CRESCENDO 6/19 Oktober-November 2019

CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Lucas Debargue, Gabriela Montero, Baiba Skride und Martina Gedeck. CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Lucas Debargue, Gabriela Montero, Baiba Skride und Martina Gedeck.

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K Ü N S T L E R BEGNADETER BARDE Der Bariton Konstantin Krimmel kann allein mit seiner Stimme Geschichten erzählen – und macht damit das Lied zur Oper. VON STEFAN SELL Da kommt eine wirklich aufregende, frische, neue Stimme auf uns zu. Sie weiß uns wundervolle Geschichten zu erzählen, völlig ungetrübt, klar und verständlich, im Timbre aber ein emotionales Spektrum von betrübt, besorgt, hässlich hassend bis ängstigend schreiend, wie auch heiter, froh, liebend, leicht und übermütig, ja versöhnend und betörend. Der deutsch-rumänische Bariton Konstantin Krimmel singt mit großer Hingabe zum Detail, folgt den Nuancen zwischen Wort und Ton bis in die kleinste Nische und ist dabei so reich an leidenschaftlicher Ausdruckskraft, dass der 26-Jährige 2019 zum Gewinner und Publikumspreisträger des Deutschen Musikwettbewerbs avancierte, darüber hinaus beim Internationalen Gesangswettbewerb „Das Lied“ den zweiten Preis bekam und wieder Publikumspreisträger wurde. Das jetzt erschienene Debütalbum „Saga“ eröffnet mit Tom der Reimer von Carl Loewe. Als hätte er alle Zeit der Welt, singt Krimmel wundervoll unangestrengt und schwebt heiter durch die Zeilen, in der Stimmführung auch bei leisen Tönen stets kraftvoll und erdverbunden. Silbe für Silbe, Wort für Wort zieht er die Zuhörer in seinen Bann. Was war die Intention? „Unser Anliegen war es, unterschiedliche Komponisten zu mischen, eine Bandbreite an Farben in den verschiedenen Vertonungen und Erzählungen zu zeigen, durch die ein roter Faden fließt. Wir haben viel gesammelt und geschaut, was könnte dazu passen.“ Balladen sind es, die hier den roten Faden spinnen. Das wird im Booklet sehr schön beschrieben, worin auch die renommierte Liedexpertin Susan Youens ihr Wissen eingebracht hat. „Wir wollten die ganze Geschichte – die Saga – mit etwas Schönem beginnen, uns mit Tom der Reimer langsam vorarbeiten, um uns dann immer tiefer nach unten zu graben.“ Ein treffendes Bild, galt doch das Bergwerk, das Graben in die Welt unter Tage zur Zeit der Romantik als Vorstoß ins Unbewusste. Der Spannungsbogen ist gelungen. So heiter beschwingt der Reigen beginnt, er mündet mit Odins Meeresritt in Tod und Verderben. Krimmel offenbart eine große Vielfalt. In Schumanns Belsazar werden exaltierter Größenwahn und dessen fatale Folgen zum Greifen nah. „Wenn sich hier Belsazar völlig irre wie auch selbstbewusst gegen Gott stellt, dann darf das auch dementsprechend kräftig klingen, da muss man einfach zupacken und sich nicht hinter großer Liedtechnik verstecken. Für mich heißt das, einfach ein bisschen weitergehen, wenn es hässlich ist, dann darf man auch hässlich werden und hässlich singen. Das hilft der Geschichte, gibt ihr eine gute Basis.“ Genau das ist in Schuberts Zwerg zu hören, wenn Krimmel ganz in dessen Haut geschlüpft selbst zum verstoßenen Wesen wird, weil seine Geliebte, die Königin, ihn verlassen hat. In Jensens Waldgespräch wächst und wächst seine Stimme und kulminiert im Schrei. In Loewes Erlkönig ist er auf allen vier Ebenen präsent. Man spürt die intensive Auseinandersetzung mit der Rolle des Beobachters, den angstvollen Hilferufen des Kindes, den nichts ahnenden Beruhigungen des Vaters bis hin zum trügerisch verklärten wie verführerischen Ton des Erlkönigs. Krimmel ist jedem Charakter innig verwoben, gibt jeder Figur ihren eigenen Ton. Dabei klingt seine Stimme unglaublich gereift, was erstaunt, wenn man weiß, wie jung er noch ist. Ziehen ihn seine schauspielerischen Fähigkeiten letztendlich zur Oper? „Für mich haben alle drei Sparten, Lied, Konzert und Oper, einen sehr hohen Stellenwert. Dennoch bedeutet mir persönlich das Lied am meisten, denn Belsazar und Erlkönig sind eigentlich kleine Opern für sich, eine Oper erzählt in fünf bis sechs Minuten, da ist alles drin, was eine Oper hat. Da ist die Liebe, das Leid, der Tod, alle Facetten einer Oper finden sich hier in fantastische Musik gepackt. Meine Pianistin und ich, wir können hier gestalten und so erzählen, wie wir uns das vorstellen. Genau das finde ich eine fantastische Sache.“ Die kongeniale Partnerin an seiner Seite ist Doriana Tchakarova – sie haben sich gesucht und gefunden, in Ausdruck, Detailstärke und Raffinesse. Wie passgenau ihrer beider Kunst ineinandergreift, das macht ihr Spiel derzeit zu den aufregendsten und spannendsten Events der Liedkunst. Das heißt nichts anderes, als sich einfach hinzugeben und zuzuhören. n Schumann, Loewe, Jensen, Schubert: „Saga“, Konstantin Krimmel, Doriana Tchakarova (Alpha) Track 9 auf der CRESCENDO Abo-CD: Waldesgespräch von Adolf Jensen FOTO: DANIELA RESKE 28 w w w . c r e s c e n d o . d e — OktoberNovember 2019

