CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Seit der Wende zum 21. Jahrhundert<br />
taucht jedoch wieder mehr<br />
Vielfalt auf. Die Zeiten, da alle so<br />
klingen wollten wie ein Steinway,<br />
scheinen vorüber. Die Marken haben<br />
sich emanzipiert und besinnen sich<br />
auf ihre Individualität und jenes<br />
Klangbild, auf dem ihr Ansehen<br />
gründet. C. Bechstein und Bösendorfer,<br />
die mit Steinway einst die großen<br />
Drei bildeten, streben danach, diese<br />
Stellung zurückzuerobern.<br />
Gearbeitet wird am Klang, seinen<br />
Farben und seinem Volumen.<br />
Die Probleme, mit denen sich Sänger<br />
herumschlagen, weil die Orchester<br />
immer lauter und brillanter klingen<br />
wollen, treffen auch die Pianisten.<br />
Insbesondere beim romantischen<br />
Repertoire, das die Programme mehr<br />
denn je dominiert, brauchen sie<br />
einen Flügel, dessen Klang sich<br />
gegenüber dem Orchester behaupten<br />
und von den übrigen Instrumenten<br />
abheben kann. Einiges tut sich daher<br />
im Klavierbau. Die Fertigungstiefe<br />
wird gesteigert. Produktionsteile, die<br />
bisher zugekauft wurden, stellt man<br />
wieder selbst her. C. Bechstein fertigt seit 2015 eigene Hammerköpfe,<br />
um seine Vorstellung eines transparenten Klangs mit großem Farbenreichtum<br />
vom feinsten Pianissimo bis zum stärksten Fortissimo<br />
verwirklichen zu können.<br />
Auf die Frage, wer einen Bechstein kaufe, kommt bei Piano<br />
Fischer, dem C. Bechstein Centrum München, eine eindeutige Antwort:<br />
wertkonservative Familien, die das europäische Klangbild<br />
schätzten. Musikliebhaber, die selbst spielen, wissen den warmen,<br />
obertonreichen, singenden Klang und die leicht gängige Klaviatur<br />
zu würdigen. Sie sind die Zielgruppe des Unternehmens, das 1853<br />
zur Zeit der Industrialisierung und des aufstrebenden Bürgertums<br />
in Berlin gegründet wurde und der größte europäische Klavierhersteller<br />
ist. „Unsere Kunden spielen selbst“, betont man nicht ohne<br />
Stolz. Gleichzeitig habe sich der Verkauf von Instrumenten an Hochschulen<br />
und Konzerthäuser gesteigert, wie der Pressevertreter des<br />
Unternehmens hervorhebt. Im Mozarteum, dem Royal College of<br />
Music London, dem Brucknerhaus in Linz, dem Konzerthaus Berlin<br />
und vielen anderen wichtigen Institutionen stünden heute wieder<br />
Bechstein-Flügel. Auch Pianisten wie Kit Armstrong, Saleem Ashkar<br />
oder Abdel Rahman El Bacha konzertierten regelmäßig auf<br />
C.-Bechstein-Konzertflügeln.<br />
Die allmählich einziehende Abwechslung an Marken in Musikhochschulen<br />
begrüßt man auch bei Klavier Hirsch, dem Fachgeschäft<br />
für Bösendorfer in München. Es sei wichtig für die Zukunft,<br />
den Studierenden unterschiedliche Klangerfahrungen zu vermitteln.<br />
Für den Sprung auf die internationalen Podien konstruierte Bösendorfer<br />
sogar einen neuen Konzertflügel. Gewiss werde das Flaggschiff<br />
der Marke, der legendäre Imperial mit seiner Klaviatur von<br />
acht vollen Oktaven, weiterhin gebaut. Doch Bösendorfer musste<br />
SELBST VLADIMIR HOROWITZ<br />
KÖNNTE MAN SICH<br />
INS WOHNZIMMER HOLEN<br />
sich ebenfalls der Forderung nach<br />
größerem Volumen stellen.<br />
Nachdem der 1828 gegründete<br />
und damit am längsten bestehende<br />
Klavierhersteller im Verlauf der zweiten<br />
Hälfte des 20. Jahrhunderts in<br />
wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten<br />
und mehrmals verkauft worden<br />
war, hatte ihn 2007 der japanische<br />
Instrumentenhersteller Yamaha<br />
übernommen. 2015, als Bösendorfer<br />
im niederösterreichischen Wiener<br />
Neustadt erstmals wieder Gewinne<br />
vermelden konnte, stellte er den Konzertflügel<br />
280VC vor. Die Buchstaben<br />
„VC“ stehen für „Vienna Concert“<br />
und verweisen auf den warmen, weichen<br />
Bösendorfer-Klang, der sich an<br />
den Streichern der Wiener Philharmoniker<br />
orientiert und dem der Flügel,<br />
ungeachtet seiner technischen<br />
Neuerungen und der zusätzlichen<br />
klanglichen Brillanz, treu bleiben<br />
sollte.<br />
Der Flügel VC ist das Ergebnis<br />
einer Symbiose alter Handwerkskunst<br />
und computergestützter Konstruktions-<br />
und Fertigungstechnik.<br />
Weiterentwickelt wurde die komplette akustische Anlage, wozu bei<br />
Bösendorfer auch das Gehäuse gehört. Die gesamte Kastenwand<br />
sowie die sogenannte Raste, die unten im Flügelgehäuse als Auflage<br />
für den Resonanzboden und den Gussrahmen dient, wird bei Bösendorfer<br />
aus Klangholz, das heißt Fichte, gefertigt. Die Seitenwände<br />
können daher nicht in scharfer Rundung gebogen werden, sondern<br />
weisen nach alter Bauart eine Ecke auf. Das Hauptaugenmerk des<br />
Konstrukteurs lag auf dem Resonanzboden, seinen Rippen und vor<br />
allem seiner Krone, jener kleinen Kuppel an der Oberseite, die sich<br />
sanft in Richtung der Seiten wölbt.<br />
András Schiff präsentierte den Flügel 280VC am 3. Juni 2018<br />
im Wiener Konzerthaus. Er bekam eine Sonderanfertigung in Pyramidenmahagoni.<br />
Sein Wunsch war eine eigene Konzeption, die an<br />
einen alten Hammerflügel des 18. Jahrhunderts erinnert, mit deutlich<br />
unterschiedenen Registern: Bass, Mitte und Diskant. So habe<br />
die Wiener Klassik geklungen, erläutert er in einem Video. Haydn,<br />
Mozart und Beethoven hätten in diesem Sinne komponiert.<br />
Auf dem Flügel VC kann man sich zu Hause sogar ein Konzert<br />
von Rachmaninow oder Rubinstein geben lassen. Denn der Flügel<br />
ist mit der Reproduktionstechnik Disklavier Enspire ausgestattet.<br />
Bösendorfer begann bereits in den <strong>19</strong>80er-Jahren, mit Sensortechnikern<br />
zu experimentieren, um das Spiel anschlagsgetreu aufnehmen<br />
und wiedergeben zu können. 2005 stellte er das System CEUS<br />
vor. Nach der Übernahme durch Yamaha erhielt er Zugang zu dessen<br />
Reproduktionssystem Disklavier Enspire und damit einer ausgereiften<br />
Technik. 2017 kam die erste Bösendorfer Disklavier Enspire<br />
Edition heraus. Sie ermöglicht auch die Aufnahme und Wiedergabe<br />
des eigenen Spiels. Damit werde „Ihr Spiel so unsterblich wie die<br />
Kompositionen großer Meister“, verspricht Bösendorfer. n<br />
55