CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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DER FLÜGEL-KRACH<br />
IST IN WAHRHEIT<br />
EINE DEBATTE<br />
ÜBER WELTBILDER<br />
zustellen, dass ich András Schiff mag – als Musiker und als Mensch.<br />
Ich schätze seinen Humor und seine Ernsthaftigkeit, vor allen Dingen<br />
aber seine unglaubliche Unerschrockenheit und Offenheit, die<br />
von seinen Kritikern zuweilen mit Arroganz verwechselt wird. Schiff<br />
sagt, was er denkt – ohne Rücksicht auf Verluste. Er hat kein Problem<br />
damit, zu erklären, dass er Martin Stadtfeld für einen fürchterlichen<br />
Pianisten und Evgeny Kissin auf keinen Fall für ein Genie<br />
hält („Wie würden Sie denn dann Mozart nennen?“). Und es lohnt<br />
auch sonst, die aktuelle Debatte ein wenig aufzudröseln, um zu<br />
erkennen, dass der Flügel-Krach in Wahrheit eine Debatte über<br />
Weltbilder ist, die sich hier lediglich in einem Streit um eine Klavierfirma<br />
manifestieren.<br />
Tatsächlich hatte Schiff bereits in einem Interview 2007 erklärt,<br />
die „ursprüngliche Kultur Ungarns“ wurzele in der „Wiener Tradition“<br />
und komme aus der Habsburger-Welt, die russische Schule<br />
dagegen spiele seiner Meinung nach so gut wie gar keine Rolle im<br />
alten Ungarn. So sei hier kein Ton Rachmaninow gespielt worden.<br />
Das ist so sicherlich nicht richtig, denn die russische Schule hatte<br />
– wie auch Jan Brachmann zeigt – durchaus Protagonisten<br />
in Schiffs Heimat. Das aber hielt Schiff<br />
nicht davon ab, sein Steinway-Bashing zu wiederholen,<br />
wie er es auch im Booklet zu seinen Diabelli-Variationen<br />
betrieb, in denen er die Theorie<br />
des typisch österreichischen Klangideals, das<br />
allein Bösendorfer abbilde, bereits episch<br />
ausbreitete.<br />
Doch man muss Schiffs Argumentation vielleicht<br />
auch aus anderen Perspektiven heraus verstehen.<br />
Dazu ist ein Verständnis seiner Biografie<br />
nicht ganz unwesentlich. Schiff wurde <strong>19</strong>53 in<br />
Budapest als Sohn eines musikbegeisterten jüdischen<br />
Gynäkologen geboren und begann sein<br />
Musikstudium bereits mit 14 Jahren an der Franz-Liszt-Musikakademie<br />
in Budapest. Er erlebte die politischen Repressionen Russlands,<br />
fühlte sich später besonders in England zu Hause und erhielt<br />
2001 schließlich die österreichische Staatsbürgerschaft – 2014 wurde<br />
er sogar in den englischen Ritterstand erhoben. Immer wieder<br />
äußerte Schiff politischen Protest, unter anderem, als er der Schubertiade<br />
im Jahre 2000 schon einmal den Rücken gekehrt hatte, um<br />
gegen die Politik der regierenden Rechtspartei FPÖ unter ihrem<br />
damaligen Chef Jörg Haider zu protestieren. Auch verzichtete Schiff<br />
auf Auftritte in Ungarn, um seinem Protest gegen die Politik Viktor<br />
Orbáns Ausdruck zu verleihen.<br />
„Natürlich bin ich als jüdischer Musiker in diesem Punkt ganz<br />
besonders sensibel und nicht objektiv“, erklärte Schiff bereits im<br />
Jahre 2007 der österreichischen Zeitschrift „profil“. Es sei ihm wichtig,<br />
dass Musiker die gespenstische Haltung Wilhelm Furtwänglers<br />
gegenüber den Nazis kennen und diskutieren. „Furtwängler hat<br />
viele Leben gerettet, aber sein affirmatives Verhalten gegenüber den<br />
Nationalsozialisten war nicht richtig“, sagte Schiff. Ihn hätte schon<br />
in der ersten Rechts-rechts-Regierung in Österreich verwundert,<br />
dass damals aus der Pop- und Theaterszene sehr mutige Stimmen<br />
gegen Jörg Haider zu hören waren, dass sogar Arnold Schwarzenegger<br />
gegen ihn protestiert hätte. Und er hätte sich damals gefragt:<br />
„Wenn der das kann: warum nicht auch klassische Musiker?“ Schiff<br />
erklärte das Schweigen im politischen Klassik-Wald damit, dass<br />
