CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
K L A V I E R<br />
WOHER KOMMT<br />
EIGENTLICH …<br />
… das Klavier ?<br />
VON STEFAN SELL<br />
Bartolomeo<br />
Cristofori: Porträt<br />
eines unbekannten<br />
Malers<br />
Ein ovaler Rokokosaal in den Farben<br />
Weiß und Gold, überall runde Stehtische<br />
mit weißen Hussen, von eleganten<br />
Herren mit Sektflöten und<br />
Lachshäppchen umkreist. 120 Gäste haben<br />
sich eingefunden, die die Vorsitzende der<br />
Internationalen Slagharpa Liga, Frau Prof.<br />
Dr. Tastenspiel, mit erhobenem Sektglas<br />
begrüßt:<br />
„Meine sehr verehrten Herren, wir<br />
widmen uns heute der Frage: Woher kommt<br />
eigentlich das Klavier? Wer hat es erfunden?<br />
(Unruhe kommt auf) ... ich weiß, ich weiß,<br />
Sie alle ... Lassen Sie uns anstoßen auf die,<br />
die uns mit ihrer Ausdauer, ihrer Erfindungsfreude, ihrem unermüdlichen<br />
Pioniergeist ermöglicht haben, Klavier zu spielen. Skål!<br />
Ein Hoch auf leise und laute Töne. Sie alle hier hatten es sich zur<br />
Aufgabe gemacht, ein Klavier zu bauen, das sowohl Piano als auch<br />
Forte spielen kann. Sie werden sich erinnern, einst wurden die Saiten<br />
mit einem Federkiel angerissen, bis 1694 Signore Cristofori die<br />
Idee mit dem Hammer kam. Ich darf einen Zeitzeugen zitieren: ‚Es<br />
ist jedem Kenner bewußt, dass in der Musik das Schwache und das<br />
Starke gleich wie Licht und Schatten in der Mahlerey, die vornehmste<br />
Quelle sei, woraus die Kunsterfahrenen das Geheimnis gezogen,<br />
ihre Zuhörer ganz besonders zu ergötzen. So ist in Florenz von Herrn<br />
Bartolomeo Cristofori, einem bey dem Großherzog in Diensten stehenden<br />
Clavir-Macher, aus Padua gebürtig, diese so kühne Erfindung<br />
nicht weniger glücklich ausgedacht als mit Ruhm ins Werk<br />
gesetzt worden.’ 1697 haben Sie das erste Hammerklavier gebaut,<br />
ein Prototyp der heutigen Klaviere. Herzlich willkommen, Signore<br />
Cristofori!“ (Applaus). Ein kleiner zierlicher Mann, von bleichem<br />
Teint erhebt sein Glas freundlich nickend in die Runde und führt<br />
es an seine schmalen Lippen.<br />
„Dann kamen Sie ins Spiel, Herr Gottfried Silbermann“, fährt<br />
die Vorsitzende fort, „ohne Sie wäre wohl die Erfindung Cristoforis<br />
in Vergessenheit geraten.“ Cristofori verzieht die dünnen Lippen<br />
und wiegt zweifelnd den Kopf. „Herr Silbermann, Sie sind uns<br />
bekannt als jemand, der alle Register ziehen kann, Sie waren es, der<br />
die Mechanik verbessert hat.“ Der Sachse Silbermann reagiert<br />
prompt: „Ja, Cristoforis Idee war einfach der Hammer!“ (Der zierliche<br />
Cristofori blüht wieder auf.) „Der Hammer machte den<br />
Anschlag lauter. Ich habe allerdings die Spielfähigkeit alltagstauglich<br />
gemacht, der alte Bach war ganz verrückt danach.“<br />
Da meldet sich der aus Stuttgart angereiste<br />
Dichter und Musiker Christian Daniel<br />
Schubart: „Stein in Augsburg hat dem Fortepiano<br />
eine Stärke, Schönheit und Wirkung<br />
gegeben.“ „Habt ihr vergessen, als der<br />
Saitenzug zunahm, baute ich aus einem<br />
Guss den Rahmen!“, ruft aufgebracht<br />
Alpheus Babcock aus Boston dazwischen.<br />
„Ohne unsere Repetitionsmechanik hätte<br />
aber niemand so schnell hintereinander<br />
anschlagen können“, wetteifert der Klavierbauer<br />
Sébastien Érard aus Paris. „Und die<br />
läuft nur wegen meiner ‚Herzfeder‘ so glatt“,<br />
drängt sich Henri Herz nach vorn.<br />
„Moment, ich habe aus den Lederkappen, die den Hammerkopf<br />
polsterten, Filzhüte gemacht“, wettert Henri Pape los.<br />
„Aber meine Herren“, beruhigt die Vorsitzende, „Sie alle haben<br />
Ihren Beitrag geleistet“, (Broadwood, Pleyel, Bösendorfer und Steinway<br />
schütteln verächtlich den Kopf), „auch viele, die heute Abend<br />
gar nicht anwesend sind. Ihnen allen herzlichen Dank! Aber Sie<br />
haben nicht nur Freude damit bereitet – lassen wir den Musikpapst<br />
Eduard Hanslick zu Wort kommen“: „Sie wünschen meine Ansicht<br />
über jene unbarmherzige moderne Stadtplage zu hören, die es heute<br />
glücklich bis zu der ehrenvollen Bezeichnung ‚Clavierseuche‘<br />
gebracht hat. Ich glaube allen Ernstes, daß unter den hunderterlei<br />
Geräuschen und Mißklängen, welche tagüber das Ohr des Großstädters<br />
zermartern und vorzeitig abstumpfen, diese musikalische<br />
Folter die aufreibendste ist.“<br />
Da platzt Heine in den Saal: „Diese ewige Klavierspielerei ist<br />
nicht mehr zu ertragen! Diese grellen Klimpertöne ohne natürliches<br />
Verhallen, diese herzlosen Schwirrklänge, dieses erzprosaische<br />
Schollern und Pickern, dieses Fortepiano tötet all unser Denken<br />
und Fühlen, und wir werden dumm, abgestumpft, blödsinnig.“<br />
(Rundherum Schweigen)<br />
„Meine Herren, sorgen Sie sich nicht, all Ihre haarsträubenden<br />
Argumente sind im Laufe der Zeit hinfällig geworden. Überzeugen<br />
Sie sich selbst, ich präsentiere Ihnen das Silent Piano, das über ein<br />
Pedal stummgeschaltet wird, der Hammerkopf wird gestoppt, bevor<br />
er die Saite auch nur berühren kann, ob Piano oder Forte, jeder<br />
Klang, jeder Ton kommt jetzt digital heraus. Wer spielt, kann seine<br />
Musik über Kopfhörer hören, aber niemand muss mehr mithören,<br />
geschweige denn zuhören. Ich bedanke mich bei Ihnen und beende<br />
hiermit unseren Festakt in aller Stille.“<br />
n<br />
72 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>19</strong>