CRESCENDO 5/19 September-Oktober 2019

CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen. CRESCENDO – das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Anne-Sophie Mutter, Christoph Eschenbach und Marlis Petersen.

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K Ü N S T L E R Auf einen Kaffee mit … JÜRGEN TARRACH VON SINA KLEINEDLER FOTO: DOMINIK BECKMANN 12 w w w . c r e s c e n d o . d e — SeptemberOktober 2019

Als Rechtsanwalt Eduardo Silva ermittelt Jürgen Tarrach in Lissabon für seine Mandanten. Wie die Portugiesen selbst konnte sich der Schauspieler dabei dem Zauber den traurig-sehnsuchtsvollen Melodien des Fado nicht entziehen. Jetzt hat er sogar eine deutschsprachige Hommage an diese Musik aufgenommen: das Album „Zum Glück traurig“. CRESCENDO: Herr Tarrach, jetzt haben wir gerade leider keine Musik hier. Welches Stück würden Sie gerne zum Kaffeetrinken hören? Jürgen Tarrach: La Javanaise, eigentlich von Serge Gainsbourg, aber es gibt eine Version der Chansonnière Madeleine Peyroux, die noch sehnsuchtsvoller und schöner ist. Die würde ich gern hören. Welche Rolle spielt Musik in Ihrem Leben? Sie ist eine kleine Flucht aus dem Alltag. Musizieren macht mir unglaublich viel Spaß. Und da ich leider kein Instrument spiele, singe ich. Hab ich mal schlechte Laune und geh zum Gesangsunterricht gehe, komme ich immer fröhlich wieder raus. Musikmachen bewegt den ganzen Körper und wahrscheinlich auch den Geist. Eine kleine Katharsis, wenn man so will. Woher kam diese Lust zum Singen? Und wann? Auf der Schauspielschule ist Singen ja nichts Ungewöhnliches. Und damals am Nürnberger Stadttheater inszenierte ein Gastregisseur Gogols Revisor. Er war auch Musiker, und ich freundete mich schnell mit ihm an. Eines Tages – er hatte während der Probenzeit Geburtstag – kochte er groß auf für uns: Ente mit Rotkohl, Klößen und viel Rotwein. Irgendwann hat er die Klampfe ausgepackt und Musik gemacht. Ich habe gesungen. Dabei haben wir das „Lied auf Zuruf“ erfunden, damals war es zum Beispiel Das Lied der Kaffeetassen … (lacht) Wie passend! Ja! Oder Das Lied vom Wasser – immer in verschiedenen Stilrichtungen. Mal als Udo Jürgens, mal als Brecht … Ein beschwipster Jux, aber mir hat das Singen wahnsinnig Spaß gemacht. Schauspiel und Gesang, das hat ja sowieso einige Parallelen … Auf jeden Fall! Musikalität ist absolut notwendig für einen Schauspieler. Dialoge haben eine eigene „Musik“. Jedes Stück, jeder Film hat einen Rhythmus. Timing ist ganz wichtig. Nutzen Sie Musik auch bewusst in der Rollenvorbereitung? Nein, aber wenn ich Text lernen muss, mache ich manchmal Musik an. Meine Frau ist immer ganz empört: „Da kannst du dich doch gar nicht konzentrieren!“ Aber ich mag das, denn es ist ja zunächst ein fremder Text. Es braucht eine Weile, bis der einem zu eigen wird. Anfangs komme ich mir oft doof vor, aber um Text zu lernen, muss man ihn laut sprechen. Da ist es manchmal ganz gut, wenn man sich selbst nicht so genau hört. Also höre ich Musik. Welche Art von Musik? Lange Zeit war Tom Waits mein Favorit. Und eigentlich wäre es ein schöner Gedanke, für verschiedene Rollen jeweils eine eigene Musik zu haben. Es gibt auch Kollegen, die kaufen sich ein Parfüm, von dem sie denken, es könnte zu ihrer Rolle passen. Alles schöne Gedanken. Aber ich gehe da pragmatischer ran. Jetzt drehen Sie den