ri sche Macht struk tu ren gel ten. Doch das<br />
bricht alles gera de auf, end lich – vom Black fa cing über den<br />
eth ni schen Hin ter grund bestimm ter Rol len ganz all ge mein bis<br />
zur Wahr neh mung etwa der LGBT+-Community. Offen bar<br />
brau chen wir vor über ge hen de Erzie hungs maß nah men. Quo ten<br />
zum Bei spiel.<br />
Was hören Sie selbst?<br />
Tags über den Radio sen der Ö1! Am Abend Jazz. Und wenn ich<br />
allein bin, ver su che ich, bei neu en Alben auf dem Lau fen den zu<br />
blei ben. Dann arbei te ich mei ne Shazam-Lis te ab! [Musi k er kennungs-App,<br />
Anm.] Metal und heftigs ten Hip-Hop brau che ich<br />
weni ger, ansons ten höre ich quer durch, wenn auch eher in die<br />
Alter na ti ve-Rich tung. Das ein oder ande re Lied von Beyon cé fin de<br />
ich aber trotz dem geil. <br />
■<br />
Am 7. März lief im Kino „Kirsch blü ten & Dämo nen“ mit Bir git Minich mayr an.<br />
13
K Ü N S T L E R<br />
FOTOS: LOIS LAMMERHUBER<br />
14 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
EINER DER GRÖSSTEN DIRIGENTEN UNSERER ZEIT<br />
SUCHT NACH WAHRHAFTIGKEIT IN DER MUSIK<br />
„ICH BIN<br />
AVANTGARDE,<br />
MEIN LIEBER!“<br />
Christian Thielemann wird am 1. <strong>April</strong> 60 Jahre alt.<br />
Hier spricht er über die frühen Fehler,<br />
die Vorteile des Alters und Dinge, die er<br />
nicht mehr nötig hat.<br />
DAS GESPRÄCH FÜHRTE<br />
AXEL BRÜGGEMANN<br />
Herr Thielemann, Sie werden am 1. <strong>April</strong> 60 Jahre.<br />
Hadern Sie mit dem Alter, oder ist es mit einem Dirigenten<br />
wie mit dem Wein: Er wird besser, je älter er wird?<br />
Ein Geburtstag ist immer schön! Klar, das Dirigieren entwickelt<br />
sich, und mit der Erfahrung wird man auch besser. Das Besserwerden<br />
lässt das Alter zu einer bedeutungslosen Zahl werden.<br />
Genauso klar ist, dass wir alle sterben. Ich will auch gar nicht<br />
mehr jünger sein, weil ich die alten Fehler nicht noch einmal<br />
machen will.<br />
Was waren das für Fehler?<br />
Als junger Mensch fehlt einem der Überblick. Heute habe ich<br />
eine andere Tempo-Regie und muss nicht mehr so viel gestikulieren.<br />
Im Privaten ist das aber doch auch so: Hier macht man<br />
Fehler menschlicher Art, sieht, was auf einen zukommt, und<br />
vermeidet diese Fehler für den Rest seines Lebens.<br />
Älter zu werden bedeutet also, Fehler zu vermeiden?<br />
15
K Ü N S T L E R<br />
Jemand, der die heiße Herdplatte mit 60 Jahren noch immer<br />
anfasst, ist vielleicht nicht ganz so intelligent. Wenn man sie<br />
allerdings als Kind nicht angefasst hat, ist das auch blöde.<br />
Hat sich die Rolle der Musik in Ihrem Leben verändert, seit Sie<br />
begonnen haben, Klavier und Bratsche zu spielen?<br />
Damals gab es schon dieses Feuer, und ich glaube, dass es noch<br />
größer geworden ist. Heute kann ich es gezielter einsetzen. Ich<br />
verbrenne mich nicht mehr gleich. Früher habe ich gern gezündelt,<br />
das lasse ich heute oft bewusst bleiben, weil ich so Energie<br />
verschwenden würde, auf die ich später angewiesen bin. Ich<br />
glaube, man musiziert bewusster, wenn man älter wird. Und<br />
vielleicht genießt man es auch mehr.<br />
Sie sind mit <strong>19</strong> Jahren als<br />
Korrepetitor an die Deutsche<br />
Oper in Berlin gegangen und<br />
wurden Assistent bei Herbert<br />
von Karajan. Wie haben Sie<br />
das erlebt?<br />
Bei Karajan war alles so<br />
entspannt. Ich habe mir das viel hektischer vorgestellt. Aber<br />
schon bei der ersten persönlichen Begegnung spürte ich diese<br />
Gelassenheit, mit der er alles aus einem Orchester herausholen<br />
konnte. Bereits damals war mir klar, dass das mit dem Alter zu<br />
tun haben muss und mit der Erfahrung – Karajan war damals ja<br />
schon über 70. Diese Souveränität war auch für die Musiker<br />
greifbar. Außerdem kannte Karajan die Musiker und die Sänger,<br />
mit denen er gearbeitet hat, sehr gut. Ich kann mich an keinen<br />
Streit, an keine erregte Situation bei einer Probe mit ihm<br />
erinnern.<br />
Auch Sie arbeiten heute mit wenigen Orchestern sehr intensiv<br />
zusammen ...<br />
Das ist vielleicht eine unterbewusste Entwicklung. Am Anfang<br />
habe ich alles gemacht, was möglich war: Ich bin durch die USA<br />
gedüst und habe die großen Orchester dirigiert: in San Francisco,<br />
an der Met, in Europa in Rom, Bologna, Venedig, London – überall.<br />
Aber schon durch meine ersten festen Jobs wurde meine<br />
Anwesenheit vor Ort wichtig. Es folgte die Zusammenarbeit mit<br />
den Berliner und den Wiener Philharmonikern, das Sommerloch<br />
wurde mit Bayreuth aufgefüllt. Und so hat sich von selbst ein<br />
Gerüst aufgebaut, in dem ich mich seither bewege. Heute würde<br />
ich allerdings gern wieder mehr Neues kennenlernen, zum<br />
Beispiel nach Israel fahren. Ich freue mich, dass ich nun auch<br />
wieder nach München zum Bayerischen Rundfunk und in das<br />
Concertgebouw zurückkehren werde. Aber ich bin eben auch ein<br />
Anhänger davon, mir das private Leben nicht vollkommen aus<br />
der Hand nehmen zu lassen.<br />
Was wahrscheinlich in einem Jetset-Job wie Ihrem schwer ist.<br />
Na ja, es muss ja keiner immer alles machen. Ich habe für mich<br />
festgestellt, dass ich allmählich geistig verkümmere. Es wäre<br />
arrogant zu sagen, dass Beethoven, Wagner oder Schönberg mich<br />
unterfordern, aber auf anderen Feldern fühle ich mich durchaus<br />
unterfordert und unzufrieden. Ich hatte ja keine Zeit mehr, gute<br />
Bücher zu lesen oder schöne Ausflüge zu machen. Und ich finde,<br />
dass ich das Recht habe, diese Sehnsucht zu stillen. Ich habe keine<br />
Lust mehr auf das Warten in Konzertzimmern, auf die Proben,<br />
auf die Veranstaltung, auf Flughäfen. Natürlich kann Reisen Spaß<br />
machen, wenn man in Japan in einem schönen Ryokan liegt oder<br />
in warmen Quellen, wenn man tollen Fisch isst ... Aber man<br />
braucht auch Zeit zwischen den einzelnen Abenden. Ich genieße<br />
es heute, auch mal zwei Wochen freizuhaben, spazierenzugehen,<br />
und wenn man dann am Abend eine halbe Flasche Wein trinkt,<br />
darf es auch ruhig ein guter Burgunder sein. Nur, wer sich auch<br />
jenseits der Musik auf Dinge einlässt, kann mit neuer Inspiration<br />
vor das Orchester treten. Denn all diese Eindrücke formen sich<br />
für mich wieder in Musik um.<br />
Düsseldorf, Nürnberg, Berlin – bei Ihren ersten drei Opernstationen<br />
hatte man den Eindruck, dass Sie, entgegen der<br />
öffentlichen Meinung, immer auch für das Traditionelle, das<br />
Pathos gekämpft haben ...<br />
Pathos heißt ja „erleben“ oder „erleiden“. Da geht es nicht, wie<br />
viele glauben, um Musik mit dicker Soße. So gesehen ging es mir<br />
tatsächlich um das Wahrhaftige und Echte in der Musik. Es gibt<br />
Stellen, die genau dieses Pathos verlangen, und genauso gibt es<br />
eben Stellen, die man auf keinen Fall mit falschem Zucker-Pathos<br />
übergießen darf! Aber ist das<br />
schon eine Ideologie? Nein! Ich<br />
WER KEINE TOLERANZ HAT, INTERESSIERT bin nun einmal so. Ich habe<br />
MICH NICHT, EGAL MIT WELCHER IDEOLOGIE Knappertsbusch, Karajan und<br />
Mengelberg gehört – und dieser<br />
amalgamierte Orchesterklang,<br />
der den Mut zum Wahren,<br />
Großen und Schönen hat, der Klang, der jede Gefühlswelt<br />
durchschreiten kann, gefällt mir. Wenn andere das anders<br />
empfinden: bitte schön!<br />
Zuweilen wurden Sie als „reaktionär“, „konservativ“ oder<br />
„ewig gestrig“ beschrieben.<br />
Ach, das sind doch alles Schlagworte. Fragen Sie die Leute, die<br />
diese Schlagworte verwenden, was sie bedeuten sollen. Eine Lehre<br />
des Älterwerdens ist, dass ich nicht mehr alles kommentieren<br />
muss. Die Politisierung der Musik hat mir nie gefallen. Ich bin in<br />
einem unpolitischen Haushalt aufgewachsen ...<br />
Ihr Vater war Apotheker ...<br />
Ja, und bei uns wurde Musik nie mit Politik in Verbindung<br />
gebracht. Natürlich weiß ich, dass Musik überall als gesellschaftliches,<br />
politisches oder kapitalistisches Mittel eingesetzt wird:<br />
vom Parteitag bis zur Kaufhausmusik. Aber letztlich hat eine<br />
Beethoven-Sinfonie für mich mit Politik nichts zu tun. Ich finde,<br />
dass ich gerade in politisch aufgeladenen Zeiten als Künstler auch<br />
die Aufgabe habe, die Kunst zu entpolitisieren und den Leuten zu<br />
sagen: „Eure politische Meinung ist mir egal, wir spielen euch<br />
jetzt einfach Schumann vor.“ Ich will am Pult keine politische<br />
Interpretation der C-Dur-Sinfonie, abgesehen davon, dass ich gar<br />
nicht wüsste, wie die aussehen sollte. Das wäre doch auch<br />
vermessen!<br />
Aber Sie haben sich immer wieder als Anti-68er positioniert.<br />
Das würde ich heute so nicht mehr tun. Auch, wenn ich noch<br />
dasselbe denke, würde ich es anders formulieren. Ich habe nie<br />
eine Partei öffentlich unterstützt. Mir ging es immer um das<br />
Grundthema der Toleranz. Und so würde ich das auch heute<br />
formulieren: Wer keine Toleranz hat, interessiert mich nicht,<br />
egal mit welcher Ideologie. Das Wesentliche ist, dass mich<br />
etwas überzeugt. Das ist wie beim Essen: egal, ob es aus<br />
Timbuktu kommt oder sonstwoher. Wenn es überzeugt, mag<br />
ich es. Nicht anders verhält es sich mit einem Lohengrin: Ich<br />
frage doch nicht, woher der Sänger kommt oder was er wählt.<br />
Wenn seine Stimme passt, freue ich mich!<br />
Aber Sie haben schon Politik gemacht, als Sie Berlin und<br />
München verlassen haben, weil Sie mit der Ausstattung der<br />
Orchester unzufrieden waren.<br />
Das ist für mich keine Politik, da ging es um Arbeitsbedingungen.<br />
In Berlin hatten wir es mit einer Ungleichberechtigung der<br />
Berliner Opernhäuser zu tun. Damals sind mir 16 Musiker<br />
davongelaufen, sie haben anderswo mehr verdient. Ich finde bis<br />
heute, dass die Deutsche Oper nicht jene Mittel bekommt, die sie<br />
16 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Neuerscheinungen und Klassiker zum Geburtstag<br />
Von links nach rechts: 7. Symphonie von Anton Bruckner und Das Liebesmahl der Apostel von Richard Wagner; Messa da<br />
Requiem von Verdi; Werke von Ferruccio Busoni, Hans Pfitzner und Max Richter mit Tzimon Barto (Piano); die<br />
Romantische von Anton Bruckner; Symphonie Nr. 8 von Anton Bruckner; Konzert für Horn und Orchester von Richard Strauss<br />
(alle Alben mit der Staatskapelle Dresden und ggf. dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden, erschienen bei Profil,<br />
Hänssler). Und das gibt’s ganz neu zum Geburtstag: eine umfangreiche und schön bebilderte Dokumentation unter dem Titel<br />
„Christian Thielemann, Dirigieren/Conducting“ (Edition Lammerhuber); wegweisende Aufnahmen für die Deutsche<br />
Grammophon in einer Box mit 21 CDs; Schumann Sinfonien mit der Staatskapelle Dresden (Sony)<br />
benötigen würde. Manchmal ist es aber auch so, dass vieles von<br />
ganz allein passiert. Wir hatten in München einen Termin, um<br />
wieder zusammenzukommen. Dann bin ich an der Staatskapelle<br />
in Dresden eingesprungen und konnte nicht ahnen, dass ich nach<br />
Bruckners Achter ein Angebot bekommen würde. Da musste ich<br />
nicht lange überlegen. Ich habe den Münchnern gesagt, dass ich<br />
keinen Termin mehr brauche, weil ich in Dresden wieder Opern<br />
dirigieren kann.<br />
Ihr Abgang von der Deutschen Oper scheint dennoch besonders<br />
zu schmerzen …<br />
Es tut mir heute noch weh, wenn ich an der Deutschen Oper<br />
vorbeifahre. Dann spüre ich einen Stich in meinem Herzen! Ich<br />
habe mich hier wohlgefühlt. Es ist ja das Haus, dem ich alles<br />
verdanke: Ich habe hier meine ersten Opern gehört, lernte<br />
Wagner kennen, wurde mit <strong>19</strong> Jahren Korrepetitor und dann<br />
Generalmusikdirektor. Das war vorher und wird auch so schnell<br />
nicht mehr passieren. Ich bin ein Berliner, habe da angefangen,<br />
und natürlich hänge ich an diesem Haus. Bis heute.<br />
Wenn Sie vor Ihrem inneren<br />
Ohr eine Beethoven-Sinfonie<br />
von Christian Thielemann vor<br />
30 Jahren hören und mit einer<br />
Aufführung von heute<br />
vergleichen – wie hat sich der<br />
Dirigent verändert?<br />
Das, was ich damals so ungeschliffen rausgehauen habe, was ich<br />
einfach gemacht habe, das habe ich inzwischen einer Sichtung<br />
unterzogen. Dabei bin ich zuweilen zu dem Ergebnis gekommen,<br />
dass einiges schon gar nicht so schlecht war. Anderes hingegen<br />
schon. Und so bediene ich mich auch heute noch manchmal<br />
eigener Versatzstücke. Und natürlich höre ich mir Kollegen an<br />
und stelle mitunter fest, dass es sich durchaus lohnen kann,<br />
anderen zuzuhören ...<br />
DIE POLITISIERUNG DER MUSIK<br />
HAT MIR NIE GEFALLEN<br />
Sie sagten einmal: „Lieber gut geklaut als schlecht erfunden.“<br />
Das ist ja auch so! Jeder Schauspieler hört sich vor seinem ersten<br />
Hamlet die legendären Hamlet-Schauspieler an und orientiert<br />
sich an den Vorbildern …<br />
Um dann alles ganz neu und anders zu machen?<br />
Nein, so einer war ich ja nie! Ich habe diese Protestphase nicht<br />
gehabt. Bin ich deshalb reaktionär? Nein, ich bin in Wahrheit<br />
weder „re“ noch „aktionär“, vielleicht bin ich einfach nur<br />
langweilig. Aber ich glaube eben, dass man nicht auf Teufel<br />
komm raus gegen alle Traditionen ankämpfen muss. Vielleicht<br />
steht das ein bisschen für meine Generation, wir sind ja so etwas<br />
wie die „verlorene Generation“ – wir haben das Revolutionäre<br />
verloren. Wir wollten kein Haus besetzen …<br />
Aber Sie wollten ein Haus besitzen?<br />
In Berlin stand an irgendeinem Haus: „Ik will och ne Villa!“ Das<br />
ist doch ein legitimer Wunsch. Ich fand es jedenfalls immer<br />
sinnlos, meine Kraft für die Revolution zu verschwenden, ich<br />
habe dann lieber ein bisschen Bach gespielt.<br />
Fühlen Sie sich manchmal wie<br />
jemand, der aus der Zeit<br />
gefallen ist?<br />
Überhaupt nicht! Ich bin ein<br />
Rollenmodell, mein Lieber! Ich<br />
bin Avantgarde! Ich finde<br />
dieses ganze Gedöns und Gelabere auch furchtbar. Ich habe keine<br />
Internetseite, ich habe keine Agentur, ich bin eine Ich-AG. Man<br />
mag das nicht modern finden, aber ich bin so ziemlich zufrieden.<br />
Herr Thielemann, wie werden Sie Ihren 60. Geburtstag feiern?<br />
Ich werde bei sehr guten Freunden abtauchen und einen Ausflug<br />
in die Salzburger Bergwelt unternehmen. Am 2. <strong>April</strong> haben wir<br />
dann Meistersinger-Sitzproben. Das ist das schönste Geschenk,<br />
dass ich nach 2006 in Wien dieses Werk bei den Osterfestspielen<br />
nun endlich wieder machen kann.<br />
n<br />
17
K Ü N S T L E R<br />
18 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
ES IST DIE SACHE DER ANDE REN,<br />
IHR BILD VON MIR ZU ÄNDERN. ICH HABE GENUG<br />
MIT DEM SIN GEN ZU TUN<br />
<strong>19</strong><br />
FOTO: JULIA WESELY
K Ü N S T L E R<br />
„ET KÜTT,<br />
WIE ET KÜTT“<br />
Anna Lucia Richter<br />
stammt aus Köln und lebt<br />
jetzt in Wien.<br />
Die Sopranistin über<br />
die Lyrik von<br />
Schubert-Liedern, ihr<br />
persönliches Heim- und<br />
Hinausweh und die<br />
Spannung, in verschiedene<br />
Rollen zu schlüpfen.<br />
VON VERENA<br />
FISCHER-ZERNIN<br />
FOTO: JULIA WESELY<br />
20 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
C<br />
DIE SUCHE NACH GEBOR GEN HEIT IST EIN<br />
GRO SSER TEIL DES HEIM WEHS<br />
RESCENDO: Sie geben einen Liederabend lang den<br />
Engel mit der glockenreinen Stimme. Und dann kehren<br />
Sie zur Zugabe die Kölnerin heraus und singen das freche Och<br />
Moder isch will en Ding han aus den Brahms’schen Volksliedern.<br />
Wer ist denn nun die echte Anna Lucia Richter?<br />
Anna Lucia Rich ter: Ich glau be, von allem etwas. In zwi schenmensch<br />
li chen Bezie hun gen ver hal ten wir uns ja auch unterschied<br />
lich in Wech sel wir kung mit dem Gegen über: Je nach dem,<br />
was ich sin ge, belich te ich unter schied li che Tei le mei ner selbst.<br />
Fühlen Sie sich „kölsch“?<br />
Das Geer de te, Prag ma ti sche, das habe ich auf jeden Fall. Et kütt,<br />
wie et kütt.<br />
Sie leben mittlerweile in Wien. Spüren Sie denn selbst manchmal<br />
dieses Heimweh, dem Sie Ihr neues Album mit Schubert-Liedern<br />
gewidmet haben?<br />
Es gibt sol che Momen te. Freun de, Fami lie, die ich ver mis se. Und<br />
wenn ich mit dem Auto über den Rhein fah re und den Dom sehe,<br />
dann weiß ich, ich bin zu Hau se. Aber ich könn te nach vier<br />
Jah ren auch Heim weh nach Wien haben.<br />
Mit dem Begriff „Heimweh“ zielen Sie ins Herz der Romantik,<br />
das ist hart am Klischee.<br />
Das Wort eröff net Asso zia ti ons räu me. Im Heim weh schwingt die<br />
Sehn sucht nach der Kind heit mit. Die ses abso lu te Auf ge ho bensein<br />
kann man nie wie der erlan gen, es nimmt immer wei ter ab.<br />
Die Suche nach Gebor gen heit ist ein gro ßer Teil des Heim wehs.<br />
Aber wenn man dann daheim ist, setzt das Fern weh ein, das<br />
Hinausweh.<br />
Im Kern geht es in den Liedern um die eine oder andere Art<br />
von Getrenntsein …<br />
… und viel um Abschied. Der Hirt auf dem Fel sen, eins der<br />
letz ten Wer ke Schu berts, ist ein gro ßer Abschied, aber der letz te<br />
Satz ist schon fast schwe re los. Er erin nert mich an die Arie Ich<br />
freue mich auf mei nen Tod von Bach. Trau er kann glück lich<br />
machen. Die ser klei ne Schmerz kann sehr befrei end sein.<br />
Kann sich auf dem kleinen Platz, den ein Lied bietet, eigentlich<br />
eine Dramaturgie entfalten?<br />
Neh men Sie den Zwerg. Das Lied nimmt unglaub lich an Fahrt<br />
auf. Jeder Cha rak ter hat eine Far be. Der ers te Ver lust dage gen ist<br />
ein klei nes Gemäl de, die Atmo sphä re ändert sich inner halb des<br />
Stü ckes nicht.<br />
Schubert war längst nicht so wählerisch mit den Gedichten wie<br />
etwa Schumann. Wie finden Sie die Qualität der Lyrik?<br />
Er hat nicht aus schließ lich Goe the und die Gro ßen ver tont,<br />
trotz dem: gar nicht so schlecht. Das ist wahr schein lich das<br />
Stock holm-Syn drom, weil man sich so inten siv damit befasst.<br />
Aber ich habe es bis lang immer nach voll zie hen kön nen, war um<br />
Schu bert einen Text aus ge wählt hat. Natür lich sind da wel che<br />
dabei, die ohne die Ver to nung nie mand mehr ken nen wür de.<br />
Eine Liedvertonung ist ja selbst schon eine Interpretation.<br />
Mich inter es siert, wie Schu bert an die Ver to nung geht. Er nimmt<br />
ein fach den Affekt, manch mal schein bar ohne Ana ly se. Das<br />
Span nen de bei ihm ist, man baut eine per sön li che Bezie hung zu<br />
den Figu ren auf.<br />
Was lieben Sie überhaupt am Lied?<br />
Oh! (holt Luft) Dass man inner halb eines Lie der abends in so vie le<br />
ver schie de ne Rol len schlüpft. Die se Gegen sät ze: Ich bin ein<br />
Toten grä ber, ein zwölfj äh ri ges Mäd chen, eine jun ge Lie ben de.<br />
Was für eine Fall hö he! Dann das Kam mer mu si ka li sche. Wir<br />
kön nen selbst bestim men, wie lan ge wir pro ben, kön nen dis kutie<br />
ren. Das ist eine gro ße Frei heit.<br />
… also das Gegenteil einer Opernproduktion. Wie viel Oper<br />
singen Sie?<br />
So ein, zwei Pro duk tio nen pro Jahr. Es ist schön, mit den Kol le gen<br />
län ger zusam men zu ar bei ten. Sechs Wochen mal an einem Ort zu<br />
sein. Auf der Büh ne zu spie len, mit Mas ke, mit der Regie etwas zu<br />
ent wi ckeln.<br />
Ihr Stimmvolumen ist nicht riesig. Kommen Sie über den<br />
Graben?<br />
Ich wür de jetzt kei nen Wag ner oder Ver di sin gen. Aber in der<br />
letzten Zeit singe ich beispielsweise oft Mahlers Wunderhorn-Lieder,<br />
das geht wun der bar, sowohl mit Hai tink als auch Cur r ent zis.<br />
Meine Stimme ist glücklicherweise sehr obertonreich und trägt gut.<br />
Ich kom me aus der Mäd chen chor-Tra di ti on. Da habe ich gelernt,<br />
sehr gera de und sehr sau ber zu sin gen. Da muss man ler nen zu<br />
unter schei den, wie viel davon ist gemacht, und wie viel gehört<br />
wirk lich zu mei ner Stim me? Mei ne Stim me gewinnt momen tan an<br />
Tie fe, die wie der anders an die Höhe ange bun den ist.<br />
Wenn die Stimme sich lebenslang verändert, ändern sich auch<br />
die Partien. Was würden Sie denn gerne mal singen?<br />
Ich woll te immer die schöns te Musik machen, ohne limi tiert zu<br />
sein. Aber das war nie aufs Reper toire bezo gen. Wobei – Susan na!<br />
Susan na möch te ich gern sin gen. Oder Che ru bi no? Mit tel la ge und<br />
Tie fe machen viel Spaß. Das wäre neu es Ter rain.<br />
Da wechseln Sie ja munter die Fächer, wenn Sie beides machen.<br />
Die ses Schub la den den ken geht mir auf die Ner ven: „Du darfst<br />
kei nen Che ru bi no sin gen, sonst wirst du nie wie der für Pami na<br />
gefragt!“ Für man che Ver an stal ter ist das natür lich ein fa cher.<br />
Frü her war es durch aus üblich, an einem Abend Car men und am<br />
nächs ten Abend eine lyri sche Mozart-Sopran-Rol le zu sin gen.<br />
Sie müssen bestimmt immer wieder Überzeugungsarbeit<br />
leisten, Sie sind ja die Inkarnation des jugendlich-lyrischen<br />
Soprans. Stört Sie das Etikett „die junge Anna Lucia Richter“?<br />
Bes ser als „die alte …“! (lacht) Durch das Reper toire ergibt sich<br />
ein Image. Vie les hat man nicht in der Hand. Wenn Sie mei ne<br />
Fotos neh men: Eines ist zehn Jah re alt, das wird stän dig gedruckt,<br />
und da sehe ich halt äthe risch drauf aus. Ich mache das, was<br />
gera de zu mir passt. Es ist die Sache der ande ren, ihr Bild von mir<br />
zu ändern. Ich habe genug mit dem Sin gen zu tun. Die Zeit, auch<br />
noch bewusst mit Haar far be und Klei dern Images zu bas teln,<br />
habe ich nicht.<br />
Schon mal Stimmkrisen gehabt?<br />
Es gibt immer wie der Momen te. Aber mei ne Ams ter da mer<br />
Leh re rin Mar greet Honig kann oft sogar am Tele fon hel fen.<br />
Dann singen Sie ins Telefon?<br />
(lacht) Das nicht. Aber, wie mal eine Sopra nis tin im Inter view<br />
gesagt hat, stel len Sie sich vor, Sie sind Gei ger. Und Sie müs sen<br />
mit Ihrer Gei ge staub saugen und abspü len. Wir Sän ger müs sen<br />
mit unse rem Instru ment eben auch noch den All tag bewäl ti gen.<br />
Da muss man sich mal gön nen zu sagen, heu te geht es mir<br />
emo tio nal eben nicht so gut. Natür lich kann man sol che Del len<br />
mit Tech nik glät ten. Aber es ist wich tig, sie sich selbst ein zuge<br />
ste hen. Je mehr man mit sei ner Stim me schimpft, des to<br />
belei dig ter ist sie.<br />
n<br />
Schubert: „Heimweh“, Anna Lucia Richter, Gerold Huber, Matthias<br />
Schorn (Pentatone)<br />
Track 3 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Lied der Mignon. Heiß mich<br />
nicht reden D 877/2<br />
21
TKI ÜT NE LS ZT EL IE LRE<br />
MUSIKALISCHER<br />
MASKENSPIELER<br />
Der Countertenor Philippe Jaroussky widmet sich auf seinem neuen Album<br />
dem italienischen Frühbarock-Komponisten Francesco Cavalli.<br />
VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />
22<br />
2018_Bildunterschrift<br />
Philippe Jarousskys Spiel mit Parodie und<br />
Ironie in der venezianischen Oper<br />
BILD CREDIT 5PT
FOTO: PARLOPHONE RECORDS LTD<br />
Philippe Jaroussky hat sich mit seiner warmen Countertenor-Stimme<br />
ganz nach oben gesungen. Auf seinem neuen Album widmet sich<br />
der 41-jährige Künstler nun dem italienischen Frühbarock-<br />
Komponisten Francesco Cavalli und fasziniert mit einer aufregenden<br />
musikalischen Maskerade. Ein Gespräch über den kreativen<br />
Klangschöpfer, neue Formen der Männlichkeit und den Karneval<br />
in Venedig.<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Sie haben das Fach des Countertenors einmal<br />
als neue Form der Männlichkeit bezeichnet. Was meinen Sie<br />
damit?<br />
Phil ip pe Jarouss ky: Ich glau be tat säch lich, dass der Coun ter te nor<br />
für eine neue Form steht – oder bes ser gesagt für eine neue alte<br />
Form (lacht). Die Ein tei lung der Stim men in die weib li chen und<br />
die männ li chen Fächer ent springt<br />
ALS ICH BEGON NEN<br />
HABE ZU SIN GEN, HABE ICH MICH<br />
REGEL RECHT NACKT GEFÜHLT<br />
der roman ti schen Kate go ri sie rung.<br />
Die Kas tra ten stim me stach dabei<br />
immer als beson de re Art der Stim me<br />
her vor. Aller dings haben die<br />
Kas tra ten durch aus auch sehr star ke<br />
Cha rak te re inter pre tiert. Sie hat ten<br />
zwar hohe Stim men, aber das hat<br />
nicht bedeu tet, dass sie nicht auch männ li che Parts über nom men<br />
hät ten. Es ist sicher kein Zufall, dass nach Ende des Zwei ten<br />
Welt kriegs auf ein mal die Coun ter te nö re wie der eine Rol le<br />
spiel ten. Der Krieg war so furcht bar gewe sen, dass die Men schen<br />
die se star ren Rol len bil der des Man nes, der in den Krieg zieht,<br />
und der Frau, die sich zu Hau se um die Kin der küm mert, nicht<br />
mehr woll ten. Die Wie der ent de ckung des Coun ter te nors und<br />
über haupt der hohen Stim men in der Musik war ein Weg zu<br />
sagen: Auch Frau en kön nen stark sein und Män ner dür fen ihre<br />
sen si ble Sei te zei gen. Ein Mann kann wei nen und eine Frau kann<br />
kämpfen.<br />
Sie haben Ihre Stimme erst relativ spät als Ihr Instrument<br />
entdeckt. Wie hat sich das angefühlt?<br />
Als ich begon nen habe zu sin gen, habe ich auf ein mal eine gro ße<br />
Frei heit gespürt. Ich muss te viel weni ger kämp fen als an der<br />
Gei ge, aller dings habe ich mich am Anfang auch regel recht nackt<br />
gefühlt. Man kann sich schließ lich nicht hin ter sei nem Instrument<br />
ver ste cken. Aber ich habe hart dar an gear bei tet und eine<br />
gro ße Erfül lung im Gesang gefun den. Dabei woll te ich nie sein<br />
und sin gen wie eine Frau. Der Coun ter te nor ist ein fach die<br />
Stim me, in der ich mich zu Hau se füh le.<br />
Als Opernsänger taucht man immer wieder in neue Charaktere<br />
ein. Wie geht es Ihnen damit?<br />
Wir Opern sän ger sind manch mal fast ein biss chen zu sehr damit<br />
beschäftigt, ganz mit einer Rol le zu ver schmel zen. Für mich ist es<br />
das Wich tigs te, die Ver bin dung zur Musik zu bekom men. Die<br />
Musik soll te beein flus sen, wie ich sin ge, und nicht umge kehrt.<br />
Wenn ich eine neue Rol le ler ne, begin ne ich mit der Par ti tur und<br />
las se die Gefüh le, die die se Musik in mir aus löst, in mei ne<br />
Stim me über ge hen. Das ist ein sehr intui ti ver Pro zess und<br />
manch mal ent ste hen dabei span nen de neue Din ge: Dann<br />
bekommt eine eigent lich sehr schnel le Arie eine gewis se Süße<br />
oder eine lang sa me Arie bekommt etwas sehr Domi nan tes.<br />
Auf Ihrem neuen Album widmen Sie sich verschiedenen Arien<br />
und Duetten von Francesco Cavalli, außerdem sind reich<br />
instrumentierte Orchesterwerke zu hören. Wie sind Sie auf<br />
diesen Komponisten gestoßen?<br />
Mein ers ter Kon takt mit Barock mu sik in der Oper war Mon tever<br />
di. Kurz dar auf ent deck te ich Caval lis Musik und war von<br />
Beginn an fas zi niert von den viel fäl ti gen Klang far ben, Kon trasten<br />
und Stim mun gen. Dabei war auch die Zusam men ar beit mit<br />
Gabri el Gar ri do und René Jacobs ganz ent schei dend für mich. Bei<br />
ihnen habe ich unglaub lich viel gelernt und ent deckt, wie reich<br />
Caval lis Musik ist. Mit nur weni gen Noten schafft er wun der ba re<br />
Melo di en vol ler Charme. Die Opern von Caval li haben gro ßes<br />
dra ma ti sches Poten zi al, und mit gutem Grund wer den sie seit<br />
eini gen Jah ren an vie len Opern häu sern wie der inten siv gespielt.<br />
Die Opern von Cavalli standen vor allem zur Karnevalszeit auf<br />
den Spielplänen in Venedig. Haben Sie den venezianischen<br />
Karneval selbst schon einmal erlebt?<br />
Ich war oft in Vene dig, aber nie wäh rend des Kar ne vals. Und ich<br />
bin mir auch nicht sicher, ob er heu te noch wirk lich das repräsen<br />
tiert, was er ein mal war. Aber ich woll te auf dem Album die<br />
Kon tras te die ser Zeit zei gen. Der<br />
Kar ne val war einer seits ja ein<br />
Moment des Über flus ses und des<br />
Luxus, gleich zei tig gab es aber auch<br />
dunk le Sei ten: Schließ lich gab es<br />
damals viel Krank heit, auch hefti ge<br />
Epi de mi en wie die Pest. Umso mehr<br />
woll ten die Leu te das Leben im<br />
Moment genie ßen, weil sie nicht wuss ten, ob sie das nächs te Jahr<br />
erle ben wür den. Caval lis Musik spie gelt genau das wider. Bei de<br />
Sei ten, die hel le und die dunk le Mas ke, der Reich tum, die Armut<br />
und der Tod, fin den sich in sei nen Opern. Die ses Yin und Yang<br />
woll te ich auf dem Album haben. Der Kar ne val war jene Zeit im<br />
Jahr, in der die Men schen hin ter ihren Mas ken alle auf einer<br />
Ebe ne waren. Des we gen hat te er auch eine gro ße gesell schaft liche<br />
Bedeu tung. Die Rei chen konn ten uner kannt blei ben, die<br />
Armen waren ein biss chen weni ger arm und alle fei er ten<br />
zusam men.<br />
Cavalli war ein Schüler von Monteverdi. Wie eigenständig ist<br />
seine Musik?<br />
Erst ein mal kann man klar fest stel len: Mon te ver di hat einen Stil<br />
geschaffen. Caval li ändert die sen Stil nicht, son dern er bleibt der<br />
Schu le Mon te ver dis treu. Gleich zei tig hat unter Caval li aber eine<br />
ganz ent schei den de Ver än de rung statt ge fun den: Die ers ten<br />
öffent li chen Thea ter wur den auf ge macht! Bis lang war Oper nur<br />
etwas für die rei chen Leu te gewe sen. Caval li mach te sie nun für<br />
jeden zugäng lich, und das ist wohl auch der Grund, war um der<br />
Humor und die Komik in sei ner Musik eine so gro ße Rol le<br />
spie len. Caval li woll te nicht nur Köni ge und Fürs ten por trä tie ren,<br />
er woll te den All tag der Men schen zei gen und das Volk und<br />
des sen Leben reprä sen tie ren. In sei nen Opern kom men ver schiedens<br />
te Cha rak te re vor, und man kann die vene zia ni sche Gesellschaft<br />
förm lich spü ren. Inso fern hat Caval li den Stil von Mon tever<br />
di erst rich tig popu lär gemacht, und sei ne ein gän gi gen<br />
Melo di en könn ten manch mal fast die Pop mu sik von heu te sein.<br />
Wenn man Caval lis Opern hört, staunt man, wie frei und mutig<br />
die se Stoffe sind. Bei aller Tra gik sind sie immer auch vol ler<br />
Humor und übri gens auch sexu ell sehr frei zü gig – an einer Stel le<br />
in einem Lie bes du ett geht es unmiss ver ständ lich um Sex (lacht).<br />
Das heißt, die Musik ist fast 400 Jah re alt, aber manch mal<br />
herrscht da mehr Frei heit als in unse rer heu ti gen Zeit. Das ist<br />
unglaub lich span nend. Manch mal habe ich das Gefühl, wir<br />
wer den immer unfrei er. Eine Leh re von Caval li<br />
könn te sein: Wir soll ten viel frei er und muti ger<br />
sein, uns weni ger beschwe ren und bekla gen. n<br />
Francesco Cavalli: „Ombra mai fu“, Philippe Jaroussky (Erato)<br />
23
K Ü N S T L E R<br />
DER MAGISCHE<br />
MOMENT<br />
Der Pianist Alexander Krichel über die Schönheit seines Berufs<br />
und sein neues Album „An die ferne Geliebte“ nach dem gleichnamigen<br />
Liederzyklus von Ludwig van Beethoven. VON MARIO VOGT<br />
Der Hamburger Alexander Krichel gehört zu den<br />
beliebtesten Pianisten auf den deutschen Bühnen. Jetzt<br />
hat er ein Album veröffentlicht, das sich um die sehr selten gespielte<br />
Liszt’sche Klavierfassung von Beethovens Liederzyklus An die ferne<br />
Geliebte dreht.<br />
<strong>CRESCENDO</strong>: Alexander, Sie haben ja schon in jungen Jahren<br />
sehr viele verschiedene Dinge parallel gemacht, alle auf einem<br />
sehr hohen Niveau. Sie waren mit 15 Jungstudent an der<br />
