K Ü N S T L E R DER KICK AM KLAVIER Bei einem Konzert in der Düsseldorfer Tonhalle wurden sie kürzlich als Clara und Robert Schumann bezeichnet. Gülru Ensari und Herbert Schuch verbindet die Liebe füreinander – und für ihr Instrument. VON KATHERINA KNEES 24 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>19</strong>
FOTO: MAGNUS CONTZEN <strong>CRESCENDO</strong>: Kann man die persönliche Beziehung als Paar auf der Bühne überhaupt mal abschütteln? Gülru Ensari: Nein, gar nicht, das Gefühl ist eigentlich immer da. Aber es ist auch so, dass man sich auf den anderen auch ganz anders verlassen kann als auf andere Kollegen, mit denen man spielt. Ganz egal, wie viel man davor gestritten hat über diese oder jede Stelle. (lacht) Sind Sie gegenseitig Ihre schärfsten Kritiker? Herbert Schuch: Das ist das Schwierige an dieser direkten Arbeitsweise miteinander. Wir sind uns ja immer in jeder Hinsicht sehr nah und man bekommt alles voneinander mit. Es hilft dann vermutlich, einfach am eigenen Ego zu arbeiten. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, Verschiedenheit auch als etwas Schönes zu akzeptieren. Gülru Ensari: Wenn ich Geigerin wäre und er Pianist, dann hätten wir vielleicht auch musikalische Auseinandersetzungen, aber man würde nicht über einzelne Fingersätze oder so etwas reden. Dadurch, dass wir uns sogar ein Instrument teilen, wenn wir vierhändig spielen, kommt man quasi automatisch immer in die Sphäre des anderen. Und dann hat jeder auch noch eine Vorstellung von dem Instrument, wie es klingen soll. Darum mischt man sich immer viel ein, wie der andere spielen soll. Das würde man mit unterschiedlichen Instrumenten sicherlich nicht so stark machen. Wie proben Sie denn im Alltag miteinander? Gülru Ensari: Meistens lesen wir die Stücke zusammen, dann übt jeder für sich selbst, und dann kommen wir wieder zusammen. Ich empfinde es oft als großen Luxus, dass wir die Stücke gemeinsam kennenlernen. Ansonsten ergibt es sich meist irgendwie, wann wir hier zu Hause proben. Einer hängt noch die Wäsche auf, und dann geht es los. Es gibt keinen festen Plan. Ist Ihr Anspruch an das Ergebnis der gemeinsamen Arbeit besonders hoch? Herbert Schuch: Ja, vielleicht schon, aber wir sind mittlerweile ein bisschen gelassener, weil wir merken, dass wir vor allem in den Konzerten ganz genau herausfinden, was klappt und was nicht. Die Konzerte sind sozusagen immer Zwischenergebnisse von dem gemeinsamen künstlerischen Prozess, den wir durchlaufen und niemals Endergebnisse. Auf der Bühne sieht man immer nur eine Momentaufnahme. Gülru Ensari: Das ist ja auch das Spannende. Dass wir uns entwickeln können und von jedem Konzert etwas lernen und dann weiterarbeiten. Sonst würde es auch gar keinen Spaß machen. Wenn wir nach jedem Konzert fertig wären und ein für immer gültiges Endergebnis hätten. Dann müssten wir in jedem Konzert ein neues Repertoire spielen. Auf der Bühne müssen Sie immer zwei Persönlichkeiten und zwei Tagesformen unter einen Hut bekommen. Müssen Sie sich manchmal gegenseitig etwas kicken? Herbert Schuch: Du kickst gerne. (beide lachen) Ich bin nicht so der Kicker. Ich werde eher gekickt. Aber du versuchst oft beim Spielen Signale zu senden, wenn dir etwas nicht passt. Gülru Ensari: Haha, aber meine Signale kommen ja nicht immer an. (lacht) Aber es stimmt. Ich stupse ihn oft mit meinem Bein an, weil wir ja so dicht nebeneinander sitzen. Aber er weiß dann