CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.
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K Ü N S T L E R<br />
Spannung gar nicht mehr aushalte,<br />
stelle ich oft einfach die Musik aus.<br />
Und dann? Ist alles ganz easy. (lacht)<br />
Sie verbindet mittlerweile eine<br />
langjährige Freundschaft mit<br />
Williams. Wie haben Sie sich<br />
kennengelernt?<br />
Das ist witzigerweise auf André<br />
Previn zurückzuführen, denn die<br />
beiden waren fast gleich alt und<br />
haben sich mit 18 oder <strong>19</strong> kennengelernt,<br />
als sie begonnen haben, in<br />
Hollywood zu arbeiten. So sind die<br />
beiden engste und beste Freunde<br />
geworden. Ich selbst habe John in<br />
Tanglewood kennengelernt. Nach<br />
einem Konzert bin ich ihm zum<br />
ersten Mal begegnet, da war auch<br />
mein Sohn Richard dabei, der ein<br />
extremer John-Williams-Fan ist und<br />
einfach alles über seine Musik weiß.<br />
Damals hat sich dann ein Gespräch<br />
entsponnen und bald darauf hat<br />
Williams das großartige Stück Markings für mich komponiert.<br />
Später kam dann die Idee auf, neue Arrangements seiner größten<br />
Filmwerke für mich zu schreiben. Dann hatte ich eine Liste mit<br />
Stücken, dann er … Und bis heute wächst und wächst das. (lacht)<br />
Ich glaube nicht, dass dies das letzte Wort sein wird in dieser<br />
Zusammenarbeit.<br />
Wie haben Sie die gemeinsame Arbeit bisher erlebt?<br />
Es ist schon auffallend, mit welch unglaublichem Wissen Williams<br />
das Instrumentarium einsetzt. Man fühlt sich als Interpret<br />
total verstanden. Seine Musik ist technisch teilweise extrem<br />
anspruchsvoll, aber immer absolut machbar. Dabei geht er bis ins<br />
akribischste Detail, zum Beispiel was die Bogenstriche anbelangt.<br />
Ich habe wirklich Bauklötze gestaunt, was er alles weiß und wie<br />
penibel er selbst um die Länge der Abschlussnoten gerungen hat.<br />
Auch jetzt ist es noch so, dass er die Arrangements umschreibt. Es<br />
arbeitet pausenlos in ihm. Am Anfang hat mich das etwas nervös<br />
gemacht, denn gerade, wenn ich die Materie verinnerlicht hatte,<br />
hieß es: Ach, übrigens, ich hab jetzt da noch eine Idee. (lacht)<br />
Diesen work in progress zu erleben und zu merken, wie sehr er<br />
um Details ringt, finde ich zutiefst inspirierend und aufregend<br />
und eigentlich nie dagewesen in meinem Leben.<br />
Ist John Williams ein Besessener?<br />
Oh ja, ohne Frage. Das macht das Projekt für mich auch zu etwas<br />
ganz Außergewöhnlichem, weil es mit so viel Leidenschaft und<br />
Rastlosigkeit verbunden ist. Das sind zwei Komponenten in<br />
meinem Leben, die mich immer fasziniert haben und die auch<br />
mich selbst ausmachen. In der Musik gibt es ja dieses Vorurteil<br />
gegenüber der Filmmusik im Gegensatz zur ernsten Musik. Diese<br />
sogenannte ernste Musik ist manchmal aber auch totaler Bullshit.<br />
Ich glaube alles, was irgendwo einem menschlichen ästhetischen<br />
Empfinden folgt, fällt unter die Guillotine der Gefälligkeit.<br />
Letztlich gibt es gute Musik und es gibt Musik, die ist halt nicht so<br />
gelungen. John hat bei der Arbeit immer gesagt: „Let’s not forget<br />
the t-word: taste.“ Ich würde das übersetzen mit Reinheit des<br />
musikalischen Ausdrucks, und es war großartig zu sehen, mit<br />