Musikhochschule in Hannover, haben zur selben Zeit an der<br />
Universität Kurse in Mathematik belegt und auch einen Preis<br />
Liebt die Synergie mit dem<br />
Publikum: Alexander Krichel<br />
für Fremdsprachen gewonnen. Warum haben Sie sich letztlich<br />
für die Musik entschieden?<br />
Alex an der Kri chel: Das war eine Ent schei dung zwi schen Kopf<br />
und Herz. Alles, was Sie genannt haben, habe ich sehr inten siv<br />
betrieben, insbesondere die Mathematik. Allerdings hat mich<br />
– bis auf die Musik – nichts davon emo tio nal bewegt. Ich hat te<br />
einen Deal mit mei ner Fami lie: Ich woll te unbe dingt bei dem<br />
rus si schen Pro fes sor Vla di mir Krai nev in Han no ver stu die ren.<br />
Nimmt er mich also nicht in sei ne Klas se auf, dann stu die re ich<br />
Medi zin. Zum Glück hat er mich genom men.<br />
FOTO: OLIVER MARK<br />
24 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Krainev gehört ja zu den großen<br />
russischen Pianisten und<br />
Pädagogen. Wie war denn der<br />
Unterricht bei ihm im Vergleich<br />
zum Unterricht bei Ihren<br />
vorherigen Lehrern?<br />
Meine allererste Lehrerin war<br />
Rus sin, auch mein aktu el ler<br />
Men tor, bei dem ich nach<br />
Krai nevs Tod 2011 ange fan gen<br />
habe, ist Rus se. Aller dings sind<br />
bezie hungs wei se waren das drei<br />
völ lig unter schied li che Men schen,<br />
und ich den ke, dass ich nicht nur als Pia nist, son dern auch als<br />
Mensch sehr viel von allen drei en gelernt habe. Bei Krai nev war<br />
das so, dass er mir zu Beginn – meta pho risch gespro chen – alle<br />
Kno chen gebro chen hat. Ich hat te ein sehr gesun des Ego, als ich<br />
in Han no ver mit dem Stu di um anfing. Im Nach hin ein muss ich<br />
zuge ben, dass die ses Ego gebro chen wer den muss te. Sei ne Absicht<br />
war, dass man aus der Asche wie der auf er steht. Das war genau<br />
das, was ich gebraucht habe.<br />
Ihr aktuelles Album heißt „An die ferne Geliebte“. Wie kamen<br />
Sie dazu, ein Klavieralbum mit diesem Titel aufzunehmen?<br />
Ich habe Beet ho vens gleich na mi gen Lie der zy klus in der Kla vierfas<br />
sung von Franz Liszt ent deckt, er wird so gut wie nie gespielt,<br />
obwohl er wun der schön ist. Ich woll te das Stück sehr ger ne<br />
auf neh men, und es pass te auch zu mei ner dama li gen Situa ti on, da<br />
in jener Zeit mei ne Groß mutter ver stor ben war. Mein Leben auf<br />
der Büh ne war sehr stark mit ihr ver bun den, da ich 20 Minu ten<br />
vor jedem Auftritt – wo auch immer in der Welt ich mich gera de<br />
befand – mit ihr gespro chen habe. Dadurch hat te ich über all das<br />
Das ganze Interview finden Sie live unter<br />
www.crescendo.de/kuenstler/crescendo-tv<br />
Gefühl, zu Hau se zu sein, weil ich<br />
wuss te, dass sie gera de an mich<br />
denkt. Auch bei Beet ho vens „fer ner<br />
Gelieb ten“ han delt es sich um eine<br />
Ver stor be ne, und zwar um die Frau<br />
sei nes Gön ners Joseph von<br />
Lob ko witz. Um die sen Zyklus<br />
her um habe ich das Album erstellt,<br />
auf dem ich Liszts Kla vier fas sung<br />
der Beet ho ven-Lie der mit sei ner<br />
Tran skrip ti on von Richard<br />
Wagners Isol dens Lie bes tod<br />
ver glei che. Das Haupt werk der CD<br />
sind jedoch sicher lich Schu manns Sym pho ni sche Etü den.<br />
Sehen Sie die Möglichkeit, mithilfe von Transkriptionen<br />
das gängige pianistische Repertoire zu erweitern?<br />
Ich den ke schon. Was ich aber vor allen Din gen an den Transkrip<br />
tio nen schön fin de, ist, dass der Flü gel dabei nicht so<br />
per kus siv klingt wie sonst nur all zu oft. In vie len Tran skrip tio nen<br />
sind wir Pia nis ten zugleich Sän ger und Beglei tung.<br />
Was ist für Sie das Schönste am Beruf des Konzertpianisten?<br />
Das ist natür lich der Moment auf der Büh ne, wegen der gro ßen<br />
Syn er gie, die ich mit dem Publi kum erle be. Wenn mir die Balan ce<br />
gelingt zwi schen mei nem Allein sein mit der Kunst auf der Büh ne<br />
und der Kom mu ni ka ti on mit dem Publi kum, dem ich etwas<br />
wei ter ge be, das ist ein wirk lich magi scher<br />
Moment – wenn ich das Gefühl habe, dass jetzt<br />
gera de in die sem Saal nichts ande res pas siert als<br />
das, was man dem Publi kum sagt.<br />
n<br />
„An die ferne Geliebte“, Alexander Krichel (Sony)<br />
D O P P L E R D I S C O V E R I E S<br />
ANDRÁS ADORJÁN & EMMANUEL PAHUD<br />
Unveröffentlichte Flötenkompositionen<br />
und Ersteinspielungen von Franz und Carl Doppler.<br />
D O P P L E R D I S C O V E R I E S<br />
ANDRÁS ADORJÁN & EMMANUEL PAHUD<br />
Jan Philip Schulze<br />
Arcis Hornquartett<br />
B 108104<br />
www.farao-classics.de<br />
CD im Fachhandel sowie als Download erhältlich.<br />
www.farao-classics.de<br />
Telefon 089 14330080<br />
„Spritzig, frech, farbenreich und mit viel Charme! …<br />
Ein kleines Juwel…“<br />
BR<br />
„Beste Unterhaltung auf hohem Niveau…“<br />
NDR<br />
„… Wenige Alben hört man so gerne durch wie dieses.<br />
Ein charmanter Gedanke jagt den nächsten…“<br />
WDR
26<br />
K Ü N S T L E R
ICH MACHE,<br />
WAS ICH WILL!<br />
Der junge Finne Santtu-Matias Rouvali sieht aus wie ein Hipster. Dabei<br />
liebt er das Land und die Stille. Als Chefdirigent der Göteborger<br />
Symphoniker will er das komplette sinfonische Werk seines Landsmanns<br />
Sibelius aufnehmen. Mit der 1. Sinfonie ist ein Anfang gemacht.<br />
VON ANNA NOVÁK<br />
27<br />
FOTO: MARCO BORGGREVE
K Ü N S T L E R<br />
W<br />
enn er einen Arti kel über sich selbst schrei ben müss te,<br />
dann wäre der ers te Satz: „Ich bin Jäger und Fischer.“ Erst<br />
danach käme der Beruf als Diri gent, sagt Sant tu-Mati as Rou va li. Er<br />
sitzt auf einem Leder so fa in einem Ham bur ger Hotel, dun kel ro ter<br />
Swea ter, schwar zes T-Shirt, läs si ge blon de Locken. Er ist wahr scheinlich<br />
der auf re gends te jun ge Diri gent Finn lands und wirkt dabei tiefenent<br />
spannt. Als hät te er mit dem Tru bel um sei ne Per son am aller wenigs<br />
ten zu tun. Er mag es unkom pli ziert. Kein Chi chi, kei ne Allü ren.<br />
Er phi lo so phiert nicht über<br />
Musik, benutzt kei ne Bil der, wird<br />
nicht zu emotional.<br />
Da wun dert es nicht, dass<br />
sich schon das ein oder ande re Orches<br />
ter frag te: „Was macht der<br />
Skate boar der denn da vor ne?“, wenn Rou va li mit der Par ti tur unterm<br />
Arm aufs Dirigentenpult zumarschierte. Auch als cooler australischer<br />
Surferboy könnte der 33-Jährige, der seine musikalische Karriere einst<br />
als Per kus sio nist begann, rein optisch locker durch ge hen – zumin dest,<br />
bis er den Stab hebt. Denn musi ka lisch ist mit Rou va li nicht zu spaßen.<br />
Musi ka lisch hat er eine ganz kla re Vor stel lung – er will, dass die<br />
Musi ker, so beschreibt er es selbst, sein „Mind Map“ eines Stücks verstehen.<br />
Sein Spezialgebiet: Jean Sibelius.<br />
„Alle sagen, Sibe li us sei ein Natur bur sche gewe sen – dabei war<br />
er ein Dan dy und, ehr lich gesagt, ein nicht sehr net ter Mensch. Er<br />
konn te ziem lich grob sein und hat te ein Pro blem mit dem Alko hol“,<br />
erklärt der Fin ne. „Manch mal gibt es in den Par ti tu ren Gene ral pausen<br />
über vier Tak te. Man mun kelt, über die sen Noten sei Sibe li us<br />
abends ein ge schla fen, nach dem er zu viel getrun ken hat te. Ihm ist der<br />
Kopf auf die Par ti tur gefal len und am nächs ten Mor gen hat er dann<br />
ausgeschlafen genau an der Stelle weiterkomponiert …“<br />
Wenn nun schon Jean Sibe li us aber kein Natur bur sche war, dann<br />
ist es Sant tu-Mati as Rou va li umso mehr. Nicht weit von dem Ört chen,<br />
in dem der Kom po nist selbst leb te, wohnt Rou va li auf einer Farm. Die<br />
Fel der drum her um habe er an<br />
Bau ern ver pach tet, sagt er, aber<br />
ansons ten genieße er alle Vortei<br />
le des Land le bens. Vor allem<br />
die Stil le. Und den Platz. „Ehrlich<br />
gesagt, mag ich kei ne Städ te. Ich bin gern mal für einen Tag da,<br />
aber auch immer froh, wenn ich wie der gehen kann.“ Dass aber ein<br />
Musi ker wie er zu Hau se noch nicht mal Laut spre cher hat, mag man<br />
kaum glau ben. Doch Rou va li winkt ab: „Ich höre zu Hau se ein fach<br />
kei ne Musik. Die meis te Zeit ver brin ge ich in der Sau na. Das ist so<br />
eine Holz sau na, und das dau ert ziem lich lan ge, bis man sie auf ge heizt<br />
hat. Wäh rend des sen trin ke ich dann ein paar Bier. Sau nen ist ein<br />
Lifestyle.“<br />
Viel leicht nimmt er sogar mal eine Par ti tur mit zum Auf guss?<br />
Neue Stü cke jeden falls lernt er aus schließ lich mit Kla vier und Noten.<br />
Er will sein eige nes Ding machen. Das ist das, was ihn am Musik machen<br />
reizt: Er will über ra schen. „Ich mache, was ich will. Ich sche re<br />
mich nicht um Tra di tio nen.“ Des we gen tüftelt er mit den Orches tern<br />
an Klang far ben und beson ders gern an den kom ple xen Rhyth men in<br />
Sibelius’ Werk.<br />
Seit 2017 ist Santtu-Matias Rouvali Chefdirigent der Göteborger<br />
Symphoniker. Eine spannende Kombination: der finnische Wirbelwind<br />
als Kopf eines ausgesprochen traditionsreichen Klangkörpers,<br />
der gerade in der Sibelius-Interpretation jahrzehntelange Erfahrung<br />
vor wei sen kann. „Es ist span nend, die se Musik gemein sam neu zu<br />
ICH HÖRE ZU HAU SE KEI NE MUSIK. DIE MEIS TE<br />
ZEIT VER BRIN GE ICH IN DER SAU NA<br />
ICH SCHE RE MICH NICHT UM TRADITIONEN<br />
ent de cken. Das ist gar nicht so ein fach, denn die Art, wie das Orchester<br />
Sibe li us spielt, ist tief ver wur zelt. Aber die Musi ker wol len mit ziehen:<br />
Das gro ße Schiff dreht sich lang sam, aber sicher in mei ne<br />
Geschmacksrichtung.“ Rouvali lobt die Göteborger Konzerthalle, einen<br />
Bau aus den <strong>19</strong>30ern, der für eine aus ge spro chen gute Akus tik bekannt<br />
ist – und in dem auch Sibe li us selbst schon am Pult stand. Dass Rouvali<br />
seine Klangvorstellungen mit denen des Orchesters zusammenbrin<br />
gen kann und will, bewei sen er und die Göte bor ger jetzt in einer<br />
neuen Aufnahmereihe: In den<br />
kommenden Jahren wollen sie<br />
das komplette sinfonische Werk<br />
von Sibelius auf CD aufnehmen.<br />
Zu Beginn haben sie sich der 1.<br />
Sinfonie gewid met: einer Komposition<br />
voll politischer Zwischentöne, mit Naturmotiven und mit viel<br />
finnischem Kolorit. Auch unabhängig von der Verbindung zu seinem<br />
Heimatland ist die 1. Sinfonie für den fin ni schen Maes tro ein Her zensstück:<br />
„Ich mag die se Sin fo nie am liebs ten. Sibe li us war selbst noch<br />
ein jun ger Kerl, als er sie geschrie ben hat. Er hat in die sem Stück wahnsin<br />
nig viel aus pro biert – und natür lich hat nichts davon so rich tig<br />
funk tio niert. Und doch sieht man schon vie le The men, die einem in<br />
spä te ren Sin fo ni en begeg nen. Viel leicht hat te er das alles schon im<br />
Kopf.“ Dass die Skan di na vi er Sibe li us und sei nem Werk in der Interpretation<br />
instinktiv näherstünden, sei ganz natürlich.<br />
Genau deswegen findet Santtu-Matias Rouvali es spannend, Sibelius<br />
auf verschiedenen Konzertpodien in ganz Europa und auch in<br />
Ame ri ka oder Asi en zu spie len: So kann er den Zuhö rern und auch<br />
den Orchestern zeigen, wie Sibelius aus nordischer Perspektive klingen<br />
kann. Das ist wahr schein lich Rou va lis größ tes Dilem ma: Er liebt<br />
es, ver schie de ne Musi ker und Men schen mit die sen Klän gen zu konfron<br />
tie ren, aber er hasst das Rei sen. „Wenn ich unter wegs bin, mache<br />
ich nichts. Ich sit ze und den ke. Ich brau che kei nen Fern se her in den<br />
Hotels, ich schaue kei ne Fil me. Ich bin lang wei lig.“ Da muss man dem<br />
Finnen direkt widersprechen.<br />
Musi ka lisch ist er alles ande re als<br />
das, im Gegen teil. Kürz lich hat<br />
er bei den Münch ner Phil har moni<br />
kern debü tiert und beim Deutschen<br />
Sym pho nie-Orches ter Ber lin. Auf ihn war ten neben dem Sibelius-Zyklus<br />
mit den Göteborgern spannende Projekte mit dem Tampere<br />
Phil har mo nic Orches tra nahe sei ner Hei mat in Finn land, das er seit<br />
2013 als Chef lei tet. Und regel mä ßig ist er in Lon don zu erle ben, als<br />
Erster Gastdirigent des Philharmonia Orchestra. Eine Gemeinsamkeit<br />
zwi schen ihm und Jean Sibe li us, dem Kom po nis ten, der ihn so fas ziniert,<br />
ver rät Sant tu-Mati as Rou va li zum Schluss noch: „Wir ver schwinden<br />
bei de manch mal – und kei ner weiß, wo wir sind.“ In den sozia len<br />
Netz wer ken muss man den Diri gen ten jeden falls nicht suchen. „Ich<br />
weiß nicht, wie Face book funk tio niert, was soll ich da?“ Er sei eben<br />
der simp le Typ. Jemand, der sich nicht in die Zukunft träu me, son dern<br />
sehr dank bar und zufrie den im Hier und Jetzt sei. Mit unkom pli zierten<br />
Men schen um sich her um und am liebs ten mit bei den Bei nen fest<br />
auf dem Boden. Wahr schein lich also wird man Sant tu-Mati as Rou va li<br />
drau ßen fin den, auf sei nen Fel dern. Beim Jagen oder<br />
Fischen. Oder mit einem Bier in der Sau na. n<br />
Sibelius: „Symphony No. 1“, Gothenburg Symphonic Orchestra,<br />
Santtu-Matias Rouvali (Alpha);<br />
siehe auch „Empfehlungen von Attila Csampai“, Seite 32<br />
28 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
29<br />
FOTO: MARCO BORGGREVE
K Ü N S T L E R<br />
Der Himmel voller Harfen<br />
Die französische Harfenistin Anaïs Gaudemard hat eine sehr innige<br />
und körperliche Beziehung zu ihrem Instrument. Und immer entfacht sie ein<br />
wahres Feuerwerk – egal, ob mit Alter und Neuer Musik.<br />
VON STEFAN SELL<br />
FOTO: NICOLAS MIGNANI<br />
Mit einem Gewicht von 39 Kilo, einer Höhe von<br />
1,85 Metern, 47 Saiten, 7 Pedalen und einer Zugkraft<br />
von bis zu 2 Tonnen ist die Harfe ein Schwergewicht.<br />
Obwohl sie ein biblisches Instrument ist – weiß<br />
Gott, sie ist älter als die Bibel selbst –, ist sie in ihrer heutigen Form<br />
eines der jüngsten Soloinstrumente im Konzertsaal. Mit Anaïs Gaudemard<br />
leuchtet ihr ein neuer Stern. Hatte die himmlische Harfe bisher<br />
Töne verborgen – Anaïs Gaudemard lockt sie hervor. Sie zählt<br />
jetzt schon zu den besten und gefragtesten Harfenistinnen der Welt.<br />
„Ich bin von der Harfe richtig begeistert!“, schwärmt die Französin.<br />
„Ich will ihr Klangspektrum erweitern wie auch ihr Repertoire.<br />
Ich spüre die Vibrationen, ihren Klang in meinem Körper. Dieser<br />
intime Kontakt ist der Grund, weshalb ich die Harfe gewählt habe.“<br />
Gaudemard scheut keine Herausforderungen, sei es bezüglich des<br />
Schwierigkeitsgrads oder der Divergenz ihres Repertoires. „Wir müssen<br />
uns verschiedenen Stilen nähern, da wir keine markanten Schaffensperioden<br />
haben, auf die wir uns spezialisieren können.“<br />
So arbeitet sie mit zeitgenössischen Komponisten wie Camille<br />
Pépin, Tristan Murail und Philippe Hersant zusammen, dessen Werk<br />
Bamyan als letzter Track auf ihrer Solo-CD eine Offenbarung ist. Die<br />
Harfe imaginiert hier ein verschwundenes Afghanistan: Klänge orientaler<br />
Ornamentik wie von Tambur, Tabla, Glockentönen, Klavier oder<br />
Gitarre – Gaudemard parliert bravourös in allen Farbnuancen.<br />
Mit acht Jahren begann sie, keltische Harfe zu spielen, die kleiner<br />
ist und weniger Saiten hat. Bereits mit elf zupfte sie die Doppelpedalharfe.<br />
Mit 20 erhielt die heute 27-Jährige den ersten Preis des<br />
„Internationalen Harfenwettbewerbs“ in Israel und ist für die aktuelle<br />
Saison 2018/<strong>19</strong> als „ECHO Rising Star“ ausgelobt. Das bedeutet: Weltweit<br />
bieten ihr die großen Konzerthäuser und Orchester ein Podium.<br />
Auch Carl Philipp Emmanuel Bach steht auf ihrem Programm. „Ich<br />
liebe dieses Solo für die Harfe von Bach sehr! Es ist tatsächlich das<br />
einzige Stück der Bachfamilie für Soloharfe – ein wunderschönes<br />
Geschenk und wahrscheinlich das erste Werk für Soloharfe.“<br />
Newcomer<br />
AnaÏs<br />
Gaudemard<br />
Eine ganz eigene Besonderheit hält Murray Schafers<br />
The Crown of Ariadne bereit: Neben der Harfe muss ein ganzes<br />
Schlagwerk bedient werden: „Ja, ich habe das Stück gespielt<br />
und damals in Israel neben dem anderen Preis 2012 den ‚Spezialpreis<br />
für die beste Interpretation‘ dafür bekommen. Ein sehr guter<br />
Freund hat mir geholfen, Percussion zu lernen. Man hat einen Tisch<br />
zur Rechten und einen zur Linken, eine Menge Schlaginstrumente<br />
und muss beides gleichzeitig spielen. Dieses Stück werde ich auf<br />
jeden Fall auch für CD einspielen.“<br />
Und wie hat sich ihr Auftritt im Januar in der Elbphilharmonie<br />
angefühlt? „Einfach unglaublich! Es geht dort enorm professionell<br />
zu, das Publikum ist den Musikern gegenüber so respektvoll, so<br />
wertschätzend. Mich hat nicht nur die Klangqualität der beiden<br />
Konzertsäle begeistert – ich war beeindruckt vom ganzen Ablauf,<br />
dem Backstage-Bereich, den erstaunlich jungen, engagierten Mitarbeitern<br />
und dachte, die Deutschen verstehen einfach viel von<br />
klassischer Musik. Es hat etwas Natürliches, etwas Selbstverständliches,<br />
so wie in ein gutes Restaurant zu gehen. Das gefällt mir.“<br />
Selbst eine Legende, die ebenso früh wie Gaudemard anfing<br />
Harfe zu spielen, ist Henriette Renié. Ihr Werk Légende pour harpe,<br />
nach einem Elfengedicht von Leconte de Lisle, eröffnet Gaudemards<br />
Soloalbum filmmusikreif. „Ladies first!“, lacht Gaudemard. „Sie ist<br />
eine absolute Größe des Harfenspiels – die beste Harfenistin, die<br />
beste Komponistin und beste Lehrerin in ihren Reihen. Doch durfte<br />
sie, weil sie eine Frau war, nicht am Konservatorium unterrichten.<br />
Das ist einfach beschämend.“<br />
Ihre Wünsche für die Zukunft? „Eine Menge Aufträge, viele<br />
neue Alben und …“ – sie lacht – „… diese ‚ECHO-<br />
Rising-Star‘-Geschichte jedes Jahr fortsetzen zu<br />
können. Ich liebe es, als Solistin auf großer Bühne<br />
zu sein!“<br />
■<br />
Bach, Fauré u. a.: „Solo“, Anaïs Gaudemard (harmonia mundi)<br />
30 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
HÖREN & SEHEN<br />
Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz<br />
Attila Csampais Auswahl (Seite 32)<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören?<br />
Kein Problem: Auf www.crescendo.de finden Sie unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören!<br />
Andreas Ottensamer<br />
Wunderbare Schwerelosigkeit<br />
ORCHES-<br />
TER<br />
Das Cover von Andreas Ottensamers neu er CD ver rät nicht viel dar über, was sich dar auf ver birgt. Nur<br />
dass er groß ar ti ge Musi ker an sei ner Sei te hat: die Ber li ner Phil har mo ni ker unter Mariss Jan sons und die<br />
Pia nis tin Yuja Wang. „Blue Hour“, so ist es beti telt, und eben jene „blaue Stun de“, die beson de re Zeit<br />
zwi schen Son nen un ter gang und dem Ein bruch der nächt li chen Fins ter nis, inspi riert schon seit Ewig kei ten<br />
Sehn süch ti ge und Krea ti ve jeder Art. Die se Atmo sphä re scheint tat säch lich greif bar, der Titel offen sichtlich,<br />
wenn man Otten sa mers war men, gefühl voll gestal te ten Phra sen lauscht. Die Kla ri net te war Carl<br />
Maria von Webers Lieb lings in stru ment. Sei nem berühm ten Ers ten Kla ri net ten kon zert und dem Grand<br />
Duo con cer tant für Kla ri net te und Kla vier hat Otten sa mer teils von ihm selbst arran gier te Wer ke von<br />
Brahms und Men dels sohn zur Sei te gestellt. Mit wun der ba rer Schwe re lo sig keit und gro ßer Natür lich keit<br />
„gesun gen“ ist jedes ein zel ne Werk die ser Auf nah me ein Genuss. SK<br />
Weber, Brahms, Mendelssohn: „Blue Hour“,<br />
Andreas Ottensamer, Yuja Wang, Berliner<br />
Philharmoniker, Mariss Jansons (DG)<br />
FOTO: STEFAN HÖDERATH<br />
31
H Ö R E N & S E H E N<br />
Empfehlungen von Attila Csampai<br />
LEIDENSCHAFTLICHE JUNGE MUSIKER<br />
... sind für unseren Chefrezensenten die Vorboten des Frühlings.<br />
MOZART: KLAVIERSONATEN VOL.1,<br />
KV 332, 281, 331, 570<br />
Jean Muller (Hänssler)<br />
Track 2 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Allegro assai.<br />
Aus: Klaviersonate Nr. 12 F-Dur KV 332<br />
Der Luxemburger Pianist Jean Muller hat<br />
Mozarts Sonaten mehrfach öffentlich aufgeführt,<br />
bevor er seinen CD-Zyklus startete. Der 33-Jährige ist ein<br />
penibler, intelligenter Interpret, der zuletzt durch seine spannende<br />
Einspielung der Bachschen Goldberg-Variationen weltweit für Aufsehen<br />
sorgte. Mit ähnlicher Detailgenauigkeit und auflärerischer<br />
Klarheit durchleuchtet er auch Mozarts komplexe Sonatenwelt in<br />
zwei mittleren, einer frühen und einer späten Arbeit und stellt sie<br />
mit flotten Tempi und prägnanter Artikulation auf eine Stufe mit<br />
den Klavierkonzerten. Seine glasklare, lebendig pulsierende Stimmführung<br />
lässt zwar das hohe dramatische und gesangliche Potenzial<br />
von Mozarts diskontinuierlicher Kompositionstechnik durchscheinen,<br />
doch unterwirft er alle Theatralik einer klassizistischen, rationalen<br />
Kontrolle. Mullers Mozart ist hellwach, frisch und heiter,<br />
kennt keine Wehleidigkeit und keine falsche Gefühligkeit: So entfesselt<br />
er in der F-Dur-Sonate KV 332 Mozarts sprühenden Einfallsreichtum,<br />
während er in der berühmten A-Dur-Sonate KV 331 den<br />
einleitenden Variationensatz als Folge beseelter Charakterbilder<br />
ausweist. Lediglich die hochdramatische, bereits von dunklen<br />
Impulsen getrübte späte B-Dur-Sonate gerät ihm etwas zu neckisch.<br />
Trotzdem ist es ein äußerst profilierter, über weite Strecken fesselnder<br />
Einstieg in Mozarts Sonatenkosmos.<br />
MOZART, SAINT-SAENS, TSCHAIKOWSKY:<br />
WERKE FÜR 2 KLAVIERE<br />
Klavierduo Glemser (organo phon)<br />
Obwohl Mozart mit seinen Schülerinnen gern<br />
vierhändig und an zwei Flügeln spielte, komponierte<br />
er nur eine Sonate für zwei Klaviere KV<br />
448 und schuf damit ein Gipfelwerk der Gattung.<br />
Das 2010 in Würzburg gegründete Klavierduo Glemser hat<br />
sein Debütalbum mit dieser „Oper in der Glaskugel“ eingeleitet<br />
und damit eindringlich seine Sensibilität und Kompetenz für<br />
Mozarts theateraffine Kompositionstechnik unterstrichen. Das<br />
junge Ehepaar Franziska und Florian Glemser agiert auf zwei Steingräber-Flügeln<br />
wie ein quicklebendiges Wesen mit vier Händen.<br />
Selten klangen Mozarts orchestrale Strukturen so jugendlich frisch,<br />
drängend, impulsreich und präzis wie bei diesem traumwandlerisch<br />
harmonierenden Duo. Mit derselben rhythmischen Perfektion,<br />
Klarheit und virtuosen Brillanz meistern die beiden auch Saint-<br />
Saëns’ selten gespielte Variationen über ein Thema aus Beethovens<br />
Klaviersonate op. 31, 1. Und zum guten Ende gibt’s noch die märchenhaft-sensible<br />
Duo-Version von Tschaikowskys Nussknacker<br />
Suite in der Bearbeitung von Nicolas Economou.<br />
VIVALDI: LE QUATTRO STAGIONI OP. 8, 1–4<br />
I Solisti Aquilani, Daniele Orlando (muso)<br />
Von Vivaldis Konzertzyklus Die Vier Jahreszeiten<br />
gibt es unzählige gute Einspielungen, und<br />
doch gelingt es hochmotivierten jungen Ensembles<br />
immer wieder, neue Akzente zu setzen. Seit<br />
dem Siegeszug der historischen Aufführungspraxis<br />
geht es auch immer weniger um vordergründige Streichervirtuosität,<br />
sondern um das suggestive Umsetzen des einzigartigen<br />
Reichtums an neuen Ideen und Klangfarben in diesem fantastischen<br />
Bilderbogen. Das renommierte italienische Kammerensemble I<br />
Solisti Aquilani hat unter der Leitung seines jungen Konzertmeisters<br />
Daniele Orlando Vivaldis Naturspektakel in einer hochdramatischen,<br />
die wechselnden Stimmungen extrem ausreizenden Version<br />
wiederbelebt und dabei radikalhistorische Klarheit mit dem rhythmischen<br />
Drive des 21. Jahrhunderts zu einem aufregenden, zwischen<br />
Vulkanismus und spiritueller Schönheit wechselnden Hörfilm verdichtet.<br />
Da das 16-köpfige Solistenkollektiv den Zyklus als Naturschauspiel<br />
quasi im Zeitraffer durchmisst, hat der Produzent gleich<br />
zwei komplette Aufführungen des Viererpacks auf die CD gepackt,<br />
wobei der zweite Durchgang noch wilder und energischer gerät: ein<br />
referenzverdächtiger Doppelpack in audiophiler Transparenz.<br />
JEAN SIBELIUS: SYMPHONIE NO 1, EN SAGA<br />
Gothenburg Symphony, Santtu-Matias Rouvali<br />
(Alpha)<br />
Jean Sibelius wird bis heute unter Wert gehandelt.<br />
Das mag an Adornos abschätzigem Urteil<br />
liegen, aber gewiss auch seiner eigenwilligen<br />
Musiksprache, die sich der deutsch-österreichischen<br />
Tradition weitgehend verweigert. Ein Musterbeispiel für Sibelius’<br />
„finnische“ Ästhetik bildet seine Erste Sinfonie, die trotz Einflüssen<br />
von Tschaikowsky und Borodin sein eigenes sinfonisches<br />
Profil energisch unterstreicht: Der junge finnische Dirigent Santtu-<br />
Matias Rouvali hat sie mit den traditionsreichen Göteborger Symphonikern,<br />
die er seit Kurzem als Chef leitet, in einer hochdrama-<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
32 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
IMPRESSUM<br />
tischen, geradezu vulkanisch brodelnden Interpretation eingespielt<br />
und sich so mit Nachdruck als neuer Hoffnungsträger der finnischen<br />
Dirigentenschule positioniert. Obwohl Sibelius selbst in diesem<br />
bildmächtigen Werk jeglichen programmatischen Bezug abgewiesen<br />
hatte, entfesselt der 33-jährige Rouvali ein elektrisierendes Wechselspiel<br />
von Ruhe und emotionalen Schüben, die eine opernhafte,<br />
vor Energie berstende Szenerie ohne eigentliche Handlung evozieren,<br />
also ein genuin „sinfonisches“ Drama von archaisch-elementarer<br />
Kraft. Damit aber übertrifft er sogar die alten Referenzen wie<br />
Bernstein, Jansons oder Maazel an Intensität, Präzision und finnischem<br />
Lebensgefühl. Ähnlich detailgenau und spannungsgeladen<br />
dirigiert er auch die frühe sinfonische Dichtung En Saga, die ebenfalls<br />
aus alten finnischen Mythen schöpft.<br />
JACQUES OFFENBACH: COLORATURE<br />
Jodie Devos, Münchner Rundfunkorchester,<br />
Laurent Campellone (Alpha)<br />
Track 12 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Cachons l’ennui<br />
de mon ame. Aus: Fantasio<br />
Von über 100 Bühnenwerken Jacques Offenbachs,<br />
des Königs der französischen Operette,<br />
werden heute nur noch wenige gespielt. Allein seine späte Oper<br />
Hoffmanns Erzählungen konnte sich dauerhaft im Repertoire halten.<br />
Dieser missliche Umstand brachte die belgische Sopranistin Jodie<br />
Devos auf die Idee, mithilfe des akademischen Forums Palazzetto<br />
Bru Zane eine Auswahl von 15 Koloraturarien aus zwölf weitgehend<br />
vergessenen Operetten Offenbachs zu einem höchst unterhaltsamen<br />
und virtuosen Höhenflug zu bündeln und so den verführerischen<br />
Charme dieser Preziosen neu zu beleben. Mit ihrem glockenreinen,<br />
hellen und fein fokussierten Sopran hat der 30-jährige Rising Star<br />
die idealen Voraussetzungen für diesen stets leichtfüßigen, schwebenden,<br />
virtuos-luftigen Gesangsstil, der auch nach 150 Jahren<br />
nichts eingebüßt hat von seiner prickelnden Eleganz und seiner<br />
unwiderstehlichen Anziehungskraft. Den Höhepunkt des Albums<br />
bildet das weltberühmte Couplet der Puppe Olympia aus der unvollendeten<br />
Hoffmann-Oper, in dem Offenbach bereits den trügerischen<br />
Zauber dieser „mechanischen“ Kunstform spöttisch karikiert. Hier<br />
würzt die hinreißende Mme Devos die vorgegebenen Koloraturen<br />
noch mit eigenen Zutaten. Das Münchner Rundfunkorchester unter<br />
Laurent Campellone sekundiert grandios, trocken und spritzig.<br />
WESTERN MOODS<br />
Ensemble Esperanza (ARS)<br />
Das erst vor drei Jahren gegründete, in Liechtenstein<br />
ansässige Ensemble Esperanza erntete<br />
bereits mit seinen ersten beiden, dem Süden und<br />
dem Norden Europas gewidmeten Alben großen<br />
Zuspruch. Das international mit jungen Talenten<br />
besetzte Streicherensemble bestach auf Anhieb durch seine plastisch-warme,<br />
sinnliche Klangkultur und durch sein homogenes,<br />
stets ausdrucksstarkes Spiel. Unter der Leitung der französischen<br />
Topgeigerin Chouchane Siranossian hat es jetzt den Blick nach Westen,<br />
über den Atlantik, gerichtet und wieder ein extravagantes elfteiliges<br />
Programm mit Werken des 20. Jahrhunderts aufgelegt, die<br />
das heterogene Kulturklima der USA eher meditativ und nachdenklich<br />
verarbeiten, so etwa in Aaron Jay Kernis’ neoromantischer<br />
Musica Celestis, die das 18-köpfige Ensemble mit herzzerreißender<br />
Intensität beschwört, oder auch das wunderbar innige Adagio for<br />
Strings von Samuel Barber zum Schluss. Dazwischen aber lässt es<br />
seine elektrisierende Virtuosität in Rockklassikern wie Hendrix’<br />
Purple Haze oder dem dämonischen Stones-Song Sympathy for the<br />
Devil aufblitzen, die der Schweizer Saxofonist Daniel Schnyder spektakulär<br />
für Streicher arrangiert und mit jazzigen Improvisationen<br />
angereichert hat. Da die Tonmeister wieder eine hautnahe und großformatige<br />
Klangbühne gezaubert haben, kann man sich dem geballten<br />
Klangfuror dieser Wundertruppe kaum entziehen.<br />
VERLAG<br />
Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München<br />
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HERAUSGEBER<br />
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LEITENDE REDAKTEURIN<br />
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RESSORT „SCHWERPUNKT“<br />
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RESSORT „STANDARDS”<br />
Klaus Härtel | haertel@crescendo.de<br />
RESSORT „KÜNSTLER“ UND „LEBENSART“<br />
Barbara Schulz | schulz@crescendo.de<br />
SCHLUSSREDAKTION<br />
<strong>Mai</strong>ke Zürcher<br />
KOLUMNISTEN<br />
Axel Brüggemann, Paula Bosch, Attila Csampai (AC), Ioan Holender,<br />
Daniel Hope, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)<br />
MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />
Florian Amort (FA), Roland H. Dippel (DIP), Alexander Fischerauer (AF),<br />
Verena Fischer-Zernin, Julia Hartel (JH), Klaus Kalchschmid (KLK), Sina Kleinedler (SK),<br />
Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Guido Krawinkel (GK), Jens F. Laurson (JFL),<br />
Anna Novák, Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Fabian Stallknecht (FS),<br />
Mario-Felix Vogt (MV), Dorothea Walchshäusl (DW), Walter Weidringer (WW)<br />
VERLAGSREPRÄSENTANTEN<br />
Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />
Kulturbetriebe: Dr. Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de<br />
Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de<br />
Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de<br />
AUFTRAGSMANAGEMENT<br />
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Nr. 22 vom 09.09.2018<br />
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33
H Ö R E N & S E H E N<br />
SOLO<br />
Fazil Say<br />
Alle Schattierungen<br />
des Klavierspiels<br />
Fazil Say, der auch als Bür ger recht ler aktiv ist und<br />
sich für Men schen rech te ein setzt, schenkt sei ner<br />
Musik the ma ti sche Hin ter grün de, aus denen sie dann<br />
her vorzupul sen scheint. Die Tro ja-Sona te, das Herzstück<br />
die ser CD, hat Say für die tür ki sche Pro vinz<br />
Çan ak ka le, in der Tro ja einst lag, im Rah men des<br />
„Tro ja ni schen Jah res“ geschrie ben. Sie zeigt in zehn<br />
Sät zen, einem Kalei do skop glei chend, die dra ma tische<br />
