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CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.

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Das Piano der neuseeländischen Regisseurin Jane Campion<br />

erzählt die Geschichte eines Klaviers, das sich mit einem<br />

tragischen Frauenschicksal verbindet (links). Der Pianist (oben)<br />

kann nur Klavier spielen – und das rettet ihm das Leben<br />

„Das Leben ist wie das<br />

Klavier eines Menschen,<br />

der in den neunten Stock<br />

umzieht – schwer, aber<br />

tragbar“ – das Klavier in<br />

der Literatur<br />

FOTO: 2002 STUDIOCANAL - HERITAGE FILMS - STUDIO BABELSBERG - RUNTEAM LTD; PRIVAT<br />

Er kann nur Klavier spielen, und das rettet<br />

ihm das Leben.<br />

In der Literatur erfahren wir vom<br />

29-jährigen Autor Beka Adamaschwili aus<br />

Georgien: „Das Leben ist wie das Klavier eines<br />

Menschen, der in den neunten Stock umzieht<br />

– schwer, aber tragbar.“ Das meint zumindest<br />

seine Figur Pierre, ein erfolgloser Schriftsteller,<br />

in dem Roman Bestseller.<br />

Das Klavier selbst ist Protagonist im<br />

autobiografischen Roman von Avner und Hannah<br />

Carmi, Das unsterbliche Klavier. Wie der<br />

Untertitel verrät, ist es „die abenteuerliche und wahrhaftige<br />

Geschichte von dem verschollenen und wiedergefundenen Siena-<br />

Klavier“, das „manchmal wie eine Harfe und manchmal wie ein<br />

Spinett und dann wie ein ganzes Orchester klingt“. Avner Carmi<br />

war über seinen Großvater zum Klavierbau gekommen und entwickelte<br />

später als Klavierstimmer eine eigene Art und Weise, die<br />

Saiten in Stimmung zu bringen. Das Siena-Piano wurde aufgrund<br />

seines einzigartigen Klangs die „Harfe Davids“ genannt und soll<br />

aus den Holzsäulen eines Tempels von König Salomon gebaut worden<br />

sein. Es hat eine so zauberhaft barocke Auskleidung, dass man<br />

es fast für eine Skulptur halten könnte. 1867 spielte darauf Camille<br />

Saint-Säens im italienischen Pavillon der Weltausstellung in Paris,<br />

und ein Jahr später in Rom ließ Liszt, vielleicht wieder bewaffnet,<br />

auf dem Siena-Klavier seine Campanella erklingen.<br />

In Tolstois Erzählung Kreutzersonate wird das Klavier zum<br />

Objekt der Eifersucht. Vermeintlicher Held der Geschichte ist Posdnyschew,<br />

der in rasender Eifersucht seine Frau ermordet. „Sie<br />

beschäftigte sich wieder angeregt mit dem Klavier, das sie vorher<br />

völlig gelassen hatte. Und damit fing alles an.“ Als sie den Geiger<br />

Truchatschewski kennenlernt, mit ihm regelmäßig musizierend<br />

gemeinsam Beethovens Kreutzersonate spielt, ist das Grund genug<br />

für Posdnyschew, zum Mörder zu werden.<br />

Lotte Kinskofer berichtet in zwei wundervollen Kinderbüchern<br />

von einem Klavierling. Ein kleines Wesen namens Crescendo lebt<br />

als Klavierling in einem Klavier. Crescendo isst ausschließlich<br />

Töne und kann falsche Töne aussortieren.<br />

Je mehr auf einem Klavier gespielt wird, desto besser<br />

geht’s dem Klavierling.<br />

Am 7. Februar fand sich Mein blaues Klavier<br />

von Else Lasker-Schüler in der „Neuen Zürcher Zeitung“,<br />

die ersten vier Zeilen lauten: Ich habe zu<br />

Hause ein blaues Klavier / Und kenne doch<br />

keine Note. / Es steht im Dunkel der Kellertür,<br />

/ Seitdem die Welt verrohte. Else Lasker-<br />

Schüler lebte in Zürich im Exil. Sie hatte<br />

Deutschland als Jüdin verlassen, weil die Nationalsozialisten<br />

dabei waren, die Welt zu verrohen. Das Klavier als<br />

Bild ihres Leids. Aus einem Tagebucheintrag geht hervor, dass sie<br />

als Kind ein blaues Klavier hatte: „Ich besitze alle meine Spielsachen<br />

von früher noch, auch mein blaues Puppenklavier.“<br />

Wilhelm Busch war dagegen der Meinung, das Klavier selbst<br />

habe viel zu leiden: „Ein gutes Tier / Ist das Klavier, / Still, friedlich<br />

und bescheiden, / Und muß dabei / Doch vielerlei / Erdulden und<br />

erleiden.“<br />

Zu den bekanntesten amerikanischen Comics zählen die Peanuts.<br />

Unter ihnen gibt es einen einzigartigen Pianisten, der nichts<br />

mehr liebt als Beethoven. Auch wenn er nur ein Kinderklavier mit<br />

aufgemalten schwarzen Tasten hat – Schroeder gibt alles, und vor<br />

lauter Hingabe bekommt er vom ständigen Liebeswerben Lucys gar<br />

nichts mit. Es vergeht kein Jahr, an dem er nicht den 16. Dezember<br />

würdigt, Beethovens Geburtstag. Als er ihn dann doch einmal vergisst,<br />

ist er am Ende.<br />

Eine wundervolle Klaviergeschichte vermählt Orient und<br />

Okzident. Zeichnend erzählt wird sie von der aus Beirut stammenden<br />

Künstlerin Zeina Abirached in ihrer Graphic Novel Piano Oriental.<br />

Sie setzt darin ihrem Urgroßvater ein Denkmal. Abdallah<br />

Kamanja erfand ein zweisprachiges Klavier, das mittels eines Pedals<br />

auch Vierteltöne spielt und so in sich zweierlei Kulturen vereinigt.<br />

Bei all der Schießerei zu Beginn ist dies vielleicht die schönste<br />

Zukunftsvision, die ein Klavier auslösen kann.<br />

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