Spieß um: Der Anwalt aus dem Lissabon- Krimi singt typisch portugiesische Musik: Fado. Ja, das war eigentlich eine spontane Eingebung. Ingvo Clauder, unser Komponist, Arrangeur und Produzent, und ich haben zuletzt einen französischen Chansonabend gemacht. Was vor JE ÄLTER ICH WERDE, UMSO MEHR MERKE ICH: ALLES IST ENDLICH allem deshalb lustig war, weil Ingvo gar kein Französisch kann. Das lief dann in den Proben so: „Ähm, diese eine Stelle, wo du da singst ‚cra …eh creu …‘“ (lacht) Wir sind damit sogar beim Bundespräsidenten aufgetreten. Das französische Chanson ist allerdings in Deutschland ein bisschen aus der Mode geraten, deshalb war es ziemlich schwer, Auftritte zu bekommen. Also wollte ich auf Deutsch singen. Dafür ist portugiesischer Fado ja vielleicht nicht die erste Eingebung … Fado wollte ich machen, weil ich Melancholie ein tolles Thema für Musik finde. Von den Themen und der Sehnsucht her sind Fado und Chanson sogar eng verwandt. Unseren Textdichter Antek Krönung habe ich dann zufällig in Köln auf der lit.Cologne kennengelernt. Ich habe ihm auf dem Handy etwas aus unserem Chanson- Programm vorgespielt und ihm gesagt: „Eigentlich würde ich gerne mal auf Deutsch singen.“ Ich finde singbare deutsche Texte zu schreiben generell nicht einfach – das könnte ich gar nicht. Als wir bei einem Wein zusammensaßen, hab ich ihn einfach gefragt, was er denn eigentlich von deutschem Fado halte – er wusste sofort, was ich meine. „Okay“, sagte er, „nächste Woche bin ich in Berlin, da bringe ich dir mal zwei, drei Texte mit.“ Die Lieder sind alle speziell für Sie geschrieben und von Ingvo Clauder komponiert worden, quasi maßgeschneidert. Wie viel Anteil hatten Sie selbst an den Stücken? Ich bin wirklich nur Interpret. Als Antek mir seine Texte geschickt hat, war es, als hätte ich sie selbst geschrieben – dabei kann ich es ja gar nicht! Da sind Situationen, Themen und Gefühlslagen drin, die genau zu mir passen. Ihr Album heißt – ein bisschen widersprüchlich – „Zum Glück traurig“. Was ist denn das Schöne am Traurigsein? Ein Beispiel: Wenn man sich von den Kindern alte Fotos anguckt, als sie noch klein waren, ist das einerseits eine schöne Sache. Andererseits rührt es sehr an. Man weiß: Diese Zeit ist vorbei. Und sie war wahnsinnig schön. Diesen bittersüßen Zustand wollten wir ausdrücken: Mit einem Lächeln auf den Lippen könnte man heulen. Sich da reinzubegeben ist Tradition in Portugal und Frankreich. Weil man danach oft befreiter ist. Das ist sozusagen der „therapeutische“ Sinn der Musik. Fado widmet sich ja der „Saudade“, also dem Weltschmerz. Kennen Sie das auch? „Weltschmerz“ ist ja recht pauschal, ich würde sagen, es ist die Vergänglichkeit. Je älter ich werde, umso mehr merke ich, dass alles endlich ist. Das kann schon schmerzlich sein. Was hilft gegen dagegen? Singen, malen – das sind Dinge, die einen eine Zeit lang von der Welt entheben. Es ist ungemein schön und tröstlich, sich in so etwas verlieren zu können. „Zum Glück traurig“, Jürgen Tarrach (OKeh) ■ 13

K Ü N S T L E R<br />

Auf einen Kaffee mit …<br />

JÜRGEN TARRACH<br />

VON SINA KLEINEDLER<br />

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12 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>September</strong> – <strong>Oktober</strong> 20<strong>19</strong>

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