CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
DER<br />
KLAVIERVERSTEHER<br />
„Wer ausschließlich mit dem Gerät stimmt, verlässt sich auf seine Augen, nicht auf seine<br />
Ohren“, sagt Klavierstimmer Stefan Knüpfer. Als solcher hat er einiges erlebt.<br />
VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />
Sänger, vorwiegend Primadonnen, haben seit jeher die Schriftsteller<br />
zu Romanen inspiriert. Aber ein Klavierstimmer? In<br />
Pascal Merciers Der Klavierstimmer jedenfalls erschießt ein<br />
stadtbekannter Klavierstimmer und Meister seines Fachs,<br />
der bereits in Karajans Diensten stand, einen berühmten italienischen<br />
Tenor. Als Stefan Knüpfer die Story hört, lacht er laut und<br />
kontert: „Eigentlich müsste es doch heißen, wann bringe ich mich<br />
um?!“ Schließlich habe er als<br />
Cheftechniker von Steinway<br />
in Wien einiges erlebt im<br />
Umgang mit weltberühmten<br />
Klienten. Etwa wenn der von<br />
Lampenfieber und Versagensängsten<br />
gepeinigte Konzertpianist<br />
kurz vor dem Auftritt<br />
meint, dass der Ton „nicht<br />
atme“, obwohl Knüpfer tagelang<br />
am Instrument getüftelt,<br />
gewerkelt und alle Schrauben<br />
und Keile justiert hatte.<br />
Da gilt es, Nerven und<br />
Ruhe zu behalten. Denn nur<br />
zufriedene Pianisten seien<br />
eben auch gute Pianisten,<br />
weiß Knüpfer. „Was ist physikalisch<br />
das Problem, und wie<br />
kann man es physikalisch<br />
lösen?“ Das sind die Fragen,<br />
die er sich dann stellt, um, wie<br />
ein Techniker der Formel 1,<br />
das oft auch nur vermeintliche<br />
Problem anzugehen. Dabei<br />
scheut er nicht vor unkonventionellen<br />
Methoden zurück,<br />
wie die Geschichte mit einem<br />
Tennisball zeigt. „Wir hatten<br />
da ein Instrument, das war<br />
lange nicht gespielt worden.<br />
Das stand da wie ein Oldtimer,<br />
der lange nicht gefahren worden<br />
war. Hätte man da einen<br />
Rennfahrer hineingesetzt,<br />
wäre das Auto dahingewesen.<br />
So kam ich auf die Idee, mithilfe eines Tennisballs den Flügel schön<br />
weich zu klopfen. Und: Er klang wieder!“<br />
Zu Knüpfers Klientel zählt die erste Garde der Konzertpianisten.<br />
Und dennoch könnten nur wenige ihre Klangvorstellung<br />
beschreiben, sagt er. „Es geht ja nicht um die ganz einfachen dynamischen<br />
Kategorien wie laut und leise, hart oder weich. Es geht um<br />
das Dazwischen, um Emotionen. Einige sagen mir: ‚Der Ton soll<br />
reich sein.‘ Aber was bedeutet denn ein reicher Ton? Ein Ton hat<br />
Hand angelegt: Stefan Knüpfer bei der Arbeit<br />
FOTO: STEFAN OLAH<br />
doch kein Konto.“ Alfred Brendel etwa wollte einen in allen Lagen<br />
ebenmäßigen Ton, Pierre-Laurent Aimard wiederum wünschte sich<br />
für jede Bach-Fuge die ganze Klangpalette, aufgefächert wie ein<br />
Regenbogen. Pflegeleicht hingegen war Lang Lang, der einen „Instinkt<br />
für Töne“ hatte, egal auf welchem Instrument. „Der brauchte<br />
eher einen stabilen Stuhl, der seinem Temperament standhält.“<br />
Knüpfer könnte es sich leichter machen und mit einem Stroboskop<br />
oder anderen Geräten die<br />
Tonfrequenzen messen, um<br />
quasi auf Knopfdruck den<br />
richtigen Ton zu erreichen. Er<br />
lehnt das ab. Er begreift den<br />
Ton wie eine Farbe, innerhalb<br />
derer allerlei Schattierungen<br />
und Abstufungen und Nuancen<br />
möglich sind. „Wer ausschließlich<br />
mit dem Gerät<br />
stimmt, verlässt sich auf seine<br />
Augen, nicht auf seine Ohren“,<br />
sagt er. Einen Großteil seiner<br />
Arbeit habe er deshalb unterhalb<br />
des Instruments verbracht<br />
und den Pianisten unter<br />
die Finger geschaut: um zu<br />
sehen „mit welchem Impuls,<br />
mit welcher Geschwindigkeit,<br />
welchem Gewicht er auf die<br />
Tasten drückt“.<br />
Eine zwar nicht devote,<br />
aber doch demütige Haltung<br />
für einen Mann, der einst<br />
selbst Pianist werden wollte.<br />
<strong>19</strong>67 in Hamburg geboren,<br />
weiß er heute selbst nicht<br />
mehr so genau, wie er auf die<br />
Idee kam, Klavierstimmer zu<br />
werden. Nur: Er war 15 Jahre<br />
alt, und es war an einem<br />
Samstag. „Ich hatte mal wieder<br />
eine Matheklausur verpatzt.<br />
Da dachte ich mir: Jetzt<br />
habe ich genug. Ich werde Klavierstimmer.<br />
Dann habe ich<br />
mich bei Steinway beworben.“ Das Handwerk wollte er in jedem<br />
Fall dort erlernen. „Immer, wenn ich im Schaufenster die Instrumente<br />
sah, war das für mich wie pure Magie. Allein schon die Klappe<br />
mit dem Emblem darauf. Diese Welt übte einen unglaublichen Sog<br />
auf mich aus. Bis heute.“<br />
Ein Roman wurde noch nicht über ihn geschrieben, dafür aber<br />
mit Pianomania (2009) von Robert Cibis und Lilian Frank ein wunderbarer<br />
Film gedreht.<br />
■<br />
69