Legen de des Tro ja ni schen Krie ges als Pola ri sati<br />
on dop pel bre chen der Kris tal le. Say don nert, jagt,<br />
wir belt, rockt, als säße Keith Emer son am Flü gel,<br />
schwebt mit sanft zar ten Berüh run gen über die Tasten,<br />
ja, reißt den Him mel auf und lässt das ein fallen<br />
de Licht alle Far ben und Schat tie rungen des Klavier<br />
spiels offen ba ren: ein wah rer Meis ter sei nes<br />
Fachs, der eben so zu kom po nie ren weiß. Sein neu estes<br />
Werk ist mit rei ßend, auf wüh lend und bewegt<br />
zugleich ganz tief. SELL<br />
„Troy Sonata“, Fazil Say plays Say (Warner)<br />
FOTO: MARCO BORGGREVE<br />
Ratas del viejo Mundo<br />
Wunderliche Stimmen<br />
aus dem Mittelalter<br />
Die ori gi nal in stru men tier ten „Rat ten aus der Alten<br />
Welt“ huschen auf ihrem zwei ten Album „Osses so“<br />
(Obses si on) durch eine Rei he von ita lie ni schen<br />
Motet ten und Volks mu sik der Renais sance. Der<br />
Ansatz der Grup pe um Flo ris de Rycker ist modern<br />
(Gesu al do wird im holp rig über setz ten Book let u. a.<br />
mit Sid Vicious von den Sex Pis tols gleich ge setzt)<br />
und das Resul tat dadurch para do xer wei se his to rischer<br />
bzw. wei ter von unse rer Welt ent fernt, als wir<br />
das von irgend wel chen bra ven Ori gi nal klan g-Ensembles<br />
gewöhnt sind. Die Instru men te – u. a. Psalte<br />
ri um, Kan klės und mit tel al ter li che Lau te – sind<br />
dem Ohr nicht so geläu fig, und die indi vi dua lis tischen,<br />
durch aus etwas eige nen Inter pre ta tio nen<br />
loten voka le und har mo ni sche Grenz be rei che aus.<br />
Gera de zu ara bisch und afri ka nisch kom men einem<br />
man che Pas sa gen zum Bei spiel fri au li scher Volks musik<br />
vor. Der hal li ge Klang in der goti schen Kir che des<br />
Ört chens Mon tréal-du-Gers, tief in den Wein ber gen<br />
des Arma gnac gele ge n, umschwelgt das Ohr atmosphä<br />
risch, als säße das Ensem ble auf dem Grund<br />
einer Zis ter ne. Aber das passt: So exo tisch hat man<br />
Orlan do di Las so, Vin cen zo Gali lei u. a. noch nie<br />
gehört. JFL<br />
ALTE<br />
MUSIK<br />
„Ossesso“, Ratas del viejo Mundo,<br />
Floris de Rycker (Ramée)<br />
Track 7 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />
Giunto alla tomba von Giaches<br />
de Wert<br />
Hans-Christoph Rademann<br />
Sinnesfreude<br />
Die se Hoch zeits mu si ken sind ein „Who is<br />
Who“ der Resi den zen zwi schen Els ter und<br />
Elbe. Feu da le Paa re wie Mag da le na Sibyl la von<br />
Sach sen und Fried rich Wil helm von Sach sen-<br />
Alten burg gehör ten zu den Adres sa ten wie<br />
auch Schütz’ Bru der Georg und des sen Braut<br />
Anna Gro ße in Leip zig. In Kür ze voll endet<br />
sich die auf 21 CDs pro jek tier te Edi ti on von<br />
Hein rich Schütz’ Gesamt werk, in der Hans-<br />
Chris toph Rade mann den Kom po nis ten an<br />
der Schwel le zum Barock von sei nem pompös-<br />
düs te ren Image befrei en will. Das gelingt<br />
ihm mit den glän zen den Inter pre ten, weil er<br />
die kur zen Stü cke und Madri ga le wie Ach, wie<br />
soll ich doch in Freu den leben mit Genau ig keit<br />
und dabei fle xi bler Trans pa renz zum Klin gen<br />
bringt. Zügig geat me te Bewe gung und wache<br />
Klar heit revi die ren das Bild von Hein rich<br />
Schütz tat säch lich: Aus den Wer ken spricht<br />
eine gegen die Kata stro phen des Drei ßig jähri<br />
gen Krie ges gerich te te Daseins- und Sin nenfreu<br />
de. DIP<br />
Track 10 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />
Saget den Gästen SWV 459<br />
Heinrich Schütz: „Madrigale<br />
& Hochzeitsmusiken“,<br />
Dorothee Mields, Isabel<br />
Schicketanz, David Erler<br />
u. a., Dresdner Kammerchor<br />
und Instrumentalisten,<br />
Hans-Christoph Rademann<br />
(Carus)<br />
ORCHES-<br />
TER<br />
Beethoven Orchester Bonn<br />
Kraft ohne Pathos<br />
Keine Hörspielkurzfassung, sondern eher<br />
eine neue, freier assoziierende Verbindung<br />
von Beethovens Schauspielmusik mit<br />
Goethes Freiheitsdrama „Egmont“ ist hier<br />
zu erleben – und trotz Studiobedingungen<br />
stellt sich so etwas wie Theateratmosphäre<br />
ein. Dirk Kaftan verschießt mit<br />
dem historisch informiert spielenden<br />
Beethoven Orchester Bonn nicht alles<br />
Pulver schon in der Ouvertüre, sondern<br />
spannt einen Bogen: in nie verschleppten<br />
Tempi, mit guter Klangbalance und lebendigen,<br />
dynamisch differenzierten Details.<br />
Olga Bezsmertna verleiht dem Klärchen<br />
kämpferischen Mut, und Matthias Brandt<br />
lässt das Heldenpathos hinter sich, das<br />
anno dazumal ein Klausjürgen Wussow<br />
(unter Szell) donnern ließ: Er bewegt<br />
stattdessen als intellektueller und zugleich<br />
menschlich nahbarer Egmont – wobei die<br />
kluge Textauswahl über dessen Partie hinausgeht:<br />
„Ein Volk wird nicht alt, nicht<br />
klug, ein Volk bleibt immer kindisch.“ WW<br />
Ludwig van Beethoven: „Egmont“, Matthias Brandt,<br />
Olga Bezsmertna,<br />
Beethoven Orchester<br />
Bonn, Dirk Kaftan (MDG)<br />
Track 4 & 5 auf der<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />
Egmont op. 84. Nr. 8<br />
Melodram & Ich hab<br />
geträumt!<br />
34 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Emöke Baráth<br />
Ahnfrau aller Maestre<br />
Sie ist erstaun li cher wei se noch immer ein Geheim tipp: Die 16<strong>19</strong> in<br />
Vene dig gebo re ne Bar ba ra Stroz zi hat te nicht nur eine bei na he hol lywoodkom<br />
pa ti ble Vita, sie war auch die ers te Berufs mu si ke rin der<br />
Geschich te, die Ahn frau also aller Maes t re, die seit dem kom po nie rend<br />
oder diri gie rend ins Ram pen licht getre ten sind. Ihre Musik ist vol ler<br />
Emo ti on, Aus druck und Far ben und trotz der hör ba ren Ein flüs se von<br />
Clau dio Mon te ver di und ihres Leh rers Fran ces co Caval li von star ker<br />
künst le ri scher Eigen stän dig keit geprägt. Die unga ri sche Sopra nis tin<br />
Emö ke Baráth wid met ihr und eini gen männ li chen Zeit ge nos sen die ses<br />
rund her um geglück te Debüt al bum. Der Titel „Voglio Cantar“ könn te<br />
kaum pas sen der gewählt sein. Die pure Lust am Sin gen über setzt sich in<br />
jedem Ton. Die sam tig-sinn li che Stimm far be, der<br />
kul ti vier te Vor trag und die leben di ge Text behand<br />
lung fes seln und begeis tern. FS<br />
Brabara Strozzi, Biagio Marini, Antonio Cesti u. a.: „Voglio<br />
Cantar“, Emöke Baráth, Il Pomo d’Oro, Francesco Corti<br />
(Erato)<br />
GESANG<br />
Ruth Willemse<br />
Natur als Spiegel der Seele<br />
Edward Elgars Sea Pic tures, Gus tav Mah lers Rück ert-Lie der und Richard<br />
Wag ners Wesen donck-Lie der – all die se gro ßen Lied wer ke ver bin det ein<br />
über ge ord ne tes Sujet: die Natur als Spie gel bild mensch li cher Emp findun<br />
gen. Angst und kal te Stür me, ein tosen des Meer, kar ge Land schaften,<br />
Son nen strah len als fer ne Hoff nungs schim mer. Mit die ser schier<br />
end lo sen Palet te von Gefüh len beschäf tigt sich die hol län di sche Mez zoso<br />
pra nis tin Ruth Wil lem se auf ihrem Album „Whe re Corals Lie“. Mit<br />
einem strah len den, aber kraft vol len Klang ver mag sie es, dem Hörer<br />
die Gefühl sach ter bahn der drei Kom po nis ten näher zu brin gen. Vital Stahie<br />
vitch, der seit 2005 ihr Duopart ner ist, zeigt sich als groß ar ti ger<br />
Lied be glei ter. Bei de ver mö gen gro ße Span nungs bö gen zu zeich nen und<br />
den indi vi du el len Eigen hei ten der doch sehr<br />
unter schied li chen Kom po nis ten gerecht zu werden.<br />
Das Ergeb nis ist ein wun der ba res Wech selbad<br />
der Gefüh le. SK<br />
Edward Elgar, Gustav Mahler, Richard Wagner: „Where Corals<br />
Lie“, Ruth Willemse, Vital Stahievitch (Etcetera)<br />
OPER<br />
Xavier Sabata<br />
Prunk<br />
und Sanftmut<br />
Alex an der der Gro ße war eine belieb te<br />
his to ri sche Figur der Barock oper: nicht<br />
nur als küh ner Feld herr, son dern auch in<br />
der Rol le des Lieb ha bers. Xavier Saba ta<br />
zeigt alle die se Facet ten – und wech selt<br />
aus Stimm la ge grün den auch mal zu einer<br />
ande ren Figur in die sem schö nen, anregen<br />
den Quer schnitt durch Alex an der-<br />
Opern von Hän del, Fran ces co Man ci ni,<br />
Leo nar do Vin ci, Leo nar do Leo u. a. Den<br />
legen dä ren gor di schen Kno ten wür de<br />
Saba ta gewiss nie mals mit schar fer<br />
Stimm klin ge zu durch schla gen ver suchen,<br />
son dern trotz sei ner vir tuo sen<br />
Kolo ra tur ge läu fig keit viel lie ber in Sanftmut<br />
und Wohl klang aufl ö sen wol len.<br />
Den außer or dent lich direkt auf ge nomme<br />
nen, aber den noch nicht künst lich<br />
ver grö ßert wir ken den Coun ter te nor<br />
des Kata la nen bet ten Dani Espa sa und<br />
sein Ensem ble Ves p res d’Arnadí hier auf<br />
forsch-fröh lich auf ge schüt tel te, dort hinge<br />
gen zärt lich glatt gestri che ne Kis sen<br />
und prun ken zuletzt in Nico la Por po ras<br />
Poro mit Saba ta<br />
um die Wet te.<br />
WW<br />
„L’Alessandro amanto“,<br />
Xavier Sabata, Vespres<br />
d’Arnadí, Dani Espasa<br />
(Aparte)<br />
Track 11 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Chiare faci al<br />
di cui lume. Aus: L’Euleo festeggiante von Giovanni<br />
Battista Bononcini<br />
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
Friedrich Kleinhapl<br />
Großmeisterlicher Humor<br />
Es war ein kal ku lier ter Tabu bruch: das Kon zert für Vio lon cel lo und Blas or ches ter von Fried rich<br />
Gul da. Um Kon ven ti on und Tra di ti on scher te sich der Musi ker einen feuch ten Keh richt und<br />
ver meng te mun ter das, was nach Mei nung des Estab lish ments nicht zusam men ge hört: U- und<br />
E-Musik, Gen res und Sti le jeg li cher Cou leur. Her aus ge kom men ist dabei ein wun der sa mer Mix,<br />
ein höchst ver gnüg li cher oben drein. Der Cel list Fried rich Klein hapl spielt die se offen sicht li che<br />
Pro vo ka ti on mit größ ter Lust, der Wie ner Con cert-Ver ein sekun diert mit eben sol cher. Famos!<br />
Auch die für die Kom bi na ti on Blas or ches ter und Cel lo arran gier ten Stü cke aus diver sen Sui ten<br />
Dmi tri Schosta ko witschs machen unge mein Lau ne. Fabel haft! Der subver<br />
si ve Humor die ser Stü cke und die Revo luz zer at ti tü de Gul das – die se<br />
„Begeg nung zwei er Groß meis ter des musi ka li schen Humors“, so Kleinhapl,<br />
macht Lust auf mehr. Gran di os! GK<br />
Friedrich Gulda, Dmitri Schostakowitsch: „Gulda meets Shostakovitch“, Friedrich Kleinhapl,<br />
Wiener Concert-Verein, Rudolf Piehlmayer (Ars)<br />
FOTO: GABRIELE MOSER<br />
35
H Ö R E N & S E H E N<br />
SOLO<br />
Hauschka<br />
Naturerkundungen<br />
„In ,A Diffe rent Forest‘ beschäf ti ge ich mich mit dem Wald als Natur raum und Kontrast<br />
zum städ ti schen All tag; zu mei nem Lebens raum“, erklärt der Düs sel dor fer Pianist<br />
Hausch ka den pro gram ma ti schen Hin ter grund sei nes aktu el len Albums. Erst mals<br />
hat der vor zwei Jah ren für den Oscar nomi nier te Künst ler bei die ser CD auf die Präpa<br />
ra ti on sei nes Flü gels ver zich tet und nutzt den natür li chen Kla vier klang für sei ne<br />
neo ro man ti schen Natur er kun dun gen; die klin gen mal nach Mini mal Music und mal<br />
nach den schwe ben den Klang ge bil den islän di scher Pop künst ler wie Björk oder Sigur<br />
Rós. „A Diffe rent Forest“ bie tet eine klang lich ver füh re ri sche Traum welt, um dem<br />
All tag zu ent flie hen, aller dings klin gen vie le Stü cke auf Dau er recht ähn lich. Ein bisschen<br />
mehr Sper rig keit und Wag nis hät te das Album durch aus ver tra gen kön nen. MV<br />
Hauschka:<br />
„A Different<br />
Forest“<br />
(Sony)<br />
FOTO: GREGOR HOHENBERG<br />
Hermine Haselböck<br />
Vergessene<br />
Komponistinnen<br />
LIED<br />
Die Musik: Für ihn ein Beruf, für sie „stets nur Zierde,<br />
nie mals Grund bass“ ihres „Seins und Tuns“ – das<br />
bekam Fan ny Men dels sohn Bar thol dy vom Vater zu<br />
hören – viel leicht auch die hier gewür dig ten Kom ponis<br />
tin nen Val ly Weigl (1894–<strong>19</strong>82), Char lot te Schlesin<br />
ger (<strong>19</strong>09–<strong>19</strong>76), Vítězsla va Kaprál o vá (<strong>19</strong>15–<br />
<strong>19</strong>40) und Hen riët te Bos mans (1895–<strong>19</strong>52). „Ver bote<br />
ne Klän ge“, wie es im Titel des Book lets heißt,<br />
schu fen sie nicht, auch wenn ihr Leben von Exil und<br />
Flucht geprägt war. Ihr Lied- und Kam mer mu sikschaffen<br />
ist rück wärts ge wandt, mit Blick auf die<br />
Roman tik und die Jahr hun dert wen de. Nur Kaprálo<br />
vá, die von Bohus lav Mar tinů geför dert wur de,<br />
gelingt in ihrem kur zen Leben eine eige ne Ton sprache,<br />
die tsche chi sche und fran zö si sche Ein flüs se verschmilzt.<br />
Wäh rend Män ner sich der Durch set zung<br />
ihrer Wer ke gewid met hät ten, wand ten sich Schlesin<br />
ger und Weigl der Päd ago gik und Musik the ra pie zu;<br />
ein Grund wohl, wes halb kaum jemand ihre Werke<br />
kennt. TPR<br />
Henriëtte Bosmans, Vally Weigl u. a.:<br />
„Kammermusik & Lieder“, Hermine<br />
Haselböck, Franz Bartolomey,<br />
Clemens Zeilinger (Gramola)<br />
TANZ<br />
Wayne McGregor<br />
Literatur im Tanz<br />
Ein „Mons ter“ nennt Max Rich ter sei ne<br />
Bal lett mu sik Woolf Works, die auf den<br />
Roma nen „Mrs. Dal lo way“, „Orlan do“ und<br />
„The Waves“ von Vir gi nia Woolf basiert.<br />
Fast 700 Sei ten Lite ra tur: eine Rei se in die<br />
fik ti ven Wel ten und das Bewusst sein der<br />
manisch-depres si ven Autorin. In der Highspeed-Cho<br />
reo gra fie von Way ne McGre gor<br />
dre hen und ver ren ken sich die Tän zer in<br />
ihren eli sa be tha ni schen Kos tü men in irr witzi<br />
ger Geschwin dig keit – inmit ten eines<br />
monu men ta len Tri pty chon-Sets aus drei<br />
sich bewe gen den Holz rah men. Dazu Richters<br />
wuch ti ge und zar te Sounds: Mini mal<br />
Music, Ambi ent Pop, Tech no und ein –<br />
elek tro nisch ver frem de tes – spa ni sches<br />
Lied aus dem 16. Jahr hun dert, pas send zu<br />
Wool fs Klas si ker „Orlan do“, jenem androgy<br />
nen Ade li gen, des sen Leben im 16. Jahrhun<br />
dert beginnt und <strong>19</strong>28 endet. Besonders<br />
berüh rend der Moment, als Gil li an<br />
Ander son aus dem Brief liest, den Vir gi nia<br />
kurz vor ihrem Sui zid an ihren Mann<br />
schrieb. TPR<br />
Max Richter: „Woolf<br />
Works“, The Royal Ballet,<br />
Wayne McGregor,<br />
Orchestra of The Royal<br />
Opera House, Koen Kessels<br />
(Opus Arte)<br />
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
Maria Sournatcheva<br />
Früchte einer<br />
Dreiecksbeziehung<br />
Als jun ger Kla vier vir tuo se lern te Johan nes Brahms<br />
1853 Robert und Cla ra Schu mann ken nen. Aus<br />
der Begeg nung ent wi ckel te sich eine tie fe Künstler<br />
freund schaft mit lei den schaft li chen Unter tönen.<br />
Denn Brahms ver lieb te sich hef tig in Cla ra,<br />
deren Fami lie er nach dem psy chi schen Zusammen<br />
bruch Roberts auf op fernd unter stütz te. Welche<br />
musi ka li schen Früch te die se Drei ecks be ziehung<br />
her vor brach te, kann man auf dem Kam mermu<br />
si kal bum „Wid mung“ hören. In der Tra di ti on<br />
der roman ti schen Haus kon zer te bei den Schumanns<br />
spie len die Obo is tin Maria Sour nat che va<br />
und der Pia nist Alek san dr Shai kin inti me Minia turen<br />
der drei Kom po nis ten. Ein fühl sam inter pretiert<br />
das Duo etwa das Lied Wid mung aus dem<br />
Zyklus Myr t hen, den Robert Schu mann sei ner<br />
Braut wid me te. Cla ra schrieb spä ter die Drei<br />
Roman zen op. 22, bei denen die Oboe den<br />
ursprüng li chen Vio lin part über nimmt. Der Freund<br />
des Hau ses steu ert auf die ser CD berüh ren de<br />
Stü cke wie Regen lied op. 59,3, Von ewi ger Lie be und<br />
Ver za gen bei. CK<br />
Johannes Brahms, Clara und<br />
Robert Schumann: „Widmung“,<br />
Maria Sournatcheva, Aleksandr<br />
Shaikin (MDG)<br />
Track 6 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />
Abo-CD: Stille Tränen op. 35, 10<br />
von Robert Schumann<br />
Eleni Karaindrou<br />
Liebe<br />
und Vergebung<br />
SOLO<br />
Die Musik beginnt betö rend sphä risch mit<br />
einem Kla ge ruf in eine unhör ba re Stil le aus<br />
lang atmen den Strei chern hin ein, ein zig aus<br />
dem Inter vall einer klei nen Sekun de bestehend,<br />
der über den bor dun ar ti gen Streicherklän<br />
gen, jen seitsver haf tet, in d-Moll<br />
schwebt, einem Kla ge ruf, dem nur sein Echo<br />
Ant wort zu geben scheint. Klas si sches Streicheren<br />
sem ble ver bün det sich mit tra di tio nell<br />
grie chisch-ori en ta li schem Instru men ta ri um.<br />
Die zen tra len The men der ursprüng lich für<br />
Büh ne und Film geschrie be nen Wer ke sind,<br />
wie die grie chi sche Kom po nis tin Ele ni<br />
Karaind rou sagt, „Lie be, Iden ti tät, Gren zen<br />
und die Dimen sio nen der Ver ge bung“. Als<br />
rei nes Hör erleb nis bedarf ihre Musik kei nes<br />
ande ren Podi ums als das der inne ren Bil der.<br />
Denn das ist die gro ße Kunst Karaind rous,<br />
Musik für Kon tex te zu schaffen, die die<br />
Eigen stän dig keit bekommt, in ein zig ar ti ger<br />
Klang spra che tief grün dig Wesen und Essenz<br />
der Gescheh nis se hör bar wer den zu las sen.<br />
Über alle Gren zen<br />
hin weg ist dies die<br />
Musik der Stun de. SELL<br />
Eleni Karaindrou: „Tous des<br />
oiseaux“ (ECM)<br />
36 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
KAMMER-<br />
MUSIK<br />
FOTO: JULIA WESELY<br />
Felix Klieser<br />
Geteiltes Glück<br />
Mit der Ein spie lung von Mozarts Hornkon<br />
zer ten hat sich Felix Klie ser einen Kindheits<br />
traum erfüllt. Ver schmitzt lächelnd,<br />
joggt er durchs Cover bild sei ner CD –<br />
pas send zum Esprit der Kom po si tio nen, um<br />
die sich man che Anek do te rankt: Mozart<br />
soll haar sträu ben de Spä ße mit sei nem Hornis<br />
ten Joseph Leut geb getrie ben haben.<br />
Schwer zu glau ben ist das nicht. Im Ron do<br />
des Es-Dur-Kon zerts KV 417 hört man die<br />
Gei gen den Solis ten „aus la chen“! Und dann<br />
sind da ande rer seits die se himm li schen,<br />
über zeit lich schö nen lang sa men Sät ze wie<br />
die Romance aus dem Es-Dur-Kon zert KV<br />
447. Klie ser, das spürt man, hat sich all diese<br />
Abstu fun gen des Aus drucks erschlos sen:<br />
die gute Lau ne, die Melan cho lie, den Witz,<br />
die Tie fe, die Trau er und die Freu de.<br />
Gemein sam mit der Came ra ta Salz burg als<br />
dem Ensem ble von Mozartex per ten stellt<br />
er sei ne eige ne Inter pre ta ti on der Wer ke<br />
vor – und teilt das Glück hier über mit seinen<br />
Hörern. JH<br />
Wolfgang Amadeus Mozart: „Konzerte für<br />
Horn und Orchester 1-4“, Felix Klieser,<br />
Camerata Salzburg (Berlin Classics)<br />
Track 1 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD:<br />
Allegro. Aus: Konzert für Horn und<br />
Orchester Es-Dur KV 447<br />
VINYL<br />
Vladimir Horowitz<br />
Abschied mit Mozart<br />
In sei ner lan gen, sechs Jahr zehn te wäh ren den Kar rie re ver wandel<br />
te sich der Jahr hun dert pia nist Vla di mir Horo witz vom auftrump<br />
fen den Vir tuo sen der frü hen Jah re zu einem Klang far ben magi<br />
er und Lyri ker. Im März <strong>19</strong>87, dem Jahr sei nes Abschieds, ging er<br />
in <strong>Mai</strong> land ein letz tes Mal ins Stu dio, um dort mit dem Sca la-<br />
Orches ter und Car lo Maria Giu li ni das berühm te A-Dur-Konzert<br />
Mozarts (KV 488) für die Nach welt zu ver ewi gen. Die ses unge mein<br />
fri sche, jugend lich-leben di ge Mozart-Mani fest des 83-Jäh ri gen ist<br />
jetzt gemein sam mit der Linzer-Sonate KV 333 in einer digi tal<br />
restau rier ten LP-Ver si on wie der ver öffent licht wor den, und es<br />
unter streicht nach drück lich sein nicht nach las sen des emo tio na les<br />
Feu er, sei ne auf klä re ri sche Klar heit, sei nen berü cken den Far benreich<br />
tum. Am meis ten ver blüff te er durch sein unglaub lich beredtes,<br />
ges ten rei ches Spiel, das im Wech sel von Zärt lich keit und<br />
Prä gnanz die inne re Dra ma tik und die enor men Lebens en er gi en<br />
von Mozarts Kla vier mu sik frei leg te und jeden Anflug von fal scher<br />
Gefüh lig keit aus schloss.<br />
Horo witz’ See le war bis<br />
zuletzt jung geblie ben.<br />
AC<br />
TCHAIKOVSKY<br />
THE COMPLETE SYMPHONIES<br />
Philippe Jordan Pariser Opernorchester<br />
+ EXKLUSIV-INTERVIEW<br />
mit dem Dirigenten<br />
zu Tchaikovskys Oeuvre und<br />
54-seitigem Softcoverbuch<br />
„Horowitz plays Mozart“,<br />
Vladimir Horowitz, Orchestra<br />
del Teatro alla Scala, Carlo<br />
Maria Giulini (DG)<br />
ERHÄLTLICH BEI JPC<br />
UND IM<br />
FACHHANDEL<br />
Folgen Sie uns auf<br />
www.arthaus-musik.com<br />
37
H Ö R E N & S E H E N<br />
FOTO: GREGOR HOHENBERG / SONY<br />
OPER<br />
Simone Kermes<br />
Liebeserklärung<br />
an Händel<br />
Ein Koloraturen ausstoßender Vulkan beschenkt<br />
uns mit einer sehr persönlichen, intimen Hommage<br />
an Händel. Von Simone Kermes kommen<br />
ganz wunderbar weiche Töne, und mit einer sphärischen<br />
Wiedergabe des Largo erobert die Sopranistin<br />
das inzwischen fast gänzlich von hohen Männerstimmen<br />
okkupierte Stück den Sängerinnen<br />
zurück. In einer der Neun Deutschen Arien, Szenen<br />
aus Oratorien, Opern und dem in vielen ihrer<br />
Konzerte als Schlusspunkt gesetzten, betörenden<br />
Lascia ch’io pianga aus Rinaldo schreitet Simone<br />
Kermes ihre von Händel wie mit einem breiten<br />
roten Band von den Anfängen bis zu den Konzeptprogrammen<br />
durchzogenen künstlerischen Entwicklung<br />
nach. Die von ihr 2017 gegründeten<br />
Amici Veneziani geleiten sie mit edler Delikatesse.<br />
Dabei gelingen die Leiden der Langobarden-Königin<br />
Rodelinda und der<br />
Trennungsschmerz der Magierin Alcina<br />
weitaus bewegender als das vokale<br />
Dynamit Medeas aus Teseo. DIP<br />
Simone Kermes: „Mio Caro Händel“, Amici<br />
Veneziani, Boris Begelman (Sony)<br />
NEUE<br />
MUSIK<br />
Eldbjørg Hemsing<br />
Friedensvisionen<br />
und<br />
Kriegsbilder<br />
Tan Dun diri giert auf die ser CD sei ne eige nen<br />
Kom po si tio nen, ein Umstand, der die se Einspie<br />
lung zu einem Ereig nis macht. Eldbjørg<br />
Hem sing inter pre tiert die bei den Vio lin konzer<br />
te Rhaps o dy and Fan ta sia sowie Fire Ritu al<br />
mit allen ihr zur Ver fü gung ste hen den Mit teln:<br />
Ihr gelingt ein gran dio ser Brü cken schlag zwischen<br />
Öst li chem und West li chem, sanft-lyrischen<br />
Frie dens vi sio nen und schmerz haft-aufbrau<br />
sen den Kriegs bil dern. Uner schöpfl i cher<br />
Aus drucks wil le und höchs te tech ni sche Prä zisi<br />
on ver lei hen der Musik Tan Duns jenen<br />
typisch ritu al haf ten Cha rak ter, den man auch<br />
von vie len ande ren sei ner Kom po si tio nen<br />
kennt. In Fire Ritu al regen groß ange leg te<br />
Medi ta tio nen zum Nach den ken über den<br />
Zustand einer von krie ge ri schen Aus ein an derset<br />
zun gen gepräg ten Welt an. Mit die sem<br />
Werk setzt Tan Dun ein star kes Zei chen für<br />
all jene zahl lo sen Men schen, die Krieg und<br />
Zer stö rung als tra gische<br />
Lebens rea li tät<br />
erfah ren müs sen. AF<br />
Tan Dun: „Fire Ritual“,<br />
Eldbjørg Hemsing, Oslo<br />
Philharmonic Orchestra,<br />
Tan Dun (BIS)<br />
ALTE<br />
MUSIK<br />
Sonatori de la Gioiosa Marca<br />
Ausdrucksvolle<br />
Stimmen für<br />
ein sterbendes Herz<br />
Erst mals stell te das nord ita lie ni sche Ori gi nalklang-Ensem<br />
ble Sona to ri de la Gioio sa Mar ca<br />
den Kom po nis ten Gio van ni Legren zi im Jahr<br />
<strong>19</strong>96 durch die Gesamt auf nah me sei nes vor<br />
1675 geschrie be nen Ora to ri ums La mor te del<br />
cor peni ten te (Der Tod des büßen den Her zens)<br />
einem brei te ren Publi kum vor. Der Ver tre ter<br />
des vene zia ni schen Spät ba rocks hebt sich von<br />
sei nen Zeit ge nos sen ab, inte griert er die Bassstim<br />
me doch in die moti vi sche Ver ar bei tung,<br />
statt auf einen ein fa chen Stütz bass zurück zugrei<br />
fen. Selbst Bach ver wen det ein „The ma<br />
Legren zia num“ in sei ner Fuge BWV 574. In der<br />
mus ter gül ti gen wie klang schö nen Ein spie lung<br />
der Sona to ri wird Legren zis ra f inier te Harmo<br />
nik und expres si ve Melo dik deut lich. Sie<br />
legen damit den Grund stein einer bis heu te<br />
andau ern den, abseits des <strong>Mai</strong>n streams stattfin<br />
den den Wie der ent de ckung des Kom po nisten.<br />
Jetzt wur de die ver griffe ne Auf nah me neu<br />
auf ge legt. FA<br />
Giovanni Lorenzi: „La morte<br />
del cor penitente“, Sonatori<br />
de la Gioiosa Marca (Divox)<br />
Track 9 auf der <strong>CRESCENDO</strong><br />
Abo-CD: Venite alme dolente.<br />
Aus: La morte del cor<br />
penitente<br />
Franz Liszt<br />
Spektakuläre<br />
Uraufführung<br />
Mit der Gat tung Oper wür de man Franz Liszt<br />
nicht unbe dingt in Ver bin dung brin gen. Dabei<br />
heg te der umtrie bi ge Kom po nist und Kla viervir<br />
tuo se durch aus Ambi tio nen in die se Richtung.<br />
Die meis ten Plä ne blie ben aber schon im<br />
Anfangs sta di um ste cken. In sei ner rei fen Schaffens<br />
zeit voll ende te er immer hin einen Akt seiner<br />
ita lie ni schen Oper Sar d a na pa lo nach einem<br />
Dra ma von Lord Byron. War um er die Arbeit<br />
1852 abbrach, ist nicht genau bekannt. Nach<br />
über 150 Jah ren ent deck te der Musik wis senschaft<br />
ler David Trip pett das ver ges se ne Manuskript,<br />
erst kürz lich wur de es orches triert und<br />
edi tiert. Liszts eige ne Hand schrift ist zu erkennen,<br />
eben so der Ein fluss Vin cen zo Bel li nis, Giaco<br />
mo Mey er beers und von Liszts Schwie gersohn,<br />
Richard Wag ner. 2018 brach ten Gesangsso<br />
lis ten und die Staats ka pel le Wei mar unter<br />
Kirill Kara bits Sar d a na pa lo zur Urauffüh rung.<br />
Jetzt ist der Mit schnitt als Ersteinspie lung<br />
beim Label Audi te erschie nen. Eine inter es sante<br />
Trou vail le, die dem Liszt-Bild eine neue<br />
Facet te hin zu fügt. CK<br />
Franz Liszt: „Sardanapalo,<br />
Mazeppa“, Joyce El-Khoury,<br />
Airam Hernández, Oleksandr<br />
Pushniak, Staatskapelle<br />
Weimar, Kirill Karabits<br />
(Audite)<br />
OPER<br />
38 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Inga Fiolia<br />
Faszinierende Entdeckung<br />
SOLO<br />
Schon mal was von Sulk han Tsint s ad ze gehört? Nein? Dann ist man in<br />
guter Gesell schaft. Den geor gi schen Kom po nis ten dürf te hier zu lan de<br />
kaum jemand ken nen, doch wenn man sei ne 24 Pre ludes für Kla vier hört,<br />
muss man sich unwei ger lich fra gen: War um eigent lich? Die se fas zi nieren<br />
de Musik ist eine ech te Ent de ckung! Tsint s ad ze hat die reich hal ti ge<br />
Musik tra di ti on sei nes Hei mat lan des mit der Musik des 20. Jahr hun derts<br />
ver schmol zen: geor gi sche Tän ze etwa mit jaz zig ange hauch ter Har monik,<br />
die typi sche Melo dik sei nes Hei mat lan des mit kom ple xen moder nen<br />
Rhyth men. Her aus ge kom men ist ein viel fäl ti ger und elek tri sie ren der<br />
Stil. Die deutsch-geor gi sche Pia nis tin Inga Fio lia spielt die se fes seln de<br />
Musik mit Hin ga be und groß ar ti gem Eifer. Sie haut mit Wumms in die<br />
Tas ten, frie melt aber auch kleins te rhyth mi sche<br />
Zise lie run gen mit bemer kens wer ter Exakt heit<br />
aus ein an der. Das macht sie mit einer Mühe lo sigkeit,<br />
die ein fach ein neh mend ist. GK<br />
Sulkhan Tsintsadze: „24 Preludes for Piano“, Inga Fiolia<br />
(Grand Piano)<br />
Sarah McCoy<br />
Lebensbeichte einer<br />
Schlangenfrau<br />
Blood Siren nennt die ame ri ka ni sche Sän ge rin Sarah McCoy ihr ers tes in<br />
Euro pa pro du zier tes Album, in dem sie die dunk len Jah re ihres Vagabun<br />
den da seins auf den Stra ßen und in den klei nen Clubs von New<br />
Orleans scho nungs los und selbst kri tisch Revue pas sie ren lässt. Mit<br />
ihrer lei sen, rau chi gen Stim me und spär li cher Kla vier be glei tung gibt sie<br />
in zwölf eige nen blue si gen Songs authen ti sche Ein bli cke in die nächt liche<br />
Exis tenz einer Aus stei ge rin, die in der bro deln den Sub kul tur der<br />
Jazz-Metro po le zur Musik und zu sich selbst fand. Ende 2017 lock te sie<br />
Talent-Pro du cer Chil ly Gon za les nach Paris und unter leg te ihre schlichten,<br />
aber ergrei fend sug ges ti ven Bal la den mit dosier ten Syn thie-Sounds,<br />
die den inti men Zau ber ihrer ein sa men Mono lo ge noch ver dich ten. Als<br />
sän ge sie in einem lee ren, von den Gäs ten<br />
bereits ver las se nen Nacht club für sich selbst,<br />
ganz offen, schutz los, in alten Träu men und<br />
Gedan ken ver lo ren. Die se Schlan gen frau erzählt<br />
uns vom rich ti gen Leben. AC<br />
Aktuelle<br />
NEUHEITEN<br />
bei Sony Music<br />
www.khatiabuniatishvili.com<br />
Khatia Buniatishvili Schubert<br />
Khatia Buniatishvili spielt Musik von Franz Schubert.<br />
Mit den 4 Impromptus Op. 90 D 899 und der<br />
Klaviersonate Nr. 21 in B-Dur D 960.<br />
www.olgascheps.com<br />
Olga Scheps Melody<br />
Olga Scheps präsentiert auf ihrem neuen Album Werke von<br />
Brahms, Chopin, Mussorgsky, Marcello, Grieg u. a.<br />
Sarah McCoy: „Blood Siren“ (Blue Note)<br />
BartolomeyBittmann<br />
Vulkanische Kraft<br />
JAZZ<br />
Das öster rei chi sche Duo Mat thi as Bar to lo mey (Cel lo) und Kle mens<br />
Bitt mann (Vio li ne & Man da la) erschließt mit sei nen klas si schen Streichin<br />
stru men ten neue, auf re gen de Klang wel ten. Mit ent fes sel ter Musi zierlust<br />
und exzes si ver rhyth mi scher Power kre ieren die bei den Ber ser ker<br />
auf ihrem neu en Album „Dyna mo“ einen welt offe nen, hoch vir tuo sen<br />
Mix aus Kam mer mu sik, Rock und Jazz mit Anklän gen von Folk, Metal<br />
und Mini mal Music und drin gen in spi ri tu el le Sphä ren vor, die man einer<br />
sol chen inti men Duofor ma ti on nicht zuge traut hät te. In elf eige nen, mit<br />
rät sel haf ten lite ra ri schen Titeln ver se he nen Kom po si tio nen errich ten<br />
sie orches tra le Archi tek tu ren von einer vul ka ni schen Kraft und einer<br />
lyri schen Inten si tät, die über wäl ti gen, ver zau bern und die archai sche<br />
Natur kraft mit High tech-Kom ple xi tät zu grooven<br />
den Bewe gungs mus tern von magi scher Aura<br />
ver dich ten. Bar to lo mey Bitt mann sind ein von<br />
tie fer Lebens lust und altem Wis sen gespeis tes<br />
Kraft werk zwei er gleich ge stim mer See len. AC<br />
Matthias Bartolomey und Klemens Bittmann: „Dynamo“ (ACT)<br />
39<br />
www.dorotheeoberlinger.de<br />
Dorothee Oberlinger Night Music<br />
Eine faszinierende musikalische Reise durch die Nacht mit<br />
Dorothee Oberlinger und den Sonatori de la Gioiosa Marca.<br />
Mit Musik von Vivaldi, Hotteterre, Biber, u. a. und dem<br />
berühmten ‘Round Midnight. Erhältlich ab 5.4.<br />
WWW.SONYCLASSICAL.DE<br />
facebook.com/sonyclassical · facebook.com/deutscheharmoniamundi<br />
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H Ö R E N & S E H E N<br />
Unerhörtes & neu Entdecktes<br />
von Christoph Schlüren<br />
HEILIGER ZORN UND<br />
VERLORENE UNSCHULD<br />
Die Komponisten Arnold Rosner und Juan Crisóstomo de Arriaga.<br />
Musikgeschichte ist eine hochkomplexe Angelegenheit,<br />
die für Schulbuchzwecke vereinfacht wird. Bewegungen<br />
