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CRESCENDO 6/19 Oktober-November 2019

CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Lucas Debargue, Gabriela Montero, Baiba Skride und Martina Gedeck.

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Interviews unter anderem mit Lucas Debargue, Gabriela Montero, Baiba Skride und Martina Gedeck.

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O P U S K L A S S I K<br />

WÜRDIGUNG DES LEBENSWERKES<br />

Meister<br />

der Atmosphäre<br />

VON AXEL BRÜGGEMANN<br />

Mariss Jansons ist kein Mensch, der gern<br />

pathetisch wird – nicht einmal dann,<br />

wenn er auf sein 76-jähriges Leben zurückblickt.<br />

Er glaubt nicht daran, dass ein Mensch sich im Laufe<br />

seines Lebens maßgeblich wandelt. „Natürlich hat die<br />

Zeit einen Einfluss auf unsere Empfindsamkeit und<br />

unsere Art, die Dinge zu sehen“, sagt er, „aber ich<br />

bin davon überzeugt, dass ein Mensch seine Meinungen<br />

innerhalb eines Lebens nicht grundlegend<br />

ändert: Er entwickelt sich, er lernt,<br />

er mildert einiges ab, verschärft anderes<br />

– aber die äußeren Einflüsse sind<br />

nicht so groß, dass sie die innere<br />

Welt grundlegend verändern.“<br />

Tatsächlich ist Mariss<br />

Jansons sich ein Leben<br />

lang treu geblieben:<br />

Als Musiker ist er<br />

in erster Linie<br />

Mensch, und<br />

auch seine<br />

S u c h e<br />

in nerhalb der Musik scheint stets dem gleichen Ziel zu<br />

dienen: vorzudringen zum Kern einer Komposition,<br />

die Zeitlosigkeit innerhalb der Kunst aufzustöbern,<br />

oder wie er es sagt, „hinabzutauchen, immer tiefer in<br />

eine Welt, in der unsere reale Welt immer kleiner wird<br />

– und das, was uns innerlich ausmacht, größer“.<br />

In keiner seiner Interpretationen, egal ob in seinen<br />

Mahler-Sinfonien, bei Beethoven oder bei Schostakowitsch,<br />

egal mit welchem Orchester, den Osloer Philharmonikern,<br />

mit Pittsburgh oder seinem Symphonieorchester<br />

des Bayerischen Rundfunks – Jansons sucht<br />

nie nach musikalischen Moden, sondern stets nach<br />

dem wahrhaftigen Sinn, nach dem, was er „die Seele“<br />

nennt. „Diese musikalische Seele funktioniert wie eine<br />

Blume oder ein Baum“, erklärt er. „Wenn die Pflanzen<br />

jung sind, sind sie betörend schön, strotzen vor Kraft,<br />

sind grün und wild – aber spannend werden sie besonders<br />

im Herbst oder im Alter, wenn sie knorriger werden,<br />

wenn sie eine Geschichte zu erzählen haben.“ Und<br />

diese Geschichte erzählt Mariss Jansons jedes Mal neu,<br />

wenn er musiziert. Wenn er Klang aus Weisheit und<br />

Erfahrung produziert.<br />

Das Musizieren ist für ihn in erster Linie der „Instinkt,<br />

eine Partitur zu ordnen und im richtigen<br />

Moment richtig zu reagieren. Ein Zeichen zu<br />

geben, eine Energie freizusetzen, die das<br />

Orchester versteht. Dieser Instinkt ist vielleicht<br />

im Alter besser ausgeprägt“, gibt<br />

der Dirigent zu, „und er ist nötig, um<br />

am Ende eine Atmosphäre aus<br />

Musik zu schaffen.“<br />

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