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CRESCENDO 6/19 Oktober-November 2019

CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Lucas Debargue, Gabriela Montero, Baiba Skride und Martina Gedeck.

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finden. Die Hörer wissen ja meist gar nicht, bei welchem Label ein<br />

Künstler ist. Die suchten etwa nach „ABBA“, wurden zum Beispiel<br />

bei Warner nicht fündig und gingen darum nicht mehr auf deren<br />

Seite. Bei iTunes aber konnte man auf einmal nahezu jeden Song<br />

oder jedes Stück finden. Darum wurde es so ein Erfolg. Letztlich ist<br />

das ja auch der große Vorteil unserer Naxos Music Library: Mittlerweile<br />

haben wir auch fast alles im Bereich der klassischen Musik.<br />

Wie geht es mit der klassischen CD weiter?<br />

Die CD wird es auch in zehn Jahren noch geben, weil viele Hörer,<br />

Künstler, Orchester und auch viele Kritiker das physische<br />

Produkt haben wollen. Die Kritiker, vor allem die älteren,<br />

nehmen immer noch keinen Download an, noch nicht einmal in<br />

„High Resolution“. Sie wollen immer<br />

noch eine CD in der Hand haben. Auch<br />

Konzertverkäufe, Geschenke – all das<br />

wird weiterlaufen. Aber ich schätze,<br />

dass wir in drei Jahren nur noch zehn<br />

Prozent aller Alben im Presswerk<br />

herstellen. Alles andere wird dann<br />

„manufacturing on demand“, sozusagen<br />

ein digitales Lager mit 50.000,<br />

100.000 Titeln auf einem Server.<br />

Kommt dann ein Auftrag, drückt man auf einen Knopf, und die<br />

CD wird in Einzelanfertigung hergestellt, inklusive Print, Cover,<br />

Booklet, Inlay Card. Wir haben das jetzt in den USA und werden<br />

uns auch in Deutschland und Japan die Maschinen anschaffen.<br />

Das rechnet sich, weil die kostenintensive Pressung und Bevorratung<br />

von Millionen CDs und der Versand vom Zentrallager in<br />

München in die ganze Welt entfällt.<br />

Machen Streaming-Angebote die CD kaputt?<br />

Ich habe mit vielen Label-Chefs gesprochen, die alle sagen: „Ich<br />

investiere so viel in diese Aufnahme, und dann steht sie im<br />

Internet – das zerstört meine physischen Verkäufe.“ Darum hatten<br />

wir ursprünglich eine „Quarantäne“: Brachten wir eine CD neu<br />

heraus, haben wir sie erst drei Monate später im Internet zur<br />

Verfügung gestellt. Wir haben das alles ja getestet. Im Ergebnis<br />

machte es bei den Verkäufen kaum einen Unterschied. Anscheinend<br />

sind das unterschiedliche Kunden: Der CD-Käufer ist ein<br />

anderer Kunde als der Streamer, der sich Playlists anhört. Die<br />

Neugierigen, die nur mal eben reinhören wollen, die verliert man,<br />

die können ihre Neugierde jetzt auf Spotify oder Apple Music<br />

befriedigen. Aber die anderen kaufen trotzdem, weil ihnen der<br />

Besitz, die Soundqualität und das haptische Erlebnis einer CD<br />

wichtig sind. Im Bereich der klassischen Musik spielt das<br />

Streaming mit ca. 20 Prozent in Deutschland aktuell noch eine<br />

untergeordnete Rolle, aber im Pop-Bereich sind die Einnahmen<br />

aus Streaming inzwischen höher als die aus CD-Verkäufen.<br />

Streaming ist für den Kunden letztlich ja nur ein anderer<br />

Zugangsweg zur Musik. Komfortabel und bequem, sogar auf<br />

dem Handy, überall und jederzeit mit einem Fingertipp<br />

verfügbar – wenn die Internetverbindung schnell genug ist. Bei<br />

manchen Anbietern inzwischen auch in hoher Wiedergabequalität.<br />

Welche Rolle spielen die verschiedenen Streaming-Portale?<br />

Für die unabhängigen Labels ist die Music Library immer noch<br />

die größte Einnahmequelle. Dann folgen Spotify, Apple Music<br />

mit iTunes und Amazon Prime. Bei den Internet-Radios sind<br />

Pandora und iHeartRadio unsere größten Kunden. Und von den<br />

kleineren Anbietern läuft Qobuz noch ganz gut.<br />

Was bekommen Label und Künstler von den Streaming-Portalen?<br />

Statt ca. 10 Euro pro verkaufter CD bekommen wir von Spotify<br />

etwa 0,4 Cent und bei Apple Music 0,7 Cent pro Track. Die Naxos<br />

Music Library zahlt besser, etwa 6 Cent pro Track. Das kommt<br />

