CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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K L A V I E R<br />
Mit Charles Aznavour in<br />
der Hauptrolle: der<br />
französische Filmklassiker<br />
der Nouvelle Vague aus<br />
dem Jahre <strong>19</strong>60<br />
SCHIESSEN SIE<br />
AUF DEN PIANISTEN!<br />
Das Klavier in Film, Literatur und Comic. VON STEFAN SELL<br />
Das Klavier! Die Vielfalt des magischen Tastenkastens hat<br />
alle Künste inspiriert. Als Metapher, Symbol und Ausdrucksform.<br />
Im Film werden Pianisten ermahnt, sie sollen<br />
sich nicht in kriminelle Machenschaften hineinziehen<br />
lassen, denn ehe sie sich versehen, geraten sie in die Schusslinie ihrer<br />
Kontrahenten. Charles Aznavour macht das in Truffauts Klassiker<br />
Schießen Sie auf den Pianisten! augenfällig.<br />
In Ein Tag beim Rennen dient Harpo Marx das Klavier auf<br />
offener Bühne als Schutzwall, müssen doch seine Verfolger verzweifelt<br />
hinter dem Bühnenvorhang zusehen, wie er „Wreckmaninoff“<br />
spielend Taste für Taste, Bauteil für Bauteil durch die Luft wirbelt<br />
und den ganzen Konzertflügel in Grund und Boden spielt, nur um<br />
am Ende im entstandenen Chaos erneut die Flucht anzutreten. Das<br />
Klavier als Zuflucht. Doch Vorsicht! Schießen Sie nicht auf den Pianisten,<br />
denn er könnte zurückschießen. Die Musik George Antheils<br />
war im Paris der 20er-Jahre so unerhört, dass sein öffentliches Klavierspielen<br />
stets von Tumulten, Aufruhr und Skandalen begleitet<br />
war. Antheil soll stets eine Pistole bei sich getragen haben, um sich<br />
zur Not den Fluchtweg freizuschießen. Auch von Franz Liszt erzählt<br />
man, dass er mithilfe einer Pistole das scharenweise aufgeregte Publikum<br />
in Schach hielt, um sich Gehör zu verschaffen.<br />
Stan und Ollie transportieren im Oscar-prämierten Kurzfilm<br />
The Music Box als Umzugsfirma Laurel & Hardy Transfer Co. ein<br />
elektrisches Klavier. Als Geburtstagsgeschenk gedacht, überlebt das<br />
Klavier wie ein Wunder den Transport über endlose Stufen, tausenderlei<br />
Stürze und Brunnenbäder, nur, um endlich angekommen,<br />
vom vermeintlich Beschenkten mit einer Axt kurz und klein geschlagen<br />
zu werden.<br />
Das Piano der neuseeländischen Regisseurin Jane Campion<br />
erzählt die Geschichte eines Klaviers, das sich mit einem tragischen<br />
Frauenschicksal verbindet. Ada, eine junge, verstummte Frau (Holly<br />
Hunter), legt ihren ganzen Ausdruck ins Klavierspiel. Von Schottland<br />
aus wird sie nach Neuseeland zwangsverheiratet. Das Klavier<br />
begleitet sie bis zur Ankunft, strandet von Wellen gekost und bleibt<br />
im Sande stehen. Ihr Zukünftiger sieht dafür keine Verwendung.<br />
Durch einen Gegenspieler kommt das Klavier zunächst in ihre<br />
Hände, doch letztlich wird es als Metapher für ein selbstbestimmtes<br />
Leben und die Schönheit eines eigenständigen Ausdrucks qualvoll,<br />
aber malerisch inszeniert auf den Meeresgrund sinken. Im männlich<br />
dominierter Liebesbalz löst Ada zwischen Verweigerung und<br />
Hingabe eine Klaviertaste aus und verwandelt sie in einen<br />
Liebesbrief.<br />
Ein jüdischer Musiker überlebt den Holocaust. In Erinnerung<br />
an die eigene Kindheit erzählt Roman Polanski eine wahre<br />
Geschichte: Der Pianist. „Musiker eignen sich einfach nicht zum<br />
Verschwörer. Sie sind zu musikalisch“, scherzt ein Freund des Pianisten.<br />
Tatsächlich besitzt Władysław Szpilman (Adrien Brody)<br />
weder das Talent zum Widerstandskämpfer noch zum Mitläufer.<br />
58 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>19</strong>