15.05.2020 Aufrufe

CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Bindeglied der Freundschaft zwischen Martha Argerich und der<br />

jungen deutsch-italienischen Pianistin Sophie Pacini. Die nämlich<br />

legt bisweilen auch einen eigenen Zugang zur Musik an den Tag,<br />

der „jenseits einer Spieltradition liegt“, wie sie selbst formuliert.<br />

Eine ihrer ersten starken pianistischen Prägungen sei von Martha<br />

Argerich ausgegangen, die sie im Radio gehört habe – mit eben<br />

jener h-Moll Sonate von Franz Liszt. „Ich hatte die Sonate vorher<br />

schon einmal gehört und fand sie total unansprechend und, ehrlich<br />

gesagt, auch ein bisschen langweilig. Ich habe mich nicht zurechtgefunden<br />

in dem Stück. Mir war klar: Ein Stück, das ich nicht spielen<br />

will, ist die h-Moll Sonate von Franz Liszt.“ In Argerichs Radioversion<br />

jedoch habe sie das Werk nicht wiedererkannt. „Es war<br />

phänomenal, passend, und es hat mir eine Geschichte erzählt.“<br />

„Es gab Traditionen, wie man Werke zu spielen hat“, erzählt<br />

die 27-jährige Pacini. Bereits mit zehn Jahren war sie durch die harte<br />

„Handwerksschule“ Karl-Heinz Kämmerlings<br />

gegangen und hatte bereits da hinterfragt,<br />

warum was wie gespielt wird. „Warum<br />

darf man das nicht anders interpretieren?<br />

Ich muss doch dahinterstehen und das zu<br />

Gehör bringen, was mein innerster Herzenswunsch<br />

ist.“ Viel gelernt hat sie dann<br />

auch von Pavel Gililov, zu dem sie quasi als<br />

rebellierender Teenager gewechselt war.<br />

„Das erste Werk, bei dem ich wirklich<br />

gespürt habe, dass es von Tradition überlagert<br />

wird, war wieder: die h-Moll Sonate<br />

von Franz Liszt. Mir fehlte der intermusikalische<br />

Austausch ...“<br />

Es muss um Weihnachten herum<br />

gewesen sein, Sophie Pacini war gerade 17 geworden und übte wie<br />

wild für einen Wettbewerb in Gstaad. „Mir fehlte etwas. Es gab da<br />

eine Stelle, die noch viel diabolischer klingen musste. Ich habe angefangen,<br />

Dinge drastischer zu zeichnen.“ Sie traute sich, das Werk<br />

anders zu interpretieren, als es die traditionelle Interpretationsschule<br />

vorgab. „Ich liebe Liszt! Das Virtuose, aber auch dieses Diabolische,<br />

diese dramatische Komponente und das Spielen mit der Grenze.“<br />

Sie wollte es eben genau so, wie das Martha Argerich auch anging.<br />

Ihr Lehrer indes war wenig begeistert. „Viel zu emotional!“,<br />

habe der gesagt. Man müsse eine gewisse Distanz wahren zum Werk.<br />

„Er sagte zu mir: ‚Du weißt doch gar nicht, wie die Wahrheit ist!‘<br />

Das hat mich überrascht, und ich habe zurückgefragt, ob er das<br />

denn wisse.“ Erstmals habe sie ihren Lehrer infrage gestellt. „Sophie,<br />

in Gstaad wirst du so nicht gewinnen ...“, lautete die lapidare Aussage<br />

damals. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass Sophie Pacini<br />

dann genau das tat. Dmitri Baschkirow, der in der Jury saß, war<br />

jedenfalls beeindruckt. Pacini habe das Werk anders gespielt, als er<br />

es kenne. „Mutig, persönlich, aber überzeugend.“<br />

Die enge, innige Freundschaft zwischen Martha Argerich und<br />

Sophie Pacini basiert also sozusagen auf Liszts h-Moll Sonate – und<br />

einer ersten persönlichen Begegnung in der Toskana. Im gleichen<br />

Ort nämlich, in dem Sophie Pacini mit ihren Eltern Urlaub machte,<br />

eröffnete Martha Argerich ein Festival. Die Grande Dame des Pianos<br />

wollte zunächst nichts von dem kleinen klavierspielenden Mädchen<br />

wissen. Sophie aber blieb hartnäckig und wartete. Die Argerich<br />

kam zurück, sagte: „Nun, dir ist ja offenbar nicht zu helfen. Dann<br />

spiel.“ Und weiter: „Was für eine Persönlichkeit! Du erinnerst mich<br />

„ES IST SEHR SCHWER, SICH<br />

SELBST TREU ZU BLEIBEN<br />

IN EINER ZEIT, IN DER MAN<br />

VON SEHR VIELEN LEUTEN<br />

ALLE MÖGLICHEN<br />

RATSCHLÄGE BEKOMMT“<br />

SOPHIE PACINI<br />

an mich selbst. Ich merke, dass du einen eigenen Kopf hast.“<br />

Seit dieser Zeit kreuzen sich die Wege der beiden Pianistinnen<br />

regelmäßig. Auch bei der Einspielung von Solowerken Chopins, die<br />

mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet wurde, vertraute Pacini auf<br />

