CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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Bindeglied der Freundschaft zwischen Martha Argerich und der<br />
jungen deutsch-italienischen Pianistin Sophie Pacini. Die nämlich<br />
legt bisweilen auch einen eigenen Zugang zur Musik an den Tag,<br />
der „jenseits einer Spieltradition liegt“, wie sie selbst formuliert.<br />
Eine ihrer ersten starken pianistischen Prägungen sei von Martha<br />
Argerich ausgegangen, die sie im Radio gehört habe – mit eben<br />
jener h-Moll Sonate von Franz Liszt. „Ich hatte die Sonate vorher<br />
schon einmal gehört und fand sie total unansprechend und, ehrlich<br />
gesagt, auch ein bisschen langweilig. Ich habe mich nicht zurechtgefunden<br />
in dem Stück. Mir war klar: Ein Stück, das ich nicht spielen<br />
will, ist die h-Moll Sonate von Franz Liszt.“ In Argerichs Radioversion<br />
jedoch habe sie das Werk nicht wiedererkannt. „Es war<br />
phänomenal, passend, und es hat mir eine Geschichte erzählt.“<br />
„Es gab Traditionen, wie man Werke zu spielen hat“, erzählt<br />
die 27-jährige Pacini. Bereits mit zehn Jahren war sie durch die harte<br />
„Handwerksschule“ Karl-Heinz Kämmerlings<br />
gegangen und hatte bereits da hinterfragt,<br />
warum was wie gespielt wird. „Warum<br />
darf man das nicht anders interpretieren?<br />
Ich muss doch dahinterstehen und das zu<br />
Gehör bringen, was mein innerster Herzenswunsch<br />
ist.“ Viel gelernt hat sie dann<br />
auch von Pavel Gililov, zu dem sie quasi als<br />
rebellierender Teenager gewechselt war.<br />
„Das erste Werk, bei dem ich wirklich<br />
gespürt habe, dass es von Tradition überlagert<br />
wird, war wieder: die h-Moll Sonate<br />
von Franz Liszt. Mir fehlte der intermusikalische<br />
Austausch ...“<br />
Es muss um Weihnachten herum<br />
gewesen sein, Sophie Pacini war gerade 17 geworden und übte wie<br />
wild für einen Wettbewerb in Gstaad. „Mir fehlte etwas. Es gab da<br />
eine Stelle, die noch viel diabolischer klingen musste. Ich habe angefangen,<br />
Dinge drastischer zu zeichnen.“ Sie traute sich, das Werk<br />
anders zu interpretieren, als es die traditionelle Interpretationsschule<br />
vorgab. „Ich liebe Liszt! Das Virtuose, aber auch dieses Diabolische,<br />
diese dramatische Komponente und das Spielen mit der Grenze.“<br />
Sie wollte es eben genau so, wie das Martha Argerich auch anging.<br />
Ihr Lehrer indes war wenig begeistert. „Viel zu emotional!“,<br />
habe der gesagt. Man müsse eine gewisse Distanz wahren zum Werk.<br />
„Er sagte zu mir: ‚Du weißt doch gar nicht, wie die Wahrheit ist!‘<br />
Das hat mich überrascht, und ich habe zurückgefragt, ob er das<br />
denn wisse.“ Erstmals habe sie ihren Lehrer infrage gestellt. „Sophie,<br />
in Gstaad wirst du so nicht gewinnen ...“, lautete die lapidare Aussage<br />
damals. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass Sophie Pacini<br />
dann genau das tat. Dmitri Baschkirow, der in der Jury saß, war<br />
jedenfalls beeindruckt. Pacini habe das Werk anders gespielt, als er<br />
es kenne. „Mutig, persönlich, aber überzeugend.“<br />
Die enge, innige Freundschaft zwischen Martha Argerich und<br />
Sophie Pacini basiert also sozusagen auf Liszts h-Moll Sonate – und<br />
einer ersten persönlichen Begegnung in der Toskana. Im gleichen<br />
Ort nämlich, in dem Sophie Pacini mit ihren Eltern Urlaub machte,<br />
eröffnete Martha Argerich ein Festival. Die Grande Dame des Pianos<br />
wollte zunächst nichts von dem kleinen klavierspielenden Mädchen<br />
wissen. Sophie aber blieb hartnäckig und wartete. Die Argerich<br />
kam zurück, sagte: „Nun, dir ist ja offenbar nicht zu helfen. Dann<br />
spiel.“ Und weiter: „Was für eine Persönlichkeit! Du erinnerst mich<br />
„ES IST SEHR SCHWER, SICH<br />