welcher Akribie und mit welch ungeheurem Respekt für die<br />
WIE SEHR JOHN WILLIAMS UM<br />
DETAILS RINGT, FINDE ICH ZUTIEFST<br />
INSPIRIEREND UND AUFREGEND<br />
FOTO: STEFAN HÖDERATH / DG<br />
Interpreten diese Aufnahme ablief.<br />
Das ist nicht so das business as usual,<br />
wie es leider heutzutage oft gehandhabt<br />
wird aus finanziellen Gründen.<br />
Da war diese Aufnahme echt ein<br />
Lichtblick. Zurück in die goldenen<br />
Jahre mit Karajan. Da hat man die<br />
Sachen aufgenommen, bis es saß, und<br />
einen anderen Parameter gab es nicht.<br />
Ist Karajan für Sie denn heute<br />
noch präsent?<br />
Absolut. Ich bin bis heute fasziniert<br />
von der Leidenschaft, mit der er<br />
musizierte, und der Ruhelosigkeit<br />
und Rastlosigkeit, mit der er die Ziele<br />
musikalisch immer wieder neu<br />
definiert hat. Natürlich würde man<br />
Mozart heute nicht mehr so interpretieren,<br />
wie er das gemacht hat. Aber<br />
die Summe seiner musikalischen<br />
Visionen und diese Fähigkeit, uns<br />
das Zuhören zu lehren und diese<br />
großen musikalischen Gedankenbögen<br />
zu verfolgen, statt eine schöne Note an die andere zu<br />
reihen: Das war bei ihm einfach singulär.<br />
Am 14. <strong>September</strong> treten Sie mit den Stücken von Williams<br />
erstmals bei einem Open-Air-Konzert am Münchner Königsplatz<br />
auf. Bislang hatten Sie das vermieden …<br />
Ja, denn ich finde, das Repertoire muss sich eignen für diskrete<br />
Unterstützung durch die Technik. Bei John Williams macht das<br />
für mich absolut Sinn. Seine Musik wurde nicht für den Konzertsaal<br />
komponiert, sondern für eine Surround-Sound-Anlage und<br />
ist so dicht in der Orchestration, dass ich nicht weiß, ob sich<br />
dieses Breitwandgefühl in einem Konzertsaal überhaupt einstellen<br />
und die Geige als Soloinstrument überleben würde. Sehr<br />
wahrscheinlich nicht, dazu ist sie einfach zu fragil. Bei Mozart<br />
weiß ich nicht, ob das funktionieren würde. Aber: learning by<br />
doing. (lacht)<br />
Sie haben einmal E. T. A. Hoffmann zitiert und seinen Satz,<br />
„Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an“. Erleben Sie diese<br />
Kraft und Wirkung der Musik bei Ihren Auftritten?<br />
Ja, durchaus. Man kann mit Musik natürlich keine Wunder<br />
bewirken, aber man kann mit der Kraft eines Konzertes etwas<br />
verändern. Kürzlich habe ich in der Elbphilharmonie für den<br />
Jemen gespielt, für „Save the children“. Bevor wir am Ende des<br />
Konzerts ein musikalisches Gebet gespielt haben für die 85.000<br />
unter fünfjährigen Kinder, die gestorben sind in den letzten vier<br />
Jahren, entweder dahingerafft von der Seuche oder von den<br />
Bomben zerfetzt oder einfach nur verhungert, habe ich dem<br />
Publikum gesagt: „Stellen sie sich vor, das ist 40-mal die vollbesetzte<br />
Elphi! Wie wäre es, wenn jeder von uns jetzt zehn Euro<br />
spendet?“ Und dann bekam ich ein paar Tage später eine E-Mail<br />
von einem Ehepaar, das mir schrieb, sie hätten jetzt beschlossen,<br />
dass sie 21.000 Euro überweisen. Da habe ich<br />
fast geweint. Denn der Mensch ist im Grunde<br />
genommen ja gut. Man muss ihn nur dran<br />
erinnern.<br />
John Williams: „Across the Stars“, Anne-Sophie Mutter (DG)<br />
n<br />
20 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>19</strong>