HÖREN & SEHEN Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz Das Erbe des schwedischen Komponisten Wilhelm Stenhammar in einer Box (Seite 36) CRESCENDO Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören? Kein Problem: Auf www.crescendo.de finden Sie unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören! Steven McRae Virtuose Soli Seine Mutter war „Sisi“, sein Vater Kaiser Franz Joseph. Trotzdem war das Leben von Kronprinz Rudolf nicht märchenhaft. Die kühle Beziehung zu den Eltern, seine arrangierte Ehe und politische Intrigen setzten dem Habsburger so zu, dass er sich mit Alkohol, Morphium und Affären betäubte; mit 31 erschoss er seine Geliebte Mary und sich auf Schloss Mayerling. Mit dem gleichnamigen Handlungsballett hat Choreograf Kenneth MacMillan Rudolfs Schicksal 1978 im Londoner Royal Opera House auf die Bühne gebracht; bis heute steht es dort auf dem Spielplan. Bei der 2018 aufgezeichneten Aufführung brilliert Steven McRae als Rudolf in virtuosen Soli und intensiven Pas de Deux mit Partnerinnen wie Sarah Lamb und Laura Morera. Physisch und psychisch ist das so herausfordernd, dass dieser Part als „Mount Everest“ der männlichen Hauptrollen im Ballett gilt. Den arbeitsreichen Weg dorthin zeigen zwei Bonus-Tracks mit Einblicken in den Probensaal und McRaes Reha-Training, das ihn nach einer Verletzung wieder fit machte. ASK TANZ Kenneth MacMillan: „Mayerling“, Steven McRae, Sarah Lamb, Laura Morera u. a., The Royal Ballet (Opus Arte) FOTO: MARCO BORGGREVE 29

K Ü N S T L E R<br />

BEGNADETER BARDE<br />

Der Bariton Konstantin Krimmel kann allein mit seiner Stimme Geschichten erzählen –<br />

und macht damit das Lied zur Oper. VON STEFAN SELL<br />

Da kommt eine wirklich aufregende, frische, neue<br />

Stimme auf uns zu. Sie weiß uns wundervolle Geschichten<br />

zu erzählen, völlig ungetrübt, klar und verständlich, im Timbre aber<br />

ein emotionales Spektrum von betrübt, besorgt, hässlich hassend bis<br />

ängstigend schreiend, wie auch heiter, froh, liebend, leicht und übermütig,<br />

ja versöhnend und betörend. Der deutsch-rumänische Bariton<br />

Konstantin Krimmel singt mit großer Hingabe zum Detail, folgt den<br />

Nuancen zwischen Wort und Ton bis in die kleinste Nische und ist<br />

dabei so reich an leidenschaftlicher Ausdruckskraft, dass der 26-Jährige<br />

20<strong>19</strong> zum Gewinner und Publikumspreisträger des Deutschen<br />

Musikwettbewerbs avancierte, darüber hinaus beim Internationalen<br />

Gesangswettbewerb „Das Lied“ den zweiten Preis bekam und wieder<br />

Publikumspreisträger wurde.<br />

Das jetzt erschienene Debütalbum „Saga“ eröffnet mit Tom der<br />

Reimer von Carl Loewe. Als hätte er alle Zeit der Welt, singt Krimmel<br />

wundervoll unangestrengt und schwebt heiter durch die Zeilen,<br />

in der Stimmführung auch bei leisen Tönen stets kraftvoll und erdverbunden.<br />