„viele glauben, die Klassik würde einem gewissen Teil der Gesellschaft<br />
gehören, die man nicht unnötig provozieren möchte. Aber<br />
Musik gehört nicht nur dem Bürgertum. Ich betrachte mich ja auch<br />
als Linken.“<br />
Was das alles nun mit der aktuellen Flügel-Debatte der Schubertiade<br />
zu tun hat? Natürlich ist Schiffs Kampf gegen Steinway<br />
verbohrt (was übrigens nicht immer so war, denn ausgewählte Beethoven-Sonaten<br />
spielte er einst durchaus an einem Flügel dieser<br />
Firma). Aber sein Plädoyer für Bösendorfer hat unterschiedliche,<br />
emotional nachvollziehbare Gründe: Zum einen will Schiff dem<br />
Mainstream Paroli bieten. Er selber besitzt zehn oder zwölf Flügel<br />
aus der Beethoven-Zeit in Wien. „Es gab damals allein in Wien über<br />
100 Baumeister“, erklärt Schiff gern, „deren Instrumente sehr unterschiedlich<br />
waren. Die Einförmigkeit war damals noch keine Tugend.“<br />
Dann stellt er seine Standardfrage: „Warum müssen heute alle Instrumente<br />
schwarz sein und aussehen wie Särge?“ In der alten Zeit<br />
seien die Klaviere doch auch aus wunderschönem Rosenholz gefertigt<br />
gewesen. Es geht Schiff also um eine Stimme der Vielfalt gegen<br />
das, was er musikalische Globalisierung nennt.<br />
Noch wesentlicher aber scheint ihm die Verteidigung<br />
einer historischen Hoffnung seiner Heimat<br />
Ungarn zu sein, die sich für ihn ausgerechnet<br />
im differenzierten, eigenwilligen und individuellen<br />
Klang der Bösendorfer-Instrumente widerspiegelt.<br />
Es geht um sein – ja, wohl etwas verklärtes<br />
– Weltbild der aufgeklärten Wiener Gesellschaft<br />
zur Zeit der k. u. k Monarchie, der sowohl<br />
der Freigeist Mozart als auch der Querkopf Beethoven<br />
entsprungen war. Aus diesem Kosmos heraus<br />
würde Schiff so gern die eigentliche Kultur<br />
Ungarns ableiten, die „ursprüngliche“ Kultur seiner<br />
Heimat, wie er es selber formuliert, die sich<br />
einst aus eben dieser „Wiener Tradition“ speiste.<br />
Das ist gerade in Zeiten des wachsenden Orbán-Nationalismus und<br />
mit Blick auf die einstige russische Besetzung Ungarns ein verständlicher<br />
Wunsch – gerade, was auch die Abgrenzung von der russischen<br />
Schule betrifft. Schiffs Geschichtsbild ist nach den kommunistischen<br />
Repressionen und unter der neuen nationalistischen<br />
Rechtsregierung mit ihrem latenten Antisemitismus allzu verständlich.<br />
Er sehnt sich danach, den von Viktor Orbán besetzten Mythos<br />
der Nation zu einem Mythos der Menschlichkeit und Vielfalt umzuschreiben.<br />
Der Klang seines Flügels ist dabei die akustische Flagge,<br />
mit der er in den Kampf ziehen will. Man mag, so wie Jan Brachmann,<br />
András Schiff „Ressentimentbesessenheit“ vorwerfen – dann<br />
wäre es aber nur fair zu sagen, dass seine Ressentiments ihre Wurzeln<br />
in der Kultur des Humanismus suchen.<br />
Dass Schiffs zutiefst persönlicher und emotionaler Blick auf<br />
die Geschichte sich mit einem radikalen, ja, meinetwegen auch verbohrten<br />
Blick auf einen Instrumentenhersteller verbindet, ist problematisch.<br />
Wirklich spannend an dieser Debatte aber ist, dass der<br />
Klang in ihr mehr darstellt als lediglich einen akustischen Ausdruck.<br />
Der Klang, den Schiff beschreibt, ist ein Klang, der für ihn die Ordnung<br />
der Dinge – vor allen Dingen aber die Umschreibung der<br />
Geschichte – beinhaltet. Der Streit über den Klang – das ist, was wir<br />
hier lernen – bedeutet immer auch, das Ohr auf die Tradition zu<br />
legen und ihr ein Bewusstsein über die Definition des Vergangenen<br />
abzulauschen. Allein für diese Bewusstwerdung lohnt sich die<br />
Flügel- Debatte um András Schiff. <br />
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