CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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K L A V I E R<br />
Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />
WIE KLANG<br />
GESCHICHTE SCHREIBT<br />
Der Pianist András Schiff hat sich mit der Schubertiade verkracht.<br />
Anlass war die Marke eines Flügels – tatsächlich aber geht es um viel mehr.<br />
DER ANLASS FÜR SCHIFFS WUT: DIE<br />
ANDEREN KÜNSTLER SPIELTEN AUF<br />
STEINWAY-FLÜGELN UND LOBTEN<br />
AUCH NOCH DESSEN KLANG<br />
Für viele war der Streit, der in den letzten Wochen auf ausgesuchten<br />
Seiten des deutschen Feuilletons tobte, so etwas wie eine Freakshow<br />
der Klassik oder „ein abgefahrenes Paralleluniversum“, wie ein Leser<br />
der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Debatten in einem Kommentar<br />
beschrieb. Es ging um Folgendes: Der Pianist András Schiff<br />
hatte sich mit den Machern der<br />
Schubertiade in Vorarlberg überworfen:<br />
mit ihrem Intendanten<br />
Gerd Nachbauer, zahlreichen<br />
Musikerkollegen und nicht zuletzt<br />
mit dem Publikum. Schiff holte<br />
zu einem wütenden Rundumschlag<br />
aus, der Intendant Nachbauer<br />
wiederum veranlasste, Stellung<br />
zu beziehen: Der Pianist<br />
hätte „die Beurteilungskompetenz des Schubertiade-Publikums<br />
infrage“ gestellt, erklärte Nachbauer, und „sich abschließend noch<br />
sehr negativ über eine ganze Gruppe von bei uns regelmäßig auftretenden<br />
Künstlern“ geäußert. Der Anlass für Schiffs Wut: Die<br />
anderen Künstler spielten auf Steinway-Flügeln und lobten auch<br />
noch dessen Klang. Schiff hingegen führt seit Jahren einen erbitterten<br />
Feldzug gegen Steinway und wirbt offensiv für die Konkurrenz:<br />
das Haus Bösendorfer in Wien. Nur bei Bösendorfer sei seiner Meinung<br />
nach der wahre Geist der Wiener Hammerflügel aus der Zeit<br />
Beethovens und Schuberts zu hören. Andere Meinungen lässt er<br />
nicht zu. Basta.<br />
Nun mag es Außenstehenden merkwürdig vorkommen, dass<br />
über derartige Details ein handfester Streit eskaliert, an dessen Ende<br />
eine jahrelange, sehr fruchtbare<br />
musikalische Zusammenarbeit<br />
zerbricht. Tatsächlich aber geht es<br />
bei diesem „Flügel-Streit“ um viel<br />
mehr, wie „FAZ“-Kritiker Jan<br />
Brachmann neulich in einem<br />
Kommentar darlegte, in dem er<br />
Schiff kurzerhand zum Schuldigen<br />
erklärte. „Immer deutlicher<br />
wird nun“, schrieb der Feuilletonist,<br />
„dass András Schiff sich mit alternativen Fakten in einen Wahn<br />
von der Reinheit der österreichisch-ungarischen Kultur des Klavierspiels<br />
hineinsteigert, der nichts mit der geschichtlichen Wirklichkeit<br />
zu tun hat. Auch seine Behauptungen über den Klavierbau werden<br />
durch großartige Pianisten täglich widerlegt. Die Schubertiade tut<br />
gut daran, einem derart ressentimentbesessenen Künstler keine<br />
Träne nachzuweinen.“<br />
Vielleicht ist es sinnvoll, an dieser Stelle zunächst einmal fest-<br />
ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />
64 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>19</strong>