Silbe für Silbe, Wort für Wort zieht er die Zuhörer in<br />

seinen Bann. Was war die Intention?<br />

„Unser Anliegen war es, unterschiedliche Komponisten zu<br />

mischen, eine Bandbreite an Farben in den verschiedenen Vertonungen<br />

und Erzählungen zu zeigen, durch die ein roter Faden fließt.<br />

Wir haben viel gesammelt und geschaut, was könnte dazu passen.“<br />

Balladen sind es, die hier den roten Faden spinnen. Das wird im<br />

Booklet sehr schön beschrieben, worin auch die renommierte Liedexpertin<br />

Susan Youens ihr Wissen eingebracht hat.<br />

„Wir wollten die ganze Geschichte – die Saga – mit etwas Schönem<br />

beginnen, uns mit Tom der Reimer langsam vorarbeiten, um<br />

uns dann immer tiefer nach unten zu graben.“ Ein treffendes Bild,<br />

galt doch das Bergwerk, das Graben in die Welt unter Tage zur Zeit<br />

der Romantik als Vorstoß ins Unbewusste. Der Spannungsbogen<br />

ist gelungen. So heiter beschwingt der Reigen beginnt, er mündet<br />

mit Odins Meeresritt in Tod und Verderben.<br />

Krimmel offenbart eine große Vielfalt. In Schumanns Belsazar<br />

werden exaltierter Größenwahn und dessen fatale Folgen zum Greifen<br />

nah. „Wenn sich hier Belsazar völlig irre wie auch selbstbewusst<br />

gegen Gott stellt, dann darf das auch dementsprechend kräftig klingen,<br />

da muss man einfach zupacken und sich nicht hinter großer<br />

Liedtechnik verstecken. Für mich heißt das, einfach ein bisschen<br />

weitergehen, wenn es hässlich ist, dann darf man auch hässlich werden<br />

und hässlich singen. Das hilft der Geschichte, gibt ihr eine gute<br />

Basis.“ Genau das ist in Schuberts Zwerg zu hören, wenn Krimmel<br />

ganz in dessen Haut geschlüpft selbst zum verstoßenen Wesen wird,<br />

weil seine Geliebte, die Königin, ihn verlassen hat. In Jensens Waldgespräch<br />

wächst und wächst seine Stimme und kulminiert im Schrei.<br />

In Loewes Erlkönig ist er auf allen vier Ebenen präsent. Man spürt<br />

die intensive Auseinandersetzung mit der Rolle des Beobachters,<br />

den angstvollen Hilferufen des Kindes, den nichts ahnenden Beruhigungen<br />

des Vaters bis hin zum trügerisch verklärten wie verführerischen<br />

Ton des Erlkönigs. Krimmel ist jedem Charakter innig<br />

verwoben, gibt jeder Figur ihren eigenen Ton. Dabei klingt seine<br />

Stimme unglaublich gereift, was erstaunt, wenn man weiß, wie jung<br />

er noch ist.<br />

Ziehen ihn seine schauspielerischen Fähigkeiten letztendlich<br />

zur Oper? „Für mich haben alle drei Sparten, Lied, Konzert und<br />

Oper, einen sehr hohen Stellenwert. Dennoch bedeutet mir persönlich<br />

das Lied am meisten, denn Belsazar und Erlkönig sind eigentlich<br />

kleine Opern für sich, eine Oper erzählt in fünf bis sechs Minuten,<br />

da ist alles drin, was eine Oper hat. Da ist die Liebe, das Leid, der<br />

Tod, alle Facetten einer Oper finden sich hier in fantastische Musik<br />

gepackt. Meine Pianistin und ich, wir können hier gestalten und so<br />

erzählen, wie wir uns das vorstellen. Genau das finde ich eine fantastische<br />

Sache.“<br />

Die kongeniale Partnerin an seiner Seite ist Doriana Tchakarova<br />

– sie haben sich gesucht und gefunden, in Ausdruck, Detailstärke<br />

und Raffinesse. Wie passgenau ihrer beider Kunst ineinandergreift,<br />

das macht ihr Spiel derzeit zu den aufregendsten und<br />

spannendsten Events der Liedkunst. Das heißt nichts anderes, als<br />

sich einfach hinzugeben und zuzuhören.<br />

n<br />

Schumann, Loewe, Jensen, Schubert: „Saga“,<br />

Konstantin Krimmel, Doriana Tchakarova (Alpha)<br />

Track 9 auf der <strong>CRESCENDO</strong> Abo-CD: Waldesgespräch von Adolf Jensen<br />

FOTO: DANIELA RESKE<br />

28 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Oktober</strong> – <strong>November</strong> 20<strong>19</strong>

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