nicht, was das heißen soll. Ist das zu viel Pedal oder zu wenig Pedal? Bin ich zu laut oder zu leise? Das stresst ihn eigentlich mehr, als es hilft. (lacht) MOZART IST EINFACH GENIAL, WEIL ER DIE IDEE DES DIALOGS PERFEKT AUSGELEBT HAT Haben Sie ein ähnliches Klangideal? Herbert Schuch: Ich glaube, dass wir eigentlich ein unterschiedliches Klangideal haben, aber dass unser tatsächlicher Klang sich ganz gut mischt. Es ist ja auch so, dass man eine bestimmte Idee vom Klang im Kopf hat, die man gar nicht realisieren kann, sondern man ist quasi nur auf dem Weg dorthin, das darzustellen, wie es sein soll. Gülru Ensari: Aber wenn wir spielen, ist das Empfinden meistens gleich. Wie entscheiden Sie denn, wer oben oder unten spielt? Herbert Schuch: Demokratische Prinzipen. (lacht) Gülru Ensari: Meist gucken wir uns das Programm für ein Konzert in der Saison an, das uns wichtig ist, und schauen dann, dass die Verteilung ungefähr halb, halb ist. Man kann auch gar nicht sagen, dass es attraktiver ist, oben zu spielen. Ich bin zum Beispiel total glücklich, dass ich die Bearbeitung vom Schumann Klavierquintett unten spiele. Ich hätte zuerst gedacht, dass ich vermutlich die Streicherstimmen spiele und Herbert den Klavierpart. Aber es ist so toll verteilt. Ich finde meine untere Stimme total spannend. Herbert Schuch: Man lernt auch immer ein bisschen etwas über Instrumente und ihre Rolle im Orchester. Wenn man unten sitzt, ist man ja eher Kontrabass und Cello oder Fagott. Man kann sich dann überlegen, wie man das klanglich gestalten kann. Was macht eine Komposition für Klavier zu vier Händen zu einem guten Stück? Gülru Ensari: Ich finde, wenn der Gesamtklang zur Geltung kommt, aber es trotzdem transparent bleibt. Wenn vier Hände gleich viel zu spielen haben, funktioniert es natürlich nicht. Herbert Schuch: Es gibt nur wenige Komponisten, die das überhaupt gut konnten. Mozart ist einfach genial, weil er die Idee des Dialogs perfekt ausgelebt hat. Bei Schubert ist es tatsächlich so, dass man immer denkt, das müsste doch eigentlich von einem Orchester gespielt werden. Hört man dann aber eine Orchesterversion, merkt man, dass in der Fassung für Klavier vierhändig gar nichts fehlt. Gülru Ensari: Ja, Mozart und Schubert konnten diese musikalischen Dialoge wirklich wahnsinnig toll in Töne fassen. Und das macht dann auch sehr viel Spaß beim Spielen. Was schätzen Sie an Ihrer Frau als Pianistin? Herbert Schuch: Ich versuche immer, mich frühzeitig ganz sorgfältig vorzubereiten, und bei ihr geht das alles immer wahnsinnig schnell. Wenn ich schon denke „Um Gottes Willen“ und auf den Kalender schaue, weil das Konzert bald ist, hat sie da eine ganz andere Lernkurve. Darauf bin ich dann manchmal auch sehr neidisch, weil das bei ihr so schnell geht. Und worum beneiden Sie Ihren Mann? Herbert Schuch: Um meine Fingersätze … (beide lachen) Gülru Ensari: Aber im Ernst: Ich beneide ihn vor allem für sein riesiges Repertoire. Ja, wenn man mehr übt, hat das schon auch Vorteile. Herbert Schuch: Irgendeinen Vorteil muss es ja haben. Gülru Ensari: Er hat ein tolles Repertoire, das auch wirklich gut zu ihm passt. Es hätte ja auch sein können, dass er wahnsinnig viele Stücke gelernt hat, doch dass sie gar nicht zu ihm passen. Aber Beethoven und Schubert stehen ihm einfach gut. Und Bach. Du spielst auch toll Bach! Herbert Schuch: Spiele ich doch kaum. Gülru Ensari: Das ist sehr schade, finde ich. n 25