15.05.2020 Aufrufe

CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

K L A V I E R<br />

Besinnung auf<br />

Individualität<br />

B<br />

Klavierhersteller bieten wieder breitere Klangvielfalt.<br />

Steinway gilt nicht mehr als alleiniger Maßstab.<br />

C. Bechstein und Bösendorfer arbeiten<br />

an der Umsetzung eines eigenen Klangbildes.<br />

etritt man den neuen Showroom von<br />

Steinway & Sons am Maximiliansplatz in<br />

München, sticht einem sofort ein roter Flügel ins Auge. Legen die<br />

Klaviere allmählich das Ehrfurcht gebietende Schwarz ab, das seit<br />

den <strong>19</strong>60er-Jahren ihr Aussehen bestimmt? Keineswegs, es handelt<br />

sich um einen Ferrari-Flügel. Er trägt das Rot des italienischen<br />

Sportwagenherstellers.<br />

Steinway verstand es von Anfang an, ein offensives Marketing<br />

zu betreiben, der Marke ein luxuriöses, fortschrittliches Image zu<br />

verleihen und sie zu einem Mythos werden zu lassen. William Steinway,<br />

der Sohn des Firmengründers, legte den Grundstein dafür.<br />

1872 finanzierte er eine Konzertreise<br />

des russischen Pianisten Anton<br />

Rubinstein und zahlte ihm für 215<br />

Auftritte 80.000 Dollar. Die Tournee<br />

erregte ungeheures Aufsehen, und<br />

Steinway wurde dabei im gleichen<br />

Atemzug wie Anton Rubinstein<br />

genannt.<br />

Heute ist Lang Lang, dem sogar<br />

ein Flügel gewidmet ist, der große Steinway-Künstler, gefolgt von<br />

Yuja Wang. Und dank des digitalen Systems Spirio kann man Lang<br />

Lang nicht nur im Konzertsaal erleben, sondern auch ins häusliche<br />

Wohnzimmer holen. Man sieht ihn zwar nicht auf der Klavierbank<br />

sitzen. Aber man kann beobachten, wie die Tasten von seinen<br />

unsichtbaren Händen angeschlagen werden, und man hört und<br />

fühlt sein großartiges Spiel.<br />

Spirio sei die Innovation seit 70 Jahren, unterstreicht man in<br />

der Marketingabteilung von Steinway in Hamburg. Fünf Jahre habe<br />

ein technisches Team in New York an der Entwicklung des Systems<br />

gearbeitet. Die Markteinführung sei sodann in den USA, Singapur<br />

und Großbritannien getestet worden. 2016 kam es in Deutschland<br />

auf den Markt. Vom Erfolg sei man überwältigt gewesen. Jeder vierte<br />

VON RUTH RENÉE REIF<br />

DER KLARE, BRILLANTE KLANG<br />

MIT DEM GLOCKIGEN DISKANT<br />

WURDE ZUM MASSSTAB<br />

verkaufte Flügel sei bereits ein Spirio, und die Pianisten stünden<br />

Schlange, um sich aufnehmen zu lassen. Über 3.500 Titel umfasse<br />

die Bibliothek bereits, darunter auch historische Aufnahmen. Selbst<br />

Vladimir Horowitz könne man sich ins Wohnzimmer holen. Im<br />

Kaufpreis eines Spirio-Flügels inbegriffen ist ein monatliches Update<br />

auf dem mitgelieferten Apple iPad, von dem aus das System mittels<br />

einer App gesteuert wird, über die gesamte Lebensdauer des Instruments<br />

hinweg. Mittlerweile steht die nächste Generation vor der<br />

Markteinführung. Spirio | r soll im Herbst 2020 auf den deutschen<br />

Markt kommen. Damit wird es möglich, auch das eigene Spiel aufzunehmen,<br />

zu bearbeiten und wiederzugeben.<br />

Steinway & Sons war nicht der<br />

erste Klavierhersteller, der einen Flügel<br />

mit Selbstspielmechanik herausbrachte.<br />

Aber es gelang dem Unternehmen,<br />

damit den Markt zu öffnen<br />

und neue Käuferschichten zu gewinnen.<br />

Im Blick hatte es vor allem<br />

China, dessen Oberschicht sich gerne<br />

mit westlichen Prestigeobjekten<br />

umgibt. Zu spüren aber war der Schub auch auf dem heimischen<br />

Markt, und er kam den Mitbewerbern ebenfalls zugute.<br />

Der Markt für Klaviere schrumpft. Davon wissen alle Händler<br />

zu berichten. In den <strong>19</strong>60er-Jahren hätte man mehr Klaviere verkaufen<br />

können, als es gegeben habe. Ende der <strong>19</strong>80er-Jahre erfolgte<br />

der Einbruch. Nicht wenige Hersteller blieben auf der Strecke, manche<br />

hielten sich mit Notverkäufen über Wasser oder wurden selbst<br />

verkauft. Auch Steinway & Sons ging durch mehrere Hände. Aber<br />

es behauptete seine nach dem Zweiten Weltkrieg eroberte Marktführerschaft<br />

im Premiumbereich und seine Dominanz auf den<br />

Podien. Der klare, brillante Klang mit dem glockigen Diskant, der<br />

einen Steinway-Flügel auszeichnet, wurde als zeitgemäß empfunden<br />

und zum Maßstab.<br />

54 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>19</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!