erzeugen Gegenbewegungen, extreme Haltungen<br />
erzeugen extreme Gegenpositionen. Wir können uns<br />
heute schwer vorstellen, wie es für junge Komponisten<br />
in den <strong>19</strong>60er- und <strong>19</strong>70er-Jahren war, wenn sie ihr Innerstes<br />
ausdrücken wollten und auf das trockene Dogma des Serialismus<br />
ihrer Lehrer stießen wie ein Schiff, das auf eine Sandbank aufläuft.<br />
Die Generation der in den <strong>19</strong>40er-Jahren Geborenen stellt sich<br />
mittlerweile als die kreativ ergiebigste eines ganzen Jahrhunderts<br />
heraus, obwohl gerade hier die großen Namen selten, kaum Ikonen<br />
der Moderne oder des Konservatismus zu finden sind. Doch Komponisten<br />
wie Anders Eliasson, Pehr Henrik Nordgren, Tristan<br />
Keuris, Yevgeni Stankovich oder Peter Lieberson erweisen sich als<br />
Entdeckungen mit einem Tiefgang, einer Originalität und Meisterschaft,<br />
die noch lange nicht überblickbar und nie einzuordnen<br />
sein werden.<br />
Auch der jüdische New Yorker Arnold Rosner (<strong>19</strong>45 –2013)<br />
fand sich als junger Mann im Irrsinn des Dogmas wieder und orientierte<br />
sich als vom Establishment Abgelehnter zunächst an der<br />
archaisierend reinen Schönheit der Musik seines armenischstämmigen<br />
Landsmanns Alan Hovhaness. Doch Rosners Ausdruckspotenzial<br />
erwies sich als weit vielschichtiger. Und man hört in seiner<br />
Musik bis in die letzten Jahre nicht nur die Suche nach der Schönheit<br />
und verlorenen Unschuld, sondern auch den heiligen Zorn eines<br />
Künstlers, der sich kompromisslos gegen den<br />
herrschenden Zeitgeist verwahrte. Rosner schuf<br />
Werke, in welchen sich Elemente mittelalterlichen<br />
Tonsatzes und von Renaissance-Polyfonie, archaisch-höfischer<br />
Tanzmusik, expressionistischer<br />
Explosivität in ostinaten Tanzrhythmen und kollidierender<br />
Dreiklangsgebilde, organische Entwicklungen<br />
und abrupte Umbrüche begegnen.<br />
Eigentlich müsste ein derartiges Kreuzfeuer unterschiedlichster<br />
stilistischer Ingredienzien chaotische<br />
Collagen erzeugen, doch bei Rosner ist all dies<br />
– kraft eines unbändigen Willens zur eigenen<br />
Formung – zu erstaunlich kongruenter Gestalt<br />
geformt. Der Hörer wird mitgenommen in eine<br />
abenteuerliche Welt, die zwar intensiv berührt,<br />
jedoch keinen Seelentrost spendet, sondern eher wie der Blick in<br />
ein kosmisches Drama anmutet.<br />
Bei Toccata Classics ist jetzt die dritte Folge seiner Orchesterwerke<br />
erschienen, mit einem wunderbar mysteriösen, schleierhaft<br />
farbenreichen Nocturne, der ritualhaft auf antike metrische Strukturen<br />
zurückgreifenden Ouvertüre Tempus perfectum und der zum<br />
Bersten gespannten, dreisätzigen Sechsten Sinfonie von <strong>19</strong>76, die<br />
sozusagen das ganze Spektrum von Josquin des Prés bis zur lavaartig<br />
herausgeschleuderten Expressivität Allan Petterssons umspannt.<br />
Vielleicht den besten Einstieg in die gegensätzlichen Facetten von<br />
Rosners Welt bieten die Fünf Koans auf der Vorgänger-CD an, wo in<br />
fünf Sätzen erstaunlich einander ergänzende fremde Welten sich<br />
eröffnen und jeweils einen atemberaubend zusammenhängenden<br />
Bogen errichten. Großartig auch die späten Unraveling Dances und<br />
die multimetrische Metamusik in Gematria von <strong>19</strong>91. Herrlich ist<br />
eine weitere Toccata-CD mit Kammermusik. Und auf Naxos sind<br />
seine Sinfonien Nummer fünf und sieben erhältlich, jeweils gekoppelt<br />
mit Sinfonien des italo-amerikanischen Originalgenies Nicolas Flagello.<br />
Das alles ist unbedingt die Hörerfahrung wert.<br />
Rosner mag in seinem unstillbaren Zorn nur phasenweise die<br />
verlorene Unschuld gefunden haben, die er so verzweifelt einsam<br />
ersehnte. Diese Unschuld findet in schönster Weise, wer Juanjo<br />
Menas Neuaufnahme von Juan Crisóstomo de Arriagas (1806–1826)<br />
herrlicher Sinfonie von 1824 mit dem BBC Philharmonic hört<br />
(Chandos). Arriaga, die einzige ganz große Hoffnung der spanischen<br />
Musik zwischen dem Renaissance-Zeitalter und dem Impressionismus,<br />
starb mit <strong>19</strong> Jahren. Cherubini liebte seine Musik, und heutige<br />
Streichquartette lieben seine drei wunderbaren Quartette.<br />
Doch die Sinfonie in d-Moll, die zwischen Schubert<br />
und Mendelssohn ihren Zauber entfaltet, ist wohl<br />
sein größtes Werk. Nun ist sie erstmals auf feinstem<br />
Niveau zu hören. <br />
n<br />
Arnold Rosner: „Orchestral Music“, Vol. 1, London Philharmonic Orchestra,<br />
David Amos, Vol. 2 und 3, London Philharmonic Orchestra, Nick Palmer<br />
(Toccata Classics); Arnold Rosner: „Chamber Music“, Curtis Macomber,<br />
Maxine Neuman, David Richmond, Margaret Kampmeier, Carson Cooman<br />
(Toccata Classics)<br />
Juan Crisóstomo de Arriaga: „Overture to ‚Los esclavos felices‘, Herminie,<br />
Symphony in D minor, Air from ‚Médée‘, Overture in D major“, Berit<br />
Nordbacken Solset, BBC Philharmonic, Zoë Beyers, Juanjo Mena (Chandos)<br />
40 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Johann Jacob Bach<br />
Musiker in<br />
turbulenten Zeiten<br />
Die Bachs waren über Generationen eine Musikerfamilie.<br />
Johann Sebastian Bach, ihr heute bekanntester Spross, war<br />
bereits in der vierten Generation Musiker, und auch sein<br />
um drei Jahre älterer Bruder Johann Jacob begann nach dem<br />
Tod der Eltern bei Johann Heinrich Halle, dem Nachfolger<br />
seines Vaters als Stadtpfeifer, eine Musikerlehre. Doch hielt<br />
es ihn nicht in der Heimat. Als der schwedische König Karl<br />
XII. mit seinem Heer Sachsen eroberte, trat<br />
er als Regimentsmusiker in dessen Leibgarde<br />
und wurde mitgerissen in das Weltgeschehen<br />
und den Großen Nordischen Krieg. Olaf<br />
Schmidt forscht in seinem historischen<br />
Roman „Der Oboist des Königs“ dem<br />
Schicksal des Musikers nach. Er erzählt vom<br />
gemeinsamen Aufwachsen der verwaisten<br />
Brüder, der Wanderschaft Johann Jacobs, der<br />
als Musikant durch die Lande zog, Händel<br />
und Telemann traf und, nachdem das Kriegsglück<br />
Karls XII. sich gewendet hatte, bis nach<br />
Konstantinopel an den osmanischen Hof<br />
gelangte. Die historischen Figuren und Ereignisse<br />
sind recherchiert, die Lebendigkeit<br />
ihrer Darstellung verdankt sich der schriftstellerischen<br />
Fantasie. RRR<br />
Olaf Schmidt: „Der Oboist des Königs. Das abenteuerliche<br />
Leben des Johann Jacob Bach“ (Galiani)<br />
BUCH<br />
Sarah Baxter<br />
Auf den Spuren Leopold<br />
Blooms und anderer<br />
„Wer schreibt, schafft Orte“, befin det die bri ti sche Jour na lis tin<br />
Sarah Bax ter. 25 Roma ne, in denen Orte nicht allein der lite ra rischen<br />
Fan ta sie ent sprun gen sind und auch nicht<br />
nur eine pas si ve Kulis se bil den, hat sie aus gewählt<br />
und sich hin be ge ben. Mit Arund ha ti Roys<br />
Roman „Der Gott der klei nen Din ge“ über die<br />
Tra gik des uner bitt li chen Kas ten sys tems, der als<br />
lite ra ri sche Sen sa ti on des Jah res <strong>19</strong>97 gefei ert<br />
wur de, reist sie zu den Reis fel dern ins süd in dische<br />
Kera la. Und mit Kha led Hoss ei nis „Drachen<br />
läu fer“ bricht sie auf zu den mäch ti gen Gipfeln<br />
des afgha ni schen Hin du kusch. Vic tor Hugos<br />
„Die Elen den“ lässt ihren Paris auf ent halt zur<br />
Zeit rei se wer den, wenn sie im Vier tel Marais<br />
noch etwas von den alten ver win kel ten Gässchen<br />
ent deckt. Ledig lich eine Tafel fin det sie<br />
dage gen im heu ti gen Sankt Peters burg von Raskol<br />
ni kows Her um zie hen durch Hin ter zim mer,<br />
Bor del le und dre cki ge Knei pen. Brei ten Raum<br />
wid met sie den Roma nen ihrer bri ti schen Heimat.<br />
Es fehlt aber auch nicht Alfred Döblins „Ber lin Alex an derplatz“,<br />
der bedeu tends te deut sche Groß stadt ro man des 20. Jahrhun<br />
derts. Illus triert hat den zum Wie der le sen inspi rie ren den kleinen<br />
Streif zug durch die Welt li te ra tur Amy Gri mes, deren<br />
far ben fro he, nai ve Bil der einen reiz vol len Gegen satz zu den tris ten<br />
Elends schil de run gen der Roma ne bil den. RRR<br />
Sarah Baxter: „Atlas der literarischen Orte. Entdeckungsreise zu den Schauplätzen der<br />
Weltliteratur“ (Brandstätter)<br />
Klavierkonzert Nr. 2<br />
Sinfonie Nr. 1<br />
Bezuidenhout<br />
Heras-Casado<br />
Freiburger Barockorchester<br />
HMM 902369<br />
Mendelssohns Sinfonie in c-Moll ist seine erste in<br />
großer Besetzung und bereitet damit den Weg für die<br />
bedeutenden sinfonischen Werke, die auf sie folgen<br />
sollten. Die Melusine-Ouvertüre und das von hellen<br />
Klängen geprägte Klavierkonzert Nr. 2 weisen eine<br />
Instrumentierung und eine Harmonik auf, die eine<br />
Interpretation auf historischen Instrumenten vorzüglich<br />
zur Geltung zu bringen vermag. In diesen Werken der<br />
Romantik gibt es nichts Morbides, im Gegenteil: Überall<br />
entlädt sich eine überschwängliche Lebensfreude, die<br />
so voller ungestümer und leidenschaftlicher Ungeduld<br />
ist wie die Jugend selbst.<br />
41<br />
Fotos © Fernando Sancho, © Annelies van der Vegt
R Ä T S E L<br />
& R E A K T I O N E N<br />
GEWINNSPIEL<br />
Wer verbirgt sich hinter diesem Text?<br />
HINTER<br />
DEN KULISSEN<br />
Aus der <strong>CRESCENDO</strong> Redaktion:<br />
„Brüggemanns Klassik-Woche“,<br />
der neue Newsletter<br />
„Bernstein hatte großen Einfluss auf meinen Kompositionsstil und gilt<br />
gleichzeitig als der beste Dirigent meiner Werke“<br />
Ich wurde als jüngster Sohn einer eingewanderten konservativjüdischen<br />
Familie aus Litauen geboren. Mit meiner Schwester und<br />
Mutter, die selbst sangen, Klavier spielten und Musikunterricht<br />
für Kinder organisierten, tauchte ich schon als kleines Kind in<br />
zauberhafte musikalische Welten ein. Meine ersten Bühnenerfahrungen<br />
sammelte ich mit Auftritten auf jüdischen Festen und<br />
Hochzeiten und genoss schon bald die Lehre vieler hervorragender<br />
Musiker am Konservatorium.<br />
Meine expressionistischen Frühwerke standen unter dem Einfluss<br />
des Jazz und wurden von Publikum und Presse zunächst<br />
äußerst skeptisch aufgenommen. Über eine meiner Kompositionen<br />
wurde einmal gesagt: „Wer solch eine Musik schreibt, wird wohl<br />
später einen Mord begehen.“ Doch Jazz war zu dieser Zeit für mich<br />
die Form der amerikanischen Ausdrucksweise schlechthin. Mein<br />
Kompositionsstil entwickelte sich aber immer weiter, und so wurden<br />
auch meine Werke zugänglicher. Ich begann, Ballette, Filmmusiken<br />
und leichtere Orchesterwerke zu schreiben, die neben gesellschaftlichem<br />
Erfolg auch finanzielle Anerkennung einbrachten.<br />
Mit meiner Musik stand ich stolz für Amerika und galt als<br />
Komponist mit starkem patriotischen Bezug. Trotzdem ermittelte<br />
das FBI mehrere Jahrzehnte wegen vermeintlicher kommunistischer<br />
Beziehungen, die aber nie offiziell bestätigt wurden und meiner<br />
wachsenden Reputation nahezu nicht schadeten.<br />
Ich bin nicht nur Komponist, Dirigent, Pianist und Musikschriftsteller,<br />
sondern auch Namensgeber für ein Softwareprojekt,<br />
einen Berg in der Antarktis und einen Asteroiden und zähle zu den<br />
wichtigsten Musikerpersönlichkeiten des letzten Jahrhunderts. AM<br />
RÄTSEL LÖSEN<br />
UND EINE CD-BOX<br />
GEWINNEN!<br />
Wer ist hier gesucht? Wenn<br />
Sie die Antwort kennen, dann nehmen<br />
Sie an der Verlosung teil unter www.crescendo.de/mitmachen.<br />
Diese DVD-Box können Sie gewinnen: „Tchaikovsky. The Complete<br />
Symphonies“ (Arthaus). Einsendeschluss ist der 28.03.20<strong>19</strong>. Gewinner<br />
unseres letzten Gewinnspiels ist Willonah Akol aus Essen.<br />
Die Lösung war Giacinto Scelsi.<br />
FOTO: MARION S. TRIKOSKO<br />
<strong>CRESCENDO</strong> Autor und<br />
Kolumnist Axel Brüggemann<br />
fasst jeden Montag die Klassik-Woche<br />
zusammen. Wir<br />
haben Nachrichten, bevor sie<br />
woanders stehen, führen<br />
Debatten, die anderswo nicht<br />
geführt werden, und berichten<br />
über das, was ist, was war<br />
und was lohnt.<br />
Den Newsletter können<br />
Sie kostenlos auf der <strong>CRESCENDO</strong> Homepage abonnieren:<br />
www.crescendo.de/newsletteranmeldung<br />
Reaktionen auf die ersten Newsletter<br />
„Brüggemanns Klassik-Woche“<br />
„Danke, dass Sie mich zum Lachen gebracht haben.“<br />
(Franz Welser-Möst)<br />
„Ein großartiger Newsletter, sehr lesenswert.“ (Ioan Holender)<br />
„Wieder ein ausgesprochen hübscher und in jeder Hinsicht<br />
informativer, aber auch sehr unterhaltsamer Rückblick!“<br />
(Dr. Ingrid Bodsch, Schumann Netzwerk)<br />
„Ich habe Ihren Newsletter und einige der Links gelesen und<br />
mich sowohl gut unterhalten als auch informiert und werde ihn<br />
gern weiterempfehlen.“ (Angelika Ruge, Tiroler Festspiele)<br />
„Endlich mal ein Newsletter, der Interesse weckt, weiterzulesen,<br />
zu entdecken und auch noch gute Laune macht!“<br />
(Christiane Meininger)<br />
„Meinungsstark wie immer.“ (Daniela Majer)<br />
Zum Newsletter-Satz: „Wäre Anna Netrebko die<br />
Frau von Heino, würde der in der kommenden Saison<br />
an der Semperoper im Don Carlo singen.“ auf Twitter:<br />
„Dafür singt Hannelore an Ostern in Salzburg.“ (Manuel Brug)<br />
„Könnte schlimmer sein: Wäre Heino mit Garanča verheiratet,<br />
würde er Don Carlo dirigieren.“ (Capriccio)<br />
Zur Newsletter-Exklusivmeldung, dass der Wiener<br />
Musikverein mit Stephan Pauly verhandelt<br />
„Guter Riecher, Kompliment.“ (Dr. Andreas B.)<br />
Zum Newsletter-Gespräch über die Nichtverlängerung<br />
von Florian Lutz in Halle auf Facebook<br />
„Intrigen allüberall. Wie dumm kann man sein?“ (Brigitta H.)<br />
Zur Newsletter-Meldung über Gustavo Dudamels<br />
Indifferenz in der Venezuela-Frage auf Facebook<br />
„Ein Musiker muss nicht mutig sein oder einen starken Charakter<br />
haben und wer kennt schon seine Überzeugungen. Ein Mann<br />
jedoch, der weltweit tätig ist, vom freien System profitiert und<br />
reich wird, sollte für Freiheit eintreten können.“ (Wolfram H.)<br />
42 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
präsentiert:<br />
ERLEBEN<br />
Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen von März bis <strong>Mai</strong> im Überblick (ab Seite 44)<br />
Komponist Moritz Eggert setzt Fritz Langs Kultfilm M musikalisch in einer Oper um (Seite 46)<br />
Die 10. Internationalen Schostakowitsch Tage in Gohrisch (Seite 50)<br />
10. <strong>April</strong>, München<br />
PERCUSSION TIME!<br />
<strong>CRESCENDO</strong> präsentiert in Kooperation mit dem Münchner<br />
Rundfunkorchester den Perkussionisten Simone Rubino in der Reihe<br />
„Mittwochs um halb acht“. <strong>CRESCENDO</strong> Leser erhalten exklusiv Karten<br />
in der besten Kategorie sowie eine Backstage-Führung vorab und<br />
sind zu Künstlergesprächen in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge im Gartensaal<br />
herzlich willkommen. „Ich finde es spannend, was Schlagzeug kann“, sagt<br />
Simone Rubino. Der vielseitige Schlagzeuger, der für eine Saison als Artist<br />
in Residence zum Münchner Rundfunkorchester berufen ist, spielt u. a.<br />
Marimba, Röhrenglocken, Trommeln und Gongs sowie Schellen und Becken.<br />
Als Schlagzeuger habe man kein so großes Repertoire, erläutert er.<br />
Darum liebe er zeitgenössische Musik. Sie ermögliche es, mit Komponisten<br />
an neuen Werken zu arbeiten. Für „Percussion Time!“ mit<br />
dem Münchner Rundfunkorchester, geleitet von Ariel Zuckermann,<br />
wählt er Werke von Tan Dun, der japanischen Komponistin<br />
Keiko Abe und Astor Piazzolla.<br />
München, Prinzregententheater, das <strong>CRESCENDO</strong><br />
Exklusivpaket für 45 Euro nur unter:<br />
www.crescendo.de/live<br />
FOTO: MARCO BORGGREVE<br />
43
E R L E B E N<br />
<strong>April</strong> / <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong><br />
DIE WICHTIGSTEN<br />
VERANSTALTUNGEN AUF<br />
EINEN BLICK<br />
Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals<br />
PREMIEREN<br />
16.2. FRANKFURT AM MAIN OPER<br />
Der ferne Klang / Franz Schreker<br />
16.3. BERLIN KOMISCHE OPER<br />
Poros / Georg Friedrich Händel<br />
16.3. FLENSBURG SCHLESWIG-<br />
HOLSTEINISCHES LANDESTHEATER<br />
Manon Lescaut / Giacomo Puccini<br />
16.3. MÜNCHEN NATIONALTHEATER<br />
La fanciulla del West / Giacomo Puccini<br />
16.3. WIEN (AT) THEATER A. D. WIEN<br />
Die Jungfrau v. Orleans / P. Tschaikowsky<br />
23.3. DARMSTADT STAATSTHEATER<br />
Rusalka / Antonín Dvořák<br />
23.3. ERFURT THEATER<br />
Dead Man Walking / Jake Heggie<br />
23.3. ESSEN AALTO-MUSIKTHEATER<br />
Medea / Aribert Reimann<br />
23.3. KARLSRUHE BADISCHES<br />
STAATSTHEATER<br />
Roberto Devereux / Gaetano Donizetti<br />
23.3. MÖNCHENGLADBACH THEATER<br />
Boris Godunow / M. Mussorgski<br />
23.3. MAINZ STAATSTHEATER<br />
Simon Boccanegra / Giuseppe Verdi<br />
23.3. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />
Madame Butterfly / Giacomo Puccini<br />
23.3. OSNABRÜCK THEATER<br />
The Producers / Mel Brook<br />
24.3. AUGSBURG THEATER<br />
JFK / David T. Little<br />
24.3. BERLIN DEUTSCHE OPER<br />
Der Zwerg / Alexander von Zemlinsky<br />
24.3. MANNHEIM NATIONAL-<br />
THEATER Francesca da Rimini /<br />
Sergej Rachmaninow<br />
28.3. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />
THEATER La Bohème / Giacomo Puccini<br />
29.3. HANNOVER STAATSOPER<br />
Iphis / Elena Kats-Chernin<br />
30.3. BASEL (CH) THEATER<br />
Madame Butterfly / Giacomo Puccini<br />
30.3 LEIPZIG OPER<br />
Der fliegende Holländer / R. Wagner<br />
31.3. AACHEN THEATER<br />
La Grande-Duchesse de Gérolstein /<br />
Jacques Offenbach<br />
31.3. GELSENKIRCHEN MUSIKTHEATER<br />
IM REVIER Ein Sommernachtstraum /<br />
Bridget Breiner<br />
31.3. KÖLN OPER<br />
La scuola de‘ gelosi / Antonio Salieri<br />
31.3. WIEN (AT) STAATSOPER<br />
Orest / Manfred Trojahn<br />
13. bis 22. <strong>April</strong>, Osterfestspiele Salzburg<br />
DAS DUMPFE WIRKEN DER<br />
LEIDENSCHAFTEN<br />
Die Sopranistin<br />
Marisol Montalvo ist<br />
eine der gefragtesten<br />
Protagonistinnen zeitgenössischer<br />
Musik<br />
Während im Großen Festspielhaus Wagners Meistersinger mit dem<br />
Künstlerischen Leiter Christian Thielemann am Pult über die Bühne<br />
gehen, gibt es in der Großen Universitätsaula die Uraufführung<br />
von Philipp <strong>Mai</strong>ntz’ Kammeroper Thérèse zu sehen. „Mich fasziniert<br />
Musiktheater“, wusste <strong>Mai</strong>ntz bereits, bevor bei der Münchener<br />
Biennale 2010 seine erste Oper Maldoror zur Aufführung<br />
kam. Otto Katzameier übernahm damals die Titelrolle. Diesmal<br />
verfasst er auch das Libretto nach dem Roman und Drama von<br />
Émile Zola, der seinen Text als wissenschaftliche Analyse verstand.<br />
Das „dumpfe Wirken der Leidenschaften, das Drängen des Naturtriebs“<br />
habe er zu verfolgen versucht. Georges Delnon setzt das<br />
Werk mit Nicolas André am Pult in Szene. Die Partie von Laurent<br />
verkörpert Katzameier. Thérèse ist Marisol Montalvo (Foto). Als<br />
zweite Uraufführung steht das Orchesterwerk Der Zorn Gottes von<br />
Sofia Gubaidulina auf dem Programm. Tobias Moretti ist der Sprecher<br />
in der Ode an Napoleon Buonaparte, Schönbergs Auseinandersetzung<br />
mit der politischen Situation der <strong>19</strong>40er-Jahre und seine<br />
Stellungnahme gegen die Tyrannei. Mit dem Herbert-von-Karajan-<br />
Preis 20<strong>19</strong> wird Mariss Jansons geehrt, der als Gastdirigent mit der<br />
Sopranistin Regula Mühlemann die Vierte Sinfonie Mahlers zur Aufführung<br />
bringt.<br />
Salzburg, verschiedene Spielorte, www.osterfestspiele-salzburg.at<br />
FOTO: MARISOL MONTALVO<br />
5.4. DESSAU ANHALTISCHES<br />
THEATER Manon Lescaut / G. Puccini<br />
5.4. LUDWIGSHAFEN THEATER IM<br />
PFALZBAU Jenufa / Leoš Janáček<br />
6.4. BRAUNSCHWEIG STAATS-<br />
THEATER Die Passagierin / Mieczysław<br />
Weinberg<br />
6.4. DRESDEN SEMPEROPER<br />
Platée / Jean-Philippe Rameau<br />
6.4. HANNOVER STAATSOPER<br />
Die Gezeichneten / Franz Schreker<br />
6.4. KAISERSLAUTERN PFALZ-<br />
THEATER Cabaret / John Kander<br />
6.4. MÜNSTER THEATER<br />
Die Liebe zu den drei Orangen /<br />
Sergej Prokofjew<br />
6.4. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />
Meine Schwester und ich / R. Benatzky<br />
7.4. BONN THEATER<br />
Die Sache Makropulos / Leoš Janáček<br />
7.4. STUTTGART STAATSOPER<br />
Nixon in China / John Adams<br />
7.4. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />
Manon Lescaut / Jules Massenet<br />
10.4. HAMBURG STAATSOPER<br />
Lessons in Love and Violence /<br />
George Benjamin<br />
12.4. FREIBURG THEATER<br />
Don Giovanni / W. A. Mozart<br />
12.4. KREFELD THEATER<br />
Nabucco / Giuseppe Verdi<br />
12.4. MANNHEIM NATIONALTHEATER<br />
House of Usher / Claude Debussy<br />
13.4. BERLIN STAATSOPER<br />
Die Verlobung im Kloster /<br />
Sergej Prokofjew<br />
18.4. DORTMUND THEATER<br />
Quartett / Luca Francesconi<br />
20.4. HILDESHEIM THEATER<br />
Tod in Venedig / Benjamin Britten<br />
26.4. DARMSTADT STAATSTHEATER<br />
Ariadne auf Naxos / Richard Strauss<br />
26.4. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />
THEATER On the Town / L. Bernstein<br />
27.4. BONN THEATER<br />
Callas / Reinhild Hoffmann<br />
27.4. ERFURT THEATER<br />
Aida / Giuseppe Verdi<br />
27.4. HANNOVER STAATSOPER<br />
Oedipus Rex / Igor Strawinsky<br />
27.4. HOF THEATER<br />
Kiss Me, Kate! / Cole Porter<br />
27.4. KASSEL STAATSTHEATER<br />
Ares / Johannes Wieland<br />
27.4. KIEL THEATER<br />
Die Stumme von Portici /<br />
Daniel-François-Esprit Auber<br />
44 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
FOTOS: HANS JÖRG MICHEL; NINA KARMON; MONIKA RITTERSHAUS; GERT WEIGELT; THOMAS JAUCK; SONY MUSIC; MENG PHU; SHIRLEY SUAREZ; BLACKIE BOUFFANT; JÖRN KIPPING; GILBERT FRANÇOIS; PAAVO BLAFIELD<br />
NACH BAUBEGINN 1863<br />
25. <strong>Mai</strong><br />
150 JAHRE HAUS AM RING<br />
Die Wiener Staatsoper feiert das 150-jährige<br />
Bestehen ihres Hauses am Ring. 1857 ordnete<br />
Kaiser Franz Joseph I. die Schleifung des Befestigungsgürtels<br />
an, um an seiner Stelle eine Ringstraße<br />
errichten zu lassen. Als erstes ofzielles<br />
Gebäude entstand die Hofoper nach Plänen der<br />
Architekten Eduard van der Nüll und August<br />
Sicard von Sicardsburg. Die Eröffnung am 25. <strong>Mai</strong> 1869 erlebten die beiden<br />
allerdings nicht. Die Oper wirke wie im Boden eingesunken, kritisierte<br />
der Kaiser, worauf van der Nüll sich umbrachte und von Sicardsburg<br />
aus Gram verstarb. Erster Intendant wurde Franz von Dingelstedt,<br />
der zwar nichts von Musik verstand und für den die Oper bloß ein „notwendiges<br />
Übel“ war, der aber durch langjährige Tätigkeit in München und<br />
Weimar Erfahrung hatte. Den Geburtstag ihres Hauses feiert die Staatsoper<br />
mit einer Matinee, einer Neuinszenierung der Oper Die Frau ohne<br />
Schatten von Richard Strauss, der von <strong>19</strong><strong>19</strong> bis <strong>19</strong>24 Opernintendant in<br />
Wien war, und einem „Fest für alle“. In einem gemeinsamen Jubiläumskonzert<br />
bespielen Ensemblesänger, Gäste, das Wiener Staatsballett, das<br />
Staats opernorchester, das Bühnenorchester und der Staatsopernchor<br />
den öffentlichen Raum rund um das Haus.<br />
Wien, Staatsoper, www.wiener-staatsoper.at<br />
10. bis 26. <strong>Mai</strong><br />
HANNOVER<br />
KUNSTFESTSPIELE HERRENHAUSEN<br />
Frank Zappa (Foto) ging als Ikone des Undergrounds<br />
in die Geschichte der Rockmusik ein.<br />
Tatsächlich aber komponierte er seit seinem<br />
15. Lebensjahr auch für Sinfonieorchester. Er sah<br />
darin das „ultimative Instrument“ und interessierte<br />
sich leidenschaftlich für Neue Musik.<br />
<strong>19</strong>93, im Jahr seines frühen Todes, veröffentlichte<br />
er mit dem Ensemble Modern sein letztes Album „The Yellow Shark“.<br />
Im Rahmen der KunstFestSpiele Herrenhausen, die ihr zehntes Jubiläum<br />
feiern, bringt das Ensemble Modern unter der Leitung von Festspielintendant<br />
Ingo Metzmacher das Werk wieder zur Aufführung, zusammen<br />
mit Greggery Peccary & Other Persuasions. Die überbordenden Kompositionen<br />
aus Zappas Archiven wurden von seinen Mitarbeitern Todd Yvega<br />
und Ali N. Askin in orchestrale Sprache übertragen und 2000 als Album<br />
herausgebracht. Rund 90 genreübergreifende Veranstaltungen stehen auf<br />
dem Jubiläumsprogramm der Festspiele, darunter die deutsche Erstaufführung<br />
von Claude Viviers „Opéra-rituel du mort“ Kopernikus.<br />
Hannover, verschiedene Spielorte, www.kunstfestspiele.de<br />
26. bis 28. <strong>April</strong><br />
BURG SCHAUBECK<br />
KAMMERMUSIK FESTIVAL<br />
„Vinum et musica laetificant cor“ (Wein und<br />
Musik erfreuen das Herz) ist der Leitgedanke<br />
des Kammermusik Festivals auf Burg Schaubeck,<br />
dem Sitz des Weinguts Graf Adelmann. Die Geigerin<br />
Nina Karmon (Foto) rief es ins Leben und<br />
lädt Kollegen zum gemeinsamen Musizieren auf<br />
die Burg. Zum Auftakt erklingt Mozarts Hornquintett<br />
KV 407, das durch die Besetzung mit zwei Bratschen die dunklen<br />
weichen Töne des Horns besonders schön hervorhebt. Hornist ist<br />
Szabolcs Zempléni. Nach einem Ausflug in mediterrane Klangwelten mit<br />
den italienischen Meistern Luigi Boccherini und Achille Simonetti sowie<br />
den Spaniern Gaspar Cassadó, Enrique Granados und Joaquin Turina entführt<br />
eine Matinee mit der Geigerin Elisabeth Kufferath, dem Bratschisten<br />
Diyang Mei, dem Cellisten Trey Lee und Oliver Triendl am Klavier ins<br />
französische Repertoire. Zum romantischen Ausklang gibt es Schumann,<br />
Brahms und Beethoven.<br />
Ludwigsburg, Burg Schaubeck, www.festival-schaubeck.de<br />
28. <strong>April</strong><br />
BERLIN OCEANE<br />
„Der Tag ging, ein anderer kam, Oceane war<br />
fort.“ Mit knappen Worten lässt Theodor<br />
Fontane in Oceane von Parceval seine Titelfigur<br />
aus dem Leben verschwinden. Zum 200. Geburtstag<br />
des Dichters nimmt Detlev Glanert<br />
das Romanfragment zur Vorlage einer Oper. In<br />
der vergeblichen Sehnsucht des mythischen<br />
Naturwesens nach Nähe zu den Menschen sieht er eine psychologische<br />
Anlage der Figur. Mit Hans-Ulrich Treichel entwirft er ein Libretto, das<br />
die Leer- und Bruchstellen des Textes in Klang verwandelt. Ein Chor vertritt<br />
die Stimme des Meeres und die Gesellschaft. In der Inszenierung von<br />
Robert Carsen und mit Maria Bengtsson (Foto) als Oceane kommt das<br />
„Sommerstück für Musik“ unter Donald Runnicles zur Uraufführung.<br />
Berlin, Deutsche Oper, 28.4. (Premiere) sowie 3., 15., 17. und 24.5.,<br />
www.deutscheoperberlin.de<br />
14. bis 22. <strong>April</strong><br />
HANNOVER OSTER-TANZ-TAGE<br />
Internationale Gäste kommen zu den Tanz-<br />
Tagen nach Hannover. Shaun Parker und seine<br />
Kompanie aus Australien ergründen mit der farbenfrohen<br />
Tanzshow Happy as Larry die flüchtige<br />
Natur menschlichen Glücks. Der Choreograf<br />
Johan Inger und seine Kompanie Aterballetto<br />
aus Italien erinnern sich an die Golden Days, als<br />
Tom Waits, Patti Smith und Keith Jarrett den Freiheitsdrang einer Generation<br />
verkörperten. Die Grupo Corpo aus Brasilien blickt mit Dança<br />
Sinfônica zurück auf ihre 40-jährige Geschichte. Und das gastgebende Ballett<br />
der Staatsoper zeigt mit Inferno (Foto) eine Satire auf Politik und Kirche.<br />
Hannover, Staatsoper, www.staatstheater-hannover.de<br />
26. <strong>April</strong><br />
DRESDEN 4.48 PSYCHOSE<br />
Um 4:48 Uhr, wenn die Wirkung der Medikamente<br />
nachlässt, offenbart die klirrende Schlaflosigkeit<br />
den inneren Krieg. Im letzten Drama<br />
der britischen Schriftstellerin Sarah Kane, die<br />
sich <strong>19</strong>99 das Leben nahm, werden Wahn,<br />
Erkenntnis und künstlerische Reflexion eins.<br />
Philip Venables hat das Drama veropert. Seine<br />
Partitur gibt die seelische Finsternis in hoher Tonlage wieder. Wilde<br />
Trommelwirbel mischen sich mit schmeichelndem Radioklang. Venables<br />
bringt Streicher, Saxofone, Akkordeon und Synthesizer zum Einsatz. Die<br />
Vokalstimme wechselt zwischen monotonem Gesang und schmerzvollem<br />
Kreischen. Unter der Leitung von Max Renne und mit Sarah Maria<br />
Sun (Foto) als Gwen setzt Tobias Heyder die Kammeroper in Szene.<br />
Dresden, Semperoper, 26. (Premiere) und 29.4. sowie 3., 4., 6., 8. und 10.5.,<br />
www.semperoper.de<br />
13. bis 18. <strong>April</strong><br />
ACHENKIRCH EVA LIND MUSIK AKADEMIE<br />
Die Ruhe und Abgeschiedenheit der Tiroler<br />
Bergwelt ermöglicht es, sich ganz der Musik hinzugeben.<br />
2015 gründete die Sopranistin Eva Lind<br />
in Achenkirch ihre Musik Akademie, um mit<br />
ihren Freunden aus der Musikwelt Wissen und<br />
Erfahrung weiterzugeben. Abendliche Konzerte<br />
und ein öffentliches Schlusskonzert bieten die<br />
Chance, Erlerntes zu erproben. Vor Ostern finden neue Meisterklassen<br />
mit Angelika Kirchschlager (Foto) im Fach Gesang, Mirjam Tschopp im<br />
Fach Geige und Bratsche, Julius Berger und Hyun-Jung Berger im Fach<br />
Cello, Enjott Schneider im Fach Komposition und Danièle Florence<br />
Perrin im Fach Schauspiel statt. Anmeldeschluss ist der 31. März.<br />
Achenkirch, Hotel Kronthaler, www.musikakademie.tirol<br />
45
E R L E B E N<br />
5. <strong>Mai</strong>, Berlin<br />
„VIELLEICHT AUCH EINE WARNUNG“<br />
Der Komponist Moritz Eggert<br />
FOTO: KATHARINA DUBNO<br />
Fritz Langs Film „M“ aus dem Jahr <strong>19</strong>31 bildet die Grundlage für Moritz<br />
Eggerts neues Musiktheaterprojekt „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“.<br />
Lang, der den Stoff seines Films Polizeiberichten entnahm, warf darin<br />
eine soziale Problematik auf und löste eine Diskussion darüber aus, ob<br />
ein psychisch kranker Triebtäter zum Verbrecher erklärt werden dürfe.<br />
Wie der Filmhistoriker Jerzy Toeplitz anmerkte, habe Langs Film<br />
Jahre angekündigt, „in denen die Moral eine Krise erlebt“. Er sei ihr<br />
Vorbote und „vielleicht auch eine Warnung“ gewesen. Diesen Aspekt,<br />
wie angesichts einer alle Bevölkerungsschichten erfassenden Hetzjagd<br />
der Täter immer mehr zum Opfer wird, hebt Moritz Eggert (Foto) in<br />
seiner Umsetzung hervor. So verwenden Barrie Kosky und Ulrich Lenz<br />
für ihr Libretto das originale Drehbuch, erweitert um Kinderlieder<br />
und Gedichte des 1896 in Berlin geborenen deutsch-jüdischen Schriftstellers<br />
Walter Mehring. Kosky setzt das Werk mit Ainārs Rubiķis am<br />
Pult in Szene, wobei Moritz Eggert mit seiner Komposition die traditionelle<br />
Opernästhetik aufbricht, indem er alle Klänge, auch den Gesang<br />
und die Musik, elektronisch verstärken lässt, damit das Publikum<br />
davon umhüllt wird und in das Geschehen eintaucht. Eine besondere<br />
Herausforderung kommt auf den Kinderchor zu, der das ganze Werk<br />
über zu singen hat. M, den Mörder, verkörpert Scott Hendricks.<br />
Berlin, Komische Oper, 5. (Premiere), 11. und 25.5. sowie 9., 22. und 26.6.,<br />
www.komische-oper-berlin.de<br />
23. <strong>April</strong><br />
BERLIN WORDS AND MUSIC<br />
Samuel Beckett und Morton Feldman verband<br />
eine lange Freundschaft. Als Beckett <strong>19</strong>87 im<br />
Berliner Schillertheater die deutsche Erstaufführung<br />
von „Footfalls“ inszenierte, kam Feldman<br />
auf die Probe und bat ihn um einen Operntext.<br />