SELBST TREU ZU BLEIBEN<br />
IN EINER ZEIT, IN DER MAN<br />
VON SEHR VIELEN LEUTEN<br />
ALLE MÖGLICHEN<br />
RATSCHLÄGE BEKOMMT“<br />
SOPHIE PACINI<br />
an mich selbst. Ich merke, dass du einen eigenen Kopf hast.“<br />
Seit dieser Zeit kreuzen sich die Wege der beiden Pianistinnen<br />
regelmäßig. Auch bei der Einspielung von Solowerken Chopins, die<br />
mit dem ECHO Klassik ausgezeichnet wurde, vertraute Pacini auf<br />
die Expertise Martha Argerichs. Ihr nämlich spielte sie die „eigene“<br />
Version von Chopins Fantaisie-Impromptu mit weniger akzentuiertem<br />
Daumenanschlag vor. Die Antwort Argerichs: „Ja, das hört sich<br />
logischer an.“<br />
Es bliebt dabei: Die „Ikone“ Martha Argerich und die „Newcomerin“<br />
Sophie Pacini reden viel miteinander. Über die Karriereplanung,<br />
über Alltägliches, über den Gossip der Szene. „Über Musikalisches<br />
reden wir spielenderweise ...“<br />
Zum Beispiel über die Frage: War früher alles besser? Die Antwort<br />
wird nie ja oder nein sein können. Martha Argerich aber findet:<br />
„Wenn ich heute Karriere machen müsste, würde mir das sehr<br />
schwerfallen.“ Heute werden Musiker bisweilen<br />
nicht präsentiert, wenn sie nicht<br />
gewillt sind, dem schreienden Marketing<br />
stattzugeben. Die Disbalance sei heute stärker<br />
geworden als früher. Eine Karriere sei<br />
viel schwieriger. Und Sophie Pacini weiß,<br />
dass es natürlich heute – nach einer „goldenen<br />
Generation“ von Pianisten – kein<br />
Selbstläufer ist, sich zu positionieren.<br />
„Letztlich gibt es ja alles schon“, seufzt sie.<br />
„Es gibt viele Einspielungen großer Werke<br />
und großer Pianisten.“ Man braucht daher<br />
das Selbstbewusstsein und den Mut, den<br />
eigenen Weg zu verfolgen. Martha Argerich<br />
gab der jungen Pianistin mit auf den Weg:<br />
„Sei du selbst! Bleib authentisch und so, wie du bist! Lass dich nicht<br />
verbiegen!“ Damals habe sie schlicht „Ja, klar!“ gesagt, doch heute:<br />
„Spüre ich immer deutlicher, was sie damit meinte. Es ist sehr<br />
schwer, sich selbst treu zu bleiben in einer Zeit, in der man von sehr<br />
vielen Leuten alle möglichen Ratschläge bekommt.“<br />
Alles, was man heute tut, bekommt eine Gewichtung. Je sichtbarer<br />
man als Künstler wird, umso mehr. Es gibt heute einen Starkult,<br />
den es früher nicht gab. In der Hinsicht hat sich das Marketing<br />
geändert. „Das Bild eines klassischen Musikers hat sich verändert“,<br />
findet Sophie Pacini. Der Klassiker erscheine immer häufiger in<br />
einem „Popgewand“. Dabei brauche Klassik eigentlich die innere<br />
Ruhe, was in der heutigen schnelllebigen Zeit nicht leicht sei.<br />
Kürzlich fand in Hamburg das Martha Argerich Festival statt.<br />
Motto: Musizieren unter Freunden. An nur einem Abend waren<br />
mehrere unterschiedliche Instrumentenkombinationen zu erleben.<br />
Schließlich standen gar vier Flügel auf der Bühne. Mit von der Partie<br />
war Sophie Pacini. Es war auch hier nicht zu übersehen, dass Martha<br />
Argerich das Zusammenspiel mit alten Freunden und neuen jungen<br />
Talenten, auf die sie aufmerksam geworden ist, mag, vielleicht sogar<br />
genießt. Martha Argerich „wirkt nach außen hin extrem entschlossen<br />
und selbstsicher“, erklärt Pacini. Privat sei das nicht immer so.<br />
Seit Jahrzehnten hat die Argentinierin Lampenfieber, seit <strong>19</strong>81 tritt<br />
sie nicht mehr solo auf. Allein auf der Bühne fühle sie sich wie „ein<br />
Insekt unter einem Brennglas“, hat sie einmal gesagt. Mit Partnern<br />
liegt der Fokus nicht allein auf ihr, das entlastet. Jüngst lud die<br />
„Grande Dame“ – ein Titel übrigens, auf den sie keinen Wert legt<br />
– die junge Kollegin ein, mit ihr Beethoven im Duo zu spielen. n<br />
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