die Expertise Martha Argerichs. Ihr nämlich spielte sie die „eigene“<br />

Version von Chopins Fantaisie-Impromptu mit weniger akzentuiertem<br />

Daumenanschlag vor. Die Antwort Argerichs: „Ja, das hört sich<br />

logischer an.“<br />

Es bliebt dabei: Die „Ikone“ Martha Argerich und die „Newcomerin“<br />

Sophie Pacini reden viel miteinander. Über die Karriereplanung,<br />

über Alltägliches, über den Gossip der Szene. „Über Musikalisches<br />

reden wir spielenderweise ...“<br />

Zum Beispiel über die Frage: War früher alles besser? Die Antwort<br />

wird nie ja oder nein sein können. Martha Argerich aber findet:<br />

„Wenn ich heute Karriere machen müsste, würde mir das sehr<br />

schwerfallen.“ Heute werden Musiker bisweilen<br />

nicht präsentiert, wenn sie nicht<br />

gewillt sind, dem schreienden Marketing<br />

stattzugeben. Die Disbalance sei heute stärker<br />

geworden als früher. Eine Karriere sei<br />

viel schwieriger. Und Sophie Pacini weiß,<br />

dass es natürlich heute – nach einer „goldenen<br />

Generation“ von Pianisten – kein<br />

Selbstläufer ist, sich zu positionieren.<br />

„Letztlich gibt es ja alles schon“, seufzt sie.<br />

„Es gibt viele Einspielungen großer Werke<br />

und großer Pianisten.“ Man braucht daher<br />

das Selbstbewusstsein und den Mut, den<br />

eigenen Weg zu verfolgen. Martha Argerich<br />

gab der jungen Pianistin mit auf den Weg:<br />

„Sei du selbst! Bleib authentisch und so, wie du bist! Lass dich nicht<br />

verbiegen!“ Damals habe sie schlicht „Ja, klar!“ gesagt, doch heute:<br />

„Spüre ich immer deutlicher, was sie damit meinte. Es ist sehr<br />

schwer, sich selbst treu zu bleiben in einer Zeit, in der man von sehr<br />

vielen Leuten alle möglichen Ratschläge bekommt.“<br />

Alles, was man heute tut, bekommt eine Gewichtung. Je sichtbarer<br />

man als Künstler wird, umso mehr. Es gibt heute einen Starkult,<br />

den es früher nicht gab. In der Hinsicht hat sich das Marketing<br />

geändert. „Das Bild eines klassischen Musikers hat sich verändert“,<br />

findet Sophie Pacini. Der Klassiker erscheine immer häufiger in<br />

einem „Popgewand“. Dabei brauche Klassik eigentlich die innere<br />

Ruhe, was in der heutigen schnelllebigen Zeit nicht leicht sei.<br />

Kürzlich fand in Hamburg das Martha Argerich Festival statt.<br />

Motto: Musizieren unter Freunden. An nur einem Abend waren<br />

mehrere unterschiedliche Instrumentenkombinationen zu erleben.<br />

Schließlich standen gar vier Flügel auf der Bühne. Mit von der Partie<br />

war Sophie Pacini. Es war auch hier nicht zu übersehen, dass Martha<br />

Argerich das Zusammenspiel mit alten Freunden und neuen jungen<br />

Talenten, auf die sie aufmerksam geworden ist, mag, vielleicht sogar<br />

genießt. Martha Argerich „wirkt nach außen hin extrem entschlossen<br />

und selbstsicher“, erklärt Pacini. Privat sei das nicht immer so.<br />

Seit Jahrzehnten hat die Argentinierin Lampenfieber, seit <strong>19</strong>81 tritt<br />

sie nicht mehr solo auf. Allein auf der Bühne fühle sie sich wie „ein<br />

Insekt unter einem Brennglas“, hat sie einmal gesagt. Mit Partnern<br />

liegt der Fokus nicht allein auf ihr, das entlastet. Jüngst lud die<br />

„Grande Dame“ – ein Titel übrigens, auf den sie keinen Wert legt<br />

– die junge Kollegin ein, mit ihr Beethoven im Duo zu spielen. n<br />

61

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!