Beckett schrieb ihm Neither. Die gemeinsame<br />
Arbeit daran veranlasste Beckett dazu,<br />
Feldman um eine Musik zu dem Radiohörspiel „Words and Music“ zu bitten,<br />
das er <strong>19</strong>61 für BBC Radio geschrieben hatte. Für Feldman war es<br />
„ein riesiger Spaß, etwas für Beckett zu machen, sozusagen ihm zu Ehren,<br />
der seit den <strong>19</strong>50er-Jahren Teil meines Lebens war (...) es war gewissermaßen<br />
ein Liebesdienst, den ich ihm voller Freude leistete“. <strong>19</strong>87, im Todesjahr<br />
Feldmans, erfolgte beim American Beckett Hörspielfestival die<br />
erste Aufführung. Beckett lässt die Worte und die Musik einander gegenübertreten.<br />
Beide versuchen, den alten, einsamen Croak zu trösten, indem<br />
sie auf dessen Stichworte „Liebe“, „Alter“ und „Das Gesicht“ reagieren.<br />
Der Dirigent Maxime Pascal (Foto) lässt sich auf Becketts und<br />
Feldmans Verständnis der Theatralik von Musik, Sprache und Raum ein<br />
und entwickelt mit zwei Sprechern und der Orchesterakademie der<br />
Staatskapelle Berlin aus Words and Music ein Live-Hörspiel.<br />
Berlin, Staatsoper Unter den Linden, 23. (Premiere), 24. und 27.4.,<br />
www.staatsoper-berlin.de<br />
22. bis 31. März<br />
BERLIN MAERZMUSIK<br />
Als „Glücksfall“ bezeichnet die Komponistin<br />
Jennifer Walshe (Foto) ihre Zusammenarbeit<br />
mit dem Philosophen Timothy Morton. In ihrer<br />
multimedialen Performance „Time Time Time“<br />
setzen sich die beiden mit den vielfältigen<br />
Zeitlichkeiten auseinander, die das Menschsein<br />
prägen. „Über das Leben zu sprechen, bedeutet,<br />
über Zeit zu sprechen“, erklärt Walshe. Das „Festival für Zeitfragen“<br />
stellt ihre musikalische Reflexion über die multiplen Schichten von Zeit<br />
vor. Die Musik entwickelt Walshe mit Áine O’Dwyer, Lee Patterson,<br />
M. C. Schmidt, Streifenjunko und Vilde & Inga, die an akustischen sowie<br />
elektronischen Instrumenten auch die Ausführung übernehmen. Zehn<br />
Tage lang widmet sich das Festival „MaerzMusik“ dem Phänomen der<br />
Zeitlichkeit. Im Konzert „Clocks without Hands“ setzt sich Olga Neuwirth,<br />
ausgehend von ihrer Familiengeschichte, mit dem Wesen von Zeit<br />
und dem Verblassen von Erinnerung auseinander. Die Ausstellung „A<br />
Utopian Stage“, kuratiert von Vali Mahlouji, erinnert an das „Festival of<br />
Arts“, das zwischen <strong>19</strong>67 und <strong>19</strong>77 als Festival für Avantgarde-Kunst im<br />
Iran stattfand. Und zum Abschluss versammelt „The Long Now“ Konzerte,<br />
Performances und elektronische Live-Acts mit Klang- und Videoinstallationen<br />
zu einer 30-stündigen Komposition in Zeit und Raum.<br />
Berlin, verschiedene Spielorte, www.maerzmusik.de<br />
46 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
FOTOS: HANS JÖRG MICHEL; NINA KARMON; MONIKA RITTERSHAUS; GERT WEIGELT; THOMAS JAUCK; SONY MUSIC; MENG PHU; SHIRLEY SUAREZ; BLACKIE BOUFFANT; JÖRN KIPPING; GILBERT FRANÇOIS; PAAVO BLAFIELD<br />
28.4. KÖLN OPER<br />
Street Scene / Kurt Weill<br />
28.4. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />
THEATER L‘heure espagnole / M. Ravel<br />
28.4. STUTTGART STAATSOPER<br />
Iphigénie en Tauride / Chr. W. Gluck<br />
28.4. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />
Il turco in Italia / Gioachino Rossini<br />
3.5. BERN (CH) KONZERTTHEATER<br />
Paul Klee / Etienne Béchard<br />
3.5. GERA LANDESTHEATER ALTEN-<br />
BURG Forever Lennon / Silv. Schröder<br />
4.5. BRAUNSCHWEIG STAATS-<br />
THEATER Winterreise / Gregor Zöllig<br />
4.5. COTTBUS STAATSTHEATER<br />
Der fliegende Holländer / R. Wagner<br />
4.5. FLENSBURG SCHLESWIG-<br />
HOLSTEINISCHES LANDESTHEATER<br />
Vanessa / Samuel Barber<br />
4.5. GERA LANDESTHEATER ALTENB.<br />
Der Kaiser von Atlantis / Viktor Ullmann<br />
4.5. GIESSEN STAATSTHEATER<br />
Alp Arslan / Richard van Schoor<br />
FOTO: NIL YALTER<br />
Bis 2. Juni, Köln<br />
4.5. KAISERSLAUTERN PFALZ-<br />
THEATER Rienzi / Richard Wagner<br />
4.5. OSNABRÜCK THEATER<br />
Orlando / Georg Friedrich Händel<br />
11.5. GELSENKIRCHEN MUSIK-<br />
THEATER IM REVIER<br />
Das Rheingold / Richard Wagner<br />
11.5. KOBLENZ THEATER<br />
Albert Herring / Benjamin Britten<br />
12.5. BREMEN THEATER<br />
Die tote Stadt / Erich Wolfgang Korngold<br />
12.5. FRANKFURT AM MAIN OPER<br />
Rodelinda / Georg Friedrich Händel<br />
12.5. KREFELD THEATER<br />
Der goldene Drache / Peter Eötvös<br />
12.5. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />
Lohengrin / Richard Wagner<br />
13.5. WIEN (AT) THEATER AN DER<br />
WIEN Oberon / Carl Maria von Weber<br />
15.5. LÜBECK THEATER<br />
Don Giovanni / W. A. Mozart<br />
15.5. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />
Il barbiere di Siviglia / Gioachino Rossini<br />
EXIL IST HARTE ARBEIT<br />
Nil Yalter: „Exile Is a Hard Job / Walls“, 2018<br />
Acryl auf Offset-Druck im öffentlichen Raum<br />
Die Beziehung zwischen Menschen und Orten ist das große Thema<br />
von Nil Yalters künstlerischem Schaffen. Dabei schöpft sie auch aus<br />
ihrem eigenen Leben, das von Migration geprägt war. <strong>19</strong>38 wurde sie<br />
als Tochter türkischer Eltern in Kairo geboren. Als sie vier Jahre alt<br />
war, zog die Familie nach Istanbul, wo Yalter ohne formale Ausbildung<br />
ihre künstlerische Arbeit begann. <strong>19</strong>65 ging sie nach Paris und<br />
befasste sich mit dem Leben türkischer Migranten, ihren Wohnverhältnissen<br />
und ihren Arbeitsplätzen. Ihre orientalisch umrahmten<br />
Fotocollagen „Garment Workers“ zeigen Näherinnen in winzigen<br />
Wohnungen. „Anderer Leute Häuser werden zu Dächern der Sklaverei;<br />
die Mutigen werden zu Knechten“, setzt sie als Zitat der türkischen<br />
Schriftstellerin Hasan Hüseyin dazu. Im Museum Ludwig findet<br />
die erste große Überblicksausstellung der Künstlerin statt. Zudem<br />
führt Yalter ihre Posterserie „Exile Is a Hard Job / Walls“ (Foto)<br />
im Stadtraum von Köln fort. Zeichnungen und Fotos von türkischen<br />
Einwanderern aus ihrer Arbeit „Turkish Immigrants“ von <strong>19</strong>77 werden<br />
ohne Autorisierung in verschiedenen Stadtvierteln aufgehängt.<br />
Den Slogan „Exil ist harte Arbeit“ schreiben die Künstlerin oder die<br />
Bewohner auf die Poster, und zwar in der Sprache, die im jeweiligen<br />
Viertel vorrangig gesprochen wird: Deutsch, Türkisch, Arabisch,<br />
Russisch, Polnisch. Die Arbeit ist von und für Migranten, deren Existenz<br />
gleichzeitig so offensichtlich und doch abwesend ist.<br />
Köln, Museum Ludwig, www.museum-ludwig.de<br />
31. MAI – 16. JUNI 20<strong>19</strong><br />
IN HALLE (SAALE)<br />
an authentischen Orten in der Geburtsstadt<br />
von Georg Friedrich Händel<br />
ERLEBEN SIE<br />
OPERN<br />
Il Pastor fido (HWV 8a)<br />
Atalanta (HWV 35)<br />
ORATORIEN<br />
Messiah (HWV 56) // Susanna (HWV 66)<br />
FESTKONZERTE<br />
Karina Gauvin // Valer Sabadus //<br />
Carolyn Sampson // Vivica Genaux<br />
und Lawrence Zazzo<br />
u. v. a. m.<br />
JETZT DIE TICKETS SICHERN!<br />
www.haendelfestspiele-halle.de,<br />
+49 (0) 345 565 27 06 und<br />
bundesweit an allen<br />
CTS-Eventim-<br />
Vorverkaufsstellen<br />
Stiftung Händel-Haus<br />
Große Nikolaistr 5 // 06108 Halle (Saale)<br />
<strong>19</strong>. <strong>April</strong> bis<br />
ANZ_HFSP_20<strong>19</strong>_crecendo_92x126_DU_25.02.20<strong>19</strong>.indd 1 <strong>19</strong>.02.<strong>19</strong> 20:29<br />
1. <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong><br />
MIT<br />
Eröffnungskonzert,<br />
Matineen, Orgelkonzert,<br />
Jazz-Night, Festivalbrunch<br />
& Jubiläumskonzert<br />
WEITERE INFORMATIONEN UNTER<br />
www.osterfestival.de<br />
Tickets bei den örtlichen<br />
Vorverkaufsstellen und online<br />
unter www.eventim.de<br />
Freitag, 26. <strong>April</strong>, 20 Uhr<br />
Stadtkirche Bayreuth<br />
TROMPETENSCHALL<br />
& ORGENKLANG<br />
25.<br />
Mit dem Blechbläserensemble<br />
Bavarian Brass &<br />
Christoph Krückl, Orgel<br />
BAYREUTHER<br />
OSTERFESTIVAL<br />
BAYREUTHER<br />
OSTERFESTIVAL<br />
InternationaleGluckFestspiele<br />
Nürnberg Bayreuth Berching Erlangen Fürth Lauf Neumarkt<br />
Neue Klänge für Europa 27. Juni – 14. Juli 20<strong>19</strong><br />
www.gluck-festspiele.de<br />
47
E R L E B E N<br />
18.5. DARMSTADT STAATSTHEATER<br />
Orlando / Georg Friedrich Händel<br />
18.5. ERFURT THEATER<br />
The Fairy Queen / Henry Purcell<br />
18.5. STUTTGART STAATSOPER<br />
Mayerling / Kenneth MacMillan<br />
<strong>19</strong>.5. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />
Hippolyte et Aricie / J.-Ph. Rameau<br />
23.5. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />
THEATER Der junge Lord / H. W. Henze<br />
24.5. DORTMUND THEATER<br />
Echnaton / Philip Glass<br />
24.5. GERA LANDESTHEATER ALTEN-<br />
BURG Der Vogelhändler / Carl Zeller<br />
24.5. HEIDELBERG THEATER<br />
Katja Kabanowa / Leoš Janáček<br />
25.5. AUGSBURG THEATER<br />
Don Pasquale / Gaetano Donizetti<br />
25.5. BERN (CH) KONZERTTHEATER<br />
Tristan und Isolde / Richard Wagner<br />
25.5. BONN THEATER<br />
Die sizilianische Vesper / Giuseppe Verdi<br />
Davide Cabassi<br />
12. bis 14. <strong>April</strong>, Erl<br />
25.5. BRAUNSCHWEIG STAATS-<br />
THEATER L‘Invisible / Aribert Reimann<br />
25.5. CHEMNITZ DIE THEATER<br />
Fidelio / Ludwig van Beethoven<br />
25.5. DESSAU ANHALTISCHES<br />
THEATER<br />
Katja und der Teufel / Antonín Dvořák<br />
25.5. DRESDEN SEMPEROPER<br />
Nabucco / Giuseppe Verdi<br />
25.5. FREIBURG THEATER<br />
Pelléas et Mélisande / Claude Debussy<br />
25.5. KASSEL STAATSTHEATER<br />
Der Wildschütz / Albert Lortzing<br />
25.5. MANNHEIM NATIONAL-<br />
THEATER<br />
Pelléas et Mélisande / Claude Debussy<br />
26.5. MÜNCHEN NATIONALTHEATER<br />
Alceste / Christoph Willibald Gluck<br />
29.5. BONN THEATER<br />
Figures of Speach / Alonzo King<br />
31.5. HALLE OPER<br />
Julius Cäsar in Ägypten / G. F. Händel<br />
NEUE UND ALTE<br />
KLAVIERMUSIK IM DIALOG<br />
Die Klaviertage in Tirol bringen selten gehörte zeitgenössische<br />
Klaviermusik in einen Dialog mit klassischen Werken. Im Eröffnungskonzert,<br />
dessen Programm der Pianist Davide Cabassi (Foto) zusammenstellt,<br />
kommen neben Kompositionen von Schostakowitsch<br />
und Rachmaninow auch zwei Stücke von Thomas Adès zur Aufführung.<br />
Zu Blanca Variations ließ Adès sich von den sehnsüchtigtraurigen<br />
Klängen eines Ladino-Volksliedes inspirieren, und für<br />
Darkness Visible nahm er John Dowlands Lautenlied In Darkness Let<br />
Me Dwell aus dem Jahr 1610 zur Vorlage, das er von innen her erleuchtet,<br />
indem er verborgene Klangmuster hervorholt und sie in<br />
neue Zusammenhänge bringt. Nachts gibt es dann noch ein „Piano<br />
Battle“, in dem Luca Buratto auf dem Klavier und Michele Benuzzi<br />
auf dem Cembalo Werke von Bach spielen. Der Pianist Alfonso<br />
Alberti stellt unter dem Motto „Beethoven-Kontraste“ die letzten<br />
Klaviersonaten des erblindeten Beethoven in Bezug zu den rafnierten<br />
Klavierkompositionen aufregender Pracht und Schönheit<br />
Gérard Pessons sowie Werken von Ivan Fidèle und Philip Glass. In<br />
der „Late Night“ widmet sich Mélodie Zhao den Klavierkompositionen<br />
Franz Liszts. Und zur abschließenden „Benefiz-Matinee“<br />
dirigiert Friedrich Haider das Festspiel-Orchester bei Rossinis Petite<br />
Messe solonnelle und Beethovens Fünftem Klavierkonzert, womit er an<br />
die kuriose Begegnung der beiden Komponisten 1822 erinnert.<br />
Erl, Festspielhaus, www.tiroler-festspiele.at<br />
FOTO: DAVIDE CABASSI<br />
5. <strong>April</strong><br />
MÜNCHEN DANIEL BEHLE<br />
Die schöne Müllerin steht auf dem Programm von<br />
„Liederleben“. Die Pianistin und Liedbegleiterin<br />
Akemi Murakami (Foto), die die Reihe ins Leben<br />
rief und leitet, begleitet den lyrischen Tenor<br />
Daniel Behle bei Schuberts Vertonung von Wilhelm<br />
Müllers Versen. Der Zyklus über Liebe<br />
und Leid des jungen Müllergesellen gehört zu<br />
den Kernstücken des Liedrepertoires von Behle, der bekannt ist für seine<br />
überaus eindrucksvollen Liedinterpretationen. Weiter geht es mit<br />
„Liederleben“ am 2. Juni auf Schloss Nymphenburg, wenn Marie-Sophie<br />
Pollak in einem Konzert Schubert und Liszt einander gegenüberstellt.<br />
München, Max-Joseph-Saal der Residenz, www.lied-er-leben.com<br />
2. <strong>Mai</strong><br />
HAMBURG DIE NACHT DER SEEIGEL<br />
Ein Mann auf der Flucht, eine schwangere Frau<br />
und ein alter Wissenschaftler – drei einsame<br />
Menschen, getrieben von der Sehnsucht nach<br />
„Verschmelzung“. Das ist das Szenario des Musiktheaterprojekts<br />
„Die Nacht der Seeigel“ der<br />
Komponisten Huihui Cheng, Diana Syrse und<br />
Mischa Tangian. Die Verschmelzung schaffen die<br />
Seeigel, über die der Wissenschaftler eine Theorie aufgestellt hat. Es<br />
wird Nacht, das Meer steigt und überflutet die Stadt. Die Seeigel bevölkern<br />
den Raum und verändern alles. Sie „vereinen, trennen, löschen, befruchten“.<br />
In der Reihe „opera stabile“ kommt das Projekt zur Uraufführung.<br />
Die drei Protagonisten verkörpern Hiroshi Amako (Mann), Na’ama<br />
Shulman (Frau) und Gabriele Rossmanith (Foto, Wissenschaftler).<br />
Hamburg, Staatsoper, 2. (Premiere), 4., 5., 7., 9. und 11.5.,<br />
www.staatsoper-hamburg.de<br />
24. <strong>April</strong> bis 26. <strong>Mai</strong><br />
INTERNATIONALE MUSIKFESTSPIELE SAAR<br />
„New Generation“ lautet das Motto der Musikfestspiele<br />
Saar. Die Festspiele feiern ihr 30-jähriges<br />
Jubiläum und haben sich unter ihrem<br />
künstlerischen Leiter, dem Organisten Bernhard<br />
Leonardy, zum Ziel gesetzt, junge Menschen<br />
für klassische Musik zu begeistern. Gast<br />
in der Jubiläumssaison, die vom European Youth<br />
Orchestra eröffnet wird, ist die Pianistin Valentina Lisitsa (Foto). Sie ist<br />
der erste Youtube-Star der klassischen Musik, dem es zudem gelang, den<br />
Interneterfolg in eine weltweite Konzertkarriere zu verwandeln. 2007<br />
stellte sie mit einer Rachmaninow-Etüde ihr erstes Video ins Netz. Im<br />
Jahr darauf spielte sie bereits in der Royal Albert Hall in London. An die<br />
Saar kommt sie mit Tschaikowsky.<br />
Saarbrücken, verschiedene Spielorte, www.musikfestspielesaar.de<br />
10. bis 25. <strong>Mai</strong><br />
BERLIN <strong>CRESCENDO</strong>-FESTIVAL DER UDK<br />
Die Fakultät der Musik der Universität der<br />
Künste Berlin feiert ihr 150-jähriges Bestehen.<br />
Sie geht zurück auf die 1869 unter der Ägide des<br />
Geigers Joseph Joachim (Radierung von Gustav<br />
Eilers) gegründete Königliche Akademische<br />
Hochschule für Musik. Das crescendo-Festival<br />
der UdK feiert das Jubiläum mit einem vielfältigen<br />
Programm. Im Festkonzert dirigiert Stefan Sanderling das Symphonieorchester<br />
der UdK Berlin bei Werken von Joseph Joachim und Franz<br />
Schreker. Die UdK-Professoren finden sich zum Streichsextett zusammen,<br />
und die neuen Professoren, der Pianist Christian Petersen und der<br />
Cellist Danjulo Ishizaka, stellen sich in Soloabenden vor. Den Festivalausklang<br />
gestaltet Mirijam Contzen mit den Studierenden der Violinklassen.<br />
Berlin, UdK, www.udk-berlin.de/crescendo<br />
48 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
FOTOS: HANS JÖRG MICHEL; NINA KARMON; MONIKA RITTERSHAUS; GERT WEIGELT; THOMAS JAUCK; SONY MUSIC; MENG PHU; SHIRLEY SUAREZ; BLACKIE BOUFFANT; JÖRN KIPPING; GILBERT FRANÇOIS; PAAVO BLAFIELD<br />
KÜNSTLER<br />
ANAÏS GAUDEMARD<br />
30.3. Dortmund, Konzerthaus<br />
6.4. Wien (AT), Konzerthaus<br />
6. und 7.5. Hamburg, Elbphilharmonie<br />
HAUSCHKA<br />
24.4. Berlin, Konzerthaus<br />
2.5. Köln, Gürzenich<br />
20.5. Frankfurt, Künstlerhaus<br />
Mousonturm<br />
29.5. Recklinghausen, Ruhrfestspielhaus<br />
FRIEDRICH KLEINHAPL<br />
18.3. Graz (AT), Musikverein<br />
21.4. Graz (AT), Landhaushof<br />
21.5. Fürstenfeld, Stadthalle<br />
FELIX KLIESER<br />
18.3. Hannover, Jugendkirche<br />
31.3. und 1.4. Saarbrücken,<br />
Congresshalle<br />
18.5. Hochstädt, Schloss<br />
25.5. Düsseldorf, Tonhalle<br />
ALEXANDER KRICHEL<br />
<strong>19</strong>.3. Zürich (CH), Kaufleuten<br />
20.3. Bern (CH), Le CAP<br />
30.3. Ulm, Stadthaus<br />
1.4. Wiesbaden, Kurhaus<br />
4.4. Nordenham, Aula Gymnasium<br />
7.4. Bad Mergentheim, Deutschordensmuseum<br />
ANDREAS OTTENSAMER<br />
17.3. München, Prinzregententheater<br />
6.4. Zug (CH), Theater Casino<br />
7.4. Düsseldorf, Museum Kunstpalast<br />
8.4. Berlin, Kammermusiksaal der<br />
Philharmonie<br />
10.4. Schweinfurt, Theater<br />
<strong>19</strong>.5. Wien (AT), Musikverein<br />
ANNA LUCIA RICHTER<br />
4.4. Frankfurt, Alte Oper<br />
10.4. Stuttgart, Liederhalle<br />
11.4. Berlin, Kammermusiksaal der<br />
Philharmonie<br />
12.4. Freiburg, Konzerthaus<br />
14.4. Duisburg, Mercatorhalle<br />
der Philharmonie<br />
16.4. Berlin, Konzerthaus<br />
4.5. Hohenems (AT), Markus-<br />
Sittikus-Saal<br />
14.5. Wien (AT), Konzerthaus<br />
FAZIL SAY<br />
<strong>19</strong>.3. Ludwigshafen, Feierabendhaus<br />
20.3. Düsseldorf, Tonhalle<br />
21.3. Ingelheim, Kongresshalle<br />
22.3. Zug (CH), Theater Casino<br />
24.3. Frankfurt, Alte Oper<br />
25.4. Dresden, Kunstpalast<br />
4. und 5.5. Bern (CH), Konzert Theater<br />
28.5. Salzburg (AT), Mozarteum<br />
YUJA WANG<br />
6.5. Wien (AT), Konzerthaus<br />
14.5. Frankfurt, Alte Oper<br />
15.5. Dortmund, Konzerthaus<br />
16.5. Stuttgart, Liederhalle<br />
17.5. Dresden, Kulturpalast<br />
<strong>19</strong>.5. Köln, Philharmonie<br />
25.5. Innsbruck (AT), Congress<br />
26.5. Zürich (CH), Tonhalle Maag<br />
27.5. Genf (CH), Migros<br />
28.5. München, Philharmonie<br />
„Wie wenn man durch die<br />
Straßen von Berlin läuft –<br />
wo alle Gebäude gleich aussehen,<br />
auch wenn sie es<br />
nicht sind“, beschrieb Morton<br />
Feldman seine Triadic<br />
Memories. Nach einer „musikalischen<br />
Midlife-Crisis“<br />
entwickelte er in seinen<br />
späten Kompositionen<br />
Strategien, um die Zuhörer<br />
systematisch zu desorientieren.<br />
Eine Ausstellung<br />
seines langjährigen Freundes,<br />
des Künstlers Philip<br />
Guston, der plötzlich wieder<br />
gegenständliche Arbei-<br />
Pedja Muzijevic und Cesc Gelabert<br />
ten zeigte, schockierte ihn zwar zunächst, veranlasste ihn dann aber,<br />
seinem Weg zu folgen: „Er hat aufgehört, Fragen zu stellen“, erkannte<br />
er als Grund für Gustons Wandel. Und da wurde ihm deutlich, dass<br />
auch er keine Fragen mehr stellen wollte. „Ich wollte keine Fragen, von<br />
niemandem, mich selbst eingeschlossen. Ich wollte anfangen, ohne mich<br />
10. und 11. <strong>Mai</strong>, Leverkusen<br />
EIN MASKENBALL Oper<br />
GIUSEPPE VERDI<br />
12. Juli bis 22. August<br />
KISS ME, KATE Musical<br />
COLE PORTER (Musik)<br />
26. Juni bis 24. August<br />
Tickets: www.eutiner-festspiele.de<br />
oder per Telefon: 04521-8001-0<br />
WIEDERHOLUNG UND VERÄNDERUNG<br />
Natur erleben<br />
Kultur genießen<br />
OPER AUF DER SEEBÜHNE EUTIN<br />
ABU HASSAN KinderOper<br />
CARL MARIA VON WEBER<br />
03. Juli bis 17. Juli<br />
VIVA LA MUSICA Gala<br />
DOMINIQUE CARON (Director)<br />
31. August<br />
im Vorhinein schon festlegen<br />
zu müssen, wie ich<br />
vorgehe.“ Inspiriert von<br />
den anatolischen Knüpfteppichen<br />
und deren<br />
Symmetrien, variiert er<br />
die Klangmuster in einem<br />
feinen Wechselspiel aus<br />
Wiederholung und Veränderung,<br />
wobei die Wiederholungen<br />
niemals identisch<br />
ausfallen. Framing Time bindet<br />
das Werk ein in eine<br />
Performance. Während der<br />
Pianist Pedja Muzijevic sich<br />
der Musik zuwendet, lässt<br />
der Tänzer und Choreograf<br />
Cesc Gelabert, der als eine der einflussreichsten Figuren im modernen<br />
Tanz Spaniens gilt, die Klänge tänzerisch skulptural im Raum sichtbar<br />
werden. Der Lichtdesigner und Bühnenbildner Burke Brown unterzieht<br />
die Szene mit Licht und Farben fortwährenden Veränderungen.<br />
Leverkusen, Erholungshaus, www.kultur.bayer.de<br />
FOTO: RAMO´N EGUIGUREN / TEATRO PEDJA<br />
49
E R L E B E N<br />
Beliebte Gäste in Gohrisch: Marc Danel, Gilles Millet, Vlad Bogdanas und Yovan Markovitch vom Quatuor Danel<br />
FOTOS: OLIVER KILLIG<br />
EIN SYMBOL DER<br />
WAHRHEIT<br />
Die 10. Internationalen Schostakowitsch Tage in Gohrisch erschließen<br />
in ihrem Jubiläumsprogramm Schostakowitschs Bezug zu anderen russischen<br />
Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts.<br />
VON RUTH RENÉE REIF<br />
„Ich schrieb ein Quar tett, das für nie man den einen Nut zen hat und<br />
ein ide el ler Fehl schlag ist“, teil te Dmi tri Schosta ko witsch <strong>19</strong>60 aus<br />
Gohrisch seinem Komponistenfreund Isaak Glikman mit. Dieses<br />
Achte Quartett, dem Schosta ko witsch sich in dem idyl li schen Kur ort<br />
zuwand te, ist sein per sön lichs tes Werk und das ein zi ge, das er außerhalb<br />
der Sowjetunion komponierte. Die unvermutete Ruhe des landschaft<br />
li chen Para die ses der Säch si schen Schweiz, in der er „schöp feri<br />
sche Arbeits be din gun gen“ fand, reg te ihn an, den Blick zurück auf<br />
INTER NA TIO NA LE SCHOSTA KO WITSCH<br />
TAGE GOH RISCH<br />
20. bis 23. Juni<br />
Informationen und Kartenservice:<br />
tickets@schostakowitsch-tage.de<br />
www.schostakowitsch-tage.de<br />
sein Leben zu rich ten und die Schre cken<br />
der Stalinzeit kompositorisch aufzuarbeiten.<br />
Beginnend mit seinem musikalischen<br />
Mono gramm D-Es-C-H, schuf er ein<br />
Werk voller biografischer Bezüge und Zitate<br />
und verfasste damit ein musikalisches<br />
Epi taph auf sich selbst. „Dem Kom po nisten<br />
die ses Werks zum Gedächt nis, so könn te man auf das Deck blatt<br />
schrei ben“, schlug er denn auch vor.<br />
50 Jahre später kam das Werk einzigartiger Ausdruckskraft bei<br />
den ers ten Schosta ko witsch Tagen genau an jenem Ort zur Aufführung,<br />
an dem es ent stand. Zehn Jah re spä ter erklingt es erneut, wenn<br />
das Fes ti val sein Jubi lä um fei ert. Das Qua tu or Danel, in des sen Repertoire<br />
russische Komponisten einen herausragenden Platz einnehmen,<br />
spielt es im Eröff nungs kon zert mit Wer ken der bei den ande ren gro ßen<br />
russischen Komponisten des 20. Jahrhunderts,<br />
Igor Stra win sky, den Schosta kowitsch<br />
hym nisch lob te, und Ser gei Pro kofjew,<br />
den er mit kri ti scher Iro nie betrachtete.<br />
2010 riefen der damalige Dramaturg<br />
der Sächsischen Staatskapelle Dresden,<br />
Tobias Niederschlag, und begeisterte Mit-<br />
50 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Ioan-Holender-Kolumne<br />
REISENDE<br />
BÜHNENBILDER<br />
Gohrisch in der Sächsischen Schweiz: Anziehungsort für<br />
Schostakowitsch-Liebhaber aus aller Welt<br />
streiter aus Gohrisch und Dresden in einem landwirtschaftlichen<br />
Bergeraum, vor dessen Toren aufgeschichtete Heuballen ein Freiluft-<br />
Ves ti bül bil de ten, das Fes ti val ins Leben. Und schon nach der ers ten<br />
Ausgabe, bei der Schostakowitschs Freund, Biograf und Komponistenkollege<br />
Krzysztof Meyer einen bewegenden Vortrag hielt, stand<br />
der Ent schluss fest, dass es wei ter ge hen müs se. Schosta ko witsch verkör<br />
pert das Gewis sen der Genera ti on, die in der Höl le des Sta li nis mus<br />
leb te. In Zei ten, in denen die Men schen wür de mit Füßen getre ten<br />
wurde und die Kriegstragödie Russland überflutete, stellten seine<br />
Wer ke ein Sym bol der Wahr heit dar. Das Dra ma des schöp fe ri schen<br />
Genies im Zeitalter des Totalitarismus nicht in Vergessenheit geraten<br />
zu las sen und die gran dio se Musik, die dar in wur zelt, zu fei ern, ist das<br />
Verdienst dieses in Deutschland einmaligen Festivals.<br />
„Das Groß ar ti ge ist“, erklärt Nie der schlag, „dass die Musik von<br />
Schosta ko witsch für uns ein Kom pass gewor den ist, um auch ande re<br />
Wer ke und Kom po nis ten des 20. und 21. Jahr hun derts zu ord nen und<br />
zu hören.“ So gelan gen in einem Kam mer kon zert zwei kürz lich aufgetauchte<br />
Lieder ohne Worte für Vio li ne und Kla vier des pol ni schen<br />
Schostakowitsch-Freundes Mieczysław Weinberg zur Uraufführung,<br />
des sen durch die jüdi sche Folk lo re inspi rier te Musik erst seit weni gen<br />
Jah ren ent deckt wird. Und in der Kam mer ma ti nee gibt es das Grand<br />
Duet für Cel lo und Kla vier von Gali na Ust wol ska ja, der Schü le rin und<br />
rätselhaften Geliebten Schostakowitschs. Weltweite Anerkennung<br />
pro phe zei te er ihrer Musik, die sie aller dings erst nach dem Tod ihrer<br />
Schöp fe rin fand. Auch an die Kin der ist gedacht. Die Schau spie le rin<br />
Isabel Karajan erarbeitet mit der aus Mitgliedern der Sächsischen<br />
Staats ka pel le Dres den bestehen den Kapel le 21 und dem Raschèr Saxopho<br />
ne Quar tet, das in die sem Jahr sein 50. Jubi lä um fei ert, einen Aufführungsabend<br />
mit Prokofj ews sinfonischem Märchen Peter und der<br />
Wolf. Der internationale Schostakowitsch Preis Gohrisch geht im<br />
Jubiläumsjahr an den lettischen Dirigenten Andris Nelsons, der ein<br />
ambitioniertes Einspielungsprojekt aller 15 Schostakowitsch-Sinfoni<br />
en in Angriff genom men hat.<br />
■<br />
Ende des <strong>19</strong>. Jahr hun derts bis in die <strong>19</strong>20er-Jah re wurden<br />
die Namen der Regis seu re zumeis t gar nicht<br />
genannt. Enri co Caru so schick te bei sei nem Debüt an<br />
der Wie ner Staats oper <strong>19</strong>06 sei nen Sekre tär zur Büh nenpro<br />
be, der ihm nach her über das sze ni sche Gesche hen<br />
berich te te. Noch Her bert von Kara jan prob te bis zur Fertig<br />
stel lung des sze ni schen Arran ge ments mit Sta tis ten,<br />
wäh rend das Orches ter per Ton band ein ge spielt wur de.<br />
Erst bei Konstantin Stanislawski, Wladimir Nemirowitsch-<br />
Dant schen ko und spä ter bei Fran co Zeffirel li, Gior gio<br />
Strehler, Jean-Pierre Ponnelle u. a. wurde das Regiekonzept<br />
inten siv mit den sin gen den Inter pre ten erar bei tet.<br />
Heu te soll te der Regis seur – neben dem Diri gen ten<br />
und den Sän gern – ein gleich wer ti ger Bestand teil einer<br />
Opern pro duk ti on sein. Manch mal ist er jedoch der pri mus<br />
inter pares, was sich ungut aus wirkt. Das Übel der theaterfremden<br />
Koproduktionen macht sich immer breiter.<br />
Man erar bei tet eine Insze nie rung mit dem Regis seur, und<br />
nach her geht das Büh nen bild samt den Kos tü men auf Reisen<br />
in ande re Thea ter. In die sen wird das sze ni sche Geschehen<br />
mit ande ren Sän gern und Diri gen ten von einem Regieas<br />
sis ten ten, sel ten vom ursprüng li chen Regis seur ein studiert.<br />
Die Inter pre ten werden gezwun gen, genau so zu<br />
agie ren wie jene der ers ten Ein stu die rung. Die Ende März<br />
im Sul ta nat Oman ent ste hen de Insze nie rung von Léo De -<br />
libes’ Lak mé etwa geht anschlie ßend in Kopro duk ti on an<br />
die Los Ange les Ope ra, das Tea tro dell’Opera di Roma, die<br />
Fon da zio ne Are na di Vero na, das Tea tro Car lo Feli ce di<br />
Geno va, das Cai ro Ope ra House, die Asta na Ope ra in<br />
Kasach stan, das Natio nal Cent re for Per forming Arts of<br />
Bei jing und die Ope ra Aus tra lia, und zwar in jeweils anderen<br />
Besetzungen. Natürlich sparen solche Koproduktionen<br />
Geld. Künstlerisch gesehen beschränkt sich die Operation<br />
jedoch auf rei sen de Deko ra tio nen.<br />
„kulTOUR mit Holender“ auf<br />
ServusTV Deutschland:<br />
14. und 17.3. „Stutt gart – Inno va ti on hat Tra di ti on“ |<br />
24.3. „Alex an der Perei ras Wir ken an der <strong>Mai</strong> län der<br />
Sca la“ | 31.3. „Sot schi – Die rus si sche Rivie ra“ |<br />
7.4. „Inns bru cker Fest wo chen der Alten Musik“ |<br />
14.4. „Die Schmie de der <strong>Mai</strong> län der Sca la“ | 28.4. „Prag –<br />
Gol de ne Musik stadt“ | 5.5. „Brüs sel und Liège – Kul tur<br />
in der Mit te Euro pas“ | 12.5. „Chris ti an Ger ha her“ |<br />
<strong>19</strong>.5. „Vene dig – Opern stadt und Kunst stät te“ |<br />
26.5. „Böh mens Well ness für Köni ge und Künst ler“<br />
Die wei te ren Don ners tag-Sen de ter mi ne stan den bei<br />
Redak ti ons schluss noch nicht fest.<br />
51
T I T E L Z E I L E<br />
8. <strong>Mai</strong>, München, Prinzregententheater<br />
Info und Service: www.crescendo.de/live<br />
<strong>CRESCENDO</strong> LÄDT<br />
ZUM KONZERT<br />
<strong>CRESCENDO</strong> bietet Exklusivleistungen für seine Leser: Karten in der besten Kategorie,<br />
eine Backstage-Führung vorab sowie Künstlergespräche in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge.<br />
Das Ensemble Quadro Nuevo<br />
und der Pianist Chris Gall<br />
FOTO: QUADRO NUEVO<br />
Gehen Sie mit uns ins Konzert! Gemeinsam mit dem Münchner Rundfunkorchester präsentiert <strong>CRESCENDO</strong><br />
am 8. <strong>Mai</strong> „Volkslied Reloaded“. Das Ensemble Quadro Nuevo und der Pianist Chris Gall nehmen uns in der<br />
Reihe „Mittwochs um halb acht“ im Münchner Prinzregententheater mit auf eine musikalische Entdeckungsreise<br />
durch die faszinierende Welt der Volkslieder. Als <strong>CRESCENDO</strong> Leser erhalten Sie Karten der besten<br />
Kategorie und sind eingeladen, vorab an einer Führung durch den Backstage-Bereich teilzunehmen. Im<br />
Anschluss an das Konzert erwarten wir Sie zu entspannten Gesprächen mit den Mitgliedern von Quadro<br />
Nuevo in der <strong>CRESCENDO</strong> Lounge. Die Musiker stellen ihr neues Album vor, das sie gern für Sie signieren.<br />
Und wir freuen uns, Sie kennenzulernen. (Exklusivpaket für 45 Euro nur unter: www.crescendo.de/live)<br />
Volkslieder erzählen von Liebe und Tod, Sehnsucht, Freiheit und Fernweh. Das Ensemble Quadro<br />
Nuevo, dem der Saxofonist Mulo Francel, der Kontrabassist D. D. Lowka, der Akkordeonist Andreas Hinterseher<br />
und die Harfenistin Evelyn Huber angehören, und der Pianist Chris Gall bringen diesen Schatz an<br />
Melodien neu zum Klingen. Mit Melodien wie Sah ein Knab ein Röslein stehn und Kein schöner Land lassen<br />
sie Kindheitserinnerungen lebendig werden. Ihre einfühlsamen Arrangements loten die emotionale Tiefe<br />
der Volksweisen aus und geben der Lebensfreude ebenso Raum wie der melancholischen<br />
Rückschau in Liedern wie Am Brunnen vor dem Tore, Hoch auf dem gelben<br />
Wagen oder In einem kühlen Grunde. Seit <strong>19</strong>96 tourt das mehrfach prämierte Ensemble,<br />
das 2018 mit der Goldenen Schallplatte ausgezeichnet wurde, um die Welt.<br />
Geprägt von vielfältigen musikkulturellen Einflüssen und einer Liebe zur nostalgisch-akustischen<br />
Musik, hat es seine eigene Tonpoesie entwickelt. Der Auftritt mit<br />
dem Münchner Rundfunkorchester steht unter der Leitung von Elisabeth Fuchs.<br />
Quadro Nuevo & Münchner Rundfunkorchester: „Volkslied Reloaded“ (Sony Classical)<br />
Als neuer Abonnent erhalten Sie diese CD als Begrüßungsgeschenk (siehe S. 70)<br />
52 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
SCHWERPUNKT<br />
ZENSUR<br />
Religion, Kunst, Politik: Wo Macht ist, ist auch Angst. Eine Geschichte der Musikzensur (Seite 56)<br />
Regie führen aus weiter Ferne: der Fall Serebrennikow (Seite 61)<br />
Das darf doch nicht (wahr) sein!<br />
VON STEFAN SELL<br />
Unglaublich Verfolgt Verboten<br />
Frauen<br />
Vor 100 Jahren war es Frauen<br />
verboten zu wählen. In diesem<br />
Jahr feiert Deutschland 100 Jahre<br />
Frauenwahlrecht. Bürgerinnen<br />
und Bürgern des Schweizer<br />
