CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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„VIELFALT IST STÄRKE“<br />
Die Pianistin Danae Dörken hat eine so beflügelnde wie einfache Philosophie:<br />
„Verbinden, was zusammengehört!“ VON STEFAN SELL<br />
Sechs Jahre ist es nun her, sie war gerade mal 21, da stellte<br />
<strong>CRESCENDO</strong> sie als Newcomerin vor. Sie war gerade von<br />
einer großen Konzerttournee aus China zurück und hatte mit ihrem<br />
bahnbrechenden Debüt, Leoš Janáčeks Pianoworks, für Furore<br />
gesorgt. Die Frage, die sich heute stellt: Gibt es eine Steigerung des<br />
Superlativs? Danae Dörken ist in ihrer erdverbundenen Souveränität<br />
zur Spitzenpianistin avanciert. Sie schürt ihr Spielfeuer, dass selbst<br />
der zartglimmendste Funken Glut nicht verlöscht. Virtuosität ist für<br />
sie selbstverständlich, denn ihr geht es um die Musik und das, was<br />
sie bewirkt. „Ich finde, wenn man schon eine Stimme hat und einem<br />
eine Bühne gegeben wird, sollte man diese auch nutzen und seine<br />
Message rüberbringen. Alles andere wäre für mich wie nicht wählen<br />
zu gehen – da hat man seine Stimme einfach vergeudet.“<br />
Dörkens Mutter ist Griechin, ihr Vater Deutscher. Dass sie zwei<br />
so sehr unterschiedliche Kulturen in sich vereint, empfindet sie „als<br />
Privileg: Vielfalt ist etwas, was uns näher zusammenbringt und<br />
enorme Stärke gibt“. Klassische Musik ist für Dörken keine elitäre<br />
Klangkapsel, die man wie eine Pille einfach schluckt, um der Sinnlosigkeit<br />
des Alltags zu entfliehen. Die Emotionalität dieser Musik<br />
soll die Herzen aller berühren können. Dafür spielt sie.<br />
Als Mutter zweier Kinder wagt sie den Spagat zwischen Karriere<br />
und Familie und weiß, dass auch das zusammengehört. Dabei orientiert<br />
sie sich – zu Recht – an einer Größe wie Clara Schumann. „Ich<br />
sehe zu, wie meine beiden Jungs die Welt entdecken. Alles ist so<br />
abenteuerlich, auch dann, wenn etwas hundert Mal passiert. Lässt<br />
man hundert Mal den Stift runterfallen, ist das für sie jedesmal etwas<br />
ganz Tolles und Interessantes. Davon kann ich mir viel abschauen<br />
und in die Musik einbringen. Alles ist frisch und immer eine große<br />
Freude, ein großes Spiel.“ Ja, und genau so ist ihre Musik.<br />
Ihr neues Soloalbum heißt „East and West“ und verbindet westliche<br />
wie östliche Strömungen. Dörken näht zusammen, was zusammengehört.<br />
„Der Kerngedanke dieser CD – und das sehe ich nicht<br />
nur musikalisch – enthält eine Botschaft, die in der heutigen Zeit<br />
wichtig ist: Wenn man die Einzigartigkeit von Lebensweise und<br />
Lebensausdruck bewahrt und sich öffnet, kann man zu einer Verbindung<br />
zwischen den Menschen und Völkern finden.“<br />
Die Einspielung beginnt mit den 5 Preludes von Manolis Kalomiris<br />
(1883–<strong>19</strong>62). Kalomiris wurde im damaligen Smyrna geboren<br />
und gilt als Vater der modernen griechischen Musik, fühlte sich zu<br />
Chopin und Liszt ebenso hingezogen wie zum griechischen Volkslied.<br />
Hört man dann Dörkens Interpretation des dritten rumänischen<br />
Volkstanzes von Bartók, glaubt man, plötzlich Rembetiko zu hören,<br />
genauer das Lied Kegome (Καίγομαι/„ich verbrenne“) von Stavros<br />
Xarhakos, das den brennenden Untergang der Stadt Smyrna, dem<br />
heutigen Izmir, beklagt. Alles ist mit allem verbunden. „Bartók finde<br />
ich ein super Beispiel dafür. Gerade die östlichen Melodien sind auf<br />
irgendeine Weise alle miteinander verbunden. Ist es auch keine griechische,<br />
sondern eine rumänisch-ungarische Melodie, fühle ich mich<br />
dem Charakter, den Farben und allem, was da mit einfließt, sehr<br />
nahe. Und das ist natürlich in der griechischen Rembetiko-Musik<br />
verankert. Die leicht orientalischen Melodien, die Volkslieder, sie<br />
sind prägend für das Land und die Kultur, gleichzeitig zeigen sie aber<br />
auch die Verbindungen und Vernetzungen untereinander und dass<br />
alles ein und denselben Ursprung hat.“<br />
Das Verbindende in der Musikgeschichte gleicht einem Staffellauf,<br />
wobei der Stab – ein musikalischer Einfall, eine Kompositionsidee<br />
–, von Musiker zu Musiker weitergereicht, immer etwas Neues,<br />
Einzigartiges erscheinen lässt. So sind auf „East and West“ Schubert,<br />
Chopin, Grieg, de Falla, Bartók, Kalomiris und Poulenc als Stafette<br />
zu hören, verbunden durch ihre Nähe zur Volksmusik: „Das finde<br />
ich ein zutreffendes Bild. Was man in der Hand hält, bleibt – das ist die<br />
Essenz. Alles andere ändert sich, auch im Verhältnis von Komponist<br />
und Interpret. Ich als Interpretin verändere die Idee des Komponisten.<br />
Musik ist letztlich ein Ausdruck von Philosophie.“ n<br />
Chopin, Grieg, Kalomiris u. a.: „East and West“, Danae Dörken (Ars)<br />
Track 11 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Polonaise op. 26 Nr. 1.<br />
Allegro appassionato von Frédéric Chopin<br />
FOTO: ERVIS ZIKA<br />
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