daher, dass die anderen Anbieter sowohl Pop als auch Klassik<br />

anbieten, während bei der Naxos Music Library (NML) die Klassik<br />

„DER CD-KÄUFER IST<br />

EIN ANDERER KUNDE ALS<br />

DER STREAMER, DER SICH<br />

PLAYLISTS ANHÖRT“<br />

unter sich bleibt. Da Klassikhörer gezielter hören und die Musik<br />

meistens nicht den ganzen Tag nebenbei laufen lassen, bleibt mehr<br />

Erlös pro Track.<br />

Das heißt also, jemand müsste ein Album, je nachdem wie man<br />

rechnet, etwa 500-mal von vorn bis hinten durchhören, bis das<br />

einem einzigen CD-Verkauf entspricht. Bei aller Liebe, aber das<br />

ist doch eher die Ausnahme ... Wie soll man da als Künstler und<br />

Plattenfirma von den Streaming-Einnahmen überhaupt noch<br />

eine Aufnahme finanzieren?<br />

Weil viel mehr Geld reinkommt aus Ländern, von denen wir nie<br />

Geld gesehen haben, weil es dort gar keinen Plattenhandel in dem<br />

Stil gab, wie wir das in Deutschland für normal halten: aus<br />

Brasilien, aus Argentinien, aus Chile,<br />

vom Mittleren Osten, aus Südostasien.<br />

Wir verdienen damit so viel mehr, dass<br />

wir neulich sogar darüber gesprochen<br />

haben, dass wir auch mit den Berliner<br />

Philharmonikern aufnehmen sollten,<br />

denn jetzt können wir’s uns endlich<br />

leisten. Glauben Sie mir: Davon träume<br />

ich seit Langem! (lacht) Aber man<br />

braucht halt auch einen Riesenkatalog,<br />

dass man wirklich alle Hörerwünsche befriedigen kann, also<br />

Playlists, die auch immer etwas Passendes anbieten. Das ist harte<br />

Arbeit. Wir haben Leute, die zum Beispiel Spotify Playlists und<br />

Musik vorschlagen. Wir haben sogar einen, der vorher bei Spotify<br />

angestellt war, angeworben. Der ist jetzt bei unserer schwedischen<br />

Niederlassung und hat das ganze Playlist-Fachliche bei denen<br />

angeleiert. Aber letztlich sind wir heute viel, viel profitabler als zu<br />

Hochzeiten von Naxos, als wir von einem Album 500.000 Stück<br />

verkaufen konnten.<br />

Und was ist mit den traditionellen Klassik-Tonträgermärkten?<br />

Also die USA sind immer noch die Größten, gefolgt von England,<br />

Japan, Frankreich, Deutschland, Skandinavien, glaube ich. Das<br />

Haupteinkommen generiert sich immer noch aus den großen<br />

Märkten. Aber es kommen jetzt viele kleinere Beträge dazu.<br />

Brasilien liegt jetzt bei drei Prozent. Da hat man früher null<br />

CDs verkauft.<br />

Okay, von null auf drei Prozent, das ist eine ordentliche Menge.<br />

Und ganz ordentliches Geld. Das kommt von den Playlists. Wenn<br />

man einen Track in eine Playlist von Spotify, Apple oder Amazon<br />

heben kann, lohnt sich das.<br />

Es kommt also nicht auf die Verfügbarkeit in Streaming-<br />

Diensten an, sondern es zählt, was in eine Playlist kommt?<br />

Genau. Wir haben auch eigene Playlists, teilweise mit 500.000 oder<br />

einer Million Follower. Naxos hat eine Playlist, die heißt „Piano de<br />

Fundo“, die verdient ein enormes Geld. Das ist Hintergrund-<br />

Klaviermusik.<br />

Das ist kaufmännisch sicherlich erfreulich, mit Klassik in seiner<br />

Vielfalt und Qualität hat das aber nicht viel zu tun. Neue<br />

Aufnahmen kann man sich da eigentlich sparen und statt dessen<br />

um Playlist-Plätze ringen?<br />

Nein, also ich mache das nicht so. Wir haben ja immer noch 200<br />

neue Aufnahmen im Jahr allein bei Naxos. Zusammen sind es mit<br />

unseren anderen Labels vielleicht 350 Neuvertonungen im Jahr.<br />

Aber warum eigentlich? Wenn sich das schlecht verkauft oder es<br />

jeder schon in einer anderen Einspielung hat?<br />

Aber deswegen bin ich ja im Geschäft: neues Repertoire zu<br />

entdecken, neue Künstler zu entdecken ... Sonst macht das ja<br />

keinen Spaß mehr. Mit dem immer gleichen Standardrepertoire<br />

wird’s tatsächlich schwierig, auch für Top-Künstler.<br />

Playlists verändern die Kunst. Wir hören kein Werk mehr, wir<br />

hören nur noch Tracks?<br />

Natürlich ist da immer auch ein Link zum jeweiligen Album,<br />

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