Kantons Appenzell Innerrhoden<br />
bleibt noch genügend Zeit für die<br />
Vorbereitung ihres Jubiläums –<br />
100 Jahre Frauenwahlrecht wird<br />
hier erst 2090 gefeiert.<br />
2011 rebellierte<br />
die russische<br />
Punkrock-Band<br />
Pussy Riot<br />
gegen Putin. Sie zelebrierte ihr<br />
„Punk-Gebet“ in einer Moskauer<br />
Kirche. Dokumentiert wurde ihre<br />
Aktion vom Filmkollektiv<br />
„Gogol’s Wives“. Ihre darauffolgende<br />
Verhaftung und Verurteilung zu<br />
zwei Jahren Haft löste weltweit eine<br />
Protestwelle aus.<br />
<strong>19</strong>39 nahm Lale Andersen<br />
„Lili Marleen“ auf. Erst zwei Jahre<br />
später machte das Lied Furore,<br />
sogar weltweit. Briefe an den von<br />
den Nazis entlassenen, in Zürich<br />
engagierten Theatermacher<br />
Kurt Hirschfeld wurden der Sängerin<br />
zum Verhängnis. Es hieß:<br />
„Ab sofort Auftrittsverbot!“ Sie<br />
wurde verhaftet.<br />
Männer<br />
Sie lebten zusammen in einer<br />
WG, waren befreundet und<br />
arbeiteten zusammen. 47 Texte<br />
hat Franz Schubert von Johann<br />
Mayrhofer vertont. Der Dichter<br />
Mayrhofer, der auch zwei Libretti<br />
für Schubert schrieb, war im<br />
Brotberuf beim „K. K. Bücher-<br />
Revisionsamt“ für die staatliche<br />
Zensur zuständig.<br />
Der Hochschullehrer und Dichter<br />
der deutschen Nationalhymne,<br />
Hoffmann von Fallersleben,<br />
wurde seinerzeit „als Feind der<br />
bestehenden Ruhe und Ordnung“<br />
mit Berufsverbot belegt und<br />
steckbrieflich verfolgt.<br />
Seine Gedichtsammlung<br />
„Unpolitische Lieder“<br />
war verboten.<br />
Seit der bayerische Liederrebell<br />
Hans Söllner wegen seines Liedes<br />
Politessen eine Strafandrohung<br />
von zunächst bis zu 500.000 DM<br />
per Gerichtsbeschluss erhielt,<br />
lässt er den betroffenen Refrain<br />
vom Publikum<br />
singen und konnte<br />
nach eigenen Angaben<br />
so schon viele<br />
Ordnungsgelder<br />
sparen.<br />
Bräuche &<br />
Gesetze<br />
Nachts nochmals auf die Toilette<br />
zu gehen, kann in der Schweiz<br />
teuer werden. Zwischen 22 und<br />
7 Uhr ist es verboten, in einer<br />
Etagenwohnung die Klospülung<br />
zu benutzen. Sollte zudem<br />
jemand dabei ein Paar hochhackige<br />
Schuhe<br />
tragen, ist ein<br />
weiteres Bußgeld<br />
fällig.<br />
1647 hatten in England die Puritaner<br />
das Sagen und stellten nicht<br />
zu Unrecht fest, dass Weihnachten<br />
eigentlich die Wintersonnenwende<br />
ist und auf heidnische<br />
Bräuche zurückgeht. Sie<br />
verhängten kurzerhand einen<br />
Erlass, der Weihnachten verbot.<br />
Keine Feier, keine Völlerei, nur<br />
Arbeit und offene Geschäfte.<br />
Ob gewählt oder nicht gewählt,<br />
wer das britische Parlament im<br />
Westminster Palace betritt, tut<br />
gut daran, vorher einen Gesundheitscheck<br />
zu machen, denn<br />
Sterben ist hier verboten. Das entsprechende<br />
Gesetz hierzu soll den<br />
Anspruch auf ein Staatsbegräbnis<br />
verhindern.<br />
FOTOS: DENIS BOCHKAREV; STEFAN BRENDING<br />
53
Z E N S U R<br />
54 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
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FOTO: WILFRIED HOESL
Z E N S U R<br />
TANNHÄUSER AN DER BAYERISCHEN STAATSOPER<br />
Ein Jahr lang war ein Video des Tannhäuser-Vorspiels aus der aktuellen Inszenierung<br />
von Romeo Castelucci an der Bayerischen Staatsoper online, da<br />
wurde es plötzlich von Facebook gelöscht und der Account für 24 Stunden<br />
gesperrt. Grund: Im Video sind nackte weibliche Brustwarzen zu sehen – ein<br />
Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards von Facebook. Dort ist das Video<br />
nun nur in der zensierten „Free-the-Nipples“-Edition zu finden – in der<br />
Mediathek der Bayerischen Staatsoper ist weiterhin das Original zu sehen.<br />
Ein Krokodil,<br />
das Köpfe abreißt<br />
Machthaber auf Kunstauslesekurs – eine kurze Geschichte der Musikzensur.<br />
VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />
Tonkunst, dich preis ich vor allen, Höchstes Los ist dir gefallen,<br />
Aus der Schwesterkünste drei, Du die freiste, einzig<br />
frei!“, dichtete Franz Grillparzer 1826. Und irrte. Denn<br />
seit jeher ließen sich die Mächtigen mit harmonischen<br />
Klängen huldigen und verbannten rigoros die Musik, deren Texte<br />
weniger huldvoll waren. Bereits Kaiser Wu (140–87 v. Chr.) ließ die<br />
Musiker in seinem Reich kontrollieren, ganz im Sinne von Konfuzius,<br />
der meinte, dass man an der Musik erkenne, ob ein Land „wohl<br />
regiert und gut gesittet sei“. Für Platon gab es gute und weniger gute<br />
Tonarten, solche die aus Männern Krieger machten, und solche, die<br />
sie „verweichlichten“. Saiteninstrumente hielt er für „staatspolitisch<br />
brauchbar“; Harfen, Zimbeln, „weiche“ Flöten nicht. Was er über den<br />
Dudelsack gesagt hätte, der im Dreißigjährigen Krieg als Waffe galt?<br />
Bei den alten Griechen ging es um Krieg, im aufommenden<br />
Christentum um Gottes Wort. Heiliges Ideal war der einstimmige<br />
gregorianische Gesang, dessen „Worte von jedermann klar verstanden<br />
werden“ sollten. Bereits Augustinus (354–430 n. Chr.) hatte vor<br />
„zu schöner“ Musik gewarnt, die von der Buße ablenke. Im Laufe<br />
der Jahrzehnte hatten sich weltliche Melodien, oft deftige Liebeslieder,<br />
deren Inhalt jedem Geistlichen bekannt (!) waren, ins liturgische<br />
Repertoire geschlichen. Dem „sündhaften Lärm“ und „üblen<br />
Durcheinander“ der Polyfonie, das die Textverständlichkeit behin-<br />
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IN PARIS KONNTE EINE OPER<br />
ZENSIERT WERDEN, WENN DAS<br />
WORT FREIHEIT NICHT VORKAM<br />
dere und die pia gravitas verletze, sagte das katholische Konzil von<br />
Trient (1545–1563) den Kampf an. Mit einem Trick stimmte<br />
Giovanni Pierluigi da Palestrina, der bis zu seinem Tod 1594 am<br />
Petersdom wirkte, die Konzilsväter gnädig: Die dogmatischen Sätze<br />
seiner Missa Papae Marcelli (um 1562) setzte er homofon, die anderen<br />
polyfon. Sein Stil wurde schließlich zum Inbegriff der katholischen<br />
Kirchenmusik.<br />
1564 starb in Genf Johannes Calvin. Ein protestantischer Eiferer,<br />
der „anständige“ Lieder forderte und abgründige Gedanken<br />
hegte. Ja, jede schlechte Rede verderbe „die guten Sitten“. Doch eine<br />
Melodie dazu sei wie Wein, der „Gift und Verderben auf den Grund<br />
des Herzens“ bringe. Ganz anders war die Haltung von Calvins<br />
Lehrmeister Martin Luther. Der freute sich des Lebens und an der<br />
Musik. Sie verjage den Teufel, sei ein Mittel gegen „Zorn, Zank,<br />
Hass, Neid, Geiz, Sorge, Traurigkeit und Mord“, wie er in der Vorrede<br />
zu seinen Gesangbüchern schrieb. „Wittenbergische Nachtigall“<br />
nannte man ihn, weil er gerne sang, die Laute spielte und<br />
komponierte. Ihm verdanken wir nicht nur das Lied Ein feste Burg<br />
ist unser Gott, das Heinrich Heine die „Marseillaise der Reformation“<br />
nannte, sondern auch viele durch ihn inspirierte Werke von<br />
Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach.<br />
Letzterer wird 1706 in Arnstadt vom Superintendent Orearius<br />
zur Rede gestellt. „Halthen Ihm vor, dass er bisher in dem Choral<br />
viele wunderlichen variationes gemachet, viele fremde Thone mit<br />
eingemischet, dass die Gemeinde darüber confundiret worden“,<br />
heißt es in der Kirchenakte. Doch Bach verbittet sich jegliche<br />
Einmischung.<br />
Nur Frauen durfte auch er in seiner Kirchenmusik nicht einsetzen,<br />
galt zu seiner Zeit der von Apostel Paulus formulierte Grundsatz:<br />
„mulier tacet in ecclesia“ – „Die Frau schweige in der Kirche“.<br />
Für „WEIBER“ sei „hier kein Platz“ wird es das Provinzialkonzil<br />
der Erzdiözese Köln 1862 drastisch auf den Punkt bringen. Denn<br />
„alles, was im Kirchengesange an Weiblichkeit grenzt, der Heiligkeit<br />
des Ortes und der Majestät des Gottesdienstes widerspricht“.<br />
Auf den überirdischen „Angelus Klang“ wollte man im bis heute<br />
männlichen päpstlichen Chor der Sixtinischen Kapelle allerdings<br />
nicht verzichten. Und so übernahmen dies bis zu Beginn des 20.<br />
Jahrhunderts die Kastraten.<br />
Ungeachtet dessen gab es aber Frauen im Chor, wie etwa in der<br />
Berliner Singakademie. Gegründet wurde sie 1791, zwei Jahre nach<br />
der Französischen Revolution. Drei Jahre zuvor hatte Mozart noch<br />
mit seiner subversiven Hochzeit des Figaro, in der Diener rebellieren<br />
und den Herrn überlisten, seine Mühe gehabt. „Revolution in<br />
Aktion“ beschrieb sie Napoleon.<br />
Die Zensur trieb bunte Blüten, je nach politischer Situation.<br />
Im revolutionären Paris konnte eine Oper bereits zensiert werden,<br />
wenn das Wort Freiheit nicht vorkam. Im kaiserlichen Wien wiederum<br />
gängelte man Verdi, weil man den Gefangenenchor aus<br />
Nabucco (1842) als eine Art italienischer Revolte gegen die Donaumonarchie<br />
verstand.<br />
Neben Religion-Doktrinen und politischen Machtinteressen<br />
bestimmte auch der Geschmack des Herrschers, der oft auch Mäzen<br />
war, die Auftragslage der Komponisten. Monteverdi musste 1612<br />
Mantua verlassen, weil man nach dem Tod seines Dienstherrn die<br />
Oper nicht mehr schätzte. Im Frankreich des 17. und frühen 18.<br />
Jahrhundert musste laut Dekret (!) jede Oper ein Ballett haben, weil<br />
der König so gerne tanzte. Im sogenannten Buffonistenstreit von<br />
1752, einer Auseinandersetzung um die Vorherrschaft der französischen<br />
oder der italienischen Oper, ging es wieder um Politik.<br />
In Russland durfte ein Zar nicht auf der Bühne dargestellt<br />
werden – schon gar nicht als Dummkopf wie in Der goldene Hahn<br />
(<strong>19</strong>09) von Rimski-Korsakow. Opern wurden vom Zaren höchstpersönlich<br />
umbenannt, Libretti umgetextet, Szenen gestrichen. Fast<br />
schon harmlos gegenüber dem, was im 20. Jahrhundert auf Musiker<br />
zukommen sollte.<br />
„Ein Zensor ist ein menschgewordener Bleistift oder ein bleistiftgewordener<br />
Mensch ... ein Krokodil, das an den Ufern des Ideenstromes<br />
lagert und den darin schwimmenden Literaten die Köpf’<br />
abbeißt“, witzelte Johann Nestroy. Wie wahr. Egal ob Nazi oder<br />
Kommunist: Beide lehnten die Atonalität und die Dodekafonie ab.<br />
Nach der Oktoberrevolution <strong>19</strong>17 hatte Nadeshda Krupskaja, die<br />
Witwe Lenins, die Leitung des Volkskommissariats für Bildung<br />
übernommen. Anfangs eher liberal, änderte sich allmählich die<br />
Stimmung. Die Musikzensur wurde zur Musikdiktatur. Bestes Beispiel:<br />
Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk. <strong>19</strong>34 uraufgeführt,<br />
feierte sie große Erfolge bis zum 26. Januar <strong>19</strong>36, als Stalin<br />
zu einer Aufführung kam. Am nächsten Tag sprach die „Prawda“<br />
von „linker Monstrosität“, „formalistischer Perversion“ und „pathologischem<br />
Naturalismus und Erotizismus“. Schostakowitsch geriet<br />
in Panik. Er wusste um die Schauprozesse, die sich hinter der fröhlichen<br />
Fassade propagierter Lebensfreude abspielten. Wie Prokofew<br />
„bekannte“ er sich zu seinen „atonalen Sünden“ und gelobte, im<br />
Sinne des Zentralkomitees der KPdSU zu komponieren: Lieder für<br />
die Rote Armee, Festpoeme und Ergebenheitsadressen.<br />
Ein Parteifunktionär wird Schostakowitsch und Prokofew<br />
<strong>19</strong>48 erklären, wie man „melodische Musik“ komponiert. <strong>19</strong>53 starb<br />
Stalin, am selben Tag übrigens auch Prokofew. Der stalinistische<br />
Personenkult verschwand, die staatliche Kunstregulierung blieb.<br />
308 Seiten umfasste das Handbuch mit erlaubtem Repertoire. Weder<br />
Jazz, der „spätimperialistische Giftanschlag der amerikanischen<br />
Gangster“ noch die „Monotonie des Je-Je-Je“, dieser „Dreck aus dem<br />
Westen“, wie Walter Ulbricht die Beatles nannte, gehörten dazu.<br />
IN RUSSLAND ZENSIERTE DER ZAR<br />
HÖCHSTPERSÖNLICH<br />
Daran änderte nichts, dass Nikita Chruschtschow <strong>19</strong>62 den „Ideologen<br />
der imperialistischen Bourgeoisie“ Strawinsky empfing.<br />
Zensur, Berufsverbot, antisemitische Diffamierung. Analog<br />
zur Bücherverbrennung forderten die Nazis „einen Scheiterhaufen<br />
für Musik“ – so ein Aufsatz von <strong>19</strong>33. Es waren Zeiten, in denen<br />
sogar der Thomaskantor – Karl Straube – ein NSDAP-Mitglied war.<br />
Die Liste der Verfemten war lang: von Mendelssohn Bartholdy,<br />
Hindemith, Weill bis hin zum „Brunnenvergifter der deutschen<br />
Musik“ Alban Berg. Auch der ambivalente Richard Strauss, von<br />
<strong>19</strong>33 bis <strong>19</strong>35 Präsident der Reichsmusikkammer, hatte in jungen<br />
Jahren unter der Wilhelminischen Zensur in Berlin und der<br />
K.-u.-k.-Hofzensur in Wien schwer zu leiden.<br />
Ein Schelm übrigens, wer Böses dabei denkt, wenn er im Jahr<br />
<strong>19</strong>12 in Ariadne auf Naxos eine Figur die – übrigens später entfernten<br />
– Sätze sagen lässt: „Warum führt man solches Zeug auf? Wäre<br />
ich König, ich ließe von Polizei wegen jedes Musikstück verbieten,<br />
das ein Kanarienvogel nicht vom ersten Hören nachsingen kann.<br />
Und den Kerl, der es in die Welt geschafft hat, in Eisen legen, da<br />
wäre bald reiner Tisch.“<br />
n<br />
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Z E N S U R<br />
Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />
WER MENSCHLICHKEIT ZENSIERT,<br />
ZENSIERT DIE KUNST<br />
Kulturelle Freiheit beginnt nicht mit dem Spielplan, sondern mit den Menschen,<br />
die ihn auf die Bühne bringen, findet Axel Brüggemann.<br />
Nein, Zensur im klassischen Sinne gibt es nicht, wurde mir neulich<br />
in Abu Dhabi versichert, als ich das Gastspiel der Bayreuther Festspiele<br />
mit der Walküre begleitete. Aber natürlich würde die Kulturbehörde<br />
vorab schon mal schauen, was auf die Bühnen des Landes<br />
kommt und was in den Büchern und Zeitungen gedruckt wird – aber<br />
Zensur? Nein.<br />
Es ist für einen Westeuropäer<br />
leicht, bei derartigen Formulierungen<br />
den moralischen Zeigefinger zu heben.<br />
Und ja, das sollte man auch tun! Aber<br />
es gibt auch eine andere Perspektive.<br />
Hinter vorgehaltener Hand wird dem<br />
Kulturtouristen in Abu Dhabi auch<br />
erzählt, dass Musik an sich bereits ein Statement sei, im Kampf gegen<br />
den IS und jede Form des radikalen Islam, der Musik grundsätzlich<br />
verbietet. In den Emiraten steht man zwischen den Welten: zwischen<br />
dem Westen, aus dem die Touristenströme kommen, und Nachbarländern<br />
wie Saudi-Arabien, die wesentlich restriktiver sind, auch was<br />
Kultur und Zensur betrifft.<br />
Bei der konzertanten Aufführung der Walküre im prunkvollen<br />
Emirates Palace hat man sich entschieden, auf eine Übertitelung zu<br />
verzichten, die Wagners Libretto über Inzest, Ehebruch und einen in<br />
Verträgen verstrickten Herrscher detailreich übersetzt hätte. Stattdessen<br />
zeigte man einen unproblematischen, ästhetisch altbackenen Film,<br />
in dem die grobe Handlung umrissen wird. Ein Beispiel, das zeigt:<br />
Zensur, wie wir sie kennen, wird andernorts (gerade in Ländern, deren<br />
Geschichte nur etwas älter als 40 Jahre ist) anders definiert.<br />
Auch in Deutschland tobt derzeit ein Streit um die Bedeutung<br />
des Wortes Zensur. Parteien wie die AfD palavern von einer kulturellen<br />
Meinungsdiktatur in unserem Land, von einer linksideologisch<br />
gesteuerten Kulturszene. „Man wird doch wohl mal sagen dürfen …“<br />
ist längst nicht mehr ein Satz an Stammtischen, sondern eine Floskel<br />
im kulturellen Diskurs der Neuen Rechten. Für sie ist das deutsche<br />
Bühnen- und Orchesterleben wahlweise „einseitig“, „linksversifft“<br />
oder zu „antinational“.<br />
Man kann diesen Standpunkt (und möchte es am liebsten auch)<br />
einfach als Quatsch vom Tisch wischen. Aber wenn es ernsthaft<br />
darum geht, nach der Freiheit der Kunst und der Kultur in Deutschland<br />
zu fragen, muss man sich derartige Vorwürfe – wohl oder übel –<br />
zunächst einmal anhören.<br />
ER IST ZWAR EIN IDIOT,<br />
ABER ER IST LEIDER AUCH EINER<br />
DER BESTEN DIRIGENTEN<br />
Bevor wir uns um Antworten kümmern, ist es vielleicht hilfreich,<br />
das Thema der Zensur zunächst ein wenig einzukochen. Etwa<br />
auf die Frage: Wer hat eigentlich die Macht in unserer Kulturlandschaft?<br />
Die Neue Rechte tut gern so, als seien unsere kulturellen Institutionen<br />
politisch so besetzt, dass die Rechte und das Nationale<br />
keinen Platz hätten. Noch entscheidender<br />
aber scheint die Frage, ob die Strukturen<br />
unserer Kulturlandschaft ihre<br />
Vielfalt – in welche Richtung auch<br />
immer – sogar einschränken.<br />
Auch für diese Frage sei ein kleiner<br />
Umweg erlaubt: Letzten Monat haben<br />
wir eine aufgeregte Debatte um den<br />
Dirigenten Daniel Barenboim mitverfolgt. Das Van-Magazin hat ehemalige<br />
Weggefährten getroffen, die sich über den autoritäten Führungsstil,<br />
über verbale Ausfälle und die ungerechte Behandlung von<br />
Orchestermusikern durch den Dirigenten beschwert haben. Im Feuilleton<br />
begann ein Kampf um die Deutungshoheit: Barenboim-Befürworter<br />
wie die ehemalige FAZ-Kritikerin Eleonore Büning schlugen<br />
sich auf Seiten des Dirigenten, andere hielten das Verhalten, das ihm<br />
vorgeworfen wird, für unentschuldbar und riefen nach Rücktritt.<br />
Viel zentraler ist die Frage nach den Strukturen, die ein derartiges<br />
Verhalten, ob es nun im konkreten Fall stattgefunden hat oder<br />
nicht, zulassen. Strukturen, die wir nicht nur in der Kultur, sondern<br />
auch andernorts finden: Ich kenne mindestens zehn schreiende Chefredakteure,<br />
lese von wild gewordenen Managern, und selbst in Familien<br />
gibt es fürchterliche Tyrannen, die schalten und walten können,<br />
wie sie wollen, weil andere Familienmitglieder pure Angst haben.<br />
Aber warum kann sich ein Orchester aus oft über 80 erwachsenen<br />
Menschen nicht gegen Ausfälle eines Dirigenten wehren? Warum<br />
schreiten Kulturpolitiker nicht ein? Es ist auffällig, dass das Öffentlichwerden<br />
von Fehlverhalten in der Regel nur Künstler trifft, die den<br />
Zenit ihrer Karriere bereits überschritten haben, deren Machtkosmos<br />
so weit geschrumpft ist, dass Opfer keine Repressalien mehr fürchten<br />
müssen oder – noch schlimmer! – dass Opfer erst am Ende ihrer<br />
eigenen Karriere den Mut finden, Missstände zu benennen, da sie<br />
sich im aktiven Kulturleben alleingelassen fühlten.<br />
Fakt ist, dass gerade die Kulturlandschaft für fragwürdiges<br />
menschliches Verhalten anfällig zu sein scheint, das sich frei und<br />
ohne Konsequenzen entfalten kann. Egal, ob Dirigent oder Intendant,<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
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Starschauspieler oder Operndiva: Es sollte nicht möglich sein – schon<br />
gar nicht an staatlich subventionierten Einrichtungen–, dass wenige<br />
Despoten die Mehrheit der Künstler tyrannisieren können.<br />
Erfolgreiche Intendanten oder Dirigenten wirken über ihre<br />
jeweiligen Städte hinaus, sind für die lokale Politik oft Aushängeschilder.<br />
Sie verfügen über Netzwerke, mit denen sie den Karrieren<br />
Einzelner, aber auch ganzen Institutionen nachhaltig schaden können.<br />
Gleichzeitig umgibt die Politik sich gern mit Erfolgsmenschen. Sich<br />
von einem internationalen Klassikstar zu trennen oder ihn zu maßregeln,<br />
scheint der Kulturpolitik inzwischen mindestens so schwerzufallen<br />
wie dem FC Bayern, Franck Ribéry zur Rechenschaft zu<br />
ziehen, wenn er Fußballfans kollektiv beleidigt.<br />
Dabei verfügen Kollektive wie ein Orchester qua Masse über<br />
Macht (die sie auch mit jeder Probezeitvereinbarung ausspielen). Um<br />
so interessanter, wie innerhalb der Orchester zuweilen über die Verlängerung<br />
eines Dirigentenvertrags debattiert wird: „Er ist zwar ein<br />
Idiot, aber er ist leider auch einer der besten Dirigenten.“ Oder:<br />
„Wenn wir den gehen lassen, müssen wir wieder von vorne anfangen<br />
– und so schlimm sind seine Wutausbrüche auch nicht.“ Oder: „Für<br />
eine Mahler-Sinfonie mit ihm lasse ich mich auch gern beschimpfen.“<br />
Ich habe viele dieser Entscheidungsfindungen miterlebt, und es ist<br />
schockierend, zu welchen moralischen Zugeständnissen manche<br />
Ensembles fähig sind, um einen Dirigenten zu halten, den sie eigentlich<br />
nicht ausstehen können. So ähnlich argumentiert ja auch Eleonore<br />
Büning in der Causa Barenboim: Für sie ist er „eines der letzten<br />
Genies“ – und ein Genie darf das eben! Das war immer so, und das<br />
wird auch immer so bleiben. Basta.<br />
Genau diese Argumentation ist verstörend – und vielleicht<br />
Anfang des strukturellen Übels. Was hat all das nun mit der Frage<br />
nach Zensur zu tun? Vielleicht dieses: Wenn wir über Macht – und<br />
Zensur ist nichts anderes als Ausdruck von Macht – reden, argumentieren<br />
wir, ohne es zu merken, ähnlich wie Abu Dhabi. Wir berufen<br />
uns auf eine kulturelle Tradition, die ungefähr so lautet: „Genies<br />
dürfen alles, und der künstlerische Erfolg steht über allen menschlichen<br />
Kategorien.“<br />
Damit beschneiden wir uns aber: um ein modernes und aufgeklärtes<br />
Selbstverständnis, um das es in der Musik – von Bach bis<br />
Beethoven – eigentlich geht, um die Entwicklung der Menschlichkeit<br />
und der Mitmenschlichkeit. Nein, es ist nicht okay, dass wir ein System<br />
bestätigen, in dem viele Menschen nicht den Mut haben, Missstände<br />
anzuklagen, ein System, in dem Zensur unter anderem darin<br />
besteht, dass Übergriffe, tyrannisches und egoistisches Verhalten<br />
tabuisiert werden. Und nein, es ist auch nicht okay, dass wir all dem<br />
dann auch noch den Namen „Kulturlandschaft“ geben.<br />
Mit den inhaltlichen Zensurvorwürfen, wie sie von der Neuen<br />
Rechten kommen, hat all das vielleicht wenig zu tun. Ich bin auch<br />
sicher, dass man in Deutschland so ziemlich alles sagen darf, was<br />
man sagen will, solange es sich an der Kategorie der Menschenwürde<br />
orientiert. Dass es irgendwo immer einen Ort für das Rechte und das<br />
Linke, das Gemäßigte und das Demokratische gibt. Und dennoch:<br />
Ein System, dem es nicht einmal gelingt, Strukturen zu schaffen,<br />
durch die ein grundsätzlich menschlicher Umgang miteinander<br />
garantiert ist, macht sich natürlich auch inhaltlich angreifbar.<br />
Immer dort, wo Wutausbrüche, Beleidigungen und Beschimpfungen<br />
tabuisiert werden, hat man kein gutes Gefühl, wenn es um<br />
inhaltliche Macht geht. Wer das Menschsein zensiert, ist auch in der<br />
Lage, die Kunst zu zensieren. Und deshalb ist es eine dringende Aufgabe<br />
der deutschen Kulturpolitik, das eigene System und die Möglichkeiten<br />
des Einzelnen, sich gegen Übergriffe anderer zur Wehr zu<br />
setzen, auf den Prüfstand zu stellen. Vorwürfe von Machtmissbrauch<br />
mit dem Verweis auf romantischen Geniekult abzutun, ist fahrlässig!<br />
Nur eine Kultur, die die Kultur des Mitmenschlichen pflegt, kann<br />
auch als Kultur, die das Mitmenschliche propagiert, glaubwürdig<br />
bleiben – und frei. <br />
n
Z E N S U R<br />
ZENSIERT, VERFOLGT,<br />
GETÖTET –<br />
KUNST(UN)FREIHEIT HEUTE<br />
Die Organisation Freemuse kämpft für die<br />
internationale Freiheit der Kunst. Ist ein Sieg möglich?<br />
VON MARIA GOETH<br />
Sie sind zwölf, bald sogar fünfzehn. Sie kommen aus Dänemark,<br />
sitzen inzwischen auch in Serbien, Marokko und Nigeria.<br />
Unterstützer und Kontaktpersonen haben sie auf der<br />
ganzen Welt. Und sie haben ein großes Ziel: Kunstfreiheit<br />
mit allen Mitteln zu verteidigen und Verstöße gegen sie zu dokumentieren<br />
und öffentlich zu machen. Das<br />
ist Freemuse, eine <strong>19</strong>98 gegründete internationale<br />
Organisation. Geschäftsführer<br />
Srirak Plipat äußert sich zur gegenwärtigen<br />
Lage und beginnt mit einer düsteren<br />
Einschätzung: Weltweit habe sich in den<br />
vergangenen Jahren der Zustand der<br />
Kunstfreiheit verschlechtert. Es gebe eine<br />
regelrechte Kultur des Zum-Schweigen-<br />
Bringens, der globalen Intoleranz gegenüber<br />
Andersdenkenden. Grund dafür<br />
seien konkurrierende Wertesysteme, insbesondere<br />
rechtes Gedankengut, wie das<br />
von Präsident Trump in den USA. Statt mit<br />
Andersdenkenden zu diskutieren, würden<br />
diese scharf verurteilt. In Europa sei mit der Flüchtlingskrise die<br />
Immigrantenfeindlichkeit gewachsen: „Sobald Machthaber Menschen<br />
mit anderer Identität als ‚die anderen‘ diffamieren, Methoden der<br />
Ruhigstellung legitimieren und dies an die breite Gesellschaft, die<br />
Kulturinstitutionen und die unteren Verwaltungsebenen weitergeben,<br />
ist das extrem alarmierend.“<br />
Wann immer die freie Meinungsäußerung<br />
beschnitten wird, trifft es auch die<br />
Musik. Den Untersuchungen von Freemuse<br />
zufolge waren Musiker in den vergangenen<br />
Jahren am stärksten von Zensur<br />
betroffen, gefolgt von Filmemachern und<br />
bildenden Künstlern. „Musik ist ein<br />
mächtiges Kommunikationswerkzeug.<br />
Und sie kommuniziert über die Gefühlsebene.<br />
Sie lässt den Hörer direkt teilhaben,<br />
während man zum Beispiel beim Film als<br />
Betrachter doch etwas außerhalb bleibt“,<br />
beobachtet Pripat. Deshalb gebe Musik so<br />
oft Anlass zur Verfolgung.<br />
Aktuelle Beispiele seien etwa der kurdische<br />
Musiker Ferhat Tunç, der immer<br />
wieder über sein Ideal einer demokratischen Gesellschaft singt. Er ist<br />
Mitglied der Partei DBP, die sich für die Interessen der kurdischen<br />
Minderheit einsetzt. Deshalb wurde er im September in Istanbul wegen<br />
„Terrorpropaganda“ zu einem Jahr und elf Monaten Freiheitsstrafe<br />
GRÜNDE FÜR MUSIKZENSUR<br />
WELTWEIT<br />
48 % POLITISCH<br />
23 % WEGEN<br />
„UNANSTÄNDIGKEIT“<br />
14 % RELIGIÖS<br />
8 % HASSREDE<br />
TOP 5 DER LÄNDER<br />
MIT MUSIKZENSUR 2017<br />
(NACH ANZAHL DER FÄLLE)<br />
1. SPANIEN<br />
2. ÄGYPTEN<br />
3. CHINA<br />
4. MEXIKO<br />
5. IRAN UND USA<br />
verurteilt. „Das ist unvereinbar mit internationalen Menschenrechten!“,<br />
proklamiert Pripat.<br />
Dann wäre da noch der russische Rapper Husky – zu elf Tagen<br />
Haft verurteilt, weil seine Texte angeblich zu Kannibalismus aufrufen.<br />
[Im Rap insgesamt sieht Präsident Vladimir Putin einen<br />
bekämpfungswürdigen Mix aus „Sex,<br />
Drogen und Protest“, Anm. d. Red.]. Oder<br />
der ägyptische Künstler Ramy Essam, der<br />
aus seinem Heimatland fliehen musste<br />
und nun nicht zurückkann, weil er ein<br />
Gedicht für seine Liedtexte benutzte, das<br />
für eine offenere Gesellschaft plädiert.<br />
„Etwa 90 Prozent der Musik wird<br />
wegen ihres Textes zensiert“, analysiert<br />
Pripat. Manchmal reiche aber auch der<br />
reine Gebrauch einer bestimmten Sprache<br />
zur Zensur, so etwa die Verwendung der<br />
Sprache Ndebele in Zimbabwe wegen<br />
Stammeskonflikten, aber auch des Joik-Gesangs<br />
– einer Art Jodler der Samen – in<br />
Norwegen, weil er angeblich Unglück bringt.<br />
Neben diesen offenkundigen Formen von Zensur gibt es etliche<br />
Grauzonen, die Freemuse ebenfalls versucht zu erfassen. „Natürlich<br />
haben Politik und Institutionen das Recht, Kunstprojekte auszuwählen,<br />
die sie finanziell unterstützen wollen, solange nicht nachgewiesen<br />
werden kann, dass Entscheidungen nach Partei-, Rassenoder<br />
Religionszugehörigkeit getroffen<br />
werden“, erklärt Pripat. „In der Vergangenheit<br />
konnte Freemuse aber zum Beispiel<br />
in Osteuropa beobachten, wie Politiker<br />
ihren Einfluss nutzten, um Führungspersonal<br />
in Kulturinstitutionen zu<br />
kündigen und durch Personen auf ihrer<br />
politischen Linie zu ersetzen.“<br />
Und natürlich könne man auch<br />
durch finanzielle Unterstützung beziehungsweise<br />
Nichtunterstützung politisch<br />
unerwünschte Projekte ausbooten – eine<br />
gefährliche Form der Zensur, weil sie<br />
schwer aufzuspüren ist. Auch in Deutschland<br />
herrscht nach Pripats Beobachtungen<br />
bei den Institutionen Zurückhaltung beispielsweise<br />
dabei, regierungskritische Kunst zu unterstützen.<br />
„In vielen Fällen hat Kunstzensur in Deutschland ja etwas mit<br />
Antisemitismus oder Antiisraelismus zu tun, was aufgrund der<br />
Geschichte durchaus nachvollziehbar ist“, erläutert Pripat. So wurde<br />
60 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
eispielsweise im letzten Jahr die schottische Erfolgsband Young<br />
Fathers bei der Ruhrtriennale ausgeladen, da diese sich nicht von<br />
der israelkritischen sogenannten BDS-Kampagne distanzieren<br />
wollte. „Musiker aufgrund ihrer politischen Haltung Auftrittsverbot<br />
zu erteilen, ist gegen internationale Menschenrechtsstandards“,<br />
betont Plipat.<br />
Aber was, wenn beispielsweise antisemitische oder rassistische<br />
Inhalte in der Kunst vermittelt werden? Gibt es tatsächlich auch<br />
positive Formen von Zensur? Plipat definiert die Grenze der Kunstfreiheit<br />
mit der sogenannten „Hassrede“, die drei Komponenten hat:<br />
1. Sie richtet ihren Hass gegen eine ganz bestimmte Gruppe (z. B.<br />
Religion, Rasse, sexuelle Orientierung oder sonstige Minderheit);<br />
2. Diese Gruppe muss gezielt diskriminiert werden; 3. Es wird meist<br />
direkt zu Gewalt ermutigt. „Wenn wir zum Beispiel einen schlechten<br />
Film anschauen und – auch mit wirklich starken Worten – sagen,<br />
wie grauenvoll er war, ist das noch keine Hassrede. Oft singen Menschen<br />
Texte, mit denen wir uneins sind. Aber wir müssen diese<br />
Menschen schützen, auch wenn wir deren Meinung nicht teilen“, so<br />
Plipats Überzeugung.<br />
In Europa, wo die Zensurlage insgesamt etwas besser sei, hapert<br />
es in Sachen Gender-Gleichheit. Plipat präzisiert: „Frauen wird der<br />
Weg zur künstlerischen Freiheit noch immer verwehrt! Sei es durch<br />
Chancenungleichheit oder sexuelle Belästigung. Selbst in der klassischen<br />
Musik: In der 150-jährigen Geschichte der Wiener Philharmoniker<br />
gab es gerade mal eine Dirigentin.“<br />
Und Srirak Plipats Blick in die Zukunft? „Es wird noch schlechter<br />
werden, bevor es besser wird!“ In Nordamerika und in mindestens<br />
13 Ländern Europas sind rechte Gruppierungen im Aufstieg<br />
begriffen, während der Zustand in den traditionell repressiven Ländern<br />
wie Iran, China und Russland unverändert bleibt. In liberalen<br />
Ländern wie Frankreich oder Spanien hat sich die Situation in den<br />
letzten zwei Jahren massiv verschlechtert. Plipat bleibt dennoch<br />
optimistisch: „Wir werden noch viel härter arbeiten müssen, bevor<br />
es wieder besser wird!“<br />
n<br />
Statistiken und Zahlen entstammen dem Bericht „The State of Artistic Freedom 2018“ von<br />
Freemuse. Der Bericht 20<strong>19</strong> ist derzeit im Entstehen und erscheint voraussichtlich im <strong>April</strong><br />
auf www.freemuse.org.<br />
Der Fall Serebrennikow<br />
Wie gehen deutsche Opernhäuser damit um, wenn ihr Regisseur zu Produktionsbeginn<br />
Tausende Kilometer entfernt unter Hausarrest steht? Von Klaus Kalchschmid<br />
Opernregisseur Kirill Serebrennikow<br />
Bis Ende <strong>April</strong> wird der nun schon 15 Monate dauernde Hausarrest<br />
des russischen Theater-, Film- und Opernregisseurs Kirill<br />
Serebrennikow auf jeden Fall noch dauern. Denn sein Prozess<br />
wegen angeblicher Veruntreuung<br />
staatlicher Fördermittel hat gerade<br />
erst begonnen. Es geht um 133 Millionen<br />
Rubel (etwa 1,7 Millionen<br />
Euro), die Serebrennikow und fünf<br />
Mitangeklagte in die eigene Tasche<br />
gewirtschaftet haben sollen, obwohl<br />
mit dem Geld 2011 „Platforma“<br />
gegründet wurde, die ein großes<br />
Theaterzentrum, das Gogol-Center,<br />
ermöglichte und finanzierte – ausdrücklich<br />
gewünscht vom damaligen<br />
Präsidenten Medwedjew.<br />
Doch nun sind andere Zeiten angebrochen,<br />
und mit dem Kultusminister<br />
Wladimir Medinski hat Serebrennikow<br />
einen Gegner, dem der<br />
nicht zuletzt bei der Jugend als Theater-<br />
und Filmschaffender hoch<br />
Geschätzte, ja Verehrte als Freigeist,<br />
Buddhist und Homosexueller ein<br />
Dorn im Auge ist.<br />
Verdis Frühwerk Nabucco und seine<br />
Geschichte von Heimat, Gefangenschaft<br />
und Freiheit, das am 10. März<br />
in Hamburg herauskommen soll,<br />
wird Serebrennikow genauso inszenieren<br />
müssen, wie er das mit<br />
Mozarts Così fan tutte getan hat, die<br />
am 4. November 2018 in Zürich Premiere<br />
feierte. Wer hätte gedacht, dass ein detailliertes Regiebuch<br />
und das vermittelte Regieführen durch den wechselseitigen Austausch<br />
von (Proben-)Videos und entsprechenden Kommentaren<br />
via Regieassistent und Anwalt aus dem Hausarrest heraus – denn<br />
Serebrennikow darf nicht ins Internet – eine so brillante, detailgenaue<br />
Inszenierung hervorbringen würden.<br />
Serebrennikow treibt den zynischen Partnertausch auf die Spitze:<br />
Fiordiligi und Dorabella wird der Tod der Verlobten im Krieg<br />
suggeriert und sie bekommen deren<br />
Urnen in die Hand gedrückt. Statt<br />
verkleideter, sie überkreuz verführender<br />
Partner erscheinen nun wildfremde<br />
sexy Muskelmänner, die auf<br />
zweigeteilter Bühne oft unten die<br />
Frauen sexuell bedrängen, während<br />
Ferrando und Guglielmo in neutrales<br />
Schwarz gekleidetet meist oben<br />
singen und das Geschehen stumm<br />
kommentieren. Diese Brechung geht<br />
erstaunlich gut auf, zumal spielender<br />
Alphamann A und singender Poet B<br />
manchmal fast verschmelzen, sich<br />
dann wieder weit voneinander<br />
entfernen.<br />
Bei Hänsel und Gretel in Stuttgart ein<br />
Jahr zuvor, im Oktober 2017, hatte<br />
man sich noch entschieden, die fertigen<br />
Kostüme und das ebenfalls<br />
weit gediehene Bühnenbild einzulagern.<br />
Gezeigt wurde jedoch ein<br />
von Serebrennikow in Ruanda abgedrehter<br />
– und nun von Assistenten<br />
adaptierter – Film, der parallel zur<br />
Opernhandlung echten Hunger und<br />
exzessives Essen semidokumentarisch<br />
thematisiert. Er spielt sich hinter<br />
dem auf der Bühne sitzenden<br />
Orchester ab, während die auf Stühlen<br />
sitzenden Sänger mal ins Publikum agieren, mal zuschauen.<br />
Obwohl Serebrennikow der semikonzertanten Fassung ausdrücklich<br />
zugestimmt hatte, war das eine etwas halbherzige Angelegenheit.<br />
Sie wurde dem fantasievoll auch für das Kino immer wieder<br />
neue Welten erfindenden Regisseur nicht wirklich gerecht. n<br />
61<br />
FOTO: CIRA POLYARNAYA
Z E N S U R<br />
SATIRE KANN<br />
DICH TÖTEN!<br />
Der Komponist Moritz Eggert und der Journalist Axel Brüggemann<br />
im Gespräch über Zensur, ein neues politisches Umfeld und<br />
dessen Bedeutung für die Kunst.<br />
VON AXEL BRÜGGEMANN<br />
Axel Brüggemann: Moritz, warum wird das Thema Zensur<br />
derzeit zu einem Hauptthema der Neuen Rechten?<br />
Moritz Eggert: Das hat wohl viel mit der Randständigkeit der<br />
Bewegung zu tun. Wenn Leute nicht mehrheitsfähige Meinungen<br />
propagieren, etwa dass die Erde eine Scheibe ist, waren sie früher<br />
einsam. Heute finden sie zahlreiche Gleichgesinnte im Internet.<br />
Genau in diesem Moment beginnt der absurde Kreislauf der<br />
klassischen Verschwörungstheorie. Und irgendwann heißt es: „In<br />
was für einem Land leben wir, wenn wir nicht mal sagen können,<br />
dass die Erde eine Scheibe ist. Unsere Meinung wird unterdrückt!<br />
Es herrscht Zensur!“<br />
Wirkt sich dieses Phänomen auch auf die Kultur aus? Tatsächlich<br />
gibt es ja viel weniger rechte Stücke und Regisseure auf<br />
deutschen Bühnen als linke, oder?<br />
Ich finde, dass unser Opern- und Theatersystem derartige<br />
Haltungen durchaus duldet. Wir zeigen ja nicht nur Frank<br />
Castorf. Im Gegenteil: Ein Großteil<br />
dessen, was in unseren Theatern gezeigt<br />
wird, ist eher konservativ. Es gibt Autoren<br />
wie Houellebecq oder Regisseure wie<br />
Jonathan Meese, die am rechten Rand<br />
wildern. Man könnte auch weitere Namen<br />
nennen, die sich mit rechtskonservativen<br />
Positionen auseinandersetzen (übrigens<br />
fast nur Männer eines bestimmten Alters).<br />
Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich noch<br />
nie von einem Opernhaus gebeten wurde, in meinen Werken eine<br />
inhaltliche Richtung einzuhalten oder mich politisch zu<br />
positionieren.<br />
Das ist Teil einer Verschwörungstheorie, die auch uns Journalisten<br />
betrifft. Weder in der Welt am Sonntag oder der FAZ,<br />
noch in der ARD oder im ZDF hat mir jemals ein Redakteur<br />
gesagt, in welche Richtung ein Text oder ein Film gehen soll.<br />
Trotzdem hält sich das Gerücht, dass gerade der öffentlichrechtliche<br />
Rundfunk heimlich von Angela Merkel gelenkt wird.<br />
Es ist eine absurde Situation, es besser zu wissen und zu spüren,<br />
dass es Menschen gibt, die uns nicht glauben ...<br />
Die Antwort ist dann immer: „Natürlich, ihr dürft das ja auch<br />
nicht zugeben, weil ihr Teil des Systems seid!“ Und schon ist die<br />
Verschwörungsfalle zugeschnappt!<br />
Heute behaupten ganz unterschiedliche Gruppen – nicht nur<br />
Stammtischbrüder –, sie dürften ihre Meinung in Deutschland<br />
nicht mehr laut sagen.<br />
Das beobachte ich auch. Als ich frisch nach München kam, sah<br />
ich im Wirtshaus jemanden von der Toilette kommen, der seine<br />
Stammtischbrüder offen mit einem Hitlergruß begrüßte – einfach<br />
nur, um eine Grenze zu überschreiten. In Zeiten des Internets<br />
haben sich diese vereinzelten Verrückten plötzlich vernetzt und<br />
IN ZEITEN DES INTERNETS<br />
HABEN SICH VEREINZELTE<br />
VERRÜCKTE PLÖTZLICH<br />
VERNETZT<br />
bestätigen sich in ihrer eigenen Wahrheit. Es gibt wirklich gut<br />
gemachte Internetseiten, die behaupten, die Erde sei eine Scheibe.<br />
Und plötzlich finden sich Tausende in der ganzen Welt, die sich<br />
nur auf solchen Seiten bewegen und sich andauernd selbst<br />
bestätigen. Und mehr noch: Jeder, der behauptet, die Erde sei<br />
rund, wird mit Posts und Kommentaren in den sozialen Medien<br />
torpediert.<br />
Wie reagierst du auf derartige Kommentare?<br />
Ich beobachte, dass Menschen, die tolerant sind und die bestehenden<br />
Verhältnisse gar nicht so fürchterlich finden, allmählich von<br />
einer Panik befallen werden. Das sollten wir vermeiden! Wir<br />
dürfen nicht aufgrund der Lautstärke der anderen in Hysterie<br />
verfallen. Ich versuche, nicht über jedes Stöckchen zu springen<br />
und mich nicht in die Erregungsspirale, auf die sowohl die AfD<br />
als auch Leute wie Donald Trump setzen, ziehen zu lassen.<br />
Manchmal ist ignorieren die bessere Lösung.<br />
Aber als der Cellist Matthias Moosdorf<br />
vom Leipziger Streichquartett, der ein<br />
Anhänger der AfD ist, ein Konzert in<br />
München gab, haben du und einige<br />
deiner Freunde medienwirksam protestiert.<br />
Widerspricht sich das nicht?<br />
Wir haben lange überlegt, was wir<br />
machen. Unsere Aktion sollte das Konzert<br />
nicht stören, aber Moosdorf mit seiner<br />
Meinung durchaus lächerlich machen.<br />
Also haben wir auf das Mittel der Satire zurückgegriffen und<br />
nicht auf Buh-Rufe oder Parolen wie „Rechte raus!“. Wir wollten<br />
unter keinen Umständen ein Antifa-Programm fahren.<br />
Du meinst, man sollte die Rechte am besten weglachen?<br />
Eine der besten Aktionen für mich war, als bei einer AfD-Demo<br />
das Schlumpflied gesungen wurde.<br />
Letztlich habt ihr aber nur erreicht, dass ihr Moosdorf einen<br />
neuen Anlass gegeben habt, sich als Opfer darzustellen und<br />
euch als Unruhestifter und Kunstverhinderer. Am Ende bleiben<br />
alle Fronten dort, wo sie vorher schon waren. Nur noch<br />
verhärteter.<br />
Ich hatte schon den Eindruck, dass durch die Aktion viele<br />
Gespräche angeregt wurden, die durchaus um die Sache gingen.<br />
Und natürlich hat unsere Aktion eine Reaktion heraufbeschworen,<br />
die selber entlarvend war: Moosdorf hat Sachen gepostet, mit<br />
denen er die Lächerlichkeit, in die wir ihn gezogen haben, nur<br />
bestätigt hat. Uns wurde linke Zensur vorgeworfen. Aber Zensur<br />
war nie unser Ziel! Unser Mittel war die Affirmation als Karikatur.<br />
Das ist ein großer Unterschied.<br />
Der Karikaturist Til Mette hat mir einmal erzählt, dass er lange<br />
nur vor sich hingemalt hat. Erst mit „Charlie Hebdo“ wurde ihm<br />
klar, dass der Beruf des Künstlers wieder gefährlich ist ...<br />
62 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Zensur verändert laufend ihr Gesicht. <strong>19</strong>68 wurde das Cover von<br />
„Unfinished Music No. 1: Two Virgins“, dem ersten gemeinsamen<br />
Album von John Lennon und Yoko Ono, mit braunem Packpapier<br />
verhüllt – es zeigt die beiden nackt<br />
Geschmackszensur? Der Konzeptkünstler Pjotr<br />
Pawlenski nähte sich aus Protest gegen die<br />
Inhaftierung der Band Pussy Riot 2012 den Mund zu.<br />
Ein Bild davon sorgte in der <strong>CRESCENDO</strong><br />
Redaktion für Kontroversen: abdrucken? Oder ist<br />
der Ekelfaktor doch zu groß?<br />
DAS FOTO RECHTS OBEN STAMMT AUS DEM MATERIAL ZUM FILM „PAWLENSKI – DER MENSCH UND DIE MACHT“ VON IRENE LANGENMANN 2017 (C) REUTERS<br />
Ich habe die ermordeten Zeichner von Charly Hebdo als Comic-<br />
Fan sehr geschätzt. Plötzlich war klar: Satire kann dich töten! Ich<br />
wuchs sehr antiautoritär im Umfeld der Neuen Frankfurter<br />
Schule auf und hatte immer das Gefühl, man kann alle Witze<br />
machen. So wie damals den Satz „Ich war eine Dose“ in Verbindung<br />
mit einem Blech-Jesus. Das würde sich das Satiremagazin<br />
Titanic heute über den Islam nicht mehr trauen. Was sich<br />
verändert hat, ist, dass wir heute gezwungen sind, Position zu<br />
beziehen. Man kann nicht mehr unpolitisch sein. Dabei stellen<br />
wir uns die Frage nach dem Risiko. Selbst bei so einer Aktion wie<br />
bei Moosdorf: „Riskiere ich, am Ende kritisiert zu werden, oder<br />
lasse ich es gleich bleiben?“<br />
Beim Schreiben herrscht bei mir weniger die Angst, sondern<br />
der neue Wunsch, möglichst gerecht und fair zu bleiben –<br />
gegenüber allen Parteien. Das führt dazu, dass ich mich mehr<br />
mit den Gegenpositionen auseinandersetze und oft weniger<br />
Schärfe wähle. Die Welt, in der wir leben, verändert meinen<br />
Stil. Geht dir das auch so?<br />
Es gibt die Szene, die mir vorwirft, „linksversifft“ zu sein, weil ich<br />
in einer Kulturszene lebe und von ihr auch leben kann. Mir wird<br />
unterstellt, dass ich ein Agent der<br />
linken Agenda sei. Ich weiß, dass das<br />
nicht stimmt. Dass ich immer Sachen<br />
mache, für die ich brenne. Wie gehe<br />
ich mit so einem Vorwurf um?<br />
Ignoriere ich ihn? Reagiere ich? Auf<br />
der einen Seite wird mir Ignoranz<br />
vorgeworfen, auf der anderen Seite laufe ich Gefahr, dass es zu<br />
einer selbsterfüllenden Prophezeiung kommt. Das ist eine<br />
Zwickmühle, in der ich mich nicht immer wohlfühle. Die Kunst<br />
hat einen großen Teil ihrer Naivität verloren. Aber vielleicht ist<br />
das auch eine Chance, auf die wir positiv reagieren können. So<br />
wie du das machst, wenn du sagst, dass du dich intensiver mit der<br />
Gegenseite auseinandersetzt.<br />
Für mich ist der ganze Kampf, den wir heute führen, der<br />
Kampf um eine gesellschaftliche Freistelle, um die Rolle des<br />
Bürgertums. Früher war das Bürgertum zwar wertkonservativ,<br />
aber auch liberal. Derzeit scheint es dieses Bildungsbürgertum<br />
gar nicht mehr zu geben, und es wird von beiden Seiten neu<br />
definiert. Das wird besonders offensichtlich, wenn sich die<br />
AfD den Frust des Abo-Publikums auf das Regietheater zu<br />
eigen macht.<br />
DIE KUNST HAT EINEN GROSSEN<br />
TEIL IHRER NAIVITÄT VERLOREN<br />
Das Bürgertum wollte immer Ausgleich und hat eine Mittelposition<br />
eingenommen. Ich glaube, dass es diese alte Mitte durchaus<br />
noch gibt, aber sie kann sich auf kein gesellschaftliches Bild mehr<br />
verständigen. Damals hatten wir das Wort vom „Christlich-Sozialen“.<br />
Aber derartige Koordinaten scheinen für viele ausgedient<br />
zu haben. Dabei finde ich, dass Nächstenliebe ein Wert ist, auf<br />
den sich eine bürgerliche Mehrheit verständigen könnte.<br />
Müssen wir die Naivität zurückgewinnen?<br />
Ich glaube, dass derzeit eine gute Stunde für Leute wie Erich<br />
Kästner, Karl Kraus oder Kurt Tucholsky wäre. Wir bräuchten<br />
wieder starke Stimmen, die wichtige Werte kontrovers debattieren.<br />
Wir müssen letztlich aus der Harmlosigkeit heraustreten.<br />
Aber sind diese Künstler nicht schon in der Weimarer Republik<br />
gescheitert?<br />
Im konkreten historischen Moment vielleicht, aber ihre Werte<br />
haben uns geholfen, Europa nach der Katastrophe<br />
wiederaufzubauen.<br />
Wir befinden uns also nicht in einem Weimar 2.0?<br />
Dafür ist meine Hoffnung auf die junge Generation zu groß. Ich<br />
glaube, dass Freiheiten, die einmal erkämpft wurden, Toleranz<br />
gegenüber Minderheiten, Reisefreiheit<br />
in Europa – wenn all das erst einmal<br />
existiert, kann man es nur noch mit<br />
Waffengewalt unterdrücken. Und das<br />
sehe ich derzeit zum Glück nicht.<br />
Vielleicht ist die neue Mitte der Punk<br />
der Zukunft – als Reaktion auf<br />
reaktionäre und rückständige Politik alter weißer Männer. Diesen<br />
Glauben will ich nicht verlieren.<br />
Jene Jugendlichen, die in England das Brexit-Referendum<br />
verpennt haben? Und was ist mit Ländern wie Österreich, wo<br />
eine neue Regierung mit Beteiligung der Rechten längst in das<br />
System, in die Posten beim Fernsehen und im Staat eingegriffen<br />
hat und Nägel mit Köpfen macht?<br />
… und wenn wir erst nach Polen oder Ungarn schauen. Da<br />
werden Intendanten aus politischen Gründen ausgetauscht, und<br />
es wird Einfluss auf Spielpläne genommen. Veränderungen, die<br />
dazu führen, dass viele Menschen gar nicht mehr wissen, wie es<br />
anders sein könnte. Aber genau das macht für mich den Unterschied<br />
zu Deutschland aus. Ich hoffe, dass sich die Mehrheit der<br />
Bevölkerung bewusst über die kulturellen Werte ist und sie<br />
verteidigen würde.<br />
n<br />
63
Z E N S U R<br />
WOHER KOMMT<br />
EIGENTLICH ...<br />
... die Zensur ?<br />
VON STEFAN SELL<br />
Musik und Cover der Death-Metal-<br />
Band Cannibal Corpse werden häufig<br />
indiziert oder beschlagnahmt. Das<br />
Cover zu „Tomb of the Mutilated“,<br />
auf dem ein Zombie einen anderen oral<br />
befriedigt, musste für den deutschen<br />
Markt ausgetauscht werden<br />
Artikel 5 des Grundgesetzes besagt:<br />
„Eine Zensur findet nicht statt.“ In<br />
einer Verteidigungsrede mahnte<br />
Cicero: „Frei sind unsere Gedanken.“<br />
Das beschwor im 12. Jahrhundert der<br />
Sänger Walther von der Vogelweide und<br />
bestätigte im 16. Jahrhundert Johannes Agricola<br />
mit seinen Sprichwörtern. So singen die<br />
Menschen bis heute: „Und sperrt man mich ein im finsteren Kerker,<br />
das alles sind rein vergebliche Werke; denn meine Gedanken zerreißen<br />
die Schranken und Mauern entzwei: die Gedanken sind frei.“<br />
Konfuzius’ (551–479 v. Chr.) Behauptung „Wenn die Welt im<br />
Chaos versinkt, werden ihre Rituale und ihre Musik zügellos“ lässt<br />
den Umkehrschluss zu: Wenn Musik zügellos wird, wird auch die<br />
Welt chaotisch. Vielleicht ist das die Maxime hinter aller Musikzensur:<br />
die Angst, dass sich das Chaotische nicht mehr führen lässt.<br />
Und etwas Führungslosen kann man sich nicht bemächtigen. Ein<br />
Grund, warum Zensur besonders in autoritären Regimen gedeiht.<br />
100 Jahre nach Konfuzius präzisiert<br />
Plato in „Der Staat“: „Vor Neuerungen der<br />
Musik muss man sich in Acht nehmen, denn<br />
dadurch kommt alles in Gefahr.“ Alles Neue<br />
in der Musik fällt leicht unter den Verdacht,<br />
den herrschenden Verhältnissen gefährlich<br />
zu werden. Neu heißt manchmal einfach nur<br />
anders, den Erwartungen nicht entsprechend.<br />
Das Atonale, der Jazz, der Tango, aber<br />
auch die ursprünglich fremden Töne Bachs<br />
oder das einst Unerhörte Beethovens, selbst<br />
Intervalle, wie das aus drei Ganztönen bestehende<br />
Teufelsintervall „Tritonus“ oder das Fortschreiten in Quintwie<br />
Oktavparallelen, konnten Teil einer Verbotsliste sein.<br />
Es gab eine Zeit, in der das Kastrieren männlicher Jugend sinnvoller<br />
schien, als Frauen am öffentlichen Musikleben teilhaben zu<br />
lassen. Das wirft die Frage auf, ob Zensur nicht viel weitläufiger ist<br />
als das reine Verbot. Jemanden ausschließen, ignorieren, in den<br />
Medien totschweigen kann eine Form der Zensur sein. Ein Künstler,<br />
der nicht erwähnt wird, existiert nicht auf den Brettern, die die Welt<br />
bedeuten. Der Verriss in einer Konzertbesprechung oder Rezension<br />
ist der Versuch, das Voranstreben eines Künstlers zu hemmen.<br />
Lieber wird Musik toter Komponisten gespielt als die der<br />
Avantgarde. Was Tonträger und Aufführung der klassischen Musik<br />
ZENSUR IST EINE<br />
GRATWANDERUNG,<br />
UND WER MAG SCHON<br />
ENTSCHEIDEN,<br />
WANN SIE RICHTIG<br />
ODER FALSCH IST?<br />
betrifft, führen nach wie vor tote Komponisten<br />
die Playlisten an. Das AirPlay der populären<br />
Radiosender ist auch in Deutschland<br />
verdächtig einheitlich, zeigt in der renitenten<br />
Wiederholung immer gleicher Titel, Rotation<br />
genannt, dass – offen hörbar – alle anderen<br />
ausgeschlossen bleiben sollen.<br />
Selbst Förderungen, Stipendien, Wettbewerbe,<br />
adelnde Preisverleihungen werden letztendlich von einer<br />
tonangebenden Elite bestimmt. Wer nicht zu den Glücklichen zählt,<br />
weiß, dass professionelles Musikmachen eine ewige Durststrecke<br />
sein kann. Selbst Bewunderung und Verehrung haben etwas<br />
Ausgrenzendes.<br />
Oft sind es die Texte zur Musik, die Anlass zum Verbot geben.<br />
Doch was soll auf den Index? „Du hast ein Galgengesicht, das ist<br />
genug. Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen,<br />
dann verbrannt, dann gebunden, und getaucht, zuletzt geschunden.“<br />
Oder: „Mit jedem Schwung meines Hammers schlage ich<br />
deinen verdammten Kopf ein, bis Hirn durch<br />
die Risse sickert, Blut raustropft“. Ersteres<br />
stammt aus Mozarts Oper Die Entführung<br />
aus dem Serail und ist Teil einer Arie des<br />
Haremsaufsehers Osmin, Zweites steht auf<br />
dem Index und ist eine Textzeile aus Hammer<br />
Smashed Face der vielfach indizierten Heavy-<br />
Metal-Band Cannibal Corpse. Interessant<br />
noch zu erwähnen, dass diese Band auf ausdrücklichen<br />
Wunsch von Jim Carey in dessen<br />
Hollywood Blockbuster „Ace Ventura“<br />
auftaucht.<br />
Umstritten auch die Performance der Rapper Kollegah und<br />
Farid Bang, die den an Verkaufszahlen orientierten ECHO-Preis zu<br />
Fall brachten. Ihre sexistischen und antisemitischen Parolen waren<br />
bekannt – und dennoch bekamen sie eine Bühne. Warum durfte<br />
statt ihrer nicht die Antilopen Gang mit Songs wie Beate Zschäpe<br />
hört U2 auftreten, die nicht nur explizit und kritisch Stellung zu<br />
dem Fall bezogen, sondern auch Texte gegen rechtsradikales Denken<br />
bieten können? Ist es nicht rechtens, dass die Bundesprüfstelle<br />
rechtsradikales Gedankengut indiziert? Sicherlich, denn dieser Art<br />
Texte sollte nicht einmal für ein Zitat Raum gegeben werden.<br />
Schließlich lautet Artikel 1 des Grundgesetz: Die Würde des Menschen<br />
ist unantastbar.<br />
n<br />
COVER: CANNIBAL CORPSE<br />
64 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
LEBENSART<br />
Proviant-Prozente für Pilger: Paula Bosch hat wunderbare Weine aus Galicien mitgebracht (Seite 66)<br />
Schnecken aus Schweden: Die Sopranistin Camilla Tilling backt für <strong>CRESCENDO</strong> (Seite 68)<br />
Nichts wie hin: Die schönsten Reiseziele in Deutschland, Österreich und der Ukraine für Kunst, Kultur und Kulinarik (Seite 71)<br />
Konkrete Utopie? Unbedingt, denn: Es geht um alle! Und im Sinne von Ernst Bloch wäre das visionäre Ziel der Kunst- und Kulturinstitutionen<br />
deutscher Städte: eine demokratische Gesellschaft. Die Bühnen organisieren sich für die Freiheit der Menschen, des Denkens und vor allem für die<br />
Freiheit der Kunst. Gegen Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung, gegen rechtsnationale Tendenzen. Die Kunst war nie daran interessiert,<br />
auf dem rechten Weg zu sein. Für den <strong>19</strong>. <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong> rufen DIE VIELEN zu bundesweiten Demonstrationen in Berlin und weiteren Städten auf:<br />
für ein Europa der Vielen! Solidarität statt Privilegien! Die Kunst bleibt frei!<br />
65
L E B E N S A R T<br />
Die Paula-Bosch-Kolumne<br />
PILGERN MIT PROZENTEN<br />
Auf den Granit-, Fels- und Schieferböden im Nordwesten Spaniens stehen bis<br />
zu 350 Jahre alte Rebstöcke. Entsprechend viel Tiefe und Charakter steckt<br />
in den durchweg hervorragenden Weinen der Region Galicien.<br />
Es ist völlig egal, wo man die Weinreise entlang des<br />
Jakobsweges beginnt, im äußersten Nordwesten Spaniens<br />
in der Hafenstadt La Coruña oder in der Kapitale<br />
Madrid, es wird so oder so eine spannende Pilgerroute<br />
nach Santiago di Compostela. Eine Entdeckungsreise<br />
vorbei an abgeschiedenen Bergdörfern und Pässen, an vom Granitgestein<br />
geprägten Höhenlagen oder entlang zahlreicher Weingärten,<br />
Tausender kleiner Parzellen und Weinbergterrassen, hin zu vielen<br />
kleinen familiengeführten Winzerbetrieben, die ursprünglich<br />
Wein für den Eigenbedarf produzierten. Mit viel Glück entdeckt<br />
man hier uralte Rebstöcke – Methusalems, die die Reblausplage<br />
überstanden haben und heute noch Trauben tragen –, die uns erstklassige<br />
Weine bescheren.<br />
Die Weinlandschaft Galiciens<br />
umfasst rund 10.000 Hektar Reben, in<br />
erster Linie auf steinigen Granit-, Felsund<br />
Schieferverwitterungsböden. Fünf<br />
Regionen – Rias Baixas, Valdeorras,<br />
Ribeira Sacra, Ribeiro und Monterrei<br />
– bestimmen die unterschiedlichen<br />
weißen wie roten Weine.<br />
Bedeutsam ist das Weißweinparadies RIAS BAIXAS in der<br />
Provinz Pontevedra, südwestlich der atlantischen Küste bis hin zur<br />
portugiesischen Grenze. Das flächenmäßig größte Gebiet ist in fünf<br />
Subzonen gegliedert, von denen das Val do Salnés mit seinen zwei<br />
Drittel Rebgärten die bedeutendste Region darstellt. Die weiße<br />
Albariño dominiert mit 95 Prozent die Weingärten. Sie ist mit ihren<br />
frischen, spritzigen, saftigen, trocken ausgebauten Weinen der Star<br />
in der regenreichen, stets feuchten Rias Baixas, geprägt von schmalen,<br />
tief ins Land reichenden Meeresbuchten. Die hohe Reberziehung<br />
im weniger effizienten Pergolastil auf den allgegenwärtigen<br />
Granitstützpfeilern hat Tradition. Holz hätte in der vom Regen<br />
geprägten Landschaft keine dauerhafte Chance.<br />
Im Weingut Gerardo Méndez in Meaño konnte ich nicht nur<br />
die ältesten Rebstöcke in meinem Weinleben bewundern, nämlich<br />
EIN KLIMA, DAS TRAUBEN<br />
UND WEINEN KRAFT, FÜLLE<br />
UND POTENZ VERLEIHT<br />
Albariños mit 350 plus Jahren, sondern eine ganze Reihe dieser<br />
„Cepas Vellas“ gereifter Jahrgänge aus Magnumflaschen kosten. Ein<br />
unvergessliches Albariño-Erlebnis, auch wenn mich schon die<br />
Reihe der Basisweine begeisterte.<br />
Zu den Pionieren im Rias Baixas zählt in erster Linie, das<br />
Weingut Pazo de Señorans in Pontevedra, dessen Weine mich mit<br />
ihrer Dichte und Finesse überzeugen.<br />
Wer genug Zeit mitbringt, sollte sich in Vinotheken, Tapas-<br />
Bars wie dem Continental in Yayo Daporta oder im Restaurant<br />
Sabino in Sanxenxo, quasi am Strand, verwöhnen lassen.<br />
VALDEORRAS, die östlichste Weinprovinz Galiciens, hat mit<br />
der weißen Rebsorte Godello, die inzwischen wie die Albariño zu<br />
den besten Weißweinen Spaniens<br />
gezählt wird, ein weiteres Ass im<br />
Ärmel. Auch hier bestimmen die relativ<br />
hohen Niederschläge das Klima,<br />
dazu gesellen sich viele heiße Sommertage,<br />
die die Reifezeit verkürzen und<br />
den Trauben wie den Weinen Kraft,<br />
Fülle und Potenz verleihen.<br />
Im Rampenlicht der Region steht<br />
heute Rafael Palacios mit seinem Top-Wein As Sortes, der mit seinem<br />
perfekten Aromenspiel, finessenreicher Eleganz und schier<br />
endloser Mineralität die vielen anderen auch sehr gelungenen<br />
Godellos etwas ins Abseits stellt. Selbst der einfachere Zweitwein<br />
Louro kann mit seiner Brillanz im Duft und am Gaumen begeistern.<br />
RIBEIRA SACRA wurde erst <strong>19</strong>96 als D. O.-Region geschützt.<br />
Die herrliche waldreiche Landschaft wird von drei Flüssen durchzogen,<br />
was den Namen „heiliges Ufer“ erklärt. Die Rebberge stehen<br />
auf sehr steilen, terrassierten Parzellen auf Granit und Schieferböden.<br />
Die rote Mencia hat auf den 1.200 Hektar Rebflächen die Oberhand.<br />
Bei den weißen Sorten kommt neben Albariño und Godello<br />
auch Loureiro mit ins Spiel.<br />
2006 wurde das Weingut Dominio do Bibei, mit den großartigen<br />
Önologen Sahra Pérez und René Barbier, gegründet. Schon die<br />
FOTOS: JÖRG LEHMANN; PRIVAT<br />
66 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
Ja, diese Charakterwurzeln tragen noch Reben. Und was für welche!<br />
Weine aus dem ersten Jahrgang haben mich mit ihrem Qualitäts-<br />
Leistungs-Verhältnis mehr als überzeugen können, und der sortenreine<br />
Mencia Lacima ist meiner Meinung nach besser denn je. Eindrucksvolle<br />
rotbeerige Fruchtaromatik, mediterrane Würze, ein<br />
Kraftwerk im Mund mit nachhaltiger, beeindruckender Länge. Ein<br />
Paradebeispiel für Ribeira Sacra.<br />
RIBEIRO Das Aushängeschild der nur knapp 50 Kilometer<br />
vom Meer entfernten Region ist die spätreifende weiße Treixadura.<br />
Sie trotzt sämtlichen Wetterkapriolen und der enorm hohen Luftfeuchtigkeit,<br />
die den Pilzbefall fördert. Auch im Dreiklang mit ihren<br />
heimischen Schwestern, Loureiro und Albariño, bringt sie allerfeinste<br />
Ergebnisse. Am eindrucksvollsten und ebenso rar wie teuer<br />
präsentiert sich das Emilio Rojo mit seinen Weinen, die ohne Zweifel<br />
zu den feinsten und besten des Landes gezählt werden dürfen.<br />
Entsprechend genießt Emilio Rojo mit seinem Betrieb eine Sonderstellung.<br />
Mit den Weinen aus dem Weingut El Paraguas, das erst 2011<br />
gegründet wurde, kann der erste Durst stets mit dem köstlichen<br />
Atlántico überbrückt werden, und das sicher nicht nur als Lückenbüßer.<br />
Die kleinste Region, MONTERREI, hatte es in all den letzten<br />
Jahren schwer, mit ihren etwas weniger gefälligen Weinen den<br />
Geschmack der Weinfreunde zu treffen. Die Anbauflächen sind<br />
rückläufig, versprechen daher mit den noch verbliebenen 650 Hektar<br />
weniger Zukunft.<br />
Das landschaftlich reizvolle und immergrüne Galicien bleibt<br />
nicht nur für die von der Sonne verwöhnten Spanier ein willkommenes<br />
Reiseziel. Auch die zahllosen Pilger auf dem Jakobsweg, die<br />
Kunstfreunde der Burgen, Klöster und Kirchen und nicht zuletzt die<br />
vielen Genussmenschen, die sich für die Esskultur, für die Fischund<br />
Muschelspezialitäten aus dem nahen Atlantik interessieren,<br />
kommen auf ihre Kosten. <br />
n<br />
Bezug: www.bodeboca.de | www.hispavinus.de | www.vinos.de | www.garibaldi.de<br />
67
L E B E N S A R T<br />
Lieblingsessen!<br />
HIER VERRATEN DIE STARS IHRE BESTEN REZEPTE.<br />
UND MANCHMAL AUCH KLEINE GESCHICHTEN,<br />
DIE DAZUGEHÖREN ...<br />
„MIT DEM ZIMTSCHNECKEN-TRICK LASSEN SICH<br />
SOGAR WOHNUNGEN VERKAUFEN!“<br />
CAMILLA TILLING<br />
FOTO: PRIVAT<br />
68 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
CAMILLA TILLING<br />
SOPRANISTIN<br />
„Schweden hat unendlich viele Cafés – und alle servieren<br />
Zimtschnecken. Falls Sie Ihre Wohnung verkaufen wollen:<br />
Backen Sie Zimtschnecken! Der Duft der frisch<br />
gebackenen Hefeteilchen verbreitet pures Wohlgefühl!<br />
Ich selbst lebe in einem kleinen Dorf in der Schweiz,<br />
und meine Kinder laden Freunde gerne zu „Fika“ ein,<br />
dem traditionellen schwedischen Kaffeekränzchen,<br />
wenn wir gebacken haben.<br />
Als ich klein war, durfte ich meiner Mutter, die gern<br />
gebacken hat, immer helfen. Ich bekam ein wenig Teig<br />
zum Selberbacken und durfte experimentieren, während<br />
meine Mutter das Körbchen nach und nach mit den<br />
kleinen Schnecken füllte. Irgendwann übergab sie die<br />
Verantwortung, die Schnecken zu backen, an mich. Eine<br />
Aufgabe, die etwa zwei Stunden dauert und viel Geduld<br />
und Gespür erfordert. Und es kam der Tag, als mein Vater<br />
feststellte: ‚Millas Brötchen sind besser als die von Mama!!!‘<br />
Tatsächlich aber sind diese Zimtschnecken ein gutes<br />
Sinnbild: Ich liebe diese Schnecken. Und ich liebe es zu<br />
singen. Meine Mutter wusste, wie man backt, und war<br />
bereit, mich darin zu unterrichten. Das zeigt: Wissen zu<br />
teilen führt letztlich zu etwas Besserem – das Neue<br />
verdoppelt in diesem Fall das Gute. Der Mensch verschmilzt<br />
in seiner Persönlichkeit mit den alten Erfahrungen.<br />
Und da schließt sich der Kreis: Ich lehre heute meine<br />
Kinder, feine Zimtbrötchen herzustellen. Und genau so<br />
möchte ich meine Erfahrungen als Sängerin teilen –<br />
damit die Sänger immer besser werden.“<br />
Die schwedische Sopranistin Camilla Tilling ist<br />
bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten erfolgreich<br />
auf allen großen Bühnen der Welt zu Hause. Zu<br />
den Höhepunkten ihrer Konzerte zählen Haydns<br />
Nelsonmesse, Peter Sellars Inszenierung von Bachs<br />
Johannes-Passion unter Sir Simon Rattle, Brahms’<br />
Ein Deutsches Requiem und Beethovens Sinfonie Nr. 9.<br />
Zu den jüngsten Konzert-Highlights zählen<br />
Dutilleux’ Correspondances, Mahlers Sinfonie Nr. 4,<br />
Schumanns Faustszenen und Bachs Messe in h-Moll.<br />
FOTO: MARIA OSTLIN<br />
•<br />
SCHWEDISCHE ZIMTSCHNECKEN<br />
50 g Hefe, 500 ml Milch, 200 g Butter, ca. 125 g Zucker, ½ Teelöffel Salz, ca. 900 g Mehl,<br />
nach Belieben 1 EL Kardamom, 2 TL Zimt, 1 Ei, nach Belieben Hagelzucker<br />
•<br />
1. Hefe in etwas Milch auflösen. 150 g Butter zerlassen und zur Milch geben. Zucker, Salz, Mehl und nach<br />
Belieben Kardamom hinzufügen und den Teig 10 –15 Minuten durchkneten. Teig zugedeckt 30 Minuten bei<br />
Zimmertemperatur gehen lassen.<br />
2. Etwa 3 mm dick auf eine Breite von ca. 30 cm ausrollen. Mit der restlichen zimmerwarmen Butter bestreichen.<br />
Zimt über den Teig streuen. Zu einer langen Rolle aufrollen, in etwa 45 Scheiben schneiden. Scheiben<br />
mit der Schnittfläche nach oben auf einem mit Backpapier belegten Backblech zugedeckt ca. 60 Minuten oder<br />
bis zur doppelten Größe gehen lassen.<br />
3. Ei mit 2 EL Wasser vermischen, die Schnecken vorsichtig damit bepinseln und nach Belieben mit<br />
Hagelzucker bestreuen. Bei 250 Grad im Ofen ca. 5 bis 8 Minuten backen, abkühlen lassen.<br />
Gluck- und Mozart-Arien: „loves me ... loves me not ...“,<br />
Camilla Tilling, Philipp von Steinaecker (BIS)<br />
69
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werden. Das Angebot ist nur in Deutschland, der Schweiz und im EU-Ausland verfügbar und nicht wiederholbar. Geschenk-CD und Prämien: solange der Vorrat reicht. Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb der folgenden<br />
zwei Wochen ohne Begründung bei Abo-Service <strong>CRESCENDO</strong> in Textform (z. B. per <strong>Mai</strong>l oder Brief) oder durch Rücksendung der Zeitschrift widerrufen. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.<br />
Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com<br />
70 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
REISE & KULTUR<br />
themenspecial 10. Jahrgang | Frühjahr & Sommer 20<strong>19</strong><br />
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SALZBURG<br />
Vom Klosterhof in<br />
Bayerisch Gmain zu<br />
den Festspielen<br />
RHEINGAU<br />
Kulturelle Delikatessen<br />
ODESSA<br />
Große Namen vor<br />
malerischer Kulisse<br />
FOTO: DER KLOSTERHOF<br />
Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 71
R E I S E & K U L T U R<br />
Schloss Vollrads Schloss Johannisberg Kloster Eberbach<br />
HARMONISCHER<br />
DREIKLANG<br />
Landschaft, Musik und Kultur: Im Rheingau lässt sich das Leben bei Wanderungen in den<br />
Weinbergen, während Konzerten und in Kulturdenkmälern genießen.<br />
FOTOS: WOODY T. HERNER WOODWORKS; ROBBIE LAWRENCE, ANSGAR KLOSTERMANN<br />
Ob Musikgenuss oder Wandererlebnis, ob beeindruckende<br />
Architektur oder Weinverkostung:<br />
Im zauberhaften Rheingau lässt sich das Leben<br />
mit allen Sinnen genießen. Mit seinen malerischen Weinbergen<br />
und historischen Baudenkmälern ist der Rheingau<br />
eine ungemein vielfältige Kulturlandschaft, die sich von<br />
Flörsheim über Wiesbaden bis nach Lorch erstreckt. Für<br />
Naturfreunde und Sportler präsentiert sich ein attraktives<br />
Angebot, das vom Klettern, Radfahren und Rudern<br />
bis hin zum Stand-up-Paddeln reicht. Ausgesprochen reizvoll<br />
sind auch die ausgezeichneten Wanderwege durch<br />
die Region, darunter der Rheinsteig, der Rheingauer<br />
Rieslingspfad oder der Rheingauer Klostersteig, der auf<br />
30 Kilometern sechs Klöster miteinander verbindet.<br />
Auch kulturell bietet der Rheingau beglückenden Hochgenuss<br />
zu jeder Jahreszeit.<br />
Neben vielen charmanten Weinfesten und anderen<br />
Veranstaltungen ist der alljährliche kulturelle Höhepunkt<br />
das Rheingau Musik Festival, das bereits seit über 30 Jahren<br />
veranstaltet wird. Über 150 Konzerte ziehen zwischen<br />
Juni und September Musikbegeisterte aus aller Welt an.<br />
Dabei reicht das breite Spektrum von großen Sinfoniekonzerten<br />
über intime Kammermusikabende bis hin zu<br />
Jazz- und Kabarettveranstaltungen. Das diesjährige Festivalprogramm<br />
durchzieht der Leitgedanke „Courage“. Der<br />
Pianist Daniil Trifonov, die Sopranistin Christiane Karg<br />
und der Saxofonist und Sänger Curtis Stigers stehen als<br />
Fokus-Künstler im Zentrum des Festivalgeschehens.<br />
Eine der schönsten Spielstätten ist das geschichtsträchtige<br />
Kloster Eberbach, das sich spätestens<br />
seit dem Film „Der Name der Rose“ international großer<br />
Bekanntheit erfreut. Die ehemalige Zisterzienserabtei gehört<br />
mit ihren romanischen und frühgotischen Bauten zu<br />
den großartigsten Denkmälern der Klosterbaukunst und<br />
gilt zugleich als die am besten erhaltene mittelalterliche<br />
Klosteranlage Europas. Jenseits der Konzerte und Kulturveranstaltungen<br />
lässt sich das Kloster über vielfältige<br />
Führungen entdecken – auch kombiniert mit hochkarätigen<br />
Weinverköstigungen. Die fast 900 Jahre alte Anlage<br />
ist darüber hinaus edler Weinkeller und stilvolles Hotel<br />
und damit der ideale Ausgangspunkt für genuss- und kulturreiche<br />
Tage im Rheingau.<br />
RHEINGAU MUSIK FESTIVAL<br />
+49-(0)6723-60 21 70 | info@rheingau-musik-festival.de | www.rheingau-musik-festival.de<br />
RHEINGAU-TAUNUS KULTUR UND TOURISMUS GMBH<br />
+49-(0)6723-60 27 20 | info@rheingau.com | www.rheingau.com<br />
KLOSTER EBERBACH<br />
+49-(0)6723-917 81 00 | info@kloster-eberbach.de | www.kloster-eberbach.de<br />
72 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
»Melodie des Frühlings«<br />
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Blumen berühren, knüpfen erste Bande, sie können um Verzeihung bitten oder Aufmerksamkeit wecken.<br />
Seit 111 Jahren liefert Fleurop die schönsten Meisterwerke für Menschen, die ihren Lieben eine Freude<br />
machen wollen. Jeder Strauß wird von regionalen Floristen in Handarbeit gefertigt und persönlich überreicht.<br />
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Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 73
R E I S E & K U L T U R<br />
FRÜHLING IN SALZBURG<br />
Wenn das erste zarte Grün des Mönchsbergs mit den kupfernen Dächern und Kuppeln der Häuser<br />
und Kirchen wetteifert, erwacht die Stadt an der Salzach zu aufregendem kulturellen Leben.<br />
Im Frühling zeigt sich Salzburg in seinen schönsten Facetten.<br />
An jeder Ecke der romantischen Altstadt gibt<br />
es kulturelle Glanzlichter zu bestaunen. Weit über Europa<br />
hinaus strahlen die Osterfestspiele mit Opernaufführungen<br />
im Großen Festspielhaus. Intendant Christian<br />
Thielemann steht am Pult der Sächsischen Staatskapelle<br />
Dresden, wenn Georg Zeppenfeld sein Rollendebüt als<br />
Hans Sachs in Richard Wagners Mittelalter-Oper<br />
Die Meistersinger von Nürnberg gibt. Jens-Daniel Herzog<br />
fragt mit seiner Inszenierung nach der Rolle der Kunst<br />
und wie traditionsverhaftet sie sein müsse. Ihre eigene<br />
Antwort darauf finden die von der Choreografin Helene<br />
Weinzierl ins Leben gerufenen und geleiteten Ostertanztage.<br />
Immer wieder neu suchen sie nach Bewegungsmustern,<br />
erproben Verbindungen von Tanz und Schauspiel<br />
und setzen sich mit außereuropäischen Tanzkulturen auseinander.<br />
Parallel dazu laden die Performance Tage<br />
per.form>d
FESTLICHES<br />
FULDA<br />
Zum Stadtjubiläum erstrahlt Fulda in mittelalterlichen<br />
Traditionen und barockem Glanz.<br />
Der Mirabellgarten mit Blick auf die Salzburger<br />
Altstadt und Festung Hohensalzburg<br />
grafischen und künstlerischen Verbindungen von Alfred<br />
Kubin zu Salzburg, während im Museum der Moderne<br />
Salzburg – Rupertinum unter dem Titel Der fotografierte<br />
Mensch Neuerwerbungen der Fotosammlung des Bundes<br />
zu sehen sind.<br />
Im Juni erinnert Cecilia Bartoli, die Künstlerische<br />
Leiterin der Pfingstfestspiele, mit Voci celesti – Himmlische<br />
Stimmen an die Kastraten und die außergewöhnlichen<br />
künstlerischen Erlebnisse, die diese bescherten, aber auch<br />
an die Opfer, die daraus erwuchsen. Als Alcina in Georg<br />
Friedrich Händels gleichnamiger Oper steht ihr der<br />
Countertenor Philippe Jaroussky in der Rolle des Ruggiero<br />
zur Seite, die Händel einst für den Star-Kastraten Giovanni<br />
Carestini schrieb. Mit Händel verbindet Bartoli<br />
eine besondere Liebe. Er schaffe es, so betont sie, seine<br />
„Zuhörer in eine andere, magische Welt zu führen“.<br />
Fulda kann 20<strong>19</strong> auf ein 1275-jähriges Bestehen zurückblicken<br />
und nimmt das Jubiläum zum Anlass,<br />
mit einer Fülle von kulturellen Events das Dasein<br />
als osthessische Residenzstadt zu zelebrieren. Höhepunkte<br />
sind der Musical Sommer Fulda, die Open-Air-Vorstellungen<br />
von Bonifatius auf dem Fuldaer Domplatz, als größte<br />
Musical-Inszenierung Deutschlands in diesem Jahr, das<br />
Stadt- und Bürgerfest, das Genussfestival und Lichterfest<br />
und das neue Wintervarieté.<br />
Das Stadt- und Bürgerfest lädt vom 28. bis 30. Juni<br />
gleich auf zwei Zeitreisen ein. Wer ins Mittelalter eintauchen<br />
möchte, der kann sich mit Backen, Tanzen, Musizieren,<br />
Färben, Handeln, Kochen, Malen, Nähen, Schmieden,<br />
Schnitzen und vielem mehr unzählige Eindrücke<br />
von diesem Lebensgefühl verschaffen.<br />
Im pittoresken Schlossgarten kann man sich zeitgleich<br />
mit dem Barockfestival in die prachtvolle Atmosphäre<br />
des 17. und 18. Jahrhunderts flüchten und wird<br />
von einem charmanten Zeremonienmeister nach allen<br />
Regeln der Kunst mit barocker Musik, faszinierenden<br />
Illuminationen, historischem Tanz und allerlei fürstlichem<br />
Amüsement verwöhnt, sodass man sich nach Versailles<br />
versetzt fühlt.<br />
FOTO: SATISUNDFY AG / MAGISTRAT DER STADT FULDA; LOGO: MAGISTRAT DER STADT FULDA<br />
FESTSPIELE SALZBURG<br />
Osterfestspiele Salzburg<br />
13. bis 22. <strong>April</strong> 20<strong>19</strong><br />
Salzburger Festspiele Pfingsten<br />
7. bis 10. Juni 20<strong>19</strong><br />
Salzburger Festspiele Sommer<br />
20. Juli bis 31. August 20<strong>19</strong><br />
INORMATIONEN<br />
Tourismus und Kongressmanagement Fulda<br />
+49-(0)661-102 18 12<br />
tourismus@fulda.de<br />
www.tourismus-fulda.de<br />
www.stadtjubiläum-fulda.de<br />
Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 75
R E I S E & K U L T U R<br />
FESTSPIELE<br />
FÜR<br />
DIE SINNE<br />
Der Klosterhof in Bayerisch Gmain<br />
bietet als ****Superior Hotel<br />
im Berchtesgadener Land<br />
Genuss für Auge, Ohr und Gaumen.<br />
FOTO: DER KLOSTERHOF<br />
Der Blick ist atemberaubend, das kulinarische<br />
Angebot exquisit und das<br />
Spa eine Oase: Der Klosterhof in Bayerisch<br />
Gmain geizt nicht mit seinen Reizen<br />
und verbindet ein einzigartiges Bergerlebnis<br />
mit stilvollem Luxus. Doch das Hotel im<br />
Berchtesgadener Land ist weit mehr als Entspannungsort<br />
und kulinarischer Genusspunkt.<br />
Es ist darüber hinaus ein hervorragender<br />
Wohlfühlort für alle Kulturliebhaber und<br />
legt als Design-Hotel einen ganz besonderen<br />
Wert auf die stilvolle Ästhetik und kreative<br />
Ausgestaltung seiner Räumlichkeiten. So sind<br />
im gesamten Hotel exklusive moderne Kunstwerke<br />
verteilt und laden Inspirationsplätze dazu ein, die<br />
Seele baumeln zu lassen und das besondere Flair dieses<br />
Ortes zu genießen. Ob im Ohrensessel vor dem Kamin in<br />
der hauseigenen Bibliothek oder auf einer Couch direkt<br />
vor den übergroßen Panoramafenstern mit Blick auf die<br />
„Schlafende Hexe“ – verschiedene Rückzugsorte versprechen<br />
Ruhe und Erholung.<br />
Wer nach dem Genuss des preisgekrönten Spa-Bereichs<br />
Lust auf einen geistigen Impuls hat, der stößt auf<br />
ein hochkarätiges Kulturprogramm im Hotel. Dabei finden<br />
im stimmungsvollen Ambiente des Hauses regelmäßig<br />
Konzerte, Vorträge und Lesungen statt, worunter die<br />
intimen Vollmondkonzerte in exklusiver Salonatmosphäre<br />
ein ganz besonderes Highlight darstellen.<br />
Auch wenn es um den Besuch der Salzburger Festspiele<br />
geht, ist das kulturaffine Haus der perfekte Ausgangspunkt.<br />
Als Festspielhotel im Grünen bietet das Hotel<br />
seinen Gästen einen ganz besonderen Service und stellt<br />
für sie ausgewählte Rundum-sorglos-Pakete zusammen.<br />
Die Karten für die Festspiele, der Shuttleservice nach Salzburg,<br />
ein zeitlich perfekt abgestimmtes Festspielmenü<br />
vom Klosterhof-Küchenteam rund um Spitzenkoch Harald<br />
Derfuß sowie ausgewählte Vorträge im Festspielsalon<br />
garantieren Kulturgenuss pur. Selbstverständlich gehört<br />
die persönliche Betreuung der Festspielgäste zum Credo<br />
des Hauses und so gibt es nach Besuch der Festspiele<br />
reichlich Gelegenheit, um in der herrlich ruhigen Idylle<br />
das Erlebte zu reflektieren oder aber an der Bar mit anderen<br />
Gästen darüber ins Gespräch zu kommen.<br />
„Begeisterung Leben“ lautet das inspirierte Motto<br />
dieses außergewöhnlichen Hotels, das seine Inhaber Henrike<br />
Färber und Dr. Andreas Färber seit 2016 mit viel Liebe<br />
zum Detail umsetzen. Vielfältige Kunst, reichhaltige<br />
Kultur und der anspruchsvoll geführte Klosterhof finden<br />
so zu einem wohlklingenden Dreiklang zusammen und<br />
begeistern auch 20<strong>19</strong>.<br />
INFORMATION<br />
Klosterhof<br />
Premium Hotel & Health Resort<br />
Steilhofweg <strong>19</strong> | 83457 Bayerisch Gmain<br />
+49-(0)8651-982 50<br />
info@klosterhof.de<br />
www.klosterhof.de<br />
DIE WOHLFÜHL-PAUSCHALEN<br />
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Ob eine Romantikauszeit, ein Wellness-Wochenende<br />
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Bayern oder der beliebte Babymoon –<br />
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zu besten Preisen.<br />
76 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
National<br />
Academic<br />
Opera<br />
KLINGENDE<br />
STADT<br />
AM WASSER<br />
Das belgische Brügge lockt auch 20<strong>19</strong> mit spannenden<br />
Konzertprogrammen und reichlich Flair.<br />
OH, ODESSA!<br />
Das Odessa Classics Music Festival lockt mit<br />
großen Namen und einem spannenden Programm.<br />
Wem der Sinn nach einer exquisiten Musikauswahl<br />
steht, der sollte Anfang Juni über einen<br />
Ausflug in die Ukraine nachdenken. Vom 1. bis<br />
9. Juni 20<strong>19</strong> tummeln sich auf den Altstadt-Boulevards von<br />
Odessa am Schwarzen Meer internationale Künstler, um<br />
dem ambitionierten Festival Odessa Classics zum fünften<br />
Mal an verschiedenen Orten der Stadt Leben einzuhauchen.<br />
Ob im Opernhaus, in der Philharmonie oder unter<br />
freiem Himmel auf der pompösen Potemkinschen Treppe:<br />
Odessa strotzt vor Schönheit und Kultur. Die Hotels Bristol<br />
und Il Decameron bieten den Besuchern nicht nur eine<br />
luxuriöse Unterkunft, sondern sind als Sponsoren auch<br />
unmittelbar mit dem Festival verbunden. Igor Shavruk eröffnet<br />
das Festival am Pult des Opernorchesters gemeinsam<br />
mit dem Pianisten Cyprien Katsaris und Klavierkonzerten<br />
von Mozart und Beethoven. Zwei Abende später rückt er<br />
mit dem Odessa Philharmonic Chamber Orchestra das<br />
Schaffen des georgischen Komponisten Giya Kancheli in<br />
den Fokus. Ein Trioabend mit Mischa <strong>Mai</strong>sky, ein Besuch<br />
des Zürcher Kammerorchesters mit Daniel Hope, dem Artist<br />
in Residence, sowie das Tango-Sensationsprojekt von<br />
Michael Guttman versprechen, Highlights der diesjährigen<br />
Festivalausgabe zu werden.<br />
FOTO: ODESSA CLASSICS<br />
Bruges? Sounds Great!“ – „Brügge? Klingt großartig!“<br />
lautet auch in diesem Jahr das Motto der pulsierenden<br />
Kulturstadt und es verspricht wahrlich<br />
nicht zu viel. So bietet die Stadt der Grachten ein faszinierend<br />
reiches Angebot auf engstem Raum und lässt die<br />
Herzen all jener höherschlagen, die Spitzenkultur vor malerischer<br />
Kulisse schätzen. Das idyllische Brügge ist immer<br />
eine Reise wert und präsentiert das ganze Jahr über<br />
eine bunte Vielfalt an hochkarätigen Konzerten und Veranstaltungen.<br />
Seit 2003 ist Brügge Sitz des international<br />
renommierten Ensembles Anima Eterna Brugge, das unter<br />
der Leitung von Jos van Immerseel auf historischen<br />
Instrumenten immer wieder zu neuen Gipfelstürmen ansetzt.<br />
20<strong>19</strong> ergründet der Klangkörper in seinen spannenden<br />
Konzertprogrammen unter anderem Schuberts<br />
Unvoll endete, die Ballett-Suite Nr. 2 von Sergei Prokofjew<br />
und Beethovens Chorfantasie. Als architektonisches Herzstück<br />
begeistert seit 2002 das spektakuläre Concertgebouw,<br />
in dem unter anderem die Bach-Akademie stattfindet,<br />
die einen erfrischend anderen Blick auf den barocken<br />
Meister wirft. Ebenfalls im Concertgebouw beheimatet,<br />
lockt zudem das MAfestival (2. bis 11. August), das<br />
attraktive Alte-Musik-Programme vereint. So lohnt sich<br />
auch 20<strong>19</strong> der Besuch im klingenden Brügge.<br />
FOTO: JAN D‘HONDT<br />
INFORMATIONEN<br />
Odessa Classics International<br />
Music Festival | 1. bis 9. Juni 20<strong>19</strong><br />
+38-(0)48-704 07 33<br />
odessaclassics@gmail.com<br />
en.odessaclassics.com<br />
INFORMATIONEN<br />
www.visitbruges.be<br />
www.concertgebouw.be<br />
www.animaeterna.be<br />
www.mafestival.be<br />
Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 77
R E I S E & K U L T U R<br />
STADT<br />
DES GUTEN LEBENS<br />
In Baden-Baden trifft moderner Lifestyle auf exklusive Hochkultur<br />
und altbewährte Traditionen.<br />
Schon vor über 2.000 Jahren war Baden-Baden ein Ort, an dem man<br />
Leib und Seele verwöhnen lassen konnte. Als kleinster Stadtkreis<br />
Baden-Württembergs hat das schmucke Örtchen sich längst nicht<br />
nur als Kurstadt, sondern auch als internationale Medien-, Kunst- und<br />
Festspielstadt etabliert – und so hält auch das Jahr 20<strong>19</strong> viele freudige<br />
Ereignisse für Kulturfreunde und Genießer bereit. Zwischen den Prachtbauten<br />
der Belle Époque lustwandeln längst nicht mehr nur Architekturliebhaber,<br />
sondern Baden-Baden lockt mit seinem vielseitigen Veranstaltungskalender<br />
mittlerweile auch ein hippes, junges Publikum an, das<br />
den zeitlosen Reiz von Galopprennen, Oldtimertreffen und großen klassischen<br />
Konzerten für sich entdeckt hat.<br />
Wenn im Rahmen des SWR3 New Pop Festivals internationale Stars<br />
auftreten, die besten Orchester der Welt im Festspielhaus spielen<br />
oder sich eine Schuhmacherwerkstatt in eine Pop-up-Galerie<br />
verwandelt, dann präsentiert Baden-Baden sich in jeder Hinsicht<br />
als exklusive Weltstadt, die es auch mit den Ansprüchen<br />
von Gästen aus Berlin oder New York aufnehmen kann.<br />
Konkret sieht das so aus: Vom 13. bis 22. <strong>April</strong> 20<strong>19</strong><br />
erfüllen die Berliner Philharmoniker während der Osterfestspiele<br />
das Festspielhaus sowie die ganze Stadt mit<br />
Musik und haben die Weltstars der klassischen Musik zu<br />
Gast. Am 28. und 29. Juni 20<strong>19</strong> bringen die Philharmonischen<br />
Schlosskonzerte den Innenhof von Schloss Neuweier<br />
zum Leuchten.<br />
Mit dem „Frühjahrsmeeting“, das vom 30. <strong>Mai</strong><br />
bis 2. Juni 20<strong>19</strong> stattfindet, bis hin zum Ausklang der<br />
Rennsaison am 18. und 20. Oktober 20<strong>19</strong> mit dem<br />
„Sales & Racing Festival“ sorgt die Galopprennbahn<br />
mit vielen sportlichen und gesellschaftlichen<br />
Ereignissen für eine prickelnde Atmosphäre und<br />
aufregenden Nervenkitzel. Darüber hinaus kann<br />
man vom 12. bis 14. Juli 20<strong>19</strong> beim Internationalen<br />
Oldtimer-Meeting im Kurgarten Fahrzeugklassiker<br />
aller Marken bewundern und dabei in die faszinierende<br />
Automobilgeschichte eintauchen.<br />
Entsprechend exklusiv klingt das Jahr in Baden- Baden schließlich<br />
aus. Vom 28. November 20<strong>19</strong> bis 6. Januar 2020 verbreitet der Baden-Badener<br />
Christkindelsmarkt eine märchenhafte Atmosphäre im Stadtzentrum,<br />
und am letzten Tag im Jahr lässt ein festlicher Silvester Dinner Ball<br />
kulinarisch und musikalisch im Kurhaus noch einmal die Funken fliegen.<br />
BADEN-BADEN<br />
The good-good life.<br />
INFORMATION<br />
Baden-Baden<br />
Kur & Tourismus GmbH<br />
+49-(0)7221-27 52 00<br />
info@baden-baden.com<br />
www.baden-baden.com<br />
VERANSTALTUNGEN (AUSWAHL)<br />
Osterfestspiele<br />
13. bis 22. <strong>April</strong> 20<strong>19</strong><br />
Int. Galopprennen „Große Woche“<br />
24. August bis 1. September 20<strong>19</strong><br />
Christkindelsmarkt<br />
28. November 20<strong>19</strong> bis 06. Januar 2020<br />
78 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>April</strong> – <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong>
KLANGVOLLE REISEN<br />
FÜR MUSIKLIEBHABER<br />
Die „Reisen für Musikfreunde“ des ADAC bringen die Gäste zu erstklassigen<br />
Opern, Konzert- und Ballettaufführungen an die schönsten Orte der Welt.<br />
Anna Netrebko ist in Andrea Chenier im Rahmen einer Wien-<br />
Reise vom 18. bis 21. <strong>Mai</strong> 20<strong>19</strong> an der Staatsoper zu erleben<br />
Eine Reise nach Valencia vom 20. bis 23. Juni 20<strong>19</strong> führt in das<br />
Opernhaus Palau de les Arts Reina Sofia<br />
Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was<br />
erzählen – erst recht, wenn der Höhepunkt<br />
dieser Reise ein musikalischer Genuss der<br />
Spitzenklasse ist! Unter dem Motto „Reisen für Musikfreunde“<br />
präsentiert der ADAC seit über 35 Jahren auch<br />
für Nichtmitglieder jedes Vierteljahr ein vielseitiges Programm,<br />
das die Herzen der Klassikliebhaber höherschlagen<br />
lässt. Mit Leidenschaft zusammengestellt, bietet sich<br />
dem Kunden eine reiche Auswahl an erstkarätigen Aufführungen<br />
an den schönsten Orten der Welt, eingebunden<br />
in perfekt geplante Reisen, bei denen Muße und Genuss<br />
an erster Stelle stehen. So erleben die Gäste nicht nur<br />
begeisternde Opern- und Ballettaufführungen, sondern<br />
kommen darüber hinaus in den Genuss von Spitzengastronomie,<br />
übernachten in ausgesuchten Luxus hotels und<br />
werden von versierten ADAC-Reiseleitern begleitet.<br />
Nur das Beste ist gut genug bei der Zusammenstellung<br />
der zahlreichen musikalischen Highlights: Da ist<br />
zum Beispiel eine Darbietung von Pergolesis Stabat Mater,<br />
aufgeführt zum Osterfest von dem Ensemble Le Poème<br />
Harmonique unter der Leitung von Vincent Dumestre in<br />
der Königlichen Kapelle von Schloss Versailles. Dann ist<br />
da Verdis imposante Oper Aida mit Roberta Mantegna<br />
und Francesco Meli unter der Leitung von Riccardo Frizza<br />
im Teatro La Fenice in Venedig. Oder aber der Weg<br />
führt nach Salzburg, wo bei den Pfingstfestspielen unter<br />
dem Motto „Voci celesti – Himmlische Stimmen“ herausragende<br />
Countertenöre wie Christophe Dumaux und<br />
Philippe Jaroussky auftreten werden.<br />
Ein ganz besonderes Erlebnis sind darüber hinaus<br />
die Musikkreuzfahrten auf den schönsten Flüssen Europas<br />
oder im Mittelmeer. Erstklassige Konzerte in den an<br />
den Strecken liegenden Theatern, ausgewählte Sonderkonzerte,<br />
spannende Rundgänge und kulinarische Genüsse<br />
garantieren hier eine ebenso eindrucks- wie klangvolle<br />
Reise. Aktuell wird eine Musikkreuzfahrt auf der<br />
Amadeus Diamond von Paris in die Normandie angeboten.<br />
Wandeln Sie auf den Spuren von Van Gogh, Cézanne<br />
und Monet entlang der Seine bis nach Le Havre an der<br />
Atlantikküste und kehren Sie zurück nach Paris, ins Zentrum<br />
der französischen Kunst.<br />
Ganz gleich ob man die Gesellschaft schätzt und<br />
gerne in der Gruppe reist oder lieber individuell unterwegs<br />
ist – die „Reisen für Musikfreunde“ bieten Angebote<br />
für jeden Geschmack und werden sowohl als Individual-<br />
wie auch als geführte Gruppenreisen angeboten, bei<br />
denen Musik, Kunst und Kultur eine vollendete Symbiose<br />
eingehen.<br />
FOTOS: DARIO ACOSTA; DAVID ILIFF; PIXABAY<br />
INORMATIONEN<br />
Beratung & Buchung<br />
+49-(0)69-66 07 83 04<br />
info@adac-musikreisen.de<br />
www.adac-musikreisen.de<br />
REISEANGEBOTE<br />
Neben Gruppenreisen, die eine<br />
Betreuung durch versierte Reiseleiter<br />
beinhalten, werden Individualreisen,<br />
die Hotel und Eintrittskarten<br />
beinhalten, angeboten.<br />
Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 79
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L E B E N S A R T<br />
DER KÜNSTLER GEORG STEIDINGER<br />
GESTALTETE DAS COVER UNSERER PREMIUM-CD<br />
Das erlebte Material<br />
FOTOS: PRIVAT<br />
Der Künstler Georg Steidinger bei seiner Ausstellung „Fake Your Self“<br />
Der <strong>19</strong>63 geborene Georg Steidinger startete ursprünglich<br />
eine ganz andere Karriere, nämlich als Musiker<br />
und Radio-DJ. Erst in den späten 90er-Jahren machte<br />
er sich auf den Weg zur bildenden Kunst: „Mein Start<br />
in die Kunstwelt waren großformatige, abstrakte Bilder in Acryl.<br />
Viel Farbe auf möglichst großen Leinwänden. Alles war riesig, großformatig,<br />
einfach viel Farbe und Symbolik auf der Leinwand. Ich<br />
war stolz, so etwas großes als Autodidakt geschaffen zu haben.“<br />
Die ersten gestischen Malaktionen wurden schnell erweitert<br />
durch Pigmente, Öl, Erde und Sand auf Leinwand, Papier, Pappe<br />
oder Metall. Der Tradition des abstrakten Expressionismus folgend,<br />
legt Georg Steidinger die Impulse des Unbewussten offen. In seinen<br />
Bildern werden Bildgrund und Farbe so zum erlebten Material und<br />
vereinigen sich zum eigentlichen Ausdruck. Oft ergänzt durch Textfragmente<br />
oder spontane Wortassoziationen.<br />
„4 letter words“ ist sowohl Malerei als auch Installation. Aus<br />
Symbolen wurden Typografien und Worte. Mit seiner „4letterart“ gibt<br />
der Künstler mit Bildinhalten und Worten Impulse und Inspirationen<br />
zu den Themen unserer Zeit. Gerade die englischen „4 letter words“<br />
sind kompakt und reduziert – aber die eigentliche Geschichte entsteht<br />
ja im Kopf des Betrachters: individuell und immer wieder anders. Ob<br />
als Collage, in verschiedenen Drucktechniken oder in Videosequenzen<br />
– Georg Steidinger variiert Themen, Materialien und Techniken und<br />
rückt so Dinge in einen neuen Kontext. Zuletzt mit übermalten Plattencovern,<br />
aus denen Indie-Songs der frühen 80er-Jahre mit Songtiteln<br />
auf schwarzer Ölfarbe zu neuem Leben erweckt wurden (hang the DJ,<br />
2018). Er mixt Models mit Song- und Filmzitaten („FAKE YOUR<br />
SELF“, 2017, „HELL YEAH“, 2017, siehe Bild oben) oder Insignien des<br />
Kalten Krieges („American Sector“, 20<strong>19</strong>) mit Collagen aus Fashion-<br />
Magazinen. Mehr über den Künstler auf www.steidinger.net<br />
81
HTOI PT E LTZREIIFLFET<br />
Daniel-Hope-Kolumne<br />
„KEINE ZUKUNFT OHNE GESCHICHTE“<br />
Der Kampf gegen das Vergessen darf nicht enden. Das richtige Instrument dafür ist nicht<br />
Selbstanklage, sondern Verantwortung. Daniel Hope im Gespräch mit Katja Schaefer,<br />
Generalsekretärin der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.<br />
Daniel Hope: Katja, begegnet sind wir<br />
uns bei „Lied und Lyrik“, deinem Festival<br />
in Oberfranken. In Coburg habe ich mit<br />
Anne Sofie von Otter unser Theresienstadt-Projekt<br />
aufgeführt. Wie wichtig ist<br />
dir die Bewahrung der Geschichte?<br />
Kat ja Schae fer: Auf einen Satz gebracht:<br />
Es gibt kei ne Zukunft ohne Geschich te!<br />
Dass die Aus ein an der set zung mit der<br />
Geschich te, ganz beson ders auch mit der<br />
deut schen Geschich te, wich tig ist, zeigt<br />
die Tat sa che, dass die Rechts po pu lis ten<br />
über all auf dem Vor marsch sind. Ich bin<br />
dabei durch aus der Mei nung, dass man<br />
die Schuld unse rer Vor fah ren nicht zur<br />
Schuld ihrer Nach kom men dekla rie ren<br />
darf, aber: Die Ver ant wor tung eines „Nie<br />
wie der!“ – die bleibt. Über all! Die ser<br />
Appell ist Anne Sofie und dir wun der bar<br />
gelungen. Eure Moderationen waren<br />
ein dring li che Beschrei bun gen der<br />
Künst ler aus The re si en stadt – sie fei er ten<br />
die Krea ti vi tät und die Stär ke die ser<br />
Men schen. Die Kom bi na ti on aus außer gewöhn<br />
li cher Kunst und ihrer sub ti len, aber<br />
so ein dring li chen Ver mitt lung hat mich<br />
sehr beein druckt. Daher war ja auch mei ne<br />
ganz spon ta ne Reak ti on: „Dar aus müsst<br />
Ihr einen Film machen“! Als Ihr erzählt<br />
habt, wie schwie rig es sei, einen Pro du zenten<br />
zu fin den, haben wir uns – etwas<br />
wag hal sig – auf die ses Aben teu er ein ge lassen.<br />
Aber es hat ja wun der bar geklappt!<br />
In dem Film hatten wir das Glück, zwei<br />
überlebende Musiker zu befragen, Alice<br />
Herz-Sommer und Coco Schumann –<br />
beide inzwischen verstorben. Laut einer<br />
Umfrage von CNN 2018 wissen 40 Prozent<br />
der deutschen Erwachsenen zwischen 18<br />
und 34 Jahren wenig bis nichts über den<br />
Katja Schaefer mit Daniel Hope<br />
Holocaust. Beunruhigt dich das?<br />
Die Mög lich keit, die se bei den Zeit zeu gen<br />
ken nen zu ler nen, war ein gro ßes Glück,<br />
für unse re Pro duk ti on und für das eige ne<br />
Leben. So viel Lebens mut, Weis heit, Lie be<br />
zu den Men schen, trotz allem, was sie<br />
durch ge macht haben: Als Vor bil der sind<br />
sie unsterblich. Natürlich beunruhigt mich<br />
das Umfra ge er geb nis von CNN, auch wenn<br />
ich es anzweifle. Denn noch ist die Nazi zeit<br />
ver pflich ten der Teil des Geschichts un terrichts<br />
an deut schen Schu len, und laut einer<br />
aktu el len Umfra ge anläss lich des dies jähri<br />
gen Holo caust-Gedenk ta ges, haben alle<br />
KZ-Gedenk stät ten in Deutsch land gestei<br />
ger ten Zulauf. Kei nes falls aber soll ten<br />
wir uns auf ver meint lich guten Zah len<br />
aus ru hen. Den Kampf gegen das Ver gessen<br />
müs sen wir wei ter füh ren, nicht mit<br />
Selbst an kla ge, aber: mit Ver ant wor tung!<br />
Dank der Unterstützung der Bayerischen<br />
Akademie der Schönen Künste kam der<br />
Film überhaupt zustande. Welche Rolle<br />
spielt die Akademie in der Förderung<br />
der Kultur derzeit in Deutschland?<br />
Die Mit glie der sind in vie len Gre mi en und<br />
Jurys. Sie ent schei den über Prei se, Sti pen -<br />
di en und Unter stüt zun gen von Kunst projek<br />
ten. Auch ich tumm le mich in etli chen<br />
nationalen und internationalen Ehrenämtern.<br />
Dane ben machen wir jähr lich an die<br />
85 Ver an stal tun gen bei frei em Ein tritt mit<br />
Pro gram men jen seits des Markt üb li chen.<br />
Unse re Tere zin-DVD ist von der deut schen<br />
Kul tus mi nis ter kon fe renz in die Emp fehlungs<br />
lis te für den Geschichts- und Musikun<br />
ter richt an allen deut schen Schu len<br />
aufgenommen worden. Das ist wahrscheinlich<br />
wichtiger als die vielen internationalen<br />
Prei se, die die Produk ti on gewon nen hat.<br />
Was fasziniert dich an „Verbotener<br />
Musik”?<br />
Mich beein druckt vor allem der Mut, der<br />
dahin ter steck te, der Witz, die Iro nie, der<br />
man oft begeg net. Tex te, die kein Blatt vor<br />
den Mund neh men, Kom po si tio nen, die<br />
Trost spen de ten und Angst lin der ten, im<br />
Fal le von Ilse Weber sogar bis fast zur<br />
letz ten Minu te in der Gas kam mer. Das<br />
alles sind bered te Zeug nis se abso lut außerge<br />
wöhn li cher Men schen. Wir soll ten Coco<br />
Schu manns Wunsch fol gen, sie nicht nur<br />
als Opfer zu betrau ern, son dern auch ihrer<br />
kreativen und menschlichen Größe höchsten<br />
Respekt zu zol len. Welch ein Tri umph,<br />
dass die se Wer ke die je ni gen, die sie ver -<br />
nichten sollten, auf ewig überleben werden!<br />
Neulich wurde unser Film in Hollywood<br />
bei der Academy of Motion Pictures<br />
gezeigt. Danach gab es ein Q &A mit über<br />
500 Studenten. Ich glaube, vor allem die<br />
Jugend von heute muss davon erfahren.<br />
Hier schließt sich der Kreis: kei ne Zukunft<br />
ohne Geschich te! Die Jugend von heu te<br />
muss die Geschich te wei ter tra gen, auf<br />
allen fünf Kon ti nen ten; nur so besteht die<br />
Chan ce, aus ihr zu ler nen.<br />
n<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
FOTO: DANIEL HOPE, PRIVAT<br />
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